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Als wir uns trafen

Teil1 der 'Ernte was du sähst' Reihe
von

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... war ich frustriert

Konohagakure, ungefähr drei Jahre vor dem 3. Shinobiweltkrieg
 

Wenn Genma eines hasste, dann waren es Krankenhäuser. Diese steril-weissen Wände, der beissende Geruch nach Desinfektionsmitteln und auch auf die Spritzen hier war er nicht besonders scharf. Andererseits, wer war das schon? Niemand wurde gerne mit einer spitzen Nadel gepikst und wusste oft nicht mal genau, was ihm jetzt da unter die Haut gejagt worden war.

Genma knurrte leise. In ein paar Jahren, wenn er alt genug war, würde er ebenfalls ein talentierter Shinobi sein. Bis zu seinem Abschluss an der Ninja-Akademie dauerte es ja nicht mehr lange. Dann würde ihn niemand mehr einfach so in ein Krankenhaus zerren können, wenn er das nicht wollte.
 

„Genma-chan, jetzt schau nicht so. Du hast dir nur das Bein gebrochen, da dran ist bisher unter normalen Umständen noch niemand gestorben.“

Genma grummelte nur als Antwort, und die Schwester schmunzelte erneut.

„Wann kann ich wieder nach Hause?“

„Endo-sensei hat gesagt, dass du übermorgen wieder gehen darfst. Das solltest du aber mittlerweile wissen.“

„Ich will aber jetzt wieder gehen und nicht erst übermorgen. Ich bin ein Shinobi, oder werde es bald sein. So ein bisschen Schmerz macht mir nichts aus, Yamawaki-san.“

„Das weiss ich doch, Genma-chan. Doch wir wollen dich noch etwas zur Beobachtung hier behalten, damit wir sicher sein können, dass du keine Muskelblutungen bekommst. So etwas ist für niemanden leicht zu verkraften. Auch für ein Kind wie dich nicht.“
 

Genma verdrehte die Augen und pustete eine hellbraune Haarsträhne aus dem Gesicht. Es brachte ja nichts. Also seufzte er auf und fügte sich seinem Schicksal. Dank des gebrochenen Beines war ein Fluchtversuch sowieso sinnlos. Selbst mit den Krücken, die neben seinem Bett standen, war er viel zu langsam um erfolgreich abhauen zu können. Ganz abgesehen davon, konnte Genma auch ganz gut auf die Standpauke verzichten, die er garantier zu hören bekommen würde, wenn seine Mutter davon erfuhr.

Das Lächeln der Schwester wurde etwas breiter, als er sich wieder richtig hinlegte und die Anspannung seinen Körper verliess.

„So ist es gut, Genma-chan“, lobte sie, bevor sie den Zugang, der in seinem Arm steckte, mit einem schnellen Blick prüfte.

„Hast du Hunger, Genma-chan? Es gibt gleich Abendessen und ich glaube, heute dürfte es dir besonders gut schmecken.“

Eine Augenbraue wanderte unauffällig hinter seinem dichten Pony nach oben, bevor sein Magen ihm lautstark die Entscheidung abnahm. Schwester Yamawaki lachte leise. „Ich bringe dir eine extra grosse Portion. Und bevor ich es vergesse: Du bekommst später noch einen Zimmergenossen.“

„Was?“

„Keine Sorge, ich bin mir sicher, dass ihr euch gut verstehen werdet. Er ist ein Shinobi wie du.“

Mit diesen Worten verliess sie das Zimmer und liess Genma alleine.

Für ein paar Momente starrte er auf die geschlossene Tür, bevor er auf seine Unterlippe biss. Er wollte keinen Zimmergenossen, den er vermutlich nie wieder sehen würde. Er wollte einfach nur noch hier raus.

Genma verfluchte sich und seine Ungeschicktheit. Wenn er einfach besser aufgepasst hätte, wäre er jetzt nicht hier. Er warf einen bösen Blick auf sein Gipsbein, bevor er sich wieder ins Kissen zurücksinken liess und seinen Kopf zur Seite drehte, sodass er die beiden freien Betten neben sich betrachten konnte. Hoffentlich liess sein neuer Zimmergenosse ihn in Ruhe.
 

Der würzige Geruch von frischer Kürbissuppe riss Genma aus seinen Gedanken. Sein Magen begann wieder zu knurren und ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen. Er setzte sich auf und starrte auf die Schüssel, die Schwester Yamawaki auf einem Tablett in den Händen trug.

Auch sie lächelte. „Na? Ich hab nicht zu viel versprochen, Genma-chan, oder?“, fragte sie, bevor sie das kleine Tischchen am Bett hinunterklappte und die Suppe vor seine Nase stellte.

„Geniess es, Genma-chan.“

Genma spürte, wie die Verlegenheit in ihm hochkroch.

„Ich ... Danke, Yamawaki-san.“ Doch noch bevor sie ihm antworten konnte, klopfte jemand leise an die Tür und öffnete sie dann auch gleich. Genma sah auf, als eine weitere Schwester hereinkam, die einen Rollstuhl vor sich herschob. Genma erkannte von der Person, die darin sass, nicht viel mehr als kurzes, braunes Haar und Unmengen an Verbänden.

Schwester Yamawaki ging auf die beiden zu und deutete auf das Bett rechts neben Genmas. Neugierig beobachtete er die Szene, doch beide Schwestern verdeckten zum grössten Teil seine Sicht auf den Rollstuhl.
 

„Ah, hier bist du ja, Raidou-chan. Endo-sensei ist wirklich zufrieden mit deinem Heilungsfortschritt in den letzten Tagen, darum können wir dich auf ein normales Zimmer verlegen. Du darfst jetzt auch wieder Besuch bekommen, wenn du das möchtest.“

Genma konnte einige leise Worte hören, vermutlich eine Antwort, doch er konnte nichts verstehen.

„Ich akzeptiere deine Entscheidung. Hast du Hunger? Ein wenig Suppe würde dir sicher gut tun.“

Der Junge – Raidou? – musste wohl eine positive Antwort gegeben haben, denn die fremde Schwester verliess den Raum, nur um ein paar Minuten später mit einer zweiten Schüssel Suppe zurückzukehren.

„Iss einfach so viel du kannst und ruh dich dann aus, ja? Soll ich den Vorhang zuziehen? Dann kannst du in Ruhe essen und später auch schlafen. Wenn du etwas brauchst, musst du nur diesen Knopf drücken.“

Wieder war die Antwort für Genma nicht zu verstehen, doch Schwester Yamawaki nickte und zog die Vorhänge rund um das Bett zu.
 

Genmas schlechte Laune war wie weggeblasen, was nicht nur daran lag, dass er heute sein Lieblingsessen bekommen hatte. Irgendwas an seinem unbekannten Zimmergenossen faszinierte ihn und er wollte unbedingt herausfinden, wer das war.

Schweigend löffelte Genma seine Suppe und auch der fremde Junge gab keinen Laut von sich. Ausser dem dumpfen Klirren des Geschirrs war nichts zu hören.

"Ich heisse Shiranui Genma. Und du …?“ Er versuchte möglichst freundlich und unbedarft zu klingen und seine Neugier zu verbergen.

Das Klirren verstummte, aber zu Genmas Enttäuschung und Verwunderung erhielt er keine Antwort.

„Erm … Hallo? Verstehst du mich?“

Wieder keine Antwort, nur das leise Rascheln der Bettdecke war zu hören.

Genma entliess geräuschvoll die Luft aus seinen Lungen und zog einen Schmollmund. Bitte sehr, aber zumindest hatte er es versucht, aber wenn der andere nicht wollte, dann konnte Genma auch nichts daran ändern. Er griff nach der Plüschfledermaus, die neben ihm auf der Matratze lag und drückte sie fest an sich.

„Namiashi …“ – eine kurze Pause – „Raidou.“ Die Stimme des Jungen klang leise und unsicher.

Genma starrte auf den Vorhang. Der Name kam ihm bekannt vor.

Aber die Antwort war zumindest ein Anfang und Genma fühlte sich besänftigt. Vielleicht war Raidou einfach schüchtern oder misstrauisch und brauchte eine Weile, bis er zu jemandem Vertrauen fasste. Für Genma war ein erster Schritt schon getan.

„Ich hab mir das Bein gebrochen, deshalb muss ich hier sein. Hab mich beim Training verletzt.“

‚Ha‘, dachte Genma, ‚das klingt wirklich viel besser als bin-in–der-Akademie-über-meine-Füsse-gestolpert-und-die-Treppe-runtergefallen.‘

Eine kleine Pause entstand. Raidou gab keine Antwort, aber wenn Genma ehrlich zu sich war, hatte er auch keine erwartet.

„Ich kann bald wieder hier raus. Yamawaki-san hat gesagt, dass ich übermorgen wieder zu Hause sein kann. Ich kanns kaum erwarten, es ist so langweilig hier.“ Genmas Blick war noch immer auf den hellblauen Vorhang gerichtet, so als ob er hindurchsehen könnte.

Abwesend nahm Genma eine seiner Haarsträhnen zwischen die Finger. Es half ein wenig, um sich abzulenken und die eigene Unsicherheit zu überspielen. Aber nicht genug. Genma vermisste die spezielle Wurfnadel, die ihm sein Vater zu seinem Geburtstag vor zwei Jahren geschenkt hatte. Das dünne Stück Metall zwischen den Lippen hatte eine unglaublich beruhigende Wirkung auf ihn.

„Training? Bist du ein Shinobi?“

Genmas Mundwinkel zuckten nach oben. Raidous Stimme klang nach wie vor leise und unsicher, doch zumindest hatte er von sich aus eine Frage gestellt. Das war doch schon mal ein Fortschritt.

„Noch nicht. Aber wenn mein Bein verheilt ist, werde ich endlich ein Genin. Ich bin schliesslich alt genug und die Akademie ist langweilig. Aber… sag mal, weshalb bist du hier, Raidou-kun?“

Wieder hörte er leises Rascheln hinter dem Vorhang und Genma hatte irgendwie das Gefühl, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. Die Stille zwischen ihnen fühlte sich mit einem Mal so verkrampft und unangenehm an, dass er seine Frage am liebsten wieder zurückgenommen hätte.

Er biss sich auf die Unterlippe.

„Ich … wenn du nichts sagen willst, dann musst du auch nicht. Ich wollte nicht …“

„… ist schon gut“, unterbrach Raidous leise Stimme sein Gestammel. „Mission … Blitzjutsu …“

Genma schluckte und nickte, bevor ihm auffiel, dass Raidou die Geste gar nicht sehen konnte. Sein Hals fühlte sich staubtrocken an, als er weitersprach.

„Mission? Dann bist du ein Shinobi?“

„Genin … seit letztem Jahr …“

Raidou klang, als müsste er sich zwingen, diese Worte auszusprechen, also ging Genma nicht weiter darauf ein. Nervös knetete er sich die Hände und versuchte nicht daran zu denken, wie Raidous Stimme geklungen hatte, als er das Blitzjutsu erwähnt hatte. Stockend und voller Schmerz; Genma lief es eiskalt den Rücken hinunter. Was war bloss auf dieser Mission passiert? Vermutlich würde er es nie erfahren. In zwei Tagen war Genma wieder daheim und wer wusste schon, ob er den anderen Jungen je wiedersehen würde.

Ein leises Gähnen neben ihm, gefolgt von einem erstickten Keuchen, liess Genma aufseufzen. Er liess Raidou wohl besser in Ruhe, damit dieser sich ausruhen konnte. Vielleicht würde ihm selbst ja auch ein bisschen Schlaf ganz gut tun. Also lehnte er sich in das Kissen zurück und schloss die Augen.

„Schlaf gut“, flüsterte er, bevor er sich in seine Decke kuschelte und, schneller als ihm lieb war, einschlief.
 

Mein Dank geht an meine Betas. Vielen Dank für eure Zeit und Mühe.

... hattest du gelitten

Genma blinzelte und kniff sofort die Augen wieder zusammen, als das fahle Morgenlicht ihn blendete. Er grummelte und zog die Bettdecke über den Kopf. Für einen Augenblick verharrte Genma, bevor er leise aufseufzte und den Kopf wieder hob. Er rieb sich über die Augen und warf einen Blick auf den Wecker auf seinem Nachttisch. Genma entwich ein frustriertes Knurren. Wieso war er um halb fünf morgens bereits schon wieder wach? Er, der Frühaufstehen nicht leiden konnte und gerne lange liegen blieb.
 

Genmas Finger vergruben sich in dem weichen Körper seines Plüschtieres, als er ein leises Wimmern hörte. Genma brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass das Geräusch von dem Bett neben ihm kam.

Unsicher kaute Genma an seiner Unterlippe herum, als das Wimmern, trotz der zugezogenen Vorhänge, lauter und schmerzerfüllter wurde. Er presste die Handflächen gegen die Ohren. Diese Laute waren mehr, als Genma ertragen konnte. Er wollte den Schmerz nicht hören, ihn nicht spüren, aber den Geräuschen entfliehen konnte er nicht.

Mangels anderer Möglichkeiten drückte Genma auf den Notknopf, um jemanden zu rufen, der sich um Raidou kümmern konnte.
 

„Raidou-kun?“, fragte Genma, als sich auch schon die Tür öffnete und ein ihm unbekannter Pfleger hereingelaufen kam. Er musterte Genma mit einem fragenden Blick, doch als Raidou wieder leise schrie, schien der Pfleger zu verstehen. Er huschte zu dem Bett neben Genmas und verschwand hinter dem Vorhang, der Raidous Bett ringförmig umschloss.

Genma wusste nicht, was der Pfleger tat. Völlig verstört starrte er auf seine Bettdecke und versuchte, nicht hinzuhören.
 

„Raidou-chan, es ist alles gut. Du bist in Sicherheit. Niemand wird dir wehtun“, drang die ruhige, dunkle Stimme des Pflegers zu Genma vor. Sie hatte eine tröstende Wirkung auf ihn, sodass er sich langsam wieder entspannte. Auch bei Raidou schienen die Worte Wirkung zu zeigen. Das Wimmern und Schreien wurde leiser und verstummte schliesslich ganz.

„Beruhige dich. Erinnerst du dich? Du bist in Konoha. Im Krankenhaus. Keine Angst, hier du bist sicher.“

Genma konnte angestrengtes Atmen hören und einige gemurmelte Worte, die er jedoch nicht verstand.

„Ganz ruhig, Raidou-chan. Atme tief ein und aus. So ist es gut. Hier hast du …“
 

Die Stimme wurde leiser und Genma zog die Bettdecke höher. Aus irgendeinem Grund war ihm unglaublich kalt. Er spürte, wie er zitterte und eine bleierne Müdigkeit in seine Glieder kroch.

Das war … Genma fand keine Worte, um zu beschreiben, was er gefühlt hatte, als er tatenlos mitanhören musste, wie Raidou sich in seinen Albträume verlor. Was er wohl gesehen hatte?

Das Zittern seines Körpers liess ein wenig nach, als der Pfleger zu ihm ans Bett kam.

„Das hast du gut gemacht, Genma-chan, als du mich gerufen hast. Das war sicher ein grosser Schock für dich, nicht wahr? Wie fühlst du dich?“

„… weiss nicht“, murmelte Genma. Die Situation überforderte ihn zusehends, sodass er seinen Blick auf das kleine Täfelchen auf der Arbeitsuniform des Pflegers fokussierte und den Namen darauf entzifferte.

„Okita-san? Ich …“ Genma brach ab und knetete seine Hände, die sich unangenehm kalt anfühlten. Irgendwie hatte sein Wunsch, ein Shinobi zu werden, einen empfindlichen Dämpfer bekommen. Wenn Albträume und schwerwiegende Verletzungen seine Zukunft waren, war er sich unsicher, ob er diesen Weg weiterhin beschreiten wollte.

„Wie geht es ihm?“, fragte Genma und vermied es, den Vorhang rechts neben ihm auch nur anzuschauen.

„Ich bin mir sicher, dass es ihm besser geht, jetzt da er wieder weiss, dass er in Sicherheit ist. Versuch, noch ein bisschen zu schlafen, Genma-chan. Falls etwas ist, kannst du mich rufen.“

Genma seufzte, bevor er sich hinlegte und die Decke fester um sich wickelte. Als ob er jetzt noch schlafen könnte! Er hatte eher das Gefühl, sein Kopf würde bei den vielen Gedanken, die in ihm umherschwirrten, in ein paar Momenten explodieren.

Genma beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Okita das Zimmer verliess und leise die Tür hinter sich schloss.
 

Fünf Minuten vergingen. Dann zehn Minuten. Eine Viertelstunde, und Genmas Vorahnung erfüllte sich. Der Schlaf blieb aus und mit einem genervten Stöhnen setzte er sich wieder auf.

Genma gähnte und sah zu dem Fenster zu seiner Linken, durch das das Morgenlicht hineinschien. Irgendjemand hatte am Vorabend den Vorhang auf einer Seite des Fensters nicht zugezogen. Genma war dankbar für diesen Umstand, so konnte er wenigstens hinausschauen, auch wenn er kaum etwas erkennen konnte. Viel mehr als dunkle Umrisse von Bäumen und Büschen waren nicht zu sehen.

Langsam wurde es heller im Zimmer, Genma musste also schon eine geraume Zeit hier sitzen. Ein weiterer Blick auf den Wecker bestätigte diese Vermutung: Es war kurz nach fünf.

Genma grummelte leise und verdrehte die Augen. Immer noch viel zu früh. Raidou schlief vermutlich wieder und fiel so als Ablenkung aus.

Blöder Beinbruch. Blödes, langweiliges Krankenhaus.
 

„… Genma-kun?“ Genma biss sich vor Schreck auf die Unterlippe, als er die leise Stimme hörte. Verwirrt sah er sich um. Ausser ihm und Raidou befand sich niemand in dem Zimmer. Ausser ihm und Raidou … Genma hielt den Atem an, bevor er ihn nach einem Moment wieder entliess.

„Ja?“

„… Ich … ich …“

„Kannst du nicht mehr schlafen?“

„Will nicht mehr einschlafen“, murmelte Raidou, bevor Genma ein leises Rascheln und einen erstickten Schmerzlaut hörte.

„Was hast du? Brauchst du Hilfe? Soll ich wen rufen?“ Genma wusste nicht wieso, aber irgendwie war ihm Raidou ans Herz gewachsen und er wollte nicht, dass dieser Schmerzen hatte. Wenn er ihn nur irgendwie ablenken konnte. Ob Raidou das überhaupt wollte?

Genma setzte sich vorsichtig auf, bevor er nach den Krücken und seinem Morgenmantel griff. Er hatte eine Idee, wie er Raidou vielleicht aus der Reserve locken konnte. Hoffentlich war dieser ihm danach nicht böse.

„Raidou-kun?“

„Hm?“

„Neben deinem Bett steht ein Stuhl, ich setz‘ mich mal da drauf, okay?“

„… ‘kay.“

Erleichtert über die positive Antwort, zog Genma das Kleidungsstück über, bevor er vorsichtig mit Hilfe der Krücken aufstand und die paar Schritte zu Raidous Bett hinüber humpelte. Er setzte sich auf den Stuhl und stellte die Krücken neben sich ab.

„Es wird endlich hell. Kannst du das auch sehen? Lässt der Vorhang Licht durch?“ Die Tatsache, dass Raidou nichts gegen seine Anwesenheit hatte, liess Genma jegliche Müdigkeit vergessen.

„Nur ein bisschen“, antwortete Raidou nach einer Weile. „Ich erkenne nicht viel. Es ist noch zu dunkel.“

Bildete Genma sich das nur ein, oder hatte Raidous Stimme am Ende ein bisschen gezittert? Genma starrte auf den Vorhang und legte den Kopf schief. „Willst du denn, dass es dunkel ist?“

„N …Nein. Aber es muss dunkel bleiben. Ich will nicht …“ Raidou verstummte und Genma konnte hören, wie er tief ein- und ausatmete.

„Was willst du nicht?“

Wieder musste Genma eine Weile auf eine Antwort warten. Was auch immer es war, das Raidou beschäftigte, es schien schlimm für ihn zu sein.

„Ich will nicht, dass du mich … siehst. Niemand soll mich mehr ansehen!“ Dieses Mal schien Raidou seine Emotionen nicht mehr kontrollieren zu können.

Seine Stimme drang ungewohnt laut an Genmas Ohr, sodass er zusammenzuckte und sich nur noch mit Müh‘ und Not auf dem Stuhl festhalten konnte. Er öffnete den Mund und wollte etwas sagen, doch das erstickte Aufkeuchen liess Genma innehalten. Seine Augen weiteten sich für einen Moment, bevor sich seine Finger in dem Stoff des Morgenmantels vergruben. Der Schmerz, der aus Raidous Stimme gesprochen hatte, schnürte Genma die Kehle zu. Er schluckte, zwang sich dann aber dazu, wieder in Raidous Richtung zu blicken.

„Soll ich weggehen?“, fragte er unsicher und begann wieder auf seiner Unterlippe herumzukauen. Vielleicht war seine Idee doch nicht so gut gewesen, schoss es ihm durch den Kopf. Die Befürchtung, dass Raidou nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, liess ihn innerlich erschaudern.

„Tut mir leid. Ich lass‘ dich mal in Ruhe. Wenn du es heller haben willst, dann kannst du den Vorhang aufmachen. Ich guck‘ auch nicht, Ninja-Ehrenwort“, sagte Genma und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihm diese Situation missfiel. Auch wenn er nicht so ganz verstand, was eigentlich passiert war und wieso jetzt diese unangenehme Stille zwischen ihnen herrschte.
 

Genma griff nach den Krücken, ehe Raidous leise Stimme ihn wieder innehalten liess.

„Bleib … bitte. Aber dreh dich um, schau zum Fenster.“

„Uhm … okay.“ Genma fackelte nicht lange. Vorsichtig stand er mit Hilfe einer Krücke auf. Mit der freien Hand zog und zerrte er so lange an dem Stuhl, bis dieser dem Fenster zugewandt dastand. Mit klopfendem Herzen liess sich Genma wieder auf den Stuhl sinken, unsicher, was ihn jetzt erwartete.

Er hörte das Rascheln der Bettdecke durch den Vorhang. Raidou schien sich zu bewegen und anders zu positionieren, bevor die Geräusche wieder erstarben.

„Du guckst auch nicht?“

„Natürlich nicht. Ich hab’s dir ja versprochen, oder? Mach den Vorhang auf, ich kann schon ein bisschen die Sonne sehen. Du wirst sehen, es wird dir ganz sicher besser gehen. Meine Mama sagt immer: Sonnenlicht macht glücklich.“

Genma spürte, dass Raidou zögerte, so als ob er sich dazu zwingen musste, Genmas Bitte Folge zu leisten. Und wenn Genma ehrlich mit sich war, war er aufgeregt, denn die nächsten Sekunden würden entscheiden, ob Raidou ihm vertraute oder nicht.

Ein breites Lächeln stahl sich auf Genmas Lippen, als er hörte, wie der Vorhang zur Seite geschoben wurde. Die Erleichterung über Raidous Entscheidung hinterliess ein warmes Gefühl in seiner Magengegend.

„Ich kann die Sonne auch sehen“, murmelte Raidou hinter ihm und dieses Mal war seine Stimme frei von Schmerz.
 

Genma hielt sein Versprechen und blieb mit dem Gesicht zum Fenster sitzen. Die Wärme in seinem Inneren verstärkte sich nur noch mehr, als Raidou ein leises „Danke“ flüsterte. Genma entspannte sich und lachte.

In diesem Augenblick waren er und Raidou nichts weiter als zwei normale Jungen, die zusammen die ersten Sonnenstrahlen eines neuen Tages genossen.



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