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How To Save A Life

Haikyuu Krankenhaus AU RairPairs on the Run
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Bitte bedenkt, dass ich keinerlei medizinische Ausbildung habe und auf amateurhafte Recherche zurückgreiffen muss. Außerdem geht es im Laufe dieser Geschichte mehr um die Beziehungen zwischen den Charakteren. Also bitte vergebt mir mein Pseudo-Laien-Wissen <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Sieht so aus, als könnte sich "einmal im Monat zum Monatsende" hier einbürgern. Ich bemüh mich auf jeden Fall drum.
Viel Spaß bei Kapitel 2, das meine Hände hat zittern lassen, vor allem gegen Schluss hin... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Irgendwie werden die Kapitel immer länger, da der Upload-Rhythmus aber ein sehr langer ist, glaube ich, dass mir das zu verzeihen ist. ;)
Wofür ich mich aber gleich entschuldige ist das Chaos, das in diesem Kapitel herrscht. Sorry, es passiert sehr viel, es geht viel durcheinander, Szenen verschwimmen ineinander und hacken ab. Aber es geht nun mal um die Notaufnahme, da ist es selten besonders übersichtlich.
Am Ende des Kapitels geh ich als Wiedergutmachung noch einmal kurz auf alle neuen Charaktere ein.

Und last but definitely not least: Dieses Kapitel geht mit einer Widmung raus an die liebe Jo auf FanFiction.de.
In ihrer FF zu Iwaizumi hat sie mir einen OC vorgestellt, den ich jetzt nicht mehr missen möchte.

Viel Spaß, liebe alle <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Musikalische Begleitung Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Heute gibt’s ein eingeschobenes Kapitel ;)
Das hat zwei Gründe.
Einerseits hab ich gehofft, der lieben Jo von Fanfiction.de eine kleine Freude zu ihrem Geburtstag zu machen.
und andererseits musste ich tatsächlich ein Kapitel einschieben, weil ich etwas zu viel Content habe, den ich gerne vor dem Halloween-Kapitel noch reinbringen wollte und es freut mich sehr, zu verkünden, dass es geglückt ist und nun auch alles gut an seinem Platz ist. Auch wenn es den geplanten Wordcount etwas sprängt ^^‘

Weiters haben Jo und ich kürzlich darüber geredet, dass man seinen Charakteren (OCs oder Originalen) gerne mal etwas von sich selbst mitgibt. Das mache ich tatsächlich auch wenn es um Background geht. Und ich habe Iizuna etwas ganz Persönliches von mir gegeben und nein! Es ist nicht mein wunderschönes Lächeln – es wäre arrogant von mir zu glauben, dass sich jemand wie Kenma nur meines Lächelns wegen in mich verknallen würde. Das Bild, das ich später im Text verlinkt habe, ist nämlich meines. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich sags gleich, ich kam dieses Jahr nicht so ganz in Halloweenstimmung und deswegen ist das Kapitel nicht so Halloween-ish wie ich es mir gewünscht/vorgenommen habe, aber der gruselige Part nimmt hoffentlich genug Fahrt auf im späteren Verlauf des Kapitels und falls nicht, ist es hoffentlich witzig ;)

Außerdem hab ich hier ganz viel Liebe für Suga-chan <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Willkommen zu einem meiner wohl meistersehnten Kapitel. Also von mir. Bei Grey’s Anatomy sagen sie an dieser Stelle übrigens oft: „prepare yourself“

Das und ne Packung Taschentücher und vielleicht nen Kräuterschnapps zur Verdauung geb ich euch auch mal mit. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Der Einleiter für dieses Kapitel ist quasi abgeschrieben aus der Übersetzung von Grey’s Anatomy S11F11. Ich hab die Folge zufällig erst gesehen und war zu ergriffen von Aprils Worten, dass ich sie einfach übernehmen musste. Ich hab nur ein paar Änderungen gemacht, aber im Grunde sind das nicht meine Worte und das Copyright gehört Grey’s Anatomy/Shonda Rhimes/dem Übersetzungsteam.

Trigger: Kraftausdrücke, Trauer, Suizid, STD Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ihr fragt euch sicher ”Warum gabs im Februar kein Kapitel?“
Dafür gibt es 2 Antworten. Die Wahrheit und eine Ausrede.

Die Ausrede: Der Februar hat ja gar keinen 30ten und bisher hab ich außer Jos (falsch platziertem) Geburtstagskapitel immer am 30ten geliefert.

Die Wahrheit: Ich hab’s einfach nicht geschrieben bekommen. Dafür gibt es heute pünktlich zum 30ten das neue Kapitel.

Was ich noch erwähnen möchte: Wer es noch nicht gemerkt hat, so ganz halte ich mich ja nicht an das Alter bei den Charakteren. Also ich mische hier bunt durch. Zwar sind Kenma und Teru im gleichen Jahrgang und somit gleichalt, aber ich hab ja auch Tsukki, Kageyama und Yachi zB ins selbe Jahr gesteckt. Und habe Suna und Sakusa, die eigentlich auch gleichalt wie Kenma sind „viel“ älter gemacht indem ich ihnen die Rollen als Oberärzte gegeben hab. Also echt alles durcheinander und trotzdem hab ich mich manchmal dran gehalten wie bei Kuroo und Kenma, die ein Jahr auseinander sind. Das sind reine Änderungen zur Einfachheit dieser Geschichte. Ich hoffe, das stört nicht zu sehr.

Und jetzt wünsch ich gute Unterhaltung mit der fünften Phase der Trauer: Acceptance

TW: Tod, Selbstmord Komplett anzeigen

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First Day

Das Spiel. Es heißt, man hat entweder das Zeug dazu oder man hat es nicht.

Kenma Kozume war Weilens seines Medizinstudiums immerzu der Überzeugung, er hätte das Zeug dazu.

Sein Interesse und seine Leidenschaft entstand sogar schon in sehr jungen Jahren, als der Nachbarsjunge, der damals mit seinem Vater und Großeltern frisch in die Gegend gezogen ist, anfing, mit ihm die coolsten medizinischen Experimente zu machen, die sich Kenma je hätte vorstellen können.

Wenn sich einer von ihnen verletzte, wurde sofort die Wunde inspiziert und das Reinigen, wie es die Ärzte taten, wurde auf kindliche Weise nachgeahmt. Verbände wurden angelegt, bei Bauchschmerzen gab es Bauchwehsaft und immer dann, wenn Kenma mit Fieber im Bett bleiben musste, übernahm Kuroo liebevoll den Part der Pflege. Wie Doktorspiele, nur anders.

In der Schule wurde Biologie zu Kenmas Lieblingsfach, wie schon ein Jahr zuvor bei Kuroo, dem er später beim Froschsezieren zusah, noch bevor er selbst damit an der Reihe war. Es war spannend und machte Spaß über die Jahre sein medizinisches Interesse zu nähren. Seien es weitere Experimente mit dem Älteren, entsprechende Einheiten im Unterricht oder passende Videospiele, die den Horizont dahingehend erweiterten, dass Kenma genau ein Jahr nach Kuroo sein Medizinstudium begonnen und mit Bravour abgeschlossen hat.
 

***
 

Als Kenma das allererste Mal die Garderobe des Haikyuu Medical Hospital betrat, wurde ihm eines umgehend klar: Sein Leben veränderte sich mit diesem Tag von Grund auf. Alles, was er bisher gelernt und erlebt hat, war für diesen neuen Abschnitt.

Die Energie, die ihn in diesem Raum begrüßte, war eine andere, als die, die ihn beim Betreten des Krankenhauses erreichte, die noch so bedeutungsvoll und ehrwürdig rüberkam im Vergleich zu diesem aufgeregten Haufen an Neulingen, zu denen er nun auch gehörte.

Unliebsames Geschnatter ließ ihn bereits den Kopf einziehen und so rasch als möglich dem Spind mit seiner unlucky Nummer 13 aufsuchen. Kaum versenkte er den Schlüssel, der an einem Kettchen um seinen Hals hing im Schloss, lehnte sich bereits der erste ungebetene Gast in seiner unmittelbaren Umgebung.
 

„Hab mich schon gefragt, wann unser Model uns beehrt“, fragte der junge Mann und nistete sich mit seinen stierenden Augen genau in Kenmas Blickfeld.

„Dir sind Partys wohl zuwider hm? Haben uns gefragt, ob du heute überhaupt kommst“, schnalzte der Störenfried und ehe Kenma etwas hätte erwidern können stand auch schon der nächste Wichtigtuer neben ihm, zumindest schätzte er ihn so ein, allein von seiner Größe her musste er in diese Kategorie passen.
 

„Mach dir nichts aus seinen Worten, er ist ein Vollidiot, zieh‘ dich lieber anständig an, Terushima… Kei Tsukishima“, stellte sich der blonde Schlichter mit der Brille vor, Kenma unterließ es, seinen Namen zu nennen, . Terushima steckte sein Oberteil ertappt in die Hose, schnürte den Gummizug zu und entfernte sich mit spottender Mimik, dass Kenma nun die Möglichkeit hatte, den Schrank zu öffnen und wie schon so viele hier in seine Arbeitskleidung zu wechseln.

„Warum nennt er mich Model“, wollte Kenma von Tsukishima wissen, der sich das Stethoskop gerade um den Hals legte.
 

„Wegen deinem Headshot“, sagte Tsukishima und schnippte gegen Kenmas ID-Karte, die sich dieser soeben an den weißen Kittel geklemmt hat. „Darauf siehst du aus wie diese Cara Delavingne, Model eben“, erklärte Tsukishima bevor er nach dem Aufrufen seines Namens verschwand und die erste Schicht seines Lebens begann. Mit ihm war Kenma also schon einmal nicht in der Gruppe.
 

„Akaashi, Kozume, Terushima, Yamaguchi, da lang zu Doktor Komori“, wurde Kenma unter seufzen aufgerufen. Musste er wirklich ausgerechnet mit dieser unangenehmen Person demselben Abteilungsarzt unterstellt sein?
 

„Hi, ich Tadashi Yamaguchi, ihr könnt mich aber Dashi nennen“, stellte sich als erstes der junge Assistenzarzt mit den Brünetten Haaren vor. Täuschte sich Kenma oder hatten diese einen Grünstich? Mit ihm gingen auch noch – zu Kenmas Bedauern eben – Terushima aus der Garderobe und jemand, den Kenma jetzt schon gut leiden konnte, der allen Anschein nach dann Akaashi sein musste. Er war ruhig, hatte einen müden Blick und wirkte durch sein abstehendes schwarzes Haar etwas verwahrlost, aber Kenma war einfach froh, auch jemanden in der Gruppe zu haben, der nicht direkt drauf los plapperte wie Yamaguchi oder Scheiße redete, wie Terushima, der sich direkt wieder unter Beweis stellte.
 

„Dashi? Ne, dich nenn ich Freckles! Genauso wie ich den Dude Pointy-Braue nennen werde, komm Model und Mr. Sleepy Eye“, sagte Terushima, klopfte Kenma und Akaashi auf die Schultern und forderte sie so auf, zu Dr. Komori zu gehen.
 

„Ist dir eigentlich bewusst, was da für Müll aus deinem Mund kommt, Vollidiot?“, fragte Akaashi. Er verdrehte angespannt die Augen und Kenma musste doch im Ansatz darüber schmunzeln.

„Was dich also zu Vollidiot macht“, hob er hervor und meldete sich wie auch die anderen bei ihrem zuständigen Abteilungsarzt, dessen Augenbrauen von Terushima doch recht gut beschrieben wurden. Aber Äußeres, das wusste Kenma ganz genau, tat absolut gar nichts zur Sache. Tat es nie.
 

Komori musterte seine vier Assistenzärzte für einen Moment und hob den Finger, als Terushima etwas sagen wollte und verbot ihm somit den Mund. Besonders ernst sah er dabei nicht, aber etwas in seiner Ausstrahlung forderte einen gewissen Respekt ein, dem überraschenderweise sogar der verfehlte Punk Folge leistete. Bemerkenswert, empfand Kenma und dann redete Komori auch schon drauf los.
 

„Gut, ab heute seid ihr vier meine Schatten, ihr geht hin, wo ich hin gehe, ihr lernt von dem, was ich mache, ihr tut, was ich sage“, führte er sie ein und orderte ihnen unter winken, ihm zu folgen, so wie er zum Empfangspunkt der Abteilung ging, sein Klemmbrett von dort nahm und den vieren ihre Pager geben ließ.
 

„Die Pager sind 24 Stunden, 7 Tage lang eure Begleiter, wenn ihr gepaged werdet, seid ihr umgehend am Weg zu Patienten, keine Umwege, kein schnell noch aufs Klo gehen, kein warten auf den Lift, ihr nehmt die Treppen, da seid ihr schneller. Wer zuerst beim Patienten ist, gibt die Anweisungen. Vor der ersten Anweisung wird einmal tief eingeatmet, ich will keine unüberlegten Manöver, kappiert?“

Komoris Einweisung folgte nach einem einstimmigen „Kappiert“ eine kurze Liste der Patienten, die sie in ihrer ersten Runde abklapperten und von denen jeder von einem anderen der vier neuen Assistenzärzte vorgestellt wurde.
 

Kenma nahm das Klippboard in die Hand, das ihm gereicht wurde, um seinen ersten Patienten vorzustellen.
 

„Kotaro Bokuto, wiederholte Endokarditis, nach Herzklappen-Operation vor zwei Jahren, aktuell mit Antibiotikum behandelt, hier, weil an einer weiteren Herzklappe operiert werden soll“, der Vorstellung folgten Entzündungswerte und diverse Notizen der behandelten Ärzte.

Kenma strich sich beim Vorlesen und Zusammenfassen lose gewordene Strähnen aus seinem Zopf zurück hinters Ohr und hob den Kopf um den Patienten schließlich anzusehen, der ihn bereits mit einem breiten Grinsen anstrahlte.
 

„Du bist Kenma, oder? Kuroo hat schon so viel von dir erzählt“, freute sich Bokuto ein unbekanntes bekanntes Gesicht zu sehen. Kenma allerdings war das unangenehm. Warum erzählte Kuroo von ihm? Allerdings wusste er selbst bereits beim Vortragen des Namens, dass es sich bei diesem Patienten um einen jungen Mann handelte, mit dem Kuroo viel Zeit verbrachte, seit dieser hier im Krankenhaus war.
 

„Dann werden wir Bokuto lieber Dr. Akaashi zuteilen, wenn die Runde fertig ist, nimmst du ihm Blut ab, bringst es ins Labor und berichtest mir die neuen Werte. Weiter geht’s“, sagte Komori, Akaashi nickte, auch Kenma akzeptierte, es blieb ihm auch nichts anderes übrig, immerhin war es eine direkte Anweisung.

„Bye Dr. KenKen“, rief Bokuto der Gruppe – gezielt natürlich Kenma – nach und winkte aufgeregt. Kenma wandte den Blick ab.
 

Die weitere Runde war bald abgeschlossen. Akaashi machte sich auf den Weg zu Bokuto, ihm Blut abzunehmen, Yamaguchi wurde mit einem Patienten zum CT geschickt, Terushima Patientenaufbereitung und Kenma saß gerade mit Shoyo Hinata, einem Orthopatienten, im Wartebereich der Röntgenabteilung.
 

„Und dann bin ich sooo hoch gesprungen und dann bin ich viel tiefer gefallen, ich hab gedacht, mein Bein ist ab“, erzählte Hinata begeisterter, als man von einem Oberschenkelbruch berichten sollte.

„Aber erzähl du doch mal, bist du gerne Arzt? Macht es dir Spaß?“, fragte Hinata gleich darauf, dass Kenma sich in dem Sitz etwas aufrichtete und zu seiner sah, wo der quirlige Patient saß und ihn mit glänzenden Augen anstarrte.
 

„Naja, ich schätze schon, ich hab heute meinen ersten Tag hier, aber ich mochte das Lernen und ich war gut auf der Uni und werde meinen Job als Arzt mit besten Gewissen gut machen“, sagte Kenma und wunderte sich gleich über Hinatas überlegenden Blick.
 

„Hmmm… Ich bin mir sicher, du wirst noch richtig Spaß daran haben, ich hab schon so viele coole Dinge im Krankenhaus gesehen und du wirst die alle behandeln können und du wirst sicher viel krassere Aufgaben lösen als diese Fernsehärzte“, gab Hinata begeistert von sich, dass Kenma leise in sich hineinlachte.

„Vielleicht hast du recht“, sagte er zu seinem Patienten.
 

***
 

„Und dann hat sie die ganze Röhre angekotzt und ich hab den restlichen Vormittag damit verbracht, die CT-Maschine zu putzen“, erzählte Yamaguchi erschöpft während er in seinem Essen herumstocherte. Kenma setzte sich gerade zu der Gruppe. Auch Tsukishima saß bei ihnen, er sprach sogar auf Yamaguchi ein, dass dieser lieber nicht mehr daran denken und stattdessen essen sollte, als damit zu spielen. „Mir ist der Appetit vergangen“, sagte der Brünette. Kenma genoss, dass man ihn nicht in ein Gespräch verwickeln wollte und lauschte neben dem Essen den Unterhaltungen am Tisch.
 

In den ersten Stunden hatten die Jungs und Mädels schon so viel erlebt. Eine Assistenzärztin, Yachi, wie sich herausstellte, erzählte davon, dass Sie mit ihrem Abteilungsarzt einen epileptischen Patienten behandelte, der, als sie ihm Blut abnehmen wollte, einen Anfall bekam und das Blut nur so durch die Gegen spritzte. Kein Blutbad, wie man ihren Ausführungen nach vermuten konnte, doch ihrer Kleidung nach war es allemal genug, dass sie für den restlichen Tag Papierkram durchpauken durfte.
 

„Hey, Bloody Mary“, begrüßte Terushima die Blondine und stellte sein Tablett direkt neben Kenma ab um sich auch gleich darauf neben ihn zu setzen.

„Hab gehört, du hast den Patienten mit ‘ner Nadel auseinander genommen“, lachte er und kassierte gleichzeitig von Kenma als auch von Shirabu, einem weiteren Assistenzarzt aus Yachis Gruppe, einen Rempler mit dem Ellenbogen.
 

„Hey hey, alles gut, Sorry. Was gibts bei euch sonst? Nichts? Sehr cool, dann kann ich ja erzählen, ich werde heute Nachmittag einen Blinddarm entfernen, Doktor McPointy Braue hat bei einem kurzen Besuch in der Notaufnahme mein Potenzial entdeckt und mich miteingetragen, da ist auch dieser Gockel-Dude dabei, den unser Model kennt, aber ich zieh das Ding voll durch bei Oberarzt Sawamura“, posaunte Terushima seine Neuigkeiten heraus. Kenma seufzte, als Kuroo als Gockel-Dude erwähnt wurde, weil er schon befürchtete, dass sein Roommate sich mit Terushima anfreunden könnte. Neid, dass der Punk-Arzt seine erste Operation fahren durfte, gab es keinen, zumindest nicht bei ihm. Bei den Anderen am Tisch löste das aber eine hitzige Diskussion aus. Yachi gratulierte herzlich, was für ihr gutes Herz sprach, weil sie kurz nachdem einen wirklich widerlich gemeinen Spitznamen von ihm erhalten hat, dennoch hellauf begeistert für Terushima war. Tsukishima prustete und stichelte sogleich Wetten an, was Terushima alles falsch machen könnte.
 

„Sollten wir nicht einfach alle zusehen und lernen? Wenn Terushima-san es gut macht, ist doch toll für uns alle oder?“, warf Yamaguchi ein und erntete sofort Tadel von Tsukishima, bei dem er sich umgehend entschuldigte.
 

„Ihr beide kennt euch doch oder?“, fragte Terushima. Yamaguchi japste ertappt und Tsukishima zuckte mit den Schultern. „Ich wüsste nicht, was dich das anginge“, sagte er und Terushima lachte einmal laut auf. „Wusste ich doch“, bestätigte er sich selbst. Yamaguchi starrte ihn an, als hätte er einen Geist gesehen, dass auch Kenma zu seinem Sitznachbarn sah. Was hatte er denn?
 

„Hast du ein Zungenpiercing?“, fragte Yamaguchi entsetzt. Terushima zeigte sofort die Zunge mit der silbrigen Metallkugel, dass Kenma den Blick sofort wieder ab. Das lag dann fern seines Interesses, genauso wie der schlechte Spruch, der Yamaguchi dazu hätte animieren sollen, durch einen Zungenkuss zu ertasten, ob es denn beim Küssen störte.

Mit höflichem Schweigen stand Kenma also auf und verließ die Situation, in der einer seiner Kollegen vollkommen rot angelaufen war und der vor innerem Schelm nur so strotzte, wieder ein anderer genervt seufzte und weitere amüsiert kicherten.
 

Beim Verlassen der Kantine lief er aber Kuroo das erste Mal über den Weg, der sich umgehend um sein Wohlergehend erkundigte.

„Alles in Ordnung“, sagte er ihm und Kuroo fragte weiter nach seinem Abteilungsarzt, den anderen Assis wie er sie und eigentlich sich selbst auch nannte und bekam von seinem besten Freund die Antworten in üblicher Manier: Knapp aber mit all den wichtigen Informationen.
 

„Bokuto ist n toller Typ, aber gut, dass du nicht zu involviert bist…“, sagte Kuroo und seufzte. Kenma legte den Kopf schief. „Warum?“, fragte er. Kuroo zuckte mit den Schultern. „Man weiß nie, was passiert, okay? Aber ich muss leider weiter. Ich darf heute Ushiwaka bei nem Oberschenkel helfen. Meeega komplizierter Bruch“, sagte Kuroo und ließ Kenma auf der Brücke zwischen den beiden Teilen des Krankenhauses zurück.

Ein weiterer Arzt lief an ihm vorbei, das feuerrote abstehende Haar kam ihm schon etwas gar unangebracht vor, aber er wusste ja, Äußerlichkeiten taten nichts zur Sache und so würde er nicht urteilen ob dies gerade ein rebellischer Assistenzarzt oder vielleicht sogar ein renommierter Ausnahmechirurg war und nahm sich ein paar Minuten heraus, sich an das Geländer der Brücke zu lehnen und dem Treiben in der Empfangshalle zu folgen. Patienten mit Aufnahmescheinen kamen herein, Besucher meldeten sich an und Ärzte tummelten sich zu Wartenden, zur Treppe oder einfach nur durch die Halle, weil sie alle einen anderen Weg hatten. Schwestern wuselten umher mit Akten, sogar Yachi lief mit Akten beladen die Treppe hinunter. Die Gruppe am Tisch musste sich also langsam aufgelöst haben und dann… dann erhaschte Kenma etwas, von dem er augenblicklich wusste, dass es seine Welt noch einmal mehr umkrempeln und auf den Kopf stellen sollte.
 

„Oh, daran hab ich mir die Finger gestern Nacht schon verbrannt, lass es lieber“, sagte Terushima neben ihm, der sich kaum bemerkbar neben Kenma stellte genau bemerkt hat, wo Kenma geschlagene anderthalb Minuten hinstarrte. Kenma atmete einmal tief ein und neigte den Kopf zu seinem Kollegen.

„Was heißt bitte, du hast dir gestern schon die Finger an ihm verbrannt?“, wollte er wissen.

Was er lassen sollte, war ihm auch ein Rätsel, doch er ahnte schon, dass er mit dieser Person eine Frage nach der anderen klären musste. Zu viele Fragen würden ihn bestimmt überfordern. Wie er wohl das Medizinstudium geschafft hat? Irgendwas musste er also können. War es auswendig lernen? Die Praxis würde ihm bestimmt das Genick brechen, wenn es besonders ungünstig war, vielleicht sogar einem Patienten. Bei der anstehenden Blinddarm Operation aber hoffentlich noch nicht.
 

„Hab ihn gestern in der Bar auf der anderen Straßenseite angesprochen, abweisend wie Neopren, sag ich dir“, erklärte Terushima und Kenma zog die Augenbrauen hoch.

„Und du denkst, ich wäre in dieser primitiven Weise an ihm interessiert? Weißt du eigentlich, wer das ist?“, fragte er ihn mit einem angestrengten Seufzen. Er wollte sich ja gar nicht mit ihm unterhalten. Lieber wollte er weitergehen um die Testergebnisse zu holen um die er geschickt wurde.

„Dr. McArrogant?“
 

„Das ist Doktor Kiyoomi Sakusa, Spezialist der neurologischen Chirurgie und bisweilen der einzige Arzt, der noch nie einen Fehler gemacht hat, sich auf dich einzulassen wäre somit einer gewesen. Aber ich wusste nicht, dass er hier in diesem Krankenhaus arbeitet“, sagte Kenma und wurde beim letzten Teil etwas murmelnder. Da bot auch schon Tsukishima seinen Rat an, der soeben mit Yamaguchi zu den beiden trat.

„Er wurde mit heute hier her überstellt, er ist also genauso neu wie wir“

„Man sagt, er ist mit Oberarzt Suna befreundet und tut ihm einen Gefallen“, gesellte sich auch Akaashi dazu und die fünf ungleichen Kammeraden teilten noch einen Moment der Stille und Bedachtheit, bis Abteilungsarzt Komori mit Stapfen und Klatschen hinter ihnen auftauche und sie direkt weiterschickte.
 

„Tsukishima, zu deinem zugeteilten Arzt, Terushima, solltest du nicht bei Doktor Sawamura sein? Und ihr drei kommt mit mir, bevor ihr eurem Kollege zusehen dürft, hab ihr noch ein paar kleine Tests für mich zu machen“, sagte er und scheuchte die fünf auseinander.

Im Labor lernten Akaashi, Kenma und Yamaguchi den Laborleiter Dr. Shinsuke Kita kennen, der den Laden hier mit einer Routine im Griff hatte, dass man neidisch um so viel Disziplin werden konnte.

Und eine Stunde später saßen sie in der Galerie über den OP-Saal in dem Terushima als erster der Neulinge seine Operation direkt am Menschen ausführen durfte und zur Überraschung aller: Das Ding auch noch rockte.
 

Und so fügte sich die erste Schicht der neuen Assistenzärzte nach etlichen Stunden dem Ende zu. Für Kenma endete der Tag am Sofa seiner WG mit Kuroo, der es nicht wagte, ihn zu wecken und ihm vorzuschlagen, doch in sein Bett zu gehen und ihm stattdessen nur ein Glas Wasser auf den Tisch stellte und eine kleine Notiz schrieb, dass er stolz auf ihn war, weil er seinen ersten Tag hinter sich gebracht hatte.

Heartbeat

Fünf Minuten.

Fünf Minuten kann ein Mensch ohne Herzschlag überleben ohne bleibenden Schaden davon zutragen. Fünf Minuten dauert es, um herauszufinden, ob ein Kind mathematisch begabt ist

In fünf Minuten kann man laut Isreal Heute einen Menschen dazu bringen an Gott zu glauben. Etwa fünf Minuten dauert Mendelssohns Hochzeitsmarsch oder aber auch der Pinball Cha Cha von Gigi D’Agostino. Fünf Minuten wartet man auf das Ergebnis eines Schwangerschaftstests und in fünf Minuten Kochzeit hat man ein perfekt gekochtes Ei mit flüssigem Kern. Fünf Minuten später von Zuhause wegzufahren, kann unser ganzes Leben verändern.

Fünf Minuten können verfliegen wie wenige Sekunden, wenn man zum Beispiel einem geliebten Menschen nahe ist oder sich ziehen wie die Ewigkeit in Begleitung schlechter Musik. Verrückte fünf Minuten nennen wir es, wenn eine Katzen wie von der Tarantel gestochen vom Wohnzimmer in die Küche über den Kühlschrank zur Spüle und vor dort im hohen Bogen an einem vorbeispringt um die restliche Wohnung binnen weniger Sekunden auf den Kopf zu stellen, obwohl unsere Wohnung so etwas niemals fünf ganze Minuten aushalten würde.

Fünf Minuten.

Fünf Minuten sind mathematisch klar definiert und dennoch fühlen sie sich oft unterschiedlich an.
 

***
 

Die erste Woche verging für Kenma gleicherweise viel zu schnell und zäh wie schmelzende Reifen. So wie der Gummi, der sich bei seiner Ankunft gerade an Terushimas Motorradreifen absetzte, nachdem dieser auf riskante Weise einem Rettungswagen ausgewichen war und gerade noch vor Kenma Halt machen konnte. Ohne mit der Wimper zu zucken blieb dieser stehen und besah den unwirklichen Stuntman.
 

Terushima nahm den Jethelm ab, strich mit einem kessen Grinsen durch das blondierte Haar und selbst, wenn Kenma gestehen musste, dass diese Aktion ziemlich cool aussah und Terushima jetzt auch noch eine gute Figur machte, schnaubte er verachtend. „Du hättest leicht selbst der nächste sein können, der am OP-Tisch liegt, vielleicht sogar auf meinem, zur Abnahme deiner Organe für Transplantationen“, sagte er, doch Terushima begann sofort wild zu gestikulieren und versuchte sich herauszureden. Etwas von, das wäre genau geplant und perfekt berechnet gewesen, doch Kenma gab nichts darauf und ging weiter. Terushima plapperte und plauderte weiter. Das Motorrad wurde nun auch ordnungsgemäß abgestellt und der Helm verstaut, die Umhängetasche lockerer wieder um eine Schulter gezogen anstatt quer über den Oberkörper. So lief er Kenma nach und erreichte ihn just in dem Moment als er durch die große Eingangstür schritt.
 

„Sag mal, warum wartest du nicht, Dr. Model?“ fragte er bei ihm angekommen. Kenma neigte den Kopf zu seiner Linken, wo Terushima auf dem Weg zum Lift nun neben ihm herging.

„Wusste nicht, dass wir dazu verabredet waren“, sagte er. Terushimas Mundwinkel schnellten hoch.

„Verabredet? Würdest du dich denn mit mir verabreden?“, war seine vorerst letzte Frage, denn danach ließ Kenma Schweigen walten. Es interessierte ihn nicht, auf diese Art von Gespräch einzugehen.
 

„Oooooh, ich verstehe, immer noch die Hots für Dr. McArrogant, hmm?“, fragte Terushima beim Betreten des Lifts, den Kenma mit erhobenem Mittelfinger direkt wieder verließ und den Punk mit den anderen Fahrgästen rauffahren ließ. Ein Glück, dass der nächste Lift bereits daneben ankam und Kenma diesen nehmen konnte. Kaum setzte er einen Fuß hinein, fiel ihm aber auf, dass erwähnter Oberarzt bereits im Fahrstuhl stand, vertieft in die Zettel auf seinem Klemmbrett. Selbst mit Atemschutzmaske, die dieser auch außerhalt des Operationssaales trug, konnte Kenma erahnen, dass er die Worte, die er las tonlos mit den Lippen formte, eine Eigenart, die Kenma wohl mit ihm teilte.
 

„Morgen“, sagte er knapp, Sakusa gab einen „Hmm“-Laut von sich, die Tür schloss ab und im entsprechenden Stock ging sie wieder auf ohne, dass die beiden auch nur ein weiteres Wort gewechselt haben. Eine richtig angenehme Liftfahrt, wie Kenma empfand, wäre da nicht Terushima mit seinem dummschneidigen Gesichtsausdruck. Sakusa ging einfach ihm vorbei, Kenma hingegen musste in dieselbe Richtung wie der andere Assistenzarzt, der allen Anschein nach auch noch auf ihn gewartet hat.
 

„Traust du dich alleine nicht reingehen?“, fragte er genervt und Terushima schüttelte unter Glucksen den Kopf. „Wäre ich allein gegangen, hätte ich deinen Senior Moment mit Dr. McArrogant verpasst“, triezte Terushima. „Weder heißt er Dr. McArrogant, noch gab es irgendeinen Moment“, stellte Kenma klar. Sie beschritten beide die Garderobe, Terushima versuchte Kenma klar zu machen, dass ihm das nicht unangenehm sein musste, doch dieser wiederum erklärte ihm, dass das einzige Unangenehme gerade er und sein schwachsinniges Gerede war, womit er das Gespräch für sich wieder beendete und sich umzog.
 

Die Visite der unter Komori betrauten Patienten endete für die Gruppe an diesem Tag bei Bokuto und dabei, dass Akaashi die Laborwerte präsentierte.
 

„Und was bedeutet das?“, fragten Bokuto und Komori gleichzeitig. Akaashi wunderte sich etwas, aber Komori schmunzelte und wies ihm, die Frage zu beantworten.

„Das bedeutet, dass wir Bokuto-san heute wie erhofft operieren können“, sagte er und wandte sich nun ganz dem Patienten zu. „Dr. Suna wird die OP machen, Sie sind in guten Händen, soweit ich informiert bin, gibt es für diesen Job keinen Besseren“, erklärte er und Bokuto nickte.

„Aber sag mir noch eines, Dr. Akaashi, wie oft muss ich noch bitten, mich zu duzen?“, fragte Bokuto. Akaashi verharrte einen Augenblick, neigte den Kopf minimal zur Seite und sagte: „Noch mindestens einmal und ich würde es begrüßen, professionell zu bleiben.“

Ihm war, wie auch vielen anderen hier, wichtig, das Arzt-Patienten-Verhältnis zu respektieren. Er wollte keine Nähe aufbauen, auch keine künstliche durch eine andere Ansprache.
 

„Dann bitte ich dich jetzt oder ich lass mich nicht operieren!“, kam es patzig statt verständnisvoll zuzustimmen von Bokuto. Komori seufzte hinter Akaashi, aber dieser war mit der Situation sichtlich überfordert, dass er zu dem Stationsarzt sah. Er setzte auch schon zu einer Frage an, da wurde Bokuto nur quengeliger.

„Frag doch nicht ihn!“, verlangte er. „Warum ist das überhaupt wichtig?“, fragte Akaashi und Bokuto verschränkte die Arme vor der Brust. „Das sag ich nicht“
 

„Das ist kindisch, Dr. Komori, wir haben doch Besseres zu tun oder?“, fragte Tsukishima angestrengt, der nach einem Notfall von Dr. Iwaizumi heute in dieser Gruppe war, doch Komori schien im Genuss zu stehen. „Oh, zum Glück nicht, Tsukishima. Aber du kannst gerne gehen und Bettpfannen putzen, die Schwestern sind dir sicher für deine Unterstützung dankbar“, schlug er und verfolgte weiter die Situation.
 

Aber Akaashi war ein schneller Lerner. Er hat Bokutos Körpersprache in den letzten Tagen beobachtet und wusste, dass er gut auf Stimme und Satzmelodie reagierte, also setzte er ein zartes Lächeln auf um dem nächsten Satz mehr Wärme zu geben.

„Ich mache einen Vorschlag, nach der Operation, lasse ich mich noch einmal fragen und das wird das letzte Mal sein, einverstanden? Dann kann auch Ihr Herz besser damit umgehen“, klang auch seine Stimme einem Engel gleich, wie sein Gesicht eines waltete. Bokuto schien für einen Augenblick zu überlegen. Der trotzige Blick wich einer Schnute. Bokutos Augen wechselten zwischen Akaashi und dem Bettende, bis sich sein Gesichtsausdruck schließlich erhellte und er schnell nickte. „Einverstanden, Dr. Akaashi-sama“, kam die Anrede erstmals in förmlicher Manier von diesem Patienten. Akaashi bedankte sich mit einem Nicken und die Gruppe bewegte sich weiter.
 

Terushima war dieser professionelle Aspekt nicht so wichtig und so tauschte er einen Faustschlag mit Bokuto aus, worüber Kenma die Augen verdrehte und seufzte, weil er sich zu gut an Kuroos Worte erinnerte. „Du weißt schon, dass er heute draufgehen kann oder?“, fragte er Terushima, als sie weit genug entfernt waren.

„Kannst du ein bisschen positiver sein?“, verlangte Terushima, aber Akaashi mischte sich ein. „Er ist realistisch, es gibt keine Garantie dafür, dass man nach einer OP wieder aufwacht, selbst wenn Dr. Suna alles richtig macht, wovon ich ausgehe.“
 

„Apropos, alles richtig machen. Akaashi, du assistierst Dr. Suna heute bei Bokutos OP“, sagte Komori im Vorbeigehen, die Visite war abgeschlossen und die vier waren ihrem langsam eintretenden Alltag überlassen. Was bedeutete: Patientenvorbereitung, CTs, MRTs, Patientenüberwachung, Aktenupdates, Blutabnahmen, Labor, Unterstützung in der Notaufnahme, volles Programm einfach.
 

Akaashi aber ließ sich noch nicht ganz in die Routine überleiten.

„Dr. Komori? Ist das Ihr Ernst?“, fragte er, dass sich der Stationsarzt noch einmal kurz auf den Fersen umdrehte. „Es ist Dr. Sunas Ernst“, nickte er die Frage weg und scheuchte sie alle weiter. Kenma verzog sich mit Yamaguchi, der sich abseits seines heute präsentierten Patienten besonders ruhig verhielt. Er sprach ihn aber nicht darauf an, er wollte nur die Gesellschaft einer angenehmen Person vorziehen, nachdem der Start schon so idiotengeprägt war.
 

***
 

„Wenn wir die Testergebnisse nach dem Mittagessen bekommen und eintragen, können wir Akaashi zusehen“, sagte Yamaguchi später zu Kenma. Sie haben gerade noch Blutproben im Labor abgegeben und waren nun auf den Weg, die Patienten zu überprüfen. Einer, sein Name war Lev Haiba, lag nach seiner Mandel-Operation im Aufwachraum um blinzelte ganz schlaftrunken vor sich hin.

Kenma legte ihm die Finger ans Handgelenk, erspürte den Puls und deutete Yamaguchi, dem Patienten Wasser zu bringen, da stürmte jemand anderes in den Raum dazu scheuchte sie beide vom Bett weg um selbst heranzutreten.

Der kleinere Arzt, Morisuke Yaku wie Kenma der ID entnahm, zog sein Stethoskop vom Hals, legte es sich an und horchte Lev unter schnippen ab. „Hier“, sagte er und deutete mit beiden Finger auf sich um Blickkontakt mit Lev zu provozieren. Dem breiten wohligen Lächeln war zumindest abzulesen, dass die Narkose noch nachwirkte.
 

„Sehr gut“, sagte Yaku nachdem er auch den Hals abgehorcht und Lev mit einem Holzstäbchen tief in den Rachen geschaut hat. Das Hölzchen verschwand in einem Mülleimer und Yaku wollte schon kehrt machen, da griff Lev nach seinem Ärmel und hinderte ihn daran. „Danke, kleiner Arzt“, sagte er, dass Yaku augenblicklich in seiner Drehung innehielt und sich sofort wieder zurückdrehte.
 

„Sag mal, willst du mich verarschen? Ich schnippschnabbel dir deine kack Mandeln raus und du beleidigst mich? Ich hol die gleich wieder setz sie dir ein und du kannst schauen, wie du mit deiner Dauerentzündung davon kommst“, keifte Yaku energisch und stapfte fest mit dem Fuß auf den Boden. Kenma machte zwei gezielte Schritte zurück und zog auch Yamaguchi mit sich, dass sie dieser Situation ganz schnell entkommen konnten.
 

„Er ist absolut angsteinflößend“, stieß Yamaguchi aus. Kenma ließ von ihm ab und leitete den Weg zur Röntgenabteilung ein, weil sie da einen Patienten nach seinem CT holen und zurück aufs Zimmer bringen mussten.
 

„Kuro hat mir schon erzählt, dass man ihn nicht auf seine Körpergröße ansprechen darf“, murmelte er und erinnerte sich daran, wie viel sich sein bester Freund nach seinem ersten Tag über Yaku geärgert hat. Die beiden hatten aber auch einen besonders schlechten Start gehabt, denn sie waren in absolut allem anderer Meinung, nur bei ihrer Leidenschaft für den Job waren sie sich einig, was sie über das erste Jahr doch enger aneinander geschweißt hat, als Kenma es je erwartet hätte. Dass es ihm mit Terushima ähnlich gehen könnte, schloss er aber aus. Kenma verstand sich besser mit Akaashi, aber auch mit Yamaguchi kam er gut zurecht. Der Brünette hatte ein gutes Gespür für Menschen und wusste zu Kenmas Erleichterung, wann er die Klappe zu halten hatte.
 

Yamaguchi war auch beim Mittagessen sehr ruhig, wo sich Tsukishima über seinen Gruppenkollegen beschwerte. „Er spielt sich auf, als wäre er der König des Krankenhauses… war wohl auf der Uni schon in einer Teamarbeit mit Dr. Oikawa aus der Plastischen…“ – „Und der spielt sich noch viel königlicher auf“, klang Shirabu in die Beschwerden ein und knallte sein Tablett mit Rumms auf den Tisch, dass es Yachi hochriss. Einer Frage, bei wem Shirabu heute eingeteilt war, bedurfte es gar nicht.
 

„Und Akaashi, bist du eigentlich schon nervös? Du darfst heute am offenen Herzen operieren“, wollte Yachi wissen, sie war einerseits begeistert über die Chance, die ihr Kollege hatte, andererseits war sie auch sehr eingeschüchtert und scheute dem Druck, der damit kam. Kenma hielt seinen Blick bedacht gesenkt, aß und ließ, wie sonst auch, die Anderen reden.
 

„Ein wenig vielleicht, aber ich bin vorbereitet und Dr. Suna ist dabei und ich assistiere ja nur“, nahm der Schwarzhaarige direkt etwas Gewicht aus den Erwartungen an ihn.

„Also ich würde vermutlich ohnmächtig umfallen“, gestand Yamaguchi und wirkte so, als kriege er schon aus Mitgefühl kaum einen Bissen hinunter. Akaashi lächelte im Ansatz. „Du wirkst nervöser als ich, Yamaguchi-kun“, bemerkte er, aber die kleine Gruppe konnte nicht weiter auf das Gespräch eingehen, da kündigte sich der nächste Störfaktor an.
 

„Hey, Dr. KenKen!“, rief Kuroo von der Essensschlange über die Tische hinweg, schlug Yaku ab, wechselte ein paar Worte und eilte durch die Kantine direkt zu dem Tisch der Neulinge. Er legte Kenma eine Hand auf die Schulter, wollte erst wissen, ob er auch genug aß und vor allem während dem Tag trank. Kenma bejahte.
 

„Und du Akaashi! Heute ist dein großer Tag! Dass du mir Bokuto nicht umbringst, ja“, sagte er und klopfte auch dem Angesprochenen auf die Schulter, der nun nicht mehr ganz so ruhig aussah. Stattdessen schluckte er stark und sah blasser aus als sonst.

„Du kannst echt ein Arsch sein, Kuro“, sagte Kenma und drückte den Älteren weg. „Sorry, Akaashi, ich glaub an dich, ehrlich“, sagte Kuroo bevor er sich erfolgreich verscheuchen ließ.
 

„Das ist so eine unangenehme Person“, seufzte Tsukishima über den kurzweiligen Gast und erhob sich mit seinem leeren Tablett um es wegzubringen. „Komm, Yamaguchi“, forderte er diesen auf, mit ihm zu gehen, was er auch gleich tat. Das Sandwich, das er heute ausgewählt hat, wickelte er in die Serviette und würde es wohl erst verzehren, wenn Akaashis Einsatz erledigt war. Er war schlichtweg zu nervös für seinen Kollegen.
 

„Wo ist der Vollidiot eigentlich?“, fragte Shirabu. Yachi sah ihn fragend an, aber Kenma und Akaashi wussten natürlich, wer gemeint war.

„Terushima ist vorhin mit Futakuchi weitergegangen“, gab Kenma bekannt, was er wusste. Dann stand auch er auf und wollte sein Tablett wegbringen, blieb aber noch am Tisch stehen um auf eine Frage zu antworten.
 

„Dem Zweitjahr?“, wollte Yachi nämlich wissen und Kenma bejahte mit einem Nicken. Mehr hatte er dann nicht mehr beizutragen und ging. Nicht viel später taten es ihm die anderen gleich und jeder erledigte die Aufgaben, denen er oder sie zugeteilt war.
 

Tsukishima kümmerte sich Yamaguchi um die Laborergebnisse, dafür unterstützte Kenma Stationsärztin Saeko beim Einkugeln einer Schulter. Er war gerade zufällig vorbeigegangen und die blonde Ärztin hat ihn einfach am Kittel gepackt und unter ihre Fittiche genommen, dass er sich gar nicht großartig wehren konnte. Danach aber fand er sich am späteren Nachmittag mit den anderen in der Galerie zu Dr. Sunas Operationssaal ein. Kuroo hat ihm in der ersten Reihe einen Platz freigehalten, wo er sich umgehend hinsetzte. Neben ihm saß Kageyama und trank aus einer Milchtüte. Yamaguchi und Tusikishima setzten sich später in die letzte Reihe und traute sich kaum bei der Tür hereinzukommen. Shirabu lehnte an der Wand und starrte neugierig hinunter. Sie alle starrten neugierig. Immerhin stand dort nun einer von ihnen.
 

Akaashi fand sich vorbereitet mit Mundschutz, Handschuhen und Schutzunhang neben Suna ein.

„Dr. DamnHot“, flötete Terushima beim Eintreten und nahm am Rand in der zweiten Reihe Platz. „Und Dr. Vollidiot ist auch endlich hier, wie schön“, verdrehte Shirabu seine Augen. Hinter Terushima kam auch Futakuchi herein, deren große Augen sogleich nach unten in den Saal geheftet waren. Auch einige Assistenzärzte, die in Kuroos Jahrgang waren saßen hier und wollten den Neuling beobachten.
 

Die OP-Schwestern schoben die Tabletts mit den Werkzeugen und Utensilien bereit und dann wurde Bokuto auch schon unter einem ungewohnten Geräuschpegel in den Operationssaal geschoben. „Dr. Konoha?“, fragte Suna und der Anästhesist nickte. In der einen Hand hatte er bereits die Maske für die Narkose, die andere lag auf der Tastatur der Maschine, die die Dosierung kontrollierte. Sein Blick kreuzte den von Akaashi und dieser konnte sogar unter der Schutzmaske erkennen, dass Konoha lächelte. Es war ein schönes Gefühl, als würde er ihm Mut zusprechen, denn jetzt, wo er hier stand und Bokuto jeden Moment vom Krankenbett auf den OP-Tisch gelegt werden würde, versuchte ihn die Nervosität zu übermannen. Schmunzeln musste er selbst aber schließlich als er die Herkunft des wirren Geredes ausmachen konnte.
 

„Und ich werde Bergsteigen und Fallschirmspringen und um die Welt fliegen und ich werde alle kleinen Hundebabys streicheln, die mit zwischen die Finger kommen und Katzenbabys und Hasenbabys und Mäusebabys, oh und auch Ameisenbabys, auch die sind süß, alle Babys sind süß außer die von Spinnen, ich hab schreckliche Angst vor Spinnen, aber wenn ich sie nicht sehen muss, dann sind sie vielleicht auch süß, jemand anderes muss sie streicheln. Streichelst du die Spinnen für mich, Izuru?“, plapperte Bokuto munter vor sich her und konnte wohl nicht schnell genug abgegeben werden.
 

„Das geht so, weit wir ihn aus seinem Zimmer geholt haben, dachte nicht, dass die paar Meter vom Lift jemals so lang erscheinen können“, schnaufte Izuru, der blonde Pfleger mit der Dauerwelle und sah ergeben zu seiner brünetten Schwesterkollegin. „Hab schon viele nervöse Patienten gehabt, aber er toppt alles“; erwiderte sie und übergab Bokuto den Ärzten.
 

„Suzumeda, hat er sein Beruhigungsmittel nicht bekommen?“, fragte Konoha die Schwester. Ihm wurde vor der Narkose etwas verschrieben um die Dosierung nicht zu hoch zu fahren, eben wegen seines Herzens.

„Hat er, er ist auch schon viel ruhiger“, sagte Kaori und fuhr mit Izuru das Krankenbett wieder hinaus. Konoha drehte den Kopf zu Suna und dieser zuckte mit den Schultern. „Sie wissen, was Sie tun“, sagte der Oberarzt zu ihm und Konoha legte Bokuto mit der Bitte still zu halten die Atemmaske auf.

„Zähl von 10 runter Bokuto“, sagte er mit seiner ruhigen freundlichen Stimme. Aber Bokuto wollte weiter von kleinen Tieren reden. „Ich würde so gerne mal ein Eulenbaby streicheln“, sagte er und erblickte schließlich Akaashi über den Schlauch der Maske. Einmal tief eingeatmet, wurde sein Ausdruck weicher und man konnte ihm ansehen, dass seine Lider schwerer wurden.
 

„Agghashi~ ich vertrau dir“, sagte Bokuto und driftete in den Narkoseschlaf über. Akaashi seufzte und beobachtete mit Argusaugen wie Bokuto an die Maschinen angeschlossen und ließ sich erst durch die Frage des Oberarztes losreißen.
 

„Was machen wir als erstes, Dr. Akaashi“, fragte Suna. Akaashi erinnerte sich an die Worte Komoris und holte einmal tief Luft. Langsam atmete er wieder aus und wandte sich an den Anästhesisten, dem er vielleicht einen Augenblick zu lange seine volle Aufmerksamkeit schenkte, denn Suna räusperte sich und wollte, dass Akaashi antwortete. Und das tat er auch. Fokusiert gab er Anweisungen und führte den Oberarzt durch die Operation. Auch koordinierte er bereits den Umgang mit den Maschinen und hatte den Operationssaal voll im Griff.

Während jedem Wort, sah er Suna aber genau zu. Er wusste, dass er gerade nicht der Herrscher des Raumes war, das war immer noch Suna, der jedem Wort lauschte und entsprechend bestätigte. Akaashi beobachtete mit einer Faszination wie geschickt die des Oberarztes handelten. Millimeterarbeit wurde mit einer Präzession durchgeführt, die Akaashi nur bewundern konnte, genauso wie die anderen Ärztinnen und Ärzte, die von der Galerie aus zusahen.
 

„Akaashi ist mein Held“, sagte Terushima. Shirabu schnaufte und verdrehte die Augen. „Du bist echt leicht zu begeistert“, sagte der Assistenzarzt mit den Topfschnitt. Terushima drehte den Kopf zu ihm. „Willst du mich etwa mit etwas mehr Effort erobern? Nur zu“, sagte Terushima mit einem Zwinkern. „Danke, ich passe“, knurrte Shirabu und deutete wieder nach unten. Immerhin sollten sie alle lernen.
 

Sie alle sollten genau sehen, was es bedeutete im Operatiossaal zu stehen und das Leben eines Menschen in der Hand zu haben. Sie sollten Notizen machen und im Anschluss an die Operation gemeinsam mit ihren Stationsärzten darüber reden, deswegen durften sie hier sein.
 

Kenma schrieb in Steno alles mit, was er aus dem Saal mitnehmen konnte, dass ihn Kuroo sogar etwas aufzog, aber das ließ er nicht an sich rankommen. Er war konzentriert, es gab keine Ablenkung.

Ablenkung gab es auch für Akaashi keine, der ebenso In the Zone war und hervorragend dirigierte.
 

„Und jetzt nehmen wir ihn vom By-Pass und warten auf den Herzschlag“, sagte er und mit Sunas Nicken wurden die Maschine abgedreht.
 

„Und dann schließen Sie, Dr. Akaashi, vorausgesetzt?“, eröffnete Suna, dass Akaashi erstmals an einem lebenden Menschen hantieren durfte und fragte ihn nach der letzten Bedingung.
 

„Vorausgesetzt, wir haben einen Herzschlag, aber selbst wenn nicht, werde ich ihn schließen“, antwortete Akaashi ruhig. Eine Schweißperle auf seiner Stirn verriet aber, dass er alles andere als ruhig war. Ruhig wurde es dafür auf der Galerie. Denn der Herzschlag blieb aus.

„Was tun Sie jetzt?“, fragte Suna. Seine Augen huschten alarmiert über den offenen Torso und zum Notfallwagen.

„Herzmassage“, sagte Akaashi schnell und zückte bereits die Hände hoch. „Zuerst?“, hielt ihn Suna auf. Der Assistenzarzt wurde nervöser. Er wollte das Vertrauen, das ihm Bokuto entgegenbrachte nicht verletzen, aber gerade übermannte es ihn. Die Finger über Bokuto Oberkörper begannen zu zittern.

„Schnell Dr. Akaashi, die Zeit läuft“, drückte Suna nach, sein Blick lag nun ernst und streng in Akaashis Augen. Dieser schluckte, nickte schnell, schloss die Augen und holte fokussierte sich wieder.
 

„Ich kontrolliere, ob die Nähte sitzen“, sagte er schnell, Suna nickte wieder. Akaashi vergewisserte sich der perfekten Arbeit des Oberarztes und ging schließlich zur Herzmassage über., dann gab er unter Sunas Zustimmung Anweisung zum Elektroschock.
 

Stille. Herzmassage. Elektroschock. Wiederholung. Drei Mal. Dann hielt er bei der Herzmassage fest.
 

„Komm schon, Bokuto, du kannst das“, sagte Akaashi. „Warum schocken wir nicht nochmal?“, fragte er mit dünner Stimme, man zuckte bereits, aber Suna hob die Hand und schüttelte enttäuscht den Kopf. „Lassen Sie ab“, sagte er und Akaashi stoppte mit bleichen Gesicht und bebenden Händen. Die Handschuhe und ein guter Teil der Ärmel seines Schutzumhanges waren befleckt mit Bokutos Blut, dass er trotz allem das Gefühl hatte, es nie wieder von der Haut waschen zu können. Sein Hals schnürte sich zu, er schluckte.
 

„Bitte! Bitte! Bitte!“, flehte er und sah vom stillen Herzen zum Gesicht. Konoha drehte seine Apparatur ab und sprach sein Bedauern aus, aber Akaashi wollte nicht aufgeben.
 

„Kotaro! Bitte!“, rief Akaashi und vernahm ein Geräusch, das ihm beinahe das Bewusstsein nahm.
 

„Wir haben einen Herzschlag“

Smile

Lächeln ist eine dem Lachen ähnliche Gesichtsregung, die Freude, Glückseligkeit, Liebe und Ähnliches ausdrücken kann. Ein Lächeln kann aber auch ein freches Grinsen sein und das Gegenüber aus der Reserve locken oder mit dem richtigen Ausdruck in den Augen für Spott und Argwohn sorgen. Es kann aber auch Ängstlichkeit kommunizieren oder Überraschung weitertragen.

Ein paar mehr oder weniger medizinische Dinge über das Lächeln und seinen großen Bruder das Lachen wissen wir aber auch: Ein Lächeln mag glücklich machen, Lachen dafür gesund, denn Lachen steigert das Immunsystem. Humor ist wie gute Medizin.

Zu Lächeln beansprucht weniger Muskeln im Gesicht, als böse dreinzuschauen. Lachen ist ansteckend, aber während ein Kind bis zu 400 Mal am Tag lacht, schafft es ein Erwachsener nicht einmal mehr auf 20 Mal.

Lachen ist ehrlich und gewährt uns einen Blick in die Seele eines Menschen.

Wir verlieben uns leichter in ein Lächeln als in einen starren Blick. Ein Lächeln muss das ganze Gesicht einnehmen, dann ist es ehrlich und echt. Es kann unser Herz dazu bringen, schneller zu schlagen. Und es ist das, was wir uns von einem geliebten Menschen am meisten wünschen, weil wir Glück damit verbinden. Lachen ist die Sprache der Freundschaft und der Liebe.
 

***
 

Der Schutzkittel, den Akaashi bei der ersten Operation, der er beiwohnen durfte, getragen hat wurde vor der Entsorgung bewahrt und nach einer entsprechenden Desinfektion zusammengelegt und im Spind des Assistenzarztes verstaut.
 

„Ich bin nicht abergläubisch, aber ich kann mich auch nicht davon trennen“, antwortete er mit ruhiger Stimme auf Kenmas Blick. Kenma saß auf der Bank im Umkleideraum und zog auf seinem Smartphone Linien und Formen zusammen. Für Terushima hat es wie ein IQ-Test gewirkt, dass er sich schnell mit einer unbedeutenden Ausrede verabschiedet hat. Es war nicht so, als wäre Kenma traurig darum.

Der Tag hat sich bereits dem Ende geneigt und der bis eben noch gut gefüllte Raum wurde immer leerer, bis Akaashi und Kenma alleine waren.
 

„Ich glaube, es ist nicht verwerflich“, sagte Kenma und stand auf um mit Akaashi nach draußen zu gehen. Sie hatten beide noch ihre Kittel und die arzttypischen Kasacks an und starteten ihre erste Nachtschickt.
 

Nach dem Ende des üblichen Tagdienstes sah das Krankenhaus umgehend anders aus. Wie in einem Film, der Potenzial zu einem Horrorstreifen oder einer fantasiereichen Post-Apokalypse hatte. Kenma schmunzelte bei dem Gedanken im Ansatz und sah wieder auf seine Linien und Formen am Handydisplay. „Hast du nicht Sorge, dass du etwas verpasst oder übersiehst?“, fragte Akaashi, weil Kenma nicht nur mit dem Blick an den Bildschirm gefesselt wirkte, sondern auch, weil ihm das kinnlange Haar das periphere Blickfeld verdeckte. „Mh Mh“, machte Kenma und schüttelte knapp den Kopf.

„Mein Pager ist geladen, ich verpasse also nichts Wichtiges und ich sehe auch so genug. Ich mag es nicht, wenn ich alles um mich herum sehen kann“, erklärte er, dass sich Akaashi durch sein kurzes strubbeliges Haar ging. Er war eigentlich sehr dankbar dafür, dass er seiner Meinung nach einen ganz passablen Anblick damit lieferte. Immerhin sah er gerne alles, was um ihn herum passierte. Nicht auszudenken, er würde eine Stufe übersehen oder einen Frisbee der rasant angeflogen kam.
 

Moment! Frisbee?
 

Akaashi duckte sich schnell unter dem quietsch-orangenen Geschoss davon, Kenma war stehen geblieben und neigte elegant den Kopf zur Seite. Keiner von beiden wurde getroffen, aber Kenma senkte mit einem lauten Seufzen sein Smartphone.
 

„Hast du nicht Dienstschluss?“, fragte er, als Kuroo angelaufen kam. Den Frisbee hat jemand anderes gefangen, dem Kenma gerade keine Beachtung schenkte. Akaashi fühlte sich mit der Gesamtsituation gerade etwas überfordert.
 

„Jep, hab ich, aber was wäre ich für ein Room-Mate, wenn ich dir zu deiner ersten Nachtdienst nicht viel Glück wünschen würde?“, fragte er mit einem Grinsen, das dem eines stolzen Bruders glich. Kuroo klopfte Kenma auf die Schulter und drückte mit der anderen Hand das Handy weiter hinunter. Kenma ließ ihn gewähren. Wie immer. Kuroo war aber auch der Einzige, der so mit ihm umgehen durfte.
 

„Wozu brauch‘ ich Glück? Es wird nichts passieren und wenn, dann wird es nicht schlimmer wie am Tag, nur dass ich in der Nacht fokussierter bin, somit ist es besser“, erklärte Kenma und mühte sich, seine Hände wieder höher zu ziehen, doch Kuroo drückte weiter und hinderte ihn daran. „Gibt’s noch was?“, fragte Kenma und sah zu ihm hoch. Sein Gesichtsausdruck wurde sanfter, wie er immer war, wenn er Kuroo ansah. Und der Ausdruck schwand auch genauso schnell wie er es sonst tat, wenn Kuroo weiterredete und eines ihrer kleinen Wortgefechte losging.
 

„Glaub mir, in der Nacht ist es hier immer anders, die gruseligsten Gestalten treiben sich hier rum“ – „andere würden mich als gruselig bezeichnen“ – „es ist dunkel“ – „es gibt Licht“ – „es sind weniger Leute hier, die dir helfen können“ – „Es sind weniger Leute hier, die mich nerven können, also geh endlich“
 

Kuroo ergab sich seufzend und wandte sich an Akaashi. „Bitte schau, dass er genug trinkt, n Snack wäre nicht schlecht, er mag gerne Apfelkuchen, in der Cafeteria gibt es meistens immer einen, aber im Automaten im dritten Stock hinter dem Schwesternzimmer gibt es Apfel-Müsliriegel oh und… tolle Sache mit Bokuto, danke, dass du sein Leben gerettet hast, er ist n klasse Kerl, wäre wirklich schade gewesen“, sagte er und klopfte nun Akaashi auf den Rücken. Kenma schnaubte genervt, war aber dankbar, dass Kuroo so von seinem Handy abgelassen hat und er nun wieder abdriften konnte. „Ignorier ihn einfach“, sagte er zu Akaashi, doch der nickte die Situation nur weg.
 

„Okay und jetzt raus, alle die hier nichts mehr zu suchen haben, die Patienten müssen schlafen und wir wachsam sein“, sagte Akaashi und stamperte Kuroo damit in die Richtung des großen Haupteinganges, wo er auch schon erwartet wurde.
 

„Bis später, Dr. KenKen“, rief er Kenma zu. Dieser seufzte und machte kehrt, nur um wahr zu machen, was er Akaashi eigentlich bestätigt hatte, dass nicht passieren würde. Er übersah etwas. Jemanden!
 

„Sorry“, sagte er knapp und hätte es fast nicht getan, hob aber der Höflichkeit wegen doch den Kopf und sah in das Antlitz des Neurospezialisten, Kiyoomi Sakusa, dem diese Interaktion nicht unangenehmer hätte sein können. Sakusa hob beide Hände und ging einen großen Schritt zurück. Sie waren einander um Haaresbreite, Kenmas Haaresbreite, einem Zusammenprall entronnen, dass der Oberarzt erst wieder atmete, als genügend Abstand zwischen ihm und dem Assistenzarzt war. Er trug zwar bereits Freizeitkleidung, aber die sah nicht besonders nach Freizeit aus, stattdessen ähnelte er mit der schwarzen Stoffhose und dem schwarzen Hemd mehr einem Banker, der am Casual Friday seine Krawatte weglassen durfte. Er hatte aber auch wie sonst seine Atemschutzmaske auf und den ernsten Blick, als wäre er, wie immer, fokussiert. Bemerkenswert.
 

„Gute Nacht, Dr. Sakusa-sama“, unterbrach Akaashi höflich den angespannten Moment, in dem wohl überlegt wurde, wie man Kenma am einfachsten aus dem Weg räumen konnte – wortwörtlich natürlich nur, einfach nur… bei Seite schieben ohne zu nah ran oder ihn gar berühren zu müssen.

„Gute Nacht“, sagte auch Kenma und wich den Schritt zur Seite, der Sakusa passieren ließ.

„Angenehme Nacht“, wünschte dieser mit einem letzten Blick zurück direkt in Kenmas katzenartige Augen und verließ rasch, nachdem er sich beim Desinfektionsspender noch etwas von dem Mittel nahm, das Krankenhaus. Kenma sah etwas eingeschüchtert zu Akaashi. „Er ist unheimlich“, sagte Akaashi gleich als wollte er ihn bestätigen. „Faszinierend“, ergänzte Kenma, dass er den Blick anders gemeint hat und ging mit Akaashi die ersten Punkte ihrer To-Do-Liste an.
 

Zuerst überprüften sie zwei Patienten, die am nächsten Morgen als erste in die Operationssäle gebracht werden sollten. Sie durften nun nichts mehr trinken, gerade einmal um den Mund zu befeuchten, aber nicht mehr.

Kenma ließ sich um die Ohren schmeißen, dass man Hunger hatte, er versicherte dem Patienten, dass er, sobald er schlief, nichts mehr davon merken würde. Akaashi versuchte dafür die aufgebrachte junge Dame zu beruhigen, die ihn davon überzeugen wollte, dass sie gar keine Schmerzen mehr im Unterleib hatte und ihren Blinddarm behalten konnte, sie würde auch gleich gehen können. „Dann mache ich keine Umstände“.
 

„Michimiya-san, bitte bleiben Sie hier, Dr. Sawamura ist ein wirklich fähiger Arzt, Sie sind in guten Händen, glauben Sie mir und es ist unser Job, also machen Sie keine Umstände, sie sichern unsere Daseinsberechtigung“, versuchte Akaashi sie zu besänftigen und navigierte die Patientin mit sanften tappsenden Berührungen an den Armen zurück ins Zimmer und wieder ins Bett, in dem sie sich unter Schmerzen krümmte.

„Sehen Sie? So gut geht es Ihnen nicht“, hob er gleich hervor.
 

„Dr. Sawamura, das ist der gutaussehende Arzt, der heute Morgen hier war oder?“, fragte Michimiya und legte sich auf Anweisung ein Stück weiter zurück. In Gedanken an den Oberarzt schien sie sich zu beruhigen. „Er war heute Morgen hier, ja“, antwortete Akaashi. Er würde nicht darüber urteilen, ob jemand gut aussah oder nicht, schon gar nicht, wenn es ein Vorgesetzter war. Das war unangebracht.

„Er hat so sanfte Augen, ihm würde ich mein Leben anvertrauen“, sagte Michimiya und Akaashi nickte darauf. „Dann tun Sie das, machen Sie die Augen zu und morgen früh wird er Ihre Lebensqualität verbessern indem er Sie von Ihren Schmerzen befreit“, sprach er ihr gut zu. Er erkundigte sich noch, ob sie bequem lag und wünschte ihr eine gute Nacht. Dann ging er mit Kenma weiter. Die meisten Patienten, denen sie einen Kontrollbesuch abstatteten schliefen oder sahen noch auf einem Multimediagerät fern.

Einem Patienten rettete Kenma das Handy vor dem sicheren Absturz als dieser einschlief, die Hand beiseite rutschte und das Smartphone gen Boden eilte.

„Gute Reflexe, wie eine Katze“, merkte Akaashi beeindruck an und verließ mit Kenma das Zimmer. Nun stand nur noch einer auf der Liste.
 

Die beiden Jungärzte betraten den Post-OP-Aufwachraum. Das Licht war gedimmt, die Maschinengeräusche zur Überwachung produzierten weißes Rauschen und die zwei Patienten, die hier lagen schliefen in aller Ruhe. Auf der einen Seite lag jemand, der Dr. Iwaizumi zugeteilt war und nach Übertragung der Werte in das Chart außer Acht gelassen werden konnte.
 

„Er sieht so friedlich aus“, sagte Akaashi und stellte sich direkt neben das zweite Bett. Bokutos Bett. Seine Hand zuckte einen Moment hoch, aber dann legte er die Finger rasch an den Matratzenrand und tippte dort etwas unruhig herum.

„Tat er während der OP auch schon“, murmelte Kenma und betrachtete Bokuto, der in seinen Augen nicht anders aussah, wie eben dann.

Akaashi schnaubte amüsiert. „Du hast wohl recht, aber da hat er mich aufgeregt“, sagte er wieder in aller Ruhe und Trockenheit. Er lehnte sich über Bokuto und zog den Krankenkittel weg, Kenma griff in der Zwischenzeit nach der Wunddesinfektion und den Wattestäbchen. Eines tränkte er in der Flüssigkeit und reichte es Akaashi, der umgehend begann, die lange Naht abzutupfen, die sich längs über Bokutos Brust erstreckte. Das andere tauchte Kenma auch darin ein und tat es nun Akaashi gleich.

„Es ist unglaublich… vor ein paar Stunden waren meine Finger da drinnen und ich hab sein Herz gesehen und… berührt“, murmelte Akaashi vor sich hin. Er klemmte das Stäbchen zwischen Index- und Ringfinger ein und strich mit den Finger ein gutes Stück neben der Naht.

„Ich glaub, du hast sein Herz schon vorher berührt, anders halt“, sagte Kenma und überraschte Akaashi damit. Der blonde Assistenzarzt war so abgebrüht und sagte Dinge, die eigentlich ziemlich romantisch waren, als wären sie die Beschreibung der Beilage zum Abendessen. Sie sprachen aber nicht mehr weiter darüber. Akaashi war die Richtung des Gespräches unangenehm und Kenma genoss die Stille. Sie mussten nicht reden.
 

Bokutos Wunde wurde versorgt, der Kittel wieder über den muskulösen Oberkörper gelegt und der Raum verlassen. „Träum schön, Kotaro“, flüsterte Akaashi, dass Kenma es kaum hören konnte.
 

„Achtung! Achtung! Fox on the run!“, rief jemand direkt zu ihrer Linken, dass beide sofort stehen blieben, den Kopf umwandten und den Anästhesisten erkannten, der auch zu Bokutos Operation anwesend war. „Ne Spaß, ist nur Sauerstoff, wäre doch zu komisch, wenn hier n Fuchs rumlaufen würde“, lachte der Arzt mit dem Rollwagen auf dem die Gasflasche thronte.

„Oh, Konoha-san“, sagte Akaashi und wich einen Schritt zurück um ihn vorbei zu lassen, doch dieser blieb direkt vor ihm stehen. Für einen Moment sahen sich die beiden an. Konoha fragte sich, ob Akaashi seinen Witz lustig fand, Akaashi überlegte, ob er jetzt noch darauf reagieren sollte, denn er mochte Sweet und den Song sehr. Konoha nahm ihm aber die Entscheidung ab.
 

„Wie geht’s unserem Herzchen?“, fragte er und sah zu Bokuto ins Zimmer. „Unserem?“, frage Akaashi, dass ihn Kenma seitlich einen kleinen Rempler gab und in die richtige Richtung deutete ihm, seine Aufmerksamkeit wurde direkt wieder auf sein Mobilegame gelenkt, da er ein Gespräch der beiden anderen erahnte.

„Oh, Bokuto-san“, erkannte Akaashi schließlich und sah zuerst nach hinten und dann wieder zurück zu Konoha, der ihn mit einem amüsierten Lächeln musterte. „Du gehörst zu den richtig Klugen, sonst hätte Dr. Suna dich nicht ausgewählt, aber etwas an dir ist erfrischend naiv. Hast du schon ne Pause gemacht? Ich schließe meine Schicht ab, sowie das hier an Ort und Stelle ist und würde mir noch nen Tee gönnen“, fragte Konoha, deutete auf seine Gasflasche und schob sie auch schon weiter um Akaashi deutlicher zu zeigen, was er vorhatte.
 

„Oh ich, wir haben gerade… ich sollte Kozume…“, unsicher sah er zu Kenma, doch der winkte ab. „Ich hol mir meinen Apfelkuchen selbst, geh nur“, sagte er und machte ganz schnell Kehrt auf den weichen Sohlen seiner medizinischen Hausschuhe.

„Ich kann dir gerne helfen“, hörte er Akaashi sagen, war aber erleichtert, dass er seine Hilfe Konoha anbot und dass er selbst sich eine Auszeit gönnen konnte. Dachte er zumindest, denn als er an der Schwesternkoje am Weg zur Kantine vorbeikam, hörte er bereits die Stimme, die ihn an diesem Morgen und eigentlich seit seinem ersten Tag hier, so unsäglich nervte.
 

„Schwester Azumane!“, sagte Terushima der ID-Karte entsprechend und lehnte sich über die Theke um besser in das angesprochene Gesicht zu sehen. Das lange brünette Haar wurde hinter ein Ohr geschoben, der Kopf gedreht und Terushima erkannte nicht nur recht dunkle Augenringe sondern auch einen Bart. „Pfleger! Pfleger Azumane! Bitte Hilfe? Ich kann nicht lesen, was das heißen soll… Dr. Komoris Handschrift ist schrecklich…“, sagte er unter Seufzen und hielt Asahi den Zettel mit dem notierten Medikament hin, das er holen sollte.
 

„Seh ich etwa aus, wie eine Frau?“, japste Asahi entgegen seinem eigentlich recht einschüchternden Erscheinen ganz kleinlaut. Terushima sah ihn etwas verdutzt an.
 

„Oh nein, gar nicht, du siehst nicht aus, wie ne Frau, eigentlich siehst du wie n Drogendealer aus, sicher, dass du genug geschlafen hast?“,
 

„Ich bin Pfleger… natürlich hab ich nicht genug geschlafen“, erwiderte Asahi mit einem Ausdruck in den Augen, der den Anflug einer Panikattacke verkündete. Kenma trat heran, nahm den Zettel und las Terushima das Medikament vor. „Ist das so schwer, Terushima?“, fragte er ihn und verließ die eher unangenehme Situation wieder um in der Kantine das letzte Stück Apfelkuchen und einen leeren einsamen Tisch zu ergattern.
 

Geheiligte Stille. Während der Nachtschicht war es den anwesenden Ärzten selbst ein Anliegen, leise zu sein, dass Kenma sofort für sich erkannte: Diese Schicht würde seine liebste sein. Er würde mit allen tauschen, so oft wie nur möglich. Vielleicht hatte er Glück und könnte sie oft mit Akaashi machen oder mit Yamaguchi, der mit Tsukishima und Kageyama für die nächste Nacht eingeteilt war. Kageyama konnte wohl von Glück reden, dass Yamaguchi als Tsukishimas Besänftigung dabei war, sonst würde die anschließende Nacht wohl im Chaos versinken. Irgendwie hoffte Kenma, dass er nicht bald mit Tsukishima eingeteilt werden würde, der blonde Brillenträger war ihm noch unangenehm. Vielleicht, weil er ihn noch nicht kannte, vielleicht, weil er mit seiner sarkastischen und stichelnden Art noch nicht ganz klar kam. Vielleicht war es auch nur Unsympathie, wie bei Terushima, nur anders.

Terushima war dafür bestimmt jemand, der lieber tagsüber arbeitete. Ein wenig überrascht war Kenma schon darüber, dass der Skaterboy von einem Arzt noch so fit war, aber er wirkte zumindest wie jemand mit viel Energie. Zu viel Energie… Denn nach seiner kurzen Pause und der Unterstützung, die er einer Schwester bei einem unruhigen Patienten gab, stand Terushima wieder neben Kenma, diesmal war er aufgeregt, unangenehm aufgeregt, als würde er ihm gleich die, für Terushima, tollste Geschichte erzählen, die ihm, Kenma, nicht egaler hätte sein können. Aber er konnte sich nicht wehren.
 

„Hab heut‘ schon wen von nem Herzstillstand bewahrt“, prahlte Terushima. Gut, vielleicht nicht ganz so egal. „Wie kams dazu?“, wollte Kenma ruhig wissen und lehnte sich langsam an die Wand. Die Arme verschränkte er vor der Brust und dann wartete er.

„Tja, richtige Zeit, richtiger Ort… Hab den Piep genau gehört, bin sofort reingestürmt und hab das Ding gerockt, bevor Bokuto auch nur anfangen konnte abzunippeln“, versetzte Terushima Kenma in Schock.
 

„Bokuto? Wir waren doch gerade noch bei ihm, da war alles gut“, sagte er mit großen Augen. Sofort analysierte sein Kopf, ob sie etwas übersehen hatten, ob er etwas übersehen hat.

„Was hast du gemacht?!“, beschuldigte er Terushima sofort, der umgehend die Arme hochhob. „Nichts! Außer ihm vermutlich das Leben gerettet!“ – „Akaashi hat ihm das Leben gerettet“ – „Tatsache, ich habs nur behalten“, sagte Terushima, zwinkerte Kenma zu und lief weiter um dem nächsten Arzt von seiner Heldentat zu erzählen. Kenma stieß sich von der Wand ab und traf kurz darauf auf Akaashi. Er sparte es sich, von Terushimas Rettung zu erzählen und behielt es bei einer sachlichen Nachfrage, wie der Tee im Krankenhaus war. Ungeahnt der Tatsache, dass dieser je nach Gesellschaft einen süßen oder auch bitteren Beigeschmack haben konnte. Akaashi schien den Tee süß genossen zu haben.
 

„Dr. Konoha hat mir von einer Operation erzählt, die ähnlich war, wie die von Bokuto-san, aber die ging nicht so wie seine aus, der Patient ist gestorben“, ging Akaashi auf seine Zeit mit dem Anästhesisten ein. Kenma nickte knapp. „Ärzte wie er sehen sicher viel, aber sie machen immer dasselbe“, gab Kenma klein bei. Zwar mochte er gerne eine Aufgabe, wo er sich nicht überanstrengen musste, aber er wollte nicht, dass ihm das Gehirn einschlief und die Ärzte, die dafür zuständig waren, dass die Patienten nicht aufwachten oder zu überdosiert schliefen, taten in seinen Augen einen langweiligen Job, wenn natürlich auch sehr wichtigen, das war dem Jungarzt bewusst, dennoch würde er nicht tauschen wollen. „Dafür ist er ein absoluter Spezialist“, verteidigte Akaashi ganz unbewusst die Tätigkeit des anderen. Kenma hatte nichts darauf einzuwenden. Er hatte die restliche Nacht nicht mehr viel einzuwenden und verabschiedete sich zum Schichtwechsel sowohl von Akaashi als auch von Terushima, der mit seinem Motorradhelm an ihnen beiden vorbeilief und kurz darauf mit qualmenden Reifen vom Parkplatz fuhr.
 

„Er wird früher Patient sein, als ihm lieb ist“, murmelte Kenma, hob die Hand zum Gruß und ging zur Busstation während Akaashi zu seinem Auto ging, nicht ganz sicher ob er amüsiert oder beunruhigt sein sollte.
 

Nach der seiner ersten Nachtschicht wurde Kenma von Kuroo sogar vom Bus abgeholt und sofort ausgefragt.

„Was ist passiert? Wie geht es Bokuto? Was war das Komischste, das du gesehen hast?“, fragte der Ältere und Kenma antwortete nur mit einem Wort, einem Namen sogar: „Terushima“
 

„Wenn du dich zu ganzen Sätzen bemühst, spiel ich daheim ne Runde Dash-Mania mit dir“, schlug Kuroo vor, weil er mehr von Kenmas erster Nachtschicht erfahren wollte, doch dieser lehnte dankend ab. Kuroo schnaubte.

„Okay, letztes Angebot: Wenn du mir mehr erzählst, lass ich dich den restlichen Tag in Ruhe!“
 

Kenma hob den Kopf und sah Kuroo ganz überrascht an. „Das würdest du schaffen?“, wollte er wissen und Kuroo nickte schnell. „Ich kann alles schaffen, wenn ich nur will“, erklärte er. „Mhm… und willst du es?“ – „Ich will wissen, wie es war!“

Kenma überkam der Anflug eines Lachens. Er kannte Kuroo schon so lange, dass er meinen könnte, er kannte ihn in und auswendig und dennoch überraschte ihn sein Mitbewohner gerade.
 

„Gut“, sagte er und erzählte ihm von seinen Erlebnissen. „Eher langweilig, ich weiß“, sagte er noch, aber Kuroo zuckte mit den Schultern. „Du hast für dich erkannt, dass es deine Schicht ist, was mich nicht wundert, hätte ich dir gleich sagen können, aber ich wollte dir natürlich selbst diese Erfahrung und Erkenntnis gönnen, du sollst ja selbst lernen“, sagte Kuroo und ging Kenma amüsiert durchs Haar.

„Ich dachte, du lässt mich danach in Ruhe“, knurrte dieser, dass Kuroo die Hand sofort zurück zog.
 

„Menno… gleich so streng, du hättest Lehrer werden sollen und nicht Arzt“, gab Kuroo kleinlaut bei. „Aber du hast Glück, ich treff mich mit ein paar Leuten vor der Uni, Studenten anquatschen, dass sie nächstes Jahr auch in unser Programm kommen“, sagte Kuroo. Kenma konnte ihn nicht schnell genug loszuwerden um vor seiner am nachmittag startenden Spätschicht noch ein paar Stunden Schlaf und ein paar mehr davon zum Spielen eines Online-Rollenspieles aufzuwenden.
 

„Essen ist im Kühlschrank, machs dir in der Mikro warm, wir sehen uns dann im Krankenhaus“, sagte Kuroo und verabschiedete sich.

Die Aufbewahrungsbox mit einer nicht unbedeutsamen Menge Curry wurde gerade mal bei Kenmas späterem Aufbruch kurz betrachtet, aber blieb unangerührt im Kühlschrank zurück. Seines Planes nach würde er sich wohl einen kleinen, vermutlich ungesunden, Snack im Krankenhaus holen.
 

***
 

„Dr. Kenken“, wurde Kenma bereits im Eingangsbereich von einer Stimme aufgehalten, die diese Benennung eigentlich nicht wählte. Die Stimme hatte ihm gegenüber aber auch sonst noch nie eine Betitelung gegeben. Trocken aber mit leicht erhobenen Augenbrauen sah er in das Gesicht des Arztes, der auf ihn zuging. Dr. Sakusa hatte seinen Blick wie Kenma ihn bereits gut kannte auf einem Klemmbrett fixiert, die Maske saß tadellos in seinem Gesicht über Nase und Mund und ließ nicht erahnen, ob der Arzt lächelte, eine Schnute zog oder sich vor Unbehagen auf die Lippen biss. Oder eben – wie Kenma vermutete – einfach keinerlei Mimik über seine Lippen kommen ließ, wenn die Maske nicht da gewesen wäre, so wie es seine Augenpartie tat, die erst reagierte, als Kenma ihn korrigierte.

„Eigentlich ist es Kozume, Dr Sakusa-sama“, wurde der Oberarzt aufgeklärt, dass dieser seinen Blick von seinen Unterlagen aufhob, ihn auf Kenmas ID-Tag richtete und zu Kenmas rechten Seite sah, wo Kuroo meistens stand, wenn man sie beide gemeinsam antraf, was nicht selten war.
 

„Aber Dr. Kuroo hat Sie gestern Nacht so adressiert“, hob Sakusa hervor. „Kuro und ich sind Freunde“, stellte Kenma klar. Sakusa zog die Augenbrauen angespannt zusammen. „Sowas Unprofessionelles hat hier nichts verloren, Dr. Kozume, ich hoffe, Sie nehmen das hier ernst“, war die erste Lektion, die Kenma von seinem Idol erhielt. „Natürlich nehme ich das ernst“, versicherte er ihm und steckte auch sogleich sein Mobiltelefon weg um es ihm ganz deutlich zu machen. Sakusa musterte ihn von oben bis unten. Er überlegte.
 

„Dr. Komori hat Sie empfohlen, ich hoffe, er erlaubt sich keinen Schalk mit mir, sehe ihm ähnlich… Aber seien wir nicht so. Ihre Noten und Auszeichnungen passen zu dem, was er sagt. Ich würde Sie für eine Gefäßoperation in meinen Operationssaal einladen, mir zu assistieren und zu lernen“, brachte Sakusa sein Anliegen heran ohne etwas von seiner familiären Verbindung zu Dr. Komori zu erwähnen. Wozu auch. Es tat ja nichts zur Sache. Kenma zögerte mit seiner Reaktion, nickte aber kurz darauf.
 

„Natürlich, Dr. Sakusa-sama, ich wundere mich nur, liegt Ihr Fach nicht in Neurochirurgie?“, fragte er ihn. Sakusa schnaubte, stand ihm aber zu, dass er gut aufgepasst hat.

„Meine Spezialität liegt in den kleinen sensiblen und komplizierten Dingen, Gefäße können sehr fragil sein, was schnell heikel werden kann, vor allem, wenn es sich um die Karotisgabelung handelt“, gab er bereits einen Hinweis auf die bevorstehende Operation.
 

„Wir operieren jemanden an der Halsschlagader?“, fragte Kenma. Dr. Sakusa nickte, gab Kenma die Patientenakte und schickte diesen sogleich zu Komori. Komori begrüßte ihn und auch Terushima und Akaashi, die rechtzeitig zur Spätschicht ankamen für die Patientenrunde am Nachmittag.
 

***
 

„Und das ist Tsukasa Iizuna, ein Patient von Dr. Sakusa, Dr. Kozume?“, sagte Komori und wies Kenma an, den Patienten zu präsentieren. Kenma zückte die Akte, die er von Dr. Sakusa bereits bekommen hat und trug vor.
 

„Iizuna Tsukasa, 27 Jahre alt, Gefäßpatient, wiederkehrender Glomustumor, wurde vor drei Jahren das erste Mal von Dr. Sakusa im St. Itachiyama operiert, restlos entfernt, hier weil der Tumor rückkehrt, liegt in der Norm des Gewächses, entdeckt an der linken Halsschlagader beim… Liebesspiel“, las Kenma die Fakten zusammenfassend vor, bei der Ortung fasste er sich selbst neugierig an die Stelle, wo der Tumor von Iizuna sitzen sollte, aber brach in seiner Patientenpräsentation ab, als das Wort Liebesspiel über seine Lippen kam. Da hob er auch seinen Kopf und sah Iizuna das erste Mal ins Gesicht. Mit stolperndem Herzen musste er feststellen, dass dieser junge Mann das wohl schönste Lächeln hatte, dass er je gesehen hat. Iizuna sah trotz seiner rötlichen Augen wie ein Engel aus und strahlte Kenma mit seinen hübschen geschwungenen Lippen direkt an.
 

„Hey“, sagte er, sein Lächeln formte sich dabei zu einem schelmischen Grinsen um, dass sich Kenma ertappt fühlte und nicht einmal wusste, warum. Er rang sich aber auch zu einem schwachen „Hey“ durch. Seine Augen wandten sich nur kurz ab um die Stelle zu erblicken, wo der Tumor entdeckt wurde und tatsächlich waren da noch die zarten rosaroten Spuren eines vermutlich ziemlich heftigen Liebesbisses zu sehen.
 

„Und was wird gemacht, Dr. Kozume?“, wurde Kenma zum Weitersprechen gebeten, aber mehr als ein weiteres schwaches „Hey“, kam nicht über seine Lippen. „Hey“, sagte auch Iizuna noch einmal und schenkte Kenma sein süßestes Lächeln.

Dramaroom

Trauma. Ein Trauma entsteht durch eine Verwundung oder Verletzung äußerlicher Gewalteinwirkung. Das kann ein Schlag sein, ein Sturz, ein Stoß oder ein Aufprall anderer Art. Ursachen dafür können häusliche Gewalt, sexueller Missbrauch, Überfälle, Schlägereien oder Verkehrsunfälle sein. Ein Trauma steht aber oftmals in Verbindung mit der Bezeichnung eines traumatisierenden Erlebnisses und das muss nicht zwingend mit körperlicher Gewalt einhergehen. Dennoch erwarten Ärzte auf der Trauma-Station Unfallopfer. Menschen mit gebrochenen Beinen, verdrehten Armen, offenen Wunden, Blut, freigelegte Knochen und das durch Fremdeinwirkung, einen Aufprall, nicht selten selbstverschuldet, schlicht weg den Dingen, die nichts für schwache Nerven sind. Denn eine Operation, ein gezielter Schnitt mit dem Skalpell, der Organe freilegt, Blut fordert und Knochen zum Vorschein bringt, ist kein Trauma. Es sei denn, sie traumatisiert, dann ist sie ein anderes Trauma. Kontrollverlust. Doch die Trauma-Chirurgie beschäftigt sich mit Unfällen. Geplanten oder Spontanen.
 

***
 

„Drallcome? Was war das noch gleich?“, fragte Yamaguchi als beim Umziehen sein Pager losging, aber auch all die der anderen anwesenden Assistenzärzte und sogar die aller anwesenden Ärzte im Krankenhaus.

„Lesen kannste oder, Dr. Freckles-chan?“, konterte Terushima hinter ihm die Frage und schlüpfte dabei in seinen weißen Kittel. „Doctor All Come, alle Doktors kommen, also schnell, schnell sonst sind die Besten Sachen weg“, sagte er etwas lauter und klopfte Yamaguchi im Vorbeilaufen auf den Rücken, die anderen um Yamaguchi beeilten sich ebenfalls, dass er lieber auch hinne machte und neben Kenma und Akaashi schnellen Schrittes dem kleinen Auflauf folgte.
 

„Lesen kannste Dr. Freckles-chan… pfft Dr. … Playboy“, äffte Yamaguchi den motivierten Assistenzarzt nach, aber leise, dass er es nicht bemerkte, auffällig genug aber für Tsukishima, der sich eines Schmunzeln nicht verwehren konnte, wie er aufholte. „Nenn ihn doch Dr. Volltrottel, das passt zu ihm“, schlug er vor und Yamaguchi kicherte leise. Das würde er sich nie trauen, zu ihm zu sagen, was auch Kenma neben ihm ahnte und deswegen lieber auf den Alarm einging.
 

„Es bedeutet, dass es einen Notfall gibt, ein großer Unfall zum Beispiel oder eine Explosion mit vielen Opfern und dass sie alle Ärzte brauchen, die verfügbar sind. Da der Page von Trauma kommt, war es vielleicht ein Zugunglück, also stell dich darauf ein, dass es viel Blut geben wird und dass du das Weiße von den Knochen sehen wirst“ Yamaguchi schluckte eingeschüchtert. Natürlich, sie hatten das gelernt, aber sie haben so viel gelernt, er konnte unmöglich alles wissen. Zumindest aber wusste er, dass er dem Pager-Signal und nun auch der Lautsprecherdurchsage, die durch die Gänge hallte, zu folgen hatte.
 

Bevor sie den Empfangsraum für die Notaufnahme erreichten, trafen sie auf Dr. Iwaizumi, der ein zufriedenes Nicken in Dr. Komoris Richtung schickte, weil die beiden mit ihren Assistenzärzten zu den ersten gehörten und somit den ersten Schwall des eintreffenden Traumas abfangen sollten.

Während Dr. Komori Kenma, Akaashi, Terushima und Yamaguchi unter sich hatte, tummelten sich um Dr. Iwaizumi Kageyama, Tsukishima, der Kageyama nicht leiden konnte, Shirabu und Yachi. Das waren die acht Assistenzärzte die in ihrem ersten Jahr die Ausbildung abschließen würden.
 

Direkt hinter Dr. Iwaizumi stolzierte die Aschblonde Schwester mit dem Namen Kaori an ihnen vorbei in den großen Raum und richtete sich ihren hochgetragenen Pferdeschwanz.
 

„Dr. Iwaizumi“, summte sie und rempelte den Stationsarzt sanft, welcher mit einem kessen Grinsen konterte. Kaori war aber schon drauf und dran mit ihren Kolleginnen und Kollegen dafür Sorge zu tragen, dass die Notfallwägen bereit und nicht im Weg standen.
 

„Unauffälliger geht’s wohl bitte wirklich nicht mehr, oder?“, erklang eine verspielte Stimme hinter ihnen allen, die neben Dr. Iwaizumi auch Shirabu zum Seufzen brachte.

„Und Facey-kawa hat nichts Besseres zu tun als zu gaffen? Neidisch, hmm“, unterstellte Dr. Iwaizumi mit einem herausfordernden Blick.
 

„Gar nicht wahr! Meian und ich wurden extra urgiert“, sagte Dr. Oikawa, Oberarzt für plastische Chirurgie. Nach ihm trat auch Chefarzt Meian hinzu, stellte sich aber die Eilmeldungen mit Asahi abgleichend an die Schwesternkoje der Notaufnahme.
 

Verkehrsunfall, zwei PKW, ein Bus und ein Motorrad. Sieben Tote bereits am Unfallort, elf Schwerverletzte und fünfzehn Mittel- bis Leichtverletzte auf dem Weg hier her, ich korrigiere, acht Tote, zehn Schwerverletzte, Verbrennungen“, wurde das absolute Chaos angekündigt.

„Siehst du, Iwa-lein? Dafür bin ich da!“, neckte Dr. Oikawa, worauf Dr. Iwaizumi mit einem Augenverdrehen den Kopf schüttelte. „Schon gut, tu einfach dein Bestes“, sagte er zu ihm. Es wurde versichert, dass es gar nicht anders in Frage kam.

Terushima klatschte in die Hände und ließ sich nach Aufforderung von Yamaguchi den extra Unfallkittel umbinden. „Ich will nen Schwerverletzten“, forderte er und half nun Yamaguchi, der sich auch direkt frische Handschuhe überzog. Irgendwie konnte Yamaguchi den Enthusiasmus, Leben zu retten, ja gut verstehen, das wollte er auch, aber er wollte eigentlich auch nicht, dass es zu dramatisch wurde.

„Bei der Ansage werdet ihr alle ranmüssen, also blamiert mich ja nicht“, sagte Dr. Komori an seine vier Assistenzärzte gerichtet. Yamaguchi schreckte hoch, stellte sich sofort stramm gerade hin und nickte artig. Akaashi zog tief Luft ein, nickte und sah zu Kenma, der ruhig und abwartend auf die große Flügeltür starrte, auf deren anderen Seite sich die Krankenwageneinfahrt befand und die jeden Moment die Pforte zur Hölle öffnen sollte.
 

Auf der anderen Seite befand sich die Krankenwageneinfahrt. Draußen standen Chefarzt und Oberarzt der Unfallchirurgie, Dr. Ukai jun. und Dr. Tendou mit Assistenzärzten ihres zweiten Jahres, die bereits eine Spezialisierung auf Unfall gewählt haben.

Es wurde bereits unruhig, drinnen und draußen. Die Sirenen waren in der Ferne zu erahnen und Kenma erkannte, es waren fünf Signalhörner. Neben diesen hörte er aber auch einen Feuerwehrwagen. Sein Blick huschte zu Akaashi, dem er ansah, wie er den Raum akribisch analysierte. Die Augen des Assistenzarztes fixierten im Wechsel von Millisekunden unterschiedliche Positionen im Raum sowie die Ärzte, die hier bereits herumstanden. Kenma hat gar nicht bemerkt, wie sie alle hinzugekommen waren, er kannte auch noch nicht jeden von ihnen.
 

Die Sirenen wurden lauter.
 

„Kozume! Da vorne. Terushima, geh zur Seite, hier kommt gleich alles rein. Achtung! Yamaguchi“, waren schnelle knappe Hinweise, die der aufmerksame Assistenzarzt an seine Gruppe weiter gab und dem auch alle Folge leisteten, selbst wenn sich Terushima zu wehren versuchte, er wollte in der ersten Reihe stehen und hätte, wenn Yamaguchi nicht aufmerksam genug gewesen wäre seinen risikofreudigen Kollegen am Oberarm wegzuziehen, im Folgemoment sofort direkte Bekanntschaft mit einer Trage gemacht, die rammbockartig in die Notaufnahme preschte. Alles passierte in rasanter Geschwindigkeit, dass sich Kenma mühen musste, einen brauchbaren Überblick über die Situation zu haben.
 

Einerseits kam als erstes die Trage hereingeschoben, die Terushima um ein Haar erwischt hätte. Auf ihr befand nicht nur eines der Opfer, sondern auch ein junger Mann mit wilder Stachelfrisur kniend über ihn gebeugt. Er tat, wie Kenma bei genauerem Hinschauen erkannte, sein Bestes, einen tiefen Einschnitt am Hals zu punktieren um so ein Verbluten zu verhindern. Seine Kleidung war vollkommen in Blut getränkt, genauso wie die des Patienten .
 

„Nishinoya-sama!“, japste Asahi, der den Arzt trotz Freizeitkleidung als solchen

erkannte. Angesprochener wandte sich sofort um, hob die Hand, die gerade nicht mit lebensrettenden Maßnahmen besetzt war und deutete kess mit dem Daumen nach oben. Ein Zwinkern galt ganz alleine dem brünetten Pfleger.

„Yo, Asahi“, rief Nishinoya und bezeichnete seinen Auftritt noch als „Rollende Lebensrettung“ bevor er von der Trage abstieg. Seine Finger blieben weiter am Hals des Mannes, der nun besser zu erkennen war. Jung, schlaksig, sicherlich groß gewachsen, wie er die Trage ausfüllte, sein Haar war schmutzig kupferfarben und stand dem Umstand des Unfalles in alle Richtungen, kurz. Erst jetzt fiel auch auf, wie klein Nishinoya eigentlich war, aber das nahm ihm nichts an Coolness in diesem Moment. Asahi war außer sich. Nishinoya suchte und fand seine Unterstützung.
 

„Yo! Blondie, hier her!“, rief er Yachi zu sich, da sie gerade am nächsten stand. Die Blondine hopste einmal vor Überraschung auf, aber überbrückte schnell die zwei Schritte zu Nishinoya um die Halsschlagader des Patienten abzudrücken. Die beiden Sanitäter, die die Trage geschoben haben, einer mit lichtem Haar, rundem Gesicht und nun auch einem erleichterten Ausdruck, der andere, gut einen halben Kopf größer, mit kurzen brünetten Wellen und einem sehr entspanntem Gesichtsausdrück, als würde ihn nichts so schnell aus der Ruhe bringen, gaben Asahi die Personalien weiter, die sie einer Karte aus der Brieftasche entnehmen konnten.
 

Parallel kam die zweite Trage herein geschoben, nicht mit einem weniger Filmreifen auftritt. Denn die wurde von Feuerwehrmännern herein geschoben.

„Habt ihr noch nicht gesehen, Seitenspiegel in Motorradfahrer“, sagte einer der Feuerwehrmänner, weiße Igelfrisur, große runde Augen und im Vergleich zu seinem Kollegen sah er winzig aus. Der Kollege hob auch gleich seinen Fehler hervor. „Motoradfarherin, Korai“ – „Ja, ja Gao, schaust du?“, wollte der Kleinere den Fokus auf die Verletzung lenken. Die junge Frau, Mitte zwanzig wohl, goldblondes Haar, flackernde bildschöne grüne Augen, hatte den Seitenspiegel einer Mercedes S-Klasse im linken Beckenbereich stecken, das rechte Bein stand ungesund ab. Überall war Blut. Komori stand am nächsten.
 

„Tsukishima! Komm hier mit, Terushima, du auch!“, forderte er die beiden Assistenzärzte zu seiner Linken, wollte zu der Trage eilen, doch wurde selbst von Nishinoyas Rufen aufgehalten. „Jo, Komori, wir brauchen Sie hier, das ist ihr Gebiet“. Yachi hielt ihre Finger nervös am Hals des Patienten, seine Lippen bebten und er suchte ihren Blick mit seinen Augen. „Bitte sprechen Sie nicht“, sagte sie zu ihm und legte ihm die freie Hand an die Wange. Die Sanitäter schoben den Wagen fort und Yachi mühte sich, schritt zu halten.
 

„Hey, hebt die Kleine hoch“, orderte Nishinoya, was einer der Sanitäter, nach kurzer Vorstellung und Warnung – „mein Name ist Inunaki Shion und ich hebe Sie jetzt hoch“ sofort machte. Yachi nickte, ließ ihn machen aber rutschte für den Bruchteil einer Sekunde von der Druckstelle ab, sie fand sie schnell wieder und hielt die Blutung weiter unter Kontrolle. Ihr gesamter Körper zitterte, aber die Rettung dieses Mannes hatte nun oberste Priorität.
 

„Kawanishi Taichi“, sagte Inunaki und klopfte sowohl Yachi als auch Kawanishi auf die Schulter. Er war nun in guten Händen und hätte hier die einzige Chance zu überleben. Yachi nickte und drehte ihren Kopf wieder zu ihrem Patienten.

„Kawanishi-san?“, fragte sie und versuchte die flackernden Augen wieder für sich zu gewinnen. „Wir werden Sie nähen müssen, vielleicht sogar operieren“, sagte sie, so viel war ihr klar, denn die weit größere Wunde, die Nishinoya an der Seite und der Hüfte unter Schacht hielt, brauchte auch dringend mehr Zuwendung. Kawanishi wurde immer blasser. Er hat reichlich Blut verloren, was man an der Trage, den Sanitätern, Nishinoya und schlussendlich auch schon an Yachi erkennen konnte.

„‘kay“, hauchte er und fiel in Yachis rehbraunen Augen in Ohnmacht, dass die blonde Ärztin vor Schreck auffiepte, aber ihre Finger nicht von seinem Hals nahm.
 

„Gut, schnell, schnell“, rief Komori und lotste Inunaki und seinen Kollegen in den Not-OP-Saal. „Iwa?!“, rief er seinem Kollegen noch zu, der sich bereits mit einem „Natürlich“ zur zweiten Trage aufmachte. Er nahm dabei auch, wie Komori es ihnen aufgetragen hat, Tsukishima und Terushima mit.
 

„Du links, ich rechts, was machst du als erstes, Tsukishima?“, fragte er seinen Assistenzarzt, Terushima orderte er mit raschen drehenden Handbewegung zu sich, den Kopf der Motorradfahrerin zu stabilisieren. Sie waren immerhin ein Lehrkrankenhaus und die Assistenzärzte brauchten Praxis. Dass etwas geschah, würde aber keiner der hier Lehrenden zulassen.

Iwaizumi zog eine Taschenlampe aus seiner Kitteltasche und fixierte Tsukishima. „Reaktion“, sagte dieser schnell und Iwaizumi fuchtelte mit dem Licht vor ihren Augen. „Und die Wunde? Check die Wunde, Tsukishima“, sagte er zu ihm. Terushima hielt den Kopf gerade. „Komm schon, Bohnenstange“, stichelte er. Tsukishima blieb ungeahnt still. Iwaizumi wirkte so, als hätte er die Situation im Griff. Der Feuerwehmann mit der weißen Igelfrisur hielt den Seitenspiegel penibel still und sah auch fordernd zu dem blonden Arzt mit der Brille. „Komm schon Alter, die kratzt sonst jeden Moment ab!“ – „Hoshiumi!“, zischte sein Kollege, Gao. Die Situation für Tsukishima wurde nicht besser. Beide Feuerwehrmänner zogen scharf Luft ein, aber Iwaizumi entschärfte die Situation.
 

„Hey Sonnenschein“, sagte er zu der Verunglückten als sich ihre Augen endlich regten und ihr Mund aufklappte. „Wissen Sie, was passiert ist?“, fragte er, seine Augen huschten nervös zwischen ihr und Tsukishima her, aber er wollte nun nichts Harsches sagen, solange die junge Frau bei Bewusstsein war. Das würde sie nur beunruhigen. Es reichte schon Hoshiumis Ansage.

„Engelchen“, flüsterte sie, dann kippte ihr der Kopf weg und Terushima bekam sofort eine laute Rüge. „Willst du, dass sie sich das Genick auch noch bricht?!“, fuhr ihn Iwaizumi an. „Sorry, das kam unerwartet“, verteidigte sich Terushima, aber Iwaizumi schnaubte. „In diesem Bereich des Krankenhauses ist alles unerwartet, immer! Geh und hol Dr. Ushijima, das kann nur er, Dr. Ukai ist heute nicht da“, sagte er und jagte Terushima regelrecht weg. „Aber Dr. Ukai steht doch draußen, ich hab ihn gesehen“, erwiderte Terushima. „Das ist sein Enkel, du Hohlbirne, bist du etwa erst seit gestern hier?“, fragte Hoshiumi, Terushima streckte ihm frech die Zunge raus. „Ich kann nicht jeden nennen“ – „Dann merk dir meinen Namen, okay? Korai Hoshiumi und jetzt zieh endlich ab und schau nicht so auf mich herab, Punk“ Hoshiumi schien jeden Moment eine Sicherung durchzubrennen, dass ihm Gao die Hand auf die Schulter legte. Der Spiegel sollte ja nicht verrutschen. „Wage es nicht, was zu sagen, du Riesenlulatsch“, knurrte der Kleine den Großen an. Gao überragte Hoshiumi immerhin um mehr als dreißig Zentimeter, was schwer auf Hoshiumis Ego lastete, das merkte ihm jeder hier an.
 

„Danke, Hoshiumi“ Iwaizumi behielt wie immer Ruhe und versuchte so auch etwas Zunder aus dem Energiebündel zu nehmen, denn auch ihm war es ein Anliegen, dass der Seitenspiegel nicht verrutschte und dadurch noch größeren Schaden anrichtete als vermutlich eh schon.
 

Kenma half währenddessen einer Sanitäterin, sie war groß gewachsen, überragte hier so einige männliche Ärzte, aber hatte mit ihrem schwarzen Bobschnitt und dem in ihr Gesicht fallenden Pony ein unheimlich hübsches wenngleich kindliches Gesicht. Gemeinsam führten sie eine junge Frau in die Notaufnahme. Das war eindeutig ein Fall für Dr. Meian und Dr. Oikawa. Die Sirenen draußen kündigten auch schon den nächsten Schwall an, aber Kenmas Aufmerksamkeit lag vorerst auf der Frau. Ihr dunkelblonder Zopf hing absolut schief und das Gummiband hatte auch schon bessere Dienste geleistet, denn das Haar hing ganz durcheinander heraus. Die Augen starrten dem Schock geleitet nur gerade aus, dass Kenma sofort einen Reaktionstest machte. Er hielt ihr die Finger vor, fragte sie, ob sie erkannte, wie viele es waren, ob sie verschwommen sah und fragte: „Was ist passiert?“
 

Die Frau erzählte von einer Explosion im Bus, keine große und sie meinte, es lag an dem Gerät, das ihr Sitznachbar zu seinem Mund geführt hat, ihn hat sie nicht mehr gesehen, seit dem Unfall. Sie wusste auch nicht, ob der Unfall daher getragen war, dass der Busfahrer von dem Krach und dem Feuer abgelenkt war. Abgelenkt war auch sie gerade, denn sie sah suchend durch den Raum, in dem es vor Medizinern, Tragen und Verletzten nur so wimmelte. Die Panik in ihren Augen wurde sichtbarer, Tränen sammelten sich und ihr Mund klappte sprachlos auf.
 

„Hey, Mai! Hier hergesehen“, sagte die Sanitäterin. Kenma hatte gerade Mühe einzelne Strähnen aus den Verbrennungswunden zu lösen. „Hey! Das tut weh“, tadelte ihn Mai nicht gerade freundlich. „Entschuldigung“, murrte er ruhig, stoppte aber nicht in seinem Tun, ihre Wehleidigkeit war ihm gerade egal, wenn die Haare zu lange in der Wunde waren, bestand die Gefahr, dass sie sich entzündete und die Heilung damit verlangsamte geschweige denn, dass hässliche Narben gefördert wurden. Außerdem lag die Aufmerksamkeit nun wieder nicht mehr direkt auf dem gefühlten Weltuntergang.
 

„Jo, Kanoka, wir sind hier fertig, wir sehen uns später, ja?“, rief eine der Feuerwehrleute, klein, frecher Blick und Kenma fragte sich gleich, wer dieser Frau denn bitte die Haare geschnitten hat. „Klar“, erwiderte Kanoka, so hieß die Sanitäterin, mit der er sich um Mai kümmerte, und setzte sich wieder mit deren Verbrennungen auseinander.

„Ich hole Dr. Meian“, schlug Kenma vor, doch die plastischen Chirurgen waren schon anwesend.
 

„Kozume-san, Eis holen, OP buchen, ich will Konoha da drinnen sitzen haben, das braucht Fingerspitzengefühl, sie darf nicht zu sehr wegdämmern, gut gemacht mit der Wunde“, sagte Dr. Meian und Kenma nickte. Schnell machte er sich auf den Weg zu tun, was ihm aufgetragen wurde, hörte aber noch eine kurze Unterhaltung der beiden Ärzte mit. „Hast du Inunaki gesehen? Sieht wieder besonders schnittig aus in seiner Uniform mit dem ganzen Blut“, sagte Dr. Oikawa zum Chefarzt und lehnte sich bereits zu Mai nach vorne. „Nicht deine Frage zu stellen, Toru“. Aus dem Augenwinkel sah Kenma noch durch seine blondgefärbten Haare, wie Dr. Oikawa eine Schnute zog, aber Dr. Meian direkt mit der Wunddesinfektion anfing. Er ging rasch weiter. Der Nächste Rettungswagen kam an, die Notaufnahme füllte sich hinter Kenma noch mehr.
 

„Tsukishima, zur Seite, wenn du abschaltest. Shirabu!“, hörte er Iwaizumi im Vorbeigehen sagen und nach einem weiterenseiner Assistenzärzte rufen. Tsukishima stand überraschend aufgelöst neben der Trage mit der Motorradfahrerin, die den Seitenspiegel aus ihrer Hüfte stehen hatte. Kenma musste sich schon eingestehen, dass ihm bei dem Anblick auch anders wurde, irgendwie hätte er das Ding gerne selbst entfernt und alles drumherum nahtlos und perfekt zusammengenäht. Aber er würde vielleicht gleich mit Chefarzt Meian und Oberarzt Oikawa ein hübsches Gesicht vor der Entstellung retten.

Als er von der Notaufnahme in den allgemeinen Teil des Krankenhauses lief, wich er auch schon Konoha aus, den er umgehend ansprach.

„Konoha-san? Dr. Meian braucht einen OP für ein verbranntes Gesicht und er will Sie dabei haben“, sagte er an ihn gewandt und der für die Situation überraschend ruhige Anästhesist versprach ihm, dass er sich um den Saal kümmere.
 

Mit dem Eis zurück in dem regelrechten Schlachtfeld – besser konnte es Kenma nicht beschreiben, nachdem er wieder reinkam und den Raum ganz anders wahrnahm. Blutige Fetzen lagen auf dem Boden, Schuhe, Kleidung, alles blutgetränkt, Tsukishima stand immer noch wie angewurzelt in einer Ecke, aber die Trage mit der Motorradfahrerin war weg, auch Kawanishi wurde bereits in einem eigenen kleinen Not-OP-Saal genäht und versorgt. Kenma konnte Yachi durchs Fenster erkennen, wie sie gemeinsam mit Komori am Hals des Patienten arbeitete, sie hielt die Blutung wohl immer noch ich Schacht. Akaashi stand dabei und half Nishinoya bei der langen Wunde an der Seite. Was die Ärzte sprachen, konnte er nicht hören.

Yamaguchi stand mitten in der Notaufnahme vor einer Trage, deren Patient unter einem weißen Tuch lag. Tot. Yamaguchi war fast so bleich wie das Tuch, aber neben ihm gab ihm gerade ein Arzt, den Kenma von Kuroo kannte einen klapps auf den Rücken.
 

„Sie kam quasi tot rein, du hast nichts falsch gemacht, der Unfall war zu krass“, sagte der Arzt mit der grauen Stoppelglatze, zog sich die Handschuhe aus und ließ sie auf dem weißen Tuch nieder. „Ryu!“, hörte Kenma die Sanitäterin von vorhin rufen. Kanoka überwand die Schritte gegengleich mit Kenma, der Oikawa das Eis reichte. Hinter ihm gab es eine mittelprächtige Begrüßung von wohl alten Freunden. Wenn Kenma richtig vernahm, haben sie gemeinsam studiert, aber Kanoka hat sich für die Rettungsausbildung entschieden.
 

Und gerade kam noch der rothaarige Arzt mit dem verrückten Blick herein und koordinierte mit einem Sanitäter, dessen brünettes Haar irgendwie geordnet zu Berge stand. Ein bisschen als hätte sie sich abgestimmt, dachte Kenma kurz. Zwischen ihnen rollte die letzte Trage mit dem zehnten Schwerverletzten herein, neunten, wenn man den auf Yamaguchis Trage bereits wegrechnete und bei den Todesopfern hinzuaddierte.
 

„Hey, Normalo, hier her, für Schockstarre ist jetzt keine Zeit, du willst dich doch auch beweisen oder? Du auch“, lockte Dr. Tendou, Oberarzt der Unfallchirurgie, Tsukishima und Kageyama zu sich. Tsukishima gab sich auch direkt einen Ruck und schloss mit ihm auf.

„Ihn brauchen wir nicht“, sagte er und deutete auf Kageyama. „Als würdest du was taugen“, knurrte Kageyama einem gefährlichen Funkeln in den Augen. „Oh, wie herzallerliebst“, kicherte Tendou, wechselte aber in einen ernsteren Blick. „Ihr reißt euch zusammen“, mahnte er und ging auf den Patienten auf der Trage ein.

„Wie nennst du den Bruch da und welcher Knochen steht dort raus und wie bindest du hier das Blut ab, wenn Washio gleich weg ist?“. Sein Blick ruhte herausfordernd auf Tsukishima, der noch mit sich rang.

„Hmm?“, machte Tendou, Tsukishima holte einmal tief Luft und schon sprudelte es aus ihm heraus, was er sogleich tun sollte. Er kritisierte Tendou dabei bereits wegen der Reihenfolge, denn wie er die Baustellen genannt hat, waren sie nicht der Dringlichkeit ihrer Behandlung gereiht. Zuerst nahm er dem Sanitäter die Aufgabe der Blutstillung ab. „Gehen wir? Wenn wir das nicht gleich versorgen droht eine Embolie“, belehrte er Dr. Tendou auch noch, der überrascht nach Luft schnappte, aber gleich den Blick verdunkelte.

„Oh, wie nervtötend… ich kann die aus dem ersten Jahr eh nie leiden… aber du nimmst jetzt schon Platz eins ein, Klugscheißer!“, knurrte Tendou und peilte mit Tsukishima, Kageyama und der Trage einen weiteren Not-OP-Saal der Station an.

„Saeko, Liebes, hier her, knacki-knacki“, rief er noch im Singsang um die Orthopädiestationsärztin zu ihnen zu ordern, der wahnwitzige Ausdruck in seinem Gesicht tauschte sofort mit einem zuckersüßen ab. Gruselig, würden es Viele bezeichnen. Ungewöhnlich, dachte Kenma, er meinte, selbst nicht annähernd eine solche Bandbreite an Ausdrücken zu besitzen, geschweige denn, dass er so schnell hätte zwischen ihnen wechseln können.

„Das haben wir gleich“, sagte die blonde Stationsärztin mit dem schnittigen Bob und regelte den ersten Bruch direkt im Vorbeigehen, um den Weiteren würde sie gleich kümmern, sowie sie standen und sich die beiden Ärzte um die Versorgung der Wunden kümmerten.
 

Die Minuten vergingen wie Sekunden, die Stunden wie lange Minuten. Die Operationssäle wurden im wilden Wechsel belegt, Notoperationen folgten auf nicht geahnte Komplikationen. Kenma fand sich neben Dr. Meian ein und observierte seine ruhigen präzisen Fingerbewegungen. Es war schon bemerkenswert, wie still eine Hand unter Anspannung halten konnte, aber Kenma bemerkte auch, wie kontrolliert langsam Dr. Meians Atem ging. „Nehmen Sie nur alles auf, Dr. Kozume“, sagte Dr. Meian durchaus mit strengem Ton. Lehrendem Ton vielmehr. Kenma nickte. Er nahm alles auf.
 

In einem anderen Operationssaal, wusste Kenma, stand Dr. Oikawa mit Kageyama an einer gebrochenen Nase, er konnte sich von Dr. Tendou und Tsukishima lösen. Bevor Dr. Meian und sein Team diesen Saal besetzt haben, stand Dr. Sawamura, der Oberarzt für Allgemeine Chirurgie, hier und stoppte innere Blutungen. Innere Blutungen hatten sie fast alle, dass auch die Assistensärzte, die bereits in ihrem zweiten Jahr hier waren einiges zu tun hatten. So auch Kuroo, der Kenma im Vorbeigehen gedeutet hat, dass er heute ran durfte. Er war irgendwann wie all die anderen Ärzten in der Notaufnahme aufgetaucht, was Kenma sofort aufgefallen war, aber er konnte sich nicht lange damit aufhalten.
 

Auch mit dem Fakt nicht, den er nach der Operation an Mais Gesicht durch den Gang gehört hat, konnte er sich nicht lange auseinandersetzen.
 

„Er muss ganz rauf auf die Liste!“ Dr. Ukais Stimme war bestimmt, brummend und voller Stärker, dass Kenma gleich das Gefühl hatte, etwas angestellt zu haben. Aber so war einfach die Wirkung des Chefarztes für Unfallchirurgie. Die Information ging an eine Schwester, die einem Mauerblümchen nicht ähnlicher sehen konnte.

„Aye Aye, Sir“, rief sie aber mit ungeahnt starker Stimme zurück und war schneller ums nächste Eck gelaufen, als Kenma sich ein genaueres Bild der Brünetten Schwester hätte machen können. Später erfuhr er, dass es Hana Misaki war, die Oberschwester, die es wohl faustdick hinter den Ohren haben sollte. Er notierte, dass er es sich mit ihr nicht verscherzen wollte. Er wollte es sich aber mit niemanden verscherzen, am wenigsten mit Dr. Sakusa, der gegen Mittag zu ihm kam und die Vorgehensweise für Iizunas Operation durchging, die in zwei Tagen stattfinden sollte. Davor sollte er noch einen Ultraschall mit ihm machen, ihn zum CT bringen um ein möglichst genaues und zeitnahes Bild des Tumors zu bekommen und es musste noch ein psychologischen Gutachten gemacht werden. Kenma sollte sich darum kümmern, dass die Termine koordiniert wurden und er sollte sie natürlich ab morgen mit Iizuna einhalten. Allein beim Gedanken an dieses schöne Lächeln ahnte Kenma schon, dass er niemals so ruhig sein könnte, wie Dr. Meian es war, wenn er in zwei Tagen ein Skalpell an Iizunas Hals legen sollte. Seine Finger, das wusste er, würden still halten, aber sein Atem? Und sein Herzschlag? Er wusste, sie würden ihn verraten, aber er wusste auch, dass es nicht daran ändern würde, dass er Dr. Sakusa von sich überzeugen würde. Er war ein guter Arzt und er ging während seinen Praktika und auch bei anderen Lehreinheiten mit Training ausgesprochen gut mit dem Skalpell um. Was natürlich auch Dr. Sakusa zu Ohren gekommen war, weswegen er nun einmal der Auserwählte war.
 

Dieser Tag verging so rasant wie langsam. In der Notfallaufnahme konnte man die Gedanken manchmal nicht schnell genug fassen, während des Wartens konnte es nicht schnell genug gehen, das Mittagessen dauerte für Kenma eine Ewigkeit, denn Kuroo triezte ihn ungehalten damit zu essen. Kenma hat an diesem Tag aber so viel gesehen, dass er am Ende seiner Schicht nicht sicher war, ob er auch wirklich alles richtig mitbekommen hat.
 

Da war Kawanishi, der Nishinoya einen unheimlich coolen Auftritt ermöglicht hat, der erst so wirkte, als wäre seine gesamte linke Seite in Mitleidenschaft getragen worden, die einfach nur behandelt und viel genäht werden musste. Allerdings stellte sich später heraus, dass sämtliche seiner Organe zu versagen drohten, deswegen war es Dr. Ukai ein so dringliches Anliegen, ihn an die erste Stelle der Transplantatsliste zu bringen. Das gelang auch und sobald Kawanishi in einem stabilen Koma lag, würden morgen früh die Transplantatsspezialisten ran müssen. Yachi war außer sich. Sie hat beim Essen erzählt, wie Kawanishi sie nach seinem Ohnmachtsanfall um einen Tanz gebeten hat. Nach ihrer Zusatze wurde er dem künstlichen Tiefschlaf übergeben.
 

„Ich kann doch nicht nein sagen“, hat sie mit schwacher Stimme gesagt. Sie war noch immer vollkommen weggetreten, wie auch Yamaguchi, der wie versteinert vor seinen Fritten saß. Keine besonders ausgewogene Ernährung, aber Kenma war der Letzte, der darüber urteilen würde. Tsukishima hat sich über Dr. Tendou ausgelassen, der viel zu riskant arbeitete. „Von wegen Intuition, der ist vollkommen außer Kontrolle“, hat er gesagt, hat aber auch zugeben müssen, dass sie dadurch den Patienten retten konnten.
 

Später erfuhren die Ärzte auch, wie sich der Unfall zugetragen haben soll:
 

Ein Bus fuhr einen kurzen Teil seiner Linienstrecke zum Flughafen auf der Autobahn. Ein PKW, darin saß Kawanishi mit seinen Eltern und seiner Schwester, hat den Bus überholt, ein Motorrad, gesteuert von Kaede Sato, überholte den PWK, vor dem PKW bremste ein anderer, Kawanishis Vater riss das Steuer zur Seite und erfasste das Motorrad, durch den Rückprall verschlug es den Wagen, der so direkt vor den Bus kam, der wegen einer kleinen Explosion eines Verdampfers langsamer wurde. Der Busfahrer war abgelenkt. Der Bus rammte den PKW. Der PKW erfasste die Leitplanke, die fädelte ein und hatte die gesamte Familie auf dem Gewissen. Fast die gesamte. Denn Kawanishi lag gerade als einziger Überlebender aus dem PKW auf der Intensivstation im Koma und kämpfte um sein Leben.

Der zweite PKW, eine Mercedes S-Klasse, hat gebremst, weil der Fahrer einen Streit mit seiner Beifahrerin ausgefochten hat und wich dem Schrecken, der dem Bus und PKW Zusammenstoß gefolgt war nach links aus, wo die Motorradfahrerin ihr Gefährt gerade noch so in den Griff bekommen hat um der Überholspur nicht zum Opfer zu fallen. Der nächste Zusammenprall. Den Insassen in der S-Klasse ist nichts passiert. Ein paar Schrammen, die schnell versorgt waren, aber Kaede lag Stunden lang auf dem OP-Tisch von Dr. Ushijima. Der Bus hat ebenso die Leitplanke erwischt. Der Fahrer und die Fahrgäste aus den ersten Reihen hatten keine Chance. Nishinoya saß nicht unweit von der kleinen Explosion am Weg zum Flughafen, das Ziel hat er nicht verraten, weil es nicht mehr von Bedeutung war.


 

Nishinoya stand nach dem ganzen Trubel in kesser Haltung ans Schwesternpult gelehnt und erzählte Asahi haargenau und sehr lebhaft, was alles passiert war. Asahi war aufgelöst, vor Sorge und Entsetzen. Seine Augen weiteten sich von Mal zu Mal mehr. Kenma hat aufgehört mitzuzählen, wie oft sich der Pfleger an die Brust gefasst oder sich die Hand vor den Mund geschlagen hat. Aber Asahi war mitgerissen, sehr sogar, selbst seine gesunde Hautfarbe hat es erwischt, denn er war kreidebleich.
 

„War ein turbulenter Tag, hm?“, fragte Akaashi sanft und nahm Kenma im Vorbeigehen mit zum Umkleideraum. Eigentlich wollte Kenma noch gar nicht gehen. Nicht etwa, weil er hier noch weiter die Folgen dieses Unfalles verfolgen wollte, aber weil er genau wusste, dass es in der Garderobe laut war. Und wie laut es war. Jeder der Assistenzärzte erzählte lauthals was er erlebt hat. Tsukishima hatte sich mit Kageyama in den Haaren, wegen was Belanglosem, Shirabu stocherte, mit nicht weniger Belanglosem nach. Yachi saß schweigend daneben. Ihr Blick war starr auf ihre Hände gerichtet, die zitterten. Kenma setzte sich neben sie. Er fragte nicht nach, sie sprach dennoch.
 

„Er hat niemanden mehr…“, flüsterte sie den Tränen nahe oder war sie bereits am Ende ihrer Tränen? Yachis Augen waren ganz verquollen, rot vom Weinen gar. „Aber dank dir und Dr. Komori hat er eine Chance, sich ein eigenes Leben aufzubauen“, sagte Akaashi, der für solche Situation weit mehr Einfühlvermögen hatte als Kenma, der bereits angesetzt hatte, aber nur sagen wollte „Er weiß das noch gar nicht“ Zum Glück hielt er sich zurück. Er duckte sich unter dem Geplänkel hinweg, zog sich um und entzog sich dem Lärm zurück durchs Krankenhaus beim Hauptausgang hinaus zur Bushaltestelle. Er wartete nicht auf Kuroo, tat er nie, entweder wartete der Ältere auf ihn oder sie trafen sich später zuhause.
 

Und als Kenma bei der Haltestelle ankam, traf er ganz überrascht auf Terushima und erkannte, was er bisweilen übersehen hat. Der vorlaute Assistenzarzt war ruhig geworden und irgendwann aus Kenmas Beobachtungsfeld verschwunden.
 

„Hat man dir den Führerschein wegen unverantwortlichem Fahren abgenommen?“, fragte er und setzte sich damit neben ihn.
 

„Die Motorradfahrerin wird nie wieder laufen können“, sagte Terushima leise.

Wake Up

Schlafen. Es gibt zwei Seiten des Schlafs. Die erste, das ist der Beginn und dichtet das Einschlafen. Mal dauert es länger, mal geht es schneller, glauben wir, aber in Wirklichkeit dauert es immer gleich lang bis das menschliche Bewusstsein dem Schlaf überführt wird. Was wir als einen längeren Zeitraum vermuten, ist das nicht loslassen wollen des Bewusstseins. Es müssen noch Dinge zu Ende gedacht werden. Der Körper muss noch etwas verarbeiten, bis er ruhen kann und das Hirn den Tag aufarbeiten kann.
 

Die zweite Seite ist das Ende, das Aufwachen, wieder eine Bewusstseinsänderung. Das Endschlafen, nicht mehr schlafen. Dabei haben wir auch manchmal, das Gefühl, dass es länger dauert. Wie sagt man manchmal „Heute werde ich nicht so richtig wach“, aber wach sind wir ab dem Moment des Alarmtons, des liebevollen Weckruf der Mutter oder des aus dem Bett reißen eines Geräusches in unserer Wohnung, das da nicht hingehört. Davor haben wir geträumt, oder nicht – würden wir sagen. Tatsächlich träumen wir immer. Unsere Träume verarbeiten das Geschehene, unsere Wünsche und Ängste, unsere Erfahrungen und Befürchtungen. Was wir vergessen, woran wir uns erinnern. Wir können von Gerüchen träumen, ohne zu riechen oder Farben schmecken, die es gar nicht gibt. Im Traum ist alles möglich. Solange, bis es nicht mehr möglich ist. Bis der Traum zu Ende ist und…
 

***
 

Der Alarmton, der Kenmas Nachtruhe störte, war ein Nebengeräusch wie eh und je und mit Leichtigkeit verstummt. Die Nacht war kurz, wie so oft. „Nur noch ein bisschen“, sagte er sich selbst und schmiegte sich in den weichen Polster. Es war nicht so, dass er es besonders schön im Bett fand oder den Drang hatte, mit der weichen Garnitur zu kuscheln. Was ihn gerade, wie auch sonst, vom Aufstehen hinderte, waren die unsichtbaren Fänge der Bequemlichkeit. Kenma schlief nicht viel. Hat er noch nie. Er fühlte sich auch nie so, als bräuchte er mehr, ein paar Stunden reichten vollkommen aus. Sein Kopf war beim Alarmton auch immerzu hellwach, doch diesen Elan, wie ihn Kuroo zum Beispiel hatte, direkt aus dem Bett und unter eine kalte Dusche zu springen, hatte er nicht. Einmal hat er es auch versucht. Er war kreischend zusammen gefahren und hat Kuroo damit einen so großen Schrecken eingejagt, dass ihm dieser schwor, er würde ihn sein Leben lang mit einem Kaffee am Bett wecken, so lange bis Kenma jemanden findet, der es an seiner statt tun würde.
 

So war es auch an diesem Morgen. Kenma ruhte seine Augen aus während er das Prasseln der kalten Dusche hören konnte. Allein der Gedanke an das eiskalte Wasser ließ ihm einen unangenehmen Schauer über den Rücken laufen. Er krümmte sich im Bett zusammen, die wohlige Wärme über sich schmiegen zu lassen.

Das nächste Mal, als er die Augen öffnete, tat er das nicht wegen eines Alarms, sondern weil der angenehme Geruch von Kaffee an ihn herandrang. Das nervige Geräusch der Maschine hat er gar nicht gehört. „Mhhh“, machte er und rieb sich beim Aufrichten über die Augen. Die Decke wurde abgestreift und Kuroo bekam Aussicht auf das Shirt, das Kenma gestern nach dem Dienst übergezogen hat.
 

„Heute wollen sie Bokuto holen“, sagte er. Die Tasse Kaffee wurde übergeben. Für Kuroo und Kenma war es normal, dass der ältere einfach ins Zimmer kam.

Kenma nickte und nahm den ersten wohltuenden Schluck. Kuroo machte ihn eigentlich genau so, wie Kenma ihn mochte. Kein Zucker, ein kleiner Schuss Milch. “Wie bitter“, hat er damals gesagt. “Wie das Abbild meiner Seele“, war die spottende Erwiderung.
 

Was Kuroo eben gesagt hat, kam erst nach dem dritten Schluck richtig bei Kenma an, davor fragte er sich, was heute anders war. Bokuto holen… Sie würden ihn also wecken, die Regenerationsphase nach der Operation war abgeschlossen, ab jetzt würde er sich den Schmerzen stellen müssen, die man nach so einem Eingriff hatte, er würde Schmerzmittel einnehmen müssen, anders als jetzt, wo er sie mit der Infusion bekam.
 

„Was ist anders?“, fragte Kenma. Kuroo schüttelte amüsiert den Kopf. „Bist du gar nicht aufgeregt? Wie es Bokuto gehen könnte?“ Das Thema wurde umgelenkt. Warum?

Kenma zog skeptisch die Augenbrauen hoch. „Ich kenn ihn kaum, also?“ Er hob die Tasse höher und maß Kuroo eines unausweichlichen Blickes.

„Jaja, schon klar, du hast keine Bindung zu ihm, wie ich“, gluckste Kuroo, der sich mit dem Patienten bereits viel zu gut verstand. So viel zu “gut, dass du nicht zu involviert bist“ und “Man weiß nie, was passiert“. Kenma wartete ab. „Oder Akaashi“, kam Kuroo einfach nicht auf den Punkt und wackelte lieber mit den Augenbrauen, als dass er verriet, welch Schandtat mit dem Kaffee getrieben wurde.

„Okay“, sagte Kenma, stellte die Tasse auf sein Nachtkästchen, stand etwas wackelig auf aber ging tapfer ins Badezimmer. Kuroo blieb noch einen Moment im Zimmer zurück.
 

„Ich muss heute früher weg, geh nicht wieder ins Bett!“, wurde Kenma später durch die geschlossene Badezimmertür informiert. Das warme Wasser lief dabei bereits über Kenmas Haut und ließ ihn wohlig seufzten. Durch Kuroo hat er sich angewöhnt, morgens zu duschen. Auch zu duschen. Denn er duschte ebenso, wenn er vom Dienst nach Hause kam. Es war wie das Abwaschen der Geschehnisse des Tages. Deswegen stand er am vergangenen Abend besonders lange in der kleinen Kabine. Das Wasser hat ihm die Haare direkt in die Sicht gespült, aber er hat sowieso nicht gesehen, wie die Wassertropfen vor ihm über die weißen Fließen zu Bahnen gen Boden liefen.

Die Dusche nach dem wilden Tag in und nach der Notaufnahme hat ihn lange verarbeiten lassen, was er gesehen hat. So viel Blut, wie sie bereits gewarnt wurden, so viel Leid, es war laut gewesen und Kenma hatte das Gefühl, er würde Fieber bekommen. Kuroo hat ihm etwas zu essen hingestellt und darauf bestanden, dass er es auch isst. Ob er bereits geahnt hat, dass Kenma die ganze Aufregung zu schaffen gemacht hat?
 

Nach seiner kurzen Morgendusche stand Kenma in frischer Kleidung vor dem Kühlschrank und erkannte darin das Kräuel, das mit seinem Kaffee angerichtet wurde. Hafermilch. Kuroo hat also eine Veganerin kennengelernt. „Toll“, seufzte er, schlug die Kühlschranktür wieder zu und erkannte, dass es plötzlich auch mehr Sinn machte, dass sein gestriger Teller ausschließlich mit gedünstetem Gemüse belegt war. Die Schüssel Reis gabs fast immer.
 

Der nächste unerfreuliche Moment baute sich schon direkt am Weg zum Bus auf. Kenma konnte es kaum nennen, aber es fühlte sich ein bisschen wie eine Vorahnung an. Unheil. Nicht gut. Mit jedem Schritt schien er einer unaufhaltsamen Katastrophe näher zu kommen, dass er sich die Frage stellte, ob ein Umdrehen und zuhause bleiben vielleicht gar nicht so unangebracht gewesen wäre. Es ging ihm ja auch nicht richtig gut. Aber dann hätte er direkt liegen bleiben müssen. Hätte er nun Halt gemacht und wäre umgedreht, die Prozedur des Aufstehens wäre ganz umsonst gewesen. Also stellte er sich seinem Schicksal.
 

„Dr. Model~“, offenbarte sich seine Vorahnung im Bus. „Terushima“. Er seufzte und setzte sich entgegen des energischen Winkens nicht neben ihn, sondern in die Nähe des Ausganges. Eine weitere Vorahnung, die er just mit dem Hinsetzen hatte, erfüllte sich direkt darauf. Terushima war aufgesprungen und kam zu ihm.
 

„Ich find‘s richtig toll, dass wir jetzt zusammen Bus fahren“, sagte er. „Ich nicht“, antwortete Kenma bereits genervt. „Wo ist denn Dr. Hahnenkamm? Seid ihr nicht sowas wie best Buddys oder so? Ihr wohnt doch auch zusammen, habt ihr noch Platz? Meine WG löst sich auf… Mein Mitbewohner hat sein Jura-Studium abgeschlossen und geht weg, allein kann ich mir das nicht mehr leisten und such jetzt ab nächsten Monat was Neues“, plapperte Terushima munter drauf los. Kenma konnte dem Rande des Wahnsinns nicht näher kommen. Er lehnte seinen Kopf an den Vordersitz, schloss die Augen und mühte sich einer ruhigen Atmung.
 

„Erstens… Kuro ist nicht mein Buddy, er ist mein bester Freund. Seit immer… und zweitens“, begann er und richtete sich nun wieder mit einem sehr ernsten und vernichtenden Blick auf. „Warum um alles in der Welt sollten wir dich bei uns wohnen lassen?“, fragte er ihn entgeistert. Ja, sie hatten tatsächlich noch ein Zimmer in ihrer WG frei, aber Kuroo hat sich nie um eine dritte Person bemüht, weil er wusste, dass es Kenma nicht gefallen würde. Somit gefiel Kenma auch die Frage nicht, die Terushima da stellte und ihm gefiel dieses Geplaudere in aller Früh nicht. Kuroo kannte seinen Platz, er wusste, wie viel Kenma des Morgens sprechen und aufnehmen wollte. Von Können war keine Rede. Kenma hat genau wahrgenommen, wie aufgeregt Kuroo wegen Bokuto war und dass er vermutlich deswegen früher los wollte – Hoffentlich ja nicht wegen der Veganerin, die der Grund für die Hafermilch im Kühlschrank war.
 

„Okay, okay, ich merk schon, du bist kein Morgenmensch, wir reden einfach später darüber“, sagte Terushima und klopfte Kenma mit der Hand auf die Schulter. Kenma sehnte sich bereits jetzt nach dem Ende der Schicht, denn so wie dieser Tag anfing, konnte es nicht besser werden.

Was ihn aber am Kiosk am Weg zum Krankenhaus erreichte, schockierte ihn auf eine ganz besondere Weise.
 

„Laktosefrei, Hafermilch, wenn Sie haben“
 

Vor ihm und – zu seinem Leittragen – Terushima stand Dr. Suna und bestellte sich gerade Kaffee. Mit Hafermilch. Seine Körperhaltung drückte aus, dass er nicht angesprochen werden wollte, immer eigentlich und Kenma hätte es auch nie gewagt, dennoch schlug ihm das Kinn fast zu Boden. Terushima rempelte ihn mit einem wissenden Blick. „Na? Nach Dr. McArrogant jetzt die Herzchen für Dr. DamnHot?“, fragte er. Zur Antwort bekam er sofort den Ellenbogen in die Seite gestoßen. „Halt die Klappe oder er hört uns“, zischte er und schliff Terushima am Ärmel schleunigst weiter. Es war ja nicht auszudenken, der Herzspezialist würde bemerken, dass sie über ihn redeten.
 

„Also ist was vorgefallen, dass du die Flucht so ergreifst? Dachte nicht, dass du so umtriebig bist, naja, mit so einem hübschen Gesicht, ich würde dir ja auch mein Bett anbieten, wen-“ der nächste Stoß mit dem Ellenbogen folgte.

„Sag mal, hast du sie noch alle?“, fragte Kenma und schubste Terushima nun auch noch. Sowas musste er sich doch nicht anhören. Seine Augen zogen sich zu bedrohlichen Schlitzen zusammen, seine Lippen bildeten eine wütende Schnute und seine Augenbrauen richteten über Terushima.

„Nur weil du nicht mehr als deine Libido im Kopf hast, heißt das nicht, dass alle anderen Menschen auch notgeil durch die Gegend laufen!“, knurrte er ihn an und gab ihm noch einen Schubser mit. Kenma drehte sich um ehe Terushima etwas erwidern konnte und stapfte davon und über den restlichen Parkplatz ins Krankenhaus. Was allerdings nicht daran hinderte, ihm nachzulaufen und sich zu verteidigen.

„Ich bin nicht notgeil! Aber gewisse Vibes spürt doch jeder. Sorry, Dude, dann treibst du dich wohl nicht rum. Aber Single bist du schon oder?“, fragte er. Kenma blieb stehen. Sein Blick hatte sich eigentlich gerade beruhigt, doch wurde nun von einer kleinen Welle Unverständnis heimgesucht.

„Dude? Nein! Sicher nicht! Single? Geht dich das was an? Ich glaube nicht. Aber wenn dich das beruhigt, für mich gibt es niemanden“, sagte Kenma, drückte beim Lift angekommen den Kopf zum Türöffnen und setzte zum Einsteigen an, ließ Terushima aber den Vortritt und machte den Schritt wieder zurück. Er zeigte seinem Kollegen den Mittelfinger.
 

„Ich mag dich, ehrlich!“, lachte Terushima im Lift während die Tür zu ging und war dahin. Kenma atmete erleichtert auf. Für einen Augenblick wollte er seine Ruhe genießen, ehe er gleich in die Garderobe musste, sich mit dem wilden Rudel für die Schicht zu wappnen.
 

Ruhe genießen. Unmöglich. Was hätte er für eine einsame Liftfahrt mit Dr. Sakusa gegeben, in der man sich einfach nur anschwieg? Stattdessen kam Kuroo aus der Richtung des Haupteinganges angelaufen. In der Hand hatte er einen Becher mit der Aufschrift, des Kiosks, wo er Dr. Suna vorhin gesehen hat.

„Lass uns gleich zu Bokuto gehen, ja?“, gab es keine Chance auf die Situation einzugehen. Kenma wollte es auch gar nicht. Das wäre unangenehm gewesen und er wusste, dass Kuroo das auch wissen musste, also ahnte er, dass er es auch nicht ansprechen würde. Tat er auch wirklich nicht. Nicht während der Liftfahrt, nicht beim Umziehen und nicht am Weg zur Intensivstation.
 

Vor dieser trafen sie auf Akaashi, der bereits in ein Gespräch mit Dr. Suna vertieft war. Der Kaffeebecher ruhte noch in dessen Hand, wartete darauf, geleert zu werden. „Werte Kollegen“, sagte Kuroo mit einem Schneid auf den Lippen, wie Kenma ihn schon so häufig erlebt hat. Dr. Sunas Blick zu ihnen zurück wanderte zu Kuroos Hand, die den Pappbecher nach dem letzten Schluck im Mülleimer vor der verglasten Tür warf, dann trafen sich die Blicke der beiden Älteren. Kenma sah zu Akaashi und vermittelte ihm Unbehagen. Akaashis linke Augenbraue zuckte knapp, dann besah er die Szene ebenso.
 

„Schlaflose Nacht?“, fragte Kuroo kess, als auch Dr. Suna seinen Becher entsorgte. „Ich wüsste nicht, was Sie das anginge“, antwortete dieser mit scharfem Unterton, dem sich sogar Kuroo mit eingeschüchtertem Blick abwandte. Dr. Suna entnahm sich aus dem Spender ein Paar Handschuhe, zog sie auf und ging weiter indem er mit dem Handgelenk den Türöffner betätigte. Die drei Assistenzärzte machten ihm das mit den Handschuhen gleich und folgten zu Bokutos Krankenbett.

So friedlich wurde Kenma die Umgebung wieder bewusst. Aber nicht nur Bokuto lag hier. Etwas weiter von ihm entfernt lag Keade, die Motorradfahrerin vom gestrigen Verkehrsunfall. Nach der Operation, die Dr. Ushijima geleitet hat, musste sie die Nacht auf der Intensivstation verbringen, bestimmt noch eine weitere, denn der Eingriff war kein Einfacher und selbst, wenn der Oberarzt alles in seiner Macht stehende getan hat, war es ihm nicht möglich, ihre Beine zu retten. Leblos, nur durchblutet würde sie sie mit sich führen, aber Kaede würde ihr Leben lang an den Rollstuhl gebunden sein, würde sich nicht ein Wunder der Medizintechnik auftun, das zertrümmerte Knochen heilte und Nerven neu formte und Muskeln reparierte.
 

„Dr. Akaashi, darf ich bitten?“ Kenma sah von Kaede ab und beobachtete wie Akaashi unter Anweisung die Vorbereitungen machte, Bokuto aus dem Tiefschlaf zu holen, natürlich nicht ohne davor noch alles akribisch zu erklären und es sich bestätigen zu lassen. Viel war noch nicht zu tun, die Medikamente, die durch die Infusion verabreicht wurden, wurden nun vom Tropf genommen, der Tubus kontrolliert und schließlich mussten sie warten bis Bokutos Körper die letzte Dosis verarbeitet hat. Irgendwann würde die selbstständige Atmung wieder einsetzen und der Tubus müsste entfernt werden.

„Gut, Sie sind heute mit der regelmäßigen Kontrolle beauftragt. Pagen Sie mich sofort an, wenn er aufwacht“, sagte Dr. Suna und ließ Akaashi noch den Zustand des Patienten zusammenfassen. Alles war den Umständen entsprechend in bester Ordnung. Kenma spürte, dass er erleichtert war. Kuroo stand mit einem breiten zufriedenen Grinsen neben ihm, hatte die Hände in die Hüfte gestemmt und nickte.

„Gut gemacht, Akaashi“, sagte er.
 

„Dr. Suna? Ich wollte Sie noch etwas fragen“, wandte er sich aber rasch an den Oberarzt, der bereits gehen wollte. Wieder bekam Kuroo einen urteilenden Blick, Kenma wollte flüchten. Musste er sich wirklich hier vor ihm ein Stelldichein ausmachen?
 

„Es geht um eine Patientin auf der Pädiatrie“, sagte Kuroo, er wies Dr. Suna, dass sie dabei gerne gehen konnten, was sie auch taten. An der Tür tauschten sie mit Dr. Iwaizumi, Shirabu und Terushima ab.

Dr. Iwaizumi ging zielstrebig auf Kaedes Bett zu. Shirabu folgte ebenso fokussiert nach, nur Terushima tanzte wieder aus der Reihe. „Ist Bo-Bro schon wach?“, fragte er aufgeregt. Kenma und Akaashi verdrehten im Gleichgang die Augen.

„Bist du gefälligst leise“, zischte Iwaizumi. Er hatte ja jetzt schon genug von diesem ungestümen Jungarzt. „Sorry“, flüsterte Terushima, aber deutete fragend zu Bokuto. „Wir haben gerade die Medikamente abgesetzt, er wird erst in den nächsten Stunden vielleicht sogar erst Tagen aufwachen“, sagte Akaashi ruhig und ging nachdem er vom Monitor noch ein paar Einstellungen in die Patientenakte übernommen hat. Kenma blieb noch ein wenig um die Ruhe in sich aufzunehmen.
 

Terushimas Aufruf zuvor hat bewirkt, dass Kaede nun blinzelte. Iwaizumi reagierte schnell und stellte sich mit einem entspannten Blick in das Sichtfeld der Patientin.

„Ihr Beide? Diesmal hört ihr zu, das nächste Mal macht ihr das selbst“, sagte er zu den beiden Assistsenzärzten, sie nickten, Terushima setzte zu einer laut vermuteten Antwort an, doch Shirabu stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Seite, dies zu verhindern. „Kay, kay“ er würde ja ruhig sein.
 

Iwaizumi gewahr Kaede einen Moment, aufzuwachen, sich zu sammeln und im Hier und Jetzt anzukommen, dann sprach er sie an.

„Guten Morgen, ich bin Dr. Iwaizumi, das sind Dr. Shirabu und Dr. Terushima. Sie sind im Haikyuu Medical Hospital, können Sie sich an etwas erinnern? Wissen Sie, wer Sie sind?“, fragte er. Shirabu beobachtete die Situation aufmerksam, Terushima presste die Lippen zusammen. Kenma stand etwas abseits und blieb still. Kaede blinzelte erneut. Iwaizumis Blick wurde besorgter, doch dann begann sie zu sprechen.
 

„Kaede, Sato Kaede ist mein Name, aber nennen Sie mich bitte nur Kaede… und ich… kann mich an… an einen Unfall erinnern, auf der Autobahn und… oh Fuck! Dieser scheiß Mercedes!“, kam sie direkt zu Sinnen und fluchte sofort, was Iwaizumi verblüffte. Terushima rempelte nun Shirabu an. „Die gefällt mir“, sagte er. Kenma musste gar nicht sehen, dass Shirabu die Augen rollte.
 

„Ja, sehr gut… also nicht sehr gut wegen dem Unfall, aber, dass Sie sich korrekt erinnern… nur Kaede“, fand Iwairzumi wieder zur Sprache und war sogar für einen kleinen Witz zu haben. Kaede schmunzelte. Iwaizumi sprach weiter. „Wir mussten Sie notoperieren“ Von Kaede kam ein abwartendes „Mhm“. Eine Erklärung folgte. Ihre Beine wurden regelrecht zertrümmert, Sehnen und Nervenstränge, auch welche im Rückenmark, beschädigt, Muskel zerrissen. Es glich einem Wunder, dass der Oberarzt und Iwaizumi während einer stundenlangen Operation dafür sorgen konnten, dass Kaede noch ganz war, wenngleich nicht mit allen Funktionen und in massig Gips gehüllt, die Schrammen auf ihrem ganzen Körper glichen einem Tropfen Wasser auf heißem Stein.
 

„Und warum schauen Sie so besorgt“, wollte die Patientin wissen. In ihren hübschen grünen Augen war nicht das zu erkennen, was man von jemanden erwartet hätte, der gerade erfuhr, dass die Hälfte des Körpers durch etliche Nägel und Schrauben zusammengehalten wurde und eigentlich keinen Nutzen mehr hatte. Kenma fragte sich, ob das eine normale Reaktion war oder ob das noch eine Nachwirkung der Narkose sein konnte.
 

„Das bedeutet, dass Sie Ihre Beine nie wieder bewegen können, sie werden auf einen Rollstuhl und ständige Hilfe angewiesen sein, Ihr Leben lang“, sagte Iwaizumi ernst und sah Kaede eindringlich an. Auch Terushima und Shirabu unterstrichen ihr mit unterschiedlichen Blicken die Schwere der Situation. Terushima zeigte Mitleid, Shirabu vermittelte bereits, dass eine Menge Arbeit auf sie zukommen würde, ihr Leben umzustellen. Die Stimmung in der Station hing am seidenen Faden und war zugleich zum Zerschneiden dick.

Kaede sah zu ihren Füßen hinunter. „Hmm..“, machte sie und seufzte. Iwaizumi legte seine Hand an ihre Schulter, sie zu trösten, wollte ihr gerade aufmunternde Worte sagen, ließ sich aber noch einmal von ihr überraschen.
 

„Das ist schon ziemlich scheiße“, sagte sie. „Voll Scheiße“, bestätigte Terushima. Kenma schüttelte den Kopf. Dieser Kerl hatte echt kein Feingefühl. Er wusste zwar von sich selbst, dass er auch keines hatte, deswegen sagte er lieber nichts. Er beobachtete stattdessen weiter von Bokutos Bett aus, wie Iwaizumi sein Beileid aussprechen wollte. Aber Kaede ließ ihn wieder nicht recht zu den Worten kommen. „Naja, besser als abkratzen oder?“, fragte sie. Sie hob den Kopf, sah von einem zustimmenden Terushima zu einem etwas perplexen Shirabu und einem nicht weniger irritierten Iwaizumi.

Kaede schloss für einen Moment die Augen aber lächelte mild. „Wissen Sie Dr. Iwaizumi, ich kann mich richtig gut an den Unfall erinnern. Man sagt doch immer, dass kurz vor dem Tod das ganze Leben an einem vorbezieht wie ein Film. Ich hab es gesehen. Ich hab mein ganzes Leben gesehen, alles, was ich liebe und alles, was ich bereue. Ich hab eigentlich Frieden geschlossen. Und verstehen Sie mich nicht falsch, auch wenn Sie wirklich gut aussehen, aber Sie sind kein Engel und darüber bin ich gerade wahnsinnig froh. Ich lebe. Und dafür bin Ich Ihnen sehr dankbar, Dr. Iwaizumi … und Dr. Shirabu war das? Und Dr. Teru-?“ Kaede stockte und sah von einem Arzt um ihr Bett zum Anderen.
 

„Dr. Terushima Yuuji, Teru tuts aber auch“, sagte Terushima "Dr. Vollidiot wäre passender", zischte Shirabu und Kenma ertappte sich eines amüsierten Lautes. Terushima verzog das Gesicht, aber Shirabu sprach weiter: „Dr. Ushijima hat Ihre Operation geleitet, Dr. Iwaizumi hat einen großen Anteil dazu beigetragen, dass Sie jetzt noch sitzen und mit uns sprechen können, ich… wir haben assistiert.“ Kaede nickte anerkennend.

„Dann danke ich für Ihre Unterstützung und Dr. Iwaizumi, danke, dass Sie mich soweit zusammengeflickt haben und dass ich Ihnen nun in die Augen sehen kann und nicht in die eines Engels“ Ihr Blick fand Iwaizumi und ließ ihn hadern. Ihr sanftes freundliches Lächeln stieß schließlich ein ungewohnt unruhiges Gerede des Stationsarztes los.

„Oh… natürlich, das ist unser Job. Also nicht das in die Augen sehen, schon auch, natürlich sehen wir unseren Patienten in die Augen und auch Operationen am Sehapparat führen wir durch, aber nicht ich und auch die beiden hier nicht, noch nicht zumindest, das kommt auf deren Spezialisierung an“ Kaede begann zu kichern. Kenma sah Iwaizumi im Rücken schon an, dass er sich am liebsten die Haare raufen würde, da wurde es ihm auch schon zu bunt und er ließ die vier lieber erst einmal unter sich. Das war ja kaum mitanzusehen. Dr. Iwaizumi machte immer einen so beherrschten Eindruck. Ob es daran lag, dass ihn diese Frau durch die Blume mit einem Engel verglich? Mehrmals? Kenma hätte ihr das wohl gleich abgewöhnt.

Engel.

So einen hatte er selbst als nächstes auf seiner Liste.
 

Der nächste Raum, den er betrat, war ein privates Krankenzimmer. Es war still. Unangenehm, denn er dachte, der Patient würde schlafen und er müsse ihn wecken. Als er aber um die Ecke schritt und zum Bett kam, saß Iizuna mit verschränkten Beinen und der Decke über den Schultern dort, seine Ellenbogen hatte er an den Knien angelehnt und in den Händen hielt er sein Smartphone. Die Finger wischten koordiniert über das Display, seine Augen fixierten konzentriert die Anzeige, als wäre er komplett versunken. In was auch immer. Kenma kam leise noch einen Schritt näher, wollte gerade auf sich aufmerksam machen, da zogen sich Iizunas Lippen schon zu diesem engelsgleichen Lächeln hoch.

Ja… Kenma dachte zwar, Dr. Iwaizumi würde sich zum Affen machen, für einen Moment zumindest, aber er spürte, hätte er selbst mehr Temperament, er würde dasselbe tun.
 

„Worin würden Sie investieren, wenn Sie zu viel Geld hätten, Dr. Kozume?“, fragte Iizuna und überraschte Kenma. Er fragte sich, wie er nur an den Schritten erkannt wurde, aber auch ob er etwa der Grund für dieses schöne Lächeln war. Und war es schön oder war es durchtrieben, weil Iizuna bereits geahnt hat, dass er Kenma eiskalt erwischen würde? Aber Kenma war schlagfertig.
 

„Pharmazie und Technik“, sagte er. Iizuna verharrte in seiner Haltung.

„Welche Unternehmen?“, wollte er wissen. Kenma nannte Johnson&Johnson und Takeda als solide Partner, aber meinte, dass unbekanntere Firmen wie Astra Zeneca und vielleicht sogar Moderna einen Durchbruch schaffen könnten. Bei Technik nannte er die Bluechips Apple und Microsoft, damit, meinte er, konnte man nichts falsch machen.

„Aber Nintendo und Nvidia sind bestimmt auch nie verkehrt, mit wie viel Geld spekulieren Sie? Ich schätze, dass Sie auch mit einer Investition in Cannabis gut fahren könnten, aber dazu können Sie sich bestimmt auch in den nächsten Jahren noch entscheiden, bevor das wirklich durch die Decke bricht“, ging er weiter darauf ein. Iizunas Daumen schnellten über das Display, Kenma erkannte ein paar Charts, rote Zahlen und auch grüne, aber besonders gut konnte er das Geschehen nicht verfolgen, Iizuna war zu schnell und er zu weit weg.

„Okay“ Das Handy wurde weggelegt und Iizuna richtete sich auf. Sein Lächeln traf Kenma wieder mitten ins Herz.

„Was machen wir jetzt?“, wollte er wissen. „Sie gehen zum Ultraschall und dann zum CT“, antwortete Kenma in aller Ruhe. „Kommen Sie nicht mit?“ Iizuna ließ die Decke von seinen Schultern rutschen und hob die Beine elegant aus dem Bett. Kenma streifte der Gedanke, dass Kaede Sato das nicht mehr tun konnte, aber hing mit diesem Gedanken etwas zu lange auf Iizunas muskulösen Beinen. „Meine Augen sind hier oben“, sagte dieser nämlich frech. Kenma riss den Blick sofort ertappt hoch in die warmen rötlichen Augen. „Nein, ich gehe nicht mit“, sagte er. Er hat nur alles organisiert. Zum Händchenhalten war er nicht da. Aber das wusste Iizuna ja nicht, der soeben nach Kenmas Handgelenk griff.
 

„Und wenn ich bitte sage, weil mir alleine langweilig ist?“ Kenma sah auf sein Handgelenk und die langen schlanken Finger, die Druck darauf ausübten. Nicht fest. Lieblich gar. Ein Kribbeln. Nicht unangenehm. „Dann haben Sie Ihr Smartphone, aber das müssen Sie beim Ultraschall selbst und beim CT ablegen“, erklärte er und entzog sich der ungewohnten Berührung.

„Sagen Sie mir zumindest, wo ich hin muss?“ Iizuna stand auf. Er überragte Kenma um gut zehn Zentimeter. Das war nichts, womit man ihn hätte einschüchtern können, viele hier waren größer als er, nur niemand war so schön wie Iizuna.

„Okay“ Kenma nickte, ging voran und Iizuna folgte ihm.
 

„Sie reden nicht viel, nicht wahr?“, fragte Iizuna aufgeweckt. Kenma zuckte mit den Schultern. „Man muss nicht immer etwas sagen“, bekundete er seine Meinung. „Glauben Sie nicht, dass Sie es mal bereuen werden, etwas nicht gesagt zu haben?“ Kenma dachte für einen Moment darüber nach, schüttelte aber den Kopf. „Wenn ich es nicht sage, ist es nicht wichtig“ und davon war er überzeugt. Es war nicht wichtig, Iizuna zu sagen, dass ihn sein Lächeln aus dem Konzept brachte und dass er so etwas bei noch keinem anderen Menschen je zuvor erlebt hat. Er meinte zu wissen, dass es nichts brächte, wüsste der hübsche Mann davon. Denn für Kenma gab es keine Konsequenz daraus. Es wäre nur unangenehm. Und unangenehm mochte er nicht.
 

Iizuna gab das Fragespiel schließlich auch auf. Musste er, denn er war recht schnell in der Radiologie abgestellt. „Sie finden zurück“, sagte Kenma und ging, ohne ihn noch einmal anzusehen. Denn dann hätte er den Anflug eines sehnsüchtigen Blickes erkannt und wäre sich der Nichtkonsequenz vielleicht gar nicht mehr so sicher gewesen. Aber es gab kein Ansehen mehr. Stattdessen gab es weitere Aufgaben.

Patientenakten aufarbeiten, die Runde mit Dr. Komori, der auch Akaashi, Terushima und Yamaguchi wieder beiwohnten und auch das Mittagessen, das er mit Yamaguchi, Tsukishima und Yachi zu sich nahm. Yachi war dabei sehr abwesend, auch Yamaguchi schien der Unfall vom Vortag noch tief in Mark und Bein zu sitzen, dafür wurde Tsukishima ein paar garstige Worte los. Ihm schien hier kaum jemand in den Kram zu passen und irgendwie machte ihn das sympathisch, zumindest seine Einstellung. Kenma dachte wieder an Iizuna und was er über das Aussprechen von Gedanken gesagt und was Kenma abgeschmettert hat. Er befand sich in einer Zwickmühle. Einerseits fand er Tsukishima sympathisch, weil er so wenige der Ärzte hier mochte, besondere Zuwendung bekam an diesem Tag Kuroo, was Kenma sehr amüsierte, und das wüsste er nicht, würde Tsukishima den Mund darüber halten und andererseits fand er ihn anstrengend, weil er darüber sprach und nicht einfach Ruhe walten lassen konnte. Kenma seufzte. Er stand auf, nahm sein Tablett und brachte es weg.
 

„Es nervt mich, wenn Leute zu viel reden“, sagte er zurück bei Iizuna, weil er ihn nun zu seinem psychologischen Gutachten und zu einem verhaltenen „Oh“ brachte.

„Tut mir leid, ich wollte Sie nicht nerven“ Kenma hob beim Gehen den Kopf an und sah zu seinem Patienten. Sein Mund klappte zum Widersprechen auf, in Iizunas Augen war ein Funkeln zu erkennen, sein Mund klappte wieder zu. Kenma schwieg. Wieder fragte er sich, was es zur Sache tat, ob Iizuna nun wusste, dass er ihn nicht nervte. Für den Tag hätte er mit den nächsten Schritten seinen Kontakt zu ihm bereits abgeschlossen und nach der Operation würde Iizuna das Krankenhaus irgendwann wieder verlassen und Kenma würde ihn nicht mehr wiedersehen. Es war egal, wie sie zueinander standen. Kenma erkannte aber nun etwas anderes in Iizunas Gesicht. Bedauern. Er seufzte, denn das gefiel ihm nicht.
 

„Da vorne ist der Wartebereich, Sie sind schon angemeldet“, sagte er und deutete geradeaus. „Danke“, wurde knapp erwiedert.

„Iizuna?“ Kenma blieb stehen, auch Iizuna stoppte und drehte sich rasch um.

„Sie nerven mich nicht“, sagte er. Nun drehte er sich um, ließ seinen Patienten mit einem breiten Lächeln zurück und wusste, warum man manchmal doch etwas sagte.
 

Im Laufe des Nachmittages wurde ihm der Zustand des Schweigens aber immer dringlicher, dass er in seiner letzten Stunde die Intensivstation aufsuchte, mit Akaashi die Vitalwerte der Patienten zu kontrollieren. Auch Mai lag nach Dr. Meians Eingriff hier. Ihre Werte waren richtig gut, dass sie noch an diesem Tag auf die normale Station verlegt werden könnte. „Ein eigenes Zimmer, das wird schön, jeder Schritt hier reiß einen aus der Ruhe“, sagte sie und Kenma nickte er nur zustimmen zu. Wenn nur Schritte wären.

Bokuto war vor zwei Stunden aus seinem Tiefschlaf aufgewacht, Akaashi hat wie verlangt Dr. Suna angepaged und Bokuto wurde von der Maschine genommen. Künstliche Beatmung war nicht mehr notwendig, nur mehr die Überwachung vom Herzschlag blieb aufrecht. Das mit der Stimme hat etwas gedauert, bis sie von einem anfänglichen Krächzen zu einem erbärmlichen Hauchen wurde.
 

„Du hast mich Kotaro genannt“, sagte er nun gequält aber mit einem schelmischen Grinsen. Seine goldig glänzenden Augen fixierten Akaashi, den ein zarter Schimmer von roter Farbe um die Nase auflief. „Woher weißt du das?“, fragte er. Kenma fiel sofort die persönliche Anrede auf, aber nach so einem Erlebnis und dem Versprechen, das der schwarzhaarige Arzt gegeben hat, überraschte es ihn nicht sonderlich. Dennoch fand er es unangebracht. Bokuto war ihr Patient.

„Also stimmt es?“ Bokutos Gesichtsausdruck wechselte von tollkühn zu überglücklich. Akaashi zog die Augenbrauen hoch. „Ein Bluff“, meinte er, ihn durchschaut zu haben. Aber Bokuto verneinte. „Teruuji hats mir gesagt. Bist voll mein Held, du hast mein Leben gerettet“, wiederholte er, was Terushima vor einer Stunde hier herumposaunt hat.

Akaashi verzog das Gesicht. „So würde ich mich nicht bezeichnen“, sagte er und hinderte Bokuto daran, sich aufzurichten. Kenma verstand nicht, warum er sich immer wieder aufsetzen wollte, wo er doch in aller Ruhe liegen konnte. Gut, er hätte sich seine Konsole gewünscht in dieser Situation, er hätte dann Frieden gegeben. Er hätte sich bestimmt auch bei Akaashi bedankt, denn er fand ebenfalls, dass er Bokuto das Leben gerettet hat, aber dabei hätte er es belassen. Liegend.

Bokuto beließ es nicht dabei. „Aber ich lebe, weil du nicht aufgegeben hast“

„Dr. Suna hat die Reanimation abbrechen lassen“, sagte Akaashi nüchtern. Seine Hand verweilte auf Bokutos Schulter um ihn direkt wieder zurückzuhalten, wenn er sich verwehren wollte.

Dem aber stieg die Empörung ins Gesicht. „Warum wollte er mich umbringen?“, fragte er entsetzt. Kenma seufzte. „Er wollte Sie nicht umbringen, aber Sie waren tot“, sagte er. „Für einen kurzen Moment, klinisch tot“, ergänzte Akaashi schnell. Bokutos Augen weiteten sich und sein Grinsen wurde breiter.
 

„Und deine wunderschöne Stimme, die meinen Namen gesagt hat, hat mich wieder zum Leben erweckt“, Akaashis Finger schnellten hoch in sein Gesicht, er massierte sich die Schläfen und suchte nach Worten.
 

„Ach lass ihn doch in dem Glauben“, stöhnte Kenma angespannt und wollte gehen. Akaashi senkte die Hand wieder. „Bokuto-san…“ – „Kotaro! Du hast es versprochen!“ – „Kotaro, es ist wichtig, dass du dir Ruhe gönnst, du hattest eine anstrengende Operation am Herzen, wir haben das mit Dr. Suna bereits besprochen. Regeneration ist jetzt sehr wichtig“, wiederholte Akaashi nicht zum ersten Mal, so wie Bokuto mit dem Kopf mitwippte. „Für mich war es nicht anstrengend“, summte er. „Du hast geschlafen, dein Körper muss sich erholen“, warf Akaashi ein. Bokuto wollte nicht. Die Diskussion und Verhandlungen, wie Akaashi ihn dazu brachte, still zu halten und seinen Frieden zu geben, wollte sich Kenma nicht mehr anhören. Seine Schicht war vorbei, Akaashi sollte gerne alleine länger bleiben, wenn ihm dieser eine Patient so am Herzen lag.
 

Nicht nur Akaashi blieb länger. Beim Verlassen dieses Trakts kam Kenma auch bei dem Zimmer vorbei, wo Kawanishi in einem Einzelzimmer lag, weil sein Tiefschlaf nach dem Unfall länger geplant war. Er war Dr. Ukai Juniors Patient, dem Chefarzt der Unfallchirurgie. Kenma hat nur mitgehört, dass er weit oben auf der Liste für eine Spenderlunge stand.

Seine Lungen wurden so massiv gequetscht, dass sie ihren Dienst in den nächsten Wochen komplett aufgeben würden, wenn bis dahin nicht seine Leber und Nieren versagen würden. Er hat viel Blut verloren, es war ein Wunder, dass Nishinoya vor Ort war, denn hätte er nicht gehandelt, Kawanishi wäre noch am Unfallort verblutet und gestorben.

Yachi hat ihren Job auch gut gemacht, als der Patient in die Notaufnahme geschoben und behandelt wurde. Aber Yachi nahm ihren Job vielleicht ein wenig zu ernst, genauso wie Akaashi. Überstunden für die Patientenumsorge. Nichts, was Kenma tun würde.

Dennoch blieb er stehen und beobachtete Yachi für einen Augenblick.
 

„Dr. Romero ist einer der besten Transplantationsärzte im Land,. Das heißt, wenn wir bald eine Lunge bekommen, sind Sie in den besten Händen. Also… Sie sind jetzt schon in den besten Händen, wir passen sehr gut auf Sie auf…“, sagte Yachi. Sie gähnte. Kenma wunderte sich etwas darüber, sie hatten eigentlich eine normale Schicht. Er wusste nicht, dass Yachi seit dem Unfall nicht zuhause war und nachdem die anderen Assistenzärzte die Garderoben und das Krankenhaus verlassen hatten, beim Vorbeigehen an diesem Zimmer zurück geblieben ist.

Kenma fragte auch nicht nach und ließ Blondine sitzen. „Ich passe auf Sie auf“, sagte sie. Ihr Kopf nickte weg und Kenma machte sich lieber auf den Weg nach Hause. Es war nicht seine Aufgabe, ihr nahezulegen, heim zu gehen, sich auszuruhen und sich abzulenken um für die kommende Schicht gewappnet zu sein. Sie gehörte auch nicht seinem Team an.

Terushima gehörte seinem Team an und der schoss auch ganz plötzlich um die Ecke.
 

„Jo, Dr. Model, Dude, nein nicht Dude! Magst du nicht, hab ich mir gemerkt. Gut nicht? Egal, wir können heute leider nicht über die WG reden, ich muss bei Kaede bleiben, sie weint und sie kann nicht sprechen und Dr. Iwaizumi ist in ner OP und Shirabu meint, dass das nicht seine Aufgabe ist, aber ich kann keine Frauen weinen sehen, Männer vermutlich auch nicht… hmm ja, vermutlich nicht, bitte weine nie vor mir okay?“, kam es einerseits sehr praktisch aus Terushimas Mund, dass sich Kenma mit diesem nicht weiter beschäftigen musste, der restliche Inhalt des Gesagten hätte ihn in keine wildere Achterbahn der Reaktionen führen können. Wie konnte man in einem Satz so viel Blödsinn verzapfen und trotzdem noch wichtige Fakten rüberbringen?
 

„Wow… kannst echt stolz auf dich sein“, sagte Kenma und meinte das nicht einmal irgendwie gehässig. Er war tatsächlich ein bisschen beeindruckt. Aber nur ein bisschen und auch nicht für lange Zeit. „Wir sehen uns dann morgen“, rief ihm Terushima ein paar Schritte weiter zu. Der Weg zur Intensivstation war bereits eingeschlagen und Kenma sah seiner Art zu gehen, regelrecht zu hetzen, an, dass ihm wirklich etwas an der Patientin lag. Ob es nur deswegen so war, weil sie eine Leidenschaft teilten, die Kaede nun nicht mehr erfüllen konnte und die Terushima gerade (wegen ihr) mied? Kenma fand es auf psychologischer Ebene gerade auch sehr interessant, was sich unter den Assistenzärzten gerade entwickelte. Vielleicht würde dieses erste Jahr, bis er eine Spezialisierung gewählt hätte, ja auch auf zwischenmenschlicher Basis interessant werden. Das hat er nämlich eigentlich nicht angenommen. Er war davon ausgegangen, dass sie still nebeneinander her konkurrierten und dass das die einzigen Anschlussstellen mit den anderen sein würden. Tja.
 

Zuhause angekommen musste er noch etwas anderes Zwischenmenschliches ansprechen und unterbinden, denn er war nicht gewillt, seinen Vorgesetzten eines Morgens nackt durch die Wohnung spazieren zu sehen. Somit nutzte Kenma den Moment, wo er Kuroo am direkten Weg durch die Küche über den Weg lief und sprach seine Vermutungen und Befürchtungen aus.
 

„Waaas?!“ Kuroo entgleiste das Gesicht, kurz darauf brach er in schallendes Gelächter aus. „Wie kommst du denn bitte darauf? Ich meine… ja gut, Dr. Suna sieht schon wahnsinnig gut aus, aber ganz ehrlich? Der Kerl ist sogar mir ne Nummer zu groß“, gluckste er. Kenma verzog das Gesicht. Alles, was er dachte, an zwischenmenschlicher Analyse gelernt zu haben, war falsch, umsonst.
 

„Arsch“, sagte er nur zu Kuroo und ging auf sein Zimmer. Die nächsten Stunden verbrachte er spielend an seiner Konsole. Die Gedanken rasten dabei. Sie rasten um die falsch interpretierten Vibes zwischen Kuroo und Dr. Suna, um Yachi, die bei Kawanishi eingenickt war und um Bokuto, der bei Gott nicht stillhalten wollte und der so vielleicht auch Akaashi schlaflose Nächte bereiten würde. Irgendwie verstand er ja, dass man sich um Bokuto sorgte. Er war wie ein kleines Kind im Körper eines Erwachsenen, er war naiv und sprudelte über vor Lebensfreude. Bokuto hatte eine ganz besondere Art, das Leben locker zu nehmen, obwohl er solch ein Handicap mit seinem Herzen hatte.
 

Es war ähnlich wie bei Kaede, die ihm diesbezüglich vielleicht sogar einen Floh ins Ohr gesetzt hat oder hat sie ihm sogar unbewusst ins Gewissen geredet? Die Motorradfahrerin hat Kenma beeindruckt wie sie Dr. Iwaizumi erklärt hat, dass sie dankbar dafür war, noch am Leben sein zu dürfen. Auch das verstand Kenma. Er hat einen kurzen Gedanken daran verloren, dass er die Funktion seiner Beine abgeben würde, nie aber die seiner Hände. Und dann drängte sich Iizuna auf. Sein Lächeln lenkte Kenma beim Spielen ab, es ließ ihn beim Zähneputzen seufzten und es hinderte ihn daran, einzuschlafen ohne selbst ein Lächeln über seine Lippen kommen zu lassen.

Kenmas Augen klappten zu, eine angenehme Wärme machte sich in seiner Brust breit und mit zuckenden Fingern entglitt er dem Schlaf und seinen Träumen, von denen er am nächsten Morgen nichts mehr wissen würde.

Perfection

Was ist schon perfekt? Gibt es einen perfekten Menschen? Den perfekten Partner oder die perfekten Eltern? Gibt es einen perfekten Schüler? Vielleicht, wenn er den perfekten Lehrer hat. Perfektion liegt aber auch im Auge des Betrachters. Es gibt einen perfekten Kreis, er ist computergezogen, doch Computer sind nicht perfekt, genauso wenig wie ihre Erschaffer und Programmierer. Aber Technik hilft uns, der Perfektion entgegen zu streben.

Viele würden den perfekten Moment ganz ohne Computerunterstützung beschreiben. Gemeinsam eine Sternschnuppe zu sehen zum Beispiel, ein Nordlicht gar. Eine grüne Welle im Straßenverkehr kann genauso perfekt sein, wie das Lächeln im Antlitz einer geliebten Person.
 

Das Perfekt ist aber auch eine Zeitform und bekundet die Vergangenheit. Etwas, das nicht mehr ist.
 

***
 

Für Kenma gab es morgens kürzlich drei Möglichkeiten, den Weg ins Krankenhaus zu beschreiten. Möglichkeit eins, die übliche Variante und im Bus auf Terushima treffen, der ihm übertragen ein Ohr abkaute, somit für die Zukunft eigentlich ausgeschlossen.

Möglichkeit zwei war früher aufzustehen, früher im Krankenhaus zu sein, früher zu arbeiten. Früher. Abgelehnt. Und die dritte Option war zu spät zu kommen. Das kam auch nicht in Frage, wenn man verantwortungsbewusst war. Er war auf den Bus angewiesen und somit Terushimas Gesellschaft zugepflichtet.
 

Kuroo hatte nicht immer dieselben Schichten wie er, außerdem ging er neuerlich oft früher weg. Kenma konnte sich ihm also selten anschließen und so saß er Tag ein Tag aus neben Terushima im Bus. Mal ignorierte er ihn gänzlich, Mal ging er sogar auf ihn ein, vorrangig, wenn es um ihre Arbeit ging oder darum, Terushima als Mitbewohner abzulehnen.

"Aber Ende des Monats wird kommen und dann steh ich alleine auf der Straße", lamentierte er beim Aussteigen. Kenma sah das nicht als sein Problem an, ganz im Gegenteil, sich darauf einzulassen würde sehr schnell sein Problem werden.

"Ich kann mit besonderen Qualitäten auftischen", sagte Terushima und warf sich beim Gehen in Pose. Kenma besah ihn vom Schopf bis zu den Schuhsolen und wieder nach oben. "Ich glaube, deine ‘Qualitäten‘ interessieren mich nicht im Geringsten", schmetterte er ihn abermals ab und betrat den Lift. Terushima schlüpfte durch die sich schließenden Türen.

"Hey! Ich verkaufe doch nicht meinen Körper für ein warmes Bett! So war das nicht gemeint! Ich koche! Gut sogar, etwas ausgefallen vielleicht aber richtig lecker", Kenma wurde hellhörig. Kuroo kochte nicht gut. Es war nicht grottig, was ihm sein bester Freund vorsetzte, aber Ärzte konzentrierten sich eben auf andere Dinge.

Ob es gegen Terushima als Arzt sprach, wenn er die Wahrheit sagte? Nebenbei plapperte er bereits ein paar Rezepte, wenn man so wollte, aus, aber Kenma folgte ihm nur mehr mit einem halben Ohr.

Heute stand die Operation mit Dr. Sakusa an. Heute würde er Iizunas Hals aufschneiden. Und heute würde er mitverantwortlich dafür sein, wenn er dieses schöne Lächeln nie wieder sehen würde.
 

„Konoha-san hat gesagt, dass es immer etwas heikel ist, wenn man so lange unter Narkose steht“, hörte er Akaashi in der Garderobe reden, als er mit Terushima hereinkam und wohl unbemerkt seiner selbst beunruhigt aussah. „Aber er hat das unter Kontrolle“, versicherte Akaashi noch. Kenma nickte. Die Operation würde mindestens vier Stunden dauern und Dr. Sakusa würde eine exakte Bewegungsabfolge etliche Male wiederholen müssen. Genau und vorsichtig mussten sie alle sein und Kenma hoffte, er würde viel lernen und aufnehmen können.
 

„Dann war euer Gespräch letzte Woche beim Tee auf die Arbeit bezogen?“, fragte Kenma bemüht, sich auch für seine Kollegen zu interessieren. Ein Floh, den ihm Kuroo ins Ohr gesetzt hat.

Akaashi sah etwas beschämt zur Seite während sie aus der Garderobe gingen. „Das Gespräch zum Tee in der Nachtschicht hat eigentlich kaum die Arbeit beinhaltet, wir haben uns aber gut unterhalten und waren gestern noch in der Bar am Eck“, gestand er mit dem Anflug eines Lächelns. „Das ist ja Klasse! Das heißt, es hat richtig gefunkt zwischen dir und dem Schlafarzt?“, fragte Terushima rein. Akaashi und Kenma seufzten im selben Ton.

„Es geht nicht immer darum“, sagte Kenma. „Ja, irgendwie schon“, überraschte Akaashi. Das dreckige Grinsen würden sie so schnell nicht mehr aus Terushimas Gesicht bringen können.
 

„Hab gehört, die Anästhesisten vögeln alle miteinander“, sagte Shirabu, der sich der Gruppe gerade anschloss. Kenma und Akaashi sahen fragend zurück, da stand auch schon jemand anderes hinter ihnen.
 

„Achso? Und mit wem vögel ich? Oder sind’s alle?“ Shirabu wandte sich langsam aber mit einem missbilligendem Blick um und blickte in das Gesicht des wohl schönsten Mannes, den er je gesehen hat. Das beigeaschige Haar war an den Spitzen dunkel gefärbt. Wie Frost-Tipps nur anders herum. Umrahmend das hübsche Antlitz mit den mandelförmigen Augen, die eine Direktheit besaßen, dass einem wohlig unwohl werden konnte, zumindest so, wie Shirabu den Blick gerade erhielt.

Für den Bruchteil einer Sekunde entgleiste ihm das Gesicht, doch sein Stolz fing die Situation ganz schnell wieder auf. „Du lässt vermutlich jeden in dein Bett, Semi-san“, feixte er und beschleunigte den Schritt.
 

„Hmm, musst es ja wissen“, gab Semi den Assistenzärzten etwas zum Nachdenken. Die Blicke ruhten nun natürlich ausschließlich auf Shirabu, dass sich der Anästhesist unbemerkt davon machen konnte. „Es geht nicht immer nur darum… Am Arsch“, äffte Terushima Kenma nach und schlang Shirabu den Arm um die Schulter. „Du willst sicher mehr von Mr. Pretty Face erzählen hm? Wie ist er so?“
 

„Geht’s schon wieder um Sex?“, fragte Yamaguchi. Auch er hat gerade aufgeschlossen und ging mit seinen Kollegen. Kenma seufzte. Akaashi schmunzelte. „Scheint so, aber ich glaube, Dr. Komori wird uns schnell auf andere Gedanken bringen“ – und das tat er auch. Allein die Stimmung, die von dem Stationsarzt ausging, ließ jegliche sexuelle Schwingungen im Staub verkeimen. Shirabu hat sich aus Terushimas Griff befreit und sich mit Tsukishima davon gemacht, der seinen Unmut über Kageyama freien Lauf ließ, selbst wenn der keifend neben ihm herging. Hinter ihnen trappelte Yachi mit großen Augen aber mindestens genauso tiefen Augenschluchten nach.
 

„Wer von euch halben Portionen ist das?“, fragte Komori vorwurfsvoll. In seiner Hand hielt er die Miniskulptur einer Quietscheente. In hellgrün. Kenma hob die Augenbrauen. Komoris punktartigen Brauen zogen sich weiter zusammen. „Wie süüüüß. Haben Sie die geschenkt bekommen?“, japste Yamaguchi ob jeglicher Fühlung der Situation. Natürlich hat ihm die niemand geschenkt. Sie war aber nur der Anfang. Terushima wollte wissen, wo die herkam und ob es auch andere Farben gab.
 

„Auf der Kaffeemaschine sitzt auch eine und im Kühlschrank des Aufenthaltsraum im Erdgeschoß. Im Lift sitzt eine an der Spiegelbefestigung und im Eingangsbereich gleich mehrere. Also. Wer von euch Pappenheimer hat damit zu tun?“ Komori war angespannt. Es war nicht so, dass er sich beim ersten Mal ein Schmunzeln hätte verkneifen können, aber die Vermutung, dass sich jemand einen Spaß erlaubte, stieg nun einmal. Komori ahnte aber bei den Reaktionen der vier bereits, dass sie nicht involviert waren. Einen Moment gönnte er sich trotzdem noch auf jedem einzelnen ihrer Gesichter.

„Gut“, murrte er und zog eine nachdenkliche Schnute. Das grüne Entchen wurde unliebsam auf den Tresen geknallt, wo sich Terushima und Yamaguchi umgehend darum stritten – Terushima gewann, denn Yamaguchi wollte eigentlich nicht streiten und gab schnell nach.

„Irgendwie hätte ich lieber ein gelbes…“, seufzte der Gewinner und beäugte das Miniaturentchen aus Harz. Es sah richtig doof aus und andererseits machte allein der Anblick Laune, wo sogar Kenma zustimmen musste. Irgendwie gefiel ihm das kleine Entchen auch.

„Dann tauscht du es mit mir, wenn ich ein Gelbes finde?“, fragte Yamaguchi hoffnungsvoll. Terushima seufzte. „Du kannst es auch gleich haben, wenn‘s dich glücklich macht“, sagte er und gab seinen Gewinn auf. Yamaguchi fing es unter seinen Fingern. „Danke, Terushima-san“

Sah Kenma, dass Terushima eine Reaktion unterdrückte? Seltsam. Aber eigentlich nicht seltsamer als sonst mit seinen Kollegen.
 

„Okay, genug Gequacke!“, sagte Komori, klatschte in die Hände und eröffnete die Runde zu den Patienten, die an diesem Tag noch für Operationen vorgesehen waren. Start war bei Kyotani, der gestern von einem Sanitäter reingebracht wurde. Sein Bein wurde geschient, aber Dr. Tendou hat ihn direkt für einen Eingriff angemeldet, der Knochen war im Bruch zu verschoben, als dass er einfach heilen konnte. „Dr. Vanilla assistiert“, hat er gesagt und das Board wurde entsprechend ergänzt.
 

Kyotani war von nichts davon begeistert. Weder davon, dass ihm ein Sanitäter stützen musste, er hat es ja alleine versucht, aber vergebens, noch, dass er nun in einem Krankenhausbett in einem Arschoffenkleid, wie er es nannte, rumliegen musste und noch schlimmer, dass man ihn narkotisieren würde und er den Händen von komplett Fremden ausgeliefert war.
 

„Und dass ihr jetzt alle so blöd gafft, mag ich auch nicht“, knurrte er die vier Assistenzärzte und Komori an. „Dr. Iwaizumi wird das aber nicht gerne hören“, sagte Komori und Kyotani verstummte. Dr. Iwaizumi hat gestern dafür gesorgt, dass Kyotani das verhasste OP-Hemd anzog und seinen Ärger nicht noch mehr an dem armen Sanitäter ausließ, der sowieso schon ganz verstört neben der Spur stand, doch Kyotani bestand darauf, dass er, nachdem er ihn schon angefasst hat, auch der einzige blieb, der das tat. „Das macht der mit den irgendwie komisch braunen Haaren“, hat er es eingefordert.

„Die sind nicht irgendwie komisch braun! Das ist Karamell!“, hat Sanitäter Yahaba geschnauzt und war wütend davon gestapft.

Dass der Sanitäter heute bereits nach Kyotani gefragt hat, als er und sein Kollege eine gebrechliche alte Dame brachten, bliebt natürlich unerwähnt.

„Vielleicht hat Yahaba ja Dienst, wenn Sie nach der OP heimgebracht werden, aber zuerst, Dr. Yamaguchi? Was passiert nach der OP?“, wies Komori Yamaguchi an.
 

„Kyotani-san bekommt einen Spaltgips, übermorgen wird er nach Hause gebracht, seine Schwester kümmert sich um ihn, bis er zum Gips austauschen weder kommt und dann mobiler ist“, erklärte Yamaguchi und auch, dass Kyotani Thrombosemedikamente nehmen musste, viel Ruhe brauchte und vor allem, dass das Bein still zu halten war.

Kyotani knurrte darauf nur wie ein wilder Hund. „Und wenn Sie sich mürrisch anstellen, macht Dr. Iwaizumi Hausbesuche“, drohte Komori und die Runde ging weiter.
 

„Dr. Kozume? Der nächste Patient ist Ihrer, Sie bleiben anschließend auch hier und bereiten ihn für die OP vor, er wird in einer halben Stunde geholt. Dr. Sakusa erwartet Sie in 15 Minuten vor der Schleuse zum OP. Vorstellung“, wurde beim Eintreten in Iizunas Zimmer gefordert. Kenma nickte, wagte es aber nicht, noch einmal den Fauxpas zu begehen, vor versammeltem Team in Iizunas Gesicht zu sehen. Er würde sich wegen diesem hübschen Lächeln nicht noch einmal aus dem Konzept bringen lassen.
 

„Tsukasa Iizuna wird heute von Dr. Sakusa an der Carotisgabel operiert. Zu Grunde liegt ein gefäßumschließender Glomusturmor, dessen Materie ein Abdrücken verursacht. Das Gehirn könnte zu wenig Blut und somit zu wenig Sauerstoff bekommen, es ist in Verbindung auch schon zu Ohnmachtsanfällen gekommen, außerdem ist es bereits der zweite seiner Art, diesmal komplizierter als bei der ersten Operation, die Dr. Sakusa im St. Itachiyama durchgeführt hat. Der Tumor wird sozusagen von Kopfschlagader und Halsschlagader umarmt“, erklärte Kenma, dass auch der Patient es verstand. Iizuna seufzte. „Ich glaube, ich könnte jetzt auch eine Umarmung gebrauchen“, sagte er und sah hilfesuchend zu Kenma, doch der wagte den Blick nicht. „Oh… Terushima?“ schlug er stattdessen seinem Kollegen vor, das mit der Umarmung zu übernehmen, tat dieser sogar, auch wenn Iizuna etwas überrascht war. Komori entkam ein knappes amüsiertes Schnauben, doch er räusperte sich, die Integrität zu wahren und bat Kenma, weiter zu sprechen.
 

„Der mehrere kubikzentimetergroße Knoten behindert beim Schlucken. Er ist grundsätzlich gutartiger Natur, neigt aber zur Entartung, was alles Gründe für die operative Entfernung sind. Dr. Sakusa wird in einer für vier Stunden angesetzten OP das Gewächs von beiden Carotisabzweigungen trennen, die Carotis vernähen und die Haut mit einer internen Naht wieder schließen. Iizuna-san wird daraufhin zwei Wochen im Krankenhaus verbringen mit einer Drainage, die nach einer Woche entfernt wird. Die ersten beiden Nächte verbringen Sie auf der Intensivstation und…“, fasste Kenma den Grund für Iizunas Anwesenheit zusammen, erklärte die Operation knapp und versagte schließlich bei der Post-Operationsbeschreibung als er den Blickkontakt aufnahm und damit seinem stolpernden Herz unterlag.

„Werde ich dann rund um die Uhr von Ihnen beaufsichtigt?“, fragte Iizuna mit einem gewissen Schalk in der Stimme. Kenmas Pupillen fokussierten. „Nein, Sie sind kein Neugeborenes, das auf Hilfe angewiesen ist“, antwortete er rasch trocken und nahm seine Blutdruckmessmanschette aus der Umhangtasche. Iizuna war schnell zurechtgewiesen, sich gemütlich nach hinten zu lehnen, der Ärmel des OP-Hemdes, das des Morgens bereit gelegt und angezogen wurde, wurde hochgeschoben und Kenma legte die Manchette an. „Normal atmen bitte“, sagte er und pumpte am Druckball, dass er mit dem Stethoskop und Blick auf die Uhr und Anzeige einen eigentlich besorgniserregend hohen Blutdruck feststellte. „Hmm“ Kenma ließ ab, die Luft entwich der Manchette und er legte Iizuna erst für einen Moment Index- und Mittelfinger ans Handgelenk, dann an die rechte Halsschlagader.
 

„Sind Sie nervös?“, fragte er und sah ihm in die Augen. Iizuna nickte schnell. „Es ist ganz natürlich, vor einer OP nervös zu sein“, sagte Kenma und ging einen Schritt zurück. „Aber es wäre gut, wenn Sie sich irgendwie beruhigen könnten“ mit diesen Worten nahm er das Clipboard und notierte den Blutdruck inkl. Puls. Dr. Komori nickte zufrieden und verließ mit Akaashi, Terushima und Yamaguchi das Zimmer. Kenma konnte Terushima noch sagen hören, dass dieser nicht glaubte, dass Iizuna wegen dem Eingriff so nervös war, was er stattdessen glaubte, hörte er nicht mehr. Was ihn nun überraschte, war die rote Farbe in Iizunas Gesicht.

Seine Hand schnellte sofort in seine andere Tasche, wo er ein Ohrthermometer sowie dafür vorgesehene Schutzfolie herausnahm und die Körpertemperatur maß. „Sie haben kein Fieber, warum ist ihr Gesicht so rot?“, notierte er auch die Gradangabe und steckte das Clipboard wieder in die Halterung an Fußende des Bettes. Anschließend legte er Iizuna, der nun erstmals Kenmas Blick auswich, die Hände erst auf die Stirn, auf die Wangen und dann in den Nacken um sich auch so die Bestätigung zu holen, dass mit der Körpertemperatur alles in Ordnung war.
 

„Das ist wegen Ihnen“, sagte Iizuna leiser als Kenma es von ihm gewohnt war.

„Oh… dann geh ich besser. Dr. Sakusa erwartet mich sowieso“, wollte er sich bereits verabschieden, wurde aber am Handgelenk aufgehalten. Kenma stockte, drehte sich wieder zu Iizuna und sah ihn fragend an.

„So ist es nicht gemeint“, antwortete dieser schnell und wieder in normaler Lautstärke, wenn auch etwas unsicher, soweit Kenma das beurteilen konnte. „Wie ist es dann gemeint?“, wollte er wissen. Sein Blick zeugte weiters von Missverständnis, was Iizuna seufzen ließ. „Reden wir nach der OP darüber?“, fragte er. Kenma zuckte mit den Schultern. Das Gespräch war für ihn abgeschlossen und er hatte bereits wo anders zu sein.
 

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„Beschreiben Sie mir den Vorgang des Eingriffs“, verlangte Dr. Sakusa. Die beiden standen an den großzügigen Waschbecken vor dem leeren Operationsaal. Kenma hing ellenbogentief unter dem Wasserstrahl, nickte und begann zu Antworten.
 

„Glatter Schnitt durch-“ – „Nein“ Er wurde schier unterbrochen. Verwundert hielt er inne seine Hände und Arme einzuseifen und besah den Oberarzt für Neurologie. „Wenn Sie schneiden, bevor der Patient schläft und betäubt ist, werden Sie nicht weit kommen“ – „Natürlich, entschuldigen Sie, ich beginne von Vorne“, erwiderte Kenma und ging den ganzen Prozess vom Eintreten in den Operationssaal, dem Setzen der Uhr, den Anweisungen an die Umstehenden – Anästhesist, OP-Schwestern, Assistenten – über den ersten Schnitt nachdem man das CT-Bild noch einmal genau betrachtet hat, den unzähligen Abtrenn- und Verschlusstätigkeiten bis hin zur Entfernung des Tumors und der Kontrolle aller Nähte bis die Wunde verschlossen werden konnte. Während seinen Ausführungen blieb Dr. Sakusa stumm. Er wiederholte das Händewaschen drei Mal, sorgte sich gründlich um seine Finger, den Zwischenfingerbereichen sowie allem hoch bis zu seinen Ellenbögen und nahm sich schließlich vom Desinfektionsmittel, welches er auch bedacht an den Fingerkuppen anwandte.
 

„Was vergessen Sie?“, fragte er. Kenma erstarrte. Das Wasser lief weiter und war das Einzige, das er im Moment neben dem ohrenbetäubenden Rauschen seines Blutes hören konnte. Er wandte das Gesicht zu Dr. Sakusa und ging in Gedanken jeden Schritt noch einmal durch, alles was sie bereits etliche Male besprochen haben. Die Sekunden, in denen er in den tiefschwarzen Augen verharrte, wirkten wie Minuten.
 

„Zählen! Ich zähle jedes Instrument und kontrolliere alles, was verwendet wurde, ob es auch dort ist, wo es hingehört“, sagte er rasch, drehte das Wasser ab und erkannte ein mildes aber zufriedenes Lächeln auf den Lippen seines Gegenübers. Während der Pre-OP-Phase war der einzige Moment, in dem der Oberarzt keinen Mundnasenschutz trug, weil diese vor Betreten des Operationssaales angemacht wurden bevor sie in die Handschuhe schlüpften.

Die Erleichterung war groß und nahm Kenma die schwere Last und Furcht des Versagens ab. Dr. Sakusa reichte ihm Papiertücher, um die Hände und Arme zu trocknen, dann widmete er sich auch der Desinfektion.
 

-
 

Die Operation verlief gut. Schritt für Schritt wurde der Tumor von der Halsschlagader abgetrennt, diese verschlossen, das Gewächs weiter abgetrennt und die Carotis wieder verschlossen.

„Tupfer“, sagte Kenma noch bevor Dr. Sakusa es sagen konnte und deutete Kaori dem Oberarzt zur Hand zu gehen. Die OP-Schwester tupfte daraufhin die Stirn des Chirurgen.
 

„Sehr aufmerksam“, sagte Dr. Sakusa. Kenma blieb es weiterhin. Er beobachtete jeden Handgriff mit Argusaugen, machte sie mit seinen eigenen Händen und Fingern im Trockentraining nach und bewunderte den Spezialisten im Stillen für seine Präzision. Keine Bewegung war zu viel, kein Ansetzen der Klinge anzupassen, alles war perfekt. Dr. Sakusa war perfekt in dem was er tat.
 

„Übernehmen Sie“, sagte er und ging einen Schritt zurück. Kenmas Augen weiteten sich, er blinzelte, stockte gar aber Dr. Sakusa bestand darauf, dass er nicht zögerte und Kenma zögerte nicht. Er schloss den Schritt auf, übernahm das Operationsbesteck und beendete mit den letzten Abtrennungen und Abschlüssen den komplizierten Teil. Als er voller Stolz den Tumor mit der Klemme in die Schale legte regnete es Applaus aus der Galerie, die er bis jetzt bewusst ignoriert hat, auf ihn hernieder und er ertappte sich unter der Maske versteckt eines stolzen Grinsen.
 

„Sehr gut, treten Sie nun bitte beiseite“, sagte Dr. Sakusa und kümmerte sich folglich um die heikle interne Naht, die eine hauchzarte Narbe versprach. Auch diesen Prozess verfolgte Kenma mit all seiner Aufmerksamkeit, selbst nach über vier Stunden, die er bereits konzentriert im Operationssaal an Dr. Sakusas Seite stand.

„Bemerkenswert“, flüsterte er in Bewunderung. „Das Mindeste, das von uns zu erwarten ist“, konterte der Oberarzt und knüpfte am Ende der Naht ein kleines Knöpfchen, welches in zehn Tagen abzutrennen war. Der verarbeitete Faden unter der Hautoberfläche würde sich selbst auflösen. Kenma besah die makellose Arbeit. Natürlich sollten ihre Patienten nicht weniger als Perfektion von ihnen erwarten, diese aber in ihrer Vollendung beobachten und von ihr lernen zu dürfen begeisterte ihn auf eine ganz eigene Weise.
 

Auch nach der Operation als Iizuna auf der Intensivstation lag und Kenma beim späten Mittagessen anstand, dachte er noch an die perfekte Skalpellführung, die kontrollierte Vorgehensweise und die feine Naht. So sehr, dass ihn Kuroo mit einem Schrecken aus den Gedanken riss.
 

"Hey Kenma, sitz heute bei mir! Ohne ihn!", sagte er und blickte von seinem besten Freund zu dem vorlauten Assistenzarzt, der direkt hinter ihm in der Schlange stand und irgendetwas davon faselte, dass Dr. Komori sich eigenartig verhielt, nicht nur wegen den Entchen. Kenma hat Terushima im Übrigen beim Vorbeigehen ein gelbes Entchen auf das Tablett gestellt, weil er das bei der Schwesternkoje entdeckt hat. Der überschwänglichen Danksagung inklusive angedrohter Umarmung hat er sich weggeduckt und den restlichen Worten nur wenig Gehör geschenkt. Aber aus dem Kauderwelsch konnte er zumindest herausfiltern, dass Terushima sich darüber wunderte, dass sie heute keine Laborergebnisse holen mussten und Dr. Komori sich selbst darum kümmerte.
 

"Okay", sagte Kenma, nickte und Kuroo ging weiter. Terushima lehnte sich sofort zu ihm. "Da will wohl jemand aus der Friendzone", gluckste er. Langsam aber doch fand Kenma das sogar irgendwie amüsant. "Du siehst auch immer und überall diese, wie hast du gesagt? Vibes, oder?", fragte er ihn und Terushima nickte. "Aber glaub mir, zwischen Kuro und mir gibt es keine Vibes", sagte er mit einem zufriedenen Grinsen.

„Gott sei Dank“, sagte Terushima, aber Kenma wollte sich den Grund für die Gotteslobung gar nicht erst anhören. Stattdessen ging er mit seinem Tablett bepackt mit einer Beilagenportion Reis und einen guten Stück Apfelkuchen zu dem Tisch, wo Kuroo ihn bereits erwartete.
 

"Halt dich von ihm fern und… Was soll das bitte werden?“, stutzte Kuroo mitten in seinem Satz über Kenmas mangelhaftes Gericht. „Das geht mal bitte gar nicht, aber ich habs ja geahnt, hier!“, sagte er und schaufelte dem Jüngeren etwas von seinem Gemüse auf den Reis. Kenma seufzte und stocherte daran vorbei, um den Reis aufzupicken.

„Aber nochmal zurück, der Kerl, der hinter dir stand, Terushima, der ist in deiner Gruppe oder? Halt dich fern von ihm, okay?“ Kuroos Stimme klang ernst, was Kenma gleich noch stutziger machte.

„Was? Ja… ja, ist er. Warum? Ich dachte, ihr werdet richtige Kumpel“, machte Kenma seiner Verwunderung Platz. Er stellte sogar das Picken ein und besah Kuroo ungläubig. Der protestierte sofort, dass er nein, mit dem niemals einen auf Kumpel machen könnte.

„Willst du mir auch sagen warum oder ist das ein no questions asked?“, wollte Kenma wissen.

Kuroo lehnte sich über den Tisch näher an Kenma heran, seine Augen zogen sich geheimnisvoll zusammen, sein Blick wurde dadurch ernster und seine Stimme auch leiser.

„Hat Bokuto einfach die Zunge in den Hals geschoben nachdem der ihn gefragt hat, wie sich das mit seinem Piercing beim Küssen anfühlt“ *)

Für einen Moment starrte Kenma Kuroo ausdruckslos an. Diese Information musste erst richtig zu ihm durchdringen, aber als sie das tat, schlug sie richtig ein.

Kenma schnaubte belustigt. Kuroo besah ihn mit großen Augen, sagte aber nichts, bis sich Kenma ihn mit einem amüsierten „und?“ nach dem Ergebnis erkundigte.

„Bokuto fands wohl toll, aber darum geht’s nicht! Halt dich fern, okay?“ Kuroo zog die Augenbrauen zusammen, richtete sich wieder auf und deutete auf Kenmas Gemüse-Reis-Schüssel. „Iss!“

„Ich werd‘ ihn einfach nicht darauf ansprechen“, entschied Kenma, zuckte mit den Schultern und fischte sich noch etwas Reis aus der Schüssel, auch ein paar Erbsenschoten und Karottenstückchen schafften es in seinen Mund, aber dann machte er sich lieber über den Apfelkuchen her.
 

Worauf Kenma Terushima auch nicht ansprach, war das unangenehme Aufeinandertreffen wenig später im Treppenhaus, bei dem er das Gefühl hatte, ihn und Futakuchi, jemanden, der eigentlich aus Kuroos Jahrgang war, zu erwischen, zumindest zu unterbrechen. Es war wie ein hitziges Gespräch einem Streit nahe, in dem sie beide nicht direkt gesprochen haben, nur ein paar Worte, die Kenma unter dem Aufprall ihrer Lippen kaum verstand und besser auch nicht verstehen wollte. Hände rutschten über den steifen Stoff der Krankenhauskleidung. Ein Körper prallte gegen das Geländer, ein verhaltenes Lachen folgte überraschtem Keuchen, Kenma schreckte auf. Ein „Shhhht“ ließ alle drei innehalten.

Es war als würden ihre drei Augenpaare Ping Pong spielen. Das Ausweichen der Blicke, die doch einander suchten brachte Kenma schließlich dazu das Treppenhaus mit erhobenen Händen und den Worten, nichts gesehen zu haben zu verlassen.
 

„Ist was passiert?“, fragte und überraschte ihn Yamaguchi. Kenmas Gesichtsausdruck verriet ihn zu seinem eigenen Leidtragen mehr als ihm lieb war. „Nichts, worüber ich reden wollen würde. Aber sag, sollten wir nicht irgendwelche Laborergebnisse holen oder sowas?“, fragte Kenma und wollte schnell vergessen, wovon er Zeuge geworden war und wollte noch schneller hier weg, die beiden konnten ja auch jeden Moment hier rauskommen, wenn sie so klug wären, ihr was auch immer es war einzustellen und in Räumlichkeiten zu verlegen, wo sie nicht gestört wurden.
 

„Oh nein, heute nicht, Dr. Komori kümmert sich drum“, sagte Yamaguchi aber ging auf das unausgesprochene Angebot, weiterzugehen, ein und folgte Kenma mit wippendem Gang. Das war für Kenma auch eine eher unübliche Beobachtung. Üblicherweise ging Yamaguchi kleiner als er eigentlich war so unauffällig wie möglich, meistens neben Tsukishima her oder er verschwand als größter in ihrer Gruppe, wenn sie mit Komori unterwegs waren.
 

„Das hat Terushima auch irgendwie erwähnt zu Mittag“, fiel ihm ein, was er aus Terushimas Gelabere in der Essensschlange mitgenommen hat. Das und dieses blöde Friendzonegerede bezüglich Kuroo. Lächerlich.
 

„Oh, Terushima, hast du ihn gesehen? Ich such ihn eigentlich, ich hab nämlich eine gelbe Ente mit Sonnenbrille gefunden, schau, findest du nicht auch, dass die zu ihm passt?“ fragte Yamaguchi und machte unbemerkt einen Sprung im Gehen. Die kleine Ente zwischen seinen Fingern sah mit der Sonnenbrille zumindest cool aus und erinnerte Kenma an den Abstieg Terushimas von seinem Motorrad, der ja zugegeben ziemlich cool ausgesehen hat. Aber ihm wurde auch unwohl im Magen. Waren das die Vibes, von denen Terushima gesprochen hat? Yamaguchis ungewohnte Art zu Gehen hatte eindeutig Verbindung mit dem Wunsch, Terushima diese Ente zu geben und somit dem Assistenzarzt, der gerade mit einem Älteren rumknutschte und wer weiß noch was trieb, eine Freude zu bereiten. Kenma seufzte. Das waren nicht seine Probleme, nicht seine Vibes und nicht seine Gedanken, die er sich zu machen hatte, auch wenn ihm die Vorstellung nicht gefiel, dass Yamaguchi deswegen vielleicht traurig oder enttäuscht sein würde.
 

„Lass uns lieber auf die Intensivstation gehen, Bokuto wird heute verlegt, weil Kyotani nach seiner OP dann dort hin muss, Tsukishima ist an der OP beteiligt oder?“, versuchte Kenma das Thema umzuleiten. Yamaguchi steckte das Entchen wieder weg und ging auf den Wechsel ein. „Jap, er assistiert Dr. Tendou, er mag ihn aber nicht“, kicherte er mit vorgehaltener Hand. Seine Gangart passte sich wieder seiner üblichen Weise an, in der sich Kenma fast so fühlte, als wären sie gleich groß.

„Aber du willst nicht wegen Bokuto hin oder? Du sorgst dich um Iizuna, nicht wahr?“ Kenma blieb stehen.

„Oh, bitte entschuldige, Kozume, ich wollte dir nicht zu nahe treten“, sagte Yamaguchi schnell und wurde gefühlt sogar kleiner als Dr. Yaku, Kenma seufzte darauf. „Schon gut, er ist Dr. Sakusas und mein Patient, ich hab nicht nur assistiert, ich hab richtig an ihm operieren dürfen, natürlich will ich sehen, dass alles seine Ordnung hat“, formulierte er Yamaguchis Vermutung um. Harmloser.
 

„Zuna hat so ein schönes Lächeln“, wurden sie von einem viel zu aufgeweckten Bokuto empfangen. Kenma war direkt auf Iizunas Bett zugesteuert, hat das Clipboard genommen und Werte von der Überwachungsmaschine übertragen während dieser noch tief schlief.

„Zuna?“, fragte er etwas verwundert, machte noch ein paar Paraphen und steckte das Board wieder zurück. Die Naht an Iizunas Hals sah noch immer so einwandfrei aus, wie vor ein paar Stunden, nachdem Dr. Sakusa sie verknüpft hat. Die Haut drumherum war gerötet, aber das war ganz normal, sie war gereizt von dem Eingriff.
 

„Ja doch“, sagte Bokuto etwas lauter, dass Yamaguchi sich schnell umsah, die anderen Ruhenden sollten ja nicht gestört werden. Mai schlief und auch Kaede lag still in ihrem Bett. Durch die Operation und die Schmerzmittel schliefen sie viel, was auch ganz normal war.
 

„Er war wach, als sie ihn reingebracht haben, total gaga und hat komische Sachen gemurmelt, aber er hat sich als Zuna vorgestellt und er hat wunderschön gelächelt als ich gefragt habe, wer ihn operiert hat, aber hat nicht geantwortet, er ist gleich wieder eingeschlafen, da war ich beleidigt“, erzählte Bokuto und zog eine Schnute.
 

„Er hat ne vierstündige OP hinter sich, du hättest ihn gar nicht ansprechen sollen“, warf ihm Kenma vor und Bokutos Stimmung sank gleich noch mehr. „Jetzt ist es also mein Fehler?“, fragte er eingeschnappt. „Nein, Bokuto-san, Dr. Kozume wollte nur deutlich machen, in welchen Zustand Iizuna war, als er hier reinkam, das hat er nicht unter Kontrolle, da wirkt die Narkose noch und das Adrenalin von der OP selbst, er ist sicher nicht eingeschlafen, weil er es böse meint“, versuchte Yamaguchi die Situation zu besänftigen. Bokuto fixierte ihn mit seinem Blick. An der Stimmung änderte sich nicht viel. „Und wer hat ihn operiert?“, wollte er wissen.
 

„Dr. Sakusa-sama“, sagte Kenma. „Oh, dann hat er wegen ihm so gelächelt?“, fragte Bokuto, der Hauch von guter Laune schwang mit. „Ich glaube, er hat wegen Dr. Kozume gelächelt, weil er hat assistiert“, kicherte Yamaguchi, Kenma verdrehte die Augen.

„Also ich lächle ja wegen Dr. Aggaashi und ich darf jetzt Keiji zu ihm sagen, weil ich wieder aufgewacht bin“, sagte Bokuto ganz stolz und schon war das mit der schlechten Stimmung wieder passé. Bokutos breites glückliches Grinsen unterstrich seine Worte dabei auf eine Art und Weise, die auch Yamaguchi schön fand.

„Ich hoffe, mich bringt auch mal jemand zu sowas“, sagte er und schenkte Bokuto ein freundliches zustimmendes Lächeln. „Aber bestimmt“, steuerte ihm dieser bei. Kenma spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte und sich sein Kreislauf meldete und nach Ruhe schrie.

Das war zu viel für diesen Tag.

Erst diese stundenlange Operation in der er keine Sekunde unachtsam sein durfte, dann das Gespräch mit Kuroo woraufhin der unangenehme Moment mit Terushima und Futakuchi folgte, nur um danach auf Yamaguchi zu stoßen, der mit der Mimik, die Bokuto für Akaashi aufgesetzt hat, von Terushima sprach und schließlich Bokutos Erwähnen von Iizunas wunderschönem Lächeln, das laut Yamaguchi ihm, Kenma, galt.
 

Er spürte, wie ihm kühl wurde, der Raum drehte sich und noch ehe er einen Schritt hätte machen können, um sich zu setzen, schränkte sich seine Sicht immer mehr ein, bis ihm schwarz vor Augen wurde. Er hat nur noch gesehen, dass er kippt, einen Aufprall hat er nicht mehr gespürt.
 

Als er die Augen das nächste Mal aufmachte, sah er in Kuroos besorgtes Gesicht. Sein bester Freund raufte sich gerade das Haar und murmelte etwas von wegen, er hätte ihn nicht alleine lassen dürfen, nach der Operation.

„Kuro?“, Kenma blinzelte. Kuroo erkannte erst in diesem Moment, dass er wieder bei Bewusstsein war. „Kenma“, die Erleichterung war deutlich zu hören und unangenehm für den Angesprochenen. Kuroo hat sich seinetwegen Sorgen gemacht, wieder einmal, das wollte er nicht.

„Tut mir leid, Kuro“, sagte er aber der legte ihm sofort beide Hände an die Wangen und ließ es nicht zu, dass sich Kenma, wie er es geplant hatte, abwandte. Stattdessen starrte er nun in diese treulieben Augen, die sonst vor Schalk und Abenteuer nur so strahlten. „Dir tut gar nichts Leid, außer vielleicht, dass du so erbärmlich isst, das ändern wir! Ist das klar? Und deine Schlafenszeiten? Werden auch verlängert und wir sehen uns alle paar Stunden mal, ich will nicht, dass sowas nochmal passiert, Kenma. Ich hatte wahnsinnige Angst um dich, was wenn sowas passiert, wenn ich nicht da bin?“ Kenma spürte, dass Kuroo außer sich war, dass er sich sogar Vorwürfe machte, zu Unrecht seiner Meinung nach, weil er immer noch selbst dafür verantwortlich war und dennoch genoss er es sehr, dass Kuroo immer für ihn da war. Vermutlich war er sogar der Grund dafür, dass etwas dergleichen nicht schon während dem Studium passiert ist.
 

„Aber du warst nicht da und ich bin nicht umgekippt, weil du nicht da warst, sondern weil es ein sehr anstrengender Tag war und weil ich nicht, wie du gesagt hast, mehr Reis und Gemüse gegessen habe“, sagte Kenma nüchtern. Er war sich seiner eigenen Schuld ja auch bewusst. Dass ein bisschen Reis, ein paar Stücke Gemüse und etwas Apfelkuchen keine ausgewogene Ernährung waren, wusste er selbst und er hätte auch nicht darauf bauen dürfen, dass ihn diese Mahlzeit über den Tag brachte, der am Vormittag schon so viel Energie aus ihm gezogen hat.
 

Kuroo ließ von ihm ab und griff nach dem Thermometer um Kenmas Temperatur zu messen. Nach dem kurzen Piep bestätigte er, was Kenma bereits fühlte. „Erhöht, kein Fieber, immerhin“ Und damit wurde Kuroos Stimme auch endlich ruhiger.

„Na, wie geht’s unserem Patienten?“, Komori kam gerade ins Zimmer. Kenma fiel erst beim Blick zu ihm auf, dass er in ein Krankenzimmer gebracht wurde und auch in einem Patientenbett lag. Seine sorgenvollen Gedanken, was passiert war, als er weggetreten war, sah man ihm unweigerlich an, denn Komori erzählte ihm gleich, dass Bokuto den Schwesternknopf an seinem Bett gedrückt hat, weswegen Pfleger Asahi hereingerauscht kam, an seiner Seite auch Kuroo, der gerade nach Bokuto sehen wollte und Kuroo hat es sich nicht nehmen lassen, Kenma in das nächste freie Zimmer zu tragen, da war Asahi mit dem Holen einer Liege oder einem Rollstuhl zu langsam. Kenma war das sofort ausgesprochen unangenehm. „Immerhin nur du“, sagte er zu Kuroo, welcher eine theatralische Geste machte „Was heißt hier nur?“, fragte er mit gespielt beleidigter Stimme. Kenmas Blick hätte nicht verachtender sein können, dann wandte er sich dem Stationsarzt zu. „Mir geht es gut, Dr. Komori, danke, ich kann auch gleich wieder weiter machen“, sagte er und richtete sich auf. Kuroo unterband das sofort, auch Komori widersprach.
 

„Sie bleiben liegen oder lassen sich nach Hause bringen, Terushima hat sich bereits angeboten“, sagte Komori und bekam ein Synchrones „Was?!“, zurück. Aber es gab keine Widerrede. Kuroo hatte gemeinsam mit Yachi eine Korrektur von Hammerzehen auf dem Plan unter Aufsicht von Dr. Meian.
 

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„Und dich hats wirklich einfach umgehauen? Iizuna muss dir ja wirklich gut gefallen“ Kenma stöhnte am Weg zum Bus genervt auf. „Sorry, mein ja nur. Aber ganz im Ernst, ist das normal?“, wollte er wissen, Kenma zuckte mit den Schultern. „Hab wohl nicht den besten Kreislauf, wenn viel los ist, ist mein Körper schon mal überfordert“, sagte er. „Aber jetzt ist gerade alles okay oder?“ Machte sich Terushima wirklich Sorgen? Er wirkte gerade nicht neugierig oder sensationsgeil. „Ja, jetzt ist alles okay“, stimmte Kenma zu und setzte sich auf die Bank bei der Busstation. Terushima nahm neben ihm Platz. „Woran liegt es? Ist es der Blutdruck? Oder hast du was? Oder ist es einfach nur scheiße?“, fragte Terushima weiter und Kenma musste sogar auflachen. Irgendwie war es erfrischend, wie direkt Terushima war und wie unbedacht er sprach, fast schon herzlich.

„Wenn du Kuroo fragst, sollte ich mehr essen, mehr schlafen und weniger zocken“, antwortete Kenma.

Die Busfahrt darauf verlief ereignisfrei, Terushima bestand nur darauf, ihm ein paar seiner Geheimrezepte zu verraten, die sogar interessant klangen. Alles andere als herkömmlich, in einem Restaurant würde man so etwas vermutlich nie bekommen, aber das plante Kenma auch nicht. Restaurants plante er allgemein nicht. Wenn er auswärts aß, dann für gewöhnlich unterwegs etwas zum Mitnehmen.

„Du musst mich nicht rein begleiten“, sagte er zu Terushima vor dem Wohnkomplex. „Muss ich wohl, Dr. Komori hat mich schwören lassen“, erklärte er. Kein Entkommen.

Kaum waren sie in der Wohnung, wollte Kenma Terushima ein weiteres Mal gleich loswerden, doch der war so frei, oder eher unverschämt, und spazierte einfach hinein.

„Echt nett, habt ihr es hier“, bemerkte er und stapfte durch die Küche ins Wohnzimmer und bemerkte natürlich, wie Kenma es befürchtete, dass es drei Türen zu eigenen Räumen gab, die nicht direkt am Gang lagen und somit nicht Badezimmer waren. „Wer wohnt noch hier, außer dir und Dr. Hahnenkamm?“, fragte er gleich. Kenma zuckte unangenehm zusammen. „Geht dich nichts an“, sagte er aber schlagfertig und zog Terushima am Ärmel wieder hinaus.

„Danke, dass du mich begleitet hast, ich bin zuhause, alles ist in Ordnung. Du hast deinen Job gut gemacht“, sagte er. Terushima strahlte über beide Ohren, als er das Lob hörte und nickte stolz. „Sehr gut, aber dieses Thema ist noch nicht vorbei, ich wäre ein guter Mitbewohner!“, sagte er zum Abschied, weil auch er für den Nachmittag noch Verpflichtungen im Krankenhaus hatte. Kenma ließ sich darauf im Wohnzimmer auf der Couch hernieder und seufzte langezogen über den bisherigen Tag. „So anstrengend“, kam ihm über die Lippen und die Augen klappten ihm wieder zu.

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Als Kuroo nach Hause kam, stand Kenma in der Küche und tat etwas, was er noch nie bisher getan hat. Er kochte. Allerdings war Kuroo nicht begeistert.
 

Kenma machte Erdnussöl in einer Pfanne heiß, kochte Wasser mit dem Wasserkocher und legte Udonnudeln in eine Schüssel. Zum Erdnussöl tat er etwas Knoblauchpaste und seihte die Udonnudeln ab. Die kamen kurz in die Pfanne hinzu, es zischte und er rührte um. Kuroo war skeptisch, als Kenma daraufhin den Ahornsirup aus dem Vorratsschrank holte, meldete er sich erstmals zu Wort in dem er wissen wollte, was das sollte.
 

„Terushima meinte, das ist ganz klasse, du willst doch immer, dass ich was Neues ausprobiere und dass ich mehr esse“, sagte er und goss nicht gerade wenig von dem süßen Sirup über die Nudeln, die bereits diesen deftigen Knoblauchgeruch abgaben. Kuroo musste schlucken.

„Aber warum musst du dann gerade was kochen, was dir der Chaot gesagt hat? Wie nüchtern ist er, wenn er das isst?“, fragte Kuroo und Kenma zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, wir reden nicht viel, aber ich mag Udonnudeln, ich mag Knoblauch und ich mag Ahornsirup“, erklärte Kenma und Kuroo seufzte.
 

„Und du liebst Apfelkuchen, aber tust du deswegen Äpfel und Zimt zu den Nudeln?“, fragte er mit angewidert verzogenem Gesicht. Kenma legte den Kopf schief. „Hmm… soll ich? Passt das zu Knoblauch?“, wollte er wissen und Kuroo schlug sich die Hand auf die Stirn. „Warum hast du dich nicht gefragt, ob Ahornsirup zu Knoblauch passt?“ – „Terushima hat gesagt, es ist lecker“ Kuroo ergab sich. Immerhin bekam er ja etwas, was er sich wünschte. Kenma probierte etwas Neues aus und er würde etwas essen, also ließ er ihn kochen und erzählte von seiner Operation.
 

„Yachi ist auch fast aus den Latschen gekippt. Ihren Augenringen zufolge schläft sie weniger als du, aber sie war trotzdem total fokussiert, Dr. Meian war zufrieden“, sagte Kuroo und deckte weiterhin skeptisch den Beistelltisch, einen richtigen Esstisch hatten sie nicht. Schüsseln und Stäbchen, zwei Gläser und einen großen Krug Wasser zum Nachspühlen.
 

„War sie wieder bei Kawanishi?“, erkundigte sich Kenma und trat mit der Pfanne ins Wohnzimmer um die Kreation zu servieren. „Koma-nishi?“, fragte Kuroo nach und Kenma nickte. Die Pfanne wurde in die Spüle gelegt, Wasser drauf gemacht und beide setzten sich auf die Couch. Während Kenma zulangte, wartete Kuroo noch ab. „Vermutlich, was hats damit auf sich?“
 

„Weiß nicht, fühlt sich wohl verantwortlich für ihn, irgendwas mit einem versprochenen Tanz“, sagte Kenma und aß auch nach dem ersten Bissen weiter. Kuroo beobachtete noch eine Weile, aber Kenma schien zu mögen, was er in der Schüssel hatte. „Irgendwie romantisch oder?“, sagte er, aber bekam keine Reaktion darauf. Dann sprang er auch über seinen Schatten. Entsetzen.
 

„Ich hasse es, dass ich das sagen muss, aber… okay, Terushima hatte recht, es ist richtig gut, aber wehe, du sagst ihm das“, gestand sich Kuroo ein. „Ich sag ihm doch nicht, dass ich für dich gekocht habe, dann glaubt er, ich koche für alle… Er möchte übrigens hier einziehen“, sagte Kenma trocken, leerte seine Schüssel und trug sie in die Küche während Kuroo wie vom Blitz getroffen auf der Couch sitzen blieb und in seiner Bewegung inne hielt. „Wie bitte?“, kam es etwas heiser von ihm und er räusperte sich erst einmal.
 

„Wie kommt er darauf und warum sagst du das so ruhig und … was?“ Kuroo stellte die Schüssel ab, stand auf und drehte sich zu Kenma, der gerade wieder zurück ins Wohnzimmer kam. „Irgendwie hätte ich kein Problem damit und er braucht zum Monatswechsel was Neues“, sagte er mit Schulterzucken. „Isst du das noch?“, fragte er und deutete auf Kuroos Schüssel, in der noch ein paar süße Knoblauchnudeln waren. Der Blick des Älteren wanderte von Kenma zur Schüssel und wieder zurück. „Ne, nimm nur“, sagte er. Über das Weitere wollte er erst einmal schlafen, was für ihn auch das Stichwort dazu war, Kenma ins Bett zu schicken. Da sie morgen zumindest beide die Frühschicht hatten, konnten sie sich zumindest am Weg zum Bus darüber unterhalten.


 


 

Rumors

“Ich hab gehört…“
 

So fängt es oftmals an. Ganz harmlos, nicht böse gemeint gar, die Neugier und der Wunsch nach Bestätigung schwingt mit. Wenn es um Positives geht weniger als wenn jemand sein Fett weg bekommt. Und wenn es negativer Natur ist, macht es noch viel schneller die Runden und wird Vielerort verändert und verhört.

Ein Gerücht. Krankenhaus Tratsch. Unterhaltung. Was gibt es Schöneres? Abgesehen davon, Leben zu retten und eine neue Operationsmethode zu finden, die sowohl den Chirurgen als auch finanziell das Krankenhaus entlastete?
 

Aber Gerüchte und Tratsch gibt es nicht an jeder Ecke und es ist nicht immer gewiss, etwas Neues zu erfahren. Manchmal muss man sich auch selbst auf die Lauer legen und Informationen einholen.

Was fällt dir so auf, wenn du dich in deiner gewohnten Umgebung umsiehst? Gibt es da gewisse Vibes? Gibt es Dinge, die immer gleich sind und plötzlich kommt Unruhe rein? Willst du nicht auch wissen, was der Grund dafür ist?
 

***
 

„Was ist an Tagen wie heute anders, wie an anderen?“ Terushima stand gemeinsam mit Yamaguchi und Kenma im Erdgeschoß vor dem Zugang zum Labor. Akaashi hatte zwei Nachtschichten in Folge und hat das Krankenhaus gemeinsam mit Konoha aus der Anästhesie verlassen, als die drei ihren Dienst angetreten waren. Ihre Beobachtung fokussierte sich aber nicht auf ihren Kollegen und den Schlafdoktor, wie Terushima Konoha gerne nannte, sondern auf Stationsarzt Komori, der sich an diesem Tag wieder selbst um die Laborergebnisse kümmerte und vor wenigen Minuten pfeifend hinter der großen Glastür verschwunden ist.
 

Kenma stand an die Wand gelehnt und könnte nicht weniger Interesse an der Beantwortung von Terushimas Frage haben. Yamaguchi hingegen stand eng an den neugierigen Assistenzarzt gedrängt um auch ja genug zu sehen. „Bis jetzt gibt‘s noch kein Muster außer, dass es nie an einem Donnerstag ist, aber so lange beobachten wir das noch nicht“, seufzte er, bemerkte dabei genauso wenig wie Terushima, wie nah sie einander waren. Kenma fasste sich an die Stirn, denn er hatte noch ganz genau diesen unangenehmen Moment von vor ein paar Tagen im Kopf, wo er Terushima bei Gott was mit Futakuchi erwischt hatte. Da ihm keiner der Beiden danach über den Weg gelaufen war, ging er davon aus, dass sie sich von ihm nicht haben stören lassen. Eigentlich wollte er sich auch gar nicht den Kopf darüber zerbrechen, aber die Tatsache, dass Yamaguchi auf diese blöden Flirtsprüche, die ihm Terushima hier und da entgegenwarf reagierte wie ein pubertäres Mädchen verstimmte ihm den Magen.

Eigentlich mochte er Yamaguchi gerne, weil er höflich, freundlich und zuvorkommend war, außerdem konnte er hervorragend den Mund verschlossen halten, was Terushima in den Wochen, die sie hier miteinander arbeiteten noch nicht ein Mal geschafft hat. Außer vielleicht, wenn ihm andere Ärzte an den Lippen klebten, aber diesen Gedanken wollte Kenma nicht weiter ausführen.

Und irgendwie, er verstand es ja selbst nicht, mochte er auch Terushima recht gerne, obwohl er laut und anstrengend war, aber Terushima war ehrlich und nahm kein Blatt vor den Mund, er verstellte sich nicht und er hat sogar sein blödes Geflirte bei ihm aufgegeben.
 

„Jo, Tadashi?“, hörte Kenma aufgeregtwa Flüstern und neigte nun auch den Kopf ums Eck. Vielleicht hat er ja was gesehen. „Hmm?“, kam es von Yamaguchi. Kenma sah nur, dass sich Terushima noch näher zu ihm lehnte.

„Willst du mir am Wochenende beim Ausziehen helfen?“ Und schon war Kenmas Interesse an der Situation wieder verflogen. Denn ja, er und Kuroo haben sich dazu entschieden, ihre WG zu erweitern und Terushima am Wochenende einziehen zu lassen.
 

„Ziehst du um?“, fragte Yamaguchi. „Auch, aber ich dachte da an was Anderes“

Stille trat ein. Kenma schämte sich in Grund und Boden gerade anwesend zu sein, Yamaguchi brauchte einen Moment länger, stieß seinen Kollegen aber mit der Realisierung von sich weg und trat mit dem Fuß fest auf den Boden. „Du bist echt ein Schwein!“ blaffte er ihn an und stapfte davon.

„Bin ich, im Horoskop“, rief ihm Terushima nach, Yamaguchi hörte es nicht mehr oder reagierte einfach nicht darauf. Kenma maß Terushima eines abschätzigen Blickes. „Was denn, ich mag ihn!“, sagte dieser, Kenma seufzte.
 

„Okay, ich versteh zwar nicht viel davon, aber ich glaube, so bekloppte Sprüche bringen es nicht oder warst du jemals erfolgreich damit?“, wand Kenma ein, bereute seine Frage aber umgehend. „Kenji mags, er lacht immer und irgendwann läufts dann“. Kenma verzog das Gesicht angewidert. „Warum machst du das überhaupt mit anderen, wenn du Yamaguchi magst?“ fragte er das Offensichtliche, Terushima schien nicht zu verstehen. „Weil wir nicht zusammen sind“ - „Was ihr nie sein werdet, wenn du so weitermachst. Aber warum misch ich mich eigentlich ein? Knutsch rum, mit wem du willst, es ist mir egal“, sagte Kenma und war des blöden Grinsen, das ihm nun entgegenstrahlte etwas überrascht, nicht aber, dass Terushima gleich den nächsten blöden Spruch auf den Lippen hatte: „Wie wärs mit uns beiden?“ Das Angebot wurde deutlich abgelehnt. Kenma trat ihm saftig auf das Schienbein und zog in ähnlicher Manier ab, wie Yamaguchi es zuvor getan hat.

Terushima ging in die Knie. „Verdammt! Model-chan! Das war doch nur ein Spaß“, zischte er schmerzerfüllt und übersah wegen dem Volltreffer, dass Komori mit einem breiten Lächeln aus den Räumlichkeiten der Labore kam und schnurstracks an ihm vorbeiging.

Die Mission, die die drei hatten, auch wenn Kenma nur mangels Alternative dabei war, war in allen Belangen gescheitert.
 

-
 

Die nächste Mission, die Kenma und Yamaguchi vor sich hatten, war denkbar trocken. Sie hatten noch Post-OP-Dokumentation aufzubereiten. Dr. Komori meinte, dass sie in der Zeit, in der sie nicht gerade selbst tätig waren oder von der Galerie zusehen durften, so am meisten lernten. Terushima hat darauf eingewandt, dass der Stationsarzt die Dokumentation selbst sicher ungerne machte und sie deswegen auf sie abwälzte. Kenma hatte kein Problem damit und auch Yamaguchi nahm, was er bekommen konnte. „Theorie kann man nie genug erfahren“, hat er zu Terushima gesagt und der hat ihm nur neckend die Zunge gezeigt. Die Zunge mit dem Zungenpiercing, was Kenma an Kuroos Warnung erinnert hat, Yamaguchi aber ehrfürchtig hat aufschrecken lassen.
 

Vor der Erfüllung ihrer Aufgabe wurden die beiden aber aufgehalten, denn als sie am Science Lab vorbei gingen, erkannten sie Dr. Iwaizumi und seine vier Assistenzärzte durch die offene Tür. Auch Dr. Oikawa schob sich gerade präsentativ in die Szene. „Kommt schon, legt euch n bisschen ins Zeug, ihr wisst, was der Preis ist!“ Er klatschte in die Hände und stierte neugierig um sie herum. Dr. Iwaizumi stand mit verschränkten Armen vor einem Whiteboard, auf dem die Namen der vier in schwer lesbarer Arzthandschrift geschrieben standen, daneben waren Zahlen hingefetzt. Sein Blick war geduldig auf die Assistenzärzte gerichtet, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.
 

Kageyama war besonders gut wenn es um Instinkt ging, er arbeitete sehr sauber und legte ein ganz schönes Tempo vor, allerdings scheiterte es manchmal an Kleinigkeiten und vor allem, wenn es darum ging zusammenzuarbeiten. Mit der Zusammenarbeit hatte aber auch Tsukishima ein Problem, der dafür stehts die Ruhe behielt und selbst auf die kniffligste Fragestellung und Situation eine Idee hatte. Besonders klug stellte sich auch Shirabu an, er hatte eine exzellente Technik und war schon etwas teamfähiger als die anderen beiden Jungärzte, dafür hatte er ein Temperament, dass Iwaizumi manchmal an sich selbst erinnerte, vor allem, wenn er an diverse Zusammenstöße mit seinem besten Freund dachte, da ging es manchmal mit ihm durch. Mit wem es nie durchging und wer hier eindeutig am teamfähigsten war, der es aber an Selbstvertrauen fehlte, war Yachi. Sie war eine kluge Ärztin, achtete immer auf ihre Kolleginnen und Kollegen und war sehr einfühlsam mit den Patienten, selbst mit denen, die nicht einfach waren, aber sie war ein Mauerblümchen und bereitete Iwaizumi Sorgen.
 

„Tsukki hat gesagt, sie haben heute Field-Day. Dr. Iwaizumi gibt ihnen den ganzen Tag Aufgaben, praktische und theoretische und wer den Wettkampf gewinnt, darf eine OP von Dr. Oikawa übernehmen“, erklärte Yamaguchi, warum auch der Schönheitschirurg anwesend war und den Jüngsten über die Schultern sah.

„Tobio-chan~ ich bin Besseres von dir gewöhnt, wie willst du mir so nur nacheifern können?“, hagelte es Kritik, aber nicht gegen die Fingerfertigkeit, sondern gegen das miserable Theoriewissen.
 

„Kaum zu glauben, dass es unser König durchs Studium geschafft hat“ Tsukishima blies gehässig Luft aus und gab seinen Multiple Choice Fragebogen bei Dr. Iwaizumi ab, der eine zart getönte Brille aufsetze, weil der Raum in einem so grellen Licht erstrahlte und ihm das Lesen der Unterlage unangenehm machte. „Danke, Tsukishima“, sagte er, nahm den Bogen entgegen und zückte aus seinem Arztkittel einen roten Korrekturstift. Die Sache mit dem lehrenden Arzt nahm er sehr ernst, anders wie sein bester Freund, der sich gerade ein bisschen zu viel Spaß herausnahm, wie er mit seinen Assistenzärzten umging. „Jo, Trashy-kawa, bisschen mehr Teachy-kawa, hmm?“, ermahnte er ihn, biss die Kappe vom Stift und zog seine Linien über Tsukishimas Aufgabenblatt.
 

Dr. Iwaizumi war mit dem Kontrollieren noch nicht fertig, da stand auch schon Shirabu mit seiner Abgabe vor ihm und lieferte sich mit Tsukishima einen Blick- und Schnaubcontest. Der Rotstift zog schneller über das Papier, denn die beiden strebten beinahe die volle Punktzahl an.

„Pff“, drückten sie einander aus, bei der dümmsten Frage falsch gelegen zu haben. Ansichtssache. Der Stift bekam die Kappe wieder aufgesetzt, verschwand im Arztkittel und stattdessen zog Dr. Iwaizumi etwas anderes heraus.
 

Für die nächste Übung reichte er ihnen je ein Post-it wo mit Arzthandschrift etwas geschrieben stand, was sie ihm umgehend bringen sollten, außerdem wollte er bei ihrer Rückkehr auch den Einsatz einerseits des Medikaments anderseits des Utensils hören. Die beiden zogen zielstrebig ab, jeder in eine andere Richtung und Dr. Iwaizumi notierte die Punkte des Multiple Choice Testes und die Zeit auf dem Whiteboard mit den einhergehenden Aufgaben. Dann fiel sein besorgter Blick auf Yachi, die über ihrem Fragebogen hing und sich kaum rührte.

Wie lange sie dort schon saß oder viel eher lag, konnten Kenma und Yamaguchi nicht bestimmen, aber die Blondine schlief. Gerade, dass ihr nicht ein Speichelfaden aus dem Mundwinkel hing.
 

Dr. Iwaizumi stellte sich direkt vor ihren Tisch und räusperte sich einmal stimmvoll, dass die junge Assistenzärztin beinahe aus allen Wolken fiel, also fast vom Sessel und hoch aufjapste.
 

„Tja, ich jag meinen Zöglingen zumindest keine Todesangst ein“, neckte Dr. Oikawa, der bis eben tatsächlich den Beleidigten gemimt hat. „Du hast keine Zöglinge und es sind keine Zöglinge sondern Assistenzärzte, nicht wahr, Yachi?“, konterte der Stationsarzt, er ging dabei gar nicht erst auf die gespielte Empörung ein und beobachtete, wie sich die junge Frau wieder sammelte und schnell nickte. Sie hob rasch ihren Stift auf, der vom Tisch gerollt war und füllte den Rest des Fragebogen aus.

Auch ihre Punkt landeten kurz darauf am Whiteboard, nur auf Kageyama musste Iwaizumi noch warten. Ein Blick auf die Uhr ließ den Stationsarzt im Ansatz unruhig werden.
 

„Tsukki ist richtig gut“, bemerkte Yamaguchi stolz. Sein bester Freund führte gerade. „Ja, er und Shirabu geben sich ein echtes Kopf-an-Kopf-Rennen“, erkannte Kenma richtig. Wer von den beiden also an Dr. Oikawas Stelle Hammerzehen korrigieren durfte, ganz alleine, würde sich aber erst in den nächsten Stunden zeigen. Vielleicht würde auch noch Kageyama aufholen oder Yachi bekam einen Energieschub. Kenma wusste nur, dass er ein bisschen neidisch war. Nicht auf die Chance, mit Dr. Oikawa zu operieren, denn die Aufsicht hatte dieser ja dennoch, viel mehr wegen der Gerätschaften, die die vier Jungärzte hier auch bedienen durften. Die Apparaturen waren auf dem höchsten Stand der Technik und boten so viel Möglichkeit, sich Fertigkeiten anzueignen.
 

„Wir sollten den Papierkram endlich machen“, sagte Kenma aber zu Yamaguchi und die beiden lösten sich von ihrem Beobachtungsposten um einen der Aufenthaltsräume aufzusuchen.

Sie liefen dabei Schwester Suzumeda über den Weg, die die Richtung zum Science Lab eingeschlagen hat, was aber nicht weiter Kenmas Interesse bedurfte. Es reichte Dr. Oikawas gequältes „Dr. Iwa-chaaaaan! Lass mich nicht mit den Anfängern alleine“. Eine Tür wurde zugeknallt und Kenma schob Yamaguchi hastig weiter um in jedem Fall außerhalb der Schusslinie von was auch immer zu sein, nur um direkt in die Kreise des Fegefeuers der Hölle zu kommen.
 

„Ich sagte doch, ich hätte eine Idee Sayaka-chans Leben zu retten“, hörte er Kuroos Stimme. Kenma blieb augenblicklich stehen, er zog auch an Yamaguchis Umhang, dass dieser ebenso stehen blieb. „Ich versteh die Aufgabe nicht“, seufzte der Brünette merklich verwirrt. „Das ist keine Aufgabe, ich wollte von dem einen Problem weg, aber da vorne steht das nächste“, murrte Kenma leise und sah so neugierig um die Ecke, wie Terushima und Yamaguchi es zuvor beim Labor getan haben.
 

„Du hast mir lediglich den richtigen Arzt gebracht“, sagte Dr. Sugawara, Oberarzt für Pädiatrie. Seine Hände waren vor der Brust verschränkt und Kenma erkannte an Kuroos Haltung sofort, dass das kein normales Gespräch zwischen Ärzten war. Kuroo flirtete. Kenma stieß angespannt Luft aus. Yamaguchi lugte nun auch in den angrenzenden Gang. „Warum ist dein Mitbewohner ein Problem?“, fragte er Kenma, doch dieser schüttelte den Kopf. „Es ist nicht Kuro an sich, lass uns wo anders hingehen“, sagte er. „Okay“ Yamaguchi gewahr sich noch einen kurzen Blick auf die beiden Ärzte, folgte aber seinem Kollegen in die andere Richtung.
 

-
 

„Ich hab total versagt“ jammerte Yachi. Sie hat sich nachdem der Feld-Tag mit Dr. Iwaizumi vorbei war neben Kenma in einem verlassenen Gang mit abgestellten Krankenbetten auf einem dieser niedergelassen und stieß ein erschöpftes Seufzen aus. „Du schläfst auch nicht, das ist nicht gut für das Gehirn“, sagte Kenma darauf und fühlte sich überraschend ertappt, denn etwas Ähnliches sagte Kuroo auch immer zu ihm. „Na toll, jetzt kling ich schon wie er“ Kenma verdrehte die Augen, aber Yachi legte den Kopf schief. „Wie wer?“, wollte sie wissen.

„Kuro“, antwortete Kenma knapp. Er blätterte in den Dokumenten, die er für Komori aufarbeitete, Yamaguchi wurde vor einer Stunde von Dr. Ukai jun. für die Unfallambulanz entwendet.
 

„Dr. Kuroo? Der große Arzt mit den komischen schwarzen Haaren?“, fragte Yachi. „Die sind nicht komisch“, verteidigte Kenma seinen besten Freund. „Er schläft seltsam, da sind die automatisch so“, ergänzte er und hob den Kopf um Yachis Blick einzufangen, der ihm nicht gefiel. „Ist er dein Freund?“, wollte sie wissen. Deswegen. Kenmas Pupillen weiteten sich und zogen sich wieder zusammen, wie die einer Katze, die fokussierte. „Nein!“, antwortete er harsch, dass Yachi zusammenzuckte. „Ent-Ent-Ent-“ –
 

„Ente?! Bist du das etwa?“ Noch während sich Yachi stotternd entschuldigen wollte, hastete Komori um die Ecke mit einer weiteren diesmal rosaroten Ente vom Haupttrakt des Krankenhauses in den verlassenen Gang. Kenma wandte sich seinem Stationsarzt zu, Yachi drohte am Schock zu ersticken. „Ich glaube nicht, dass es Yachi ist, Dr. Komori“, sagte Kenma ruhig. Die blonde Ärztin sah geschreckt wie ein junges Reh zwischen den beiden her, rang nach Worten aber auch nach Luft. Den Vorwurf verstand sie kein bisschen, was man ihr auch ansah.
 

„Dr. Komori fühlt sich seit kurzem von kleinen bunten Plastikenten verfolgt“, sagte Kenma trocken zur Aufklärung. Komori erhob tadelnd den Finger gegen ihn. „Harz, kein Plastik! Und aufpassen mit dem frech sein. Also?“, warnte er erst Kenma und sah Yachi wieder fragend an, die zu ihren tiefen Augenringen nun auch noch komplett weiß im Gesicht war.

„I-I-Ich hab gar nicht wo mit Enten“, japste sie. „Aber… aber ist es denn ein Problem? Vielleicht will hier jemand nur mehr Farbe reinbringen“ Yachi machte sich natürlich umgehend Gedanken, die sowohl Kenma als auch Komori mit erhobenen Augenbrauen hinterfragten. Yachi nahm die kleine Ente aus Komoris Hand, hielt sie auf Augenhöhe, dass sie entzückt zuerst zum Stationsarzt und schließlich zu ihrem Kollegen sah. Mit der freien Hand machte sie die Bewegung, die man vom berühmten Ententanz kannte und kicherte vergnügt. Kenmas Mimik blieb, Komori zog die Lippen zu einer Schnute. „Zu überzeugt, du bleibst auf der Verdächtigenliste“, sagte er, nahm Yachi die Ente wieder weg und wandte sich um. Im Gehen gab er einen letzten Auftrag: „Ach und Kozume? Du meldest dich bei Dr. Sakusa wegen Iizunas Drainage und danach kümmerst du dich ums Kramuri-Regal im dritten Stock, fürs frech sein.“ Kenma seufzte leise, aber wagte es nicht, zu widersprechen. Das hat er sich ganz alleine eingehandelt, auch wenn er der Meinung war, die Wahrheit gesprochen zu haben. Komori machte aus diesem Entending einen Elefanten.
 

„Was ist das Kramuri-Regal?“, fragte Yachi unverblümt. Kenma hievte sich bereits schnaubend von dem abgestellten Krankenbett hinunter. „Das ist das Regal mit den ganzen Utensilien, die wir irgendwie doch nicht brauchen und zu beschäftigt sind, korrekt einzuordnen“, antwortete er ihr. Warum das Regal im dritten Stock immer besonders unordentlich war, konnte er sich selbst nicht erklären. Vielleicht würde er im Laufe seiner Karriere noch einen Grund dafür finden und dann könnte er die Schuldigen ermahnen und eine solche Aufgabe, wie er sie bekommen hat, würde es dann nicht mehr für ihn geben. Auch wenn er von Natur aus nicht frech war und somit nicht davon ausging, jemals wieder eine Strafarbeit aufzubekommen.
 

Bevor er den Gang verließ, wandte er sich noch einmal zu Yachi um. „Schlafen!“, kam ihm bestimmend über die Lippen und schon ging er mit den Akten unter seinem Arm hinaus und brachte diese zu Asahi ans Schwesternpult, der sich vor Kenmas ungewohnt angespannten Art hinwegduckte und merklich erleichtert war, als dieser wieder ging. „Der tut dir nichts“, war Nishinoya noch zu hören, genauso wie ein erschrockener Laut, denn Asahi hat wohl auch nicht mit dem aufbrausenden Arzt gerechnet. Gut, dass er im Krankenhaus arbeitete und nicht bei der Feuerwehr oder bei der Rettung, an die Polizei wollte gar nicht gedacht werden. Der große einschüchternde Mann hätte dort zwar bestimmt eine tolle Wirkung, aber würde sich damit selbst ein Grab schaufeln.
 

Kenma musste nicht lange nach Dr. Sakusa suchen, gar nicht sogar, denn als er den Weg zu der Station einschlug, wo Iizuna seit ein paar Tagen in einem Einzelzimmer lag, stand der Neuro-Spezialist auch schon im Gang. „Folgen“ hat er gesagt. Kurz darauf standen sie an Iizunas Bett, Kenma hielt die Finger an dessen Hals und zog ihm den Schlauch vorsichtig heraus.

Iizuna kniff die Augen angestrengt zusammen und seufzte erleichtert auf, als es vorbei war. „Hab ich Ihnen wehgetan?“, fragte Kenma und zog den Faden um die kleine offene Wunde fester, dass sie gut verschlossen war und restlos heilen konnte.

„Nein, es ist nur… es fühlt sich sehr komisch an, ich spüre kaum etwas und irgendwie doch und wenn sie mich-“, sagte Iizuna.

„Das ist normal, das wissen Sie“, unterbrach Dr. Sakusa, besah Kenmas Werk und nickte anerkennend. „Sehr gut“, lobte er und machte noch eine Notiz am Chart, dann ließ er Kenma etwas perplex zurück. Natürlich wollte sich dieser nicht direkt an Dr. Sakusas Rockzipfel hängen und schätzte seine unnahbare Art, dennoch war er nun überfordert, weil er mit Iizuna alleine zurück blieb.
 

Stille waltete zwischen ihnen in der Kenmas Blick an Iizunas Hals haftete und dieser, wie er aus dem Augenwinkel sehen konnte, hier wieder mit seinem hübschen Lächeln hausierte. Einen Moment gewahr sich Kenma, dann hob er den Blick und sah in die sanften rötlichen Augen.
 

„Sie sollten Ihrer Freundin für ihre grobe Art wohl danken“, sagte er, wunderte sich aber gleichzeitig, warum diese Freundin noch nicht zu Besuch war. Kenma fragte diesbezüglich nicht nach, er wollte nicht aufdringlich oder gar neugierig sein.

„Ich habe keine Freundin, Dr. Kozume“, konterte Iizuna mit einer unabdeutbaren Betonung des Bezeichnungswortes ‘Freundin‘. Kenma musterte ihn für einen Moment. „Dann wohl Ihrem Freund“
 

„Ich hab auch keinen Freund. Es war ein kleines Abenteuer… mit einem anderen Mann wohl“, ging Iizuna weiter ins Details als Kenma erwartet hätte, aber seine Neugier war ihm dankbar darum. „Stört es Sie?“, fragte Iizuna noch. Kenma sah ihn nachdenklich an. „Was sollte mich stören?“, wollte er wissen.

„Dass ich auf Männer stehe“, antwortete Iizuna und griff nach Kenmas Hand. Er setzte alles auf eine Karte. „Auf hübsche kluge Männer und ich wäre auf der Suche nach etwas Echtem, glauben Sie, Sie könnten mir behilflich sein?“ Um seine Absichten zu verdeutlichen, streichelte er mit dem Daumen zärtlich über Kenmas Handrücken, was diesem ein ungewohnt schönes Gefühl durch den Körper jagte. Dennoch starrte er uneins mit der Situation auf ihre Hände.
 

„Dr… Akaashi ist sehr klug und ausgesprochen hübsch. Dr. Sakusa auch, aber bei ihm kann ich nicht behilflich sein“, sagte er, die letzten Worte sogar recht schnell. Iizunas Augen blitzten auf.

„Weil da etwas zwischen Ihnen läuft?“, fragte er nach. „Weil er Ihr Arzt ist und mein Vorgesetzter!“, stieß Kenma mit Empörung aus. Iizuna schmunzelte.
 

„Und wie sieht es mit Ihnen aus?“ er gab nicht auf. Kenma hat ihm auch seine Hand noch nicht entzogen, was als positiv zu deuten war. Er genoss die Berührung im Grunde ja auch, selbst wenn er wusste, dass das nicht klug war.

„Ich bin niemandes Vorgesetzter, aber auch Ihr Arzt“ Iizuna seufzte. „Sind Sie vergeben?“ Kenma stockte, Iizuna sprach weiter. „Darf ich denn Ihre private Handynummer haben um Sie nach all dem hier für eine Kontrolle zu konsultieren?“ Unverständnis war in Kenmas Augen zu erkennen.

„Wozu brauchen Sie dafür meine private Nummer? Sie bekommen einen Kontrolltermin direkt mit den Entlassungspapieren und dann machen Sie den nächsten aus“ Iizuna war zwar hartnäckig, aber gerade geriet auch er an seine Grenzen. Er lockerte den Griff um Kenmas Hand und ließ langsam ab.

„Sie haben recht, wie unklug von mir“, murmelte er aber Kenma schüttelte den Kopf. „Nicht doch, Sie sind noch durcheinander, die OP ist erst ein paar Tage her, das ist ganz normal“, munterte er ihn auf, entschuldigte sich aber, immerhin hatte er noch eine unliebsame Aufgabe zu erfüllen.
 

Während seiner Schritte zum Depot des medizinischen Unrats spürte er noch die Wärme von Iizunas Hand auf seiner. Kenma ergab sich eines zufriedenen Lächelns. Irgendwie fand er den Gedanken gar nicht so abneigend, dass dieser Patient seine private Telefonnummer haben könnte, wäre da nicht die Tatsache, dass Iizuna eben das war: Sein Patient. Außerdem suchte er jemanden mit dem er eine echte ernste Beziehung führen konnte und in dieser Position sah er sich nicht und wollte es einem unangenehmen Bauchgefühls zu urteilen auch nicht beobachten, wie es jemand anderes wurde.
 

„Hey! Was machst du?“ Yamaguchi stellte sich Kenma neugierig in den Weg und riss ihn damit und mit der Frage aus seinen unrunden Gedanken.

„Komori… Kramuri. Ähm… Dr. Komori hat mich gebeten, das Kramuriregal zu sortieren“, erklärte Kenma etwas ertappt und führte seinen Weg fort.

„Hast du was angestellt?“ Yamaguchi folgte ihm. Warum lag das nur so auf der Hand? Kenma seufzte. Wenn der andere es eh wusste, musste er es ihm nicht auch noch bestätigen. „Suchst du Tratsch oder hilfst du mir?“, fragte er ihn schlicht. Yamaguchi konnte gerne beides mit „Ja“ beantworten, es wäre Kenma nur recht.

„Okay, ich helf dir. Tsukki hat übrigens Dr. Iwiazumis Wettbewerb gewonnen“, sagte Yamaguchi. Kenma zog seine ID-Karte und öffnete die Tür zum Lagerraum, die hinter ihnen auch gleich wieder zufiel. Das Licht flackerte und offenbarte ein Schlachtfeld von einem Regal.

Yamaguchi begann die Utensilien auseinander zu sortieren, erst meinte er, dass sie grobe Sammlungen brauchten, dann könnten sie mit der Reinigung beginnen und die Dinge an ihre Plätze räumen.
 

Und wäre da nicht eine plötzliche Unterbrechung gewesen, hätten die beiden wohl gut die ein oder andere Stunde dahinarbeiten können. Aber die Tür wurde rasant aufgerissen, eine Hand langte in den Raum und warf einige Pflaster herein. Das blöde Kichern erkannte Kenma sofort, aber Terushima und wer auch immer, vermutlich Futakuchi, verschwanden noch bevor die Tür richtig offen war und wieder zufallen konnte. Vis-a-vis knallte die Tür des Bereitschaftsraumes zu, wurde verschlossen und Kenma wusste nun genau, warum der Lagerraum im dritten Stock so unordentlich war. „War das…“, Yamaguchi traute sich kaum zu Ende fragen. „Ich weiß nicht“, log Kenma und zuckte mit den Schultern, lieber nahm er die Pflaster, stapelte sie aber ließ sie genauso in der Mitte des Regals liegen. Sein Kopf neigte sich zu Yamaguchi, der ungewohnt ruhig war. Ruhiger als sonst, stumm regelrecht und sein Atmen hörte sich bedrückt an. Kenma seufzte. „Er ist ein Vollidiot, okay?“, sagte er zu ihm. Yamaguchi nickte abwesend. Seine Augen wurden glasig und die Situation für Kenma unangenehm.

„Möchtest du zu Koma-nishis OP gehen? Er bekommt heute seine neue Lunge“, schlug Kenma vor und zerstreute die Pflaster so, dass sie wieder so lagen, wie sie zuvor gefallen sind. Dass er Kawanishi bei seinem Krankenhaus-Spitznamen nannte, hatte rein aufmunternde Zwecke Yamaguchi gegenüber, denn eigentlich fand Kenma das sehr unangebracht und grotesk. War es und Yamaguchi konnte er damit auch nicht richtig ablenken. „Ich weiß, wo es auch jetzt noch Apfelkuchen gibt“, schlug er weiter vor und fragte sich, warum es so schwer war, Leute aufzumuntern. Er war doch nett und einfühlsam, warum ging es dem Brünetten nicht besser? Der zuckte stattdessen nur mit den Schultern, dass nun Kenma derjenige war, der Trost brauchte und deswegen wollte er zum Schwesternzimmer gehen, wo sich der Automat mit der süßen Wohltat befand. Yamaguchi folgte bedröppelt. Kenma fuhr sich angespannt durch das Haar, hatte aber wenig später, was er wollte. Auch Yamaguchi saß vor einem Stück, aber nestelte nur demotiviert an den Krümeln herum.
 

„Lass das bitte sein und iss“, forderte Kenma harscher als geplant. Wieder fühlte er sich unangenehm an Kuroo erinnert und fragte sich, ob es für den Älteren immer so war, wenn Kenma sich den vernünftigen Dingen verweigerte. Stille waltete, nur das Klackern der Gabel auf dem Teller war zu hören und etwas entfernt die Stimmen der Schwestern und Ärzte, aber die beiden hatten etwas Ruhe. Kenma kämpfte mit sich selbst, aber überwand sich schließlich doch einer Frage.
 

„Du magst Terushima oder?“ Yamaguchi schreckte ertappt hoch. Rote Farbe zierte seine mit Sommersprossen bedeckten Wangen und Kenma wusste, dass Terushima dieser Anblick gefallen würde, wie hat er ihm in einer der Busfahren gesagt? „Ich steh total auf Sommersprossen“.

„Ich versteh zwar nicht, was du an ihm findest, aber ich glaub, er brauchts, wenn man ihm die Meinung sagt“, erlaubte er sich einen weiteren Rat an diesem Tag. Yamaguchi verhielt sich weiter ruhig während Kenma seinen Kuchen aufaß. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er über das Gesagte nachdachte, vielleicht sogar bereits innere Monologe oder gar Dialoge führte, doch nichts davon kam über seine Lippen. Bis Kenma wieder das Wort erhob.

„Isst du den noch?“, fragte er den Brünetten und Yamaguchi gab das Stück gerne weiter.
 

„Terushima-san ist irgendwie all das, was ich gerne wäre… Er ist witzig und direkt, außerdem macht ihm alles, was er tut, Spaß und er sieht in allem das Positive oder zumindest scheint es so, er ist ein richtiger Optimist und hat vor nichts Angst und er ist sehr natürlich, ich glaube, er verstellt sich nicht“, sagte Yamaguchi schließlich und Kenma musste sich eingestehen, er hatte recht, bis auf eine Kleinigkeit, von der er in der Zwischenzeit wusste, weil er sonst in aller Ruhe Bus fahren hätte können. Vielleicht sollte er ihn demnächst einmal fragen, wie er sich das mit seinem Motorrad vorstellte. Und gewiss, Terushima gehörte zu den ehrlichsten Leuten, die er kannte. Er nahm kein Blatt vor den Mund und Filter hatte er auch keinen aber, und das mochte er wohl selbst sehr an ihm, er war immer 100% er selbst. Zumindest schätzte er ihn so ein. Wer würde sich schon so verstellen, dass dabei ein Charakter, wie Terushima ihn hatte, rauskam? Das wäre wirklich dumm. Und dumm war er nicht, immerhin hatte er ein Diplom.
 

„Er ist trotzdem ein Vollidiot“, sagte Kenma, stand nach dem Verspeisen des zweiten Stücks auf und schlug Yamaguchi vor, die Transplantation zu beobachten, die demnächst losgehen sollte. Vielleicht würde sich ja einer von ihnen für diese Spezialisierung entscheiden. Auch wenn Kenma meinte, er hätte seine Richtung bereits gefunden.
 

Leider zwang ihr Ziel die beiden unweigerlich dazu, am Lagerraum und somit auch wieder am Bereitschaftszimmer vorbeizugehen. Das Timing hätte nicht schlechter sein können, denn in dem Augenblick als sie schon fast passiert waren, kamen Terushima und Shirabu mit unordentlicher Kleidung und etwas zerzaustem Haar heraus. Ihnen war sehr deutlich anzusehen, was da drinnen passiert ist und dass es lange passiert, vermutlich mehrmals.

Auf Terushimas Lippen lag ein schmutziges Grinsen, Shirabu maulte etwas von einem Trostpreis, aber der Blonde winkte es nur weg. Als er sich umdrehte und Kenma mit Yamaguchi erkannte, entgleiste ihm dafür das Gesicht und etwas geschah, das Kenma für unmöglich gehalten hat: Er blieb stumm.

Dafür überraschte ihn Yamaguchi, der zwar wieder rote Farbe um seine Nase sammelte, diesmal aber nicht aus Verlegenheit, sondern aus Zorn.
 

„Wie lange habt ihr es da drinnen bitte getrieben? Das ist doch abartig!“ warf er Terushima vor. Er spuckte die Worte regelrecht aus, in seinen Augen flackerte Wut und die nervös geballten Hände verrieten Kenma, dass Yamaguchi sich wohl sogar davor behütete, einfach zuzuschlagen. Interessant. Shirabu hat sofort das Weite gesucht, für Drama war er gerade nicht zu haben, denn in diesem wäre er nun auch noch beteiligt gewesen.
 

„Abartig gut?“, fragte Terushima, aber bevor Yamaguchi vielleicht doch noch handgreiflich wurde, zog ihn Kenma weg. Er schüttelte über Terushima den Kopf und deutete ihm, zu bleiben, sein Blick transportierte die Aufforderung zu schweigen. „Abartig“, wiederholte er schnaubend, Terushima blieb mit Einsicht zurück.

Yamaguchi ließ sich gar nicht so einfach weiterzerren, erst als sie den Gang verließen und vor den Liften ankamen, wo Yachi nervös auf und ab ging, den Rufknopf betätigte und den nächsten Lift aber ziehen ließ, löste sich die Anspannung.

Die Blondine war unruhig, sehr sogar und aufgelöst, bleich gar im Gesicht und schien die beiden nicht zu bemerken, da hatte sich Yamaguchi sofort seiner Wut entzogen und ging auf die Kollegin zu. Vorsicht legte er ihr die Hand auf die Schulter, Kenma beobachtete.
 

„Yachi-san? Ist alles in Ordnung?“, fragte er bedacht. Yachi erstarrte. Ihr Blick traf den von Yamaguchi und kurz darauf Kenmas.

„Nein… ich meine Ja, naja also… ich weiß nicht. Kawanishi-san wird gleich operiert, aber ich trau mich nicht hinzugehen“, sagte sie.

„Du hast zu viel Nähe zu deinem Patienten aufgebaut“, sagte Kenma seufzend und verschränkte die Arme vor der Brust, doch Yachi schüttelte schnell den Kopf. „Nein, nein, daran liegt es nicht“, sagte sie behände. Auf die Nachfrage, woran es sonst läge, machte sie erst eine theatralische Pause.
 

„Dr. Ukai Junior ist auch dort“, sagte sie leise. Sie schämte sich eindeutig, wofür ahnte Kenma ja noch nicht und verstand es auch nicht so recht, als sie es nach Yamaguchis weiteren Nachfrage erklärte.
 

„Nunja… vielleicht ist es mir so unangenehm, weil ich mich etwas vor ihm fürchte. Ich hab ihn in der ersten Woche für einen Patienten von der Psychiatrischen gehalten… er sieht so gefährlich aus, mit seinen Piercings und den gebleichten Haaren und dann auch noch dieser finstere Blick.“

Kenma ging sich selbst durch das blondierte Haar und dachte an Terushimas Zungenpiercing und Shirabus finsteren Blick. Er wollte nicht nachfragen, ob Yachi auch vor ihm und den anderen Angst hatte, denn das spürte er ganz deutlich, war der Grund: Yachi hatte Angst vor dem jungen Dr. Ukai. Wie das wohl erst bei dessen Großvater wäre? Dem Chefarzt der Kardiologie.
 

„Ich finde ihn auch etwas unheimlich, aber wenn wir zu dritt gehen, dann kann uns nichts passieren“, sagte Yamaguchi mit einem liebevollen Lächeln, das nicht nur Yachi überzeugte. Kenma meinte zu wissen, dass das genau der Grund dafür war, warum sich Terushima so selten dämlich benahm und vermutete auch gleich, dass er vielleicht noch eine Angst hatte. Nicht weil Yamaguchi angsteinflößend war, nein, niemals, dafür war er viel zu entzückend, aber Terushima wirkte auf ihn – und das bewies er in den letzten Tagen sehr deutlich – nicht wie jemand, der bereit für etwas Ernstes war. Kenma meinte langsam zu verstehen, dass sich Terushima selbst boykottierte, weil er Angst vor Bindung hatte. So wie er… Eine interessante Gemeinsamkeit, die unterschiedlicher nicht sein und wirken konnte.
 

-
 

Dr. Ukai Junior saß bereits in der Galerie als die drei Jungärzte dazukamen. Auch ein paar Andere waren schon anwesend. Dr. Nishinoya und Dr. Tanaka zum Beispiel. Sie haben in der letzten Reihe Platz genommen und tauschten aufgeregte Zusprache dem Transplantationsarzt aus, der noch nicht im Operationssaal stand. „Er ist einfach der Allercoolste“, flüsterten sie, aber Dr. Ukai räusperte sich. „Sorry, Doc, Sie sind auch nicht übel“, folgte die Entschuldigung.

Kenma setzte sich direkt beim Eingang ganz hinten hin, dass er flüchten konnte, wenn ihm das Publikum hier zu bunt wurde, so sah er das Eintreten des erwarteten Arztes auch erst, als dieser schon fast am Operationstisch angekommen war und stutzend nach links zu Semi sah, der bereits die Narkotisierung überwachte.
 

"Onde está Sushi?", fragte er mit einem angenehmen brasilianischen Grollen in der Stimme, dem man gerne Stunden lang zuhören wollte. "Kommt erst zum Schichtwechsel, Sie müssen mit mir vorlieb nehmen, Dr. Romero", erwiderte Semi mit festem Blick. Für einen Moment verweilten die beiden als trägen sie einen stillen Wettkampf aus bis Dr. Romero akzeptierend nickte. "Okay", sagte er und tätschelte Semi den Kopf, was alle Anwesenden, auch die Zuseher, nach Luft japsen ließ.

"Dr. Romero!", mahnte Misaki. Die OP-Schwester eilte sofort zum Spender um frische Handschuhe in Größe L herauszuzupfen.

Yachi war richtig heftig erschrocken und verwehrte sich nun eines Schwächeanfalles, während Yamaguchi mehr einem verschreckten Grundschüler glich als einem ausgebildeten Arzt.
 

„Hinsetzen, ihr Knalltüten, oder raus“, knurrte Dr. Ukai, dass sich Yachi beinahe umgehend gesetzt hätte. Auf den Boden, wäre da nicht Yamaguchi gewesen, der sie in die erste Reihe schob. Kenma gab dem Getuschel der beiden nicht mehr viel, war aber ebenso empört über diesen hygienischen Fauxpas, OP-Häubchen hin oder her, das war nicht in Ordnung.

Misaki unterstützte den Arzt beim Handschuhtausch und schüttelte den Kopf dabei. Unter ihrer Maske schien sich dennoch ein amüsiertes Schmunzeln zu bilden. Impulskontrolle war wohl nicht Dr. Romeros Stärke.
 

Die Neulinge staunten nicht schlecht, als der nächste Punkt an der Tagesordnung die Beorderung war, das Handy und die kleine Blutoothbox anzumachen um die OP-Playlist abzuspielen.

Mit dem ersten Song wandte sich Dr. Romeros Kopf hoch zu Dr. Ukai. Die beiden nickten einander zu und die Operation ging los.
 

Kenma wollte sich nicht weiter durch die musikalische Begleitung oder irgendwelchen Bro-Handshake-Augengeplänkel durch eine Glasscheibe beirren lassen. Wenn der Mann dort am OP-Tisch so gut war, wie ihm sein Ruf einher ging, dann durfte er sich eine solche Eigenheit erlauben. Vorausgesetzt, es löste keinen Tick aus, wie das Tätscheln des Anästhesisten Kopfes.

Die Musik hat Kenma auch schon fast vollkommen ausgeblendet. In so etwas war er gut. Auch in Videospielen konnte er das Unwichtige für sich abschalten und sich auf das Wesentliche fokussieren. Bei Dr. Romero war es wohl gerade die Musik, die den Fokus einlenkte und ein klares Bild schaffte. Es war schwer zu erkennen, ob die Handgriffe taktangepasst oder taktgebend waren.

Das Wesentliche ließ im Laufe der Operation Kenmas Ohren zucken und den Fokus ablenken.
 

„Oh, Dr. Romero ist hier?“, fragte eine wohlbekannte Stimme neben ihm. Dr. Sakusa lehnte sich mit verschränkten Armen an den Türbogen und sah erhobenen Hauptes durch die Scheibe hinunter zu Dr. Romero, der beim Besteckwechsel einen Schlagzeugtakt mitwippte. Kenma sah über seine Schulter hinweg zu dem Oberarzt, bot ihm den Platz neben sich an, aber Dr. Sakusa deutete ihm, zu rutschen. Er würde nicht lange bleiben.
 

„Wie er leibt und lebt und rockt“, sagte Dr. Ukai mit dem Gesicht weiterhin nach vorne gewandt. Dr. Sakusa verzog das Gesicht. „Idiotisch“, flüsterte er, was durch seine Maske kaum zu hören war, und würdigte den Chefarzt keines Blickes. Kenma blieb ruhig neben ihm sitzen und musterte ihn, soweit es sein Sichtfeld von der Seite und durch das blonde Haar erlaubte. Seine Gedanken fanden sich rasch in dem Moment, als Iizuna ihm gesagt hat, er würde auf kluge, hübsche Männer stehen und dass er selbst sofort an seinen Vorgesetzten gedacht aber erst einmal Akaashi als Alibi genannt hat (es war ja auch nicht gelogen).
 

„Sollten Sie sich nicht auf die OP konzentrieren, Dr. KenKen?“, kam es leise aber ernst von Dr. Sakusa. Und was hörte Kenma da raus? Den Hauch von Spott? Machte sich der Oberarzt über ihn lustig? Weil Kuroo ihn so genannt hat? Verdammter Kuroo!

Seine Augen huschten aber sofort wieder nach vorne. „Natürlich“, wisperte er und blieb bis zum erfolgreichen Schluss der Operation auf Dr. Romero fixiert. Auch als Dr. Sakusa vorzeitig gegangen war.
 

Yachi starb in der Zeit gefühlt tausend Tode, dass die junge Ärztin beim Verlassen der Galerie ganz weiß und durchgeschwitzt war und nur auf Yamaguchis Anweisungen hin ihre Schritte tat. Dr. Ukai hat sich nach ihrem Wohlergehen erkundigt, aber keine brauchbare Antwort erhalten, das war dann auch ihm unangenehm und er hat sich nach einem kurzen Pulscheck entschuldigt und verabschiedet.

„Das war astrein!“, jubelte Nishinoya und ging mit Fingerpistolen und einem aufbauenden Blick an Yachi vorbei, Tanaka folgte ihm.
 

„Ich bin so froh, dass alles gut gegangen ist“, flüsterte die Blondine. „Er muss erst noch aufwachen“, nahm ihr Kenma ganz unüberlegt die Hoffnung. „Entschuldige bitte“, sagte er sofort als die frische Farbe gleich wieder ihr Gesicht verließ.
 

„Nein, nein, du hast recht, Kozume-kun, ich sollte erst abwarten“, japste sie, schluckte und nickte rasch. „Du solltest schlafen“, ermahnte sie Kenma noch einmal. Schon wieder sprach Kuroo aus ihm. "Ja, das sollte ich wohl", seufzte Yachi. Auch die Letzten verließen die Galerie.

Für Kenma, Yachi und Yamaguchi sollte es schnurstracks zu ihren Stationen gehen. Am Gang erkannten sie aber, dass Dr. Ukai wartete und Dr. Romero direkt beim Heraustreten aus dem Post-OP-Saal abfing. Einem unerwarteten Handschlag, wie ihn Jugendliche gerne teilten, folgte Dr. Romeros zarte Enttäuschung. „Schade, dass ich dich nicht da drinnen hatte.“
 

„Die Zeiten, in denen ich an deinem Rockzipfel hänge-“ – „an meiner Schulter“ – „-dann dort, die Zeiten sind vorbei. Als Chefarzt hab ich meinen eigenen Fanclub“, sagte Dr. Ukai und deutete mit dem Kopf in die Richtung, in der Yachi sich umgehend wieder erschrocken hatte und die kleine Gruppe um sie langsamer wurde. „Naja, Fanclub würde ich jetzt nicht sagen“, murmelte Kenma an Yamaguchi gewandt, aber er würde es nicht wagen, einem Chefarzt zu wiedersprechen.
 

„Ach, sind wir wieder soweit? Ich glaube, als vogelfreier Transplantationsspezialist, der durchs Land reist und den coolsten Job der Welt macht, hab ich eindeutig gewonnen. Aber du hast das wirklich gut gemacht, bom bom“, säuselte Dr. Romero. Er tätschelte Dr. Ukai den Kopf, wie er es zuvor bei Semi gemacht hat. „Du weißt, ich kann das nicht ausstehen“, knurrte Dr. Ukai gleich darauf und richtete sich die Frisur wieder. Dr. Romero schmunzelte.

„Cerveja?“, fragte er. Ukais Grinsen kam wieder zurück, breiter denn je. „Dachte schon, du fragst nie“

"Wann ist deine Schicht vorbei?" - "Gib mir noch ‘ne Stunde" Die beiden Ärzte verabschiedeten sich und Dr. Romero wollte sich für einen Moment der Gruppe anschließen.

"Habt ihr schon eure Spezialitäten gewählt?", fragte er. Yachi und Yamaguchi schüttelten im Gleichtakt die Köpfe, Kenma nicht. "Neuro ist gut", sagte er. Dr. Romeros Mundwinkel zogen sich hoch. "Dann hast du hier gute Professores". Lange ging ihre Unterhaltung nicht, denn beim Lift trafen sie auf Konoha, der mit Akaashi ins Gespräch vertieft war und sofort Dr. Romeros Aufmerksamkeit auf sich riss.
 

"Olá, Sushi!", rief er. Die beiden wandten sich um. Der Rest blieb stehen und wunderte sich über die Anrede.

"Oh, Nicky", Konohas Augen funkelten auf, Akaashis Haltung wurde wachsamer und seine Augen verengten sich eine Spur. "Ich hab dich vermisst, hab sogar deinen Song weggedrückt", sagte Dr. Romero in Anspielung auf seine Operation und legte sich überzogen dramatisch die Hand auf die Brust. "Ich bin mir sicher, du kommst drüber hinweg", kam es kühl aber mit einem milden Lächeln von Konoha. "So wie du?" Dr. Romeros Blick galt nun Akaashi. Der junge Assistenzarzt untersagte es sich, seine Hände durchzukneten und hob stattdessen die Arme in eine verschränkte Haltung vor seiner Brust. "Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen, aber seien Sie unbesorgt, von ungestillter Sehnsucht hätte ich nichts bemerkt" Akaashi ging in den Angriff über, wurde aber nicht ausfällig, noch vergriff er sich im Ton oder an der respektvollen Gegenüberstellung. Er blieb höflich und diskret ganz im Gegenteil wie jemand anderes.
 

"Burn!" kam es von Terushima. Kenma wandte sich zu seinem neuen Mitbewohner um und fragte sich umgehend, wo der gerade hergekommen war und wie lange er bereits hinter ihm und neben Yamaguchi stand. "Schön, dich wohlauf zu sehen", sagte Dr. Romero zu Konoha und schenkte Terushima kein Fünkchen Aufmerksamkeit. Erst als er nach einem festen Griff auf Konohas Schulter kehrt machte und an Terushima vorbeiging. "Du wirst dich noch verbrennen" Die Blicke wurden auf Yamaguchi gelenkt und dann ließ der Transplantationsspezialist die Runder unter sich. Er hatte immerhin noch ein Bier zu trinken.
 

Oder zwei.
 

Oder drei.

Tell me more

Atmen. Einatmen und Ausatmen. Schwäche und Kraft. Wird Luft eingenommen, ist der Körper schwach, wird sie wieder ausgestoßen, zeigt er Stärke. Erschreckt sich der Mensch, holt er Luft, hält sie gar an. Ist der Mensch wütend, schreit er, stößt Luft aus und macht seiner Stimme Gebrauch. Kraftvoll. Der Mensch spricht mit dem Ausatmen. Die allgemeine Richtung ist nach vorne. Im Schrecken japst er. Die allgemeine Richtung ist nach hinten. Ein Stoß, ein Tritt, ein Schubsen wirft uns weiter zurück, wenn wir einatmen, atmen wir aus, stellen wir uns dagegen. Kraft. In der Stimme liegt Kraft. Sie vermittelt.

Stimme und das überbrachte Wort können verletzen, schwächen. Die Reaktion: Ein Einatmen.

Stimme kann auch Trost spenden und Freude bereiten. Die Reaktion: Ein Seufzen – Ausatmen.

Worte. Reden. Kommunikation. Des Menschen wertvollste Gabe, auch schrecklichste Waffe. Reden kann heilsam sein. Nicht umsonst ist Gesprächstherapie ein so gängiges Behandlungsmedium psychischen Schmerzes. Reden, eine liebe Stimme zuvördest, denn der Ton mach die Musik, wirkt wahre Wunder bei Komapatienten. Dabei scheint es, egal zu sein, worüber man spricht. Es ist wie bei einem Hund. Sagst du ihm nur süß genug, er sei ein Trottel, er wird sich freuen – Hecheln, ausatmen. Schrei ihn an, dass du ihn liebst und er wird sich fürchten – Zurückfahren, einatmen.

Vertraute Stimmen, besonderer die von Verwandten, wirken beruhigend. Wie viel vom Inhalt des Gesagten tatsächlich auch beim Patienten ankommt, ist von Mensch zu Mensch verschieden. In der Regel beschränkt sich die Erinnerung auf das Gefühl.

Also sprich. Immer. Mit Liebe und Bedacht. Mit Wärme und sprich mit einem Lächeln, denn man hört es, auch am Telefon. Und hole vor dem Reden einmal tief Luft um dir deinen Raum zu nehmen. Denn wenn du sprichst, soll man dir zuhören.
 

***
 

„Hallo Kawanishi-kun. Heute war eine richtig verrückte Nachtschicht“ Kenma konnte im Vorbeigehen gerade noch sehen, wie sich Yachi an das Bett des Koma-Patienten setzte. Sie hat einmal tief Luft geholt und begann zu sprechen, da gewahr sich Kenma selbst auch einen Moment der Ruhe. Er blieb stehen, gewahr seiner Kollegin ihren Raum und lauschte ihren Worten.
 

Die Nachtschicht stand kurz vor ihrem Ende, es galt nur noch ein paar Momente auszuharren um schließlich mit der Frühschicht zu wechseln. Für Kenma hieß das heute, mit Terushima abzutauschen, der ihm eine Speziallasagne versprochen hat. Kuroo war auch zuhause, dass er nicht damit rechnete, etwas gar zu Ausgefallenes vorzufinden. Richtig ausgefallen war dafür Yachi, die Kawanishi von ihrem Tag erzählte. Ein zartes Seufzen verließ Kenmas Lippen, denn wie Yachi sprach, tat sie das wohl regelmäßig, vermutlich sogar seit dem Unfall von vor ein paar Wochen täglich.
 

„Aber ich fange einfach von ganz vorne an, denn heute hab ich Eri kennengelernt, sie ist schon das zweite Jahr hier und richtig nett auch wenn sie mich Anfangs richtig erschrocken hat und… naja…“, kicherte sie und erzählte munter von ihren Eindrücken der vergangenen Nachtschicht.
 

-

Yachi war überpünktlich, wie so oft, denn sie kam nicht wie alle anderen von zuhause, sie schlich sich aus einem der Räume des Krankenhauses selbst. Aus Kawanishis Krankenzimmer, der seit Wochen schon schlief und künstlich beatmet wurde. Seit er vor ein paar Tagen endlich die lebensnotwendige Transplantation erhalten hat, hing sein Leben nicht mehr ganz so sehr an einem seidenen Faden, aber Yachis Dasein verknüpfte sich immer mehr mit seinem. Sie saß nach ihrer Schicht noch lange bei dem jungen Mann und erzählte von ihrem Arbeitstag, so lange, bis sie mit dem Kopf auf ihren Armen auf dem Bett abgestützt einschlief.

Zu ihrem Glück gab es im Krankenhaus Duschen und die Möglichkeit, Wäsche zu waschen und sie zu trocknen. Es fiel auch kaum auf, dass sie seit Wochen nicht zuhause war, ihrer Mutter schrieb sie regelmäßig, redete sich auf unpassende Schichten aus und dass sie viel zu tun hatte. Auch Yachis Mutter hatte viel zu tun.
 

„Hey! Du bist doch die Kleine von Dr. Iwaizumi oder?“, wurde die Blondine in Angst und Schrecken versetzt. Sie kam gerade in ein Handtuch gewickelt aus der Dusche und hat gar nicht bemerkt, dass sich noch jemand in den Umkleiden befand.
 

„Oh, entschuldige bitte, ich wollte dich nicht erschrecken“, kicherte die andere Ärztin. Sie war größer als Yachi, wie die meisten Menschen und trug ihre schwarzen Haare zu zwei Zöpfen gebunden, was sie freundlich aber auch kindlich wirken ließ.

Yachi schüttelte sofort den Kopf, wenngleich ihre piepsige Stimme nicht von Überzeugung sprach.

„Alles gut, ich dachte nur… ich… ich hab nicht gedacht, dass noch jemand hier ist und ähm… aber ich bin niemandes Kleine“, sie klammerte sich fest an ihr Handtuch und sah sich um, ob sich vielleicht noch jemand hier aufhielt. Und um Himmels Willen, wie kam diese fremde Ärztin auf die Idee, dass sie etwas mit Dr. Iwaizumi hatte? Hatten sie etwa zufällig oft dieselben Schichten? Selbst die, die seine Assistenzärzte anders hatten als er oder war das Gerücht aufgekommen, weil sie durch ihren Aufenthalt hier immer zu Zeiten gewisse Wege ging, in denen es der Stationsarzt auch tat, ohne, dass Yachi es plante, wusste oder gar ahnte. Des Schocks der Erkenntnis, dass sie vielleicht bereits im ganzen Krankenhaus als Konkubine des gutaussehenden Arztes ihren Ruf hatte, ließ sie beinahe das Handtuch fallen lassen, ihre Kinnlade lag metaphorisch bereits am Boden, viel mehr Worte des Widerspruchs konnte sie gar nicht deutlich herausbringen. Außerdem wurde nun gelacht. Yachis Gegenüberüber lachte und in Yachi stieg die Scham hoch direkt in ihr Gesicht, das von normal auf weiß gewechselt hat und nun eine übergesunde Röte zierte.
 

„Oh nein! So hab ich das doch gar nicht gemeint. Entschuldige, ich hätte dich nicht auf deine Größe eingrenzen sollen, ich kenne nur deinen Namen noch gar nicht und weiß nur, dass du eine von Dr. Iwaizumis Assistenzärzten bist und… nun ja… recht klein bist. Ich bin Eri Miyanoshita“, sagte die Kollegin aus dem zweiten Jahr mit einem zuckersüßen Lächeln, dass ihr die Augen für einen Moment zudrückte. Darauf sah sie Yachi aber mit einem entschuldigenden Blick an, der an einen kleinen Hund erinnerte, der sich dessen bewusst war, etwas angestellt zu haben. Aber sonst hatte Eri nichts mit einem Hund gleich. Eine angenehme Person, wie Yachi nun schnell entschieden hat. Vermutlich auch eine sehr treue Seele und somit einem Hund doch nicht so unähnlich, dazu die Zöpfe, die wie Schlappohren wirken konnten. Yachi bemühte sich wirklich, ihre Kollegin nicht mit einem Hund zu vergleichen, das war unhöflich.
 

„Hitoka Yachi“, stellte sie sich auch vor, ihre Finger hatte sie immer noch fest um das Handtuch geschlossen. Nichts wäre peinlicher als vor einer Kollegin blank zu ziehen.

„Schön, dich kennenzulernen, treibst du dich öfter hier rum zwischen den Schichten?“, fragte Eri neugierig, verschwand aber hinter einer der Spindreihen, um sich umzuziehen und Yachi auch ihre Privatsphäre zu gönnen. „Ich bin ja heute selbst etwas früh dran, aber ich habs zuhause nicht mehr ausgehalten“, sagte Eri noch zu ihrer Verteidigung.

Yachi nutzte die Chance, ungesehen zu sein. Sie entledigte sich des Handtuches und zog sich rasch an.
 

„Ja ich, ich bin öfter hier, aber ich treib mich nicht rum“, verteidigte sie sich sofort. Sie traute sich nicht, weiterzugehen, weil sie auch Eri ihre Privatsphäre gewahr. Die summte nur. „Naja, vielleicht ein bisschen“, gestand Yachi. Eris Kopf lugte hinter den Spinden hervor. „Achso? Erzähl mir mehr!“, forderte sie. Das Oberteil wurde über den Kopf gezogen, sie klippte ihren Dienstausweis an den weißen Mantel und hielt ihr Stethoskop abwartend in den Händen, als würde sie es gleich verwenden.
 

„Ich weiß gar nicht, ob ich das laut aussprechen sollte“, murmelte Yachi vor sich hin, innerlich verfiel sie bereits wieder, weil es sich verboten und falsch anfühlte, dass sie ihre gesamte freie Zeit dafür aufbrachte, einem Koma-Patienten von den Geschehnissen im Krankenhaus zu erzählen. Nein nein, das würde sie Eri lieber nicht sagen, denn selbst, wenn der Worst Case nicht eintreffen würde und sie wegen dem Verstoß gegen den Ethikkodex fliegen würde, dann würde Eri sie doch mindestens für verrückt halten und dann würde sie, Yachi, auf der Psychiatrischen landen, wo sie Dr. Ukai Junior eigentlich vermutet hatte. Auch das wollte sie Eri lieber nicht sagen. Deren Blick aber blieb weich.

„Du musst über gar nichts reden, worüber du nicht reden willst“, sagte sie und ging mit dem Stethoskop zum Spiegel. Sie hing sich die Ohroliven an die Ohren und drückte sich das Bruststück unter das Schlüsselbein. Die Augen wurden geschlossen und es schien, als lauschte sie für einen Moment ausschließlich ihrem eigenen Herzschlag. Yachi wagte es nicht, etwas zu sagen. Mit einem Seufzen nahm Eri das Gerät ab, legte es sich um den Hals und wandte sich mit einem freundlichen Lächeln zurück zu Yachi.

„Du fragst dich sicher, was das soll, oder?“, kicherte sie. Yachi nickte. „Ehrlich gesagt, ja, aber du musst nicht“, gewahr sie ihr genauso das Recht zum Schweigen, aber Eri zuckte mit den Schultern. „Ich höre gerne, dass mein Herz noch schlägt“, sagte sie mit Wehmut in den Augen, den sie aber schnell weglächelte. „Aber du machst nichts Illegales oder? Medikamente stehlen und am Schwarzmarkt verkaufen?“, wollte sie von Yachi wissen.

„Nein, nein! Natürlich nicht! Ich bin bei einem Patienten“, japste sie und Eris Augen wurden größer. „Oooh, eine Romanze?“, fragte sie weiter und klatsche euphorisch in die Hände. Yachi schüttelte sofort den Kopf, fuchtelte wild mit den Händen und presste mit hochrotem Kopf hervor, dass es nicht so war.

Eris Blick wurde skeptisch. Diese Reaktion, so sagte sie, wäre verdächtig. So verdächtig, dass Yachi sprach.

Sie erzählte Eri von Kawanishi und dass er ihr leid tat und dass sie sich um ihn sorgte. „Und was machst du, wenn du bei ihm rumsitzt und wartest?“, fragte Eri.

„Ich erzähl ihm von meinem Tag und von den anderen Ärzten.“ - „Wirst du ihm nach der Nachtschicht von mir erzählen?“, wollte Eri wissen. Yachi formte ein sanftes Lächeln und nickte rasch. „Ja ganz bestimmt, also… außer, es stört dich. Oh mein Gott, glaubst du, es stört die anderen? Kawanishi-kun wird sich kaum erinnern können. Oh Himmel, was, wenn doch?“ Yachi schlug panisch die Hände vor den Mund. Sie überlegte, umgehend zu Kawanishi zu laufen um ihm zu sagen, dass er nichts davon weiterplaudern durfte, wenn er wieder aufwachte. Wenn… Falls. Für Yachi war es sicher, dass der junge Mann nach dem Massencrash wieder aufwachte. Alles andere wäre unfair gewesen. Sein Leben war jetzt schon so unfair. Eri kicherte vergnügt.
 

„Ach, ich glaube auch nicht, dass er es sich merkt, er bekommt es bestimmt mit, aber was er wissen wird, wenn er aufwacht, wird sein, dass du bei ihm warst, also erzähl ihm gerne von mir und wie nett ich bin“, sagte Eri mit einem Zwinkern, damit verabschiedete sie sich von Yachi, denn sie wollte vor dem Beginn der Nachtschicht noch etwas erledigen, worauf sie nicht weiter einging.
 

Für Yachi ging es direkt darauf etwas seltsam los. Sie hat sich gemeinsam mit Shirabu beim Schichtführenden Arzt, Dr. Sawamura, gemeldet und sich Aufgaben geben lassen. Nichts Kompliziertes, in Shirabus Augen auch nichts besonders Spannendes. Kontrollen und Datenübertragung auf der Intensivstation, da fing es auch schon an, seltsam zu werden, denn Dr. Iwaizumi saß bei der verunglückten Motorradfahrerin. Seltsam, weil er bereits Schichtende hatte, noch seltsamer, weil er ein ungewohnt liebevolles Lächeln auf den Lippen trug, während er mit ihr sprach. Yachi empfand Dr. Iwaizumi zwar nicht als unfreundlich oder gar grob, doch so gelächelt hat er, seit Yachi seine Assistenzärztin war, noch nie.
 

„Dr. Iwaizumi? Haben Sie nicht schon Feierabend?“, fragte Shirabu. Yachi riss es den Stift vor Schreck über das Blatt Papier. „Shh-Shirabu-kun, sowas fragt man doch seinen Vorgesetzten nicht“, ermahnte sie ihn vorsichtig. Der Tadel war dem Jungarzt aber egal.

„Gute Nacht, Kaede, morgen leiten wir dann alles für Ihr Einzelzimmer ein“, sagte Dr. Iwaizumi und ging, nachdem ihm auch Kaede einen guten Schlaf wünschte, zu seinen Assistenzärzten. Erst nickte er Yachi zu, aber dann zeigte er Shirabu seine ernste Miene, der die jungen Ärzte und manchmal sogar Dr. Oikawa Respekt zollten. „Bevor ich mir von dir etwas unterstellen lassen, lege ich dir Nahe auf deinen eigenen Ruf zu achten“, grollte Dr. Iwaizumis Stimme leise. Seine Augen blitzten im Bruchteil einer Sekunde an Shirabus Kragen und wieder zurück in dessen Gesicht. Yachi drehte sofort den Kopf um und erblickte unter dem festen Stoff einen roten Fleck, der gerade nicht abgedeckt war und so verdächtig aussah, dass die blonde Ärztin gleich wieder etwas rote Farbe im Gesicht bekam und ganz schnell wieder weg sah.
 

„Natürlich, Doktor Iwaizumi“ Shirabu schluckte seinen Stolz herunter. Eigentlich war er niemand, der sich vor einem Wortgefecht drückte, da war ihm der Rang auch reichlich egal, aber in diesem Fall war es doch ein bisschen anders. Dieser Arzt war für seine Karriere zuständig und das würde er sich nicht verscherzen. „Gut, angenehme Schicht“, sagte Dr. Iwaizumi wieder mit seiner üblichen ruhigen Art und ließ die beiden zurück. Shirabu schnaubte und verließ mit Yachi, die Kaede, freundlich wie sie war, auch noch eine gute Nacht wünschte, die Station. Die anderen beiden Patienten schliefen bereits.
 

„Shirabu-kun?“, fragte Yachi vorsichtig, doch dieser ging sofort auf Abwehr. „Das geht dich überhaupt nichts an“, fuhr er sie an, dass sie erstarrt stehen bleib und sich stotternd entschuldigte. Auch Shirabu blieb stehen. „Du könntest auch mal n bisschen mehr gerade stehen“, sagte er zu ihr und musterte sie. Er verschränkte seine Arme vor der Brust und musterte sie eingehend. „Aber du wolltest gar nicht wegen dem fragen, oder?“, fragte er und richtete sich schnell den Kragen, dass sein Knutschfleck wieder verdeckt war.
 

„Natürlich nicht! Das würde ich nie wagen. Das ist deine Sache“, sagte sie rasch und Shirabu nickte zustimmend. „Genau, ganz meine Sache und da muss sich Dr. Iwaizumi nicht wichtigmachen. Aber… was wolltest du dann fragen?“

Die beiden gingen weiter, Yachi stammelte etwas vor sich herum und Shirabu ermahnte sie ein weiteres Mal.
 

„Du hast doch Dr. Iwaizumi gerade wegen seinem Schichtende gefragt“, legte sie einen Fakt dar, dem Shirabu ein knappes „Ja“ bekundete aber auf die wirkliche Offenbarung wartete. „Meinst du, es ist nicht gut, wenn man nach seinem Dienst noch hier ist?“, fragte sie. Shirabu hob eine Augenbraue. „Ich glaub, das kommt drauf an. Was treibst du?“, fragte er sie. Yachi war natürlich umgehend durchschaut. „Naja… vielleicht bin ich etwas öfter bei Kawanishi-kun und rede mit ihm, weil ich nicht will, dass er alleine aufwacht und auch, dass er bis dahin nicht einsam ist“, gestand sie. Shirabu schwieg. „Bitte sag es niemanden!“, bat ihn Yachi und er schüttelte schnell den Kopf. „Ne… ich bin keine Petze… aber… wie vielleicht ist dieses öfter? Du bist ständig müde und schläfst fast ein, das ist doch öfter als öfter“ sein Blick wurde etwas sanfter, seine Stimme aber blieb ernst und streng.

Yachi lachte verlegen. „Ja… also…”, begann sie und Shirabu winkte ab. „Vergiss es, es geht mich nichts an, okay? Mach, was du für richtig hältst und ich sag es niemandem“. Damit ging Shirabu weiter und auch Yachi ging nun freudig hopsend neben ihm her. „Danke, Shirabu-kun“, summte sie vergnügt. Solange bis sie im Eingangsbereich angekommen waren. Dort sollte eine späte Lieferung von Medikamenten eingelangt sein, die sie gemeinsam mit Pfleger Izuru einordnen sollten.
 

„Dr. Sawamura sieht es gerne, wenn auch die Ärzte wissen, wo die Medikamente stehen, ihr könnt euch im Notfall nicht darauf verlassen, dass immer Pflegerinnen oder Pfleger hier sind, die euch sofort zur Hand gehen können“, erklärte Izuru mit ruhiger Stimme auf Shirabus Protest, dass das nicht seine Aufgabe sei. Yachi nickte zustimmend. „Das ist wirklich klug“, sagte sie und bekam ein begeistertes „Nicht wahr?“ zurück. „Das ist wirklich klug“, äffte Shirabu sie kurz nach und schnaubte wiederholt. Als sich beide umwandten und vor allem Yachi ihn mit einem schrecklich erbarmungswürdigen Dackelblick ansah, kam ihm sogar eine knappe Entschuldigung über die Lippen und er ließ diese unliebsame Einschuldung über sich ergeben.

Yachi wurde dabei das Gefühl nicht los, dass Izuru angespannt war und fragte sich, ob es Shirabu lag, der ja nicht gerade ein Sonnenschein war.

-

„Und ganz wichtig ist, dass ihr immer alles zusperrt. Die Kästchen einzeln und natürlich den Raum selbst. Auch im Notfall! Ihr glaub nicht, auf welche Ideen die Patienten kommen“, sagte Izuru während dem Schließen der Tür und somit zum Abschluss der Aufgabe. „Auf welche denn?“, fragte Yachi mit großen unruhigen Augen. Izuru lachte etwas verhalten. „Also… nun ja, sie erfinden Notfälle, spielen mit ihren Reizen, manchmal arbeiten sie sogar zusammen, das ist wirklich ganz schlimm, wenn man eine Sucht bekämpfen muss“, seufzte er, plauderte aber nicht besonders lange aus dem Nähkästchen, denn am Schwesternpult im Eingangsbereich wartete bereits die nächste eigenartige Begegnung.
 

Eine junge Frau mit kurzem Haarschnitt in braun stand noch ein paar Schritte vor dem Empfangspult und wippte nervös von ihren Fußballen auf die Fersen und wieder zurück. Ihre Lippen bewegten sich, als würde sie sprechen, aber kein Ton kam dabei heraus. Yachi ahnte gleich, dass sie, was auch immer ihr Anliegen war, gerade übte auszusprechen. Izurus Angespanntheit löste sich kein bisschen und Shirabu machte gerade keine Anstalten, die Situation in Angriff zu nehmen, also ging Yachi vor. Sie erkannte, dass die Besucherin etwas in der Hand hielt, etwas Kleines, dass sie es nicht erkennen konnte. Sie räusperte sich kurz. „Kann ich Ihnen behilflich sein? Suchen Sie jemanden?“

Das Wippen stellte sich ein, der Kopf neigte sich zur Seite und haselnussbraune Augen trafen warmes Mahagoni. Yachi erkannte sofort, dass diese Frau nicht zu den Patienten gehörte, die Izuru erwähnt hatte, die Wärme ihres Blickes konnte nicht getäuscht sein.
 

„Ich ähm“ ein weiteres Räuspern, diesmal nicht von Yachi, folgte und die Frau verneigte sich knapp. „Ja, ich suche tatsächlich jemanden. Mein Name ist Yui Michimiya und ich wollte mich bei Dr. Sawamura bedanken“, sagte die hübsche Brünette.

„Oh, Dr. Sawaramura? Da haben Sie aber Glück, dass er heute in der Nachtschicht ist“, stolperte Yachi etwas über die Erkenntnis, schenkte Michimiya aber ein freundliches Lächeln. Dass sie ihr behilflich sein würde stand auch schon ganz außer Frage. Dass Shirabu es nicht tun würde, war aber genauso klar und er verabschiedete sich für einen Kaffee von den Dreien.
 

„Izuru, weißt du, wo Dr. Sawamura gerade ist?“, fragte Yachi den Pfleger, der zu ihrer Überraschung immer noch etwas angespannt wirkte. Vielleicht sogar ein klein bisschen mehr als zuvor. Er schüttelte rasch den Kopf. „Vermutlich macht er seine Runde oder ist auf der Pädiatrie, dort ist er oft“, sagte Izuru und stellte sich rasch wieder an seinen Posten. „Soll ich ihn anpagen?“, fragte er. Yachi schüttelte den Kopf, auch Michimiya tat es ihr gleich. „Bitte keine Umstände wegen mir“, sagte die junge Frau und Yachi lächelte ihr zu.
 

„Ich hab Zeit, ich bringe Sie“, sagte sie zu Michimiya. Wenn die Runde des Oberarztes in der Pädiatrie enden würde, dann wollte sie einfach schon einmal mit ihr dort hingehen und den Grund für den Besuch und die Dankbarkeit erfragen.
 

„Ich war vor einem Monat wegen meinem Blinddarm hier. Dr. Sawamura hat ihn entfernt und die Naht ist wirklich schön geworden. Sie ist natürlich noch ganz rot, aber ich glaube, wenn sie verheilt ist, sieht man es kaum. Bis zu meiner OP hatte ich so schreckliche Schmerzen und jetzt ist mein Leben so viel angenehmer und besser und nun ja, ich kann mich doch nicht einfach nicht bedanken, auch wenn ich jetzt das Gefühl habe, dass es übertrieben ist, ich hab… ich hab einen Talisman für ihn, dass er jeden seiner Patienten so eine Lebensverbesserung geben kann, also weiterhin, er macht das bestimmt jeden Tag. Er war ja so professionell, er ist sicher der Beste oder?“, erzählte Michimiya beim Gehen und endete schließlich in einer Frage, die Yachi einen Moment überlegen ließ.
 

„Also, wenn ich ehrlich bin, haben wir hier nur außerordentlich gute Ärzte, aber Dr. Sawamura ist auf seinem Gebiet einer der Besten, das ist wohl wahr“ wurde die Frage beantwortet. Michimiya lächelte sanft. In Gedanken war sie bestimmt bei dem Oberarzt für allgemeine Chirurgie.

„Und Sie? Was ist Ihr Fachgebiet?“, fragte Michimiya. Yachi schreckte für einen Moment auf.

„Oh ich… darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht, ich bin in meinem ersten Jahr hier. Also, wir sind alles ausgebildete Ärzte, aber dieses Krankenhaus hat ein Schulungsprogramm, in dem wir im ersten Jahr in alle Fachgebiete der Chirurgie eintauchen um uns ab nächstem Jahr zu spezialisieren, das dauert also noch“, sagte Yachi und MIchimiya wollte wissen, ob Yachi nicht vielleicht trotzdem schon eine Idee hatte, wo sie hin wollte. Aber das war schwer zu beantworten. Es waren alle Bereiche so unheimlich interessant. Während es in der Kardiologie und der Neurologie um die heiklen teils winzigsten Details ging, war aber auch die orthopädische Chirurgie, in der man richtig anpacken musste sehr spannend. Die plastische Chirurgie eröffnete so viele Wege und auf der Unfallstation gab es immer etwas, was es noch nie gab. Die Pädiatrie wäre für Yachi auch eine Überlegung, weil sie Kinder gerne mochte, aber vielleicht würde sie sich auch wie Dr. Sawamura allgemein halten und alles erledigen, wofür es keinen Wunderdoktor bedurfte. Wunder würden sie aber dennoch alle von Zeit zu Zeit bewirken oder zumindest beobachten dürfen.
 

Genauso wie Dr. Sugawara es wohl demnächst mit Dr. Suna schaffen könnte.
 

„Dr. Kuroo hat mich auf die Idee gebracht oder nun ja, man könnte fast sagen, er hat mir Dr. Suna auf dem Silbertablett gebracht“, kicherte Dr. Sugawara am Empfangspult der Station ins Gespräch vertieft mit Dr. Sawamura. Die beiden wirkten vertraut, Yachi vermutete, dass sie gute Freunde waren, wie wohl auch Dr. Suna und Dr. Sakusa, die allerdings alles andere als vertraut wirkten, denn die waren beide eher unnahbar und schüchterten dadurch ungemein ein. Dr. Iwaizumi führte aber wohl eine ähnliche Beziehung zu Dr. Oikawa, den er seit seiner Kindheit kannte, das hat Yachi am Field-Day erfahren, den Tsukishima gewonnen hat.
 

„Er hat mir auch schöne Augen gemacht“, sagte Dr. Sugawara und lehnte sein Kinn an seiner Hand ab, mit dem Ellenbogen lehnte er am Pult und sah verträumt nach oben. Dr. Sawamura hustete einmal stark. „Was denn? Denkst du nicht, dass man mir schöne Augen macht?“, fragte der Mann mit den grauen Haaren, die aber nicht von Alter sprachen. Er richtete sich auf und stemmte die Hände bereit zum Protest in die Hüften.
 

„Doch doch, natürlich, wer würde dir nicht schöne Augen machen wollen?“, japste Dr. Sawamura, bemühte sich aber schnell um Beherrschung. In dem Moment bemerkten die beiden aber wohl auch Yachi und Michimiya.

„Oh… Michimiya, was machen Sie denn hier? Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte der begehrte Arzt. Dr. Sugawara lehnte sich direkt wieder an das Pult aber beobachtete die Szene mit einem breiten Grinsen.
 

„Dok….Doktor Sawamura-sama… ich” Michimiya fing an zu sprechen. Yachi hob den Blick zu ihrer Seite und überlegte stark, warum die junge Frau nun so nervös wurde. Dr. Sugawara verkniff sich bereits ein Kichern. Dr. Sawamura stand dafür in aller Ruhe da und wartete, bis Michimiya ausgesprochen hatte. „Ich wollte mich bei Ihnen bedanken!“, sagte sie lauter heraus, als es ihr lieb war. Yachi staunte und wartete auf die Übergabe, die aber nicht kam.

„Ach wofür denn? Dass ich meinen Job gemacht habe? Wie sieht die Narbe aus? Darf ich sehen?“ Der Oberarzt kam die Schritte auf die beiden Frauen zu. Michimiya nickte. „Natürlich, Sie dürfen alles. Also… ähm, ja, Sie dürfen sehen“, haspelte sie und nun verstand auch Yachi, dass sich Michimiya nicht nur bedanken wollte, sie wollte den Arzt, der ihr Leben erleichtert hat, noch einmal sehen und vielleicht sogar noch ein paar Mal mehr? Das hatte auch Dr. Sugawara eindeutig verstanden und winkte Yachi zu sich um ihr wohl des Alibis wegen etwas zu zeigen. Michimiya zog einstweilen ihre Bluse aus dem Rock um die heilende Narbe zu zeigen. Yachi erkannte jetzt erst an der Kleidung, dass sie wohl von ihrer Schicht kam, denn die Kleidung ähnelte der einer Kellnerin, vielleicht war sie auch Flugbegleiterin? Wenn Yachi nun genauer hinschaute, dann erkannte sie, dass – „Hey, gib ihnen doch n bisschen Privatsphäre“, zischte Dr. Sugawara und Yachi sah sofort ertappt zu dem Oberarzt der Pädiatrie. „Bitte entschuldigen Sie“, sagte sie, aber Dr. Sugawara hielt sich nicht an sein eigenes Wort. Er spickte auch. Und er erkannte auch, wie zart und vorsichtig der andere Oberarzt nach Erlaubnis seine Finger an Michimiyas Taille legte und mit dem Daumen prüfend über die sich langsam erholende Narbe strich. „Wirklich schön“, sagte er.

„Äh… D-Danke Dr. Sawamura“, japste Michimiya mich hochrotem Kopf. Der Blick des Allgemeinchirurgen nach oben übermittelte ihm ein Missverständnis. „Oh! Ich meinte die Narbe, sie wächst schön zusammen“, klärte er auf. Die Situation wurde so unangenehm, dass Yachi nun ganz freiwillig wegsah und sich auch hinter ihren Händen versteckte.
 

„Ah! Entschuldigen Sie das-“ – „Nein, bitte entschuldigen Sie! Oh was ist-“ – „Autsch“ – „Verzeihung“ – „Pardon… das ist ein Talisman, ich wollte Ihnen den geben, für gutes Juju“
 

Die Szene, in der Michimiya der Talisman hinuntergefallen war und ihr und Dr. Sawamuras Kopf zusammen stießen sah Yachi nicht, aber Dr. Sugawara war sich nicht zu schade, das Ganze nach einer peinlichen Verabschiedung, in der sich der Oberarzt zwar aufrichtig bedankte, aber von den wahren Absichten der jungen Frau rein gar nichts verstand, wieder und wieder zu wiederholen.

Michimiya hat sich auch von Yachi verabschiedet, den Weg zurück hätte sie ganz schnell gefunden. Es war auch wirklich gut beschriftet, denn auf dem Boden des Krankenhauses waren Linien und Pfeile in verschiedenen Farben zu den unterschiedlichen Stationen gezeichnet und so auch zum Ausgang.
 

„Also dir muss man auch mit Schildern und blinkenden Farben deutlich machen, dass jemand mit dir flirtet, was? Ach Mann, Daichi, wie willst du so jemals jemanden finden?“, fragte Dr. Sugawara. Dem anderen Arzt fiel beinahe die Kinnlade hinunter. Er sah zu Yachi, als wollte er Bestätigung und die nickte sogar. Auch ihr war klar, dass Michimiya wohl nichts dagegen gehabt hätte, den Oberarzt näher kennenzulernen.
 

„Soll ich?“ – „Na klar laufst du ihr jetzt nach! Ich kümmer mich um die junge Dame hier“, sagte Dr. Sugawara und scheuchte Dr. Sawamura regelrecht weiter.

Yachi drehte den Kopf langsam zu Dr. Sugawara und der grinste sie nur breit an. „Wir beide werden jetzt auch Spaß haben, magst du Kinder?“, fragte er doch Yachi konnte gar nicht antworten, da schrie ihr Pager los.
 

„Huch“, rief sie, zückte das Ding aus ihrer Manteltasche und besah den Notfall. „Ein Unfall“, japste sie. „Na dann los“, scheuchte sie Dr. Sugawara weiter. Sein Pager ging nicht los, was bedeutete, dass es sich schonmal nicht um ein Kind handelte.

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„Und dann sind wir in die Notfallaufnahme gekommen, also auch Kenjiro und da war schon Dr. Tendou, er ist wohl öfter in der Nachtschicht da“, plauderte Yachi weiter, was für Kenma nun auch verständlich machte, warum er den verrückten rothaarigen Arzt so selten sah. Er kannte fast nur Erzählungen von Kuroo und ist ihm erst zwei Mal über den Weg gelaufen. Diese Begegnungen waren beide unterschiedlicher Natur. Das erste Mal war an Kenmas erstem Tag in diesem Krankenhaus, wo er sich vorgenommen hat, nicht über ihn zu urteilen, weil er keinen besonders seriösen Eindruck gemacht hat und das zweite Mal war bei dem Unfall, wo die Notfallaufnahme im Chaos versunken war und der Arzt mit den roten Haaren absolute Kontrolle über die Situation hatte, wenngleich auch seine Gesichtszüge dem Irrsinn näher waren als der Ordnung. Aber Kenma hat auf der Notfallstation auch erkannt, dass Ordnung dort schwer zu meistern war, wenn man in strikten Linien dachte und handelte.
 

„Es ist alles so schnell gegangen. Dr. Tendou ist den Sanitätern sofort entgegen gelaufen und dann hab ich erst gesehen, dass da ein Mann war. Er hat sich den Bauch gehalten. Blut war überall auf seinen Händen und der Kleidung und sein Gesicht… er muss solche Schmerzen gehabt haben, er hat schrecklich ausgesehen. Ich hab mich gar nicht richtig rühren können, aber Dr. Tendou hat uns zu sich gerufen und ich hab einfach gehandelt, weil es ja mein Job ist! Und Taichi- oh… ich wollte nicht… aber… ich darf doch Taichi sagen oder? Ich meine… du kennst schon so viel von mir und naja, ich hab schon so viel von dir gesehen und oh mein Gott! Bitte glaub nicht, dass ich dich so gesehen habe! Ich bin keine Perverse! Oh nein, jetzt denkst du von mir wohl wie ich von Dr. Ukai Junior anfangs und nein, bitte sag ihm das nicht!“ Yachi schien im Krankenzimmer zu eskalieren, dass Kenma gar nichts anderen übrig blieb. Er ging die wenigen Schritte von draußen in den Raum und versuchte, seine Kollegin zu beruhigen.
 

„Yachi? Ich glaube nicht, dass er dich für eine Perverse hält, erzähl lieber weiter von der Notfallaufnahme, ich glaub, das tut ihm gut“, sagte Kenma und deutete auf den Bildschirm, der den Herzrhythmus aufzeichnete. „Kozume-san?!“, japste Yachi erschrocken der Tatsache, dass sie nicht alleine mit Kawanishi war, aber folgte dem Finger zum Monitor. „Das ist gut“, seufzte sie leise.
 

„Also, was war mit dem blutenden Mann?“, fragte Kenma und setzte sich auf den freien Stuhl bei der Tür des Zimmers. Seine Augen hafteten auf der Szene vor ihm, die eigentlich nichts mit der einer Arzt-Patienten-Beziehung gemein hatte. Yachis Stuhl war nah an das Krankenbett geschoben, eine ihrer Hände lag auf Kawanishis Arm, die andere ruhte auf der Decke und ihre Körperhalterung zeugte von emotionaler Nähe. Oh Yachi.
 

„Oh ja, also der Mann wurde angeschossen! Könnt ihr euch das vorstellen?“ Yachi sah zuerst Kenma entgeistert an, dann Kawanishi. Ihre weiteren Worte waren wieder mehr dem Patienten zugetragen.
 

„Er ist schon richtig blass gewesen und hat fast nicht mehr sprechen können. Er ist uns direkt in der Notfallaufnahme zusammengebrochen und dann ist alles ganz schnell gegangen. Wir waren in dem Not-OP. Dr. Tendou hat die Schusswunde aufgeschnitten. Er hat meine Hand geführt, dass ich die Blutung stoppe. So wie bei dir damals, ich hab ganz fest gehalten, dass nicht noch mehr Blut verloren geht. Kenjiro hat mit Tüchern das überschüssige Blut weggemacht und Dr. Tendou hat alles getan um die Kugel rauszubekommen, aber die war so schwer zu erreichen. Es war so hektisch, ich hab versucht Platz zu machen, aber das war das mit dem Zudrücken nicht mehr so leicht und dann hat sich die Kugel verschoben und schließlich hat auch Dr. Tendou nichts mehr tun können“, erzählte Yachi. Ihre Stimme wurde immer hastiger und zitterte regelrecht. Ihre Hand um Kawanishis Unterarm drückte sich fester zusammen.
 

„Er ist verblutet… obwohl ich nichts falsch gemacht habe und auch Dr. Tendou hat nichts falsch gemacht.“ Mit diesen Worten sah sie zu Kenma auf, der mit den Schultern zuckte. „Manchmal kann man eben nichts mehr tun“, sagte er. „War die Polizei da?“, wollte er wissen und Yachi bestätigte.
 

-Playlist-


 

Die Polizei war da, aber sie haben nur noch Daten aufgenommen. Der Mann wurde in einer Kneipenschlägerei mit seiner eigenen Pistole angeschossen.
 

„Wenn man zu dumm ist, auf seine eigene Waffe aufzupassen…“, knurrte Shirabu. Er stand am Waschbecken des Notoperationssaales und versuchte das Blut so gut wie möglich aus seinem weißen Mantel zu waschen. Yachi stand neben ihm. Sie trug immer noch die blutigen Handschuhe und war bleich vor Schock. Der Mann war vor ihren Augen gestorben. Das laute durchgehende Piepgeräusch der Maschine, die den Herzschlag aufzeichnete, hallte noch in ihren Ohren, obwohl es längst abgedreht war.
 

„Wie sagt man? Den ersten vergisst man nicht“, sagte Shirabu. Yachi rührte sich immer noch nicht. Shirabu schnaubte.

„Jetzt sei nicht so, das ist die Natur des Lebens, wir können sie nicht alle retten“, schnauzte er sie an. Yachi drehte den Kopf langsam zu ihm. „Und Kawanishi liegt im Koma“, flüsterte sie. Shirabu legte den Kopf schief. „Was hat er damit zu tun?“
 

„Zwei Unfälle, zwei Patienten und keiner von ihnen lebt, also nicht richtig“, erklärte Yachi. Shirabu zog ihr endlich die Handschuhe aus, warf sie in den Müll und wusch sich sogleich das Blut wieder von den Fingern. „Kawanishi wird das schon durchstehen, wenn er keine Chance hätte, hätte er keine neue Lunge bekommen“, schlussfolgerte Shirabu und schob nun Yachi zum Waschbecken. Wie in Trance gab auch sie sich dem Akt des Händewaschens hin. Aber ihre Gedanken rasten. Die beiden Patienten, die ihr Leben in ihre Hände gelegt haben, noch nicht einmal freiwillig. Sie mussten! Weil ihnen nichts anderes übrig blieb. Sie waren nicht bei Bewusstsein, oder kläglich, und Yachi war da. Sie war diejenige, die verantwortlich war.
 

„Dr. Tendou hat alles getan, ich hab gesehen, wo die Kugel eingedrungen ist, wie sie verrutscht ist und dass es zu spät war, noch bevor der Kerl mit der Rettung hier angekommen ist, also mach dich nicht fertig, es ist nicht deine Schuld“, sagte Shirabu und reichte Yachi.
 

„Wie geht’s Koma-nishi eigentlich?“, fragte er, da gab ihm Yachi den zärtlichsten Rempler, den er je erfahren hatte. „Nenn ihn nicht so! Das ist nicht nett!“, beschwerte sie sich. Shirabu sprach eine karge Entschuldigung ab, forderte aber auch eine Antwort.
 

„Er ist stabil, unverändert. Aber manchmal zucken seine Muskeln, dann hebt sich ein Finger oder seine Mundwinkel. Es sieht dann aus, als würde er kurz lächeln“, sagte Yachi selbst mit einem zarten Lächeln auf den Lippen. „Dir liegt wirklich was an ihm, hmm?“ Yachi wurde ertappt und sie wusste selbst nicht einmal so recht warum.
 

„Was ist das?“ Shirabu nahm beim Vorbeigehen eine kleine blaue Entenfigur vom Kästchen mit dem Feueralarmknopf. Yachi war sofort abgelenkt. „Das ist eines der Entchen, die Dr. Komori verrückt machen!“ Shirabu hob die Augenbrauen an, Yachi schlug sich die Hände auf den Mund. „Das wollte ich nicht sagen! Dr. Komori ist nicht verrückt“, japste sie. Shirabu musterte das Entchen. „Und wie machen ihn die Entchen verrückt?“, fragte er und Yachi erzählte vom Field-Day an dessen Nachmittag sie vor Kawanishis Transplantation eine Seite von Dr. Komori gesehen hat, die sie nicht kannte.
 

„Und ich hab auch eine“, schloss sie ab und griff rasch in die Brusttasche ihres Arztmantels. Sie stockte. Das Fummeln in der kleinen Tasche wurde hastiger. Yachi riss die Finger wieder heraus, weitete die Tasche und starrte von oben mit verzweifeltem Blick hinein nur um zu erkennen, dass sie leer war. Gleich darauf sah sie Shirabu panisch an.
 

„Ja und? Hast du sie halt verloren, wenn die hier eh überall rumstehen, kannst du jederzeit ein neues einstecken, hier nimm das“, sagte er und reichte Yachi das blaue Entchen.
 

„Nein! Das ist nicht das Problem! Ich hatte sie vorhin noch. Ich hatte die Ente bevor wir in die Notfallaufnahme gekommen sind“, sagte sie. Ihre Stimme wurde brüchig. „Nein!“, sagte Shirabu etwas lauter und schüttelte den Kopf. Yachi zog die Augenbrauen zusammen, ihre Augen wurden glasig und selbst Shirabu hatte einen unsicheren Gesichtsausdruck. „Wir müssen sofort zurück“, sagten sie zeitgleich und drehten um. Sie betraten die Notfallaufnahme und stellten zu allererst den kleinen Not-OP auf den Kopf. Alle Mülleimer wurden durchsucht, die Pfleger wurden befragt, auch das Reinigungspersonal hat die kleine rosarote Ente nicht gesehen.
 

„Sie ist in dem Mann drinnen“, hauchte Yachi einem Nervenzusammenbruch nahe. „Das kann nicht sein“, log Shirabu, der seinem bleichen Gesicht zur Folge auch davon überzeugt war, dass die Ente mit dem Patienten in die Pathologie geschoben worden war. Die beiden tauschten einen Blick aus. Ein Moment der Stille waltete, aber so wussten beide, dass sie in die Pathologie mussten.
 

„Was, wenn die Ente ihn umgebracht hat?“, presste Yachi unter Tränen heraus. „Der Schuss hat ihn umgebracht! Die Ente hat damit nichts zu tun“, verweigerte Shirabu jegliche Selbstanschuldigungen. „Was, wenn ich es schlimmer gemacht hab?“ Yachi war außer sich.

„Hast du nicht! Du hast gesehen, wie viel Blut er schon verloren hat und die Kugel ist verrutscht“ – „Was, wenn es nicht die Kugel war, sondern die Ente?“
 

Die Schritte wurden schneller. Yachi machte sich Vorwürfe, in ihrem Kopf waren sie bereits in der Leichenhalle und haben ihren Patienten gefunden, wieder aufgeschnitten und kramten nervös in dessen Innereien nach der rosaroten Ente. Ihre Vorstellung war so bildlich, dass sie augenblicklich stehen bleiben musste und gegen den Drang, sich übergeben zu müssen, kämpfte.
 

„Was ist los, Yachi? Komm schon!“ Shirabu war nervöser als sie ihn je gesehen hat. Yachi schluckte alles hinunter, was ihr hoch kommen wollte und sie folgte ihm weiter in das unterste Geschoss des Krankenhauses.
 

„Warum ist das Pathologische Institut immer im Keller?“, fragte sie mit einer weiteren anderen Nervosität in der Stimme. „Vermutlich, weil es dort von Haus aus kalt ist“, vermutete Shirabu. Warum die Lichter hier unten aber flackern mussten und die Gänge noch ausgestorbener waren, als der Rest den Krankenhauses in der Nachtschicht, ließ sich damit nicht erklären. Auch das mulmige Gefühl, das sich in ihrer beider Eingeweide ausbreitete war anderer Natur und dennoch hatte es einen direkten Zusammenhang damit, dass sie sich im Tiefgeschoss befanden.
 

„Shirabu-kun?“ Yachis Stimme flackerte genauso wie das Licht hier. „Bei dem, was wir gleich machen werden, kannst du Kenjiro sagen“, sagte Shirabu und packte sie am Oberarm um mit ihr gemeinsam ans Ziel, der Aufbewahrungshalle, zu kommen. „Okay“ Yachi nickte schnell, hielt Schritt und drückte sich gemeinsam mit ihrem Kollegen an der großen Glastür an die Scheibe um zu sehen, ob jemand dort drinnen war. „Mein Vorname ist Hitoka“, flüsterte sie. Ihre Augen huschten durch den verzerrten Raum. Das Licht dort war stabiler. Kein Flackern. „Gut, Hitoka, dann gehen wir mal hinein“, sagte Shirabu, tat den ersten Schritt aber noch nicht. Auch Yachi tat ihn nicht.

Keiner von beiden tat ihn, eine Weile nicht. Bis das Licht im Gang schließlich vollkommen ausfiel und Yachis Aufschrei Shirabu zur Flucht nach vorne getrieben hat.
 

„Was zur Hölle?!“, blaffte er sie an, sichtlich erschrocken. Yachi konnte das nachempfinden, hatte sie sich eben auch herzhaft erschreckt und war ihm Flott in die Halle gefolgt. „Ich hab mich erschrocken?“, fragte Yachi. Shirabu schnaubte. „Vor was? Der Dunkelheit? Oder hat dich was angegriffen?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, schnaubte noch einmal und ließ seinen Blick durch den Raum wandern.

„Ich hoffe nicht“, sagte Yachi und drehte sich rasch um. Nein, sie hatte tatsächlich nichts gespürt und es war auch niemand hinter ihnen. Nur die Panik war da, dass da vielleicht jemand sein konnte. Oder vielleicht sogar das Gegenteil? Denn wie sie sich wieder zu Shirabu wandte, erkannte sie wie er, dass auch hier drinnen niemand war. „Wir sind alleine“
 

„Dann lass ihn uns schnell finden, die Ente rausschneiden, wieder zumachen und ganz schnell zurück nach oben gehen“, drängte Yachi Shirabu weiter in den Raum zur nächsten Glaswand. Dahinter verbarg sich die Leichenhalle, so wie sie sie auch schon aus dem Studium kannten. Zwei Aufbahrungstische standen in der Mitte mit hohen Lampen und ähnlichen Bestecktischen, wie sie sie in den Operationssälen hatten, nur dass es hier nicht mehr darum ging, ein Leben zu retten, sondern darum, herauszufinden, was eines gekostet hat.
 

Einer der Tische war leer, auf dem anderen lag eine Person unter einem weißen Tuch. Yachi schluckte stark. „Das ist er, oder?“, fragte sie und Shirabu nickte. Dass er es nicht war, war ausgeschlossen. Dennoch interessierte ihn gerade etwas anderes mehr. „Was hier wohl sonst noch so rumliegt?“, fragte Shirabu und ging zu den Kühlladen. Er legte die Hand auf eine, betätigte den Zug und wollte bereits anziehen, doch Yachi hielt ihn auf. „Bitte lass uns das ganz schnell erledigen ja?“, flehte sie ihn regelrecht an. Shirabu seufzte. „Gut, vielleicht komm ich ein andermal noch hier her und schau mich um.“
 

Er trat näher an den Tisch heran. Yachis Hand bewegte sich bereits, ehe ihr etwas auffiel. „Hast du das gesehen?“, fragte sie mit hoher Stimme. „Was gesehen?“ Yachis Hand zitterte und sie deutete mit dem Finger auf den Körper unter dem Tuch. „Das da! Das bewegt sich“, fiepte sie. Shirabus Blick wandte sich kritisch auf den Tisch.

„Tatsache“, sagte er und schluckte. „Der Kerl atmet wieder? Und hat deine Ente drinnen?“ Nun wurde auch Shirabu wieder blass. Yachis Gesicht trug dafür wieder Farbe auf. „Das heißt, dass ihn die Ente nicht umgebracht hat“, freute sie sich. „Das bedeutet, dass wir ihm die Ente nicht einfach rausschneiden können“
 

„Fuck!“ – „Fuck? Hast du gerade Fuck gesagt?“ Yachi begann mit den Händen herumzufuchteln. Dahin war ihre gesunde Farbe wieder. „Was machen wir denn jetzt?“, fragte sie aufgelöst. „Ich weiß nicht. Zuerst. Ruhe bewahren?“, fragte er und Yachi nickte. „Genau. Ruhe bewahren“, wiederholte sie. Gesagt, getan, nicht getan, denn sie lief umgehend nervös um den Tisch herum. Auf und ab, hin und her. Shirabu blieb stehen und besah den sich rührenden Körper unter dem Tuch. „Und wenn‘s wer anderes ist?“ – „Wer sollte es sein? Ist gerade noch jemand gestorben?“

Beide überlegten. Nein, das ging sich nicht aus. Es gab keine Operationen in der Nacht, bis auf die in der Notfallaufnahme, weil eben das waren: Notfällte. Und sie hatten nur diesen. Sonst war es ruhig. Zu ruhig, wie Yachi gerade auch wieder bemerkte. Diese Halle war so gruselig.
 

„Dann sollten wir ihn aufwecken und fragen, ob wir die Ente rausschneiden sollen?“, fragte sie Shirabu. Der schien sogar zu überlegen, ob das eine Option. „Nein!“ war es offenkundig doch keine gute Idee.

„Aber aufwecken und ihn fragen, ob es ihm gut geht?“ – „Der Mann wurde angeschossen, dem geht’s nicht gut“ – „Mir geht’s auch nicht gut“

Yachi ließ sich auf den Boden nieder. Sie raufte sich die Haare und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch das war unmöglich. Der Mann würde sie verklagen, sie, Yachi, nicht das Krankenhaus, weil Yachi ihm eine Ente eingesetzt hatte und er nun damit leben musste. Vermutlich würde sie sich entzünden und Beschwerden bereiten, weswegen er noch mehr klagen würde. Yachi war ihren Job los. Da war sie sich ganz sicher. Sie könnte gleich ihre Sachen packen und Heimkehren zu ihrer Mutter und Kawanishi würde sie noch ein schönes Leben wünschen und sich bei ihm entschuldigen, dass sie nicht tanzen gehen könnten, weil sie kein Geld mehr hatte und vermutlich auch noch im Gefängnis sitzen würde, wegen fahrlässiger Entenimplantation.
 

Sie hätte auch gerade all ihre Energie in einen Nervenzusammenbruch gesteckt, hätte ihr Shirabu nicht die Hand vor den Mund gelegt und sie auf Geräusche hingewiesen, die weder von ihnen noch der Nicht-mehr-Leiche kamen. Ihre Augen wurden größer. Man wollte Angst haben, sie fielen ihr jeden Moment heraus.

„Da-da-das sind Schritte“, wisperte Yachi zwischen Shiarbus Finger hindurch, der nickte angespannt. „Jetzt sind wir am Arsch“, sagte er, von dem man es durchaus schon Mal gehört hatte, dass er fluchte. Yachi war auch gleich wieder nach fluchen, doch sie brachte keinen Ton mehr heraus.
 

Die Geräusche – es waren Schritte und leises Gerede – kamen immer näher. Yachis Herzschlag wurde schneller, sie drückte sich nach hinten und drückte sich so nah an Shirabu, dass sie sogar seinen beschleunigten Herzschlag hörte. Eine Entschuldigung dafür, dass sie sie beide in diese Lage gebracht hatte, blieb ihr im Halse stecken.

Das Gerede verstummte. Die Schritte wurden weniger, aber sie kamen dennoch näher. Yachi presste die Augen zusammen, drehte sich zu Shirabu um und wartete mit ihm auf ihre Entlassung. Sie würde aber dementieren, dass Shirabu auch nur im Ansatz damit zu tun hatte. Am besten würde sie sagen, dass er von nichts wusste und einfach nur da war.
 

„Yachi?“ Die junge Ärztin versteinerte augenblicklich. Diese Stimme kannte sie. Angespannt ließ sie von Shirabu ab, der überraschend ruhig blieb, und blinzelte ein paar Mal als sie die Ärztin aus dem zweiten Jahr erkannte.

„Eri-san! Er kann nichts dafür. Er hat nichts damit zu tun, ich wars, es ist nur meine Schuld! Der Mann wurde angeschossen und ich hab was in ihm verloren, aber er ist gestorben, aber er atmet noch“, platzte es aus ihr heraus.
 

„Du hast Matsukawa erschossen?!“ Eri schlug sich schockiert die Hand vor den Mund. „Warum?!“ „Wer?“
 

„Wer hat Issei erschossen? Ich hab keinen Schuss gehört. Was zur Hölle ist hier los?“ eine weitere Person kam in die Halle mit den zwei Tischen. Er war sehr groß, hatte kurze helle Haare mit einem gewissen Rosastich und Yachi meinte, ihn bereits in der Radiologie schon einmal gesehen zu haben. „Dr. Hanamaki?“, fragte sie.

„Ha, Dr. Iwaizumis Kleine!“ lachte der kurz auf aber machte umgehend eine ernste Miene. „Was ist jetzt mit Issei?“, fragte er.

Yachi war in ihrer Aufregung nicht drum herumgekommen, den Namen des vermeintlichen Patienten zu kennen und heulte ihre Geschichte aus. „Er wurde angeschossen, ich hab nicht geschossen, wir haben mit Dr. Tendou die Kugel rausschneiden wollen, aber er hat schon so viel Blut verloren, es war vergebens! Und ich hab meine Ente verloren und jetzt atmet er noch und ich weiß nicht, was ich tun soll und Ken- Dr. Shirabu trifft keine Schuld! Das ist alles an mir!“
 

„Was für ne Ente? Wer hat Enten im Krankenhaus?“, fragte Hanamaki. Yachi merkte, wie es um sie herum dunkel wurde. Sie ahnte, dass sie nun einen Schwächeanfall erleiden würde, doch dem war nicht so.

Neben ihr tauchte eine Hand mit der rosaroten Ente auf und eine tiefe ernste Stimme fragte: „Diese Ente?“ Die vermeintliche Leiche hat sich aufgerichtet.
 

Ein spitzer Schrei erfüllte die Leichenhalle und vermutlich auch das gesamte Kellergeschoss.
 

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„Tja, es hat sich herausgestellt, dass die kleine rosa Ente gar nicht in dem Schussopfer drinnen war und dass Dr. Matsukawa aus der Pathologie sie neben der Leiche gefunden hat und Dr. Matsukawa hat einen Powernap auf dem Tisch gemacht und Dr. Hanamaki und Eri, also Dr. Miyanoshita wollten ihn für einen Mitternachtssnack besuchen und er war wirklich tot… also der aus der Notaufnahme, nicht Dr. Matsukawa, der lebt, auch wenn er irgendwie ein bisschen tot aussieht, aber ich glaube, das kommt daher, dass er da unten arbeitet. Das könnte ich nicht. Aber er wirkt so, als wäre es für ihn okay und Dr. Hanamaki ist sehr oft bei ihm, ich glaube ja, das läuft was. Eri hat auch immer so geguckt“, löste Yachi die Geschichte ihrer Nachtschicht auf. Kenma war selbst so gefesselt, dass er sich auf seinem Stuhl nach vorne gelehnt hat und wie an den Lippen seiner Kollegin hing.
 

„Ach ja und ich hab mir Gedanken über meine Spezialisierung gemacht. Ich glaube, ich will mich auf Transplantate spezialisieren, wie Dr. Romero. Er hat dein Lungentransplantat gemacht. Er ist ziemlich cool, Terushima-kun hat ihm noch keinen komischen Spitznamen gegeben, also… ich würde ihn Dr. Rockstar nennen“, kicherte Yachi. Sie seufzte leise und lächelte den schlafenden Kawanishi an.
 

„Du erzählst ihm wirklich alles, was du hier erlebst und erfährst oder?“, fragte Kenma. Yachi sah sich ertappt zu ihm um. „Ja… schon… ich hab das Gefühl, dass ich bei ihm ganz offen sein kann“, sagte sie, zog aber ihre Hände nun auch zurück, da sie Kenmas prüfenden Blick bemerkt hat.
 

„Ich hab das Gefühl, es hilft euch beiden“, sagte Kenma und stand auf. Natürlich hatte Kawanishi auch keine andere Wahl, aber Kenma wusste, dass Reden, Musik und Nähe bei Komapatienten helfen konnte. Bei Yachi merkte er dafür, dass sie unbekümmert war, wann sie mit ihm sprach, als würde sie mit einem alten Freund sprechen. Ob ihre Beziehung auch so sein würde, wenn Kawanishi aufwachte?
 

„Aber Yachi? Mach das nicht alleine, ich kann auch mal eine Schicht übernehmen und ihm ein Videospiel zeigen oder so“, schlug Kenma vor. „Das hat Kenjiro auch gesagt, ihr seid wirklich nett“, sagte Yachi. Sie stand auf und umarmte Kenma einfach. „Danke“, flüsterte sie. Kenma rührte sich kaum und ließ diese Geste erst einmal über sich ergehen. „Schon gut“, sagte er angespannt und fühlte sich erst wieder richtig wohl, als sie ihn losließ. „War das nicht okay? Entschuldige bitte. Ich wollte dir nicht zu nahe treten“, sagte sie sofort, als sie Kenmas schiefes Gesicht sah.
 

„Nein, es ist okay. Ich bin es nur nicht gewöhnt“, sagte er und steckte seine Hände in die Hosentaschen. „Sag mir einfach, wann ich mal übernehmen soll, okay?“, fragte er und ließ Yachi mit Kawanishi wieder alleine.

Am Gang bereute er aber sogleich, dass er nicht noch ein paar Minuten gewartet hatte oder eher, dass er nicht schon eher gegangen war.
 

„Er war der Erstbeste, den ich in die Finger bekommen hab, hättest dich ja anstellen können. Ich wüsste aber nicht, seit wann du Anspruch hättest“, keifte Shirabu im Vorbeigehen, hinter ihm jagte Dr. Semi von der Anästhesie her. „Heutzutage darf man nicht mal mehr neugierig sein, ohne eifersüchtig rüber zu kommen, was? Du sitzt ganz schön weit oben auf deinem hohen Ross.“

Kenma blieb wie angewurzelt stehen und ließ die beiden an sich vorbei wüten. Ob es um Terushima ging? Oder um Futakuchi? Nein, Futakuchi hatte ja etwas mit Terushima, wobei… ach, er würde einfach Kawanishi fragen, wenn dieser wieder wach war, denn so wie es schien, waren Yachi und Shirabu durch ihr kleines Abenteuer enger miteinander befreundet und somit würde der schlafende junge Mann davon erfahren, zumal Shirabu genau dieses Zimmer gerade anvisierte.
 

„Halt doch einfach deine Klappe, Semi-san, ich muss jetzt zu Kawanishi und Yachi ablösen, dass sie schlafen gehen kann“ – „Wow, was für eine nette Ausrede… soll ich jetzt auch noch gerührt sein?“
 

Kenma hat genug gehört. Er entschied, dass er auch einfach Terushima fragen könnte, wenn er ihn traf, würde es ihn noch interessieren.

Progress

Wer sind wir? Was macht uns aus? Ist es, wie wir erzogen wurden? Was wir tragen und wie wir uns in Accessoires hüllen? Ist es unser Job, die Musik, die wir hören, das Lächeln, das wir aufsetzen? Ist es die Stereotype, die man unsere Hautfarbe hat? Die Haarfarbe, das Make-Up? Sind wir unsere schulischen Leistungen? Der Wagen, den wir fahren oder die Tatsache, dass wir den Bus nehmen müssen? Ist es die Wohnung? Das Haus? Die Menschen, mit denen wir leben? Das ist alles ein Teil von uns.

Wir sind aber auch, was uns berührt. Wir sind die Sorgen, die wir uns machen, die Freude, die wir empfinden. Unsere Wünsche und Träume machen uns aus. Unsere Überzeugung. Nicht der Erfolg oder Misserfolg. Wir sind, was wir der Welt zurückgeben. Sei das ein ehrliches Lächeln, ein wahres Wort, eine echte Geste. Wir sind die Aufmerksamkeit, die wir anderen schenken und uns selbst. Unsere Fürsorge macht uns aus, aber auch die Möglichkeit, auf uns selbst zu achten. Wir sind nicht das auf und ab.

Depression macht uns nicht aus. Manie ist nicht, was uns formt. Krankheit macht uns nicht aus. Wir sind nicht die Steine, die man uns in den Weg legt, das Hindernis, das wir überwinden müssen.
 

Wir sind, was wir daraus machen und wir sind mehr.
 

***
 

Heute durfte Kenma seinen Fall das letzte Mal präsentieren und die Entlassungspapiere für Iizuna unterzeichnen. Erwartungsvoll dieses wunderschönen Lächelns ging er nach Dr. Komori in das Krankenzimmer und wurde nicht enttäuscht. Das wurde er von Iizuna in den vergangenen zwei Wochen nie. So erlaubte er seinem Mundwinkel selbst den Weg nach oben zu bahnen. Es machte ihn ungeahnt glücklich, dieses Lächeln zu sehen und dazu die funkelnden Augen, die immer dann aufleuchteten, wenn Kenma den Raum betrat. Auch, dass er bereits ein paar Dinge über Iizuna wusste, zum Beispiel, dass er auch mal einen ganzen Abend in einem Videospiel versinken konnten und ungeplant eine Nacht durchmachte. Aber auch, dass es nicht sehr oft passierte. Iizuna war lieber an der frischen Luft und unternahm etwas, er lernte gerne Menschen kennen und war durchaus geselliger Typ. Ganz anders als Kenma. Aber immer, wenn Iizuna erzählte, kam die Wärme bei ihm an und er war irgendwie froh, dass dieser Mann an ein Krankenbett gefesselt war. War. Nicht mehr lange.
 

Nach einer knappen Zusammenfassung trat Kenma näher heran. „Die Narbe sieht schon sehr schön aus“, sagte er und legte ihm beide Hände an den Hals. Vorsichtig tastete er die frische Narbe und gegengleich die andere Seite ab. Seine Finger kribbelten. Sein Herz machte komische Dinge. Sein Atem drohte, zu beschleunigen. Aber Kenma verdrängte jedes einzelne kleine Zeichen dafür, dass Iizuna vielleicht mehr als nur ein Patient war. Die Finger tasteten sich weiter hoch. Alles schien in bester Ordnung, wäre da nicht Iizunas Gesicht. Iizunas wunderschönes Gesicht, das sich unangenehm verzog. Kenma wusste genau, warum es das tat.

„Sie werden diese Taubheit noch einige Wochen spüren, dann sollten Sie eine Besserung erkennen, es kann Monate dauern, bis Sie volles Gefühl haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es nicht zu einhundert Prozent zurück kommt“, sagte Kenma und löste die Hände wieder. Er wollte nicht, dass es zu unangenehm wurde. Weder für Iizuna, noch für ihn, weil er die Wärme der Haut des Patienten als angenehm empfunden hat und auch die Nähe zu ihm war nicht unangenehm, wie es vor ein paar Tagen bei der Umarmung von Yachi war.
 

„Ich weiß“, sagte Iizuna leise. „Ich hatte das ja schon mal, aber sagen Sie, Sie sind nun nicht mehr mein Arzt oder?“, fragte er und deutete auf die Unterschrift der Entlassungspapiere, die Kenma just setzte. „Sie haben Recht“, antwortete er knapp, was auch hieß, dass er einfach gehen konnte, aber seine Beine wollten nicht. Kenma erkannte im Augenwinkel wie Yamaguchi Terushima einen Stoß mit dem Ellenbogen verpasste, behielt seinen Blick aber auf Iizuna gerichtet.
 

„Dann gehen Sie bitte mit mir aus, wenn Sie mal Zeit haben“ Iizuna stand aus dem Bett auf. Er trug bereits seine Alltagskleidung. Schlicht, aber nicht locker, edel aber nicht aufgetragen, hübsch, wie Iizuna es war. Dr. Komori scheuchte Yamaguchi, Terushima und Akaashi so leise wie möglich raus, konnte sich ein breites Grinsen aber auch nicht ganz abschminken.
 

„Ich hab keine Zeit“, lehnte Kenma ab und machte einen Schritt zurück. Iizuna schüttelte den Kopf. „Sie müssen auch mal frei haben“, warf er ein. Das würde er nicht akzeptieren.

„Das hier ist ein strenges Programm, ich hab selten frei“, antwortete Kenma und schon hatte ihn sein Gegenüber. „Aber Sie haben frei“, sagte Iizuna und nahm einen Zettel, den er am Nachttischchen vorbereitet hatte. Er überreichte ihn Kenma. „Aber -“ – „Nichts aber, wenn Sie frei haben und an mich denken, rufen Sie an“ Er legte seine Hand um die von Kenma und ging damit sicher, dass seine Nummer auch in dessen Besitz war und blieb. Iizuna lehnte sich etwas nach vorne und wisperte ein zartes „Bitte“. Kenmas Herz schlug in diesem Augenblick schneller. In seinem Magen machte sich etwas breit, das er so nicht kannte.

„O-kay“, sagte er und entzog seine Hand, bereute aber umgehend. Das Gefühl war schön gewesen.
 

„Bitte ruhen Sie sich noch ausreichend aus. Nehmen Sie die Medikamente, bis sie aus sind. Mindestens eine Woche, erst dann dürfen Sie sich leicht körperlich betätigen. Passen Sie auf, schwere Dinge zu heben und betreiben Sie noch einen Monat keinen Sport“, fand Kenma schnell zur Routine zurück und ließ Iizuna zurück, der seinen Blick erst abwandte, wie Kenma ganz aus dem Raum war.
 

„Also, Dr. Model und Grinsebacke?“, fragte Terushima frech, als sie wieder komplett waren. Er bekam keine Antwort. „Ach komm schon! Irgendwas? Ich muss Kaede später Updates bringen über alles, was hier knistert“, hackte Terushima nach. Kenma wandte den Kopf ruckartig um. „Warum erzählst du ihr dann nicht einfach von Dr. Futakuchi und Shirabu und davon, dass sie dich beide abserviert haben und lieber miteinander… was auch immer machen?“, schlug er pampig vor. Woher Kenma das wusste? „Das hab ich dir im Vertrauen gesagt!“, zischte Terushima. Yamaguchi war gerade noch ruhiger als sonst und Akaashi strich sich angestrengt über die Stirn. „Shirabu-kun spielt wohl auch sein eigenes Bingo“, sagte er und überraschte mit seinem Zynismus und dem Seitenhieb gegen seinen Kollegen.
 

Dr. Komori lachte auf. Diese Assistenzärzte waren echt eine Nummer für sich. Amüsant, aufregend und sie brachten einen frischen Wind ins Krankenhaus.

„Glaub mir, das kommt hier sowieso alles raus…“, seufzte Kenma. „Exakt, alles kommt raus. Auch welcher von euch Halbstarken seinen Spaß mit diesen Enten treibt“, sagte Dr. Komori wieder ernster und fischte eine weitere kleine blaue Ente vom Schild des nächsten Patientenzimmers, das sie aufsuchten. Der prüfende Blick blieb wieder ergebnislos.
 

Im Zimmer trat Akaashi an das Krankenbett und zog seine Hand mit allerlei bunten Entchen heraus um sie auf dem Beistelltisch zu präsentieren. Da lagen sie in unterschiedlichen Farbe. Gelb, grün, rosa, blau, orange, violett… Nur die eine mit der Sonnenbrille fehlte. „Keiji! Du hast mir alle Farben geholt!“, japste Bokuto überglücklich. Akaashi drehte direkt zu Dr. Komori um, der bereits nach Luft rang. „Ich hab nur gesammelt, Bokuto-san mag sie so gerne“, erklärte er, aber Bokuto räusperte sich sofort, weil ihm nicht gefiel, mit welchem Namen hier hantiert wurde. „Kotaro sag ich vorerst nur zu dir persönlich“

Sowohl Komori als auch Bokuto gaben sich mit den Antworten zufrieden.

Akaashi präsentierte den Patienten. Bokutos Werte haben sich in den letzten Wochen sehr verbessert, was ihm erlaubte, ab diesem Tag auch das Bett zu verlassen.
 

„Gehst du dann mit mir?“, fragte Bokuto. Seine Finger fummelten nervös auf der Bettdecke herum. Seine Augen hätten nicht glanzvoller strahlen können. Akaashi neigte den Kopf verlegen zur Seite. „Wir können heute Nachmittag gerne spazieren gehen“, versprach er ihm. „Nehmt bitte einen Rollstuhl“, gab Komori zu bedenken. „Langweilig…“, maulte Bokuto. „Er dient deiner Sicherheit“, versuchte ihn Akaashi zu besänftigen. Bokuto hatte die Hände vor der Brust verschränkt und musterte die Ärzte.

„Und wenn nicht nur Keiji mit mir geht? Wie wäre es noch mit Dr. KenKen und Ku-Bro?“, fragte er. Kenmas Augen weiteten sich. „Dann können sie mich fangen, wenn mir der Boden unter den Füßen wegrutscht“, sagte Bokuto und sah dabei verstärkt in Akaashis Richtung. „Ich kann niemanden fangen“, sagte Kenma und war der erste, der das Patientenzimmer verließ.

Dass er nun tatsächlich mit Akaashi und Kuroo Aufpasser spielen musste, erfuhr er später direkt von Akaashi. Kuroo hat ihm in einem kurzen Moment während der Mittagspause gesagt, dass er sich schon darauf freute.
 

„Nach dem Vormittag kann ich einen ruhigen Nachmittag echt gebrauchen“, sagte Kuroo. Er ging mit Kenma links hinter Bokuto. Akaashi war direkt an Bokutos rechter Seite. „Dr. Sawamura hat mich echt hart in die Mangel genommen und ich darf erst nicht bei der OP dabei sein“, murrte Kuroo. „Welche OP?“, fragte Kenma. „Warum ist er gemein zu dir? Was hast du gemacht?“, wollte Bokuto wissen. Kuroo lachte erst verhalten, entwickelte aber ganz schnell einen richtigen Lachanfall, der die kleine Gruppe zum Stehenbleiben zwang.

„Glaubt ihr nicht, Leute. In der Tagesaufnahme kamen heute zwei Jungs rein, die um die Wette seltsame Gegenstände geschluckt haben. Einem steht nun eine Gürtelschnalle quer in der Speiseröhre kurz nach dem oberen Ösophagussphinkter und will nicht mehr weiter. Aber die haben echt die geilsten Sachen geschluckt. Der Andere hat sofort eine von Dr. Komoris bunten Enten weggehappst. Ernsthaft, als gäbe es da nichts“, erzählte Kuroo und zählte die skurrilsten Dinge auf. Büroklammern, Reißnägel, eine Pinzette, Schnur, ein Plastikhandschuh…

„Lass mich raten, du konntest dich vor den Patienten genauso wenig zusammenreißen, wie jetzt?“, erahnte Kenma den Grund für Kuroos Ausschluss an der Operation. „Schuldig… Aber er kann mich auch nicht leiden“, sagte Kuroo. „Weil du mit ihm um den süßen Kinderarzt kämpfst oder?“, fragte Bokuto auf wackeligen Beinen. Nach so langer Zeit des Liegens wurde ihm nun schmerzlich bewusst, dass so ein Rollstuhl wohl gar keine so schlechte Idee wäre. Vor Akaashi wollte er aber nicht Blöße zeigen, das sah ihm Kenma schon an und er fand es lächerlich.
 

„Was heißt da kämpfen? Ich bin konkurrenzlos. Sawamura ist in der Friendzone“, sagte Kuroo stolz. „Und er muss das einsehen! Und er muss mich ausbilden! Ich bin ein hervorragender Arzt und werde ein noch besserer Chirurg“ In einem Gespräch mit Kenma hat Kuroo bereits fallen gelassen, dass er sich für die Allgemeinchirurgie entschieden hat. Dass er vielleicht ein Problem mit Dr. Sawamura hatte, ließ er bei der Entscheidung außen vor. Er könnte ja auch unter Chefarzt Takeda lernen, war Kenmas Vorschlag gewesen, aber dieser Mann arbeitete zu sehr nach Lehrbuch. Dr. Sawamura war da anders. Er ging gerne neue Wege, aber setzte nichts im Operationssaal ein, was er davor nicht bereits im Trockentraining perfektioniert hat. So wollte auch Kuroo arbeiten. Und so war es nicht verwunderlich, dass die beiden Männer wohl auch denselben Geschmack hatten: Hübsch, klug, nicht ganz durchschaubar und ein freches Wesen. Der richtige Humor musste es schon sein und Sugawara, so hat Kuroo gesagt, hatte es faustdick hinter den Ohren.
 

„Wenn hier einer kämpfen musst, dann du“, sagte Kuroo etwas leiser zu Bokuto, dass Akaashi es nicht hören konnte, Kenma aber sehr wohl. „Aber warum das denn?“ Die Antwort darauf war der Anästhesist, der beim Hauptausgang stand und eine Zigarette rauchte. Bei ihm stand Dr. Meian, Chefarzt der plastischen Chirurgie. Kenma dachte an die Operation zurück, bei der er Dr. Meian assistieren durfte, als bei dem Autounfall auf der Autobahn damals eine Patientin dabei war, Mai Nametsu, die wegen eines explodierten Nikotindampfgerätes schwere Verbrennungen hatte. Schon einen Monat später sah man nur noch zarte Narben, die sich noch weiter zurückbilden sollten, bis man sie nur noch erkannte, wenn man von ihnen wusste. Dr. Meian war ein Meister seines Faches und damit nicht umsonst in dieser hohen Position.
 

Konoha brach sein Gespräch höflich ab und entsorgte den Rest der Zigarette im Aschenbecher, als die vier aus dem Krankenhaus traten um mit Bokuto die nächste Bank unter einem Baum aufzusuchen. Vor dem Krankenhaus ging eine Gasse aus Bäumen und Sträuchern zur Seite, die auch an der Dienststelle der Rettung vorbei führte, weiter an einer kleinen Wiese entlang neben der Haltestelle des Busses, die Kenma schon gut kannte.
 

„Wie geht’s unserem Herzchen?“, fragte Konoha und neigte sich zu Bokuto nach vorne. Bokuto hat ein paar Atemzüge benötigt um nun wieder einigermaßen geregelt zu atmen. Dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand, tat sein strahlendes Gesicht ab. „Dank Keiji geht’s meinem Herzen wundervoll“, sagte er. „Aber warte mal! Dich kenn ich doch. Du bist der Arzt, der mir gesagt hat, ich soll so weit zählen, wie ich kann. Wie weit bin ich gekommen?“, fragte Bokuto neugierig.

„So weit, wie noch nie jemand“, sagte Konoha mit einem sanften Lächeln. Auf die wiederholte Frage, weil es Bokuto nicht reichte, nur der Beste zu sein, ergänzte er, dass es die Zwölf war. „Das ist total wenig“, murrte er. „Besser als dreizehn, das ist eine Unglückszahl“, sagte Kenma. Bokuto wollte also beim nächsten Mal bis vierzehn zählen.
 

„Ich hoffe, das nächste Mal ist noch ganz lange aus“, seufzte Akaashi. „Willst du mich etwa nicht so bald wieder sehen?“, fragte Bokuto geknickt und ließ dabei nicht nur den Kopf hängen. „Natürlich will ich dich bald wieder sehen, aber nicht als Patient“, sagte Akaashi, dass in Bokutos Gesicht ein Strahlen aufging, das mit der heißen Juni-Sonne konkurrierte.
 

„Es freut mich zu hören, dass es dir gut geht. Ich muss leider wieder rein, die Leute schlafen nicht von alleine ein“, sagte Konoha mit einem Zwinkern und verabschiedete sich mit einem zarten Kuss von Akaashi, dass Bokuto nun auch endlich verstand, was Kuroo gemeint hat. „Keiji… ist er dein Freund?“, fragte er. Dahin war es wieder mit Bokutos Leuchtkraft. Der sonst so beherrschte junge Arzt wurde umgehend nervös. Akaashi steckte seine Hände in die Kitteltaschen und drückte mit den Daumen seine Finger durch. Einen nach den anderen und wieder zurück.
 

„Darüber haben wir so noch nicht gesprochen“, gab er leise zu und schenkte Bokuto genau den Funken Hoffnung, den er brauchte um nun aufzustehen. „Dann möchte ich, dass du mich besser kennenlernst und ihn vergisst“, sagte er. Kenma rammte Kuroo den Ellenbogen in die Seite, weil dieser bereits Luft holte um die Situation schlimmer zumachen. „Bin schon still“, keuchte dieser und rieb sich die Stelle. „Seit Terushima bei uns wohnt, wirst du immer handgreiflicher“, beschwerte er sich. Kenma protestierte: „Er kennt seine Grenzen einfach noch nicht und tu nicht so, als würde ich euch schlagen“ Kenma musste Terushima oft von sich wegschieben, seine Hand abfangen oder ihm auf die Finger klopfen, wenn er ihm ins Spiel greifen wollte. Terushima verstand es einfach nicht anders.
 

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Bokuto wurde zwei Wochen später entlassen. Kenma war nicht dabei, aber er konnte sich schon vorstellen, dass der Patient deutlich gemacht hat, dass er und Akaashi sich treffen würden und dass es diesem schwer gefallen war, abzulehnen.
 

„Das heißt, du triffst dich jetzt mit Zwei?“, fragte Terushima beim Mittagessen und fuchtelte mit einem Stückchen Hähnchenfleisch zwischen den Stäbchen vor Akaashis Gesicht herum. Akaashi schob den Arm und somit die Geflügelinvasion höflich beiseite. „Es ist nicht so, als würde ich mit beiden schlafen“, sagte er. Seine Augen funkelten angriffslustig, dass sogar Terushima verstand, dass er sich nicht mit ihm anlegen sollte. Aber Wissen schützte nun einmal nicht vor Dummheit nicht. „Also gerade nur mit dem Schlafarzt?“ Terushima wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. Kenma verdrehte die Augen, aber war froh, dass es zur Abwechslung nicht um den Zettel in seiner Manteltasche ging. Seit Iizuna das Krankenhaus vor ein paar Wochen verlassen hat, hing ihm Terushima ständig in den Ohren.
 

„Hast du die Grinsebacke schon angerufen?“ – „Habt ihr schon ein Date ausgemacht?“ – „Was schreibt ihr so?“ waren die Fragen. Die Antworten waren: „Nein“ – „Nein“ und „Nichts“ und stellten Terushima nicht zufrieden. „Ich kann das auch machen und für euch ein Date ausmachen“, war einer seiner Vorschläge, den Kenma dankend ablehnte. Er lehnte alle Angebote seines Kollegens ab, egal, ob er ihm in der Nachtschicht damit die Stille versaute, im Bus die Heimfahrt oder den Weg zur Arbeit unangenehm machte oder ob er zuhause den Kopf bei der Tür reinsteckte und ihn beim Spielen vor dem Schlafen gehen unterbrach. Kenma hat sogar akzeptiert, dass Terushima sich neben ihn setzte – auf den Boden, denn Kuroo hat laut protestiert, als er Terushima in Kenmas Bett gesehen hat – und um die Rolle des Player 2 bat. „Oder ist Player 2 jemand Besonderes?“, hat er gefragt und von Kenma einen Stoß gegen die Schulter bekommen. „Klappe halten und die nächste Welle abwehren!“

So hat Kenma ihn zumindest daheim ruhig stellen können. Mit Ablenkung. Beim Kochen war Terushima überraschend konzentriert. Kenma mochte, was Terushima kochte, Kuroo war anderer Meinung.
 

„Kannst du eigentlich auch was anderes, außer Nudeln zu entweihen?“, fragte er eines Nachmittages, den sie alle drei frei hatten und Terushima über das Abendessen sinnierte. „Na klar“, sagte er. „Haben wir Reis?“ – „Finger weg vom Reis!“ Kuroo war aufgestanden und drohte Terushima mit dem Finger. Er wollte keine Perversitäten mit dem leckeren Reis, den sie vom Laborchef bekommen haben.

Kenma schob sich aus seinem Zimmer heraus. „Ich hätte gerne Reis“, sagte er, auch bereit, Terushima zu unterstützen. „Mit Ketchup?“ war die Frage, die er selbst nicht einmal verneint hätte. „Mit einem Tritt in den Arsch!“, polterte Kuroo und lief Terushima um den Tisch herum nach. „War nur ein Spaß! Nur ein Spaß! Bitte! Nicht. Kenma! Hilfe!“ Kuroo hatte ihn am Ohr erwischt und zog mahnend daran. Terushima hob die Schultern an und klärte unter Fiepen seinen Plan auf: „Ich mach ein Curry! Mit Fisch. Fisch ist doch okay oder?“, fragte er, weil er im Tiefkühlfach diese Filets gesehen hat, die in Quadraten portionierbar waren. Kuroo schnaubte, musterte Terushima eingehend und ließ von ihm ab. „Fisch ist okay, aber wehe, du machst was Verrücktes“, drohte er noch einmal und ließ die beiden Jüngeren in die Küche. Kenma entging dabei natürlich nicht, dass Kuroo den Fisch nicht abgelehnt hat. In letzter Zeit kam es zwar selten vor, dass sie gemeinsam aßen, aber Fleisch und Fisch hat er auf Kuroos Teller schon lange nicht mehr gesehen. Die Hafermilch war aber immer noch im Kühlschrank und somit hatte Kenma auch schon eine Theorie parat. Er vermutete, dass Kuroo, der ja eigentlich liebend gerne Fisch aß und Fleisch nicht verschmähte, nur dann auf Happy-vegan-Partner tat, wenn Dr. Sugawara anwesend war. In der Kantine somit und vermutlich hat er ihn sogar schon das ein oder andere Mal mit nach Hause genommen, wenn dieser Kaffeeveruntreuer hier weiterhin rumstand. Terushima mochte die Hafermilch. Vermutlich, so dachte Kenma, war ihm der Unterschied nicht einmal aufgefallen, weil Terushima einen anderen Geschmacksinn hatte als er. Bei Milch war Kenma etwas heikel. Wie eine Katze. Deswegen trank er den Kaffee zuhause mit immer weniger Milch. Im Krankenhaus gab es dann richtigen Kaffee mit echter Milch.
 

Kenma hatte den Reiskocher in Betrieb genommen und dank einen Tipp von Terushima mit einer großen Frühlingszwiebel verfeinert. „Beim nächsten Einkauf nehmen wir Gewürznelken mit. Die machen Reis noch besser“, sagte Terushima und taute den Fisch auf. Außerdem holte er aus den letzten Winkeln des Kühlschrankes noch Erbsen in der Dose, eine Paprika, die bald gegessen werden sollte und im Schränkchen über den Herdplatten entdeckte er sogar Pfirsichspalten in der Dose, die das Curry auf Kokosmilchbasis perfekt ergänzen sollten.

„Kuro wird das nicht mögen“, sagte Kenma. „Wegen den Pfirsichen? Aber da verpasst er was, das ist ‘ne ganz tolle Geschmacksexplosion“, wand Terushima ein. Er schnitt die Paprika nach einem kurzen Wasserbad auf, entfernte das Kerngehäuse und verarbeitete sie zu kleinen Würfeln. Kenma summte zustimmend. „Glaubst du, er mag mich mehr, wenn wir ihm eine Portion ohne Pfirsiche machen?“, fragte Terushima und Kenma schmunzelte. „Nur, wenn er den Abwasch nicht machen muss“ Einen Versuch war es den beiden wert. „Abtrocknen zählt mehr“, sagte Kenma. „Gar nicht wahr! Weißt du, was für einen Schaden man nimmt, wenn man zu viel abwäscht?“ Terushima war nicht auf den Kopf gefallen und konnte den Abwasch wirklich auf Kenma abwälzen.
 

Nach dem Essen gab es sogar Lob von Kuroo. Er hob zwar hervor, wie überrascht er war, aber auch dass Terushima einfach weiter an normalen Dingen arbeiten sollte und sie würden schon bald eine wundervolle Freundschaft führen.

Terushima vergas später beim Abtrocknen auch nicht, dass wenn man in einem Spiel Schaden nahm, man zu Heilung greifen konnte und so fischte er mit der Gabel eine der übrigen Pfirsichspalten aus der Dose und hielt sie Kenma hin. „Medi-Pack?“ – „Die wäschst du dann selbst nochmal ab“, sagte Kenma aber ließ sich füttern.
 

„Warum gibst du heute immer nach?“, fragte Kenma aber Terushima schüttelte den Kopf. Kenma schnaubte „Ich biete dir gerade an, zu reden, also entweder sagst du es oder du lässt es. Aber glaub nicht, dass mir das nicht auffällt“, gab er die Chance ein zweites Mal und diesmal wurde das Angebot angenommen. „Kaede hat heute mit ihrer Physio und dem Rollstuhfahren angefangen“ Terushima seufzte. Kenma auch, denn er wusste, dass Terushima zu dieser Frau einen besonderen Draht hatte. Seit sie im Krankenhaus war, ist er nicht mehr mit dem Motorrad gefahren. Das stand immer noch am Krankenhausparkplatz und gab ein erbärmliches Bild ab. Weil es die Tage mal geregnet hat und die trocknenden Tropfen mit dem Schmutz von der Schnellstraße, die am Krankenhaus vorbeiführte, grauenhafte Flecken hinterlassen haben.
 

„Ist nicht so gut gelaufen. Aber es war das erste Mal. Sie muss das jetzt täglich machen“, sagte Terushima. Kenma überlegte einen Moment und reichte Terushima in der Zeit die große Pfanne als letztes gewaschenes Geschirrstück.

„Es ist, wie die Steuerung von einem neuen Spiel zu lernen. Das ist auch manchmal frustrierend. Es kann echt dauern, bis man das raus hat. Sie kriegt das bestimmt noch hin“, sagte er und ließ Terushima mit der Pfanne zurück in der Küche. Auch Kuroo ließ er alleine im Wohnzimmer und ging stattdessen auf sein Zimmer. Er drehte die Konsole auf und wählte das Spiel aus, bei dem gerade eine Hubschraubermission anstand, die er nicht zum ersten Mal starten musste. Die Steuerung war frustrierend.
 

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„Und er sagt Sushi zu ihm… weißt du warum? Genau! Weil er beschränkt ist. Er hat so einen hübschen Vornamen und Dr. Ich-kann-ihn-nicht-ausstehen dachte, er heißt Nori und hat das mit Sushi in Verbindung gebracht. Dabei sind das Maki mit den Nori-Blättern und eigentlich sollte es egal sein, Aki- Konoha-san hat gesagt, es ist nichts zwischen ihnen, nicht mehr. Aber es ärgert mich und ich mags nicht, dass er ihn Nicky nennt, wie so n Blondchen, nichts für Ungut, Kozume, aber Dr. Romero ist alles andere als eine blonde Tussi. Der ist ein richtiger Kerl. Groß, muskulös, gutaussehend, er hat diesen brasilianischen Akzent und diese Arme… Schau dir meine Arme mal an, damit kann ich ihn gerade so umarmen, da ist nichts an Stärke und Sicherheit…“ Akaashi war außer sich. Er hat Kenma vollkommen überrumpelt, als sie aufeinander trafen. Mit geweiteten Augen folgte er. Die Schultern waren hochgezogen, weil Akaashi lauter sprach als sonst, nicht nur mehr, er hatte gerade das Pensum einiger Tage ausgesprochen wenn man die Relation der Lautstärke ebenfalls berücksichtigte. Aber Kenma hatte erstmal nur einen Einwand.
 

„Meint du, ich bin eine blonde Tussi?“, fragte er. Akaashi gewahr sich in allem Einhalt, das er gerade tat: Dem Durchblättern der Akte, die er gerade mit Kenma zu Dr. Romero bringen sollte, seine Schritte, die er auf den Weg dorthin tat und auch im Verlust seiner Selbstkontrolle.
 

„Das ist alles, was du aus dem herausnimmst?“ – „Naja, ich hab schon verstanden, dass du Dr. Romero nicht magst, aber das betrifft mich nicht, es wirkt außerdem so, als würdest du überreagieren, immerhin datest du gerade Bokuto und Dr. Konoha. Aber Blondchen und Tussi wie du es gesagt hast, betrifft mich eventuell schon, wenn du es ernst meinst.“ Kenma blieb neben Akaashi stehen und neigte den Kopf leicht zur Seite. „Okay, entschuldige bitte Kozume-kun, du hast vollkommen recht, ich reagiere über und du bist keine blonde Tussi. Ich sollte mich nicht so aufregen, immerhin sind wir nicht… exklusiv“, sagte er. Kenma nickte und sie gingen weiter. Da war sie wieder, die angenehme Ruhe, die die beiden meistens teilten und die Kenma so genoss.
 

Kenma und Akaashi trafen Dr. Romero vor dem Krankenzimmer, in dem die Patienten lagen, denen die Akte angehörte. Akaashi räusperte sich. „Dr. Romero“, sagte er bemüht höflich und überreichte den Papierkram.

„Oh, obrigado, Dr. Akaashi“, bedankte er sich mit seinem warmen rollenden brasilianischen Akzent. „Kommen Sie bitte, Sie auch, Dr. Kozume“, sagte er und bat die beiden in das Patientenzimmer, in dem auch Dr. Sakusa bereits wartete. Kenma wunderte sich, weil die Akte nichts beinhaltete, was den Neuro-Spezialisten bedurfte.
 

„Das sind Atsumu und Osamu Miya, Gêmeos… Zwillinge“, sagte Dr. Romero, das korrekte Wort war ihm fast entfallen. Es gab sofort Protest „Er is‘ adoptiert!“ Kenma zog prüfend die Augenbrauen hoch, denn bis auf unterschiedlich gefärbtes und gegengleich gekämmtes Haar konnte man gerade noch eine Unterscheidung in ihren Blicken ausmachen. Was Kenma überraschte: Der Zwilling mit dem fertigen Blick war nicht derjenige im Krankenbett.
 

„Wie auch immer. Atsumu ist hier, weil man medikamentös nicht mehr gegen seine Autoimmunhepatitis ankommt. Es hat sich eine komplikationsreiche Leberzirrhose gebildet und sein… und Osamu wird einen Teil seiner Leber spenden“, stellte Dr. Romero weiter vor. Atsumu verschränkte die Arme im Bett und funkelte Osamu mit einem bitterbösen Blick an. „Wenn sich nich‘ noch zufällig n anderer Spender findet“, knurrte er. „Sei nich‘ so undankbar, Bastard“, knurrte Osamu zurück.
 

„Atsumu steht natürlich auf der Transplantationsliste und es besteht die Chance, eine ganze Spenderleber zu erhalten, aber wir müssen schnell agieren und ehestmöglich den Eingriff machen. Dr. Kozume? Sie bringen Atsumu zum psychologischen Gutachten. Dr. Akaashi? Sie gehen mit Osamu. Morgen ist die OP angesetzt. Kollege Udai wird die Hälfte von Osamus Leber entnehmen und ich werde sie Atsumu einsetzen. Wenn alles gut geht, werden beide für ein paar Tage auf der Intensivstation verbringen und anschließend zwei Wochen zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben“, erklärte er weiter. Sein Blick wanderte durch die Runde. „Noch Fragen?“
 

„Und Dr. Sakusa?“, fragte Kenma. „Ich bin gerade nicht als Arzt hier“, antwortete der Oberarzt und nahm Atsumus Hand. Sowohl Kenma als auch Akaashi waren überrascht. Schätzte vor allem Kenma den Oberarzt als unnahbar ein. „Mhm, is‘ ganz mein“, sagte Atsumu mit einem bewusst durchdringlichen Blick in Kenmas Richtung. Dann wandte er sich an Dr. Romero.
 

„Und wann seh‘ ich Dr. OmiOmi endlich in Action?“, fragte er. Dr. Sakusa verdrehte die Augen. Ihm war anzusehen, dass er den Spitznamen nicht besonders gerne mochte. Kenma ahnte auch, dass sich Terushima nun das Maul über ihn zerreißen würde, wüsste er darüber Bescheid. „Das wird ihr Companheiro Ihnen sicher selbst sagen können, ich stehe nicht über ihm“, antwortete Dr. Romero. „Nix da Kumpane! Amore! Grande Amore!“, wollte Atsumu das klarstellen, aber Dr. Sakusa mahnte ihn mit einem ernsten Blick. „Companheiro heißt Partner“, knurrte er und drückte Atsumus Hand fester.

„Leute… wenn ihr mich g‘rade nich‘ braucht, würd‘ ich mir was zu essen hol‘n, ab wann muss ich damit aufhör‘n?“, fragte Osamu und trat näher an Dr. Romero. „Es reicht, wenn Sie morgen nichts mehr essen“, sagte er und Osamu verabschiedete sich damit in die Cafeteria. „Nich‘, dass du mit ne Fettleber abgibst“, rief ihm Atsumu noch nach. Eine Fettleber würde Kenma auf den ersten Blick nicht erwarten, denn beide Zwillinge waren schlank, soweit er das sah und wirkten nicht ungesund, bis auf den müden Blick des gerade Davongetretenen, aber das konnte eine ähnliche Herkunft haben, wie bei Kenma.
 

„Solltest du nich‘ mit ihm zum Klapsdoktor?“, fragte Atsumu. Er bekam direkt einen Seitenhieb von Dr. Sakusa, aber Akaashi verstand die Message. „Natürlich, ich werde Ihren Bruder-“ – „Adoptiert!“ – „-gleich in meine Aufsicht nehmen und mit ihm in die psychiatrische Abteilung zu Chefarzt Sarukui gehen“, erklärte Akaashi und verabschiedete sich. Auch Dr. Romero verließ den Raum und Kenma blieb zurück. „Dann gehen wir jetzt auch gleich zu Dr. Sarukui“, schlug er vor. „Das ist nicht notwendig. Dr. OmiOmi geht mit mir“, blaffte Atsumu und sah zu seinem Freund, aber der schüttelte den Kopf. „Ich muss jetzt zu einem Patienten und in einer Stunde habe ich einen Gliom am Temporallappen, bei dem mir Dr. Kozume assistieren wird“, sagte Dr. Sakusa und lehnte sich für einen Abschiedskuss, den er aber noch nicht gab, zu Atsumu nach vorne. Kenma, der das Hadern verstand, wich einen Schritt zurück und wandte den Blick ab, den beiden ihre Privatsphäre zu gewähren. Es war ihm auch unangenehm. Vor dem gehen gab Dr. Sakusa noch eine Anweisung. „Passen Sie mir gut auf ihn auf“

Dann stand Kenma mit Atsumu da und musste sich seinem richtenden Blick fügen. Es wurde noch unangenehmer und Kenma wusste nicht einmal, warum.
 

Auf dem Weg in den Trakt, wo sich auch die psychiatrische Abteilung befand, trafen sie Terushima. „Hab ich dich nicht gerade mit ner anderen Haarfarbe in der Kantine gesehen?“, fragte er und musterte Atsumu prüfend. „Und dich hab ich heute Morgen im Spiegel gesehen“, konterte Atsumu. Kurz herrschte Stille, dann stellten sich die beiden unter Lachen vor. Kenma war Terushima sogar dankbar dafür, dass er nun hier war und sie auch begleiten wollte, weil er als nächstes auch bei Dr. Sakusas Operation dabei sein wollte, allerdings in der Galerie.

„Dann seh‘n wir uns das zusamm‘ an?“, fragte Atsumu. „Aber sowas von“, schlug Terushima mit ihm ein. Kenma seufzte. War ja klar, dass die beiden sich einwandfrei verstehen würden.

„Dr. Model hier und Dr. McArrogant sind echt ein super Team, das musst du mal gesehen haben“, sagte Terushima. Kenma wunderte sich einerseits über das Kompliment, andererseits war er wegen Atsumus Blick nun nicht gerade glücklich darüber. „Dr. Model also?“, fragte Atsumu und musterte Kenma genauer. „Wüsste nicht, wo das herkommen soll. Schlecht gefärbt, müder Blick, ständig die Haare im Gesicht“, richtete er und schüttelte den Kopf. „Aber hast du meinen Freund arrogant genannt?“, wandte er sich nun kritischer an Terushima. „Oh ähm ja also… Warte! Dr. Arrogant ist dein Freund?“, fragte er und Atsumu nickte stolzer als ein König. „Echt fett…“, sagte Terushima unter nicken aber sah zu Kenma, dann wieder zu Atsumu und zurück zu Kenma. „Ich find-“ – „Ich glaube, du hast echt genug geredet, wir sind jetzt eh da“, unterbrach Kenma und blieb stehen um an der nächsten Tür zu klopfen.
 

Mako Otaki, Dr. Sarukuis Assistentin, empfing sie und bat Atsumu direkt weiter. Kenma und Terushima blieben im Gang stehen um zu warten.
 

„Dr. Sakusa hat gesagt, ich soll auf ihn aufpassen“, schnaubte Kenma. Terushima grinste breit. „Weißt du, was mir da einfällt? Wenn Dr McArrogant mit so nem Dude zusammen ist, dann steht der absolut auf meinen Typ“, sagte er stolz. Kenma verdrehte die Augen, weil er an seinen ersten Tag erinnert wurde an dessen Ende Terushima erklärt hat, dass Dr. Sakusa das Abweisendste war, das er je erlebt hatte. „Hab schon verstanden, dass ihr beide ein und dieselbe Person seid… Anders als sein Zwillingsbruder, der ihn genauso vehement verneint, wie er selbst. Also… darf ich meine Aufgabe auf dich abwälzen? Passt du auf ihn auf?“, fragte Kenma. Terushima schien zu überlegen.

„Für mich?“ harkte Kenma nach. Terushimas Grinsen wurde wieder breiter. „Alles für dich, Prinzessin“, sagte er, aber Kenma ermahnte ihn: „Nur weil ich die Prinzessin spiele, heißt das nicht, dass ich eine bin! Aber Danke und viel Spaß“, musste Kenma diese Unterhaltung wohl so stehen lassen. Er vertraute Terushima auch auf gewisse Weise. Nun gut, er wusste, dass er die Operation sehen wollte und er wusste auch, dass Atsumu Dr. Sakusa sehen wollte somit konnte das gar nicht schief gehen.
 

Nichts konnte schief gehen. Dieser Überzeugung war Kenma auch, als er ein dreiviertel Stunde später mit Dr. Sakusa im Vorbereitungsraum stand und sich die Hände wusch. Feinsäuberlich, wie auch der Oberarzt es tat. Konzentriert und einen gewissen Spielablauf im Kopf, um die vom Krankenhaus vorgeschriebenen fünf Minuten des Reinigen einzuhalten.

„Woran denken Sie dabei?“, fragte Kenma, weil er erkannte, dass auch Dr. Sakusa in Gedanken schien. Ein ungeahnt sanftes Lächeln bildete sich auf den Lippen des Neurospezialisten, auch seine Augen fingen einen Glanz ein, den Kenma so noch nie gesehen hat. „Ich denke an Atsumu und wie er mich das letzte Mal um eine Verabredung gebeten hat, bevor ich mich auf ihn eingelassen habe. Sie?“, stellte er die Frage zurück, weil er gerade gute Laune hatte. „Ein Videospiel“, sagte Kenma, drehte das Wasser ab und trocknete sich mit den Papierhandtüchern ab. Die beiden besprachen die Schritte des Eingriffes und betraten den Operationssaal. Die Masken wurden angezogen und Kontrollblicke getätigt.

Kenmas Blick führte dabei nicht als erstes auf den Patienten oder den Scan oder den Bildschirm für die Überwachung der Vitalwerte, sondern direkt in die Galerie wo er Terushima und Atsumu erwartete. „Sie haben Atsumu doch wohlbehütet zurückgebracht, nicht wahr?“, fragte Dr. Sakusa und winkte Kenma an den Platz ihm vis-a-vis auf der anderen Seite des Patienten. Kenma schluckte. „Ich hab ihn wohlbehütet zurückgelassen“, sagte er. Hat er. Als er ging, war Atsumu in Dr. Sarukuis Händen. Dass er die Verantwortung auf Terushima abgeschoben hat und dass das in Dr. Sakusas Augen bestimmt nicht wohlbehütet war, konnte er sich selbst denken. Würde er es auch so sehen. Er hat Atsumu keinem guten Schicksal überlassen. Dr. Sakusa bemerkte auch, dass etwas nicht stimmte.

Doch just bevor er fragen konnte, gab es an der Glasscheibe der Galerie ein dumpfes Geräusch und ein Quietschen, dass die Aufmerksamkeit auf sich riss. Kenma wusste nicht, ob er erleichtert oder verärgert sein sollte, denn Terushima war gerade angekommen und Atsumu hat sich gegen das Glas geworfen und rutschte nun mit seinem Gesicht an die Scheibe gedrückt hinunter. Terushima deutete Kenma mit Fingerpistolen, die ihm wohl darbieten sollten, wie toll er seinen Job gemacht hatte.
 

„Es tut mir aufrichtig Leid, Dr. Sakusa-sama“, sagte Kenma. „Er ist so ein Vollidiot“, seufzte Dr. Sakusa und verdrehte die Augen. „Das ist er“, bestätigte Kenma. „Hey! Wie reden Sie über Atsumu? Das steht Ihnen nicht zu“, wurde er ermahnt, dass er sich gleich noch einmal entschuldigte und unter aufkommender Nervosität erklärte, dass er eigentlich Terushima gemeint hat. Stille trat ein.

„Okay, Missverständnis, Dr. Terushima ist auch ein Vollidiot und Sie haben recht, das zu bestätigen“, ließ Dr. Sakusa die Situation vergehen.
 

Er ließ auch die Zeit schnell vergehen, denn für Kenma war es wir bei einem seiner Videospiele: Er war so gefesselt von dem was passierte, dass er jegliches Gefühl für die Zeit verlor. Dr. Sakusas Handgriffe waren routiniert. Seine Konzentration lag voll auf seiner Arbeit, die Kenma mit Argusaugen beobachtete und der er sich im richtigen Moment anschloss. Es war sogar ein Leichtes für den Oberarzt, Kenmas Haltefehler auszukorrigieren und ihn höflich aber mit Nachdruck darauf hinzuweisen. „Natürlich“, sagte Kenma, passte seine Haltung an und sah hoch in Dr. Sakusas Gesicht. Er war fokussiert, hochkonzentriert und Kenma ertappte sich einmal mehr in der Bewunderung dieses Arztes. Noch bevor dieser es aber bemerkte, fing er seine Aufmerksamkeit wieder zurück zum Temporallappen und der letzten Klemme die gesetzt wurde ehe das Gewächs entfernt und in die Schale für medizinischen Abfall gelegt wurde.
 

Kenma saugte die Flüssigkeit ab, dass Dr. Sakusa noch einmal nachkontrollieren konnte, ob auch alles ordnungsgemäß verschlossen war. Ein Blick auf den Monitor schenkte auch Gewissheit und Kenmas Blick traf den zufrieden Gesichtsausdruck seines Lehrers. „Sehr gut“, sagte Dr. Sakusa und schloss die offene Stelle wieder und gab den Patienten für die Intensivstation frei, nachdem sie fertig waren.
 

Atsumu stand weiterhin in der Galerie und könnte glücklicher nicht aussehen. Seinem Freund bei einer komplizierten Operation zuzusehen war wohl ähnlich aufregend, wie von einem der besten Lehrern, die man haben konnte, zu lernen. Kenma verstand die Euphorie, aber er lebte sie nicht.

„Gute Arbeit heute, Dr. Kozume. Ich hoffe, ich kann mich in Zukunft weiters auf sie verlassen?“, stellte Dr. Sakusa die Frage, die Kenma niemals verneinen könnte. „Natürlich, Dr. Sakusa-sama, immer“, sagte er. Nun machte sich auch bei ihm die Euphorie breit. Kuroo würde sagen, er konnte von Glück reden, dass er schon so früh seine Spezialisierung gefunden hatte und Kenma empfand in diesem Moment auch wirklich unheimliches Glück.

„Danke, Dr. Sakusa für diese Chance“, sagte er ehe sie den Operationssaal verließen.
 

Am Gang warteten bereits Terushima und Atsumu auf die Beiden. Terushima hat tatsächlich sein Wort gehalten. „Mein Freund ist wirklich der großartigste Arzt“, sagte Atsumu und fiel besagtem großartigsten Arzt auch schon um den Hals. Dr. Sakusa wehrte den Zuneigungsangriff aber souverän ab. Er fing Atsumu an der Hüfte auf und nahm ihm die Geschwindigkeit. „Ist bin so stolz auf dich“ Atsumu gab nicht auf, dass Kenma sich entschied, mit Terushima zu gehen. „Auf wiedersehen“, sagte er und Terushima schlug zum Abschied mit Atsumu ein, der sich nun wieder versuchte an seinen Freund zu schmiegen.

„Ich mag es nicht, wie er dich ansieht“, sagte Atsumu ernst zu Dr. Sakusa. „Wie wer mich ansieht?“, war nicht klar, wer gemeint war. „Na diese schlecht gefärbte Blondine“, hörte Kenma ihn noch sagen und schnaubte. „So schlecht bist du gar nicht gefärbt“, sagte er zu Terushima, doch der lachte. „Oh, er meint nicht mich, er meint dich“, klärte er Kenma auf. Kenma blieb verblüfft stehen. „Mich?“
 

„Ja, mit seinen großen runden knuffigen Augen, er hängt förmlich an deinen Lippen. Was läuft da?“ Atsumu war immer noch zu hören, dass Kenma bereits umdrehen und sich empören wollte, doch Terushima hielt ihn auf. Denn Dr. Sakusa wusste das schon selbst zu entschärfen: „Da läuft gar nichts, ich bin sein Lehrer und er ist mein Schüler. Er lernt, Atsumu“ – „Er flirtet“ – „Vertrau mir, er lernt“
 

Kenma war außer sich und er wurde das Gefühl nicht los, dass Terushima mitverantwortlich für die Situation war. Den Vorwurf schlug dieser aber sofort ab und widmete sich einem ganz anderem Thema: Der Motorradfahrerin.

„Ich war mit Atsumu bei ihr… wollte sie aufmuntern, mit meinem unechten Zwillingsbruder. Hat aber nicht besonders geholfen. Das mit dem Rollstuhlfahren fällt ihr echt schwer, sie hat wenig Kraft und die Physio ist anstrengend“, sagte Terushima und senkte den Kopf. Kenma wusste inzwischen, dass ein kleines Stückchen von Terushimas Schicksal an dieser Frau hing, das Stückchen, das auch mit der gelben Kawasaki am Parkplatz zu tun hatte.
 

„Kaede ist so ne taffe Frau, aber sie ist so frustriert. Ich wünschte, ich könnte ihr helfen“, seufzte Terushima. „Schmollen wegen ihr bringt ihr sicher nichts. Aber du bist doch derjenige, der immer nur Spaß will. Warum zeigst du ihr nicht, dass es auch Spaß machen kann?“ – „Wie soll Rollstuhlfahren denn bitte Spaß machen?“, fragte Terushima regelrecht pampig. Kenma zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht, du bist der Spezialist für Spaß, dir fällt schon was ein“, sagte er. Sie gingen weiter aber wurden schier wieder zum Stehen bleiben gezwungen, zumindest wenn sie nicht in die Schusslinie gelangen wollten.
 

„Kaede, Kaede, Kaede! Ich kann es nicht mehr hören!“ Das Klagelied der Krankenschwester füllte den Gang, aber Dr. Iwaizumis Poltern war auch nicht zu überhören und gar zum Kopf einziehen.

„Ich versteh nicht, warum du so eifersüchtig reagierst!“ Dass Dr. Iwaizumi schon einmal laut werden konnte, wussten sie von Shirabu, aber auch von Tsukishima, der sich herrlich darüber amüsierte, wenn besagter Stationsarzt mit Dr. Oikawa ins Geschütz trat.
 

„Ich bin nicht eifersüchtig, Hajime. Ich bin angepisst, weil es kein anderes Thema mehr gibt“, blaffte Kaori. Die beiden kamen näher und Kenma wurde nervöser, aber seine Beine wollten sich nicht recht bewegen. Terushima war wohl zu neugierig, als, dass er geflüchtet wäre.
 

„Kannst du bitte aufhören, so herumzuschreien?“ ermahnte Dr. Iwaizumi, aber Kaori lachte. „Dann kannst du dir bitte eingestehen, dass du Gefühle für das Miststück hast?“, knurrte sie ihn an. „Dann gesteh du dir doch ein, dass du eifersüchtig bist! Und nenn sie nicht so. Du kennst sie gar nicht. Wenn du sie kennen würdest… du würdest nicht so über sie sprechen“ – „Ich hab ja wohl allen Grund dazu, eifersüchtig zu sein“, kam es wieder lauter von Kaori und sie blies kraftvoll Luft aus.

„Du bildest dir das ein“, beharrte Dr. Iwaizumi auf seinen Standpunkt und dann traten die beiden auch schon um die Ecke und Kenma hielt aus Reflex die Luft an. Terushima griff urplötzlich nach seiner Hand und zog ihn hinter sich in einen Raum. Die Tür wurde zugemacht und Terushima deutete mit dem Finger auf seine Lippen, dass er leise sein sollte. „Ich hätte nichts gesagt“, flüsterte Kenma und Terushima Shhhte noch einmal deutlich. Kenma nickte. Terushima hat sie in einen der Utensilräume gezogen, nicht den Kramuri-Raum vom dritten Stock, sie waren im zweiten Stock und vis-a-vis war zumindest kein Bereitschaftsraum, wo jemand, vorzugsweise Terushima, Shirabu und oder Futakuchi, herauskommen konnte.
 

Der Streit kam näher. Kenmas Herz wollte schon stehen bleiben, weil er hörte, dass die zwei vor der Tür standen. Es wurde zwar etwas leiser und vielleicht sprachen sie auch schon wieder halbwegs normal miteinander, die Panik stieg den beiden aber so richtig auf, als sie die Türschnalle bewegen sahen.

Da blieb Kenmas Herz dann auch stehen, aber nicht, weil Dr. Iwaizumi und Kaori bei der Tür hereinkamen, sondern, weil sich Terushima nah an ihn schob und mit einer ungeahnten Leidenschaft seine Lippen in Beschlag nahm. Terushima raubte ihm binnen Bruchteilen von einer Sekunde den Atem, den Herzschlag und das Gefühl für Zeit und Raum. Kenma kniff die Augen zu und realisierte nur, dass ihm das Aftershave des anderen nicht abneigte.
 

„Oh, Entschuldigung“, hörte er entfernt und auch, dass die Tür zugeknallt wurde. Von dem Gekichere draußen merkte er kaum etwas und dann löste sich Terushima von ihm und Kenma starrte ihn entsetzt an. „Was… was sollte das?“, fragte er ihn aufgelöst. Er fasste sich auf die Lippen. Seine Finger zitterten, aber er ließ Terushimas Hand nicht los, weil er fürchtete, der Boden würde ihm unter den wackeligen Beinen wegrutschen.
 

„Ich hab uns gerettet, wenn die beiden hier rein gekommen wären, hättest du was viel Schlimmeres über dich ergehen lassen müssen, als nen kleinen Kuss von mir“, sagte Terushima und nahm Abstand. „Ein kleiner Kuss? Das war mehr als ein kleiner Kuss!“, empörte sich Kenma, aber stolperte Terushima nach. Die Arme schlangen sich stützend um ihn, aber Kenma versuchte sich zu wehren.

„Sag nicht, das war dein erster Kuss“, befürchtete Terushima. Kenma schnaubte. „N-nein… natürlich nicht“, sagte Kenma. Er sah Terushima dabei nicht ins Gesicht, weil er nicht einer Lüge ertappt werden wollte.
 

„Dr. Model!?“ Nun war Terushima außer sich. „Vergiss es, lass mich einfach in Ruhe“, sagte Kenma und stieß Terushima von sich weg, er lief aus dem Raum, knallte die Tür hinter sich zu und beschleunigte seine Schritte auf ein Maximum.

„Kenma!“, rief ihm Terushima nach, aber er ignorierte ihn. Er wurde schneller und hoffte, dass er ihm nicht folgen würde. Tat er nicht.
 

Vollkommen außer Puste kam er an seinem Ziel an und erkannte, dass Shirabu da war. Kenma wechselte nicht gerne mit Shirabu ab, wenn es darum ging, Kawanishi etwas von seiner Zeit zu schenken. Denn er hörte dabei immer Dinge die er nicht hören wollte.
 

"Ich weiß ja nicht, ob du auf Frauen oder Männer stehst, aber Terushima und sein Zungenpiercing..."

Verdammt! Terushimas Zungenpiercing!

oder

"Kenji ist ganz schön herrisch im Bett!"

Diese Bilder!

Wenn es aber losging mit: "Boah ey, Semi-san hat...", dann suchte Kenma besonders schnell wieder das Weite, denn Semi hat Shirabu wohl mal das Hirn hinausgeblasen und wie sein Kollege das genau meinte, wollte er gar nicht näher erfahren, geschweige denn, was noch geblasen, gefegt und weggevögelt wurde.
 

Aber an diesem Tag sagte er nichts mehr. Er stand auf und übergab an Kenma, der wusste, dass Yachi in drei Stunden wieder hier sein würde.

„Terushima ist ein Arsch… aber das weißt du sicher schon“, sagte er zu Kawanishi und ließ sich neben ihm nieder. Sein Herz musste sich erst beruhigen. Er musste verarbeiten, was da gerade passiert war und er musste akzeptieren, dass Terushima nun etwas über ihn wusste, was sonst niemand wusste.

1042


 

***
 

Von der 1042er Reihe Elektrolokomotive der österreichischen Bundesbahnen wurden seit den 60er Jahren 257 Stück geliefert. Die Lok wird auch als Universallokomotive bezeichnet und wird mit einem SSW-Gummiring-Federantrieb angetrieben. Die Lok gab es in Tannengrün (80), Blutorangefarben (die meisten anderen) und Kaminrot (versuchsweise am Anfang). In den 90er Jahren wurde das veraltete Modell auf die 1142er Reihe aufgerüstet.
 

1042 ist die Nummer eines Formulars der Armerikanischen Steuerbehörde, dem IRS, welches verpflichtend auf der ganzen Welt von entsprechenden Vermittlern ausgefüllt und übermittelt wird. Vermittler können Banken sein, Rechtsanwälte oder eigene Firmen, die nur für so etwas gegründet wurden. Um das zu dürfen, müssen sich diese Vermittler einer intensiven Prüfung unterziehen, die regelmäßig wiederholt werden muss um den sogenannten QI-Status positiv zu halten. QI steht für Qualified Intermediary und bezeichnet den geprüften Vermittler.

Im Formular wird die unter länderspezifischen Doppelbesteuerungsabkommen berücksichtigt abgeführte US-Quellensteuer in Verbindung mit Wertpapiergeschäften amerikanisch Ansässiger dargestellt. Fehler sind nicht erlaubt und werden teuer. Wer diese Beschreibung versteht ist entweder ein Genie oder hat jahrelang versucht, es zu verstehen, weil für einen solchen Vermittler gearbeitet wurde, und kann das Thema nun nicht mehr hören, weil es, sobald das Thema Steuer aufkommt, immer problematisch wird. Sobald die Amerikaner mit im Spiel sind, meint man gleich noch zusätzlich nervöser werden zu müssen.
 

In der Apostelgeschichte 10-42 steht geschrieben:

"Und hat uns geboten, zu predigen dem Volk und zu zeugen, daß er ist verordnet von Gott zum Richter der Lebendigen und der Toten."

Die Koordinaten 10/42, also 10° 0' 0" N 42° 0' 0" E führen uns nach Äthiopien.
 

10:42 ist aber auch eine Uhrzeit. Zwei sogar, einmal vor Mittag und einmal nach Mittag, des Nachtens.
 

Beim Timestamp 10:42 dieser wunderschönen Coversammlung startet ein Song, richtungsweisend für dieses Kapitel.
 

***
 

Die Nachtschicht war Kenmas liebste Schicht und sie war die Rettung für den Assistenzarzt. Durch sie konnte er ein unangenehmes Gespräch mit seinem Mitbewohner abwehren. Er konnte Terushima ausweichen und er konnte auch Kuroo auf Abstand halten, der sofort bemerkt hätte, dass etwas nicht stimmte. Aber was genau stimmte nicht? Der Kuss, den ihm Terushima gestohlen hat, um sie von Schlimmeren zu bewahren, wollte ihn eigentlich nicht stören. Kenma hat sich nie vorgestellt, wie toll oder nicht toll oder aufregend oder verrückt sein erster Kuss sein würde. Für Romantik hatte er keinen Sinn, auch Verlangen hatte er kaum bis keines danach. Nicht, bis Terushima ihn so überrumpelt hat und er zum ersten Mal dieses aufregende Gefühl hatte, das ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hat.
 

Immer wieder hat er sich bei Kawanishi, am Weg heim, in den Stunden im Zimmer, zum Einschlafen und nun auch im Bus am Weg ins Krankenhaus zu besagter Nachtschicht, dabei ertappt, dass seine Finger automatisch auf seine Lippen gewandert sind und er versuchte, das Gefühl für sich zu beschreiben. Erfolglos.

Auch war es schwer, zu entscheiden, ob es ein positives oder ein negatives Gefühl war. Es war, passé positiv, aber es verwirrte ihn, dass der negative Beigeschmack Terushimas so schwer wog. Terushima hat ihn geküsst. Und da war schon Leidenschaft drinnen, denn Terushima, so ahnte Kenma, machte keine halbe Sachen, selbst dann nicht, wenn es nur Tarnung war. Und diese Gefühle verwirrten.

Sie haben Kenma beim Verlassen des Krankenhauses am Vorabend nicht mehr in Yamaguchis Augen sehen lassen. Das tat er selten, aber diesmal konnte er nicht. Terushima war wirklich ein Arsch.

Aber dieser Arsch war gerade nicht da. Er hatte eine normale Schicht und Kenma saß allein im Bus. Wieder einmal mit den Fingern auf seinen Lippen. Am liebsten hätte er sie sich abgebissen. Ging aber nicht. Stattdessen trat er vollkommen unvorbereitet aus dem Bus.
 

„Dr. Kozume.“ Eine schwache Stimme sprach ihn an und er wandte sich zu Dr. Sakusa um. „Dr. Kozume, ich… ich kann die Zeit nicht rückwärts drehen“, sagte er als die beiden sich gegenüberstanden. Kenma musterte den Oberarzt. Er sah absolut fertig aus, hatte Augenringe, verquollene Augen und sein Haar war zerzaust. Er war blass und hatte einen irren Blick drauf.

„Sie können sie auch nicht vorwärts drehen“, vermutete Kenma. Dr. Sakusa lachte verhalten. „Sie haben recht… was… was kann ich eigentlich, Dr. Kozume?“, fragte er und packte den Assistenzarzt an den Oberarmen, ihn desillusioniert durchzuschütteln. Kenma spannte an, schluckte und starrte seinen Mentor überfordert an. „Entschuldigen Sie“, sagte Dr. Sakusa. Er nahm sofort die Hände von ihm und ging ein paar Schritt an ihm vorbei. Immer wieder murmelnd, dass er die Zeit nicht zurück drehen konnte. „Dr. Sakusa-sama, was ist passiert?“, fragte Kenma und schloss auf. Angepasst blieben beide Ärzte stehen und Dr. Sakusas Stimme erzählte brüchig, was in den letzten 24 Stunden passiert ist. Nicht, dass Kenma jedes Detail erfahren wollte, aber er ließ den Oberarzt reden.
 

-
 

Sakusa hat in der Nacht kein Auge zugemacht. Es war nicht so gewesen, dass er Dr. Romero nicht vertraute. Ganz im Gegenteil, wenn jemand seinen Respekt verdiente, dann war es neben Dr. Nekomata, dem Chefarzt der Neurologischen Chirurgie, Dr. Romero, Spezialist für Transplantationen. Der Beste im Land. Weit und breit.

Nein, es war nicht die Sorge. Nicht seine. Es war Atsumus Sorge, die diesen und somit Sakusa wach hielt.
 

„Und du schaust zu?“, fragte Atsumu und Sakusa nickte. „Und wenn was is, bist du da, yea?“, fragte er weiter. Sakusa nickte wieder.

Die ganze Nacht über gab es Fragen. Atsumu wurde auch richtig desillusionieret und fragte nach Kenma, er fragte nach anderen Männern und erkundigte sich auch, ob Terushima sein Typ war – war er nicht, Terushima war ein Vollidiot.

Sakusa wurde laut, als ihn Atsumu zum wiederholten Mal fragte, ob er schlief.
 

„Wie soll ich schlafen können, wenn du keine Ruhe gibst und schwachsinnige Fragen stellst?“, blaffte er ihn an und sah in verschreckte Augen. Er war Atsumu gegenüber selten laut. Er musste nur manchmal sehr deutlich werden, aber er hat ihn nie angeschrien. „Tut mir leid… aber du raubst mir den letzten Nerv“, seufzte er und stand auf. „Ich hol mir einen Kaffee, das wird heute eh nichts mehr mit dem Schlafen“, sagte er und stand auf. Den Wunsch nach einer Limo erfüllte er Atsumu nicht. Es gab Wasser, mehr durfte er vor der Operation nicht zu sich nehmen. Auf den Protest hin flog dann schließlich ein Polster vom zweiten Bett in diesem Zimmer und Osamu machte sich laut bemerkbar. „Wenn du so weiter machst, behalt ich meine Leber ganz“, knurrte er. „Mach nur! Dann bekomm ich ‘ne Bessere“ – „Bekommst du nicht, sei einfach still und versuch zu schlafen“, mischte sich Sakusa noch einmal ein und setzte sich wieder an Atsumus Bett. Ruhe kehrte ein. Aber nicht lange. Das Fragespiel ging weiter. Details über die Operation, wie das genau mit dem abklemmen funktionierte und warum sie das gleichzeitig machten – nämlich dass der Teil von Osamus Leber schnell eingesetzt werden konnte um so wenig Zeit wie möglich zu verlieren.
 

„Ich verhungere hier noch“, quengelte Osamu, als Sakusa ein paar Stunden später auch das Frühstück verwehrte, beiden. „So schnell geht das nicht“, antwortete dieser trocken und stand auf. „Jetzt kommt die Visite. Dann werdet ihr vorbereitet und für die OP geholt“, erklärte er und ging zur Tür.
 

„Und du? Gehst du jetz? Ich dachte, du bleibst bei mir!“, beschwerte sich Atsumu gleich. Sakusa seufzte. „Ich geh mich frisch machen, Atsumu. Ich bin wieder hier, bevor ihr im OP seid. Versprochen“, sagte er und sah dabei auch zu Osamu, der ihm verständig zunickte. Atsumu griff noch einmal nach seiner Hand, dass es Sakusa nun wirklich schwer fiel, einfach zu gehen, aber er fühlte sich schrecklich. Übernachtig, ungepflegt und unterkoffeiniert. Also ging er.
 

Eine angenehme warme Dusche mit einem kurzen Heiß-Kalt-Wechsel erledigte das meiste um den Rest kümmerte sich ein frisch gebrühter Espresso, den er mit Komori in der Krankenhauskantine geholt hat. Eigentlich wollte er sich einen Deckel für den To-Go-Becher nehmen, doch als er diesen vom Stapel hob, kam ein rotes Entchen in der Grüße eines Zuckerwürfels zum Vorschein und er verzichtete ob der Tatsache, dass jemand mit verunreinigten Fingern hier am Werk gewesen sein musste.
 

„Das ist unerhört“, schnaubte er, da auch ihm schon aufgefallen ist, dass seit geraumer Zeit kleine bunte Entchen diverse Bereiche des Krankenhauses zierten. Und er fand das gar nicht nett, süß, witzig oder auch nur irgendwie in Ordnung.

„Ich hab das Gefühl, sie verfolgen mich“, zischte Komori, der seit der Sichtung der roten Ente geweiterte Augen denn je hatte. Seine Iriden zischten wild von links nach rechts, etwas hoch und weiter hinunter, absuchend, wo das nächste intrigante Vogelgetier saß.

„Wie sollen sie dich verfolgen, Motoya. Die sind aus Plastik“, sagte Sakusa und nahm einen regelrecht erlösenden Schluck vom Espresso. „Harz“, korrigierte Komori, ignorierte aber den eigentlich Inhalt der Message. Denn auch Enten aus Harz konnten ihn nicht verfolgen.
 

„Ich finde es höchst unhygienisch. Wer auch immer sich hier einen Spaß erlaubt, versteht nichts davon“, sagte Sakusa. „Als würdest du was von Spaß verstehen, Kiyo“, kicherte Komori, kassierte aber umgehend ein Augendrehen. Darum ging es nicht. Und doch, Sakusa meinte, dass er gut ausgewählten Humor durchaus verstand und auch schätzte. Immerhin hat es auch Atsumu geschafft, sein Herz zu erobern. Natürlich nicht nur durch Humor. Bei Kiyoomi Sakusa brauchte es dann schon um einiges mehr. Atsumus einzigartiger Charme trug maßgeblich dazu bei, dass Sakusa sein Herz und seinen Kopf verloren hat. Nichts, was er ihm gerne und oft sagte, ihm aber ehrlich zugestand.
 

„Bist du nervös?“, fragte Komori nachdem sie aufgestanden waren und er dabei den letzten Schluck seines Milchkaffees nahm. Die beiden leeren Pappbecher wurden entsorgt und die Kantine verlassen. „Kiyo?“, fragte Komori nach, weil der Oberarzt in Gedanken war und ihn gar nicht recht hörte. Sakusa dachte an die Zeit, in der er Atsumu kennengelernt hat, damals, als er noch nicht hier gearbeitet hat, damals, als das mit Atsumus Krankheit gerade aufkam und er mit jedem Treffen hoffte, eine einfache Lösung dazu zu finden. Aber es war nicht einfach. Auch die Operation, die Dr. Romero und Dr. Udai heute an den Zwillingen durchführen würden, war nicht einfach. Sie gehörte für die Transplantationsspezialisten zur Routine. Aber es war nicht einfach. Und genauso war es nicht einfach für Sakusa, zu antworten.
 

„Es ist okay, wenn du nervös bist“, sagte Komori und legte seinen Cousin die Hand auf den Oberarm, auf eine Art und Weise, wie er wusste, dass dieser es akzeptierte. „Ich bin nicht nervös“, schüttelte Sakusa ab. „Aber… ich bin auch nicht… nicht nervös“ Er seufzte. Komori lächelte ihm aufmunternd zu. „Das ist wohl normal. Aber du hast heute selbst keine OP oder? Du kannst den ganzen Tag bei ihm sein, nicht wahr?“, fragte der Stationsarzt und Sakusa nickte. Er würde den gesamten Eingriff über in der Galerie sitzen, stehen… sich aufhalten und warten, bis Atsumu wieder auf sein Zimmer gebracht würde und dann würde er mit ihm gehen und seine Hand halten, so lange, bis er aufwachte und sich darüber beschweren konnte, dass er schlecht gelegen hat oder dass er Hunger hatte oder Limonade wollte.

Mit diesen Gedanken verabschiedete er sich von Komori, den selbst die Pflicht rief. Chefarzt Nekomata sogar, denn Komori hat sich wie sein Cousin für die Neurochirurgie entschieden und durfte heute bei der Behandlung eines Ruptur gefährdeten Hirnaneurysmas assistieren.


 

-
 

Kenma erinnerte sich daran, dass er bei der Operation auch gerne dabei gewesen wäre, doch Dr. Nekomata wollte keine Neulinge in seinem Operationssaal haben. Nicht bei diesem Eingriff. Es hätte auch mit Kenmas Dienst nicht gut funktioniert, selbst wenn er für so etwas schon auf seine Freizeit und Schlaf verzichtet hätte. Aber das sagte er Dr. Sakusa nicht, denn der wirkte nicht so, als wäre er auch nur annähernd am Ende seiner Ausführungen.
 

-
 

Der Weg zum Zimmer der Miyas fühlte sich schrecklich lange an, obwohl sich Sakusa so schnell mit Komori zum Kaffeetrinken getroffen hat. Seine Beine wurden schwerer und er spürte, dass ihm der Schlaf fehlte, wusste aber, dass er in den nächsten acht Stunde nichts davon nachholen würde und dann auch erst, wenn er Atsumu in die Augen gesehen hätte um sicher gestellt zu haben, dass es ihm gut ging. Erst noch aber hatte er nach dem Erreichen des Zimmers den Weg zum Operationssaal vor sich.

Atsumus Gerede fühlte sich unheimlich wirr und weit entfernt an. Auch ein neuerlicher Streit, den die Zwillinge ausführten, kam nicht recht an ihn heran. Erst als Atsumu vor der Tür zum Chirurgietrakt seine Hand fester drückte, kam Sakusa wieder im Hier und Jetzt an. Mit einem sanften Lächeln sah er zur Liebe seines Lebens und ließ sich von ihm versprechen, dass er sich auf die letzten Meter benahm, aber auch, dass er es nicht wagen würde, irgendwelche außergewöhnlichen Zwischenfälle zu provozieren, für die er natürlich nichts könnte. „Hab dich im Griff. Übersteh das und komm wieder zu mir zurück“, sagte er zu ihm und Atsumu versprach ihm mit einem bedeutungsstarken Kuss, dass ihm nichts passieren würde und dass sie heute Nacht Arm in Arm einschlafen und all den Schlaf nachholen konnten, der ihnen der vergangenen Nacht abhandengekommen war.
 

„Du… Kiyoomi?“, fragte Osamu mit gesenktem Blick. Sakusa wandte sich von Atsumu ab und betrachtete dessen Zwillingsbruder. „Osamu?“, forderte er ihn zum Weitersprechen auf. „Ist Rin heute da?“, fragte der grauhaarige Zwilling. Sakusa wusste, warum, er fragte. Er mischte sich in diese Dinge aber nicht ein. „Ich kenne seinen Dienstplan nicht“, sagte er wahrheitsgemäß. Osamu nickte mit einem aufgezwungenen Lächeln. „Denkst du… wir haben noch eine Chance?“, stellte Osamu noch eine Frage, die Sakusa nicht zu beantworten vermochte. Nicht nur, weil er nicht wollte. Er konnte nicht. „Rintaro ist ein komplizierter Mann. Du wirst das Gespräch mit ihm direkt suchen müssen“, gab er ihm mit auf dem Weg. Wiederwillig versprach er Osamu Suna etwas auszurichten, würde das Schlimmste eintreffen.
 

„Arsch! Behalt‘ deine ganze Leber und sag’s ihm selbst! Willst nur als Held vor ihm da stehen“, knurrte Atsumu und sah von Schwester Misaki zu Pfleger Izuru. „Ihr habt doch sicher ‘nen besser’n Spender gefunden, als den da“, fragte er ein letztes Mal nach der Möglichkeit, Osamu aus seiner selbstauferlegten Pflicht zu nehmen. Beide verneinten. Atsumu wandte seinen Blick zu Osamu um. Er deutete die Krankenbetten näher aneinander zu schieben, dass er nach der Hand seines Bruders greifen konnte. „Danke…“, flüsterte er. „Du würdest dasselbe für mich tun“, sagte Osamu und zuckte mit den Schultern. Atsumu nickte. Würde er. Ohne auch nur im Ansatz darüber nachzudenken. Er würde sein Leben geben für Osamu. Das wusste auch Sakusa und war froh um die Konstellation, nicht besonders stolz, aber froh, dass Osamu etwas für Atsumu gab und nicht anders herum.
 

„Vergib mir, falls ich es nicht schaffe“, sagte Atsumu zum Abschied. Sakusa schüttelte energisch den Kopf. „Das würde ich dir nie vergeben“, sagte er streng und sah zu, wie Atsumu in den ersten Operationssaal geschoben wurde. Er sah ein letztes Lächeln und die Lippen, die „Bis gleich“ formten. „Bis gleich“, flüsterte auch er.
 

Osamu wurde direkt darauf in den zweiten Operationssaal geschoben und dann stand Sakusa alleine im Gang. Die Türen schwangen hörbar nach. Sie vertonten beinahe Sakusas Herzschlag, der immer langsamer wurde. Es wurde still.

Einen Augenblick blieb er so stehen, dann begab er sich einen Halbstock höher.
 

Entsprechend seiner Erwartungen betrat Dr. Romero den Operationssaal wieder mit dem Start seiner Playlist. Alles andere hätte Dr. Sakusa wohl verunsichert, weil es nicht der Norm entsprochen hätte. Auch saß nun wieder Konoha am Narkosegerät und verlangte dem leitenden Arzt ein erfreutes Lächeln ab, das aber sofort mit einer Maske bedeckt wurde. Der Anästhesist reagierte kaum. Seine Augen huschten auf den Monitor und er nickte Dr. Romero zu.

„Skalpell“, sagte dieser, warf einen Blick auf die Vitalwerte und schnitt durch Atsumus Haut. Sakusa biss sich angespannt auf die Lippen und lehnte sich auf seinem Sitz nach vorne. Es hätte ihm wirklich gut getan, wenn Komori jetzt bei ihm gewesen wäre. Er hatte niemanden gebraucht, der ihm die Hand hielt, die Schulter tätschelte oder ihn umarmte. Das würde Atsumu alles machen, wenn dieser nach der Operation in seinen Armen aufwachen würde. Aber er hätte gerne die beruhigende Präsenz einer familiären Person bei sich gehabt.
 

Soweit Sakusa das beurteilen konnte, verlief der erste Teil der Operation gut. Atsumus Galle wurde abgeklemmt und die schier unbrauchbar gewordene Leber und gerade herausgehoben, da ertönte das Klirren des OP-Telefons. Dr. Romero hielt inne und bat OP-Schwester Misaki, den Hörer abzunehmen.
 

„Es ist Dr. Udais OP. Izuru sagt, die Spenderleber ist unbrauchbar“
 

“Die Spenderleber ist unbrauchbar“
 

“Unbrauchbar“
 

Unbrauchbar
 

Sakusa hörte nichts anderes mehr als dieses Wort. „Unbrauchbar“. Kein Geräusch aus dem Operationssaal oder der Galerie kam auch nur annähernd an ihn heran. Seine Ohren machten komplett zu. Wie in Zeitlupe sah er, wie Schwester Misaki den Hörer fallen ließ, wie Dr. Romero zu ihm hochsah aber Yachi, seiner Assistenzärztin, Anweisungen mit dem Skalpell in der Hand gab. Das Besteck wurde ausgetauscht und die zur Entsorgung beiseitegelegte Leber von Atsumu wurde wieder in den Kreislauf gebracht. Das Skalpell fiel Yachi aus der Hand. Misaki tauschte es sofort aus.

Sakusas Ohren surrten. Ein Piepen ertönte, von dem er wusste, dass es eine Schockreaktion war und kein Gerät aus dem Operationssaal.
 

Beinahe hätte er vergessen zu atmen, da spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Dass Surren und Piepen verging und der Ton des echten Lebens kam umgehend zurück, auch die Zeit verlief nicht mehr wie in Zeitlupe und Sakusa hob den Kopf um in Sunas scharfe grüne Augen zu sehen. „Osamus Leber versagt“, informierte er ihn, blasser als sonst. Sakusa spürte das Zittern von Sunas Fingern auf seiner Schulter. Sie waren auch kälter als üblich. Er ließ ihn gewähren. Die beiden waren so lange befreundet und arbeiteten in diesem sterilen Bereich, dass er ihm vertraute.

Doch dann geschah etwas, dem er nicht vertraute. Dr. Romero deutete Misaki, die Musik verstummen zu lassen.
 

„Was machen sie mit Atsumu?“, fragte Sakusa schwach. „Was machen sie mit Atsumu?!“ Sakusa wurde lauter. Er stand auf und Sunas Hand rutschte von seiner Schulter.

„Dr. Romero! Was-“ Sakusa war an das Telefon in der Galerie gegangen. „Dr. Sakusa. Schön, Ihre Stimme zu hören, aber wenn Sie wollen, dass er überlebt, lassen Sie mich in Ruhe arbeiten“, sagte Dr. Romero ernster und strenger als Sakusa ihn jemals erlebt hat. Yachi war angespannt, selbst Konoha wirkte unruhig. Unter drückender Stille setzte Dr. Romero die beschädigte aber nicht ganz verlorene Leber wieder ein. Hoch konzentriert suchte er dabei die Möglichkeit, an bereits absterbendem Gewebe vorbeizuarbeiten. Sakusas wiederholte Fragen über den Fortschritt, das Vorhaben und Atsumus Überlebenschancen blieben unbeantwortet. Er wurde nervöser. Aber auch Dr. Romero kämpfte mit seiner Ruhe. Nicht nur, weil ihn Sakusa störte, das konnte er ignorieren.

Etliche Minuten später, in denen Sakusa bereits überlegt hat, selbst in den Operationssaal zu gehen und dafür zu sorgen, dass Atsumu überlebte, legte Dr. Romero das Besteck ab. Sakusa hielt sich an die Vorgaben des Krankenhauses und auch denen der Ethik. Er durfte nicht an einem Angehörigen operieren. Er war zu involviert und eigentlich hätte er nicht einmal in der Galerie sein sollen.

Dr. Romero trat einen Schritt zurück. Atsumu blieb offen. Sakusa blieb stehen.

Seine Augen hafteten wie die gesamte Zeit des Rettungsversuches auf den flinken Fingern des Chirurgen.
 

„Er ist soweit stabil, jetzt heißt es abwarten“, sagte Dr. Romero mit erhobenen Händen. Misaki hatte bereits die Informationen weitergetragen. Osamu stand auf der Transplantationsliste nun ganz oben. Sakusa stand stockend atmend immer noch am Hörer.

„Wir müssen die Spenderleber teilen“, sagte er mit gestandener Stimme. Sein ganzer Körper zitterte vor Angst, aber seine Stimme klang fest und bewusst.

„Das werden wir, wenn wir eine bekommen“, sagte Dr. Romero. Er wandte den Kopf nicht von Atsumu ab. Sakusa nun in die Augen zu sehen, wenn auch über eine sichere Entfernung, war keine gute Idee, das erkannte Yachi umgehend, denn ihr schien ein kalter Schauer über den Rücken zu laufen. Sie schüttelte sich am ganzen Körper und öffnete den Mund um Dr. Romero anzusprechen. „Wir können nichts anderes tun“, sagte dieser, noch ehe sie ihn fragen konnte. Yachi nickte. Sie seufzte und sah auf den offenen Torso vor sich. Die Maschine mit den Vitalwerten machte regelmäßige Geräusche, die sie alle erhofften.
 

Stille. Ewig währende markerschütternde Stille, die Sakusa wie mit einer Katanaschneide durchtrennte. „Rintaro… ihr habt dieselbe Blutgruppe“, sagte er. Suna schwieg, wagte es nicht, seinen Freund anzusehen. „Du kannst-“ – „Kann ich nicht“ Sakusa stockte. Unverständnis schmetterte auf Ablehnung.

„Das kann ich unserer Beziehung nicht antun“, sprach Suna weiter. Das Unverständnis stieg. „Aber sterben lassen kannst du ihn?“ – „Kann ich nicht, verdammt! Aber…“ Suna unterbrach sich selbst mit Stille. Beide hielten inne, maßen einander nur mit Blicken. Sakusa verachtete seinen Freund in diesem Moment mehr als das Schicksal, das Atsumu in diese Situation gebracht hat.
 

„Samu würde mich mehr hassen als jetzt schon. Ich will, dass unsere Beziehung eine neue Chance hat und das geht nicht, wenn er mir sein Leben verdankt“, erkläre Suna schließlich. Sakusa schnaubte. „Du bist so ein verdammter Sturkopf“, knurrte er und ballte die Fäuste. Just in dem Moment, als sie beide noch etwas sagen, vielmehr schreien wollten, erklang das Telefon im Operationssaal. Misaki ging umgehend ran. Die Schwester nickte mit einem Laut, der kommunizierte, dass sie verstanden hatte. „Sie haben eine Spenderleber. Dr. Kuroo und Dr. Yaku sind auf dem Weg“, gab sie die Information an alle im Raum und darüber hinaus weiter. Sakusa atmete erleichtert aus. Er schloss die Augen und senkte den Kopf. „Glück gehabt“, sagte er zu Suna als wäre es ein Vorwurf. „Gleichfalls“, kam es nicht weniger verwerflich zurück. Sakusa verstand ihn manchmal einfach nicht. Gerade hatte er aber auch keinen Nerv dazu, sich mit Suna und seiner Art auseinanderzusetzen. Die beiden hatten jetzt nichts mehr zu reden. Das würde sich in den nächsten Tagen und Wochen wieder ausbügeln, so wie immer, wenn sie nicht einer Meinung waren.
 

Und dann waltete Stille.

So lange Stille, bis es wieder unruhig wurde. Atsumus Werte sanken ab und Dr. Romero reagierte mit Punktation der Leber, Beigabe von Adrenalin, das Herz stark zu halten und Konoha passte das Narkosemittel an.
 

„Wir verlieren die Leber“, sagte Dr. Romero und bestätigte der gesamten Mannschaft im Saal als auch den Zusehern oben, dass Atsumus Leben nun am seidenen Faden hing.

Sakusa reagierte. Er lief aus dem Raum. Suna ließ er einfach stehen. Hastig eilte er die Treppen hinunter und riss die Tür zum Vorbereitungssaal auf. Dr. Romero drehte sich im Operationssaal um. „Dr. Sakusa, sehen Sie mich oben nicht gut genug?“, fragte er mit ruhiger Stimme. Seine Körpersprache vermittelte allerdings alles andere als Ruhe und das spürte nicht nur Sakusa, der seine Hände hastig zu waschen begann. „Bei allem Respekt, Dr. Romero, aber das benötigt-“ – „sicherlich keinen Neurochirurgen!“, polterte Dr. Romero dagegen. Sakusa erstarrte. „Sie gehen wieder hoch! Holen Sie sich einen Kaffee oder sorgen Sie dafür, dass Dr. Kuroo und Dr. Yaku unbehindert zu uns stoßen können“ Die Stimme des Transplantationsspezialisten bebte. Alles in Sakusas Körper sträubte sich dagegen, nun zu gehen. Aber Dr. Romero machte plötzlich einen erleichterten Ton, denn die nervösen Geräusche der Maschinen regulierten sich. Atsumus Zustand hat sich stabilisiert. Sakusa atmete einmal ruhig durch. Er drehte das Wasser wieder ab. „Dr. Romero, ich bin gezwungen, ihnen zu vertrauen“, sagte er. „Und das können Sie. Ich werde alles dafür tun, dass mein Patient überlebt“, erwiderte der Chirurg im Saal. Sakusa nahm ihn beim Wort und verließ nach dem Abtrocknen seiner Hände den Vorbereitungsraum wieder. Er war gezwungen zu vertrauen. Im Grunde vertraute er Dr. Romero. Mehr als vielen anderen Chirurgen, aber es ging um Atsumu. Es ging um den Mann, dem Sakusas Herz gehörte und dem er sogar eben dieses überlassen würde, wenn es ihn retten konnte.
 

Wie ihm Dr. Romero aber nahegelegt hat, ging er nun schnellen Schrittes zu den Aufzügen und sorgte dafür, dass der Lift in das Erdgeschoss fuhr wo auch schon beim Öffnen der Tür der Blick auf die beiden Assistenzärzte fiel, die mit dem Organcontainer auf Sakusa zuliefen. „Dr. Sakusa, schnell!“, rief Kuroo und die beiden schlüpften an ihm vorbei in den Lift. Der Stock wurde gewählt und die längsten 42 Sekunden in Sakusas Leben vergingen. Schweigend. Angespannt. Wie vor dem Startschuss beim Wettlauf. Kaum war der Stock erreicht sprinteten sie alle drei los. Kuroo und Yaku liefen zu den Operationssälen und Sakusa stürmte die Treppe in den Halbstock zur Galerie hoch. Mit unruhigem Atem erkannte er, dass Suna nicht mehr hier war, vermutlich war er bei Osamu und beobachtete mit Unbehagen, wie Dr. Udai um dessen Leben kämpfte. Es tat ihm leid, dass er Suna so angeknurrt hatte und dass er ihm noch viel schlimmere Dinge an den Kopf werfen wollte, als hervorzuheben, wie stur er sein konnte. Aber er kam schnell vom schlechten Gewissen wegen ein paar Worten ab, den im Operationssaal herrschte erneut Chaos.
 

Sakusas Augen stierten durch die Scheibe in Dr. Romeros Nacken. Die Gerätschaften brachten den Operationssaal in Aufruhr. Yachi stand mitten im Raum mit dem Tablett voller Operationswerkzeug, das ihr Misaki gerade abnehmen wollte. Der Tisch dafür stand in einer Ecke, als hätte man ihn willkürlich weggetreten und rollen lassen. Dafür stand der Notfallwagen neben Atsumu und Dr. Romero legte die Elektrodenstäbe des Defibrillators gerade weg.

Das Gerät, das Atsumus Puls überwachte, gab wieder regelmäßige Töne.
 

„Was ist passiert?“ Sakusa war ans Telefon getreten und nahm wieder Kontakt mit dem chirurgischen Team auf.

„Wir hatten einen Herzstillstand. Gerinnsel im Herzkranzgefäß direkt an der linken Kammer. Es ist unter Kontrolle, aber wir brauchen die Leber. Dringend“, sagte Dr. Romero ernst mit bebender Stimme. Sakusa schluckte. „Sie sind da“, presste er heraus.
 

Stille. Sakusa liebte Stille. Gerade hasste er sie. Sein Herz schlug so schnell, das Blut in seinen Venen wurde lauter und betäubte ihm die Ohren. Er war dem Schwindel nahe, weil er sich so machtlos fühlte. Die Finger tippten nervös gegen den Hörer, aber er vernahm die Geräusche dadurch gar nicht richtig. Auch den trällernden Ton, den das OP-Telefon gerade machte.

Schwester Misaki legte das Operationsbesteck wieder auf dem Wagen ab und deutete Yachi, es zu Dr. Romero zu schieben. Ihr Gesichtsausdruck als sie den Anruf des benachbarten Operationssaales entgegen nahm, gefiel Sakusa nicht.

Ihr klappte der Mund auf und ihr Blick suchte verzweifelt den des leitenden Chirurgen. Nur im Ansatz schüttelte sie den Kopf, aber das reichte, dass Sakusa den Hörer fallen ließ und aus der Galerie in die andere lief.
 

„Kiyoomi… es tut mir so leid“, sagte Suna. Er stand vor der Glasscheibe und hatte den Kopf nur im Ansatz zurück gedreht. Auf das fragende Gesicht hin, sprach Suna weiter. „Sie haben eine Masse auf der Leber entdeckt und können nicht die ganze verwenden“

Sakusas Herz setzte aus. Das bedeutete, dass nur einer der Zwillinge überleben würde. „Nein!“ Sakusa protestierte. Er schüttelte den Kopf schnell und lief vor zur Glasscheibe um mit beiden Fäusten dagegen zu schlagen. Im Saal unter ihnen zuckten die Ärzte zusammen. „Das darf nicht wahr sein! Das ist nicht fair!“, rief er aus. Dr. Udai räusperte sich im Operationssaal. „Wer bekommt die Leber?“, fragte er und Izuru, gab die Frage über das Telefon an Misaki weiter.
 

Wer bekam eine Organspende, wenn die Patienten auf den Operationstischen Zwillinge waren und beide einen ähnlich kritischen Zustand hatten? Das war eine Frage, die niemand der Anwesenden jemals hätte beantworten wollen. Denn sie bedeutete: „Wen retten wir?“ und „Wen lassen wir sterben?“

Sakusas Hände zitterten vor Angst. Suna sah ihn flehend an. „Wehe, du sagst es“, bebte Sakusas Stimme. Suna schüttelte den Kopf. Die Ärzte im Saal diskutierten wild. Hoben die Zustände hervor. Dr. Udai wurde über Atsumus Herzstillstand informiert und die Spezialisten wogen die Chancen ab. Auch Sakusa hat abgewogen und nahm den Hörer in die Hand.
 

„Dr. Udai? Geben Sie Osamu die Leber“, sagte er mit brüchiger Stimme. „Kiyoomi!“ Suna trat heran, aber Sakusa gebar ihm, stehen zu bleiben. „Atsumus Zustand ist kritischer, er muss auf der Liste ganz nach oben gesetzt werden“, sagte er und hing den Hörer wieder in die Gabel. Dann ging er. Langsam, ohne Suna noch einmal anzusehen. Sakusa blieb am Gang vor der Galerie zu Atsumus Operationssaal stehen. Er bereute, was er gesagt hat. Damit hat er Atsumus Schicksal besiegelt. Aber er wusste auch, Atsumu war der stärkere Zwilling. Wenn jemand noch etwas auf ein Spenderorgan warten konnte, dann war er es. Und dennoch wollte Sakusa umgehend zurück laufen und Dr. Udai sagen, er solle die Leber zu Dr. Romero bringen, aber er konnte sich nicht rühren. Es war, als stünde er in Beton gemeiselt.
 

Später konnte er nicht sagen, wie lange er dort stand und einfach nur mit stummen Gebeten in die Luft starrte. Sakusa war nicht gläubig. Er glaubte nicht daran, dass irgendein übernatürliches Wesen Atsumu retten würde. Er wusste, dass es nur die Medizin konnte und er wusste, dass es manchmal eben nicht ging. Aber Sakusa war dem Verzweifeln nahe und so betete er an alles, was er für möglich hielt. So lange, bis ihn Sunas Stimme wieder ins Hier und Jetzt rief.
 

„Dr. Yamagata und Dr. Yaku holen eine Leber für Atsumu. Dr. Kuroo assistiert bei Osamu“
 

Sakusa brach in Tränen aus. Die Beine versagte der Erleichterung und er ging auf die Knie. Suna bot seinen Halt an, aber Sakusa lehnte ab, er lehnte auch ab, dass er ihm in die Galerie folgte. Dort pinnte er sich direkt an die große Glasscheibe. Dr. Romero wandte sich zu ihm um. Wohl mit einem Lächeln im Gesicht, denn seine Augen übermittelten eines. Die Maske verdeckte den Rest der Mimik.

„So kenne ich Sie gar nicht, Dr. Sakusa“, neckte er, aber bekam keine Reaktion. Stattdessen schniefte Sakusa ein tiefes „Danke“, dass sich neben ihm jemand räusperte. Mit einem erbarmungswürdigen Ausdruck blickte er in Dr. Ushijimas Gesicht, der wohl schon die ganze Zeit hier saß und die Operation beobachtete. Neben ihm saß Dr. Tendou, so still und ruhig, wie den Unfallchirurgen noch niemand erlebt hat „Hier“, sagte Dr. Ushijima mit tiefer Stimme und reichte ein Stofftaschentuch. Sakusa nahm es wortlos entgegen, tupfte sich die Tränen weg und nutzte es auch, nicht weiter eine laufende Nase ertragen zu müssen. „Ich gebe es wieder zurück“, sagte er. Dr. Ushijima nickte mit einem angenehm brummenden Ton und beide sahen wieder in den Operationssaal nach unten.
 

„Alles wird gut“, dachte Sakusa und atmete ruhiger. „Ich kann es kaum glauben, wie spannend es der kleine macht“, gluckste Dr. Tendou. Sakusa ignorierte ihn. Ushijima schwieg auch während sich der rothaarige Arzt neugierig so weit nach vorne beugte, dass jeder andere wohl bereits den Schwerpunkt verloren hätte und gekippt wäre.

Die Anspannung war im Raum deutlich spürbar, stärker noch, als Atsumus Leber komplett zu versagen begann. Plötzlich ging auch Dr. Tendous Pager los.

„Oh!“, stieß er aus, nahm das Gerät zu den Augen und japste nervös auf. „Unfall!“, erklärte er knapp und klopfte Dr. Ushijima auf den Oberarm. „Wir sehen uns“, sagte er noch und wuselte mit einer ungeahnten Entschuldigung an Sakusa vorbei.

Dr. Romero rief Misaki bereits das dritte Mal zu, sie solle nach Yamagata und Yaku fragen. „Dr. Romero! Ich komme nicht durch“, erwiderte sie. Der Notfallwagen kam wieder zum Einsatz. Atsumus Leber wurde punktiert, vergebens. Der Sinusrhythmus wurde durcheinander gebracht. Eine Maschine nach der anderen wurde laut und Sakusa verfiel wieder in seine Schockstarre.
 

„Die sollen hinne machen“, knurrte Dr. Romero nun deutlich angespannt. Die Schockpanele kamen wieder zum Einsatz. Die Kurve beruhigte sich. Nur wenige Sekunden, dann versagte das Herz abermals. „Atsumu“, hauchte Sakusa. „Bitte“, flehte er mit den Händen an die Scheibe gepresst und beobachtete die Ärzte, wie sie aufgeregt alles taten, um Atsumus Zustand wieder zu stabilisieren. Dr. Romero entfernte nun die Leber komplett. Yachi machte die Herzmassage mit einer Hand in Atsumus Brustkorb versenkt.

Auch Dr. Ushijimas Pager ging plötzlich los und er erhob sich. Schweigend ging er aus dem Raum. Zumindest vernahm Sakusa keinen weiteren Ton von ihm. Das Pfeifen in seinen Ohren kam wieder zurück, sowie das Gefühl unter Wasser zu stehen und ertrinken zu müssen.
 

„Wo bleiben die zwei?!“ Dr. Romero wurde lauter. Misaki verfiel am Hörer das Gesicht. „Sie hatten einen Unfall“, sagte sie und schließlich trat Stille im Saal ein. Kein aufgeregtes Treiben mehr. Kein Besteckscheppern. Keine Zurufe. Nur die Maschinen, die einen unerbittlichen Kampf austrugen, welche die lauteste war.
 

„Dr. Yachi! Lassen Sie es“, sagte Dr. Romero bestimmt. Die Assistenzärztin sah von ihrem Mentor hoch zu Sakusa, der kreidebleich hinunter starrte. Er wünschte, er hätte das nicht gehört. Yachi pumpte weiter. Dr. Romero wiederholte seine Forderung. Yachi stoppte irgendwann. Langsam zog sie ihren Arm zurück, voller Blut. Ihre Lippen bebten, sie war den Tränen nahe. Dr. Romero sah auf die Uhr.

„Zeitpunkt des Todes – 10:42“ In Sakusas Ohren pochte es laut. In diesem Moment spürte er alles und gar nichts. Es war, als bräche die Decke über ihm herein und würde ihn unter sich begraben. Sein Hals zog sich zu, sein Herz verengte sich. Er spürte die Hand nicht, die er sich auf die Brust legte. Der Herzschlag wechselte zwischen Rasen und beinahem Aussetzen. Sakusa vergaß das Atmen. So lange, bis er in Dr. Romeros Augen sah, da durchfuhr es ihn wie ein Blitzeinschlag.
 

„NEIN!!!“, rief er, schlug gegen das Glas, wiederholt. So lange bis er sich die Handballen aufgeschlagen hatte und Dr. Romero Yachi hochgeschickt hat, ihn zu beruhigen. Aber das nutzte nichts. Er riss sich aus der liebgemeinten Geste heraus. Das Herz startete ein neues Rennen, genauso wie Sakusa. Er lief aus der Galerie, stolperte beinahe die Treppen hinunter und hastete in den Operationssaal, wo Dr. Romero gerade am Schließen war. Die Widerworte, dass er nicht hier zu sein hatte, hörte Sakusa nicht. Das Rauschen in seinen Ohren war zu laut. Er eilte zu Atsumu und legte ihm die Hände an die Wangen. „Atsumu!! Bitte sieh mich an. Bitte wach auf“, japste er und tätschelte die immer kühler werdende Haut. Seine Finger zitterten, sein ganzer Körper bebte. Atsumu sah ihn nicht an. Er wachte nicht auf.

Dr. Romero hielt inne. Konoha stand auf. Er legte Sakusa eine Hand auf die Schulter, die aber sofort weggeschlagen wurde noch ehe etwas gesagt werden konnte. Weggeschlagen wurde auch das Tablett auf dem das chirurgische Besteck lag. Es schellte unter lautem Klirren zu Boden. Kurz darauf wurde auch der Tisch umgerissen, auf dem das Tablett gelegen hat. Die Kabel und Schläuche , die an Atsumus leblosen Körper hingen, wurden mit unerwarteten Sänfte entfernt, mit der Sakusa vorsichtig und beruhigend versprach, dass alles gut werden würde. Dr. Romero machte einen Schritt zurück und trug Misaki auf, Suna zu suchen. Währenddessen forderte Sakusa immer wieder von Atsumu aufzuwachen. Er wurde immer lauter, energischer und wütender. „Du tust mir das nicht an! Ich vergeb‘ dir das nicht“, schrie er ihn an und rüttelte ihn sogar und schließlich fanden sich Dr. Romeros Finger mit festem Druck auf seinem Handgelenk. Sakusa zuckte auf und starrte panisch auf die Armbanduhr des Chirurgen. „10:42“, flüsterte er und griff mit der zweiten Hand rasch an das Rädchen der silbernen Uhr, den Minutenzeiger zu drehen. So lange zurück zu drehen, bis wieder der Morgen bekundet wurde, dann riss er sich aus dem Griff und lief ans andere Ende des Saals. Er hob sich an einem Hocker hoch um die Wanduhr herunter zu nehmen. Nervös drehte er auch hier am Rad und stellte den Minutenzeiger zurück. Als nächstes zückte er sein Smartphone und stellte dort die Uhrzeit manuell um, ebenso auf seinem Pager. Die Uhr wurde wieder aufgehängt. „Ich bin gleich wieder da“, sagte er im Vorbeilaufen zu den sterblichen Überresten Atsumus und verließ fluchtartig den Operationssaal.
 

Sakusa lief auch in den Saal, in dem Dr. Udai Osamu gerade verschloss und drehte dort ebenfalls die Uhren zurück, die er zu greifen bekam. Das tat er genauso darauf im Gang, wo immer ihm eine auffiel. Er nahm Kolleginnen und Kollegen ihre Smartphones, Pager, Tabletts und Armbanduhren ab um sie zurück zu stellen. Weit zurück zu einer Zeit, wo Atsumu nicht tot war und ihm noch frech ins Gesicht lachte.

Sakusa tat es mit jeder Uhr, die er auch vor dem Krankenhaus fand. Passanten wurden überrumpelt. Den Kollegen bei der Rettung stellte er das Autoradio um und auf dem Weg zu seiner Wohnung nutzte er jede Gelegenheit, jede Uhr, jeden Funken Hoffnung und versuchte, die Zeit zurückzudrehen.
 

Aber er konnte nicht.
 

Sakusa konnte die Zeit nicht zurück drehen, auch nach Stunden nicht, in denen er durch die Stadt gelaufen war und in Cafés, Bars, Wäschereien, dem Bahnhof und wo er noch ran kam, die Uhren umstellte.
 

Erst als es dunkel wurde kam er wieder am Krankenhaus an. Es war, als wäre es früher morgen und die Operation stünde erst an. Er würde Suna zwingen können, sich mit Osamu auszusöhnen und er würde Atsumu retten können.

Als er aber Kenma aus dem Bus steigen sah, erschlug ihn seine eigene herbeigesehnte Lüge wie ein Baseballschläger.
 

„Dr. Kozume“, sagte er schwach.


 

-
 

„Es tut mir leid, dass Ihr… Freund gestorben ist“, sagte Kenma unsicher. Mit diesen Situationen, Angehörige über den Tod zu informieren, war er noch nicht besonders vertraut. Dafür gab es keinen Crash-Kurs. Auch nicht für das, was darauf geschah. Sakusa ging vor ihm zu Boden. „Er war nicht einfach nur mein Freund…“, sagte er und fasste in seine Hosentasche, eine kleine schwarze Schatulle herauszuholen. „Ich wollte ihn nach der OP fragen, ob er…“ Er stockte. Kenma presste die Lippen zusammen und ging langsam in die Hocke. Er legte seine Hand auf die kleine Box und schob sie mit Sakusas Hand zu diesem zurück. „Bitte stehen Sie auf, Dr. Sakusa. Die Leute schauen schon“, sagte er und neigte den Kopf zur Seite. Auch Sakusa wandte sich um. Mit Schrecken stellte er fest, dass er auf dem Boden saß und schmutzig wurde. Schnell riss er sich hoch. Auch Kenma erhob sich wieder und beobachtete, wie Sakusa panisch all den Schmutz abklopfte. Dabei fiel die Schatulle herunter, wurde aber nicht länger von Sakusa beachtet, erst als Kenma sie hoch hob und ihm wieder reichen wollte.
 

„Nein, ich kann das nicht behalten“, sagte er und schob die Hand wieder zurück zu Kenma. „Und ich kann ihn noch viel weniger behalten! Dr. Sakusa!“ empörte sich Kenma und starrte auf die Ringschachtel. Auch wenn das nicht das war, wonach es für Passanten aussah und Kenma keinerlei romantische Gefühle für den Oberarzt empfand, machte ihn die Situation nervös und ließ sein Herz schneller schlagen. Man hatte auch eben nicht täglich mit einem Verlobungsring zu tun. „Bitte…“, sagte Sakusa wiederholt und ließ Kenma mit dem Ring stehen. Dieser folgte ihm aber rasch und redete weiter auf ihn ein.
 

Ungläubig der ganzen Situation wegen stand Kenma kurz darauf vor seinem Spind und starrte auf Schatulle mit dem Ring, den er natürlich bis jetzt nicht gesehen hat und es auch nicht anders plante. Sakusa war nicht mit ins Krankenhaus gegangen und Kenma hat sich vorgenommen, bei der nächsten gemeinsamen Schicht die Sache klarzustellen, denn er verstand, dass Sakusa unter Schock stand.
 

Unter Schock stand der Oberarzt auch nach Kenmas ruhigen Nachtschicht noch. Stumm stand er vor dem Haikyuu Medical Hospital und starrte auf die Uhr. Irgendwann wurde es auch durch die umgestellte Zeit wieder 10:42 und Sakusa senkte die Hand mit dem Smartphone.

„Atsumu ist tot“, sagte er und Kenma nickte.
 

„Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte er und hoffte auf eine Ablehnung. Sakusa neigte den Kopf und die beiden Augenpaare trafen sich. Kenma ahnte, dass er nichts anderes getan hat, als seiner Trauer freien Lauf zu lassen. Seine Augen waren rot, verquollen, glasig und er konnte die salzigen Spuren der Tränen auch noch auf Sakusas Wangen erkennen.

Ich will ihn sehen, aber ich kann das nicht alleine“, sagte er. „Ich kann Dr. Suna anpagen“, schlug Kenma vor. Das war unvorsichtig. „Nein!“, wurde die Hoffnung abgeschmettert. Kenma seufzte. „Okay, ich gehe mit Ihnen“, sagte er und drehte wieder um.
 

Auf dem Weg zur Pathologie wechselten sie kein Wort. Auch Dr. Matsukawa nahm sie stumm in Empfang, zeigte ihnen nur, wo Atsumus Leichnam lag. Am Aufbereitungstisch. Dr. Romero hatte ganze Arbeit mit der Verschließung geleistet und Dr. Matsukawa hatte wohl auch seinen Teil dazu beigetragen, dass dieser geliebte Mensch nun so da lag, als würde er friedlich schlafen. Jetzt sah er auch wirklich so aus, nur wusste Sakusa es besser. Schmerzlich.

Mit zögernden Schritten trat er näher an den Tisch heran. Zitternd hob sich sein Arm und er legte seine Hand auf Atsumus. Ruckartig packte er zu und ließ eine neue Welle Trauer über sich hereinbrechen. Sakusa lehnte sich hinunter. Er bebte unter den Tränen. „Ich kann dir das nicht vergeben“, schluchzte er tief zerbrochen und legte sich neben den toten Körper. Er nahm ihn in den Arm und versuchte ihn zu wärmen.
 

Dr. Matsukawa tippte Kenma an und deutete ihm, mit ihm zurück zu gehen. Für Kenma war das auch die gewünschte Möglich, Abstand zu nehmen.
 

„Die Toten nehmen immer was von uns mit und es ist oft unsere Contenance“, sagte Dr. Matsukawa im Vorraum des kalten Leichensaals. Kenma verstand nicht recht, hatte aber auch kein Interesse an einer Erklärung.

„Ich muss dann auch gehen“, sagte er und duckte sich unter dem prüfenden Blick hinweg. Dr. Matsukawa verfolgte ihn noch mit den Augen, bis er den Gang zurück zum Lift betreten hat, das spürte Kenma genau und dann beeilte er sich, nach Hause zu kommen.
 

Aus diesem Moment hat er weit mehr mitgenommen, als er jemals gedacht hätte und schritt er nach dem in der WG direkt an die Tür seines Mitbewohners. Er klopfte schwach.
 

„Terushima? Ich hab heute was gelernt“, sagte er und lehnte sich an das Holz. „Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, also… das weiß ich schon immer, aber mir ist klar geworden, dass wir Dinge nicht ungeschehen machen können und dass wir nicht einfach alles vergessen sollten und dass wir auch daraus lernen müssen, also… Mir bedeutet unsere Freundschaft etwas und auch wenn ich die Zeit genauso wenig vor drehen kann an einen Punkt, wo ich nicht immer daran denken muss, was du gemacht hast, will ich, dass du das weißt…“

Five Stages of Grief

Wenn jemand stirbt, sprechen wir unser Beileid aus. Wir kondolieren der Familie des Patienten. Wir sagen „Mein aufrichtiges Beileid“. Es ist eine Standardphrase. Völlig inhaltsleer. Es würdigt nicht mal annähernd, was die anderen durchmachen. Wir drücken Mitgefühl aus, ohne selbst den Schmerz empfinden zu müssen. Es schützt uns davor, diesen Schmerz zu spüren. Diesen dunklen, sich niedersenkenden, unnachgiebigen Schmerz, der einen am lebendigen Leib auffrisst.
 

Wir sagen „herzliches Beileid“. Und hoffen, dass es Trost gibt. Ein bisschen Unterstützung. Ein bisschen Frieden. Eine kleine Hilfe, abzuschließen. Etwas Positives. Ein kleines Stück Schönheit mitten in der Dunkelheit. Ein unerwartetes Geschenk. Dann, wenn man es am meisten braucht.
 

***
 

Man hat Dr. Sakusa Beileid ausgesprochen Es tat leid, dass Atsumu bei der Operation gestorben ist. Für Kenma war es fraglich, ob diese Worte halfen oder in irgendeiner Weise ein Geschenk waren. Schönheit, Hoffnung… Das wirkte falsch und heuchlerisch. Aber er schirmte sich damit ab. Es war, als hätte er seine Pflicht getan und er schützte sich damit, das Leid eines anderen, eines Fremden gar, zu nahe an sich herankommen zu lassen. Es schützte ihn davor, sich nicht selbst zu viele Gedanken zu machen, über den Verlust einer geliebten Person. Auch wenn Kenma der Meinung war, dass er so einen Menschen, den er so sehr liebte, wie Dr. Sakusa Atsumu geliebt hat, gar nicht hatte.

Er wusste, es würde ihm das Herz zerreißen, würde er Kuroo verlieren und ein kleiner Teil in ihm würde wohl in ewiger Dunkelheit versinken, wüsste er, Iizunas helles Lächeln würde niemals wieder strahlen. Seine Eltern eines Tages beerdigen zu müssen, war unausweichlich. Der Gedanke daran war kein schöner. Aber er vertiefte sich nicht weiter in derlei Überlegungen, immerhin würde er es nicht verhindern können. Dem würde er nur entkommen können, wenn er-
 

„Kenma?! Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte Kuroo. Kenma hat sich nach seiner Nachtschicht und dem Besuch in der Pathologie noch etwas zu essen genommen als Kuroo mit seinem Toast schon fast auf dem Weg nach draußen war.
 

„Natürlich… du hast dich gewundert, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Zwillinge dieselbe Autoimmunkrankheit haben können, aber diese so unterschiedlich im Ausbruch sein kann“, wiederholte Kenma und sah in Kuroos weiterhin entsetzte Augen. Der Ältere hat am vergangenen Tag bei Dr. Udai assistiert und war schockiert über den Zustand, den Osamus Leber hatte. Genauso wie Dr. Udai und die anderen Ärzte und auch Assistenten. Die zwei Wochen alten Scans waren einwandfrei und Osamu hatte keine Anzeichen einer Änderung gezeigt, wie also konnte es soweit kommen, dass die Leber akut so entzunden war, dass sie kollabierte?
 

„Das und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Yakkun und Yamagata einen Unfall haben. Zum Glück ist ihnen nichts passiert außer ein paar Schrammen und einer Platzwunde“ Kuroo fuhr sich mit den Fingern angespannt durchs Haar. Kenma hob den Kopf. „Die Wahrscheinlichkeit ist wohl gering, aber nicht null“, sagte er trocken. Kuroo schnaubte. „Manchmal regt mich deine Gleichgültigkeit richtig auf“, sagte er harsch. Kenma blinzelte. Er neigte den Kopf leicht zur Seite aber hielt den Blickkontakt aufrecht, auch wenn er das nicht gerne mochte. „Ich bin nicht gleichgültig, Kuro. Als ich gestern Nacht meine Schicht angefangen hab, hat mir Dr. Sakusa alles erzählt und weißt du, wie niedergeschmettert er war? Ich konnte ihm nach der Schicht nicht einmal abschlagen, mit in die Leichenhalle zu gehen. Das war so unangenehm anzusehen“, sagte er und Kuroo schnaubte wiederholt. „Unangenehm anzusehen? Hast du dir mal vorgestellt, wie schrecklich es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt? Ich mein… oder stell dir vor, mir passiert sowas, wärst du nicht traurig und am Boden zerstört?“, fragte er. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er die Antwort eigentlich gar nicht wissen wollte.
 

„Das ist nicht vergleichbar“, konterte Kenma. „Natürlich nicht. Das hast du sehr deutlich gemacht“, sagte Kuroo lauter. Die Tür schlug mit einem lauten Knall zu und Kenma blieb alleine am Frühstückstisch zurück. Er hat es ihm deutlich gemacht. Damals. Vor Jahren schon.

Aber jetzt war es nicht an der Zeit, darüber nachzudenken. Er musste ins Bett, schnell, bevor Terushima aufstand und ihn direkt auf seine Worte ansprach. Denn dafür hatte er auch gar keine Energie mehr und die brauchte er. Am Abend stand eine Doppelschicht an, die ihn bis zum Nachmittag des nächsten Tages im Krankenhaus behalten würde.
 

-
 

Das Erste, das er zu Beginn der Schicht sah, war nicht etwa Tsukishima, mit dem er diese teilte, sondern Dr. Suna, der unruhig und nervös vor der Intensivstation auf und ab ging. So wie Dr. Sakusa ihm erzählt hatte, hegte der Herzspezialist eine Beziehung zu dem überlebenden Zwilling. Eine komplizierte wohl.

Osamu war seit der Operation noch nicht aufgewacht, aber das war unter den Umständen etwas ganz Normales. Er war einer enormen Belastung ausgesetzt. Transplantationen waren schwere Eingriffe in den Körper. Da bedurfte es nicht nur der Heilung der Nähte und der Anpassung des Gewebes. Bei einer Transplantation musste ein neues Organ vom Körper angenommen werden. Verheerend, es würde abgestoßen.
 

Das nächste Mal, dass er Dr. Suna wieder sah, war als er nach einer ereignislosen Nacht mit Tsukishima ihren letzten Stopp wieder auf der Intensivstation machte. Danach würde er sich planmäßig bei Dr. Komori für die morgendliche Visite melden und Tsukishima würde zu Dr. Iwaizumi gehen.

Tsukishima. Kenma konnte den großen Assistenzarzt mit der Brille schwer einschätzen. Zwar mochte er an ihm, dass er keinen unnötigen Smalltalk führte und gewissenhaft arbeitete, aber der verurteilende Blick, den er stets aufgesetzt hatte, mochte ihm nicht gefallen. Er fragte sich, wie jemand wie Yamaguchi so gut mit ihm befreundet sein konnte, dachte dabei aber auch an sich und Kuroo, die eigentlich nicht unterschiedlicher hätten können. Nun ja, ganz so wie Kuroo und er waren die beiden wohl nicht. Aber das war eine andere Geschichte über die Kenma schon lange nicht nachgedacht hatte und er wollte an diesem Tag nicht wieder damit anfangen.
 

Als die beiden die Station betraten, war es still wie immer. Man hörte die metronomartigen Geräusche der Vitalmessgeräte. Die Patienten schliefen und da war es meist egal, ob es Nacht war oder Tag. Dr. Suna saß auf einem Stuhl neben Osamus Bett und war halb über ihn gebeugt. Sein langsamer Atem verriet, dass er schlief. Kenma tat der Anblick leid, auch wenn er für Dr. Suna nicht viel Mitgefühl aufbringen konnte. Aber der Anblick erinnerte ihn an seinen Mentor, der sich verkrampft an Atsumus Leichnam geklammert hatte und die Realität verdrängen wollte.

Rasch wandte er sich zu Tsukishima und bat ihn, die letzten Übertragungen ohne ihn zu machen und verließ die Intensivstation. Es wühlte ihn unangenehm auf.
 

Am Stützpunkt der Chirurgie traf er bereits Akaashi vor der großen Tafel, auf der die Operationen und Eingriffe für den Tag gelistet waren.
 

Operationssaal | Uhrzeit | Dauer | Patient | Eingriff | Chirurg | Assistenz | Anästhesist
 

„Dr. Sakusas Aneurysma wird ja von Dr. Nekomata gemacht“, erkannte Kenma überrascht. Akaashi neigte den Kopf mit seichter Verwunderung zu ihm um. „Dr. Sakusa hat sich auf ungewisse Zeit freistellen lassen, kein Wunder“, seufzte er und da schlug es auch bei Kenma ein.

Dr. Sakusa war nicht der unmenschliche perfekte Mentor, für den er ihn gehalten hat. Er war ein Mensch wie jeder andere. Es sollte ihn nicht überraschen und dennoch war er wie vor den Kopf gestoßen.

„Wie lange, denkst du, ist er weg?“, fragte er. „Schwer zu sagen, Kozume. Jeder trauert anders. Konoha und ich sind zwar noch nicht so weit, aber ich glaube, ich würde mich Wochen lang unter einer Decke verkriechen“ Die Antwort war unzufriedenstellend. Kenma schnaubte. Nicht abwertend. Er war enttäuscht von der Gesamtsituation und konnte sie selbst nicht so recht begreifen.

„Ich weiß nicht, wie es ist“, sagte er. Er vermutete im Stillen, dass er mit so viel Trauer nicht zurechtkommen und sie in Arbeit ertränken würde. Ablenkung war in seinen Augen die beste Entscheidung. Naheliegend wäre auch, dass er in einem seiner Videospielen versinken würde.
 

„Das mag nun gut oder schlecht sein. Ich weiß auch gar nicht, ob ich es dir wünschen soll. Nur eines weiß ich. Liebe kann richtig schön sein“, sagte Akaashi mit dem Hauch eines Lächelns. „Und kompliziert und schwer und traurig und einem geht es immer schlecht“, erwiderte Kenma darauf. „Das ist keine besonders schöne Einstellung“, bemerkte Akaashi, aber die beiden ließen das Thema so vor sich stehen. Akaashi würde Kenma nicht von der Liebe überzeugen wollen und Kenma wollte nicht näher darauf eingehen. Und es funktionierte. Sein Kollege verstand ihn.
 

Kenma warf noch einmal einen Blick auf die Tafel. Es war ihm ein Dorn im Auge, dass Dr. Nekomata nun den Eingriff machte, den er mit Dr. Sakusa gemacht hätte. Aber noch mehr ärgerte ihn, dass der Chefarzt der Neurochirurgie seinen eigenen Lieblingsassistenzarzt aufgestellt hatte. Somit fiel nicht nur der Mentor für Kenma weg, sondern die gesamte Erfahrung. Verdammter Shirabu! Der war ihm schon länger ein Dorn im Auge
 

„Irgendwie ist es hier richtig kalt, hat jemand bei der Klimaanlage herumgespielt?“, fragte Yamaguchi plötzlich hinter ihnen und machte eine Bewegung als würde ihm frösteln. Weder Kenma noch Akaashi reagierten darauf. Da kam also die kurzweilige Kälte her.

„Dann… wollen wir zur Visite? Dr. Iwaizumi ist sehr pünktlich, wenn wir nicht rechtzeitig da sind, müssen wir in die Tagesklinik und die komischen Sachen machen“, wollte er den beiden Beine machen. Kenma wunderte sich für einen Moment darüber, dass sie zu einem anderen Stationsarzt mussten. Hatte er etwas versäumt?
 

„Wusstet ihr, dass Dr. Komori und Dr. Sakusa verwandt sind? Er ist bei ihm… Schrecklich. Einfach schrecklich. Könnt ihr euch das vorstellen, wie schlimm, das sein muss?“, klärte Yamaguchi einerseits die Umstände auf und stellte andererseits eine Frage, die Kenma umgehend mit einem knappen aber bestimmten „Nein“ beantwortete. Wieder herrschte Stille und vermehrt Kälte zwischen ihnen. Ein Zustand, den Terushima umgehend geändert hätte, stünde bei ihm heute nicht der Wechsel in die Nachtschicht an. Kenma erinnerte sich, wie sich sein Mitbewohner darüber beschwer hat, weil er diese Schicht nicht mochte. Sie war langweilig und das einzig Spannende waren Aufeinandertreffen mit Dr. Tendou und die fand er sogar oft etwas gruselig.
 

Punkt acht Uhr standen sie gemeinsam mit Shirabu und Tsukishima vor dem ersten Krankenzimmer. Yachi hatte den selben Schichtwechsel wie Terushima und würde die Runde nicht begleiten. Vermutlich saß sie mit ihren Frühstück bei Kawanishi und erzählte ihm die neuesten Erkenntnisse. Wer auch immer heute mit ihr wechselte, würde ihm wohl auch erzählen, dass Kageyama zu spät gekommen war und in die Tagesklinik verbannt wurde.

„Was für ein Pech aber auch“, sagte Tsukishima mit einem selbstgefälligen Grinsen als der Kollege weggeschickt wurde. Die Runde startete bei einer Patientin, die bereits seit über zwei Monaten im Haikyuu Medical Hospital war und die von der Motorradfahrerin zur Rollstuhlfahrerin geworden ist.
 

„Wie fühlen Sie sich heute, Kaede?“, fragte Dr. Iwaizumi. Die Patientin schnaubte. „Hervorragend“ Kenma stockte bei dem gewaltigen Sarkasmus in der Stimme der Atem. So sprach niemand mit Dr. Iwaizumi, nur Dr. Oikawa. Nun gut, er konnte das eigentlich nicht gut beurteilen, aber so wie auch Kuroo bereits von ihm erzählt hat und seine anderen Kollegen bestätigt hatten, war Dr. Iwaizumi kein Arzt, mit dem man blöde Scherze machte, man kam ihm nicht zynisch oder war sarkastisch. Man war höflich, korrekt und folgsam. Und das war, wie Kenma fand, eine wichtige Qualität für einen Lehrer. Dr. Komori fand er dabei nicht immer so ansprechend. Der war gerne einmal für einen Scherz zu haben und wirkte in manchen Belangen selbst wie ein Assistenzarzt, weil er neugierig war. Undenkbar, dass er und Dr. Sakusa verwandt sein sollten. Aber Dr. Komori war immer bei der Sache und konnte streng sein, wenn es verlangt war.
 

„Na, na, Sie werden doch nicht frech werden?“, fragte Dr. Iwaizumi und besah die junge Frau mit einem Blick, den ihm Kenma nicht zugetraut hätte. Er war sanft, etwas herausfordernd und bediente sich eines schelmischen Lächelns. Kaede verschränkte die Arme vor der Brust. Im Ansatz zog sie eine Schnute und schnaubte fest durch die Nase, wie ein angespanntes Pferd. Auch ihre Körperhaltung zeugte von Anspannung.

„Wie klappt es mit dem Rollstuhl?“, fragte Dr. Iwaizumi weiter. Kenma wies er dabei an, ihren Katheter zu kontrollieren.

„Schleppend… Wann werde ich das Ding da eigentlich los? Das stört und ist unappetitlich“, antwortete Kaede und sprach sich gegen den Katheter aus. „Der kommt weg, sobald Sie mit dem Rollstuhl selbstständig umgehen können. Sie werden das alles meistern, da bin ich mir sicher“ Iwaizumi versuchte es mit ruhiger Stimme und einem Lächeln. Für einen Augenblick legte ihr die Hand auf den Oberarm. Das hat auch Kenma bereits gelernt, dass kleine Gesten des Körperkontaktes unterstützen sollten. Er mied es allerdings, wenn es nicht unbedingt notwendig war.
 

„Ja. Schon klar“, kam es seufzend von Kaede. Sie rang sich auch zu einem Lächeln durch. „Na sehen Sie? So kenn ich Sie. Das gefällt mir gleich besser“, sagte Dr. Iwaizumi und mit dem Klang seiner Stimme drang auch Leben in Kaedes Gesicht und Lächeln. „Bis später“, verabschiedete er sich und scheuchte die fünf Assistenzärzte aus dem Zimmer.
 

Einfacher sollte es für den nächsten Patienten sein, der auf ihrer Liste stand. Nicht aber für Kenma, denn er grämte sich, als Shirabu den Fall mit seiner unangenehmen Selbstsicherheit vorstellte.

„Aoi Himekawa, 21 Jahre alt, Sakkuläres Aneurysma“, begann er und erklärte, wie er und Dr. Nekomata die Läsion, die sich an der großen Hirnarterie angesetzt hatte, entfernen würden. Es wäre eine offene Operation. An Kenmas Schläfe zuckte eine Ader, weil dieser Eingriff eigentlich der von ihm und Dr. Sakusa gewesen wäre. “Es heißt ja sogar fast wie er. Verstehst du? Sakusa und Sakkulär?“, hörte er Terushima in seinem Kopf sagen, obwohl der gar nicht da war. Irgendwie vermisste er den aufgedrehten Arzt sogar.
 

„Wer kann mir sagen, wo die Mehrheit dieser Aneurysmen auftauchen?“, fragte Dr. Iwaizumi in die Runde. Shirabus Hand schnellte hoch. Auch Akaashi symbolisierte, dass er es wusste. Ebenso wie Yamaguchi, wenngleich dieser es schüchtern machte. Tsukishima zeigte es mit einem selbstgefälligen Blick und Kenma weigerte sich.

„Dr. Kozume“, wurde er aufgrund seines Trotzes gewählt. „Im Karotis-Kreislauf. Man kann sagen 90% sakkulärer Aneurysmen befinden sind im vorderen Teil des Hirnkreislaufes“, erklärte er korrekt und erhielt ein anerkennendes Nicken.
 

Die folgenden Patienten waren nicht weiter aufregend. Da waren verkalkte Beinarterien dabei, die ausgeputzt werden mussten, ein Stent, der am Nachmittag ausgetauscht würde und ein paar Gallensteine. Die gehörten sogar Yamaguchi, der Dr. Sawamura assistieren durfte.

„Da kann ich nicht viel kaputt machen“, hat er verlegen zu Kenma gesagt und sich kurz darauf ermahnt, weil man so etwas nicht sagte.
 

Die jungen Ärzte wurden nach der Visite auf unterschiedliche Stationen weitergeschickt. Kenma folgte Dr. Iwaizumi. „Ich möchte, dass Sie Dr. Ukai in der Notaufnahme unterstützen. Nishinoya und Tanaka sind auch dort. Versuchen Sie, nicht im Weg zu stehen und lernen Sie von den beiden. Sie mögen chaotisch wirken, aber-“, sagte er zu ihm und stockte bevor er vor Kaedes Zimmer langsamer wurde. Auch Kenma wurde langsamer, weil er das aber abwartete. Unsicher sah er den Stationsarzt an. „Aber?“, fragte er. Dr. Iwaizumi schien wie aus der Konzentration gerissen. „Aber was?“ – „Dr. Nishinoya und Dr. Tanaka sind chaotisch, aber…?“, half Kenma nach und Dr. Iwaizumi war sofort wieder dabei. „Aber sie haben ein Händchen dafür.“
 

„Und weißt du, wofür ich ein Händchen habe?“ Schwester Kaori kam gerade aus dem Zimmer vis-a-vis. Sie zupfte sich die Handschuhe herunter und warf sie in den dafür vorgesehenen Mülleimer. Kenma hatte sie gekonnt ignoriert, der hätte auch am liebsten die Flucht ergriffen, bei dem Blick, denn die Schwester dem Arzt zuwarf. Als er das letzte Mal auf die beiden getroffen war, ja nicht einmal direkt, da ging das Ganze nicht besonders gut für ihn aus. Oder doch? Oder nein! Er wollte sich darüber nicht zu viele Gedanken machen. „Oh… ja, das weiß ich sehr gut.“ Dr. Iwaizumi räusperte sich. Für einen Moment herrschte Stimme, dann seufzte Kaori.
 

„Bemitleidest du sie wieder?“, fragte sie, weil ihr ganz bewusst war, vor wessen Zimmer sie standen. „Nein. Ich bewundere sie, für ihre Stärke“, sagte Dr. Iwaizumi und Kaori schnaubte. Sie nahm Dr. Iwaizumis Hand und zog ihn von dem Zimmer weg Richtung Mitteltrackt, wo die beiden wieder langsamer wurden und weitersprachen. Kenma empfand, dass es höchste Zeit wurde, sich zu verziehen, aber er wollte nun auch nicht direkt an ihnen vorbeigehen.

Fast wie verloren, stand er da, vor Kaedes Zimmer.
 

„Dr. Kozume?“, rief die Patientin plötzlich heraus. Kenma zuckte zusammen, bewegte sich aber mit einem Schritt in ihr Zimmer. Fragend sah er sie an. „Ja?“
 

„Bringen Sie mich heute zur Physio?“, fragte Kaede, aber Kenma schüttelte den Kopf. Das hätte ihm ja gerade noch gefehlt.

„Nein, Dr. Iwaizumi hat gesagt, ich soll-“ – „Wenn Sie Dr. Iwaizumi sagen, dass Sie sich um mich gekümmert haben, drückt er sicher ein Auge zu. Sonst rede ich mal mit ihm“, sagte Kaede. „Ich möchte vor den blöden Übungen lieber noch ein nettes Gespräch führen und das kann ich mit Schwester Suzumeda nicht“, versuchte die Kenma nun auf diese Weise weich zu bekommen.
 

„Ich führe keine netten Gespräche“, sagte Kenma, schüttelte aber darauf den Kopf. „Also ich führe lieber gar keine Gespräche, das meine ich“, besserte er sich aus. Kaede schmunzelte. „Ich glaube, wir werden uns bis dahin gut unterhalten“, sagte sie und winkte ihn zu sich. „Bitte… Sie müssen mir doch sagen, wie der Kuss mit Teru war“ Und damit hat Kaede nun fast für einen Totalausfall bei Kenma gesorgt. Sein Puls stieg an, die Nackenhaare stellten sich auf und ein unangenehmer Schauer lief ihm den Rücken hinunter.

„Wo…woher“ – „Woher ich das weiß? Teru natürlich, er erzählt mir alles, was hier so passiert und ich will schon meinen, das ist echt eine Menge. Können Sie sich was Ernsteres mit ihm vorstellen? Er hat echt schon zu viele Bekanntschaften, wenn Sie verstehen, was ich meine“

Kenma stöhnte genervt auf. „Ich kann mir mit Terushima sicher gar nichts vorstellen“ – „Außer mit ihm zusammenzuwohnen, nicht wahr? Das sind doch die besten Voraussetzungen, nicht wahr?“ Kaede ließ einfach nicht locker. „Ich bin nicht für sowas“, sagte Kenma und schüttelte behände den Kopf. Kaede lächelte sanft. „Ich weiß. Teru hat von Ihnen und dem Mann mit dem schönen Lächeln erzählt. Vermutlich wäre es schöner gewesen, wenn er Ihren ersten Kuss bekommen hätte“, sagte sie und seufzte verliebt. Da wurde es Kenma zu bunt. „Das geht Sie nichts an. Was nehmen Sie sich da heraus?“, kam es harscher als geplant. Kaede zuckte zusammen. „Es tut mir leid… Ich war zu aufdringlich. Ich dachte nur, nun ja, Teru erzählt immer so nett von Ihnen, es fühlt sich fast so an, als würden wir uns auch schon gut kennen. Und der Krankenhaustratsch ist das Einzige, das mir hier ein bisschen Abwechslung bringt, aber außer den Geschichten von Teru und dem, was mir Dr. Iwaizumi erzählt, erfahre ich sonst nichts“ Kaede seufzte. Dass sie mit Dr. Iwaizumi aber über ganz andere Dinge als den Tratsch im Krankenhaus sprach, erwähnte sie dabei nicht. Musste sie auch nicht, denn Kenma hielt den Stationsarzt nicht für jemanden, der da tat. Anders wie Terushima eben.
 

„Schon gut. Tut mir leid, dass ich laut geworden bin“, entschuldigte sich nun Kenma. In Kaedes Augen funkelte etwas auf. „Ich verzeihe Ihnen, wenn Sie mit zur Physiostation bringen“
 

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Und Kenma brachte sie zur Physiostation. Kaede saß im Rollstuhl und Kenma schob an. Sie sollte ihre Kräfte für Übungen schonen, da würden ihre Arme schon genug gefordert werden.
 

„Spürt man sein Zungenpiercing eigentlich?“, fragte Kaede schon als sie auf den fast leeren Gang kamen. Von Dr. Iwaizumi und Kaori war nichts mehr zu sehen. Kenma würde die beiden aber auch nicht suchen wollen. Und natürlich. Kaede wollte ja reden… plaudern. Tratschen viel mehr. Kenma seufzte.

„Ja“, antwortete er knapp. Kurz herrschte Stille und er hoffe, dass das alles war. War es natürlich nicht. „Ist es gut?“. Kenma konnte schwer antworten. Er wusste es nicht. „War der Kuss gut? Teru prahlt immer, dass er so ein guter Küsser ist. Aber ich will das selbst nicht testen und irgendwie trau ich mich die anderen Ärzte nicht fragen. Dr. Shirabu schaut immer so grimmig und Dr. Futakuchi hab ich erst einmal gesehen. Der macht auch nicht den freundlichsten Eindruck“ Das war wohl eine Sache, an der Kenma arbeiten musste, wenn er nicht noch einmal in so eine Situation geraden wollte. Grimmig schauen. Schade nur, dass er das laut Kuroo nicht konnte.
 

„Er war… gut“, gestand er. Komisch. Irgendetwas an Kaede brachte ihn dazu, dieses Gespräch zuzulassen. „Uuuuh“, machte sie und drehte sich im Rollstuhl um. Ihre warmen grünen Augen funkelten zu Kenma hoch und der wusste sogar ohne viel Sozialkompetenz, dass sie mehr wissen wollte. Das durfte sie ihm aber gerne aus der Nase ziehen. Plante sie auch.

„Warum sagen Sie das so komisch? Es ist doch nicht schlecht, einen Kuss gut zu finden oder?“, fragte sie und Kenma seufzte. „Ich sollte ihn nicht gut finden“ – „Warum? Wollen Sie mehr?“ Kaede sah hoch in Kenmas Gesicht, das sich verzog, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Warum fragte diese Frau all die Fragen, die er seit Stunden verdrängte und in seinem Kopf vehement schreiend mit “Nein!“ beantwortete oder unbeantwortet beiseiteschob, weil er das Gefühl nicht mochte? Sein Schweigen schien Antwort genug zu sein. Kaede drehte sich wieder nach vorne. „Hmm… ich glaube, Sie wollen auf jeden Fall mehr solcher Küsse, aber vermutlich ist Teru die falsche Person. Schade eigentlich. Er redet viel von Ihnen und strahlt dabei. Er hat sie richtig gerne aber-“ – „Aber Yamaguchi hat ihn gern, okay?“

Kenma krallte seine Finger um die Griffe des Rollstuhles. Seine Schritte wurden lauter, aber nicht unbedingt schneller. Ein bisschen vielleicht. Kaum merklich. „Das ist Dr. Freckles-chan, oder? Teru mag ihn auch gerne. Aber irgendwas hindert ihn, dass er das anspricht“, seufzte Kaede. Da fühlte sich Kenma gleich noch schlechter. Aber diesmal nicht wegen Yamaguchi, sondern weil er sich nun wie einer von Vielen fühlte, der seinem ersten Kuss nachtrauerte und sich dagegen wehrte, einen weiteren haben zu wollen.
 

„Ich glaube, er hat Angst vor etwas Ernstem… Sie kennen ihn doch, er kann nicht ernst sein“, sagte Kenma und da drehte sich Kaede wieder rasch um. „Genau das denke ich mir auch, Dr. Kozume! Wir müssen die beiden verkuppeln! Bitte…“ Sie sah ihn mit plötzlich ganz großen Augen, denen man schwer einen Wunsch abschlagen konnte. Schwer. Aber nicht unbezwingbar. „Nein!“, empörte sich Kenma. „Eifersüchtig?“, fragte Kaede mit einem schelmischen Schmunzeln. „Sicher nicht, aber ich misch mich in sowas nicht ein“, antwortete er. Kaede legte ein zufriedenes Grinsen auf und drehte sich um. Sie hatte wohl schon ein richtig pikantes Liebesdreieck im Kopf, das Kenma durch und durch widersträubte.

„Gut, dann muss ich das alleine machen. Zum Glück sind Sie nicht eifersüchtig, sonst hätte ich es nicht gemacht. Ich mag Sie irgendwie. Sie sind direkt und ehrlich, auch wenn Sie nicht viel reden, aber ich unterhalte mich gut mit Ihnen. Besser als mit… Schwester Suzumeda“ Und plötzlich schwang die Stimmung um. Kaede wandte sich wieder ab. Kenma war unzufrieden. Er hat natürlich von Terushima schon das ein oder andere gehört. Vieles von ihrer Stärker und dem Wunsch, bald aus dem Krankenhaus zu kommen um ihre zweite Chance zu erleben. Er hat ihre Lebensfreude selbst mitbekommen und fand, dass sie eine ganz einzigartige Persönlichkeit besaß, die ihn sogar über Dinge sprechen ließ, die er mit sich selbst nicht ausmachen hatte wollen. Kaede hatte die Rückschläge so gut weggesteckt und stand über den Dingen. Zumindest wirkte es so. Kenma wusste, dass man nicht in einen Menschen hineinschauen konnte und er ahnte, dass Kaede sich weit mehr Gedanken machte, aber sie ließ sich davon nicht beherrschen. Außer eben gerade.

„Kaede? Bitte verlieren Sie wegen ihr nicht Ihre Lebensfreude“, sagte er. Kaede nickte langsam. „Tun Sie mir dann auch einen Gefallen?“, fragte sie ohne ihn anzusehen. Kenma wartete ab. „Bitte reden Sie mit Terushima und vertragen sich wieder mit ihm und… ich weiß, es geht mich nichts an, aber… rufen Sie ihn an. Sie wissen schon. Den Patienten.“ Wieder wurde die Stimmung anders. Sie war nicht unangenehm. Die Vorstellung war unangenehm. Bestimmt war es sogar einfach, mit Terushima zu sprechen. Terushima war unkompliziert. Aber Kenma dachte an die Telefonnummer, die auf dem Zettel stand, den er irgendwann aus seiner Kitteltasche genommen und in das Fach seines Spindes gelegt hat. Dort, wo nun auch der Verlobungsring von Dr. Sakusa weilte. Unangenehm. Alles äußerst unangenehm.
 

„Wenn ich bereit bin“, sagte Kenma. Kaede sah wieder zu ihm auf. „Mehr will ich gar nicht“ und da war es wieder. Ihr herzliches Lachen. Leider begleitet von einem trüben Schleier über den Augen. Aber was sollte er nun sagen? Er war nicht gut in sowas. Kuroo wusste immer, was zu sagen war. Yamaguchi hätte bestimmt auch ein tröstendes Wort gehabt. Verunsichert sah er von ihr ab und lenkte den Rollstuhl um die letzte Ecke ehe sie auf der Physiostation ankamen.
 

„Sie müssen nichts sagen. Danke, dass sie mich gebracht haben“, sagte Kaede, weil sie Kenma weit mehr abgelesen hat, als es diesem bewusst war. Er war ihr ebenso dankbar. „Gut, dann… wo genau müssen wir hin?“, fragte er und Kaede deutete ihm den Weg.

Sie waren pünktlich und eine hochgewachsener Mann mit schwarzen Haaren kam ihnen im Trainingssaal entgegen. „Hallo Kaede, ich hoffe, Sie sind wohlauf“, sagte er freundlich. Kenma sah sich für einen Moment um. Hier gab es allerhand Geräte, ganz ähnlich wie in einem Fitnessstudio, nur mit viel Platz und auch komplizierten Konstrukten, die für spezielle Bereiche waren und auch nur ganz eigene Leiden behandeln sollte.
 

„Hallo, Ennoshita-san. Den Umständen entsprechend“, antwortete Kaede und Kenma übergab die Patientin. „Danke, Dr?“ der Physiotherapeut musterte Kenma. „Kozume“, war die knappe Reaktion. „Danke, Dr. Kozume, dass Sie mir Kaede gebracht haben“, sagte Ennoshita. Kenma nickte nur und sah zu, dass er sich rasch verabschieden konnte. Kaede erinnerte ihn an ihre Bitte. Da, wusste er, würde er nicht drum herum kommen.
 

„Hey! Bist du jetzt Pfleger geworden, wo Dr. Sakusa nicht mehr hier ist? Das ging ja schnell!“, wurde er beim Verlassen des Saales angesprochen. Dr. Tanaka und Dr. Nishinoya standen am Eingang und lugten hinein. Kenma war sich sicher, die beiden zuvor noch nicht gesehen zu haben. Sie mussten also gerade erst gekommen sein. Die Frage aber fand er wirklich unverschämt.
 

„Sollten Sie nicht bei Dr. Ukai sein?“, fragte er deswegen mit einem Funken von Herausforderung. „Sollten Sie nicht bei Dr. Ukai sein? Werd hier mal nicht frech, Klugscheißer“, sagte Dr. Tanaka mit hervorgerecktem Kinn.

„Machen Pause und bewundern Kiyoko“, sagte Dr. Nishinoya und zupfte an Dr. Tanakas Ärmel. Der ließ sich umgehend wieder ablenken und stierte durch die große Tür. Eine weitere Therapeutin räumte gerade Utensilien beiseite, weil ihre Stunde mit dem Patienten vor Kaede bereits vorbei war.

„Hallo, Kiyooookooo~ können wir dir irgendwie helfen?“, bot Tanaka äußerst freundlich an, dass Kenma die Stirn runzelte. Was war das denn für eine Art? Shimizu reagierte nicht.

„Hach, ich liebe es, wie sie mich ignoriert“, seufzte Tanaka und Nishinoya kicherte.
 

„Bitte gehen Sie wieder an Ihre Arbeit“, sagte die sanfte Stimme der Therapeutin plötzlich ganz nah neben ihnen und die Tür wurde zugeschoben. „Wenn Kiyoko sagt, ich soll arbeiten, mach ich mein ganzes Leben nichts anderes mehr“, trällerte Tanaka und machte sich mit Nishinoya auf den Weg in die Unfallstation. Kenma seufzte und folgte ihnen.
 

-
 

In der Mittagspause setzten sich beide Ärzte auch zu Kenma. Als hätte er nicht schon genug Zeit mit den Chaoten verbracht. „Du hast dir echt den langweiligsten Tag ausgesucht, auf die Unfall zu kommen“, sagte Nishinoya und ließ sich mit seinen Hühnerspießen neben ihm nieder. Tanaka saß ihnen gegenüber und hing über seinem Nudelauflauf. Vor Kenma stand eine kleine Schüssel Reis mit Brokkoli und Rindfleisch.
 

In den vergangenen Stunden hatten die drei an Dr. Ukais Seite ein paar mindere Fälle. Sie mussten einen Finger schienen, leichte Verbrennungen von Jugendlichen behandeln und für eine ausgerenkte Schulter hatten sie Saeko gerufen. Tanakas ältere Schwester, wie Kenma nach kurzer Zeit erfahren hat. Saeko zeigte ihnen, wie das richtig gemacht wurde und Kenma entschied sich im selben Moment sowohl gegen die Unfallstation als auch die Orthopädische Abteilung.
 

Nach dem Mittagessen hat er sich mit einem angestrengten Blick in die Galerie gesetzt und beobachtete das Clipping des Sakkulären Aneurysmas.

„Ich hab heute ein Baby zur Welt gebracht“, sagte Yamaguchi, als wäre es das Normalste der Welt. Kenma sah stockend zu ihm hinüber. „Ein Patient hatte Besuch von seiner hochschwangeren Frau und dann sind die Wehen plötzlich losgegangen und das Fruchtwasser ist geplatzt. Also die Wehen hatte sie schon länger, aber sie hat nichts gesagt und dann ist das auf einmal total schnell gegangen. Aihara-san war nur leider selbst im Kreissaal beschäftigt, sie ist die Geburtshilfe und Akiteru, Tsukkis Bruder, hat mir dann geholfen, er ist auch Geburtshilfe, aber Tsukki spricht nicht gerne über ihn. Er hat das trotzdem richtig toll gemacht. Und… ich will auch mal ein Baby haben“, erzählte Yamaguchi aufgeregt und seufzte schlussendlich verträumt. Kenma zog die Augenbrauen hoch. “Mit Terushima?“, ploppte die Frage direkt in seinem Kopf auf, er stellte sie aber nicht. Yamaguchi lachte dennoch so verlegen, als hätte Kenma sie ausgesprochen.
 

Zu Kenmas ungeahnter Missgunst ging die Operation gut aus. Es war nicht so, als hätte er sich eine Niederlage gewünscht, aber wenn Shirabu einen Fehler gemacht hätte und von Dr. Nekomata aus dem Saal geworfen worden wäre, wäre er schon zufrieden gewesen, wenn die Operation dann gut ausgegangen wäre. Doch Shirabu glänzte und Kenma verließ mit einem Knurren die Galerie. Seine Doppelschicht war sowieso jeden Moment vorbei und so machte er noch einen letzten Kontrollblick auf der Intensivstation, wo alles ruhig und normal war.
 

Anders war das zu Beginn seines Dienstes am Morgen des nächsten Tages. Schon am Gang drang eine ganz miese Stimmung an ihn heran. Es war unruhig, aufgewühlt, beklemmend. Stimmen wurden erhoben, immer lauter, bis Kenma die Tür lautlos öffnete.
 

„Du hast dieselbe Blutgruppe!“, schallte Osamus leidige Stimme durch die Station. Dr. Suna versuchte, ihn zu beruhigen, aber Osamu schlug aus. Er zerrte an der Decke und den Schläuchen und an allem, das ihn daran hinderte, aufzuspringen und auf den Oberarzt loszugehen, der ihn zurück ins Bett drückte. “Samu, bitte! Du verletzt dich!”, knurrte Dr. Suna mit Nachdruck. Osamu holte erneut aus, doch seine Hand wurde abgefangen. “Warum… Warum hast du nich‘?” Sein Vorwurf schwang in Bedauern um. Auch Dr. Suna wurde ruhiger. Er ließ die Hand sinken.

„Ich weiß doch, dass du es nicht angenommen hättest, außerdem…“ Er stoppte. Und er wurde auch nicht angehört. Osamu war zu tief in seiner Trauer. „Du hättest Tsumu retten können. Du hättest… Rin! Du hättest ihn retten können…“, schluchzte er erbarmungswürdig. Verzweiflung stieg auf. Den roten Augen zu Folge weinte er schon eine ganze Weile. Sein ganzes Gesicht war tränengetränkt.
 

Dr. Suna versuchte es erneut. Er hob die Hand zu Osamus Gesicht. Sie wurde wieder weggeschlagen. „Hätte ich nicht… Ich bin nicht kompatibel als Spender“, sagte er. Osamus Hand hielt inne. Dr. Suna griff nach ihr.

„Aber… hast du ‘nen Test gemacht?“ Beide Arme sanken. Dr. Suna schüttelte den Kopf. „Nein, das musste ich nicht. Samu, ich bin für niemanden ein kompatibler Spender“, sagte er und wieder wurde ihm die Hand entrissen. „Was soll das denn heißen, du Spinner?“, fragte Osamu perplex. Stille herrschte zwischen den beiden. Nur für einen kurzen Moment.

„Ich bin positiv. Meine Leber hätte ihn erst recht umgebracht“, sagte Dr. Suna angespannt. Osamus Augen weiteten sich. Es brauchte einen Moment, dann verengten sie sich.Verzweiflung wechselte in Wut über. “Du und deine scheiß Bettgeschichten!” Osamu griff auf das Kästchen neben sich und warf alles, was er dort greifen konnte, nach dem Oberarzt. Ein Becher, ein Krug Wasser - Scherben, nass - ein Stift und eine Pappschale, die für den Abfall beim Injektionswechsel parat stand. “Du Mistkerl” Er fasst auch hinter sich und riss den Polster hervor. Auch dieser prallte an Dr. Suna ab und fiel zu Boden. Osamu sank erschöpft zurück und schnappte angestrengt nach Luft.
 

„Dann hättest du sie mir gegeben und Tsumu hätte die Gute bekommen. Rin… Du hättest Tsumu retten können. Was soll ich denn ohne ihn machen? Ich bin unvollständig… Mein Leben is‘ wertlos! Ich hätt‘ statt ihm sterben sollen. Er war immer der Bessere… ich… ich wollte ihn retten, Rin… Du hättest ihn statt mir retten müssen!“ Osamus Stimme wurde immer brüchiger. Die Tränen liefen unaufhaltsam über seine Wangen. Sein ganzer Körper bebte unter dem Schluchzen. Ein weiterer Versuch, die Hand aufzulegen, wurde abermals verwehrt.
 

„Ich hätte dich infizieren sollen? Weißt du eigentlich, was du da redest?!“ Dr. Suna bemühte sich gar nicht mehr, ruhig zu bleiben. Er schrie Osamu mit Unverständnis an. Aber der nahm sich auch kein bisschen zurück. „Ich weiß, dass es Tsumu gerettet hätte! Und du hast ihn sterben lassen! Weil dir dein Schwanz und deine scheiß Kinks wichtiger sind als alle anderen, du scheiß beschissenes Arschloch. Verschwinde! Ich will dich nie wieder sehen! Verschwinde!“

Und da stieg plötzlich Panik in Kenma auf. Wenn Dr. Suna Folge leisten würde, würde er ihn bemerken und dann würde er mächtig Probleme bekommen, weil das nun wirklich nichts für seine Ohren war.

Beinahe wäre er rückwärts über seine eigenen Füße gestolpert, doch konnte sich gerade noch fangen. Nicht zuletzt, weil er mit Terushima zusammenstieß.
 

„Weg, ganz schnell weg“, zischte er ihm entgegen und griff nach seiner Hand, ihn weiter zu zerren, weil Terushima nicht reagierte. „Woow… Kenma, was ist los?“ – „Shhhhh!“ Der Druck seiner Finger wurde stärker. Warum verstand Terushima den Ernst der Lage nicht sofort?

Seine Beine führten sie beide in den nächsten freien Raum – den Bereitschaftsraum. Hinter ihnen wurde die Tür zugeknallt und Kenma japste erst einmal eilig nach Luft.

Terushima musterte ihn und legte ihm eine Hand an die Hüfte, mit dem Daumen der anderen Strich er ihm über den Handrücken. Ein kurzer Ruck und Kenma war ihm näher denn je.

„Du hättest auch was sagen können, wenn du mehr davon willst“, hauchte Terushima mit einem Klang in der Stimme, den Kenma bei ihm nicht kannte. Er stieß ihn sofort von sich weg, entriss ihm auch seine Hand und maß ihn eines bitterbösen Blickes.

„Jetzt versteh ich gar nichts mehr“, sagte Terushima nun wieder mit seiner üblichen Stimme, vielleicht etwas dümmlicher als sonst aber durchaus gewohnt für Kenmas Ohren.
 

„Wir sind geflüchtet, du Idiot! Ich will sicher nicht mehr vor dir“, blaffte er ihn an und vergewisserte sich, dass sie alleine waren. „Und vor was? Oder vor wem? War laut auf der Intensiv“, fragte Terushima nach. Kenma ließ sich auf einem der Betten nieder. „Vor Dr. Suna… ich hab ihn und Osamu bei etwas gehört, was ich nicht hören sollte“, seufzte Kenma und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

„Was ist es denn?“, fragte Terushima naiv nach, aber Kenma richtete sich umgehend wieder auf und schüttelte den Kopf. „Nein, dir sag ich das sicher nicht. Dann weiß es das ganze Krankenhaus und ich bin Schuld“, stellte er schnell klar. Da brachten es auch die lächerlichen Versuche, das abzustreiten nichts. Kenma würde es keiner Menschenseele sagen. Wenn etwas raus kam, dann weil die beiden so laut waren und es jemand anderes auch mitbekommen hätte. Aber Kenma würde sicher nicht nach außen tragen, dass Dr. Suna wohl zumindest mit dem HI-Virus infiziert war oder einer Hepatitis Variante. Nein. Nein, sicher nicht.

Terushima schwieg für einen Moment. Kenma war ihm dafür auch dankbar. Aber realisierte nun auch, dass er mit ihm alleine war.
 

Stille.
 

„Warum weiß Kaede davon?“, fragte er nach einer Weile. Terushima machte einen peinlich berührten Ton. Ja, er wusste genau, wovon Kenma sprach, da war keine Frage.

„Naja…“, begann er. „Ich brauch keine blöde Ausrede“ Kenma wollte wissen, warum Terushima dachte, es wäre richtig über so einen intimen Moment vor irgendeiner Patientin zu reden. Nun gut, soviel musste er Kaede beisteuern, sie war alles andere als irgendeine Patientin, aber das machte Terushimas loses Mundwerk nicht akzeptabler.
 

"Okay, okay, aber eigentlich hab ich sie nur darauf angesprochen, wie ihre Stimmung immer besser wird, wenn Dr. Iwaizumi in der Nähe ist. Mit der ganzen Physio hat sie nämlich ganz schön zu nagen und naja, dann war schon irgendwie klar, dass sie bisschen verknallt ist in ihn, oder vielleicht auch so richtig, da hab ichs nur für richtig empfunden, ihr von Schwester Kaori und Iwaizumi zu erzählen und dann war sie ganz traurig und dann hab ich was Dummes gesagt und sie hat nicht gelacht und dann hab ich ihr erzählt, dass ich dich geküsst hab und dass du mich jetzt hasst und dann hat sie mir gesagt, dass ich zurecht Dr. Vollidiot bin, voll gemein"
 

„Du bist wirklich ein Vollidiot… Aber ich hasse dich nicht“
 

-
 

Wie ein Vollidiot fühlte sich Kenma selbst Wochen später. Der Herbst war in vollem Gange und er fand sich in einer Situation, die er nicht so recht erklären konnte.

Er war wieder einmal zur falschen Zeit am falschen Ort und in ein Wortgefecht zwischen Kaori und Dr. Iwaizumi zu geraten. Dem Stationsarzt schien sein Kreuzen gerade recht gekommen zu sein.
 

„Dr. Kozume! Helfen Sie Schwester Suzumeda, ihren Job zu machen“, verlangte er harsch von ihm, dass sich Kenma die Nackenhaare aufstellten und ein kalter Schauer seinen Rücken hinunter lief. Mehr noch als Kaori ablehnte. „Ich brauch keine Hilfe!“ – „Er braucht Erfahrung, auch mit sowas.“ Unangenehm. So unangenehm.
 

Und dann stand Kenma mit Kaori bei Kaede im Zimmer. Es war eigentlich ein warmer Oktobertag, aber in diesem Zimmer herrschte der siebirische Winter. Aus der sonst so leidenschaftlichen Schwester wurde eine straffe Anstandsdame und die junge Frau, die durch ihre Lebensfreude selbst nach dem Unfall so überrascht hat, strahlte puren Trotz aus. Kenma wünschte sich wieder in den Utensilraum. Er würde sogar Terushimas Gesellschaft auf sich nehmen, nur diesmal würde er ihm beide Hände auf den Mund pressen.
 

„Guten Morgen Miss Sato, heute begleitet uns Dr. Kozume. Ich hoffe, das ist kein Problem für Sie“, formulierte Kaori es höflich, doch ihre Stimme klang kühl. „Guten Morgen Schwester Suzumeda, Dr. Kozume“, kam es ähnlich temperiert von Kaede. „Es ist okay“ mit diesen Worten wandte sie sich an Kenma. Er fragte sich wirklich, warum Dr. Iwaizumi meinte, er brauchte Erfahrung hiermit. Immerhin war er Arzt und nicht Pfleger. Dennoch würde er sich nicht widersetzen.
 

„Gut“, sagte Kaori knapp. Sie ging zu Kaede ans Bett, schob die Decke zur Seite und entblößte ihre Beine. Sie waren in spezielle Kompressionsstrümpfe gehüllt, die Kaori deutete abzutragen. Kenma zögerte. „Ist schon okay, ich bin‘s gewöhnt“, seufzte Kaede. Handschuhe wurden angezogen und Kenma entschuldigte sich für seine kalten Finger, doch Kaede hob hervor, dass sie das gar nicht spürte. Ein bitteres Lächeln zierte ihre Lippen.
 

Kaori war ins Badezimmer gegangen und bereitete Waschtücher und Wasser im Becken vor. „Sie können Miss Sato dann bringen“, rief Kaori heraus.

Kenma und Kaede starrten sich einen Moment lang an. Ihm war klar, dass sie nicht einfach ins Badezimmer spazieren würde, das war ja der Grund für diese ganze Situation. Er sah aber auch keinen Rollstuhl, in den sie sich hieven könnte, wenn sie das denn überhaupt schon konnte. Darüber hatte er keine Informationen. Aber nach den Wochen Physiotherapie sollte seiner Meinung bereits möglich sein. Es änderte aber nichts an der Tatsache, dass gerade kein Rollstuhl im Zimmer war.
 

„Ich würds ja selbst tun, aber leider…“, sagte Keade und deutete schnaubend auf ihre Beine.
 

„Sie legen mir einen Arm um den Rücken und den anderen unter die Kniekehlen. Ich halte mich an ihren Schultern fest. Keine Sorge, ich bin nicht so schwer“, erklärte Kaede und hing kurz darauf in Kenmas Armen. Eher schlecht als recht und als sie verrutschte, klammerte sie sich so fest und eng um seinen Hals, dass es an den Haaren zog. Kenma machte einen angespannten Zischlaut. „War keine Absicht“ – „Schon gut, Sie können nichts dafür“ Kaede legte ihren Kopf an Kenmas Schulter ab, dass er ihren verschämten Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Mit einem kurzen Ruck hatte er sie besser im Griff. „Vergessen Sie den nicht“, sagte Kaede und deutete auf den Katheter, er noch am Bettgestell hing. Kenma fragte sich, wie er den denn nun bekommen sollte, aber Kaede bot ihre Hilfe an. Das Ganze war so schon unangenehm genug.
 

Der Weg ins Badezimmer war mühsam, schwankend, aber dort angekommen, setzte er Kaede am bereitgestellten Duschstuhl ab. Kaori half ihr aus dem Krankenhaushemd und Kenma wandte den Blick ab.

„Bitte, Dr. Kozume, wenn Sie die Patientin nicht ansehen, wird das nichts“, mahnte sie ihn. Kenma wollte mehr flüchten denn je. Er hatte kein Problem damit, einen entblößten Körper vor sich liegen zu haben und mit dem Skalpell aufzuschneiden. Der Patient schlief dabei. Das war nichts Intimes, aber das hier, das war ein Level an Intimität, den er nicht mochte. Aber es war sein Job. Er erinnerte sich an Tanakas Worte von damals, als er Kaede zu Ennoshita gebracht hat. Seit Dr. Sakusa nicht mehr da war, lief etwas schief für Kenma. Er konnte zwar bei anderen Operationen assistieren, sogar bei Chefarzt Dr. Nekomata. Aber das war nicht dasselbe. Kenma vermisste Dr. Sakusa. Auf einer rein professionellen Ebene.
 

„Natürlich“, riss er sich zurück in die Realität. Kaori zeigte ihm, dass sie von unten nach oben mit dem Waschen begannen. Der Duschkopf wurde abgenommen und direkt über Kaedes Beine gesetzt. Das Wasser, so wurde ihm aufgetragen zu testen, war angenehm warm, was Kaede erst weiter oben entsprechend wahrnehmen konnte. Mit den Waschtüchern und Seife arbeiteten sie sich von den Füßen über die Waden hoch. Kenma erkannte die tiefen Narben. Sie würden nie ganz verschwinden, aber sie würden in ihrem Ausmaß noch zurückgehen. Sie wären dann nicht mehr rot, sondern würden blassrosa bis weiß werden. Kaedes Haut war gut gepflegt und darauf wollte sich Kenma konzentrieren. Die Waschung ging über die Oberschenkel weiter, bis schließlich…
 

„Und dann-“ – „Das mach ich alleine“, unterbrach Kaede bestimmt und griff nach dem Waschtuch in Kaoris Hand. „Und dann geben Sie ihr Halt, dass sie nicht aus dem Stuhl fällt“, sprach Kaori weiter und zeigte Kenma, wie er die Patientin am besten hielt und stützte.

„Kanns kaum erwarten, wenn ich das alles alleine machen kann“, sagte Kaede mürrisch. „Das wird noch eine Weile dauern“, wusste Kaori. Sie nahm bei den Fakten wirklich kein Blatt vor den Mund. Und es schlug ein. Auf Kaedes Gesicht wechselte Trotz mit Enttäuschung ab. Mit nur einem Satz hatte Kaori ihr Wesen wieder vollkommen verändert. Zum Negativen. Noch mehr.
 

Seit Kaede nach dem Unfall auf der Intensivstation aufgewacht war, hat sich viel verändert. Damals hat sie Dr. Iwaizumi mit ihrer positiven Energie etwas überrumpelt, auch Kenma war überrascht gewesen, aber Kaede war so dankbar dafür, zu leben. Jetzt wirkte es so, als wäre sie von ihrem Leben genervt, angestrengt und vielleicht sogar etwas überdrüssig. Nun gut, es war ihr nicht zu verdenken. Sie würde nie wieder laufen können, geschweige denn Motorradfahren, was – das wusste er von Terushima – eine Leidenschaft war, die Freiheit ausdrückte und nun würde sie bis an den Rest ihres Lebens an den Rollstuhl gefesselt sein. Die einfachsten Dinge waren nun Herausforderungen. Ein schreckliches Schicksal wohl.
 

Langsam ließ Kenma Kaede wieder zurück in den Stuhl sinken und half ihr beim Rest. Er war froh, dass Kaede ihren Oberkörper selbst im Griff hatte und ihm auch gar nicht erlaubte, sie dort zu berühren. Nach Kaoris Anweisungen hielt er ihre Haare zur Seite und achtete beim Abduschen darauf, dass sie nicht nass wurden. Seine Kleidung müsste dafür später gewechselt und aufgehängt werden. So geschickt sich Kaori auch tat, so schlug bei Kenma die Unerfahrenheit durch.

Nach dem Abtrocknen half er ihr wieder in das Krankenhaushemd und trug sie zurück ins Bett. Kaori machte den Katheter wieder an und musterte Kenma. „Fürs erste Mal, okay. Stützstrümpfe wieder anziehen und dann war’s das“, sagte sie und verließ das Zimmer mit den gebrauchten Waschtüchern. Kenma zog Kaede die Strümpfe an und fragte sie, ob sie noch etwas brauchte. Nur ihre Bluetooth Stecker um Musik zu hören.
 

-
 

„Kaede ist so anders“, eröffnete er Terushima in der Mittagspause, die er heute recht früh machte. Er hat sich mit seinem Mitbewohner und einem Sandwich in einen der Ausweichräume gesetzt. Kurz nach elf. Nach diesem Vormittag wollte er sich nicht in die volle Kantine setzen. Terushima war ihm nachgelaufen, weil er Ideen für das Abendessen hatte. Kuroo war für die Nachtschicht eingeteilt und so meinte er, könnten sie sich mal wieder Udonnudeln mit Knoblauch und Ahornsirup machen. Kenma mochte den Vorschlag, war aber anfänglich nicht so angetan davon, Gesellschaft zu haben. Irgendwann hat er sich auf das Gespräch eingelassen und schwenkte nach einer kurzen Pause selbst zu Kaede um.
 

„Ja… sie wird immer trauriger. Manchmal hat sie wieder mehr Energie und ist auch ganz schön frech, aber das wird immer seltener. Sie hat auch geschimpft mit mir, weil ich noch… naja… mich mit Kenji und Kenjiro treffe… Ha! Hast du gecheckt, dass die beiden fast gleich heißen?“, lachte Terushima plötzlich auf. Kenma seufzte. „Ich hab vor allem gecheckt, dass sie nicht Tadashi heißen“ Kenma erinnerte sich an sein Gespräch mit Kaede und dass er ihr gesagt hat, dass er sich nicht einmischen wollte, aber es war schrecklich mitanzusehen, wie Terushima mit Yamaguchi flirtete und der dann aus allen Wolken fiel, wenn er ihn wieder mit jemand anderes sah. Das war nicht fair und das konnte Kenma nach all der Zeit, die sie alle miteinander verbrachten, nicht mehr mit ansehen. „Hey! Wir haben beschlossen, das Thema ist tabu! Ich hab auch aufgehört wegen Grinsebacke zu fragen“, empörte sich Terushima. Kenma resignierte. „Hast ja recht“, sagte er und sah hoch auf die Uhr. Sie ging fast genau eine Stunde nach, aber niemand hat sie je korrigiert.
 

Diese Uhr war seit Ende Sommer falsch. Oder richtig? In Kenmas Augen war sie richtig, als liefe die Zeit hier auf einer anderen Linie. „Wieder 10:42“, sagte Terushima beim Klacken des Minutenzeigers.

Eine Zeitlinie, in der Atsumu noch lebte und Dr. Sakusa noch Kenmas perfekter Mentor war. Diese Uhr war die ein Denkmal.
 

„Wir sehen uns dann. Spätestens beim Bus“, sagte Kenma nach einer Schweigeminute und hievte sich von dem herrenlosen Krankenbett hoch. „Ja klar, bis später.“ Terushima aß sein Sandwich noch auf und Kenma machte sich auf den Weg zu den Operationssälen, weil er bei Dr. Nekomata assistieren durfte. Es handelte sich um ein besonders großes Akustikusneurinom, ein Tumor im Gehörtrakt, der bereits Gehörverlust verursachte.
 

Bevor er aber dort ankam, wurde er von Schwester Kaoris aufgebrachter Stimme zum Stoppen gezwungen. Kenma blieb an der Ecke zum Hauptgang stehen und erkannte, dass Dr. Konoha bei ihr war.
 

„Was los ist, willst du wissen? Ihr Männer seid los oder zumindest die, die ich mir aussuche!“, fauchte Kaori und stieß ihre Fäuste gegen Konohas Brust, der ließ das überraschenderweise auch noch mit sich machen.

„Kaori…“, seine Stimme klang ruhig, wie immer, aber wehmütig, wie sonst nie. „Weißt du, bei dir war es ja einfach, du stehst auf Kerle, da kann ich nichts machen, aber Hajime… Er steht auf richtige Frauen! Eine wie ich es bin! Und trotzdem hat er in letzter Zeit immer nur dieses… dieses… dieses Miststück auf Rädern im Kopf“ Wut und Frust brüllte aus der Krankenschwester, dass sich Kenma gleich noch ruhiger verhielt. Er mochte es zwar nicht, wie sie über Kaede sprach, denn so viel war ihm klar, aber er würde jetzt nicht den Helden spielen, denn dann würde er Dinge kassieren, für die er gar nichts konnte. Sollte lieber der Anästhesist das ausbügeln, denn wie es schien, war er nicht unweigerlich daran beteiligt.
 

„Dr. Iwaizumi scheint mir, seinen guten Geschmack abzugeben und ich… nun ja… du weißt selbst, dass ich mit so einer Bombenfrau, wie du es bist, einfach nicht umgehen könnte, ich würde dir nur langweilig werden“, sagte Konoha. Er hob die Hand und strich Kaori tröstend über die Wange und wischte ihr mit dem Daumen eine Träne weg. Sie lachte verhalten auf. „Du kannst sogar Ablehnungen smooth, das ist unfair. Ich kann dir doch gar nicht böse sein“, seufzte sie.

„Das muss du auch nicht, lenk all deinen Zorn auf Dr. Iwaizumi, hab ich gar nichts dagegen“ Konoha legte ein liebevolles Lächeln auf, das wohl auch Akaashi gut gefallen hätte und rutschte mit der Hand an Kaoris Kinn um ihr Gesicht hoch zu neigen. „Kopf hoch, schöne Frau, vielleicht wartet der perfekte Mann für dich bereits um die Ecke“, sagte er und das war Kenmas Stichwort umgehend die Richtung zu wechseln und lieber einen Umweg zu gehen. Er war niemandes perfekter Mann. Schon gar nicht der von Kaori, die auch Konohas Zureden noch eine Entscheidung und ein Gespräch zu führen hatte.
 

Am Ende des Umweges wartete nun endlich eine brauchbare Operation auf ihn, in der Kenma sogar weit mehr machen durfte, als er sich erwartete. Dr. Nekomata war ein sehr ruhiger und gelassener Lehrer. Er schien zu verstehen, wie viel Leidenschaft Kenma für diese Fachrichtung hatte und wollte das fördern. Aber für Kenma fühlte es sich nicht richtig an. Es fehlte etwas und er sehnte sich wieder in den Gang, in dem die Zeit gefühlt stillstand. In den Gang, in dem Atsumu noch lebte und Dr. Sakusa noch da war. Wo es keine Freistellung auf unbestimmte Zeit gab und wo Kenma den für ihn besten Lehrer hatte.
 

-
 

Wenige Wochen später konnte Kenma kaum glauben, wem er mit Terushima in der großen Eingangshallte über den Weg lief.
 

Dr. Sakusa hat sich Wochen lang, ja Monate nicht im Haikyuu Medical Hospital sehen lassen. Der Winter stand bereits vor der Tür und Kenma fiel ein riesiger Stein vom Herzen. „Dr. Sa-“, begann er, doch Angesprochener ging stur an ihm vorbei und richtete seine ersten Worte an Terushima: „Du. Fünzehn Minuten. Gewaschen. Bereitschaftsraum. 3. Stock!“ Terushima sah ihm verdattert hinterher und wechselte rasch zu Kenma. „Hast du das gerade gehört?“, fragte er. Kenma nickte. „Ja… beeil dich, bevor ich das ausbaden muss“, seufzte er und Terushima zog ab.
 

Auf irgendeine Weise musste Kenma es ausbaden, denn für ihn ging ein weiterer Tag ohne seinen Mentor los. Terushima verlor bei ihrem nächsten Aufeinandertreffen kein Wort über sein unangenehmes Stelldichein mit dem Oberarzt. Dafür fragte er ihn nach seinen Plänen am Abend.
 

„Ich bin mit Kuro beim Grab seiner Mom. Allerheiligen, weißt schon“, antwortete er und lehnte Terushimas Angebot ab, mitzugehen, weil sie ja Mitbewohner waren. Nein, das wusste er, wollte Kuroo sicher nicht. Das war etwas, das sie gemeinsam seit Jahren alleine machten. „Du kannst was mit Fisch kochen“, schlug er vor und folgte einem Pager-Ruf in die Gefäßstation.
 

Dabei war er Kaede über den Weg gelaufen. Sie fuhr selbstständig zur Physio. Kenma erkannte, wie kräftig ihre Arme bereits waren. Das Training machte sich bezahlt und dennoch war es nicht zu viel. Auch eines Lächelns hatte Kaede keines zu viel. Terushima hat ihm erzählt, dass sie das immer seltener trug. Die kalte Jahreszeit verlangte ihren Tribut. Sie schlug sich auf alle irgendwie aus. „Wie geht es dir?“, wagte er, sie zu fragen. „Sie müssen mich nicht bemitleiden“, sagte Kaede. Es war wie ein Vorwurf. Kenma seufzte. „Hatte ich nicht vor… Aber… Sie machen doch Fortschritte“, merkte er an. Kaede seufzte. „Aber ich kann nichts alleine, zumindest nichts, was etwas bedeutet“

Bedacht setz Kenma seine Schritte neben Kaede. „Hilfe ist nichts Schlimmes“; sagte er. Er nahm selbst auch Hilfe an. Vor allem von Kuroo, der ihn bereits sein Leben lang unterstütz hatte. Deswegen ging er auch am 1. November immer mit ihm zum Grab und war sein Ruhepol, wenn er wieder einmal zu aufgeregt war. Aber davon wollte Kaede nichts hören.

„Das ist nicht das Gleiche“, sagte sie angespannt und dann wurde sie leiser. „Ich brauche immer Hilfe… für alles…“
 

Sie wurde in den nächsten Tagen immer leiser, sie wurde regelrecht still, bis es während Kenmas nächsten Nachtschicht plötzlich immer lauter wurde.
 

”Kaede!”
 

Kenma stand auf der Brücke, wo er auch an seinem ersten Tag mit den anderen Assistenzärzten gestanden hat und wo Dr. Sakusa das erste Mal seine Sicht eingenommen hatte. Jetzt war es stockfinster draußen und die Nachtschicht gewahr ihm einen Moment Stille. Zumindest so lange, bis Terushimas Rufen sie unterbrochen hat.

Sein Kollege kam aus dem Trakt der Ortho-Chirurgischen Abteilung gelaufen. Gehetzt. Kenma richtete sich auf. „Kaede!“, rief Terushima noch einmal und prallte neben ihm gegen das Geländer der Brücke. Hastig atmend. Er hatte etwas in der Hand. Einen Zettel? Ein Kuvert?

Der Blick nach unten ließ die gesuchte Patientin entdecken. Sie durchquerte gerade die Haupthalle Richtung Ausgang. „Kaede warte! Kaede! Bleib stehen!“, wurde er lauter und lehnte sich über die Brüstung, aber Kaede blieb nicht stehen. Sie drehte sich auch nicht einmal zu ihm um.

„Was ist los?“, fragte Kenma, aber Terushima riss sich mit einem Schlag beider Fäuste gegen das Geländer weg und lief wieder zurück. Panisch drückte er auf den Rufknopf der Aufzuganlage. Immer wieder, immer schneller. Die Füße tappten nervös. So aufgebracht hat Kenma ihn noch nie gesehen. „Fuck!“, fluchte Terushima und machte umgehend kehrt zum Treppenhaus. Die Tür wurde aufgerissen, Terushima verschwand und das Signal des eintreffenden Lifts ertönte.

Kenma sah irritiert zurück nach unten, wo Kaede gerade durch die Drehtür das Krankenhaus nach draußen auf den Parkplatz verließ. Sein Herz begann unweigerlich schneller zu schlagen, obwohl er die Situation noch nicht ganz begreifen konnte. Sein Körper wusste Bescheid, aber er war starr vor Schock und konnte nur nutzlos hier stehen bleiben und das Unheil beobachten.
 

„KAEDE!“
 

Unten schlug die Tür aus dem Treppenhaus Schwung brachial gegen die Wand und erschütterte die Halle. Terushima sprintete auf den Ausgang zu. Kaede wurde draußen immer schneller und fuhr zügig die Zufahrt entlang auf die große Durchfahrtsstraße zu. Terushima drückte sich durch die schwere Glastür und nahm am Asphalt noch einmal Geschwindigkeit auf.

In der Ferne kam ein Licht näher. Scheinwerfer eines LKWs. Schnell.

Kenmas Atem stockte, dafür raste sein Herz und dennoch fühlte sich jeder Schlag wie verlangsamt an. Die Ohren beschlugen. Alles fühlte sich langsam an. Alles war unheimlich schnell.
 

Kaede rollte auf die Straße zu, schneller als man sie von dort hätte erkennen können.

Terushima sprintete bereits in einem Tempo über den Parkplatz, das unmenschlich war und dennoch war klar: Er würde es nicht rechtzeitig schaffen. Verzweifelt rief er nach ihr. Kaede reagierte nicht. Sie ließ sich nicht abbringen. „Kaede bitte!“ Die Straße war erreicht. Kenma schlug sich die Hände auf den Mund.
 

Das Abblendlicht des LKWs erfasste Kaede in Gänze. Ein lautes Hupen ertönte. Ihre Arme stoppten. Terushima stolperte. Er war nur wenige Meter von ihr und der Straße entfernt, aber sein Körper stieß an die Grenzen der Physik. Seiner eigenen Physik.
 

„Kaede!“ eine weitere Stimme drang laut durch die rabenschwarze kalte Nacht und Dr. Iwaizumi ließ nicht nur die zerberstete Glastür hinter sich zurück, sondern auch Terushima, dem es verwehrt blieb, Kaede zu erreichen. Ohne zu überlegen, lief der Stationsarzt auf die Straße.
 

Es hupte erneut. Laut anhaltend. Der LKW verriss die Spur. Die Reifen quietschten am Asphalt. Der Anhänger verriss. Kenma kniff die Augen zu. Es knallte. Es knarrte. Es schepperte. Der Rollstuhl landete im Graben. Leer. Zwei bewegungslose Körper neben ihm. Der LKW hat sich quer über die Straße gestellt und war frontal gegen den hohen roten Ahorn gefahren, der an der Ecke stand. Der Baum war in die Busstation gekippt. Nicht mehr zu retten.
 

„Dr. Iwaizumi! Kaede!“
 

Kenma konnte sich nicht vom Fleck rühren. Ihm stockte der Atem. Es war so still, er hörte den Minutenzeiger der großen Uhr über ihm umschlagen.
 

11:42.
 

Auf Atsumus Zeitlinie war es 10:42.
 

Nachts.

Acceptance

Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,

als welkten in den Himmeln ferne Gärten;

sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde

aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.

Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen

unendlich sanft in seinen Händen hält.

(Rainer Maria Rilke, 1875-1926, österreichischer Dichter, Schriftsteller)
 

Ein langer Herbst, so sagt man, verspricht einen harten aber kurzen Winter. Viel Nebel im November, sagt einen schneereichen Dezember voraus. Wenn rote Blätter spät aber dann schnell fallen, erwartet das neue Jahr, so sagt man, ein Unglück noch in der ersten Hälfte.
 

Bauernregeln. Sogesagtes. Humbug. Erfahrung. Hokuspokus und Aberglaube. Man nenne es, wie man mochte. Ein bisschen Wahres ist an allem dran. Manchmal. Nicht immer. Fakt ist: Nach dem Herbst folgt der Winter. Regen wird zu Schnee, wenn die Temperaturen fallen. Und auf das alte Jahr folgt das neue.
 

***
 

Der eisige Wind veranlasste nicht nur Kenma, den Kragen der Jacke hochzustellen und den Hals vor der Witterung zu schützen. Kuroo neben ihm sah damit aber viel cooler aus. Verwegen gar.
 

„War ne harte Nachtschicht, hmm?“, fragte der Ältere. Kenma nickte nur. So recht hat er das auch noch gar nicht verarbeitet. Auch die Straße hat das nicht. Da waren immer noch die Markierungen von der Polizei. Officer Sasaya hat sie aufgesprüht. Grüne Linien für den stehengebliebenen LKW sowie dessen Fahrbahn, weiters den Verlauf von Kaedes Weg über die Straße in den Graben in gelb.
 

Direkt bei der Bushaltestelle am gestürzten Ahorn erkannten sie eine der älteren Assistenzärzte. “Eri?”, fragte Kuroo überrascht, aber sie rührte sich nicht. Sie sah starr auf den Baum. Die Blätter waren sogar im November noch rot und waren erst jetzt gefallen. Dafür alle auf einmal.

Für Kenma spielte sich der gesamte Unfall wie in Zeitlupe noch einmal vor seinem geistigen Auge ab. Am liebsten hätte er vergessen, was er gesehen hat. So schnell hat sein Herz noch nie geschlagen und so eng hat er sich noch nie um den Hals einer anderen Person geschlungen, wie um den von Terushima.
 

“Ich vergeb dir! Es ist alles wieder gut!”, hat er ihn angebrüllt. “Nur mach sowas nie wieder", er hat am ganzen Leib gezittert, weil er plötzlich eine unheimliche Angst um seinen Mitbewohner gehabt hatte. Jedes noch so kleine Restgefühl der Verärgerung wegen diesem Kuss von damals war wie in Luft verpufft.

Terushima war der Schock selbst noch so tief gestanden, dass er nicht einmal etwas Unangebrachtes gesagt hat. Nur eine Entschuldigung.
 

Die restliche Nachtschicht war wie in Trance vergangen. Die Zeit lief neben ihm vorbei, genauso wie die anderen Ärzte. Kenma wusste nicht einmal aus erster Hand, wie es um Kaede stand oder Dr. Iwaizumi. Terushima war dann auch so schnell weggelaufen. Nicht auf die Straße, den anderen Ärzten nach.

Erst Kuroo hat sich ein genaues Bild gemacht und den Stand der Dinge geklärt. Aber Kenma hat es nicht aufnehmen können.

Er konnte jetzt auch nicht mit Eri umgehen, die wegen einem Baum zu weinen schien.
 

„Ich mach dir daheim nen Tee und dann schläfst du mal richtig“, sagte Kuroo im Bus zu ihm. Im Bus. Kenma konnte sich nicht erinnern eingestiegen zu sein. Er konnte sich auch nicht daran erinnern, dass Kuroo seinen Arm tröstend um Eri gelegt hatte und, dass sie dadurch noch heftiger weinte.
 

Erst in der WG angekommen kamen kurze Bilder bei ihm an. Mit einem heißen Kamillentee saß er auf der Couch und starrte auf den schwarzen Bildschirm des Fernsehers. Seine Finger wärmten sich angenehm und der Geruch wirkte auch bereits beruhigend. Kuroo setzte sich neben ihn und bot ihm eine Decke an, doch Kenma lehnte sie ab.

„Was ist mit Eri los?“, fragte er mit müder Stimme. Kuroo stellte sein Glas Wasser nach einem ersten Schluck auf den Tisch. „Eri hat ihren Verlobten verloren… Ist schon ein paar Monate her, aber an dem Baum, also eigentlich beim Bus haben sie sich kennengelernt. Chigaya war Pathologe, aber glaub mir, ganz anders als Matsukawa. Der war fröhlich und man hat ihm nicht angesehen, dass er den ganzen Tag mit Leichen arbeitet, das merkt man bei Matsukawa schon. Hast du den schonmal reden gehört? Hat auch nen super seltsamen Humor“, begann Kuroo zu erzählen. „Du schweifst ab“, mahnte Kenma. Er war sich aber gar nicht sicher, ob er das alles überhaupt wissen wollte. Immerhin reichte es ihm zu wissen, dass Eri wohl trauerte. Aber er hatte bereits gestartet. Kein Abwürgen möglich, außerdem fehlte ihm die Energie, aufzustehen und sich fürs Bett zu richten.
 

„Sorry, sorry. Also ja, Chigaya war Pathologe und Eri hatte ihre Praxis zum Studium im Haikyuu Medical Hospital. Sie war also noch so ne richtig unverdorbene Studentin und Chigaya war mit seiner positiven Energie auch noch so richtig grün hinter den Ohren. Eigentlich kein Wunder, dass die zwei zueinander gefunden haben. Wie genau das gelaufen ist, hat sie nie erzählt, ich hab sie ja erst vor anderthalb Jahren kennengelernt seit unserer Assistenzarztzeit halt. Aber er hat ihr wohl am ersten Tag schon den Weg im Krankenhaus gezeigt und beim Bus haben sie sich richtig unterhalten. War ein verregneter Tag – ja, das weiß ich noch genau, weil das total romantisch ist – und deswegen ist der Bus lange nicht gekommen. Glaub, da war ne Verkehrsbehinderung. Der Grund ist ja egal, weil die zwei sich da unter dem alten Ahorn untergestellt und sich so richtig ineinander verliebt haben. Wie Schicksal, was sagst du?“, fragte Kuroo. Kenma schüttelte den Kopf. Schicksal war doch Schwachsinn. „Naja… auf jeden Fall sind die zwei zusammengekommen und Eri ist natürlich für ihre Chirurgenausbildung auch ins Haikyuu Medical gegangen, so wie ich. Am ersten Tag hätte ich es auch schon bei ihr versucht, aber ja, sie war nunmal vergeben, daher weiß ich das nämlich“ Kenma seufzte. War ja klar, dass Kuroo sich nicht aus reinster Nächstenliebe für Eris Geschichte interessiert hatte.

Es stand vollkommen außer Frage, dass Kuroo ein aufmerksamer Mensch war, der ehrliches Interesse an anderen hatte, aber das wäre wohl eine Spur zu viel des Guten gewesen.
 

„Und warum weint sie dann jetzt am Baum?“, fragte Kenma. Der Tee hatte inzwischen Trinktemperatur und wärmte von Innen wohlig, dass das mentale Toben der Nachtschicht langsam nachließ.

„Er ist gestorben. Herzstillstand. Einfach so. Hat einfach aufgehört zu schlagen“, sagte Kuroo. Kenma stockte der Atem. Er konnte den Schmerz, den die ältere Assistenzärztin durchgemacht haben muss, zwar nicht nachfühlen. Genauso wenig wie den von Dr. Sakusa. Aber mit all dem Tod, mit dem er in seinem ersten Jahr bisher konfrontiert war, bedrückte ihn das Thema. Mit seinem Beruf kam es unweigerlich näher an ihn heran und eigentlich hätte er gedacht, dass es ihm nicht passieren würde. Und dennoch hing es nun wie ein schwerer Mantel auf seinen Schultern.
 

„Am alten Ahorn hat er ihr den Heiratsantrag gemacht. Hat das Verkehrsamt kontaktiert und die haben einen Bus mit der Aufschrift ‘Willst du mich heiraten?‘ geschickt. Super kitschig, viele vom Krankenhaus waren da und er ist unter dem Baum gestanden mit dem Ring als Eri das gelesen hat“, erzählte Kuroo weiter. Kenma wurde unwohler im Magen. „Warum denn bei der Bushaltestelle?“, fragte er. Von Romantik verstand er zwar sehr wenig und interessierte sich auch nicht dafür. „Gott Kenma, weil das ihr Ort ist und es ist weniger die Haltestelle und vielmehr der Baum. Der Baum, Kenma, wo alles für sie begonnen hat und jetzt ist dieser Baum umgefallen und kaputt und Eri hat auch das verloren und deswegen sitzt sie jetzt bei dem Baum und weint“
 

Und dann waltete Stille. Kenma starrte in seine Tasse und folgte gedankenverloren den kleinen Bläschen, die sich gebildeten hatten, schon als das kochende Wasser über den Teebeutel gegossen wurde.

Kuroo lehnte sich nach vorne, nahm sein Wasserglas vom Tisch und trank es aus. „Ich geh ins Bett, war eindeutig lang genug“, sagte er und brachte das Glas in die Küche. „Geh dann auch schlafen, okay?“, bat er Kenma und verschwand nach einem sanften Streichen über Kenmas Schulter und Oberarm im Badezimmer. Kenma neigte den Kopf zur Seite und berührte mit der Wange die Stelle, wo gerade noch Kuroos warme Hand war. Ja, er würde bestimmt auch gleich zu Bett gehen.
 

***
 

"Heute spiel ich Zelda, du kannst zuhören, ich erzähl dir auch was davon. Aber am wichtigsten ist, dass du weißt, dass der Held nicht Zelda heißt. Er heißt Link und die Prinzessin heißt Zelda und sie muss nicht gerettet werden. Sie braucht nur manchmal etwas Hilfe und die bekommt sie auch. Vielen fällt es echt schwer, nach Hilfe zu fragen. Kaede zum Beispiel. Sie nimmt nicht gerne Hilfe an und sie fragt auch nicht danach, aber davon hat dir Teru bestimmt schon erzählt. Er hat sie echt gerne und ich glaube, sie ist einer der wenigen Menschen, die er wirklich ehrlich mag.

Aber Prinzessin Zelda kann Hilfe annehmen und sie fragt auch danach, wenn es notwendig ist. Wie Yachi eigentlich. Hmm… Irgendwie ist das alles hier, the Legend of Yachi, wir unterstützen sie dabei, für dich da zu sein. Naja, wir Ärzte, du nicht, du bist eher wie das schlafende Königreich in Breath of the Wild..."
 

Kenma saß ein weiteres Mal bei Kawanishi. Seine übliche Tagschicht war vorbei und er hat mit Yachi zu ihrer Nachtschicht abgetauscht.

Als er an diesem Morgen mit dem Bus angekommen war, war der alte Ahorn weg, über den er mit Kuroo vor ein paar Nächten gesprochen hatte. Auch Eri war nicht mehr dort und hat somit auch nicht an der Bushaltestelle geweint. Aber sie war ihm im Krankenhaus über den Weg gelaufen. Mit ihrem üblichen Lächeln. Sie hat es Hana geschenkt und ihr gesagt, es würde alles gut werden. Worum es gegangen war, hat Kenma nicht mitbekommen und er hat sich auch nicht darum erkundigt. Eri schien es gut zu gehen und auch, wenn er sie nicht besonders gut kannte, wirkte es eine Art der Erleichterung auf ihn.
 

„Hast du eigentlich vor, demnächst mal aufzuwachen?“, fragte Kenma. Der Spielsoundtrack füllte seine Redepause, genauso wie die Aktionstöne, wenn er einen Gegenstand aufhob, eine Schatztruhe öffnete, einen Gegner bekämpfte oder einfach nur das Gras zerschnitt oder Tontöpfe für Rubine zerschlug. Kawanishi antwortete natürlich nicht und so sprach Kenma weiter.

„Keine Ahnung, wie lange es gut ist, dass Yachi so leidet. Es ist schon komisch, dass sie sich so verbunden zu dir fühlt, obwohl du die ganze Zeit nur im Koma liegst. Muss ein guter erster Eindruck gewesen sein“, sagte er und sah hinüber zu dem schlafenden jungen Mann. Besonders sah er für ihn nicht gerade aus. Das rötliche Haar war eindeutig etwas Unübliches und Kenma wusste von Kuroo, dass man einer Haarfarbe besonders zugeneigt sein konnte. Kuroo mochte zum Beispiel helle Haare gerne, was er ihm erst gesagt hat, als Kenma seine während dem Studium blondieren hat lassen. Dass er allerdings auch mal bei Eri hatte landen wollen, deutete darauf hin, dass das mit der Haarfarbe nicht so ein starkes Kriterium sein konnte.

Ob es die Augen waren? Kenma hatte die von Kawanishi nie gesehen. Aber er hat sich selbst schon einmal in einem Paar Augen so verloren, dass ihm anders wurde. Dazu kam aber auch ein Lächeln, das seine Welt auf den Kopf gestellt hat und so fand er sich nun in der Realisierung, dass er seine freie Zeit vielleicht auch an Iizunas Bett verbracht hätte.

Iizuna, dessen Nummer noch immer nur auf einem Stück Papier stand, das irgendwo in seinem Spind lag und dort seine Ewigkeit erleben zu dürfen schien.

Kenma seufzte. Okay. Er verstand Yachi nun ein Stückchen mehr. Sich selbst aber etwas weniger. Denn so etwas war ihm noch nie passiert.
 

„Wenn du dann irgendwann aufwachst, nenn sie doch Hitoka. Ihr ist mal dein Vorname rausgerutscht und ich glaube, es würde ihr gut tun. Vermutlich aber hörst du kein einziges unserer Worte. Also hören tust du sie bestimmt, aber du verstehst sie nicht. Nur die Schwingungen sind da. Deswegen hat Teru gesagt, ich soll lächeln, wenn ich mit dir spreche, weil man das spürt. Aber mir tuts leid, ich lächle nicht. Das ist nicht so mein Ding, also musst du mit der Spielmusik leben“, sprach Kenma weiter und hoffte wirklich instendig, dass Kawanishi das tun würde: Leben.
 

Leben sollte auch Kaede, denn nicht allen war dies gegönnt. Das wurde Kenma bei einer Operation mit Dr. Sakusa noch einmal mehr aufgetischt. Sein Mentor war wie ausgetauscht. Zwar war der Neurochirurg nie ein Sonnenschein gewesen, der sein Herz auf der Zunge trug – das war etwas, das Kenma ja sehr an ihm schätzte – aber seit Atsumu gestorben ist, war Dr. Sakusa noch mehr in sich gekehrt. Er sagte bei den Operationen nur das Nötigste und übernahm sofort, wenn Kenma zu hadern drohte.
 

Es herrschte eine Eiseskälte im Operationssaal, mehr als sonst schon, weil es dort nie besonders warm sein sollte. Zwischen 19 und 26 Grad Celsius herrschten üblicherweise in einem Operationssaal und Dr. Sakusa bestand immer auf die niedrigste Einstellung, da sich Keime bei Wärme verbreiteten. Für ihn galt somit: Je kühler, desto besser.

Für Kenma war es genau richtig, weil er lange Ärmel unter dem Chirurgengewand trug und es nicht gerne mochte, wenn es zu warm war. Aber die kalte Stimmung erschütterte ihn. Auch die anderen im Raum und vermutlich sogar die Beobachter in der Galerie schienen es zu merken und zu spüren, denn es war totenstill. Da konnte sich Kenma nicht einmal richtig freuen, dass er nach dem Öffnen des Patienten (Kengo Nanasawa, 24 Jahre alt, hatte neurologische Beschwerden, die auf einen auf das Rückenmark drückenden Tumors zurückzuführen waren) nun auch die ersten Gewebestränge schneiden durfte, die zur Herausnahme des Tumors abzutrennen waren.

Nur einen Moment des Überlegens hat er sich genommen um bestmöglich weiter zuschneiden, da hat ihn Dr. Sakusa gebeten, zur Seite zu gehen.
 

„Dr. Sakusa, sind Sie nicht etwas überstreng? Dr. Kozume hat sicherlich nur den Winkel neu überdacht“, hat sich Dr. Irihata, der Chefarzt der gesamten Chirurgie, eingemischt, weil der Neurospezialist nach seiner Rückkehr noch unter Beobachtung stand.

„Haben Sie das auch bei Dr. Romero hinterfragt, bevor Atsumus Herz versagt hat?“, entgegnete Dr. Sakusa. Er hat dafür nicht einmal die Augen von der Stelle genommen, wo er das Skalpell als nächstes anzusetzen hatte und beendete darauf den Eingriff, ohne weiter ein Wort zu sagen.

„Ich erwarte Sie danach in meinem Büro, Dr. Sakusa“, kam es wie zu erwarten happig von Dr. Irihata. Der Abteilungschef hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wartete.
 

Kenma ging die Antwort noch einmal durch den Kopf. Der Verlust von Atsumu hat seinem Mentor noch so viel mehr genommen. Das Vertrauen in sich selbst wohl und auch das in seine Kollegen. Vor allem das in seine Kollegen. Dr. Romero kam als Landesweiter Spezialist zwar gut drum herum, aber Dr. Suna, eigentlich Dr. Sakusas guter Freund, spürte die Stimmung des Oberarztes fast täglich. Wie hatte Dr. Matsukawa gesagt? “Die Toten nehmen immer was von uns mit und es ist oft unsere Contenance“ Die Beherrschung hat Dr. Sakusa wieder gefunden, aber er hat seine Menschlichkeit abgegeben.
 

Nach Operationen war es für Dr. Sakusa eigentlich üblich, als Erster zu gehen und als Erster die Hände zu waschen, während Kenma immer der Letzte war, weil er dann seine Ruhe hatte. Aber diesmal ließ sich auch der Chefarzt Zeit und so stand Kenma nun neben ihm. Nur das Wasser schlug geräuschvoll in der Blechwanne auf. Die Seife wurde abgelegt, neu aufgenommen, wieder abgelegt. Ein Paar Hände war bereits ganz rot.
 

„Dr. Sakusa?“, fragte Kenma und drehte auf seiner Seite den Wasserhahn ab.

„Atsumu ist tot“, sagte der Chefarzt abwesend und ließ die Hände kraftlos sinken. Seine Stimme war schwach und klang ungläubig. „Atsumu ist tot“, wiederholte er etwas fester, als sagte er es sich selbst. Das Stück Seife fiel ihm aus den Fingern und kam mit einem dumpfen Aufprall im Waschbecken auf. Kenma setzte zum Reden an, aber blieb stumm, denn er wusste nicht, was er sagen sollten. Jedes Wort hätte sich falsch angefühlt. Selbst zu atmen wirkte, als wäre es zu viel. Der Raum war bereits wie voll.

„Atsumu ist tot.“ Ein letztes Mal. Diesmal sehr bestimmend und als kam es gerade erst bewusst an. Unweigerlich. Dr. Sakusa drehte das Wasser ab und wandte sein Gesicht zu Kenma. „Es ist, als hätte man mir das Herz herausgerissen“, sagte er. Seine Finger tippten nervös über das Blech. Dann nahm er die Seife hoch, wandte den Blick ins Becken und drehte das Wasser wieder auf ums sich ein letztes Mal die Hände zu waschen.
 

„Kann ich… etwas für Sie tun?“, fragte Kenma mehr aus Höflichkeit, denn er hätte nicht gewusst, was er wirklich hätte machen können. Außerdem fühlte er sich unwohl in die Situation. Dr. Sakusa schüttelte den Kopf. Seine Augen waren glasig, aber er zwang sich zu einem Lächeln, was ihm nur im Ansatz gelang. „Nein“, sagte er und ging.
 

***
 

„Nein“, hat Kenma im Laufe der Woche auch zu Terushima gesagt, als der fragte, ob sie nicht eine Weihnachtsfeier in der WG haben konnten. „Nur ganz wenige?“ – „Gar niemand, wenn’s dir so wichtig ist, feier wo anders“, schlug Kenma den Wunsch ein zweites Mal ab.

„Aber ich will dich auch dabei haben“, sagte Terushima mit diesem schrecklichen Hundeblick, dem man nicht widerstehen konnte. Selbst für Kenma war es schwer, der Hunde doch eigentlich gar nicht mochte. „Warum?“, fragte er und verzog das Gesicht dabei.

„Weil man Weihnachten mit seinen Liebsten feiert“ – Kenmas Gesichtsmuskeln verzogen sich weiter in eine schier von Unverständnis geprägte Grimasse. „Hast du keine Familie?“, fragte er und merkte in dem Moment, dass er rein gar nichts über seinen Kollegen wusste. Allgemein: Er wusste außer über Kuroo über niemanden mehr als das Notwendige und das Notwendige war eventuell der Name und wichtiger, ob man ihm seinen Platz als Dr. Sakusas Lieblingsassistenzarzt streitig machen konnte – denn ja, das war er in der Zwischenzeit allemal. Niemand durfte dem Oberarzt so oft assistieren wie Kenma, da war es ihm auch nebensächlich, dass Shirabu bei Chefarzt Nekomata diesen Rang bekleidete. Er fand Dr. Sakusa sowieso besser, genialer und er war ihm ähnlicher. Nun ja, bis zu dem Moment, wo er sich von Atsumus Verlust so auffressen hat lassen.
 

„Pff… meine Schwestern sind in Europa und Amerika, mit meinem Vater sprech ich nicht und meine Mom ist nicht mehr. Also seid ihr das Nächste, was ich zu einer Familie hab“, erklärte Terushima und Kenma seufzte. „Wir? Kuroo und ich?“, fragte er und erhielt ein wildes Kopfschütteln. „Nicht nur, auch die anderen, Yamaguchi zum Beispiel und natürlich Kaede“, sagte er mit einem freudigen Lächeln.

„Warum feierst du dann nicht im Krankenhaus? Kaede kommt hier doch eh nicht weg.“ Kenma meinte es gar nicht böse, es war einfach eine Tatsache. Für Kaede bedeutete das Näherkommen von Weihnachten danach noch einen letzten Monat hier im Krankenhaus zu verbringen, ehe sie nach Hause durfte.
 

„Wie geht es ihr eigentlich?“, fragte Kenma, obwohl es ihn nicht recht interessierte, aber er wollte das Thema wechseln, bevor Terushima wilde Überlegungen über eine Krankenhausparty machen konnte. Da hätte er in jedem Fall gepasst.

„Kaede? Naja… Mal so, mal so. Sie kommt richtig schwer mit der Situation zurecht. Die letzte Woche war alles andere als leicht. Wir haben viel gesprochen und es tut mir so weh, sie so zu sehen. Willst du sie nicht auch einmal besuchen? Ihr habt euch doch ganz gut verstanden, oder?“ Terushimas Mimik nahm etwas an, das sie selten hatte. Der blonde Assistenzarzt war noch nie traurig oder bedrückt gewesen. Zumindest hat er es nie gezeigt. Nicht einmal die Information, dass seine Mutter bereits gestorben war und er im Grunde kaum Kontakt zu seiner Familie hatte, hat ihn so betroffen gemacht wie Kaedes Zustand und Situation.

Kenma schüttelte den Kopf. „Nein, ich will sie nicht sehen“, sagte er und wandte den Blick ab. „Warum nicht?“ Terushima verstand die knappe Geste nicht. „Weil sie das Leben mit Füßen tritt“, platzte es dann aus Kenma heraus. Der Blickkontakt wurde wieder aufgenommen und nun war in Kenmas Gesicht etwas zu sehen, was da selten herrschte: Wut und Zorn.
 

„Wie kommst du denn jetzt darauf? Hast du ne Ahnung, was sie durchgemacht hat?“, fragte Terushima, darauf hatte Kenma sofort etwas zu erwidern. „Ja, hab ich. Ich war dabei! Ich war dabei, als sie hier rein kam. Ich war dabei, als Schwester Kaori ihr die kalte Schulter gezeigt hat und ich war dabei, als du wegen ihr auf die Straße gelaufen bist. Aber ich war auch dabei, als Dr. Sakusa zusammengebrochen ist, weil Atsumu das Leben verloren hat. Das Leben, das Kaede noch hat und in dem sie mit dieser Aktion auf Atsumu herum springt und auf jedem anderen. Sie schätzt das Leben nicht und ihr wurde es geschenkt, während es anderen genommen wird. Ich kapier das nicht!“ Er zitterte am ganzen Körper. Das würde er nie verstehen, warum ein Mensch die Entscheidung traf, sich das Leben zu nehmen. Niemals. Aber auch Terushima begann nun zu beben.
 

„Ja! Und du kannst gehen! Du kannst dich alleine waschen und alles, was du willst. Keade muss sich von einer Frau herumschubsen lassen, die sie nicht leiden kann und die sie auch nicht mag und dann ist da Dr. Iwaizumi und was da mit Schwester Kaori ist… war… wie auch immer und sie sieht uns alle rumlaufen und da fällt es mir auch schwer, vor ihr nicht zu springen, weil ich bei einer coolen OP assistieren darf, aber du denkst einfach nicht so weit, dass wir ihr alle vorzeigen, was sie nicht mehr kann. Für dich ist es selbstverständlich, dass du alles tun kannst, was du willst, nur dass du eben nicht viel willst und das ist dein Problem. Aber Keade will das und in Wirklichkeit springst du auf ihr herum”, blaffte Terushima Kenma an, dass dieser einen Schritt zurückging. „Du solltest nicht über andere urteilen, wenn du keinen Plan hast, was eigentlich abgeht!“ Terushima ging den Schritt nach. Er war wütend, weil Kenma absolut keine Empathie an den Tag legte.

„Ich versteh ja, dass dir das mit Atsumu irgendwie nahe geht, tuts mir doch auch. Mann, der Kerl war super cool und er hats echt nicht verdient, zu sterben, aber so ist das Leben nun einmal. Da kann man nichts machen und man darf es nicht an anderen auslassen. Man kann es sich nur zu Herzen nehmen und selbst die besten Entscheidungen treffen, mit dem was wir lernen und was uns gegönnt ist und glaub mir, Kaede weiß, dass sie noch eine Chance bekommen hat und sie wird das rumdrehen und sie wird das toll machen und wenn sie hier raus darf, wirst du noch Augen machen und dich vor ihr verneigen, weil ich ihr helfe! Und Dr. Iwaizumi, und du kannst ihr auch helfen, indem du da bist, verdammt. Sei da!“
 

Und dann war Kenma da. Irgendwie. Es hat ihn überrascht, wie Terushima mit ihm gesprochen hat und wie erwachsen er geworden ist, seit Kaede hier war. Wie viel erwachsener er war, seit ihrem Selbstmordversuch. Er verstand es immer noch nicht, musste er auch nicht. Jeder Mensch traf in seinem Leben seine eigenen Entscheidungen und damit musste er umgehen. Kaedes Aktionen hatten keinen Einfluss auf Atsumu gehabt, hatte auch keinen auf Dr. Sakusa und somit seine Ausbildung. Nur auf sie und ihr direktes Umfeld. Auf Dr. Iwaizumi zum Beispiel, dessen Verhältnis zur Kaori sich gewendet hatte aber auch sehr auf Terushima, der seine Prioritäten anders setzte. Er war sogar eine halbe Stunde mit ihr bei seinem Motorrad am Parkplatz gesessen und hat darüber gesprochen, dass er im Frühjahr wieder fahren wollte. „Neues Jahr, neuer Yuuji, neue Kaede“

Das war zu Weihnachten.

Kenma hat sich verabschiedet, weil er nicht mit den anderen feiern wollte. Es waren einfach zu viele Menschen. Zuhause hatte er auch nicht gefeiert, weil Kuroo den Abend auf der Pädiatrie verbrachte.

„Ewig schade, dass Dr. Sawamura so eine große Familie und somit keine Zeit für ein Weihnachts-Date hat“, hat er schadenfroh gelacht und war mit Eierlikör aufgebrochen. Ob ihm klar war, dass Eierlikör nicht vegan war? Den Gedanken hat Kenma aber schnell wieder beiseite geschoben, weil er ihn nicht betraf. In der WG hat er eines Tages selbst für richtige Milch gesorgt, die nun ganz ihm gehörte, denn Terushima war irgendwie auf den Zug der Hafermilch angesprungen „Die schmeckt total geil im Abgang“, hat er gesagt und lobte damit genau das, was Kenma hasste.
 

***
 

Für den Jahreswechsel konnte er sich nicht mehr rausreden und so stand er nun neben Dr. Tendou, der einem Metronom gleich mit den Fingern von links nach rechts und wieder zurück wippte und dazu schnalzende Geräusche mit der Zunge machte. „Die Ersten kommen ab acht, das sind die Teenies, die das erste Mal mit Böllern spielen. Also die Dummen“, lachte er schräg. „Du wirst nicht glauben, was wir hier schon alles gesehen haben. Aber nichts, was wir nicht wieder richten könnten. Dafür ist Dr. Wakatoshi hier. Er muss oft richtig krasse Knochenbrüche bearbeiten und für den Feinschliff haben wir Dr. Toruu“, summte er vor sich hin und lobte damit auch die Expertise seiner Kollegen. Dass Dr. Tendou die meisten seiner Kollegen mit dem Vornamen ansprach, war für Kenma auch nichts Neues. Der Unfallchirurg mochte auch Spitznamen und hat für Kenma Kuroos Dr. KenKen übernommen und irgendwie störte es ihn nicht. Vermutlich, weil es keine Sonderbehandlung war und er damit nicht herausstach.
 

„Aber sag mal, Dr. KenKen, ihr habt doch auch Spitznamen, oder? Erzähl mir mal davon“, forderte Dr. Tendou und neigte seinen Kopf mit Schwung zu Kenma hinüber und auch etwas hinunter. Gruselig, wie Kenma immer wieder fand. Die Physik dieses Mannes sollte eigentlich nicht funktionieren. Und dieser Gedanke kam von ihm, der mit seiner PSP von Zeit zu Zeit Positionen auf der Couch oder auf seinem Bett einnahm, bei denen Kuroo etwas blass im Gesicht wurde und ihn in der Vergangenheit nicht nur einmal gefragt hat, ob er in Ordnung war oder Hilfe brauchte. Es hat irgendwann aufgehört und irgendwann hat es wieder angefangen, nur dass Terushima ihm diese Fragen stellte. Beim ersten Mal hat er nicht einmal ein Wort herausgebracht, es war nur ein erschrockener Ton. Dabei sollte ein Arzt doch wissen, was der menschliche Körper fähig war zu bewerkstelligen.

Tja und Dr. Tendous Körper zeigte Kenma ganz neue Grenzen auf.
 

„Die meisten kommen von Terushima“, erwiderte Kenma höflich ablehnend. Dr. Tendou lachte auf. „Oh, das ist Dr. Vollidiot nicht wahr? Von dem hab ich schon gehört. Scheint fest in der Scheiße zu stecken“, gluckste er. Kenma zog die Augenbrauen hoch. Auf die Frage hin, was gemeint war, schnalzte Dr. Tendous Kopf Haltung wieder in eine Aufrechte, ein bitterböses Grinsen blieb auf seinen Lippen. „Ach, ich würde dir nur den ganzen Spaß verderben“, sagte er und winkte ab. „Aber mach dich mal lieber nützlich und schau, ob der da noch lebt“ Mit einer scheuchenden Handgeste wurde Kenma zu einem der Betten geschickt, wo vor zehn Minuten der neue Kantinenbursche zusammengebrochen war, weil er sich mit dem neuen scharfen Küchenmesser so tief in die Handfläche geschnitten hat.
 

„Yamamoto?“, fragte Kenma. Eine Hand wurde aufs Handgelenkt gelegt, den Puls zu fühlen, der Hals hätte es auch getan, aber da fasste Kenma ungerne hin. Die Lider zuckten etwas, auch die Lippen wollten sich öffnen, etwas zu sagen.

„Lebt noch“, sagte er trocken und wandte sich ab. Der Puls war in Ordnung, auch die Farbe im Gesicht war wieder satter. Nichts zu befürchten außer der Langeweile, die aufkommen wollte, weil keine Operationen angesetzt waren und auch auf der Notaufnahme kaum Patientenverkehr war.

„Gut so, der geht nicht auf unsere Kappe“, kicherte Dr. Tendou über Kenmas Schulter hinweg, dass es diesen komplett verschreckte, dann ging sein Pager auch noch los und hätte ihn fast in Dr. Tendous Arme hüpfen lassen. Stattdessen aber schnellte seine Hand an das Gerät und führte es hoch, zu lesen.

Dr. Tendou wusste zwar um die Bedeutung von Privatsphäre, aber er handhabte es ganz ähnlich wie der Arzt, von dem der Notruf ausging.
 

911 im Orthotrakt
 

„Ach geh schon, hier läuft dir nichts weg, noch nicht, schon gar nicht der da“, schickte ihn der Oberarzt weiter und Kenma beeile sich, in den Trakt der Orthopädischen Chirurgie zu kommen.
 

Die wildesten Gedanken machten sich Raum in seinem Kopf. Allem voran stand natürlich das Unbehagen, dass er gerade in diese Abteilung gerufen wurde. Denn das alles andere als sein Fachgebiet. Er würde es nie wählen und er stand auch erst einmal neben Dr. Ushijima und hat ihm assistiert. Die Stunden in der Galerie, wenn Chefarzt Washijo operierte, konnte Kenma auf seinen zehn Fingern abzählen. Da bemühten sich andere Ärzte darum. Dr. Saeko zum Beispiel, die Stationsärztin. Aber sie war an diesem Abend nicht hier. Kenma hat sie mit einem kleinen brünetten Mädchen auf dem Arm nach draußen gehen gesehen. Das Kind konnte nicht älter als drei Jahre alt gewesen sein und hat die Schicht der Mutter – wie er vermutete – in der Kindertagesstätte des Krankenhauses verbracht. Er hat nicht viel Aufmerksamkeit darauf gelegt, aber ganz schön markante Augen hatte dieses Kind. Sie haben ihn an jemanden erinnert, doch das fehlende Interesse an Kindern und deren mutmaßlichen Eltern hat ihn den Gedanken verdrängen lassen.
 

Kenma fragte sich auch, warum Dr. Ushijima nicht gerufen wurde. Nun gut, vielleicht war der auch bereits am Weg. Im Lift traf er jedenfalls nicht auf den Schrank von einem Arzt.

Während die Etagenzahl höher kletterte, ging Kenma in Gedanken ihre aktuellen Ortho-Patienten durch. Da lag einerseits wieder einmal Hinata mit einer ausgekugelten Schulter, die einfach nicht mehr zurück poppen wollte und deswegen am ersten Nachmittag des neuen Jahres operativ korrigiert wurde – Kageyama aus der Gruppe von Dr. Iwaizumi hatte ein ungewohntes Interesse an der Operation bekundet und so sollte er dem Chefarzt gemeinsam mit Dr. Yaku zur Seite stehen. Da sollte nichts sein, außer jemand hätte ihm den Arm ausgerissen und das hielt er für unwahrscheinlich.

Auch von dem Meniskuspatienten erwartete er sich keine ausgefallene Situationsveränderung. Dann war da noch Dr. Nishinoyas Großvater, dessen neue Hüfte vor einer Woche durch eine Prothese ersetzt wurde. Zwar wirkte der alte Mann mit dem Aufwachen bereits so fit wie sein Enkel, doch er war dadurch auch ungeduldig und wollte die zehn Tage nicht abwarten, bis die Klammern und Fäden entfernt wurden. Am liebsten hätte er umgehend mit der Physiotherapie begonnen. Das lag auch sehr im Interesse der beiden Assistenzärzte Nishinoya und Tanaka, denn die hatte bereits eingerichtet, dass Opa Noya, wie Terushima ihn nannte, von Dr. Shimizu betreut wurde.
 

„Ich kann kaum erwarten, ihn zu ihr zu bringen, ich darf doch, oder?", hat sich Dr. Tanaka gefreut und sein Kumpel hat ihm das Selbstverständnis entgegengebracht.

Also war die Überlegung, ob dem Großväterchen etwas passiert war. Kenma hielt es aber für ausgeschlossen, dass dann gerade er gerufen wurde. Immerhin waren Dr. Nishinoya und Dr. Tanaka auf Bereitschaft und hatten ausdrücklich verlangt, dass sie gepaged wurden, wäre etwas mit dem Senior.
 

Und somit blieb nur noch Kaede und ein unwohles Gefühl übrig. Ein kalter Schauer lief Kenma über den Rücken, weil er seine Auseinandersetzung mit Terushima noch so deutlich vor sich hatte. Aus dem Aufzug ausgestiegen wurden seine Schritte schneller und er musste bei jedem einzelnen daran denken, dass Kaede ihn nicht machen konnte. Dass sie ihn darum beneidete und dass es für ihn eine Selbstverständlichkeit war, zwei gesunde Beine zu haben, die ihren Zweck und mehr erfüllten.
 

Als er aber am Ziel ankam, sah es absolut nicht nach Notfall aus. Am Ende des Ganges saß Kaede in ihrem Rollstuhl. Von Neid, Argwohn oder gar selbstvernichtenden Gedanken war für Kenma nichts zu sehen. Auch nicht als er näher kam und Terushima ihn mit einem breiten Lachen empfing.
 

„Yo! Kenma! Wir machen ein Rollstuhlrennen“, sagte der Assistenzarzt und ließ sich in dem Rollstuhl neben Kaede nieder. Kaede selbst saß aufrecht in ihrem. Sie hatte ein freundliches Lächeln auf den Lippen und strahlte eine ähnliche Energie aus wie Terushima.

Kenma musste gestehen, er erkannte sie kaum wieder. In ihren Augen war so viel Leben, wie er es noch nie bei ihr gesehen hat. Ihre Haut hatte eine gesunde Farbe und im Vergleich zu ihrem letzten Aufeinandertreffen hatte sie wieder etwas Fleisch an den Knochen und nicht nur Haut. Bei dem Anblick erkannte Kenma auch, dass Kaede zurecht noch eine Chance bekommen hatte. Er erkannte aber auch die Worte seines Kollegen wieder. Das Leben hat dieser jungen Frau so vieles genommen. Selbst die Lust zu leben, die Freude daran und hat sie zu einem so radikalen Schritt geführt. Ein Glück, dass sie die Vernunft in Dr. Iwaizumis Armen gefunden zu haben schien, als dieser sie von der Unfallstelle getragen hat.

Kaede hat endlich Hilfe angenommen.

Viel, wie es schien. Von dem Stationsarzt, Terushima, Dr. Ennoshita in der Physio und natürlich von ihrer Familie, die nach Terushimas Aussagen regelmäßig hier waren. Ein schöner Anblick, wie Kenma gestehen musste. Aber kein guter Ausblick!
 

„Ich mache sicher nicht bei einem Rollstuhlrennen mit“, sagte er laut und deutlich und drehte auch gleich wieder um. War ja klar, dass so ein Notruf von Terushima nur Blödsinn sein konnte.

Terushima sprang auch sogleich aus seinem Rollstuhl und lief Kenma die wenigen Schritte nach. „Hey“ Kenma spürte eine Hand an seinem Arm und einen sanften Ruck, der ihn zum Umdrehen zwang. „Du sollst doch nicht mitmachen, nur Schiedsrichter sein“, sagte Terushima und reichte ihm eine Trillerpfeife. Kenma sah von der einen Pfeife zur anderen und blieb in Terushimas aufgeregten Augen hängen. Im Hintergrund vernahm er weitere Schritte, konnte an ihnen regelrecht erkennen, dass auch Akaashi und Yamaguchi zu diesem Event eingeladen wurden.
 

„Und wozu hast du die beiden dann hier?“, fragte er ob des Offensichtlichen, dass er mehr als nur einen Schiedsrichterkandidaten hatte.

„Ich dachte nicht, dass du kommst“, nuschelte Terushima. Kenma schüttelte den Kopf. „Du hast einen Notfall gepaged. Natürlich komm ich da sofort“, sagte er und motivierte Terushima zu einem entzückten Seufzen.
 

„Ihr seid wirklich herzallerliebst, aber könnten wir uns nun bitte auf das Wesentliche konzentrieren?“, mischte sich Kaede ein, sie war mit dem Rollstuhl herangefahren und hatte nun einen erwartungsvollen Blick auf dem Gesicht.

„Sie hat recht. Zumindest stimme ich soweit zu, dass wir diese Sache schnell hinter uns bringen sollten, bevor wir Probleme bekommen“, sagte Akaashi, der die Situation wohl bereits soweit für sich abgeklärt hatte, dass ihm bewusst war: Widerstand war zwecklos und weder Terushima noch Kaede waren von ihren Plänen abzubringen. Yamaguchi hatte die Schultern hochgezogen, schon seit dem Moment, als ihm bewusst wurde, was sich abspielte.
 

„Kluger Mann“, sagte Terushima und deutete mit bestätigenden Fingerpistolen auf Akaashi, der daraufhin angespannt Luft ausstieß. Er bereute seine Entscheidungen, die ihn in diese Situation gebracht haben. Nun gut, bestimmt nicht jede einzelne, denn er hatte seinen Dienst heute mit Kageyama getauscht, um der unangenehmen Situation zu entkommen, sich entscheiden zu müssen, ob er Silvester mit Konoha oder mit Bokuto verbrachte. Er wusste allerdings nicht, dass Terushima heute auch hier war, denn eingeteilt war er nicht. Der war wohl wirklich nur wegen Kaede hier oder weil nun ja, weil seine Familie hier war.
 

Aber da standen sie jetzt. Drei von ihnen. Terushima und Kaede saßen in den Rollstühlen, bereit, das Rennen ihres Lebens zu fahren. Doch zuerst!

Kaede stieß Terushima mit dem Ellenbogen gegen den Oberarm. Der Blick, der folgte, war einer, der zu verstehen gab, dass sie noch etwas von ihm erwartete. Terushima stockte einen Moment, dann setzte er wieder sein verschmitztes Grinsen auf. „Und wer gibt mir jetzt nen Glückskuss? Kaede ist immerhin schon voll der Pro, da brauch ich ne Menge Glück“, sagte er und ließ seinen Blick von einem seiner Kollegen zum nächsten wandern. Kenma und Akaashi machten gleichzeitig einen Schritt zurück, um außer Reichweite zu stehen. Yamaguchi zuckte hoch. Aber Terushimas Augen nahmen ihn soweit gefangen, dass er es den beiden anderen nicht nachmachen konnte. Er wollte auch gar nicht und das war kaum zu verstecken.

Akaashi öffnete bereits den Mund, das Ganze zu beschleunigen, aber Kaede hob die Hand um ihn zur Geduld zu bitten, da beugte sich Yamaguchi auch schon zu Terushima hinunter, der in freudiger Erwartung die Augen schloss und die Lippen spitzte. Yamaguchi drückte ihm aber nur einen Kuss auf die Wange und hob sich ganz schnell wieder zurück. Mit hochrotem Kopf.
 

„Jetzt kann ich ja nur gewinnen“, jubelte Terushima und grinste nun Kaede an. Seine Wingwoman in dieser Operation.

„Gut, dann… Kenma? Du machst den Schiedsrichter vorne. Jemand muss das Startzeichen hier geben und dann rauschen wir an ihm vorbei“, teilte Terushima gleich ein. „Oh und sollte nicht jemand aufpassen, dass auch niemand kommt?“, fragte Yamaguchi nervös.
 

„Mensch Jungs, wenn ihr so weiter macht und herum diskutiert, was wir alles machen müssen, erwischt man uns bestimmt. Es ist fast so, als würde jemand Zeit schinden wollen, weil er Angst vor einer Niederlage hat“, unterstellte Kaede. Ihre Lippen zogen sich spottend zusammen und ihre Augen funkelten gefährlich. „Niemals! Ich hab keine Angst“, japste Terushima und winkte die drei weiter. Kenma schlenderte somit mit Yamaguchi zum anderen Ende des Ganges, während Akaashi bei den Teilnehmenden zurückblieb und ihnen die Regeln erklärte.

Er wollte bis drei zählen und dann “los” sagen. Es gab kein Ablenken, kein Reingreifen in das Momentum des Gegners, kein Austreten – das ging vor allem an Terushima – und sie sollten natürlich fair sein, wer auch immer gewann.
 

„Möge die bessere gewinnen“, jubelte Kaede und wartete aufgeregt wie auch Terushima auf das Startzeichen. Kenma stand bereits an seiner Position und Yamaguchi hatte den Seitengang im Blick.
 

Eins… Zwei… Drei… Los!“, sagte Akaashi mit leicht erhobener Stimme. Nicht viel lauter als sonst. Dafür preschten die beiden Rollstühle mit quietschenden und qualmenden Reifen los – zumindest in den Köpfen der beiden Rennfahrer. Kaede hatte von Anfang an die Zehenspitzen vorne. Ihre Fahrt war sauber, sehr geradlinig, während Terushima schon nach zwei passierten Zimmertüren so wirkte, als hätte ihn die Startkraft verlassen. Aber er ließ nicht locker, holte sogar auf, aber Kaede fuhr ihm mit einem herzhaften Lachen davon. Terushima konnte es zwar nur hören, aber Kenma sah im Gesicht seines Kollegen ganz genau, dass er des lauten Lachens wegen genau wusste, wie unbekümmert Kaede gerade in diesem Moment war.

Kenma machte einen Schritt zurück und zur Seite, um nicht jeden Moment Ziel von Terushimas Rollstuhl zu werden, der nicht annähernd so perfekt gerade fuhr wie der von Kaede und da stolperte er urplötzlich gegen etwas. Jemanden!. Ein Japsen war etwas weiter weg von Yamaguchi zu hören, aber die Stimme, die direkt hinter ihm ertönte, war eine andere. Eine feste und tiefe und eine, die noch vor dem ersten Wort dafür sorgte, dass die Bremsen quietschten.
 

„Sagt einmal habt ihr sie noch alle?“, grollte Dr. Iwaizumi über Kenma hinweg direkt an Terushima und Kaede, die beide ihre Köpfe einzogen und diesen Blick drauf hatten, den auch Kinder an den Tag legten, wenn sie etwas ausgefressen hat. Nun gut, die beiden hier waren ja auch nicht gerade Unschuldslämmchen. Anders als Kenma es eigentlich wäre, der sich ganz schnell an Dr. Iwaizumis an die Hüfte gestemmten Arm davon machen wollte. „Moment“, hielt ihn dieser am Arztkittel zurück. Yamaguchi stand schon bereit, seine Strafe aufzunehmen, auf der anderen Seite. Kenma verdrehte die Augen. Er wäre wohl der Einzige gewesen, der hätte fliehen können, denn auch Akaashi war vom Startpunkt langsam nachgegangen und stand nun ertappt in der Mitte des Ganges, den er nur an Dr. Iwaizumi vorbei verlassen konnte. Sich in einem Patientenzimmer zu verstecken, war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.
 

„Warum überrascht es mich nicht, dass ich Dr. Komoris Team hier beisammen habe, hmm?“, Dr. Iwaizumi seufzte. Enttäuscht sah er Kaede an, aber auch Akaashi. „Von Ihnen hätte ich mir sowas am wenigsten erwartet“, sagte er zu dem Arzt mit der Minimalmimik. Akaashi breitete seine offenen Handflächen vor sich aus und schob sie zur Seite.

„Tja, busted“, zischte Terushima leise. Beinahe so, als hätte er Akaashis Geste synchronisiert. „Das wird ne Menge Arbeit bedeuten. Keine Operationen nächste Woche, Klinikdienst und ihr macht den Papierkram von-“ aber Dr. Iwaizumi wurde unterbrochen. Kaede hat ihre Hand auf seinen Unterarm gelegt und seine Aufmerksamkeit umgehend auf sich gezogen. Kenma erkannte von der Seite die zuckenden Mundwinkel, als wolle er seine Strenge behalten, aber etwas an der Interaktion mit Kaede ließ diese schnell abbröckeln als wäre sie nur eine Fassade.

„Das ist alles meine Schuld. Es war meine Idee. Ich hab mir das gewünscht und Teru.. Dr. Terushima hat mir nur diesen Wunsch erfüllt. Die Jungs… Ärzte sollten dafür nicht bestraft werden. Sie haben nur für mein Strahlen gesorgt“, sagte sie und besänftigte damit den Stationsarzt. Dr. Iwaizumi atmete einmal tief ein und langsam wieder aus.
 

„Kaede…“, er seufzte und sah die anderen an. Kenma hielt das Intervenieren der Patientin für einen sehr guten Zug. Yamaguchi auf der anderen Seite war einem Ohnmachtsanfall nahe. Für ihn schien das Urteil bereits gefallen zu sein. Akaashi wartete ähnlich ruhig wie Kenma ab. Sie konnten gerade ja sowieso nichts tun. Wenn Kenma nun gesagt hätte, dass er nur da gewesen wäre, weil Terushima ihn gerufen hatte, dann hätte er seinen Kollegen und Mitbewohner unter die Räder geworfen. Aber nicht die von einem Rollstuhl. Akaashi war ebenso ein Ehrenmann. Mitgehangen, mitgefangen, egal wie tief man in der Sache drinnen war. Und wenn die vier eines gelernt hatten, dann dass sie ein Team waren und zusammenhalten sollten. Was sie nun auch taten. Nun gut, und sie ließen das Mädchen die Sache klären.
 

„Das war verantwortungslos. Keiner der vier hätte das unterstützen dürfen. Was, wenn etwas passiert wäre?“, fragte er. Sorge war in seiner Stimme zu hören, genauso wie die eigentliche Frage: “Was, wenn dir etwas passiert wäre“. Er hob auch hervor, dass aus den Zimmern Patienten hätten kommen können, ein Notfall eingerufen hätte werden können oder dass sich jemand verletzen hätte können. Im schlimmsten Fall eben Kaede. „Aber es ist nichts passiert“, sagte sie mit beruhigender Stimme und zog Dr. Iwaizumi am Arm etwas zur Seite. Sie verwickelte ihn in ein Gespräch und so nutzte es Terushima, aus dem Rollstuhl zu steigen und wie auch Akaashi an Dr. Iwaizumi vorbei zu schleichen. Die vier eilten sich nach einer knappen Verneigung zu Kaede, die auch nur diese sehen konnte, zum Lift.

„Ich werde Dr. Komori von Ihren Veranstaltungen unterrichten!“, rief ihnen der Stationsarzt nach, denn so leicht ließ er sich natürlich nicht ablenken und was er ausgesprochen hatte, war für ihn ebenso fixiert: Keine Operationen für eine Woche. Klinikdienst und die Dokumentationen für sein Team würden sie also übernehmen.
 

Während Terushima Yamaguchi wiederholt angelobt hatte, dass er das Rennen dank seinen Kuss gewonnen hätte – hätte er nicht – hat Kenma den Moment genutzt und sich mit Akaashi aus dem Staub gemacht.
 

„Und du traust dich Konoha nicht sagen, dass du auch mit Bokuto ausgehst?“, fragte Kenma, weil er der Tatsache, dass Akaashi die Schicht getauscht hatte, dennoch sehr überrascht war.
 

„Nein, so ist es nicht. Er weiß, dass ich ihn treffe und so, also nicht und so. Ich bin nicht wie Terushima. Aber nun ja, es sind keine einfachen Treffen. Bokuto ist so faszinierend. Er sprüht vor Lebensenergie und er reißt sogar auf der Straße jeden mit sich mit, wenn er erzählt. Die Blicke sind immer auf ihn gerichtet. Alle. Aber er schenkt seine Aufmerksamkeit nur mir und das ist richtig schön“, erzählte Akaashi mit einem zarten Hauch von rosa auf den Wangen.

„Hmm… Bokuto ist sehr einnehmend“, bestätigte Kenma, aber Akaashi schnaubte das mit einem sanften schmunzeln weg. „Er ist nicht nur einnehmend. Weißt du, er könnte jeden haben, jede. Aber er ist nur an mir interessiert.“ Akaashi schien es selbst nicht zu glauben.

Kenma besah ihn von der Seite. „Und Konoha?“

Darauf seufzte Akaashi angespannt. „Der hat gefühlt jeden gehabt…“ Kenma blinzelte irritiert und drehte den Kopf nun ganz zu Akaashi. „Wie meinst du das?“, fragte er und dann erzählte Akaashi von dem Gespräch, das man wohl in jeder Beziehung einmal hatte, das über die Verflossenen.
 

An dem Gerücht, dass in der Anästhesie alle etwas miteinander hatten – Kenma erinnerte sich an Shirabus Ausbruch vor ein paar Monaten – schien etwas dran zu sein. Denn Konoha hatte nicht nur etwas mit Semi gehabt, als sie im Haikyuu Medical Hospital angefangen haben, sondern auch mit einem Kollegen, der das Krankenhaus in der Zwischenzeit gewechselt hat. Von Dr. Romero wusste Kenma nach Akaashi Triade vor einiger Zeit bereits. Es schien ein Fling gewesen zu sein, der auf einem Wortwitz im Operationssaal folgte. Noch viel früher, während seinem Studium hatte er etwas mit einem älteren Studenten, der nun Kenmas Mentor war.

„Nicht dein ernst!“ So hatte es sogar Kenma wieder eine außergewöhnlich aussagende Mimik ins Gesicht getrieben. „Mhm… Dr. Sakusa ist nur einer der Vielen“, seufzte Akaashi und erzählte weiter, dass Konoha sich über irgendeine Trennung letztes Jahr mit Dr. Futakuchi getröstet hatte und auch, dass Dr. Romero einen Sohn hatte, der sehr an Konoha klebte, wenn dieser in der Stadt war. Was Akaashi dem Jungen nicht verübeln konnte. Konoha war wundervoll, er war sehr einfühlsam und liebevoll. Er hatte Humor und strahlte eine Ruhe aus, die sogar Akaashi voll einnahm. Somit war also auch Konoha sehr einnehmend, auf eine wundervolle sanfte Weise.
 

„Er hat sogar Washio von der Rettung rumgekriegt und der soll ziemlich hetero sein. Was ja kein Problem ist, er soll seinen Spaß gehabt haben, aber… naja…“ Akaashi verstummte. Seine Augen wurden traurig.

„Du fühlst dich nicht besonders?“, fragte Kenma, weil er an den Kuss mit Terushima dachte. Terushima, der von Konohas Liste auch was abhaken konnte. Akaashi schüttelte den Kopf. „Nein, er lässt mich sehr besonders fühlen, weil er, nun ja, mich eben noch nicht so rumgekriegt hat. Aber ich fühle mich so, als wäre ich ihm so weit hinten nach, verstehst du? Ich hab während der Schule gelernt und mich für Clubs engagiert und während dem Studium hab ich viele Zusatzcurricula genommen und hab bei Projekten mitgemacht, ich hatte keine Zeit für eine Beziehung oder viele Dates. Das blieb ziemlich auf der Strecke und manchmal hab ich das Gefühl, jeder hier sieht mir das an der Nasenspitze an“, nuschelte Akaashi immer mehr und sah Kenma schlussendlich gar nicht mehr an. Der zuckte dafür nur mit den Schultern.
 

„Ich seh das Problem nicht. Sowas ist nicht lebensnotwendig. Meinen ersten Kuss hatte ich auch erst vor kurzem mit Teru und auf einem Date war ich noch nie“, sagte er als wäre es etwas ganz Belangloses, doch da blieb sogar Akaashi überrascht stehen. „Teru? Wie in… Terushima unser Kollege?“, fragte er. Kenma blieb nun auch stehen und drehte sich zu Akaashi um. „Ja, war nichts Besonderes“, log er so ein bisschen, denn natürlich war sein erster Kuss etwas Besonderes. Er würde sich immer daran erinnern, selbst wenn es nicht geplant war und er keine Gefühle für Terushima hatte, eher für Yamaguchi und das waren Schuldgefühle.
 

„Und davor hattest du sowas nicht? Entschuldige bitte, wenn ich zu direkt bin“, fragte Akaashi und revidierte sofort wieder, aber Kenma wollte darauf eingehen. „Nein, naja… nur fast. Kuro hat mal, hmm… das war anders. Ich mag ihn sehr gerne und ich mochte ihn früher noch mehr, aber Kuro ist bei Beziehungen ähnlich wie Konoha. Er hat schon viel gesehen und mir wäre es recht, wenn ich das alles nicht sehen müsste. Wir hatten mal so einen Moment, aber ich bin ausgewichen, weil es sinnlos ist.“ Kenma war etwas über sich selbst überrascht, aber bei Akaashi fiel es ihm leicht, sowas auszusprechen. Vermutlich, weil er jetzt wusste, dass sie sich vielleicht gar nicht so unähnlich waren. „Also stehst du auf ihn?“ Kenma schüttelte den Kopf. „Nicht mehr, nicht so und ja, nicht mehr. Ich hab ihn lieber als meinen besten Freund. Das ist besser und schöner“, sagte Kenma bestimmt und sprach damit die absolute Wahrheit aus und dann gingen ihre beiden Pager los, die sie in die Notfallaufnahme riefen.

„Danke für das Gespräch, Kozume. Das hat mir geholfen“, sagte Akaashi. Kenma verstand zwar nicht wie, aber er war froh, dass er ihm diese Dinge nicht ganz sinnlos anvertraut hatte.
 

Unter dem Kommando von Dr. Tendou verarzteten sie eine Hand eines Teenagers, der sich, wie der Unfallchirurg vorhergesagt hat, mit einem Knallkörper verletzt hat. Platzwunden standen and er Tagesordnung genauso wie gesplitterte Finger, Verbrennungen an den unkonventionellsten Stellen sowie eine gebrochene Nase, weil ein Müllcontainer explodiert ist und ein großes Stück das Gesicht eines der Jungs mit viel Schwung getroffen hatte.

Die Hälfte konnten sie gleich verarzten, ein Teil ging weiter zu Dr. Oikawa und Dr. Ushijima hatte die Nase außerhalb seiner Zuständigkeit einfach mit einem gut gesetzten Ruck wieder gerade gesetzt und Kenma damit dazu getrieben, sich auf der Toilette Erleichterung zu suchen. Das war für diese Uhrzeit eine Spur zu viel gewesen.
 

***
 

Erleichterung suchte Mitte Januar auch Schwester Hana auf der Toilette und stand danach schwer atmend neben Inunaki, der mit einem Fall gekommen war, vor dem Kenma sich gerade nur so weit wie möglich entfernen wollte. Ein Sexunfall, mit dem er nichts zu tun und zu schaffen haben wollte. Deswegen wich er aus und kam in der Nähe der Schwester und dem Rettungssanitäter zum Stehen. Hinter einer Säule, dass ihn Dr. Ukai Junior nicht herbeirufen konnte.
 

„Seiji hat sich getrennt von mir. Die übliche Leia… Haben mal wieder gestritten, weil ihm meine Dienste nicht passen und er versteht nicht, dass ich meinen Job liebe, auch wenn er mich Tag ein Tag aus fordert. Er hat gesagt, ich soll mich entscheiden. Zwischen ihm und dem Krankenhaus und naja… Er hats mir wohl angesehen, dass ich mich fürs Krankenhaus entscheiden würde, aber ich hab ja nicht gedacht, dass er dann wirklich gleich Schluss machen würde. Hat er. Er ist auch mit so einem Notfallköfferchen abgehauen, als hätte er das schon geplant… Aber eigentlich glaube ich, dass er nur vorbereitet auf alles war… wie immer. Sehr vorausschauend und ich… ich bin auch abgehauen und hab mich volllaufen lassen, hab den Erstbesten genommen und ich weiß nicht mal, ob wir n Gummi verwendet haben. Das war im Oktober letztes Jahr“, erzählte Schwester Hana vom größten Fehltritt ihres Lebens.
 

„Im Oktober? Mensch, Hana! Wir haben Januar! Warum erfahre ich erst jetzt davon?“, fragte Inunaki aufgebracht und Hana schenkte ihm ein schiefes Lächeln. „Denk doch mal nach, wer letztes Jahr zu der Zeit auch seine Problemchen hatte, hm? Da wollte ich dich damit nicht auch noch belasten, aber keine Sorge, ich hab mit jemanden darüber gesprochen“, sagte die Oberschwester ruhig und Kenma dachte an den Tag, wo er Eri hat sagen hören, dass alles gut werden würde.
 

„Touché… Aber ehrlich, Hana, du hättest was sagen können“, nuschelte der Sanitäter herum. „Ich weiß, trotzdem.“ Hana schenkte ihm einen aufmunternden Blick, als wäre er nun derjenige, der Trost brauchte, dabei schien dieser seit seiner Trennung regelrecht aufzublühen wie eine Zimmerpflanze, die endlich ihren richtigen Platz mit den passenden Bedingungen gefunden hatte.
 

„Und… wer war der Kerl? Kennt man ihn?“, fragte Inunaki neugierig nach. Hana seufzte langezogen. „Dr. Unverantwortlich oder wie sie den Vollidioten nennen“, sagte sie. Kenma klappte der Mund auf. Er kannte zwar niemanden, den Terushima Dr. Unverantwortlich nannte, auch sonst keiner von ihnen, aber er kannte jemanden, der ein Vollidiot war.
 

***
 

Kenma hat Terushima nicht auf das belauschte Gespräch angesprochen. Ein guter Monat war seitdem vergangen und auch Hanai hatte wohl noch keine Anstalten gemacht, dem Assistenzarzt von ihrer Misere zu erzählen, denn der hat ihm vor ein paar Tagen vollkommen außer sich vor Freude erzählt, dass Yamaguchi zu einem Date zugesagt hatte. Zu einem Richtigen. Mit Essen gehen, Wein trinken und einem Spaziergang im Anschluss. So wie man das aus Film und Serie kannte. So, wie Terushima es normalerweise nicht machte und genau deswegen war Kenma der Überzeugung, dass er recht gehabt hat. Auch Kaede hatte Recht behalten, denn sie hatte Terushima nicht nur einmal übertragen dazu getreten, endlich um dieses Date zu fragen. Selbst bei ihrer Entlassung im Januar war ein Teil ihrer letzten Worte an Terushima in diese Richtung gegangen.
 

Und dann geschah für Kenma etwas Unvorhergesehenes. Etwas schier Unmögliches gar. Er fand sich in einer Situation, wo auch er bald von einem Date sprechen konnte, denn er hatte einen vollends freien Tag vor sich. Keine Schicht, kein neues Spiel, keine Verabredung mit seinen Eltern und keine Unternehmung mit Kuroo.
 

“Dann gehen Sie bitte mit mir aus, wenn Sie mal Zeit haben“
 

Iizunas Worte an dessen letzten Tag im Krankenhaus hallten in seinem Kopf wieder. Es war schon sehr lange her, aber so ganz hat sich der Patient nicht aus seinen Gedanken verbannen lassen. Immer wieder hier und da war Kenma abgeschweift oder Terushima hat ihn darauf angesprochen oder der Zettel mit der Handynummer war ihm aus dem Spind gefallen. Irgendwann hat er ihn zerknüllt und zurückgeworfen. Nie hatte er sie eingespeichert und so suchte er nun aufgebracht nach diesem Zettel, wurde das Gefühl aber nicht los, dass er sich zu lange Zeit gelassen hatte und dass der Zettel einfach weg war. Dass er verloren gegangen war, an diesem Dreizehnten Februar.
 

“Wärst du ne Frau, würd ich dich fragen, ob du zu spät bist und nen Schwangerschaftstest suchst, aber da dem ja nicht so ist… was suchst du bitte?”, fragte Terushima plötzlich neben ihm. Für einen Augenblick war Kenma starr vor Schreck, kramte dann aber weiter.

“Iizunas Nummer”, sagte er und schob dabei alles aus seinem Spind hervor. Terushima fiel dabei ein schwarzes Schächtelchen ganz deutlich auf.

“Und du setzt direkt alles auf eine Karte?”, fragte er und hielt Kenma diese Schachtel hin. Der verstand aber nicht, weil seine Aufmerksamkeit in den Tiefen des eigentlich gar nicht so geräumigen Schränkchens versank. “Was?”, fragte er nur und fischte leider nur eine alte Quittung hervor. Von dieser fiel sein Blick auf die Schachtel. “Hey! Der gehört Dr. Sakusa”, sagte Kenma, nahm ihm die Box rasch ab. “Wie bitte?”, empörte sich Terushima und sah Kenma mit einem berechtigt verwirrten Blick “Er hat ihn mir gegeben”, klärte ihn Kenma auf. Nicht ausreichend, den geweiteten Augen. “Und du trägst ihn nicht? Hast du ja gesagt? Und… hast du jetzt was mit beiden?”
 

“Was? Nein! Ich hab mir gar niemandem was. Er hat ihn mir doch nicht deswegen gegeben!”, sagte Kenma und begann ihn dann endlich entsprechend aufzuklären.
 

“Wow… sag das doch gleich, ich dachte hier schon, ich muss mich drauf vorbereiten, Trauzeuge zu werden. Wär schon n bisschen akward, nachdem ich den einen Bräutigam geküsst habe und den anderen… nun ja, reden wir nicht darüber”, Terushima wurde gegen Ende hin etwas nervöser. Nicht, dass es Kenma interessierte, was damals im Bereitschaftsraum passiert war.

“Was lässt dich glauben, dass du Trauzeuge wärst? Ist das zwischen dir und Dr. Sakusa wieder besser?”, fragte Kenma, weil für ihn außer Frage stand, dass Terushima gemeint haben könnte, sein Trauzeuge zu sein. Das wäre in jedem Universum Kuroo gewesen. Außer natürlich in einem, in dem Kenma vor Jahren auf Kuroos Avancen eingegangen wäre und sie sich ineinander verliebt hätten und Kuroo diesen Schritt mit ihm hätte gehen wollen. Aber in diesem Universum waren sie nicht. Der Ring wurde in der Schachtel wieder zurück in den Spind gestellt, wo Kenma direkt wieder auf Tauch- und Suchgang ging.
 

Sie waren in dem Universum, in dem Kenma verzweifelt nach einer Nummer von einem Mann suchte, der ihm mit seinem schönen Lächeln den Kopf verdreht hat.

„Ehehe… ne, ist nicht so pralle, aber zum Glück will ich mich ja nicht in Neuro spezialisieren“, winkte Terushima ab und lehnte sich über Kenma in den Spind hinein. „Suchst du das da?“, fragte er und griff tatsächlich nach dem gesuchten Gut.

„Teru! Du hast es gefunden! Danke!“ Der Zettel war schnell aus den Fingern des Anderen geschnappt, wie auch der Schrank versperrt wurde und Kenma mit seinem Handy nach draußen eilte. Terushima blieb zurück.
 

Tuuuut~

Klick klack

„Sie haben die Mailbox der Nummer-”

Tut Tut Tut
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich sollte das hier ein OneShot werden... eigentlich... wie es aussieht, dürft ihr euch aber noch länger an meinem niegelnagelneuen Hospital AU erfreuen. Meinem AU... von mir... wo ich AUs doch eigentlich gar nicht mag :D

Es wird so viele Gastauftritte geben und hoffentlich viele coole Nebenrollen von ganz wichtigen Haikyuu-Charakteren, dass ich sehr hoffe, viele hiermit erfreuen zu können. Sagt mir gerne, was ihr von meinem ersten Kapitel haltet, teilt mir auch gerne eure Erwartungen oder Wünsche mit, vielleicht kann ich ja was davon erfüllen ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Gut... ich bin geständig: Ich wusste bis zum Schluss selbst nicht so recht, ob wir nen Herzschlag bekommen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kennt ihr schon eines meiner Lieblings-RarePairs? Iizuna und Kenma sind mir sooo ans Herz gewachsen, dass sie hier so nicht fehlen dürfen. Ich hab noch einige Pläne mit ihnen, auch wenn ich noch ganz andere Pläne habe, aber alles zu seiner Zeit. Erst einmal etwas Liebe für IzuKen <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, hier muss ich vielleicht nochmal kurz zusammenfassen, wen ich alles im Schnellverfahren vorgestellt habe:

Meian, Chefarzt plastische Chirurgie
Oikawa, Oberarzt plastische Chirurgie
Erwähnt: Ukai Sen., Chefarzt Orthopädie
Ushijima, Oberarzt Orthopädie
Saeko: Stationsärztin, Spezialgebiet Orthopädie
Ukai jun., Chefarzt Unfallchirurgie
Tendou, Oberarzt Unfallchirurgie
Nishinoya und Tanaka: Assistenzärzte im zweiten Jahr
Hana Misaki, Oberschwester
Kaori, Krankenschwester

Sanitäter: Kanoka, Washio, Inunaki und Hirugami, wobei Hirugami nicht namentlich genannt wurde
Feuerwehr: Gao, Hoshiumi und Maiko, auch Maiko wurde nicht namentlich genannt

Patienten:
Mai Nametsu, die mit den Verbrennungen
Kawanishi, der ins Koma fällt
Keade Sato, die Motorradfahrerin mit dem Seitenspiegel in der Hüfte: ein ganz wundervoller OC der lieben Jo, wenn ihr offen für OCs sein, möchte ich euch ihre Geschichte Iwaizumi-Hajime-Fly wärmstens ans Herz legen. Und wenn ihr nicht offen für OCs seid: Ich bin das auch nicht so, aber sie hat mich wirklich überzeugt, wie noch ein anderer OC, den ihr im Laufe dieser Geschichte noch bei mir kennenlernen werden, aber dazu mehr zu entsprechender Stelle in der Zukunft.

Es gab dann noch ein paar ungenannte Opfer/Patienten sowie den Fahrer des Mercedes und seine Beifahrerin oder der Kerl mit dem explodierenden Verdampfer, das sind keine Hints auf existierende Charaktere und sie werden auch nicht wieder vorkommen – Wobei den ein oder anderen Mercedesfahrer wird’s vielleicht noch geben ;)

Im nächsten Kapitel plane ich Momente des Aufwachens, aber auch die des Einschlafens. Also seid bitte weiter gespannt, neugierig und mit dabei, wenn die Ärzte wieder fleißig Leben retten.

Bitte gönnt euch auch zur Ergänzung den Spin-Off von Suga-chan: To Stay Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und zum Schluss gibts noch eine Empfehlung von mir, die Sidestory von Suga-chan zu lesen: To Stay. Hierbei wird euch ein tieferer Einblick auf den Alltag der Sanitäter gewährt. Schwerpunkt liegt dabei auf Inunaki. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*) Ich liebe dieses Fanart und konnte es nicht nicht einbauen

Hand aufs Herz, wer hat bei Iizunas Worten, sie würden nach der OP darüber reden damit gerechnet, dass ich ihn bei der OP sterben lasse?
Und ja, da wären wir bei meiner persönlichen Sache, die ich Iizuna gegeben habe. Meinen verdammten Tumor aus dem Jahr 2019. Ihr hattet somit einen sehr tiefen Blick in mein Inneres, also auf meine Gefäße und meine Hals- und Kopfschlagader und das Stück, das man aus mir rausgeschnitten hat. Ich hab bei Iizunas Vorstellung bereits überlegt, ob ich direkt was dazu sage, wollte mich aber nicht wichtiger machen, als ich bin. Jetzt aber hab ich mich dazu entschieden, weil ich ja meinte, ich hätte nur Laienwissen was Medizin angeht – ist auch so – aber bei diesem Kack-Tumor kenn ich mich gut aus und deswegen kann ich hier auch sagen: Ja, so läuft das tatsächlich, da akzeptiere ich keine Kritik, den Rest könnt ihr wild auseinander nehmen ;)
Alle anderen OPs, die ich hier behandeln werde, sind nämlich reine Blitz-Recherche und auch sehr allgemein gehalten. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und ich lass euch nun mit der Gerüchteküche zurück :P

Falls ihr euch fragt, was Akaashi jetzt hier macht: Der wechselt dann gleich mit Yachi und den Jungs ab, weil er ein paar Nachtschichten hat. Kenma ist neidisch ;)

Wie findet ihr Dr. Romero?
Hier übrigens seine Playlist: Dr. Romeros OP-Playlist
Der letzte Song ist Konohas ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hey meine Lieben,

der Schluss dieses Kapitels hat mich selbst ein bisschen überrumpelt, aber auf eine ganz wundervolle Weise, weil ich gestehen muss, dass ich schon sehr lange mal ein TeruKen schreiben wollte und das wurde mir nun mehr oder weniger ermöglicht. Außerdem bringt es nun eine ganz besondere Spannung in die Gruppe und in die WG. Ich freu mich ja echt drauf, was daraus noch alles wird.

Ab jetzt, muss ich euch aber auch mal vorbereiten, hab ich keine Grenzen mehr. Alles kann passieren und wenn ich mir meine Kapitelplanung so anschaue: Alles wird passieren. Seid bitte auf alles eingestellt, erwartet vielleicht sogar das Schlimmste, aber bitte habt weiterhin eine gute Unterhaltung bei mir und sagt mir gerne, ob ihr das auch seid: Gut unterhalten. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich würde ja sagen, es tut mir leid, dass ich Atsumu hab sterben lassen. Aber wer mich gut kennt, weiß, dass er nicht zu meinen Lieblingen gehört. Somit, nein, es tut mir nicht leid. Vielleicht tut es mir leid, dass es ausgerechnet zu dieser besinnlichen Zeit sein musste, aber durch das eingeschobene Kapitel kam ich nun nicht drum rum.

Ihr fragt euch vielleicht, warum ich gerade diese Version von Chasing Cars gewählt habe und das kann ich euch zweifach begründen. Einerseits: ganz simpel, ich liebe Busted und war total geflasht, dass Charlie den Song auch gecovert hat. Ja und Anderseits hab ich bei ihm echt das Gefühl, dass er jeden Moment zerbricht, sich aber aufrappelt nur um nochmal dem Zerbrechen nahe zu sein und das passt so gut zu Sakusa in dem Moment. Ich mags zwar nicht, dass er den Mund nicht richtig aufmacht beim Singen, weil ja, das hört man total raus, aber dennoch, es hat für mich einfach am besten gepasst. Es gibt wunderschöne Versionen von Frauen gesungen, aber ich wollte einen Mann und auch, wenn ich die Version von Boyce Avenue liebe, die hier… ja, die passt einfach perfekt.

Wie fandet ihr den Einleiter in Verbindung mit dem Titel und der Handlung? Für mich vergeht kein Tag, an dem ich nicht um 10:42 auf die Uhr schaue und n bisschen Gänsehaut bekomme. Manchmal schüttelt es mich richtig, manchmal muss ich sogar lachen. Das 1042 Formular hat mich eine ganz schöne Weile im Beruf begleitet und „der Schrecken“ steckt immer noch ein bisschen in mir. Witzig oder? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich duck mich mal vor den fliegenden Gegenständen weg, weil ich mich hier mit einem massiven Cliffhänger verabschiede. Es tut mir wahnsinnig leid, aber Leute! Seht euch mal den Wordcount an, ich muss irgendwann nen Schnitt machen ^^‘
Außerdem hat sich wirklich einiges getan, wir sind über das ganze Kapitel vom Sommer auf Ende Herbst gesprungen. Ich will das mal auf euch wirken lassen, bevor wir da weiter machen, wo wir jetzt aufgehört haben.

Was sagt ihr zur allgemeinen Stimmung? Passt wohl recht gut in den Jänner, nicht? Sind die 4 ersten Schritte der Trauer gut rübergekommen? Nicht-wahrhaben-wollen? Zorn? Verhandeln? Depression? Sie sind nicht perfekt voneinander getrennt vorgekommen und haben sich auch ein bisschen ineinander verhangen und sind vielleicht auch wieder aufgekommen, aber ich wollte hier schon so ein bisschen das Thema spinnen. Hoffe, das ist halbwegs gelungen.
Zustimmung wird dann planmäßig das Thema für Kapitel 12.

Ach und… Können wir Suna bitte nicht mehr hassen? QQ Er konnte nicht TT_TT Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja… hier musste der ein oder andere noch ein bisschen was akzeptieren und was ihr, meine lieben Leserinnen und Leser, leider akzeptieren müsst, ist ein Cliffhänger und dass sich langsam aber doch das ein oder andere Kind im Krankenhaus tummelt. Wer hats geahnt? Also, dass es Kinder geben wird? Und wer hat vermutet, dass Terushima den Jackpot knackt?

Oh und was sagt ihr zu Eris Geschichte? Dem Grund, warum sie ihr Herz abhört und checkt, ob sie einen Herzschlag hört? Mir ging die Idee zu ihrer Hintergrundgeschichte schon ziemlich lange im Kopf herum, deswegen konnte ich das mit dem Abhorchen schon vorab einbauen und irgendwie finde ich, dass Eikichi Chigaya zumindest optisch ganz gut zu ihr passen könnte, denn ja, er ist halt schon ein krasser Nebencharakter, aber er kennt den Weg ;) Er war ja beim Trainingslager derjenige, der Kageyama den Weg gewiesen hat. Soviel konnte ich dann noch übernehmen.

So Charaktere für kleine Rollen zu finden, ist gar nicht leicht. Ich muss mir da auch echt gut überlegen, was ich mit denen dann noch mache. Ja gut, Chigaya ist leider ziemlich abgeschlossen, aber kommen wir einfach mal zu Hanas Ex-Freund, die musste ich zumindest kurzfristig an die Seite des ehemaligen Johzenji Kapitän haften nur um dann das absolute Chaos auszulösen. Ob er nochmal wieder kommt? Mit nem richtigen Auftritt? Lasst euch überraschen ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Ryuzaki
2023-06-30T13:50:32+00:00 30.06.2023 15:50
Tjaja, knappe Kiste. Armer Akaashi ú_ù da wäre jeder völlig fertig.
Antwort von:  Hypsilon
30.06.2023 16:02
Ganz knapp an der Kiste vorbei 😬
Von:  Ookami-Inu_Ruffy
2023-05-30T21:21:20+00:00 30.05.2023 23:21
Aaaaargh
Bokuto~~~ QQ
Viel zu spannend zum Schluss
Antwort von:  Hypsilon
31.05.2023 07:03
Soll ja nicht zu easy sein ;)
Von:  Ryuzaki
2023-04-30T18:01:28+00:00 30.04.2023 20:01
Me likey.
Ich liebe ja Krankenhaus-Settings, da lässt sich so viel damit anstellen. Les ich immer gerne. Dementsprechend :) auf auf und weiter gehts. (Sage ich unschuldig, obwohl ich ja deinen Zeoitplan kenne, hehe.)
Antwort von:  Hypsilon
30.04.2023 20:05
<3
viel zu viel xD
Vielen Dank fürs Sporen geben. Kapitel 2 is in progress. 4 Stunden werd ich mich damit noch beschäftigen, dann - you know - mein Zeitplan =)


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