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Säuselstimme, Silberblick und Liebreiz

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich beziehe mich bei der Darstellung der Charaktere auf die Spiele, Pokémon Masters EX und Interpretationen von Fans sowie eigenen Vorstellungen (der Haupt-Anime mit Ash wird komplett ignoriert). ♥ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein kleines Extra, aus der Sicht von Platan. ♥
Ich empfehle, dieses Kapitel erst nach dem Epilog zu lesen.
Diese Szene findet während Kapitel 3: Bist du deswegen ein Fan von mir geworden? statt und zeigt den wahren Grund, wegen dem Platan sooo viel Zeit im Bad verbracht hat. >:3

... Die Tapeten bei Flordelis gefallen ihm natürlich trotzdem sehr gut. XD Komplett anzeigen

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Bonjour, meine Lieben

„Bonjour, meine Lieben~“, begrüßte die sanfte, melodische Stimme des Radiomoderators seine Zuschauer. „Herzlich Willkommen zu einer weiteren traumhaften Märchenstunde, mit mir, eurem Erzähler aus Leidenschaft.“

Flordelis nickte wie von selbst. Es war keine Übertreibung, dieser Mann liebte es, Geschichten zu erzählen. Das spiegelte sich immer deutlich in seiner lebendigen Erzählweise wider. Deshalb war es ungemein wohltuend ihm zuzuhören. Seine Leidenschaft riss jeden für diese eine Stunde aus der Realität und das half hervorragend dabei, sich von dem stressigen Alltag zu erholen. Eine magische Reise, die Flordelis außerdem daran erinnerte, nicht zu vergessen, sich auf die schönen Seiten dieser Welt zu besinnen.

Auf diese Art von Entspannung konnte und wollte er mittlerweile nicht mehr verzichten. Auch nicht an diesem Abend, mitten in der Woche, an dem er mit einem Glas Wein zu Hause im Wohnzimmer auf dem Sofa saß und über den Holo-Log seine liebste Radiosendung laufen ließ, auf die er sich nun voll und ganz konzentrierte. Dadurch nahm er alles andere um sich herum kaum noch wahr. Nur dank seinen Pokémon konnte er sich diese Nachlässigkeit überhaupt erlauben.

Garados hielt sich momentan im Garten auf, zusammen mit Wie-Shu, während Pyroleo es vorzog bei Flordelis am Sofa zu liegen. Kramshef war ebenfalls drinnen und behielt wie gewohnt seine Umgebung aufmerksam im Auge, um jederzeit als Anführer ein Machtwort sprechen zu können. Und sein schillerndes Durengard, der seine selbsternannte Rolle als Beschützer äußerst ernst nahm, schwebte wachsam nahe der Eingangstür hin und her.

„Mein Name ist Platan“, fuhr der Moderator beschwingt fort, „und mein Herz erblüht vor Freude darüber, dass ihr auch heute dabei seid, bei Sternschauer am Abend.“

Platan.

Dieser Name besaß inzwischen eine starke Anziehungskraft auf Flordelis. Schon seit langer Zeit rettete Platan mit dieser Radiosendung regelmäßig seinen Tag. Egal, wie anstrengend die Arbeit sein mochte oder wie sehr ihn das undankbare Verhalten der gierigen Menschen frustrierte, kaum hörte er die Stimme dieses Mannes, war auf einmal einfach alles gut. Sie berührte etwas tief in ihm, das er nicht benennen konnte.

Sobald er eine Märchenstunde verpasste, blieb er bis zur nächsten Sendung angespannt und sein Gesicht erschreckend finster, wodurch er sämtlichen Unlicht-Pokémon dieser Welt Konkurrenz machte. Daher achtete er nun darauf, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. An diesem Tag hatte er sogar ein Meeting vorzeitig verlassen, nur um rechtzeitig zu Hause zu sein und dieser Stimme in einer gemütlichen Atmosphäre lauschen zu können.

Möglicherweise war Flordelis ein wenig zu süchtig danach, aber er störte sich nicht daran – an sich vernachlässigte er seine Aufgaben deswegen nicht wirklich, denn morgen würde er die verlorene Zeit problemlos wieder reinholen, indem er früher zur Arbeit ging.

„Heute habe ich eine ganz besondere Geschichte für euch“, sagte Platan bedeutungsvoll, gefolgt von einem leisen Lachen. „So wie jeden Tag, nicht wahr? Ihr habt eben nur das Beste verdient.“

Ohne sich dessen bewusst zu sein, deuteten Flordelis' Lippen ein Lächeln an.

„Der Herbst steht vor der Tür, eine meiner liebsten Jahreszeiten~“, schwärmte Platan aufrichtig.

Sofort fragte Flordelis sich, ob Platan schon mal in der Palais-Allee war, wenn dort die königlichen Blätterdächer der akkurat aufgereihten Bäume in leidenschaftlichen Farben brannten. Ebenso leidenschaftlich wie dieser Mann mit seinen Geschichten.

„Passend dazu möchte ich euch von einem kleinen Mädchen erzählen“, sprach Platan weiter. „Auch sie liebte den Herbst über alles. Für sie war es jedes Jahr wie Zauberei, wenn die Bäume ihre Farben änderten, als wollten sie ihre wahren Gefühle endlich nach außen tragen. Eine schöne Vorstellung. Da stimmt ihr mir doch zu, oder? Diese Geschichte, die ihr nun hören werdet, soll sich vor vielen, vielen Jahren in Kalos ereignet haben ...“

So begann Platan zu erzählen und Flordelis hörte ihm interessiert zu, während er nebenbei seinen Wein trank.

Das Mädchen in der Geschichte litt an einer schweren Krankheit und durfte das Haus nicht mehr verlassen, was für sie kaum zu ertragen war, da sie sich in der Natur am wohlsten fühlte. Eines Tages schlich sie sich heimlich nach draußen und ging in den Wald, der sich neben ihrem Haus befand. Dort schloss sie Freundschaft mit einem Purmel, das sie zufällig traf und tapfer vor einem Vogel-Pokémon beschützte. Dieser Mut imponierte dem kleinen Pokémon sehr.

Platan vermittelte während des Erzählens sämtliche Gefühle derart überzeugend, als würde er sie selbst durchleben und vor allem verstehen. Eine beeindruckende Fähigkeit. Auf diese Weise fühlte man sich schnell mit den Figuren aus der Geschichte verbunden und litt selbst mit ihnen mit oder freute sich in den schönen Momenten für sie. All die Details, die Platan gerne hier und da zusätzlich erwähnte, um die Erzählung noch lebendiger zu machen, nahm Flordelis dankbar in sich auf.

Leider verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Mädchens drastisch und sie blieb ans Bett gebunden. So konnte sie das Purmel – sie war noch zu jung und durfte es nicht behalten – im Wald nicht mehr besuchen. Der Arzt bemühte sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln darum, sie zu retten, aber weil die Kleine mehr und mehr ihren Lebenswillen verlor, ohne die Nähe zur Natur, sah es nicht gut aus.

Schließlich wurde es Winter und sie verpasste somit den Herbst. Nun waren die Bäume nur noch kahle Skelette, Schatten ihrer selbst, und jedes kleine Fleckchen Grün wurde vom Frost gandenlos erstickt. Eine bildgewaltige Szene. Alles erschien hoffnungslos.

Bis das Purmel plötzlich vor ihrem Fenster auftauchte, allerdings hatte es sich in der Zwischenzeit zu einem Vivillon weiterentwickelt. Dennoch erkannte das Mädchen es wieder und zum ersten Mal seit unzähligen trostlosen Wochen kehrte das Leben in die Kleine zurück. Ihr gelang es aufzustehen und zum Fenster zu gehen, wo sie etwas sah, das ihr den Atem raubte.

Trotz der kalten Jahreszeit hatten sich hunderte weitere Vivillons an einem Baum in der Nähe versammelt. Ihre Flügel besaßen allesamt unterschiedliche Muster sowie Farben und erschufen dadurch die Illusion einer prächtigen, bunten Baumkrone. Davon war das Mädchen zutiefst gerührt, es konnte nicht aufhören zu weinen. Auch weil ihr Freund ihr mutmachend zunickte und ihr somit zu verstehen gab, nicht aufzugeben, damit sie in Zukunft noch mehr wunderschöne Dinge sehen könnte.

Tatsächlich half es ihr dabei, die Behandlung des Arztes mit neuer Entschlossenheit anzunehmen, denn sie wollte leben. Ihr Mut wurde belohnt. Im darauf folgenden Jahr war sie beinahe vollständig genesen und konnte im Herbst einen Spaziergang durch den Wald machen, zusammen mit dem Vivillon, das fortan nicht mehr von ihrer Seite wich. Die beiden hatten sich gegenseitig gerettet und waren nun unzertrennlich.

Als Platan am Ende der Geschichte ankam, seufzte er ergriffen. „Eine wundervolle Geschichte, nicht wahr?“

„Ja“, antwortete Flordelis ruhig, mit einer unbeschreiblichen Zufriedenheit im Herzen. „Wundervoll.“

„Falls auch jemand von euch gerade eine schwere Zeit durchmacht, dann erinnere dich an das, was du liebst. Was dir Freude bereitet. Was du gerne noch sehen willst. So lässt sich der schwere Alltag leichter bewältigen.“ Platan atmete kurz durch. „Ich würde an der Stelle gerne noch etwas weiter ausschweifen, aber ich befürchte, meine Sendezeit neigt sich dem Ende zu. Tut mir den Gefallen und genießt den Herbst. Denkt an das kleine tapfere Mädchen und ihr Vivillon, wenn ihr euch die farbenfrohen Bäume anschaut und tragt sie im Herzen. Ich hoffe, ich darf euch auch morgen alle wieder hier zu unserer gemütlichen Märchenstunde begrüßen.“

Wie immer war die Zeit viel zu schnell verflogen. Nach Platans Verabschiedung wurden nur noch einige aktuell beliebte Lieder abgespielt, für die Flordelis sich jedoch nicht interessierte und die Radiofunktion des Holo-Logs deswegen ausschaltete. Nachdem er auch den letzten Schluck Wein getrunken hatte, stellte er das Glas auf dem Tisch ab und lehnte sich mit einem lautlosen Seufzen zurück. Warum fühlte er sich jedes Mal so seltsam leer, sobald Platans Märchenstunde vorbei war?

Pyroleo hob den Kopf und legte ihn neben Flordelis auf dem Sofa ab, so dass dieser behutsam mit einer Hand über dessen Mähne streichen konnte.

„Es ist absurd, ich kenne diesen Mann nicht ...“, meinte er nachdenklich.

Darauf brummte Pyroleo leise.

Außer Platans Namen wusste Flordelis nichts über ihn. Nicht mal, wie er aussah. Alleine seine Stimme hatte ihn aber so sehr in den Bann gezogen, dass er ihn gerne kennenlernen würde, um herauszufinden, wie leidenschaftlich er wirklich war. Bedauerlicherweise erfüllte sich dieser Wunsch mit Sicherheit nicht. Ihm käme es falsch vor, einfach beim Sender nachzuhaken, wie man Platan privat erreichen könne – wahrscheinlich schreckte Flordelis ihn auf diese Weise sogar nur ab.

Auch wenn er in Kalos als Wissenschaftler und Wohltäter ein hohes Ansehen genoss, dürfte so ein Verhalten für einige unangenehme Gerüchte sorgen. Die Presse erschuf zu gerne schnell aus den kleinsten Auffälligkeiten die größten Skandale. Also musste er wohl oder übel darauf hoffen, Platan irgendwie zufällig zu begegnen. Genau wie er einst auch durch Zufall dessen Radiosendung entdeckt hatte und seitdem nicht mehr davon loskam.

Leider war es aber etwas anderes, zur richtigen Zeit schlicht den passenden Sender einzuschalten, als in einer riesigen Region wie Kalos zwischen all den Menschen und Pokémon vielleicht einer bestimmten Person zu begegnen. Diese Chance war schwindelerregend gering. Somit blieb ihm nur, weiterhin abends dieser zauberhaften Stimme zu lauschen.

Zauberhaft?

Nun übertrieb er es vielleicht ein bisschen. Flordelis musste ein wenig über sich selbst schmunzeln.

„Denkst du, meine Bemühungen, die Welt zu verbessern, erreichen auch Platan und haben sein Leben bereits positiv beeinflusst?“, fragte er, vielmehr sich selbst. „In dem Fall wären wir schon miteinander verbunden.“

Erneut brummte Pyroleo leise.

Auf jeden Fall hatte diese Sendung ihn wieder darin bestärkt, weiterhin alles zu tun, was in seiner Macht stand, um die Welt zu einem noch besseren Ort zu machen. Die Schönheit zu bewahren. Damit Menschen wie Platan, die auf ihre individuelle Art anderen etwas gaben, ihr Leben möglichst sorgenfrei genießen könnten.

Darf ich Sie etwas fragen?

Es war eine dieser Wochen, die Flordelis viel zu viele Nerven kostete. Ein Problem nach dem anderen türmte sich gnadenlos zu einem scheinbar unüberwindbaren Relaxo auf und ohne Pokéflöte war es nur schwer aus dem Weg zu räumen, wodurch mehrere Projekte ins Stocken oder gar in Stillstand gerieten. Obendrein die dunklen Abgründe der gierigen Menschen, die sich an Stellen zeigten, wo er es überhaupt nicht erwartet hatte …

Neue, wichtige Einzelteile für das Labor wurden einfach nicht geliefert, ohne jegliche Erklärung, deshalb konnte Flordelis nicht weiter an den Zusatzfunktionen für den Holo-Log arbeiten. Eine wohltätige Organisation, an der er eine großzügige Summe gespendet hatte, klagte nun darüber, es sei zu wenig, und bat hoffnungsvoll um mehr. Das Geld für eine Firma, mit der er bisher eigentlich nur gute Erfahrungen gemacht hatte, wurde, ohne seine Zustimmung, für etwas vollkommen anderes verwendet. Außerdem versuchten einige Geschäftspartner sein Interesse für die eine oder andere fragwürdige Erfindung zu gewinnen.

Und das war nur ein Teil von den Problemen, mit denen er sich leider in den letzten Tagen vermehrt herumplagen musste. Seine Nerven glichen inzwischen der Zündschnur eines Lektroballs. Jede weitere Kleinigkeit könnte eine heftige Explosion verursachen.

Aus dem Grund hatte Flordelis beschlossen, sich mittags eine lange Pause von dem ganzen Stress zu gönnen, bevor am Ende seine eigenen Mitarbeiter unter seiner schlechten Stimmung leiden müssten. Das wäre nicht förderlich und führte schlimmstenfalls nur zu weiteren Schwierigkeiten. Also war es wichtig, sich zwischendurch etwas zu entspannen – obwohl es eigentlich noch eine Menge zu tun gäbe und seine Anwesenheit in den meisten Fällen nötig wäre.

Dennoch ließ er sich von seinem persönlichen Fahrer mit dem Wagen zu einem seiner bevorzugten Cafés bringen. Natürlich hätte er sich auch bei seinem eigenen Bistro absetzen lassen können, doch die Gefahr war ihm zu groß, dort auch irgendeine Unstimmigkeit zu entdecken oder zu aufmerksam seine Angestellten bei der Arbeit zu beobachten, statt zur Ruhe zu kommen. Das Café Fleur prismatique bot ebenfalls besonders guten Kaffee an, einen der besten in ganz Illumina City. Genau das, was er jetzt dringend benötigte. Einen Seelenschmeichler.

Am Ziel angekommen bedankte Flordelis sich bei seinem Fahrer und stieg aus. Mit großen Schritten betrat er anschließend das Café, bei dessen Logo es sich um einen diamantförmigen Kristall handelte, aus dem Blütenblätter wuchsen. Dieser Laden glänzte mit bodenständiger Eleganz und einem natürlichen Charme, der zum Träumen einladen sollte. Eine Vielzahl an Blumen und Pflanzen begrüßten jeden Gast sofort mit ihren lebendigen Farben. Sie waren geschickt und gleichmäßig als dekorative Elemente verteilt, so dass man sich nicht davon erdrückt, aber angenehm inspiriert fühlte.

Neben Flordelis schätzten auch einige andere Leute aus gehobenen Kreisen dieses Café sehr, deswegen waren die Preise ein wenig höher als der Durchschnitt, aber durchaus noch gerecht. Jedenfalls hatte er das gehört, denn er musste sich in der Regel keine Gedanken um seine Finanzen machen und auch nicht zwingend darauf achten, wie viel er wo ausgab. Oft war es ihm nur aus persönlichen Gründen wichtig, nicht verschwenderisch mit dem Geld zu sein.

Zielstrebig schritt er an einen freien Tisch in einer Ecke des Cafés, weil er nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte. Kurz darauf eilte eine Bedienung herbei und nahm seine Bestellung auf, ehe sie zum nächsten Gast huschte. Nun hieß es nur noch warten. Angespannt atmete Flordelis durch und rieb sich über die Stirn. Schnell ertappte er sich dabei, wie er schon darüber nachdachte, was er als nächstes erledigen sollte, sobald er zurück in seinem Büro war.

Darum war er froh, als er wenige Minuten später seinen Kaffee bekam. Nachdem er etwas Milch hinzugefügt hatte, fing er an zu trinken. Wie gewohnt schmeckte er ausgezeichnet. Trotzdem gelang es Flordelis nicht seinen Kopf auszuschalten. Von jeglicher Form namens Entspannung fühlte er sich weit entfernt. Nicht mal ein gutes Buch könnte er nun genießen. Ihm fiel es einfach schwer, nicht an die ganzen Probleme bei der Arbeit zu denken und seinen Ärger vorerst wegzuschließen. Besonders wenn er an die Menschen dachte, die immerzu nur nahmen und noch mehr nahmen.

Eigentlich gäbe es nur eine einzige Sache, die Flordelis unter Garantie helfen würde abzuschalten und die Seele baumeln zu lassen. Allerdings bezweifelte er, dass, nur weil er es sich wünschte, zufällig die wohltuende Stimme von Platan aus der Radiosendung Sternschauer am Abend im Café ertönte. Eine alberne Vorstellung. Solchen Fantasien sollte er sich gar nicht erst hingeben, auch wenn Platan diesbezüglich sicher eine andere Meinung hätte. Immerhin handelten viele Märchen, die er erzählte, von schicksalhaften Begegnungen. Vielleicht war der Mann in Wahrheit aber nicht derart verträumt, wie er sich gab, sondern ganz anders ...

„Ich finde, du solltest weiter daran glauben“, betonte jemand zuversichtlich. „Es ist doch viel schöner und motivierender, an etwas zu glauben, statt alles in Frage zu stellen. Findest du nicht?“

Flordelis hatte die Kaffeetasse gehoben, um noch einen Schluck zu trinken, war jedoch mitten in der Bewegung eingefroren.

Diese Stimme …

Sie klang ein wenig anders, viel klarer und reiner, doch es war eindeutig die von Platan. Seine einzigartige Stimme musste man wiedererkennen. Zumindest war das für Flordelis selbstverständlich.

Erneut war sie deutlich zu hören, im selben Raum, nicht weit weg: „Wir sind von so vielen Wundern umgeben, jeden Tag! Es kann schon helfen manchmal innezuhalten und das, was wir als selbstverständlich wahrnehmen, einfach zu genießen. Denk beispielsweise nur mal daran, welche Pokémon du heute schon gesehen hast. Menschen und Pokémon haben nicht immer so friedlich zusammengelebt. Daher ist schon das eines von vielen Wundern. Ein wahr gewordenes Märchen~.“

Langsam ließ Flordelis seine Tasse zurück auf den Tisch sinken und sein Herz schlug ein wenig schneller, während er unauffällig den Blick durch das Café schweifen ließ. Falls er sich diese Stimme nicht nur einbildete – er war gestresst genug, dass er diese Möglichkeit nicht für abwegig hielt – und jener Mensch, zu der sie gehörte, in diesem Moment wirklich hier war …

Schließlich entdeckte Flordelis einen Mann, nur drei Tische entfernt, der so sehr strahlte, dass er sofort absolut sicher war. Platan. Dabei konnte es sich nur um Platan handeln. In dieser Sekunde schwieg er zwar und nickte lächelnd der anderen Person an seinem Tisch zu, aber er musste es sein. Der Moderator aus der Radiosendung war tatsächlich hier, im Café Fleur prismatique.

Spätestens als Platan ein weiteres Mal zu sprechen anfing, gab es keine Zweifel mehr.

Und doch blinzelte Flordelis ein paar Mal, weil er es nicht so recht glauben konnte.

Von Platan ging eine prismatische, warme Aura aus, deren Glitzern und Funkeln der Umgebung noch mehr Glanz verlieh. Er war ein schlanker Mann, größer als der gewöhnliche Durchschnitt, soweit Flordelis das auf den ersten Blick beurteilen konnte. Schwarzes, welliges Haar, bei dem jede einzelne Strähne perfekt saß. Helle, graue und leuchtende Augen. Blasse Haut. Mehr und mehr verlor Flordelis sich in dem Anblick.

Da er Platan, den man nur als gutaussehend bezeichnen konnte, regelrecht anstarrte, musste er sich dazu zwingen zwischendurch woanders hinzusehen, und wenn er nur abwesend den restlichen Kaffee in seiner Tasse betrachtete. Dafür lauschte er dem Gespräch, obwohl sich solch ein Verhalten nicht gehörte, aber es geschah wie von selbst. Anscheinend versuchte Platan momentan jemanden aufzubauen, dem es nicht gut ging. Wer mochte diese Person sein? Familie? Ein Freund? Jemand vom Sender?

Jedes Mal, wenn Flordelis wieder einen Blick zu Platan riskierte, überschlug sein Herz einige Takte. Sicherlich lag es an der Aufregung, immerhin hörte er diesem Mann bereits so lange jeden Abend zu und hatte sich schon oft gefragt, wie er wohl aussehen mochte. Wie es wäre, ihn zu treffen. Und nun saßen sie im selben Café. Einfach so. Zufällig. Darauf war er wahrlich nicht vorbereitet.

Flordelis hatte die Arbeit mit all ihren Problemen schon längst vergessen und genoss Platans Stimme, deren Klang ihn wie immer vollkommen in den Bann zog. So sehr, sie schien von den Wänden widerzuhallen und dadurch noch tiefer in ihn einzudringen. Das gesamte Café war erfüllt von einem Zauber, der dafür sorgte, dass man die Augen schließen und sich davon umarmen lassen wollte.

So saß Flordelis einfach nur eine ganze Weile da, lauschte dem Gespräch und sah mehrmals zu Platan hinüber. Inzwischen mussten sein Kaffee schon kalt geworden sein. Irgendwann kam schließlich der Moment, in dem Platan und sein Gegenüber allmählich deutlich machten, bald aufzubrechen. Schlagartig wurde Flordelis von Nervosität gepackt, deren Krallen schärfer waren als die eines Sniebels, und doch ließ er sich äußerlich nichts davon anmerken.

Was sollte er nun tun?

Auf keinen Fall wollte er die Gelegenheit verpassen Platan endlich kennenzulernen, nur wusste er nicht, wie er am besten vorgehen sollte. Im Grunde blieb ihm nur eines und das wusste er insgeheim ganz genau: Flordelis musste ihn ansprechen, denn sonst würde Platan wahrscheinlich nicht von selbst auf ihn aufmerksam werden. Nicht solange er sich nur auf seine Begleitung konzentrierte.

Kaum erhob Platan sich, stand auch Flordelis nur wenige Sekunden später auf und kramte rasch etwas Geld hervor, das er für den Kaffee auf den Tisch legte. Bestimmt war es zu viel, denn er achtete nicht wirklich darauf. Großzügige Trinkgelder für eine gute Arbeit waren allerdings keine Verschwendung. Also passte das schon. Außerdem wollte er lieber Platan folgen, hielt aber noch genug Abstand zu ihm, um nicht bemerkt zu werden. Erst wollte er einen geeigneten Zeitpunkt abwarten und sich ihm nicht in einer unpassenden Situation aufdrängen.

Vor dem Café verabschiedeten sich Platan und sein Bekannter voneinander, mit einer Umarmung, bevor sie in unterschiedliche Richtungen davon gingen. Darüber war Flordelis seltsam erleichtert, da dieser ihm gänzlich Unbekannte für etwas Unruhe in ihm gesorgt hatte, was ihn selbst ziemlich verwunderte. Normalerweise hatte er keine Schwierigkeiten Fremde anzusprechen, auch wenn es mehrere Personen waren, weshalb er sich nicht erklären konnte, warum er sich nun so unsicher fühlte. Diesmal müsste er sich vor allem nicht einem neuen Geschäftspartner stellen, demnach sollte es ihm eigentlich noch leichter fallen.

Eilig verließ auch Flordelis das Café und folgte Platan. Weiterhin hielt er einige Meter Abstand. Nun wäre durchaus ein guter Moment, ihn kurz aufzuhalten und in ein Gespräch zu verwickeln. Wohin Platan auch als nächstes wollte, es konnte sich nicht um einen dringenden Termin handeln, so gemütlich wie er unterwegs war. Mit federnden Schritten. Fast als würde er über den Boden schweben.

Ein wenig zögerte Flordelis noch und betrachtete Platan, dessen Anblick auch von hinten überraschend fesselnd war. Über dem dunkelblauen Hemd trug er eine graue Schultertasche, in der sich manchmal etwas bewegte. Vermutlich ein kleines Pokémon. Viele Leute in Illumina City trugen sie gerne auf diese Weise bei sich und verzichteten auf Pokébälle. Oft galten die Pokémon in diesen Fällen aber eher nur als modisches Accessoire, was Flordelis verwerflich fand. Bei Platan musste es einen anderen Grund geben, sonst könnte man seinen Schmuck oder seine Trophäe andauernd aus der Tasche hervorlugen sehen.

Nachdem Flordelis ihm – viel zu lange – schweigend gefolgt war, beschloss er die Nervosität niederzukämpfen und es endlich zu wagen ihn anzusprechen, sonst verpasste er die Gelegenheit dazu doch noch. Oder schlimmer, Platan hielt ihn am Ende möglicherweise für einen verrückten Stalker, so kam er sich jedenfalls inzwischen ein wenig vor. Außerdem gab es keinen nachvollziehbaren Grund für ihn sich Sorgen zu machen. Schlimmstenfalls wies Platan ihn darauf hin, keine Zeit zu haben, also hatte er nichts zu verlieren. Und wenn es zu einer längeren Unterhaltung käme, müsste er mit ihm nur über Märchen sprechen, womit es ein Thema gäbe, dank dem sie sich reichlich austauschen könnten.

Gerade hielt Platan an einer roten Ampel und Flordelis konnte zu ihm aufschließen. Neben ihm blieb er stehen, räusperte sich vernehmlich und sprach ihn direkt an: „Verzeihung? Darf ich Sie etwas fragen?“

„Hm?“

Lächelnd wandte Platan sich ihm zu … und es war ein unbeschreibliches Gefühl, dieses Gesicht nun aus der Nähe sehen zu dürfen. Im Sonnenlicht wirkten Platans grauen Augen fast silbern, weshalb es Flordelis glatt die Sprache verschlug. Dafür war sein Herz umso lauter.

Einige Sekunden sahen sie sich nur an, bis Platan eine Art Erkenntnis zu haben schien, denn seine Augen wurden plötzlich ein wenig größer und fingen auch noch an zu glitzern, wodurch sie noch schöner aussahen. Alles an diesem Mann war so blendend. Es war Flordelis fast peinlich, wie sehr er sich davon gefangennehmen ließ. Sicherlich machte er momentan keinen allzu würdevollen Eindruck, dabei hatte er viele Jahre gelehrt bekommen wie man in jeder erdenklichen Situation die Fassung bewahrte.

Schließlich vollführte Platan eine einladende Handbewegung und zwinkerte ihm dabei zu. „Nur zu~. Was wollen Sie mich fragen?“

Abermals räusperte Flordelis sich und es gelang ihm zu seiner gewohnt gefestigten Haltung zurückzufinden. „Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen, meine Neugier verlangt dennoch nach Gewissheit. Irre ich mich oder sind Sie tatsächlich der Moderator aus der Radiosendung Sternschauer am Abend?“

Sofort strahlte Platans Gesicht noch heller – wie auch immer das möglich sein konnte. „In der Tat, der bin ich~.“

Platan, richtig?“

„Goldrichtig!“ Interessiert lehnte er sich näher zu ihm. „Wie haben Sie mich erkannt?“

Instinktiv wollte Flordelis sich zurücklehnen und wieder etwas Distanz schaffen, ließ die Nähe stattdessen aber einfach zu. Auch weil er sich darauf konzentrieren musste weiterhin gefasst zu wirken: „Ihre Stimme. Sie hat etwas Besonderes an sich und ist daher überaus einprägsam.“

„So?“ Schmunzelnd lehnte Platan sich zurück und wirkte äußerst zufrieden. „Vielen Dank, das schmeichelt mir sehr~. Eigentlich war die Frage überflüssig, denn woran sollten Sie mich sonst erkannt haben? Mein Gesicht kennen meine Zuhörer immerhin nicht. Und doch sind Sie die erste Person, die mich nur an meiner Stimme erkannt hat.“

Ein Hauch von Fassungslosigkeit schlich sich in Flordelis' Gesicht. „Das ist ein Scherz, oder?“

Lächelnd schüttelte Platan den Kopf. „Scherze liegen mir nicht wirklich.“

Hatte seine Stimme auf andere Menschen etwa nicht die gleiche anziehende Wirkung wie auf Flordelis? Während er das noch zu verarbeiten versuchte, griff Platan nach seinem Arm. Für gewöhnlich mochte Flordelis es nicht, wenn andere ihn berührten, erst recht nicht ohne vorher zu fragen, bei Platan fühlte es sich aber irgendwie so natürlich an, dass er es einfach zuließ. Vorsichtig zog er Flordelis zur Seite, um Platz an der Ampel zu machen, wo inzwischen eine Grünphase und somit viel Bewegung herrschte.

„Darf ich nun Ihnen eine Frage stellen?“, begann Platan und legte die Hand, mit der er Flordelis am Arm berührt hatte, nun an sein Kinn. „Sie sind Flordelis, richtig?“

Flordelis. Seinen eigenen Namen zu hören, ausgesprochen von Platan, überwältigte ihn für einige Sekunden derart intensiv, dass er nur knapp darauf nicken konnte.

Schwungvoll breitete Platan die Arme aus. „Natürlich! Wie könnte man eines der bekanntesten Gesichter von ganz Kalos nicht wiedererkennen? Ich habe Ihren letzten Fernsehauftritt gesehen. Wahrlich inspirierend. Sie haben ein Talent dafür mitreißende Reden zu halten.“

Etwas leiser sprach er weiter, als wolle er ihm ein Geheimnis mitteilen, und ließ die Arme wieder sinken. „Ehrlich gesagt bin ich ein großer Fan von Ihnen~.“

Solche Worte hörte Flordelis nicht zum ersten Mal. Schon oft hatten allerlei Menschen betont, wie inspirierend und großartig er sei, gefolgt davon, dass man ihn für seine Taten bewunderte. Leider handelte es sich in der Regel um Komplimente, die von außen zwar nett erscheinen mochten, in Wahrheit jedoch vor Hässlichkeit trieften, weil sie nur dazu gedacht waren sich an ihn heranzupirschen und seine Berühmtheit sowie sein Geld für sich zu nutzen. Noch nie hatten diese Worte so ehrlich und aufrichtig geklungen, wie es bei Platan der Fall war.

Möglicherweise war Flordelis' Urteilsvermögen aktuell nur stark getrübt, immerhin war er selbst gerade auch nur ein Fan, der sich geehrt fühlte mit Platan sprechen zu dürfen. Natürlich konnte er sich daher nur über dessen Worte freuen und ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen.

„Das kann ich nur zurückgeben. Ich höre mir jeden Abend Ihre Sendung an.“

Gerührt legte Platan eine Hand auf seine Brust. „Wie schön~. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was für eine Freude Sie mir damit machen.“

Eigentlich wollte Flordelis einwerfen, wie viel Freude vielmehr Platan ihm mit seinen Geschichten schenkte, doch da sprach der andere schon erwartungsvoll weiter: „Uns muss das Schicksal zusammengeführt haben~. Das sollten wir entsprechend würdigen. Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?“

Schicksal. Bisher hatte Flordelis sich zuvor einzig durch die Radiosendungen ein Bild von Platan machen können und das, was er sich ausgemalt hatte, passte offensichtlich zu ihm. Wie erwartet konnte für diesen Mann ihr zufälliges Treffen nur eine Fügung des Schicksals sein. Kam diese Einladung nicht trotzdem etwas zu früh? Sie sprachen erst seit wenigen Minuten miteinander. Nun, er sollte das nicht in Frage stellen, sondern dankbar für diese Offenheit sein.

„Zu einem Kaffee sage ich niemals Nein“, antwortete Flordelis – erst recht nicht mit der Aussicht auf eine derart besondere Gesellschaft.

„Gute Antwort~.“ Wieder lehnte Platan sich näher zu ihm. „Jetzt sofort oder wollen wir uns für einen anderen Tag verabreden?“

Am liebsten wäre Flordelis direkt mit ihm ins nächste Café gegangen, bedauerlicherweise musste er auf seine Vernunft hören und die sagte ihm, dass er heute, trotz langer Pause, unbedingt nochmal ins Büro zurückkehren sollte. Für Platan würde er sich aber gerne so viel Zeit wie möglich nehmen, ohne ihr Gespräch irgendwann unterbrechen zu müssen, weil er dringend gehen müsste.

Zu seiner Erleichterung bot Platan bereits von sich aus an, zum Kaffee trinken einen anderen Tag zu wählen, was zur Folge hatte, dass sie ihre Nummern austauschten. Flordelis konnte sich nicht daran erinnern über einen neuen Kontakt in seinem Adressbuch jemals so aufgeregt gewesen zu sein – er fühlte sich schlagartig einige Jahrzehnte jünger. Äußerlich blieb er dennoch gefasst und professionell.

Als schließlich alle Einzelheiten geklärt waren, schenkte Platan ihm ein herzliches Lächeln. „Fein, fein~. Monsieur Flordelis, ich kann es kaum erwarten Sie wiederzusehen. Wir treffen uns in drei Tagen. Passen Sie bis dahin gut auf sich auf. Au revoir~.“

Flordelis gelang es noch, ein höfliches „Adieu“ zu erwidern, bevor Platan sich abwandte und seinen Weg fortsetzte.

Dieses Lächeln.

Dieses herzliche Lächeln hatte ihn zum Schluss nochmal aus der Bahn geworfen. Deshalb benötigte Flordelis einen Moment, bis er sich fangen und ebenfalls in Bewegung setzen konnte, um in seinen eigenen Alltag zurückzukehren.

Platan.

Nun wusste er, wer hinter dieser Stimme steckte, die Flordelis in seinen Bann gezogen hatte. Anscheinend besaß auch alles andere an Platan bisher eine unerwartet hohe Anziehungskraft auf ihn. Hoffentlich gelang es Flordelis beim nächsten Mal ein normales Gespräch mit ihm zu führen und sich nicht von Platans Charme ablenken zu lassen, den dieser zweifelsohne besaß. Wenn Platan ein Fan von ihm war, wollte Flordelis sich nämlich von seiner besten Seite zeigen – und darauf bauen, dadurch noch mehr Treffen mit ihm herausholen zu können.

Platan, ich will dich besser kennenlernen

Platan erzählte am Abend des Tages, an dem sie sich begegnet waren, zu Beginn seiner Radiosendung von ihrem schicksalhaften Treffen, womit er Flordelis überraschte. Den Namen des mysteriösen Unbekannten erwähnte Platan dabei nicht, sondern betonte nur, was für ein außergewöhnlicher Mensch diese Person sei und wie sehr er sich auf ein Wiedersehen freute, gefolgt von einem persönlichen Gruß an seinen treuen Fan. Im Anschluss nutzte Platan diesen Anfang geschickt als passende Überleitung zu der Geschichte, die er mit seinen Zuhörern teilen wollte.

Sie handelte diesmal von zwei Pokémon und einer zufälligen Begegnung, wodurch sie zu Schicksalspartnern wurden. Flordelis war unsicher, ob sein Herz während der gesamten Sendung über so schnell schlug, weil es sich um eine recht romantische Geschichte handelte oder weil er sich schlicht geehrt fühlte, vom Moderator erwähnt und gegrüßt worden zu sein. Mit Sicherheit eher letzteres.

Tatsächlich bedeutete es Flordelis viel, zu hören, wie begeistert Platan von ihrem Kennenlernen war. Allerdings riet ihm die leise Stimme der Vernunft bereits vorsichtig zu sein. Er war ein bekanntes Gesicht in Kalos, mit viel Einfluss und Geld, also könnte das der einzige Grund sein, warum Platan dieses Treffen in seiner Radiosendung bewusst erwähnte und so positiv darüber sprach. Da Flordelis ihm verraten hatte, dass er jeden Abend einschaltete, konnte Platan sich sogar sicher sein, ihn mit seinen schönen Worten zu erreichen.

Zumindest im Moment wollte Flordelis sich von ihnen einfach umgarnen lassen.

Abwarten, wie sich das Ganze entwickelte.

Sobald ersichtlich wurde, wie viel Wahrheit wirklich hinter Platans Begeisterung steckte, könnte Flordelis sich notfalls immer noch abwenden und zukünftig mit seinem Königsschild sämtliche Annäherungsversuche von anderen ausnahmslos zu seinem eigenen Schutz abwehren. Also ließ er bis dahin die Vorfreude auf ihre Verabredung zum Kaffee trinken zu, statt sich Sorgen zu machen, wodurch die restlichen Arbeitstage, trotz der stressigen Probleme, wie im Fluge vergingen.

Plötzlich war Samstag und somit ließ Flordelis sich diese Woche mittags von seinem Fahrer erneut beim Café Fleur prismatique absetzen. Hier würden sie sich zum zweiten Mal treffen und diesmal gemeinsam an einem Tisch sitzen. Diesen Ort für ihr Wiedersehen hatte Platan ausgewählt, mit der Betonung darauf wie gut der Kaffee dort sei, und da war Flordelis ganz seiner Meinung. Ob Platan wohl bemerkt hatte, wie lange er einige Tage zuvor von Flordelis in diesem Café beobachtet worden war und es nur nicht gezeigt hatte? Hoffentlich nicht. Es wäre Flordelis ziemlich unangenehm.

Ein prüfender Blick auf die Uhrzeit verriet ihm, dass er viel zu früh dran war. Dennoch betrat er schon mal das Café, mit dem Plan sich einen der besten Tische zu sichern. Nur bekam Flordelis keine Zeit sich umzuschauen, da nur wenige Sekunden nachdem er das Gebäude betreten hatte auf einmal Platans zauberhafte Stimme nach ihm rief: „Monsieur Flordelis! Hier drüben~!“

Überrascht lenkte Flordelis den Blick zu einem Tisch, an dem bereits seine Verabredung saß und ihm mit diesem herzlichen Lächeln zuwinkte, mit dem er sich zuletzt von ihm verabschiedet hatte. Glücklicherweise gelang es Flordelis aber seine selbstbewusste Haltung zu wahren, trotz seines flatternden Herzens, und ging gefasst zu Platan hinüber. Auch heute trug dieser ein dunkelblaues Hemd, das ihm wirklich gut stand, und die graue Schultertasche, welche sich gerade nicht bewegte. Bei ihm angekommen nickte er ihm respektvoll zu.

„Wie ich sehe, bin ich nicht der einzige, der zu früh hier ist.“

Schmunzelnd zwinkerte Platan ihm zu. „Ich wollte Sie eben so schnell wie möglich wiedersehen und Ihnen scheint es genauso zu gehen. Das schmeichelt mir~.“

„Ich bin wohl recht gut darin, dieses Gefühl in Ihnen auszulösen“, meinte Flordelis – seltsamerweise zufrieden, obwohl er sich dafür entschuldigen sollte.

„Sieht ganz so aus.“ Mit diesen Worten vollführte Platan ein einladende Handbewegung. „Bitte, setzen Sie sich und schmeicheln Sie mir noch mehr, wenn Ihnen danach ist. Aber seien Sie gewarnt: Ich werde mich auch nicht zurückhalten~.“

Sollte das eine Art Drohung sein? Irgendwie entzückend. Flordelis' Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln.

Ohne zu zögern nahm er auf dem Stuhl gegenüber von Platan Platz. Dieser stützte sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab, faltete die Hände ineinander und bettete sein Kinn auf ihnen, bevor er zu einer Begrüßung überging: „Bonjour, Monsieur Flordelis~.“

„Bonjour, Monsieur Platan“, erwiderte Flordelis mit den gleichen Worten wie er, ohne darüber nachzudenken.

Auf einmal wurde der andere dann etwas ernster. „Da Sie nun hier sind, können wir endlich über das Geschäftliche reden.“

Das … kam unerwartet.

Ungläubig starrte Flordelis ihn an. „Wie bitte?“

„Oh, nicht das, was Sie denken“, beruhigte Platan ihn rasch. „Ich wollte Sie nur fragen, ob es für Sie in Ordnung wäre, wenn wir uns duzen. Mir behagt diese betont höfliche Distanz nicht.“

Innerlich atmete Flordelis ein wenig auf.

Für eine schreckliche Sekunde hatte er befürchtet sein Königsschild früher als erwartet zum Einsatz bringen zu müssen.

Da er nicht sofort reagierte, wurde Platan etwas unsicher. „Es sei denn, Ihnen liegt etwas daran, dann führen wir das selbstverständlich weiter fort.“

Flordelis winkte ab. „Nein, das ist nicht nötig. Wir können uns gerne duzen.“

„Wirklich?“ Erleichtert hellte sich Platans Gesicht auf. „Fein, fein~. Entschuldige, falls ich dich erschrocken habe. Ich sagte ja, Scherze liegen mir irgendwie nicht.“

„So schlecht fand ich ihn nicht“, entgegnete Flordelis, in einem Versuch ihn aufzubauen. „Der Fehler lag bei mir. Ich habe deine Aussage zu ernst genommen.“

Als Platan wieder lächelte, wirkte es diesmal noch eine Spur wärmer. „Und ein weiteres Mal fühle ich mich geschmeichelt.“

Ihr Gespräch wurde kurz von der Bedienung unterbrochen, die ihre Bestellungen aufnahm. Beide baten um einen Kaffee, Platan wollte dazu noch einige Illumina-Galetten. Nachdem die junge Dame ihre Wünsche notiert hatte, zog sie sich vorerst zurück und ließ sie alleine.

Danach verfielen sie in einen lockeren Dialog darüber, wie die letzten Tage jeweils bei ihnen waren und tauschten sich auch über einige anderen Kleinigkeiten aus. Kurz darauf kehrte die Bedienung schon mit ihren Bestellungen zurück, wünschte ihnen einen angenehmen Aufenthalt, nachdem sie alles serviert hatte und huschte zum nächsten Gast.

Genussvoll nahm Platan direkt einen ersten Schluck von seinem Kaffee und seufzte selig. „Wundervoll~.“

„In der Tat“, stimmte Flordelis zu, der wie gewohnt etwas Milch hinzugefügt und ebenfalls kurz probiert hatte. „Ein wahrer Seelenschmeichler.“

Sofort glitzerten Platans Augen fasziniert. „Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Ein Seelenschmeichler. Das klingt perfekt. Was würden wir nur ohne Kaffee tun?“

Offenbar erwartete er darauf keine Antwort, da er einfach weitersprach: „Es ist wichtig, etwas zu haben, das einem dabei hilft zu entspannen.“

„Für mich sind das deine Geschichten“, entglitt es Flordelis, wie von selbst.

Ergriffen legte Platan eine Hand auf seine Brust. „Ich habe immer gehofft, dass sie irgendeinen positiven Effekt auf andere erzielen, egal auf welche Art und Weise. Dank Menschen wie dir lohnt es sich, sie zu erzählen.“

Wie Flordelis es sich immer dachte, Platan wollte der Menschheit mit seinen Geschichten etwas Gutes geben.

Neugierig lehnte Platan sich nach vorne. „Hast du diese Woche jede Sendung gehört? Welche Geschichte hat dir am besten gefallen?“

Nachdenklich strich Flordelis sich über den Bart. In seinen Augen war das eine bedeutsame Frage, daher wollte er sie nicht leichtfertig beantworten. Für Platan waren diese Geschichten mehr als nur irgendwelche Erzählungen, das war stets deutlich. Bei jeder einzelnen Sendung.

„Die mit dem Mädchen und dem Herbstbaum aus Vivillons“, entgegnete Flordelis nach einer Weile. „Das war sehr inspirierend.“

„Mir gefällt diese Geschichte auch besonders gut.“ Als Platan weitersprach, starrte er verträumt in die Ferne. „Viele können sicherlich nachempfinden, wie es ist, wenn man all seinen Mut und die Hoffnung verliert. In solchen Zeiten darf man dennoch niemals aus den Augen verlieren, wie viel Schönheit uns immerzu umgibt. Wenn man sich selbst daran erinnert, gelingt es einem wesentlich besser die Motivation dafür zu finden einfach weiterzumachen. Selbst wenn man seine Ziele vielleicht nicht erreicht, ist es ein Wunder, dass wir all das erleben dürfen. Darum hat sich die Mühe am Ende doch gelohnt.“

Ob Platan in der Richtung persönliche Erfahrungen gemacht hatte? Es kam Flordelis jedenfalls so vor, wenn er beobachtete, wie sehr der andere sich darin vertiefte. Er war neugierig und hätte gerne nachgehakt, doch das käme ihm unverschämt vor. Für solcherlei Fragen kannten sie sich noch nicht gut genug. Darum behielt er seine Neugier für sich.

Ein wenig fühlte Flordelis sich auch selbst von Platans Worten angesprochen. Einfach weitermachen, weil es sich lohnte. Für die Menschen, die eine bessere Welt verdienten und sie noch schöner machten.

„Oh, deine Augen glühen auf einmal richtig~“, bemerkte Platan angetan. „Sie erinnern mich an einen strahlend blauen Himmel im Sommer. An klares Wasser, auf dem sich das Sonnenlicht bricht. In ihnen brennt einen Flamme der Entschlossenheit. Wahrlich faszinierend. Ich könnte mich stundenlang in dem Anblick verlieren.“

Darauf schmunzelte Flordelis, um zu verstecken, dass er sich etwas überrumpelt fühlte – und verwirrt war, weil das nach etwas mehr als nur einem Kompliment klang. „Ah, du hast deine Drohung wahrgemacht. Nun fühle ich mich diesmal geschmeichelt.“

Etwas zu geschmeichelt sogar.

Drohung?“, wiederholte Platan verdutzt. „Hätte ich das besser nicht sagen sollen?“

Sofort hob Flordelis beruhigend eine Hand. „So war das nicht gemeint. Das Scherzen liegt uns offensichtlich beiden nicht.“

Nach dieser Aussage musste Platan lachen, was viel zu schön klang. „Also haben wir noch etwas gemeinsam. Wie wundervoll~.“

Noch etwas? Natürlich, er sprach davon, dass sie beide ein Fan von dem jeweils anderen waren.

„So wie deine Geschichten“, betonte Flordelis, der kurz einen Schluck von seinem Kaffee nahm, ohne dabei den Blick von seinem Gegenüber zu lösen. „Es ist kaum zu überhören, wie sehr du es liebst, sie zu erzählen. Wolltest du schon immer Radiomoderator werden und Märchen in die Welt hinaus tragen?“

Sacht schüttelte Platan den Kopf. „Ich liebe Märchen, aber vor allem Pokémon. Deshalb wollte ich ursprünglich Pokémon-Professor werden.“

Das hätte Flordelis nicht erwartet. Natürlich waren Pokémon zweifelsohne eindrucksvolle und liebenswerte Wesen, weswegen er sich selbst auch eine Weile ihrer Erforschung hingegeben hatte, bis ihm bewusst wurde, dass er in anderen Bereichen doch mehr leisten konnte. Für jemanden wie Platan erschien ihm dieser Beruf ebenfalls nicht passend, denn als Professor musste man sich eher mit trockener Theorie und wissenschaftlichen Fakten befassen.

„Ist das so überraschend?“, fragte Platan, mehr amüsiert als gekränkt.

War es Flordelis so deutlich anzusehen? Dieser Mann war erschreckend gut darin ihm Emotionen zu entlocken. Schnell konzentrierte er sich wieder darauf möglichst gefasst zu wirken.

„Ehrlich gesagt schon“, gab er entschuldigend zu. „Warum bist du Radiomoderator geworden, wenn du eigentlich als Professor Pokémon erforschen wolltest?“

Leise seufzend lehnte Platan sich in seinem Stuhl zurück, mit der Kaffeetasse in den Händen, um zwischendurch trinken zu können. „Weil ich wusste, dass aus mir kein guter Pokémon-Professor geworden wäre. Ich verliere mich viel zu sehr in der romantischen Vorstellung, dass jede noch so fantasievolle Erzählung einen Hauch Wahrheit in sich birgt und möchte daran glauben, dass alles möglich ist, statt mich auf wissenschaftliche Daten und Fakten zu stützen. Ich befürchte, die Arbeit als Professor wäre mir auf Dauer zu fantasielos und trocken ...“

Wie Flordelis es sich gedacht hatte.

„Ich kann nicht mal eindeutige Nachweise dafür liefern, dass es in der Pokémon-Welt einen Feen-Typen gibt“, fügte Platan ein wenig frustriert hinzu.

Abermals gelang es Flordelis nicht die Fassung zu wahren, sondern war nun sichtlich irritiert. „Feen-Typ?“

Platan öffnete bereits enthusiastisch den Mund, kam jedoch nicht dazu, etwas zu sagen, weil aus dem Nichts eine Art Zwitschern ertönte. Etwas daran klang magisch und zerbrechlich, wie eine hauchzarte Melodie, die sich viel zu schnell wieder verflüchtigte. Der Laut kam Flordelis durchaus bekannt vor, nur kam er nicht darauf woher. Außerdem war er zu abgelenkt davon, dass sich nun doch etwas in Platans Schultertasche bewegte.

Rasch stellte dieser die Tasse auf dem Tisch ab und öffnete die Tasche vorsichtig, um einen Blick hinein zu werfen. Sein Lächeln wurde so sanft, es sorgte für ein warmes Gefühl in Flordelis' Brust – dabei galt es nicht mal ihm, sondern dem, was sich in der Tasche befand.

„Guten Morgen~“, sagte Platan leise. „Hast du gut geschlafen?“

Ein weiteres Mal war dieses liebliche Zwitschern zu hören.

„Fein, fein~. Hast du Hunger? Ich habe hier ein paar Illumina-Galetten für dich. Und wir haben sehr liebenswerte Gesellschaft, also musst du dir keine Sorgen machen.“

Abermals ein Zwitschern, diesmal klang es unsicher. Flüchtig warf Platan einen Blick zu ihm und flüsterte danach etwas in die Tasche hinein, woraufhin einige lebhaftere Laute folgten. Inzwischen hatte Flordelis sich unbewusst etwas nach vorne gelehnt und war wirklich neugierig darauf, mit wem er sich da unterhielt, wollte sich aber auch nicht einmischen. Vermutlich war das, was Platan mit sich herumtrug, normalerweise sehr schüchtern oder gar ängstlich.

„Die Unterbrechung tut mir leid“, entschuldigte Platan sich schließlich bei ihm. „Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn sich noch jemand zu unserem gemütlichen Kaffeekränzchen dazu gesellt.“

Mit diesen Worten holte er ein kleines Pokémon mit rosafarbenem Gefieder aus der Schultertasche hervor. Ein Parfi. Allerdings hatte es goldene Augen. Sollten sie nicht rötlich sein?

Vorerst behielt Platan das Pokémon auf dem Arm und deutete mit einer Hand zu ihm. „Parfi, das ist Flordelis. Flordelis, das ist Parfi. Sie ist meine treue Begleiterin und mein Schützling. Pokébälle mag sie nicht, darum trage ich sie in der Tasche bei mir. Außerdem machen ihr Fremde Angst, also zeigt sie sich eigentlich so gut wie nie, wenn ich unter Menschen bin.“

„In dem Fall fühle ich mich geehrt, dass sie bei mir eine Ausnahme macht.“ Sein Lächeln war aufrichtig, mit dem er der Kleinen zunickte. „Freut mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen, Parfi.“

Etwas verlegen versuchte sie mit ihren winzigen Flügeln ihre Augen zu verdenken, was Platan zum Schmunzeln brachte. Er griff nach einer der Illumina-Galetten und hielt sie Parfi hin. Sie vergaß ihre Verlegenheit sofort und fing an zufrieden an dem Gebäck zu knabbern.

„Sehr zauberhaft“, kommentierte Flordelis diesen Anblick.

Nun kannte er auch das Geheimnis hinter den Bewegungen in Platans Schultertasche und es handelte sich tatsächlich um ein Pokémon. Und es gab wirklich gute Gründe dafür, warum er sie so transportierte.

„Nicht wahr? Sie ist ein Schatz.“ Lächelnd beobachtete Platan sie beim Essen. „Und etwas ganz Besonderes. Parfis verströmen in der Regel einen süßen Duft, der jeden bezaubert. Vornehme Damen trugen sie damals gerne bei sich, statt Parfüm zu benutzen. Je nachdem, was Parfis essen, besitzt der Duft von ihnen andere Note. Das ist sehr faszinierend.“

Zum ersten Mal konnte Flordelis ihn sich als Professor doch gut vorstellen. Während Platan ihm mehr über Parfis erzählte, wirkte er ähnlich leidenschaftlich wie bei seinen Geschichten. Er wusste gut Bescheid, zumindest über diese Pokémon-Art – und sicherlich auch über viele andere.

„Bei ihr funktionieren die Drüsen an ihrem Körper aber nicht richtig“, erklärte Platan weiter. „Deshalb verströmt sie keinerlei Duft, aber das benötigt sie auch gar nicht. Wie du schon angemerkt hast, ist sie trotzdem überaus bezaubernd~.“

Darauf nickte Flordelis zustimmend. Ausgehend von den goldenen Augen könnte irgendein Gendefekt dafür verantwortlich sein, dass die Drüsen bei diesem Parfi nicht funktionierten. Zum Glück war sie bei einem Menschen wie Platan gelandet. Andere hätten solch ein, in ihren Augen fehlerhaftes, Pokémon bestimmt abgewiesen. Es würde ihn nicht mal wundern, sollte sie genau deswegen Angst vor Fremden haben, aufgrund schlechter Erfahrungen.

Den letzten Rest der Illumina-Galette verschlang Parfi in einem Zug und genoss das Essen mit geschlossenen Augen. Zärtlich strich Platan ihr dabei über den Kopf. Wie behutsam er mit ihr umging. Parfi fühlte sich in seinem Arm sichtlich wohl und geborgen. In dieser Sekunde wirkte alles an diesem Mann derart anmutig, dass Flordelis den Atem anhielt, als könnte er Parfi sonst doch noch verschrecken oder diesen Moment an sich stören. Das warme Gefühl in seiner Brust weitete sich aus.

Erst als Platan den Blick wieder hob und Flordelis ansah, begann dieser sofort mit eindringlicher Stimme zu sprechen: „Platan, ich will dich besser kennenlernen.“

„Ich dachte, aus diesem Grund sitzen wir jetzt hier“, entgegnete Platan lächelnd. „Aber ich verstehe, was du meinst. Ein einziges Treffen reicht dafür einfach nicht aus.“

Charmant zwinkerte er ihm zu. „Darf ich also so dreist sein und dich auch in Zukunft belästigen?“

Belästigen? Das klang falsch.

Und doch gefiel Flordelis diese Bitte – es kam seinem eigenen Wunsch entgegen.

„Ich bitte darum“, erwiderte er daher.

„Wundervoll~.“

Dieses Wort hatte Platan schon einige Male genutzt. Was für eine interessante Eigenart.

„Bisher haben wir fast nur über mich gesprochen“, fiel Platan auf. „Dabei habe ich auch so viele Fragen an dich.“

Flordelis fand es eigentlich sehr angenehm, wenn es nur um Platan ging, doch er verstand, dass dieser auch etwas mehr erfahren wollte. Also wollte er ihm anbieten, seine Fragen jetzt zu stellen, aber Parfi warf ein leises Zwitschern ein und ließ den Blick ein wenig nervös durch das Café schweifen. Zur Ablenkung reichte Platan ihr eine zweite Illumina-Galette.

„Dürfte ich vorher noch fragen, wie ihr zwei euch kennengelernt habt? Das interessiert mich sehr.“ Bedeutungsvoll legte Flordelis eine Hand auf seine Brust und verneigte sich leicht. „Ich verspreche, dass ich dir danach auf all deine Fragen antworten werde.“

Platans Augen fingen an zu leuchten. „Wenn das so ist, werde ich dir deinen Wunsch erfüllen. Ich kam noch nie dazu, jemandem zu erzählen, wie Parfi und ich uns kennengelernt haben. Am Anfang ist die Geschichte recht traurig, aber insgesamt sehr ergreifend.“

Demnach durfte Flordelis diese Geschichte nicht nur als erster genießen, sondern Platan würde sie obendrein nur für ihn erzählen. Umso mehr entfaltete sich die Wärme in seinem Inneren und löste ein Gefühl in ihm aus, das sich angenehm anfühlte.

Dieses Wiedersehen war bisher besser verlaufen, als er es sich hätte ausmalen können. Und beide wollten einander besser kennenlernen – allmählich glaubte auch Flordelis daran, dass es Schicksal sein musste, dank dem sie zusammengeführt worden waren.

„Nur zu, erzähl sie mir“, bat Flordelis, wobei seine Stimme ungewohnt sanft klang. „Ich höre dir immer gerne zu, Platan.“

Nach diesen Worten schienen dessen Augen noch heller zu leuchten und für eine Sekunde glaubte Flordelis den Schimmer der Verlegenheit in seinem Gesicht zu erkennen. Kaum fing Platan aber tatsächlich an die Geschichte zu erzählen, wie Parfi und er sich trafen, verschwand dieser Ausdruck und machte der vertrauten Leidenschaft Platz. Gebannt lauschte Flordelis seiner Stimme, deren Klang an diesem Tag noch fesselnder war.

Bist du deswegen ein Fan von mir geworden?

Etwas mehr als ein Monat war vergangen.

Während dieser Zeit hatten Flordelis und Platan sich immer wieder verabredet, mindestens zwei Mal die Woche. Mit jedem einzelnen Treffen wuchs die Faszination für diesen Radiomoderator mehr und mehr, wodurch gleichzeitig auch die Märchenstunde am Abend noch magischer erschien. Inzwischen wurde Flordelis aber nicht mehr nur alleine von dessen Stimme in den Bann gezogen.

Manchmal kam es ihm wie ein Traum vor, dass er dabei war diesen einzigartigen Mann besser kennenzulernen, genau wie er es sich gewünscht hatte. Es gab so vieles an Platan, was er anziehend fand – und Flordelis hoffte darauf, er konnte es gut genug verbergen. Zumindest bei den Gesprächen kam er nicht dazu sich zu verraten, da Platan derjenige war, der stets größtenteils die Initiative ergriff und gerne offen von sich erzählte. Für Flordelis war das vollkommen in Ordnung, denn auf diese Weise hatte er bereits vieles über ihn erfahren dürfen.

Zum Beispiel, dass Platan neben seinem Job als Radiomoderator gelegentlich in einem Restaurant kellnerte, wo er, laut eigener Aussage, jede Menge Trinkgelder erhielt, was Flordelis ihm sofort glaubte. An einigen Tagen half er in der Pokémon-Pension auf der Riviére-Promenade aus. Außerdem aß er meistens nur wenig und trank dafür umso mehr Kaffee. Auf Rollerskates verlor er komplett seine Körperbeherrschung. Ihm wurde schnell kalt, schon bei einer frischen Brise. Als er jung war, reiste er durch einige Regionen wie Johto und Einall. Neben Parfi besaß er auch noch ein Mähikel und ein Hubelupf.

All diese Details sowie Erzählungen hatte Flordelis aufmerksam und interessiert in sich aufgenommen, nun hütete er dieses Wissen wie einen Schatz. Neben diesen Informationen, die er von Platan selbst erfahren hatte, konnte er zudem anhand seiner eigenen Beobachtungen feststellen, was für ein gutmütiger Mensch dieser Mann war. Vielleicht sogar etwas zu naiv und mit zu viel Optimismus gesegnet, aber das mochte Flordelis an ihm.

Jemand wie Platan würde sein hohes Ansehen in Kalos und sein Geld niemals gezielt ausnutzen. Bisher durfte Flordelis ihm nicht mal einen Kaffee ausgeben, weil er stets darauf bestand diesen selbst zu bezahlen und oft sogar einfach für sie beide zusammen die Rechnung übernahm. Anfangs fand Flordelis das merkwürdig und war etwas misstrauisch gewesen, doch es schien Platan wichtig zu sein, ihm auf die Art zusätzlich zu zeigen, dass er an ihm als Person interessiert war. Also wollte Flordelis ihn nicht vor den Kopf stoßen, zumal er sich auch darüber freute.

Auf jeden Fall war Platan nun mehr als nur eine simple, flüchtige Bekanntschaft und das sah dieser mit Sicherheit genauso. Was waren sie aber dann? Freunde? Irgendwie … gefiel Flordelis diese Bezeichnung nicht. Sie wurde dem Gefühl nicht gerecht, das Platan in ihm auslöste. Als was wollte er Platan denn betrachten? Wie viel wäre angemessen für die Zeit, die sie sich kannten?

Darüber dachte Flordelis etwas zu intensiv nach, als er sich an einem regnerischen Freitag spät nachmittags von seinem Fahrer mit dem Wagen nach Hause bringen ließ. Morgen war er wieder mit Platan verabredet. Ob er ihn einfach fragen sollte? Nein, besser nicht. Bestimmt würde er ihm sonst nur strahlend versichern, dass sie Freunde seien. Verständlicherweise. Wahrscheinlich war Flordelis der einzige von ihnen, in dem sich solche verwirrenderen Gefühl breitgemacht hatten. Möglicherweise ging seine Begeisterung als Fan allmählich etwas zu weit.

Flordelis seufzte lautlos und warf durch das Fenster einen Blick nach draußen. Viel zu sehen gab es nicht. Schon seit dem Morgen wurde Kalos von einem nicht enden wollenden Regenschauer heimgesucht. Bei diesem Wetter war fast niemand zu Fuß unterwegs, bis auf einige wenige mutige Leute, die versuchten sich mit einem Regenschirm durchzukämpfen. Eine Person, an der sie vorbeifuhren, lief sogar nur mit einer dicken Winterjacke bekleidet draußen herum. Und erst auf den zweiten Blick erkannte er, um wen es sich bei dieser armen Seele handelte.

Platan?!

Augenblicklich bat Flordelis seinen Fahrer darum anzuhalten und nur einige Meter weiter parkten sie an der Seite. Rasch öffnete er die Tür und lehnte sich nach draußen, den Blick auf den völlig durchnässten Platan gerichtet, dessen Namen er rief. Verwundert hob der Angesprochene den Kopf und als sich ihre Blicke trafen, winkte Flordelis ihn fordernd zu sich. Glücklicherweise reagierte Platan sofort und eilte zu seinem Wagen.

„Flordelis“, sagte er überrascht. „Was machst-“

„Steig ein“, bat Flordelis nachdrücklich, statt ihn ausreden zu lassen.

„Was? Aber ich bin klitschnass. Ich werde deine Sitze-“

„Platan“, betonte er mit tiefer Stimme und befahl ihm nur mit einem ernsten Blick erneut einzusteigen.

Etwas überfordert nickte Platan. „O-okay.“

Danach stieg er tatsächlich endlich in den Wagen und Flordelis schloss die Tür hinter ihm. Nun war er selbst etwas nass geworden, was nicht schlimm war. Vielmehr machte er sich Sorgen um Platan. Seine Winterjacke war eindeutig nicht für Regenwetter geeignet und hatte sich mit Wasser vollgesogen. Die sonst sorgsam frisierten Haare – wofür Platan morgens viel Zeit investierte, wie Flordelis dank seinen Erzählungen ebenfalls wusste – klebten platt an seinem Kopf und in seinem Gesicht.

Erschöpft atmete Platan durch. „Danke. Dich muss Arceus geschickt haben.“

„Sieht ganz so aus ...“ Stirnrunzelnd sah Flordelis ihn an. „Warum bist du bei diesem Wetter draußen unterwegs? Noch dazu ohne Schirm?“

Während Platan vorsichtig die Jacke öffnete, unter der die Schultertasche zum Vorschein kam, lachte er ein wenig heiser. „Ich hatte einen dabei, aber den habe ich irgendwie … vergessen ...“

Irgendwie vergessen?

„Und wohin wolltest du?“

„Nach Hause.“

Nicht zur Arbeit? Müsste er nicht in wenigen Stunden im Radio eine Geschichte erzählen?

„Zu Fuß?“, hakte Flordelis irritiert nach. „Meintest du nicht mal, du lebst in einer Wohnung am äußersten Rand von Illumina City?“

„Nun“, erwiderte Platan leise, „das stimmt ja auch.“

Selbst mit einem Wagen würde es mehrere Minuten dauern, bis man dort ankäme. Deswegen traf Flordelis eine Entscheidung, ohne vorher Platan zu fragen, und wies seinen Fahrer an weiter sein eigenes Haus anzusteuern, mit etwas mehr Tempo. Kurz darauf setzte sich der Wagen wieder in Bewegung.

Da Platan ihn verwundert ansah, lieferte er ihm sogleich eine Erklärung: „Bis zu mir ist es nicht mehr weit. Wenn wir dich nicht zügig trocknen und aufwärmen, holst du dir noch den Tod. Das würde ich gerne vermeiden. Und Parfi sicher auch.“

Aus der Schultertasche, die nun auf Platans Schoß lag, ertönte ein zustimmender Laut, was Flordelis sehr zufrieden stimmte.

„Also … darf ich mit zu dir nach Hause kommen?“, hauchte Platan, mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.

Prüfend sah Flordelis ihn an. „Ist das ein Problem?“

„Nein, nein!“, versicherte Platan ihm hastig. „Das ist überhaupt kein Problem. Wirklich nicht. Vielen Dank, dass du dir diese Umstände für mich machst.“

Umstände? Sollte er anmerken, dass er so oder so nach Hause gefahren wäre? Oder ihm nur ein guter Grund gefehlt hatte, Platan mal zu sich einzuladen? Besser nicht. Im Moment wirkte Platan etwas durcheinander, also sollte er es nicht schlimmer machen. Ihn interessierte momentan nach wie vor etwas anderes.

„Magst du mir unterwegs etwas genauer erklären, wie es dazu kam, dass du ohne Schirm im Regen unterwegs warst, obwohl dir so schnell kalt wird?“

Erfreut lächelte Platan ihn an. „Oh~, das hast du dir gemerkt? Nun, da du mich wie ein strahlender Held vor dem Regen gerettet hast, schulde ich dir wohl wirklich eine anständige Erklärung. Es war so, ich-“

Bevor er richtig anfangen konnte, musste er plötzlich niesen.

Ein Laut, der so unbeschreiblich zart klang, dass man es nur als niedlich bezeichnen konnte. Und deshalb dauerte es einige Sekunden zu lange, bis Flordelis ein gefasstes „Gesundheit“ zustande brachte.

 
 

***

 

Die heutige Sendung Sternschauer am Abend fiel aus. Aufgrund eines Sonderberichts über irgendein Event in Romantia City, zu dem man die Hintergrundgeschichte erläutern wollte. Angeblich hatte Platan das vergessen und war deswegen umsonst zu seinem Arbeitsplatz gekommen, wofür er sich so sehr schämte, dass er das Gebäude nach einigen kurzen Gesprächen eilig wieder verließ. Ohne seinen Regenschirm, an den er nicht mehr gedacht hatte, aber auch nicht zurückgehen wollte, um ihn zu holen.

Flordelis glaubte ihm kein Wort.

Einige Punkte an dieser Geschichte warfen neue Fragen auf. Wieso war dieser Sonderbericht kein einziges Mal angekündigt worden? Konnte Platan diese Sendung nicht trotzdem moderieren? Obendrein war sein geschätzter Radiomoderator offenbar ein schlechter Lügner – eine weitere Eigenart an ihm, die Flordelis sich merken würde. Sonst war Platan stets äußerst wortgewandt, diesmal verhaspelte er sich beim Erzählen jedoch mehrmals und redete allgemein viel zu langsam. Ihm war die Unsicherheit anzusehen.

Es ärgerte Flordelis, dass Platan nicht ehrlich zu ihm sein konnte oder wollte.

Bedeutete das, er vertraute ihm nicht?

Eigentlich hätte Flordelis sich das denken sollen. Etwas mehr als ein Monat war bei Weitem nicht genug, um eine Vertrauensbasis zu schaffen. Das war ihm bewusst und doch … ärgerte es ihn.

Natürlich zeigte er das aber nicht Platan, dessen Gesundheit ihm gerade mehr Sorgen bereitete. Somit rückte der Ärger schnell in den Hintergrund, erst recht als sie bei Flordelis ankamen und sie sich in eine warme Umgebung zurückziehen konnten. Dank Madame Perrine, seiner Haushälterin, war das Haus angenehm aufgeheizt.

Drinnen führte Flordelis seinen Gast gezielt ins Bad, wo er ihm ein Handtuch gab und dem Drang widerstehen musste, einfach selbst behutsam Platans nasse Haare damit zu trocknen. Sicherlich bekäme er das problemlos alleine hin. Der Mann war erwachsen. Darum suchte er Platan stattdessen Wechselkleidung heraus, die er vorerst tragen könnte, bis seine eigenen Sachen über der Heizung getrocknet wären.

Als Platan die Kleidungsstücke entgegen nahm, bedankte er sich leise murmelnd und wirkte beinahe unbeholfen. Sollte Flordelis ihm eventuell doch helfen?

Nein.

Nein, er musste vernünftig bleiben.

Platan wollte ihm nicht mal verraten, was an diesem Tag wirklich vorgefallen war. Obendrein wäre es so oder so falsch, sich jemandem derart aufzudrängen. Im Grunde hatte Flordelis bereits eine Grenze überschritten, indem er Platan einfach in sein Haus entführt hatte. Auch wenn das laut ihm kein Problem war, sah ein respektvolles Verhalten anders aus. Wann war Flordelis so egoistisch geworden?

Zur Ablenkung kochte er in der Küche eine Kanne Kaffee, während Platan sich im Bad trocknete und umzog. Für seinen Gast holte Flordelis das besonders hochwertige Geschirr aus der hintersten Ecke hervor, für Parfi einige Illumina-Galetten, und bemühte sich den Glastisch im Wohnzimmer perfekt zu decken. Möglichst ohne dabei mit seinen Gedanken abzudriften, sei es zu Platan, der sich gerade in seinem Bad befand, oder zu der Frage, ob sie sich jemals nahe genug stehen würden, um einander zu vertrauen.

Schließlich nahm er auf einem der roten Sessel Platz und wartete geduldig. Wartete. Und wartete.

Hätte er Platan doch nicht alleine lassen sollen?

Bevor er irgendwelche besorgniserregenden Vermutungen aufstellen konnte, kam Platan nach fast einer Stunde endlich zu ihm ins Wohnzimmer. Wie erwartet war Flordelis' Kleidung ihm zu groß, erfüllte dennoch ihren Zweck und war vor allem trocken. Dank eines Gürtels blieb die Stoffhose dort, wo sie sein sollte, und die langen Ärmel von dem roten Hemd hatte Platan einfach etwas nach oben gerollt. Parfi wollte wohl vorerst in der Schultertasche bleiben, die er wie gewohnt bei sich trug.

Normalerweise strahlte Platans äußeres Erscheinungsbild immer eine bescheidene Eleganz aus und nun … war er einfach irgendwie bezaubernd. Sein Haar war nur ordentlich durchgebürstet, was ein neuer Anblick war. Einige wellige Strähnen standen an ein paar Stellen etwas ab. Noch dazu diese geröteten Wangen, was noch von der Kälte her rühren musste. Wie sollte Flordelis das nicht bezaubernd finden?

„Tut mir leid, dass du so lange warten musstest“, entschuldigte Platan sich aufrichtig. „Ich bin nur so begeistert von deinem Haus. Ich stand eben bestimmt mehrere Minuten einfach nur vor dieser einen Tapete neben dem Bad und habe sie bewundert, weil sie so perfekt zu dieser edlen Einrichtung passt.“

Erstaunt hob Flordelis eine Augenbraue. „Du hast so lange gebraucht, weil du dir die Tapete in meinem Haus angesehen hast?“

„Unter anderem“, bestätigte er und breitete mit glitzernden Augen die Arme aus. „Ich habe eine Schwäche für Eleganz~. Und dein Haus trifft eindeutig meinen Geschmack. Überall diese königlichen Rottöne! So viele antike Möbel und Dekorationen, die geschickt mit modernen Elementen kombiniert wurden! Hast du dir einige der filigranen Muster auf der Tapete oder auf den Teppichen mal genauer angesehen? Wahre Handwerkskunst~. Ich würde dich am liebsten bei vielen Stücken zu der Geschichte dahinter fragen und woher sie stammen. Das wäre sicherlich überaus interessant.“

Da war er wieder. Der Platan, der ihn voll und ganz in seinen Bann zog. Andere hätten Flordelis eher danach fragen wollen, wie teuer einige der Gegenstände in seinem Haus waren und wie viel Wert dieses an sich besaß. Aber Platan? Er interessierte sich nur für die Geschichten hinter den einzelnen Stücken.

Wie herrlich erfrischend.

Es erheiterte Flordelis so sehr, er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Der Großteil von dem, was du hier siehst, sind Erbstücke, zu denen ich leider nichts zu erzählen weiß. Ich glaube, nicht mal meine Eltern kannten noch den Ursprung der Einrichtungsstücke, die sie übernommen haben. Wir finden bestimmt trotzdem etwas, zu dem ich dir mehr sagen kann. Magst du dich vorher mit einem Kaffee aufwärmen?“

Abwartend sah er Platan an, der den Blick schweigend erwiderte, nach wie vor mit diesem Glitzern in den Augen, welches an Intensität zunahm.

„... Platan?“

„Hm?“ Blinzelnd schien der Angesprochene erst aus einer Art Trance erwachen zu müssen. „Ah, entschuldige. Ich habe dich eben nur das erste Mal richtig lachen hören.“

„... Was?“

Schmunzelnd zwinkerte Platan ihm zu. „Das hat mir sehr gefallen~. Ich hätte nichts dagegen, wenn du das mal wiederholst. Stand dir außerordentlich gut.“

Solcherlei Komplimente fielen zwischendurch immer wieder, wenn sie sich trafen. Mal mehr, mal weniger. Auch diesmal sorgte es dafür, dass Flordelis' Herz ungesund zu flattern anfing. Er fragte sich, ob Platan bei jedem so war oder nur bei ihm. Und ob er das nur tat, weil er glaubte irgendeinen Wettkampf gewinnen zu müssen, da Flordelis zuerst mit den Komplimenten angefangen hatte.

Glücklicherweise erwartete Platan anscheinend keine Reaktion von ihm, sondern setzte sich zu ihm auf den anderen Sessel und bedankte sich für den Kaffee, an dem er sich sogleich bediente. Zufrieden stellte Flordelis fest, dass er Platan wohl schmeckte, da von ihm nach dem ersten Schluck ein seliges Seufzen folgte. Danach begutachtete er die Blumenmuster auf dem Geschirr genauer und betonte, wie wundervoll es aussah. Es war schön, wie sehr er auf solche Dinge achtete und sie zu schätzen wusste.

Langsam ließ Platan die Tasse sinken. „Ich hoffe, du denkst jetzt nichts Falsches von mir.“

Da Flordelis darauf nur irritiert die Stirn runzelte, folgte direkt eine Erklärung: „Du denkst jetzt hoffentlich nicht, ich wollte dich nur kennenlernen, um mich hier einzuschleichen und irgendwelche Vorzüge zu genießen. Ich meine, ich habe wirklich eine Vorliebe für solcherlei Eleganz, nicht an dem Luxus an sich, auch wenn das wie eine Ausrede klingt.“

Platan sah ihm fest in die Augen und sprach eindringlich weiter. „Ich möchte dir trotzdem an dieser Stelle versichern, dass mein Interesse an dir nichts mit deiner königlichen Abstammung und dem damit verbundenen Lebensstil zu tun hat.“

Also wusste er von Flordelis' Vorfahren. Darüber sollte er sich nicht wundern, denn jeder konnte das leicht herausfinden, sofern man sich etwas intensiver mit seinem Hintergrund beschäftigte und einige ältere Artikel von Klatschmagazinen durchging. Er selbst prahlte niemals mit seiner Abstammung, sondern betrachtete das vielmehr als eine wichtige Rolle, mit der eine große Verantwortung für Kalos einher ging, obwohl in dieser Region schon lange kein König mehr regierte.

„Ich weiß“, entgegnete Flordelis gefasst und schmunzelte ein wenig. „Meine mitreißenden Reden, richtig?“

Dem anderen entglitt ein schweres Seufzen, so angespannt schien er innerlich gewesen zu sein. „Ich meine das ernst. Das macht mir Sorgen.“

„Ich weiß“, wiederholte Flordelis sanft, um ihn zu beruhigen. Nachdem er kurz innegehalten hatte, wagte er es eine Fragen zu stellen: „Habe ich denn unrecht? Als wir uns zum ersten Mal miteinander unterhielten, meintest du, meine Reden seien mitreißend. Bist du deswegen ein Fan von mir geworden?“

So genau hatten sie bisher nie darüber gesprochen, weil sie einfach noch nicht dazu gekommen waren. Ihm war es wichtiger gewesen mehr über Platan zu erfahren, doch nun war er tatsächlich neugierig. Erst recht nachdem er nun deutlich darauf hingewiesen wurde, dass er es nicht seiner Abstammung zu verdanken hatte, Zeit mit Platan verbringen zu können.

Dieser wandte ein wenig den Blick ab und wurde etwas verlegen. „Bei deinen Fernsehauftritten hast du diese besondere Ausstrahlung. Ein inneres Feuer, das hell anfängt zu lodern, wie die Hoffnung selbst, sobald du über deine Vorstellungen für die Zukunft, über deine Ansichten und Ideale sprichst. Das hat mich in den Bann gezogen. Ich wollte dich unbedingt treffen und besser kennenlernen. Ich dachte, jemand der mit so viel Leidenschaft versucht die Welt zu verbessern – ein Vorhaben, das viele belächeln – der versteht sicherlich auch, warum ich so viel Begeisterung für all die wundervollen Geschichten empfinde, die es gibt, weil sie mir vor Augen führen, von wie viel Schönheit wir umgeben sind. Warum ich sie gerne mit anderen teilen möchte. Mit diesem Gefühl kam ich mir immer etwas einsam vor. Darum spürte ich zu dir eine Art Verbundenheit.“

Das … überwältigte Flordelis ein bisschen. Ein bisschen zu sehr. Eine solch tiefgreifende Antwort hätte er kommen sehen müssen und doch war er überrascht. Um sich das nicht anmerken zu lassen und Platan nicht zu intensiv anzustarren, trank er rasch einen Schluck von dem Kaffee – den er sich in der Zwischenzeit in eine Tasse gefüllt und mit Milch vermischt hatte.

„Außerdem“, fuhr Platan fort, so leise, dass man es leicht überhören konnte, „finde ich dich auch sehr attraktiv.“

In derselben Sekunde verschluckte Flordelis sich an seinem Kaffee und versuchte die Haltung zu wahren, trotz des schweren Hustens. Hatte er das eben richtig gehört? Oder war das Einbildung gewesen?

Als er sich ein wenig gefangen hatte, sah er den anderen verwirrt an. Allerdings trank Platan nur unschuldig seinen eigenen Kaffee und erwiderte Flordelis' Blick somit schweigend.

Hatte Platan gerade …

Wollte er nur die Stimmung etwas lockern oder schlicht herumalbern? Sollte Flordelis fragen?

„Aber du kannst mir nicht anvertrauen, was heute wirklich bei dir vorgefallen ist?“, entglitt es ihm stattdessen, bevor er darüber nachdenken konnte.

Ein wenig erschrocken schüttelte Platan den Kopf. „Was?“

Sofort hob Flordelis entschuldigend eine Hand. „Verzeih. So weit hätte ich nicht gehen dürfen. Du musst darauf nicht antworten ...“

Nach diesen Worten setzte eine unangenehme Stille ein. Dabei war die Stimmung zuvor so gut gewesen. So … verwirrend, aber perfekt. Warum musste er diesen besonderen Moment ruinieren? Hätte der Ärger über das mangelnde Vertrauen nicht einfach weiterhin in einer dunklen Ecke verharren können?

„Es ist nicht so, dass ich dir nicht vertraue“, sagte Platan nach einer Weile ruhig. „Falls ich dir dieses Gefühl gegeben habe, tut es mir leid. Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt, weil ich wenigstens in deiner Gegenwart nicht an meine Probleme denken will. Ehrlich gesagt, habe ich Ärger mit meinem Vorgesetzten vom Sender. Deshalb-“

„Schon gut“, unterbrach Flordelis ihn. „Das genügt mir bereits. Du musst nicht weiterreden, wenn du das nicht willst.“

Erleichtert atmete Platan ein wenig auf. „Danke. Wenn uns das Schicksal schon wieder zusammengeführt hat, will ich die Zeit mit dir genießen. Ohne dich wäre das ein düsterer Tag geworden. Ich hätte bei diesem Wetter nicht mal meinen Zufluchtsort besuchen können.“

„Darf ich erfahren, wo das ist?“, hakte Flordelis nach. „Oder ist es sonst kein Zufluchtsort mehr?“

Über die Frage freute Platan sich scheinbar, er lächelte herzlich. „Oh, schon in Ordnung, du bist der einzige, dem ich es verraten würde~. Also-“

Leider wurde er erneut unterbrochen, diesmal jedoch von Flordelis' Holo-Log, der sich meldete. Auf diesen Anruf sollte er reagieren, auch wenn es ihm nicht gefiel und er sich lieber nur auf Platan konzentrieren wollte, der ihm verständnisvoll zu verstehen gab, dass er geduldig warten würde. Dankbar stand Flordelis auf, zog den Holo-Log aus seiner Hosentasche und entfernte sich einige Schritte.

An einer Anrufererkennung arbeitete er aktuell noch, daher wusste er nicht, was ihn erwartete. In der Regel meldeten sich über den Holo-Log oft nur seine Mitarbeiter, Geschäftsleute oder Pachira. Also Personen, die mit seiner Arbeit zu tun hatten. Aus dem Grund setzte er ein ernstes Gesicht auf und unterstrich somit seine autoritäre Ausstrahlung, ehe er den Anruf annahm.

Es war Pachira, die wegen den Holo-Log-Nachrichten einige Fragen hatte – und scheinbar nett mit ihm plaudern wollte, weil sie an ihn gedacht habe, doch das konnte er aufgrund seiner Erfahrungen mit ihr zügig unterbinden. So konnte er kurze Zeit später zu Platan zurückkehren, der inzwischen Parfi mit Hilfe einer Illumina-Galette aus der Schultertasche locken konnte und sie nun auf seinem Schoß fütterte. Wieder ein überaus bezauberndes Bild.

„Entschuldige die Unterbrechung.“

„Schon in Ordnung~“, versicherte Platan ihm. „Gibt es Probleme?“

„Nein, es war nicht wichtig.“ Diese Antwort kam selbst Flordelis etwas zu hart vor, in Bezug auf Pachira, weshalb er sich korrigierte: „Es hatte nichts mit der Arbeit zu tun.“

„Fein, fein~.“ Seufzend lehnte er sich in dem Sessel zurück. „Ich hätte auch gerne einen Holo-Log. Eine unglaublich praktische, geniale Erfindung übrigens. Das hast du sicher schon oft gehört, aber dafür sollte man dich ruhig immer wieder loben, finde ich. Jedenfalls gelingt es mir einfach nicht genug zu sparen, um mir einen leisten zu können. Ich gebe zu viel Geld in Cafés aus.“

Das Lachen im Anschluss sollte Flordelis wohl verdeutlichen, diese Worte nicht zu ernst zu nehmen. Dabei hätte er sich gerne erkundigt, ob der Holo-Log zu teuer sei. Immerhin sollte er allen Menschen zugänglich sein, auch jenen die weniger Geld zur Verfügung hatten. Darüber musste er sich dringend nochmal mit einigen Leuten auf der Arbeit unterhalten.

„Ah“, gab Flordelis gespielt empört von sich und strich sich dabei über den Bart. „Aus dem Grund hast du dich also in Wahrheit mit mir angefreundet. Um günstig an einen Holo-Log heranzukommen.“

Zutiefst entsetzt starrte Platan ihn mit großen Augen an, weshalb er diesen Scherz auf der Stelle bereute und ihn direkt darüber aufklärte, dass er das natürlich nicht ernsthaft dachte. Am besten sollten sie beide zukünftig darauf verzichten lustig sein zu wollen. Dafür waren sie beide zu sensibel, wie es schien.

„Wir sind also Freunde, hm?“, merkte Platan an.

Erst da fiel Flordelis auf, dass er diese Bezeichnung verwendet hatte.

Freunde.

Genau das, was ihm nicht genug war. Nicht bei Platan.

Sein herzliches Lächeln lenkte ihn von diesem Dilemma aber schnell ab. „Wie schön, mein Lieber~.“

Mein Lieber?

Pachira neigte dazu, ihn ebenfalls auf diese Weise anzusprechen und ein wenig störte Flordelis sich daran. Bei Platan klang es aber anders. Angenehmer. Das tröstete ihn etwas über den Status Freund hinweg.

Parfi zwitscherte zufrieden, als sie die Illumina-Galette vollständig verputzt hatte, und kuschelte sich in Platans Schoß hinein, der sich dafür bedankte, dass Flordelis so umsichtig gewesen war an die Kleine zu denken. Für ihn war das selbstverständlich, doch Platan betonte, wie liebevoll das von ihm sei. Also ließ Flordelis es einfach so stehen, weil er sich über diese Worte freute.

Erwartungsvoll wanderte Platans Blick von Parfi zu ihm. „Wenn ich schon mal bei dir zu Hause bin, darf ich dann deine Pokémon kennenlernen?“

Flordelis hatte sich eben erst selbst wieder gesetzt und schmunzelte amüsiert. „Wolltest du mir nicht vorhin mehr über deinen Zufluchtsort verraten? Und noch Geschichten zu einigen Einrichtungsstücken in meinem Haus hören?“

„Das können wir doch alles machen~“, meinte Platan zuversichtlich. „Oder hast du nicht mehr so viel Zeit? Ich hätte nichts dagegen ein wenig länger zu bleiben.“

„So?“ Die Wärme, die sich in seiner Brust ausbreitete, spiegelte sich in dem Lächeln wider, mit dem Flordelis ihn ansah. „In dem Fall bist du herzlich dazu eingeladen so lange zu bleiben, wie du willst. Aber nur, wenn ich dafür auch Mähikel und Hubelupf kennenlernen darf.“

Platan erwiderte das Lächeln strahlend. „Liebend gerne~.“

In diesem Moment war Flordelis dankbar für den Regen, der dafür gesorgt hatte, dass Platan nun hier bei ihm saß und sie früher als geplant Zeit miteinander verbringen konnten. Vielleicht sollte er ihm anbieten in seinem Gästezimmer zu übernachten, da sie morgen ohnehin miteinander verabredet waren. Das entschied Flordelis am besten spontan, wenn er das Gefühl hatte, damit nicht zu aufdringlich zu sein. Vorerst wollte er Platans Anwesenheit einfach nur genießen. Und sich darüber freuen, ihm an diesem Tag noch näher gekommen zu sein.

Ich bin dein Leuchtfeuer der Hoffnung

Am 1. Dezember, über einen Monat später, geschah etwas, das Flordelis in Unruhe versetzte. Statt Platans Stimme ertönte plötzlich die einer Frau aus dem Holo-Log, die an seiner Stelle moderierte: „Guten Abend, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie hören gerade die Stimme von Marguerite, meiner bescheidenen Wenigkeit, die heute für den eigentlichen Moderator übernehmen wird, da er leider kurzfristig aus persönlichen Gründen verhindert ist. Besonders zu Beginn der Weihnachtszeit sollen Sie aber nicht auf eine Geschichte verzichten müssen. In dem Sinne heiße ich Sie zum ersten Mal willkommen bei Sternschauer am Abend! Und ich möchte direkt mit einer Frage beginnen.“

Ab dem Zeitpunkt hatte Flordelis bereits nicht mehr richtig zugehört und schaltete die Radiofunktion aus. Eine Sendung ohne Platan, ohne seine charmante Art und dessen Begeisterung, war unvorstellbar für ihn. In seinen Augen war es respektlos, die Seele dieser Märchenstunde einfach durch eine andere Person zu ersetzen. Unverzeihlich.

Was für persönliche Gründe mochten es sein, wegen denen Platan an diesem Tag unerwartet als Moderator ausfiel? Gab es wieder Ärger mit dem Vorgesetzten? Deswegen war schon einmal eine Sendung von Platan durch etwas anderes ersetzt worden. In ihm begann vor Sorge eine heiße Glut zu glühen. Nun verfluchte Flordelis sich selbst dafür, dass er ihn damals nicht hatte aussprechen lassen, als er es ihm genauer erklären wollte. Sonst wüsste er jetzt mit was für einer Art Ärger Platan sich herumplagen musste.

Vielleicht war aber auch etwas anderes vorgefallen.

Rasch griff Flordelis nach seinem Handy auf dem Glastisch und rief über eine Kurzwahl Platan an. Allerdings verkündete die Computerstimme nur wenige Sekunden später, dieser Kontakt sei gegenwärtig nicht zu erreichen. Sofort keimten aus der Glut in seinem Inneren wilde Flammen und schlugen immer höher. Inzwischen kannte er Platan gut genug, um zu wissen, dass es ihm nicht ähnlich sah seine Pflichten aus einer Laune heraus hinzuschmeißen und gänzlich abzutauchen.

Wo könnte Platan gerade sein?

Noch während Flordelis sich das fragte, fiel ihm schon die Antwort ein. Gleichzeitig wandelten sich die sorgenvollen Flammen zu einer brennenden Entschlossenheit.

Geschwind stand er aus dem Sessel auf, ließ den Wein, den er sich wie gewohnt zu dieser Zeit eingeschenkt hatte, unbeachtet stehen und rief seine Pokémon zusammen. Aufgrund seines fordernden Tonfalls und seiner Anspannung reagierten sie noch schneller als sonst. Nachdem er sich in Rekordzeit winterfest angezogen hatte, verließ Flordelis kurz darauf das Haus. Draußen versuchte sogleich der Winter ihn mit seinen eisigen Klauen zu packen, verblasste jedoch angesichts der Hitze, die dank des Feuers in Flordelis herrschte.

Seinen Fahrer zu informieren und auf dessen Ankunft zu warten würde ihm zu lange dauern, weshalb er sich das erstbeste Taxi nahm, welches in sein Sichtfeld geriet. In Illumina City gab es glücklicherweise überall mehr als genug davon. Also war er nur wenige Augenblicke später schon auf dem Weg zum Tor nach Route 4, dem Parterre-Weg.

Dort befand sich Platans Zufluchtsort.

Laut ihm handelte es sich um einen Hain, der ein Stück abseits der Route in der Wildnis versteckt lag. Diesen Platz suchte Platan gerne auf, wenn er das Gefühl hatte nachdenken zu müssen oder Ablenkung zu benötigen. Leider wusste Flordelis nicht genau wo dieser Hain lag, bisher war er selbst nämlich nie dort gewesen, aber er würde ihn finden. Egal, wie lange er suchen musste. Notfalls ließ er sich dabei von seinen Pokémon helfen.

Ob Platan ihn überhaupt sehen wollte? Sonst hätte er ihm mit Sicherheit zumindest eine kurze Textnachricht geschrieben, bevor er sein Handy ausgeschaltet hatte. Jedenfalls hoffte Flordelis darauf, dass es keinen anderen Grund gab, weswegen er ihn telefonisch nicht erreichen konnte. Immerhin wusste er inzwischen, wie gutgläubig Platan war. Jemand wie er dürfte leicht an die falschen Leute geraten.

Dieser Gedanke führte dazu, dass Flordelis ihn nur umso mehr finden wollte. Selbst wenn Platan ihn anschließend wegschickten würde, falls er diesen nur beim Nachdenken stören sollte. Das konnte Flordelis sich aber nicht vorstellen.

Du bist der einzige, dem ich es verraten würde.

Richtig, das hatte Platan gesagt.

Also wartete er wahrscheinlich sogar auf ihn.

Mit diesem Gedanken nickte Flordelis sich selbst zu, bat den Taxifahrer darum so schnell wie möglich zum Ziel zu fahren und sah ungeduldig nach draußen. In diesem Moment hätte das Feuer in seinem Inneren ohne Probleme die gesamte Stadt erhellen können. Nicht mal der Prismaturm könnte diese Leuchtkraft erreichen.

 
 

***

 

Auf Route 4 angekommen beschloss Flordelis zuerst dem Weg Richtung Süden zu folgen, falls Platan sich noch irgendwo auf diesem aufhalten sollte. Zügig schritt er voran und ließ den Blick aufmerksam über die Umgebung schweifen. Die hier angelegten Ziergärten und deren perfekte Harmonie interessierten ihn momentan nicht. Trotz des Vollmondes, der am wolkenlosen Himmel thronte, sowie den Straßenlaternen wirkten die sonst kunstvollen Hecken eher wie unförmige Strukturen und besaßen somit ohnehin nicht diese Eleganz, für die sie tagsüber von ihren Betrachtern Bewunderung erhielten.

Als Flordelis sich der Mitte des Parterre-Weges näherte und noch keinerlei Spur von Platan entdecken konnte, kam ihm wieder der Gedanke, dass etwas Schlimmes passiert sein könnte. Würde Platan sich abends, in der Dunkelheit, wirklich von hier aus in die Wildnis zurückziehen? Noch dazu in dieser Kälte? Auf einmal kam es Flordelis absurd vor und doch hatte er nur diesen Anhaltspunkt.

Schließlich erreichte er den großen Brunnen in der Mitte, wo friedlich das Wasser plätscherte, als sei die Welt vollkommen in Ordnung. Dabei war sie es nicht, ohne Platan. Das Mondlicht leuchtete den Platz gut aus und ließ feine Perlen über die Wasseroberfläche tanzen, so magisch glitzerte es. Da er aber nicht wegen dieser Sehenswürdigkeit hier war, umrundete er den Brunnen, ohne diesen weiter zu beachten oder anzuhalten.

Einige Schritte später hielt Flordelis dann doch abrupt inne.

Da war er.

Platan.

Er saß auf dem Rand des Brunnens, den Blick abwesend gen Himmel gerichtet, mit der Schultertasche auf dem Schoß. Eingepackt in einer braunen Winterjacke mit rotbraunen Handschuhen und einem grünen Schal um den Hals. Sein Atem gefror an der kalten Luft und Tränen rannen über seine geröteten Wangen. Ein Anblick, der Flordelis im ersten Augenblick etwas zu sehr gefangen nahm. Sicherlich weil er solch eine Seite von Platan zum ersten Mal sah.

Warum weinte er?

Nach einer Weile sprach Flordelis ihn ruhig an: „Hier bist du also.“

Langsam löste Platan den Blick vom Himmel und sah zu ihm. Im Mondlicht schimmerten seine glasigen, grauen Augen noch mehr wie reines Silber. Obendrein diese kristallklaren Tränen. Unbewusst hielt Flordelis einige Sekunden den Atem an. In diesem Moment wirkte Platan viel zu zerbrechlich und zugleich unbeschreiblich schön. Diese silbernen Augen drangen geradewegs in sein Herz ein, wo sie sogleich Wurzeln schlugen, als Platan anfing leicht zu Lächeln und mit sanfter Stimme sagte: „Flordelis~. Da bist du ja.“

Es fiel Flordelis ziemlich schwer darauf zu reagieren, weil er viel zu eingenommen von den Gefühlen war, die Platan in ihm auslöste, weshalb seine Antwort diesmal tatsächlich etwas holprig ausfiel: „J-ja. Hier bin ich ...“

Nach diesen Worten räusperte er sich direkt, um sich zu fangen. „Hast du auf mich gewartet?“

„Natürlich“, bestätigte Platan, dessen Stimme ein wenig heiser klang, wie ihm nun auffiel. Vorsichtig fuhr er sich mit dem Handrücken über die Augen. „Ich habe nur darauf gehofft, du kommst erst an, wenn ich mich etwas beruhigt habe. Du warst erstaunlich schnell hier.“

„Ich habe mir Sorgen gemacht“, gab Flordelis offen zu und legte auch noch die letzten Schritte zu ihm zurück, bis er sich ebenfalls auf den Brunnenrand setzen konnte. Genau neben ihm. „Ich habe mir nur die Begrüßung der Moderatorin angehört, die heute für dich eingesprungen ist. Danach bin ich losgezogen, um dich zu suchen.“

Zum Glück war Platan beim Brunnen geblieben und nicht wirklich in die Wildnis aufgebrochen. Dort hätte Flordelis ihn nicht so leicht finden können. Das Gebiet war außerhalb der Route recht weitläufig.

„Ah, also hat Marguerite für mich übernommen ...“

„Ich glaube, so hieß sie, ja.“ Prüfend musterte Flordelis ihn genau. „Warum hast du dein Handy ausgeschaltet? Ich wollte dich anrufen.“

Irritiert sah Platan ihn an, ehe er aus seiner Jacke das Gerät hervorholte und versuchte es anzuschalten. „Oh. Der Akku muss leer sein.“

Natürlich, die Technik ließ einen in entscheidenden Momenten oft im Stich.

„Mit einem Holo-Log wäre das nicht passiert“, meinte Flordelis überzeugt. „Du brauchst wirklich dringend einen.“

Schmunzelnd steckte Platan das Handy wieder ein. „Bald ist Weihnachten, mein Lieber. Tu dir keinen Zwang an. Denk nur immer daran, dass es mir nie darum ging.“

Ehe Flordelis darauf etwas sagen konnte, folgte von Platan ein Seufzen. „Du hast dich sicher wieder auf die heutige Geschichte von mir gefreut. Tut mir leid. Ich habe dich und die anderen Zuhörer enttäuscht.“

Daraufhin sah er Flordelis unsicher an. Nach wie vor mit diesen silbern schimmernden Augen, in denen keinerlei Unreinheit zu erkennen war. Nicht mal ein Hauch von Verdorbenheit. Es lag so viel Aufrichtigkeit und Wärme in diesem Schimmern, weitaus mehr Gefühl als Flordelis in dieser Sekunde empfand. Unglaublich, dass seine Stimme der Vernunft ihn anfangs dazu antreiben wollte Platan gegenüber misstrauisch zu sein. Vermutlich könnte dieser Mensch nicht mal hinterhältig sein, wenn er es sich ernsthaft vornähme.

„Überlass mir die Entscheidung, ob ich enttäuscht sein sollte oder nicht“, bat Flordelis eindringlich. „Erzähl mir, was passiert ist.“

Was hatte dazu geführt, dass Platan sich freiwillig hier der Kälte aussetzte, obwohl er sie normalerweise stets mied? Was hatte ihn zum Weinen gebracht? Diesmal wollte Flordelis es wissen – und ihm helfen. So verloren wie Platan auf ihn gewartet hatte, war er hoffentlich dazu gewillt seine Probleme mit ihm zu teilen, auch wenn er in seiner Gegenwart sonst nicht gerne an sie dachte.

Zu seiner Erleichterung fing Platan tatsächlich an zu erklären, zögerlich, aber er tat es: „Ich hatte wieder Ärger mit meinem Vorgesetzten. Wir haben … gänzlich unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die Sendung ablaufen soll. Für ihn sind andere Dinge wichtiger als für mich. So etwas stört mich in der Regel nicht. Unterschiedliche Meinungen prallen im Leben oft aufeinander und das ist wichtig, um aneinander zu wachsen. Ich akzeptiere es, wenn ich mit einer Meinung konfrontiert werde, die sich nicht mit meiner eigenen deckt, dennoch kann ich meinen Ansichten treu bleiben. Danach habe ich schon immer gelebt. Das Prinzip funktioniert in manchen Lebenslagen bedauerlicherweise nur nicht so gut. Nicht, wenn du befürchten musst deinen Job zu verlieren, weil du dich gegen die Anweisungen deines Vorgesetzten stellst.“

Platan atmete schwer aus. „Ich rede zwar davon, dass ich mir selbst treu bleibe, aber genau das ist im Grunde das Problem. Das war ich nämlich nicht.“

Sofort verstand Flordelis, worauf er hinaus wollte. „Dein Traum war es immer Pokémon-Professor zu werden.“

Offensichtlich freute Platan sich darüber, dass er das noch wusste, denn er lächelte zufrieden. „Ja, richtig. Pokémon erforschen … sie besser verstehen lernen und wundersame Entdeckungen machen, die ich mit anderen teilen kann, um ihnen dabei zu helfen die Bindung zu ihren Pokémon noch mehr zu vertiefen. All das Wissen weitertragen, das mich so fasziniert und begeistert.“

Zwar hielt Platan das Lächeln aufrecht, senkte jedoch bedrückt den Kopf. „Wie ich dir aber schon mal sagte, befürchte ich, bei der trockenen Theorie zu versagen. Auch weil mir in der Vergangenheit oft von verschiedenen Leuten gesagt wurde, dass ich nicht gut genug in dem bin, was ich tue. Sei es das Zeichnen, das Singen … oder meine mangelhafte Erzählweise von Geschichten.“

Zeichnen und singen? Darauf sollte Flordelis ihn unbedingt nochmal ansprechen, sobald sich eine bessere Gelegenheit dafür bot, denn nun war er neugierig. Zuerst hörte er ihm weiter geduldig und aufmerksam zu, statt ihn zu unterbrechen.

Jedenfalls konnte Flordelis nun nachvollziehen, wieso Platan sich bei ihrem Kennenlernen so sehr darüber gefreut hatte, dass er ihn an seiner Stimmer wiedererkennen konnte und ihm gerne zuhörte.

„Meine Leidenschaft für Geschichten konnte ich aber nicht so einfach ablegen“, fuhr Platan fort. „Also habe ich mir vorgenommen, mir viel Mühe zu geben und mein mangelhaftes Erzähltalent dadurch auszugleichen, dass ich all meine Gefühle teile. Meine Zuhörer sollen sich fallenlassen und träumen können, dem Alltag entfliehen, indem sie sich eine Weile in eine andere Welt zurückziehen und wenn sie zurückkehren, entdecken sie vielleicht, von wie vielen Wundern sie schon die ganze Zeit umgeben sind. Stell dir die Entdeckungen vor, die dadurch der eine oder andere machen könnte.“

Betrübt schüttelte Platan den Kopf und runzelte ein wenig die Stirn. „Mein Vorgesetzter will mehr Geschichten, die sich an aktuelle Trends anpassen, um mehr Zuhörer anzulocken, oder neue Artikel von Werbepartnern subtil attraktiver machen und solche Sachen. Ich verstehe, dass wir auf hohe Einschaltquoten und Geldquellen angewiesen sind, aber … ich kann das einfach nicht. Ich käme mir schlecht dabei vor. Die Zuhörer werden es merken und sich verschließen. So könnte ich ihnen nichts mehr geben.“

Etwas geben.

Genau wie Flordelis es immer eingeschätzt hatte, war Platan einer von denen, die etwas geben wollten. Spätestens jetzt sollte es ihn nicht mehr wundern, warum er sich mit ihm verbunden fühlte.

„Heute war einer dieser Tage, an denen wir darüber diskutiert haben und ich mich am Ende geweigert habe, seinem Konzept zu folgen. Also wurde ich nach Hause geschickt.“ Wieder fuhr Platan sich mit dem Handrücken über die Augen. „Es ist meine Schuld. Würde ich mich nicht die ganze Zeit so verloren fühlen, weil ich meinen wahren Traum aufgegeben habe und ich deswegen beim Radio umso mehr meinen eigenen Vorstellungen folgen will, müsste mein Vorgesetzter sich nicht mit mir herumplagen und ich hätte heute niemanden enttäuscht.“

Indem er lachte, versuchte er darüber hinwegzutäuschen wie sehr ihn das mitnahm. „Herrje, wie das klingt. Sieht mir überhaupt nicht ähnlich, was? Ich weiß auch nicht, was in letzter Zeit los ist. Eigentlich geht es mir wirklich gut. Ich darf jeden Tag die Schönheit und die Wunder dieser Welt bewundern. Ich sollte dankbarer sein, dass ich hier sein darf.“

Der letzte Satz klang nicht so recht nach Platan. Möglicherweise interpretierte Flordelis zu viel hinein und zog falsche Schlüsse, doch es würde ihn nicht wundern, wenn der Vorgesetzte beim Sender diese Worte verwendet hatte. Sein Gefühl sagte ihm, dieser Mann war jemand, der seine Machtposition ausnutzte und jene unter Druck setzte, dank denen er eine Menge Geld einnahm. Dass Platan bisher so lange weitermachen durfte, wie er wollte, lag bestimmt nur daran, weil nur durch ihn und seine unvergleichliche Stimme so viele regelmäßig abends einschalteten.

Am besten sollte Flordelis der Sache mal auf den Grund gehen und mehr über diesen Vorgesetzten in Erfahrung bringen. Von Platan bekäme er nur dessen Sicht, in der er diesen Kerl wahrscheinlich besser dastehen ließ, als er war. Daher verzichtete Flordelis darauf Fragen in dieser Richtung zu stellen.

Stattdessen folgte er lieber seinem Verlangen, einen Arm um Platans Schultern zu legen und ihn schützend näher zu sich zu ziehen. Dagegen wehrte Platan sich nicht, sondern schmiegte sich sogar ein wenig an Flordelis, was sein Herz in Aufregung versetzte. Dank der Winterjacke dürfte Platan davon aber nichts mitbekommen.

Eine Weile blieben sie einfach so nebeneinander sitzen. Auf diese Weise konnte Flordelis die Nähe genießen – die ihm viel zu sehr gefiel – und Platan hatte Zeit sich etwas zu sammeln. Ihm war es bestimmt nicht leicht gefallen, zu zeigen, wie es tief in ihm aussah. Für jemanden, der normalerweise überaus optimistisch war, musste es umso schwerer sein diese bedrückenden Gefühle zuzulassen.

„Platan“, brach Flordelis schließlich die Stille, „du vertraust mir, nicht wahr? Welchen Worten würdest du mehr Glauben schenken: Meinen oder jenen von den Neidern, die dir eingeredet haben, du wärst nicht gut genug?“

„... Neidern?“, wiederholte Platan langsam.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass es Neider waren, wenn sie auch deine Erzählweise als mangelhaft bezeichnet haben“, betonte Flordelis, wohl etwas zu empört, denn Platan lachte kurz lautlos, was er an dessen Bewegungen wahrnahm. „Wie auch immer. Hätten meine Worte mehr Bedeutung für dich als die der anderen?“

Das mochte anmaßend klingen, war für ihn jedoch wichtig, bevor er dazu überging seine Meinung zu dem Ganzen zu teilen.

„Ja“, erwiderte Platan, diesmal erstaunlich schnell.

„Gut.“ Flordelis schloss die Augen und hielt ihn weiterhin fest. „Erstens: Ich bin nicht enttäuscht von dir. Zweitens: Du solltest dir deinen Traum, Pokémon-Professor zu werden, erfüllen.“

„Was?“, warf Platan überrascht ein.

Allerdings fuhr Flordelis unbeirrt fort und öffnete die Augen wieder: „Dafür ist es nie zu spät. Wenn du es nicht tust, wirst du dein Leben lang das Gefühl haben in dieser Welt verloren zu sein, weil du nicht dort bist, wo du wirklich sein willst. Auf jeden Fall wäre ein Versuch ratsam. Meine Unterstützung ist dir sicher. Ich bin davon überzeugt, du wärst ein hervorragender Professor.“

Nach diesen Worten befreite Platan sich – leider – ein wenig aus seinem Arm und löste sich von ihm, um ihn erstaunt anzuschauen. „Meinst du das ernst?“

„Da wir abgemacht haben, Scherze jeglicher Art zu unterlassen, ist das mein ernst“, versicherte Flordelis ihm, mit einem leichten Lächeln. „Du wirst das Vivillon unter den Professoren sein.“

Plötzlich fingen Platans Augen an zu glitzern – als wären sie durch das Mondlicht nicht schon atemberaubend genug. Fast hätte Flordelis den Blick abgewandt, weil es ihn zu verlegen machte, diese silberne Schönheit aus dieser Nähe zu betrachten. Damit hätte er aber nur die falschen Signale gesetzt, weshalb er versuchte es gefasst hinzunehmen, dass sich sein Gesicht etwas erhitzte.

„Deine Geschichte, erinnerst du dich?“ Mutmachend nickte Flordelis ihm zu. „Wer sagt, dass jeder Professor sich nur mit trockenen Theorien auseinandersetzen muss? Du könntest das Vivillon sein, das ihnen neue Wege zeigt und sie auf die Wunder hinweist, die sie überhaupt nicht wahrnehmen können, eben weil sie sich nur mit wissenschaftlichen Daten und Fakten beschäftigen. Nur du wirst dazu in der Lage sein, die ganz besonderen Entdeckungen zu machen. Zeige der Welt, dass ein kahler Baum im Winter eine farbenprächtige Krone besitzen kann, und helfe anderen dabei, solche Wunder zu erkennen.“

Nachdenklich strich Flordelis sich über den Bart. „Zudem sind die Forschungsbereiche von Pokémon-Professoren ohnehin sehr vielfältig und teilweise recht individuell, soweit ich weiß. Da findest du garantiert auch deinen Platz.“

„Flordelis ...“, hauchte Platan ergriffen dazwischen.

„Du wirst großartig in dem sein, was du tust“, sagte er aufrichtig. „Denn das bist du auch jetzt schon, Platan. Falls es dir weiterhin schwer fällt, selbst daran zu glauben, dann lass mich diese Rolle übernehmen. Ich bin dein Leuchtfeuer der Hoffnung. Gerade weil du dazu in der Lage bist die Schönheit dieser Welt zu sehen, hast du es verdient glücklich zu sein. Darum sage ich es nochmal: Erfülle dir deinen Traum.“

Neue Tränen sammelten sich in Platans Augen an, der sichtlich gerührt und sprachlos von derart viel Zuspruch war. Einige Sekunden hielten sie schweigend Blickkontakt, bis Platan ihn auf einmal äußerst stürmisch umarmte und Flordelis Mühe hatte sie davor zu bewahren ins kalte Wasser zu fallen. Darauf hätte er auch im Sommer verzichten könnten, im Winter jedoch erst recht. Ein zierlicher Mensch wie Platan holte sich bei diesem Wetter nur mit Krawumms eine Lungenentzündung.

Erst als ein kläglicher Laut aus Platans Schultertasche ertönte, ließ dieser Flordelis erschrocken wieder los und öffnete sie schnell, woraufhin Parfis Kopf hervorlugte. Verwirrt zwitscherte sie die beiden an und blinzelte mehrmals. Lächelnd entschuldigte Platan sich bei ihr, da sie bei der Umarmung wohl etwas eingequetscht worden war. Zu ihrer Erleichterung schien es ihr aber gut zu gehen. Zumindest bis sie niesen musste und sich danach flink zurück in die Tasche verzog.

„Sie hat recht, bei dieser Kälte sollte eigentlich niemand draußen sein“, meinte Flordelis, der sofort aufstand und Platan eine Hand reichte. „Gehen wir. Ich lade dich hiermit herzlich dazu ein, wieder bei mir zu übernachten. Dort ist es schön warm, wie du weißt.“

Dankend nahm Platan die Geste an und ließ sich beim Aufstehen helfen. Anschließend gingen sie zusammen zurück Richtung Illumina City und ließen den Brunnen hinter sich. Bei Zeiten sollte Flordelis sich von Platan unbedingt den Weg zu seinem wahren Zufluchtsort zeigen lassen, am besten wenn es nicht mehr so kalt war. Es passte aber zu ihm, dass er sich zu einem solch romantischen Ort, umgeben von Ziergärten, hingezogen fühlte, und bei diesem Brunnen gewartet hatte.

Unterwegs seufzte Platan auf einmal und als Flordelis ihn fragend ansah, fing er an zu schwärmen: „Ich glaube, deine Worte von vorhin sind soeben auf den ersten Platz in meiner Lieblingsliste mit all deinen mitreißenden Reden gerutscht~.“

Schmunzelnd hob Flordelis eine Augenbraue. „Du führst eine Liste?“

„In meinem Kopf.“ Bedeutungsvoll legte Platan eine Hand auf seine Brust. „Nur für mich alleine~.“

Wie zauberhaft, wieder mal.

„Freut mich, dass es dir gefallen hat“, entgegnete Flordelis beruhigt. „Ich hoffe, du nimmst dir meine Worte auch zu Herzen.“

„Das habe ich schon.“ Platans Augen waren noch glasig, aber er lächelte herzlich. „Vielen Dank, mein Lieber.“

Nach diesen Worten griff er nach Flordelis' Hand und hielt sie fest, während sie weitergingen. Und er beschloss, sich deswegen nicht in irgendwelche verwirrenden Gedanken zu verlieren, sondern einfach zu akzeptieren, dass sich das vollkommen richtig anfühlte.

Das ist ein Unikat

Parfi zwitscherte leise vor sich hin, vollkommen entspannt, während sie sich in das Haar von Flordelis kuschelte. Sie saß auf seinem Kopf, genau in der Mitte, wie in einem großen, gemütlichen Nest, und war so leicht, dass er sie oft überhaupt nicht bemerkte. Deswegen störte Flordelis sich nicht daran, ihr als Sitzplatz zu dienen, eher im Gegenteil. Es war angenehm beruhigend, die Kleine zwischendurch zwitschern zu hören.

Am liebsten versank Parfi eigentlich in dem weichen Fellkragen von seiner Jacke, doch da sie bei Flordelis zu Hause waren, hing diese momentan an der Garderobe. Sein Haar schien ihr aber glücklicherweise auch zu gefallen.

Irgendwann hatte Parfi einfach angefangen seine Nähe zu suchen, worauf Platan meinte, er könne das gut nachvollziehen und dass er ein wenig neidisch auf sie sei – was man ziemlich leicht falsch verstehen konnte, weshalb Flordelis nach wie vor verwirrt von dieser Aussage war. Seit er Platan an diesem einen Abend am Brunnen gefunden hatte, verhielt dieser sich auffallend anhänglich. Ähnlich wie Parfi.

Aber auch das störte Flordelis nicht.

Ihm gefiel es, von Platan verwirrt zu werden, auch wenn er allmählich gerne Gewissheit darüber hätte, ob es nur seine Art war anderen nahe zu sein oder ob mehr dahinter steckte. Immerhin … fand Platan Flordelis laut eigener Aussage attraktiv. Das hatte er nicht vergessen.

Rasch schüttelte er diese Erinnerung ab, bevor er deswegen zu verlegen wurde. Trotz aller Verwirrung wollte er Haltung bewahren, was ihm ohnehin nicht mehr allzu gut gelang. Nicht bei Platan. Und am heutigen Abend dürfte es nicht besser werden.

Flordelis hatte ihn dazu eingeladen Weihnachten zusammen mit ihm zu verbringen und dieser Vorschlag war bei Platan – zu seiner Freude – äußerst positiv angekommen. Nun saß sein Gast im Wohnzimmer auf dem Sofa, während er selbst in der Küche für Kaffeenachschub sorgte. Bereits seit einigen Stunden durfte er die Gesellschaft von Platan genießen und seinen Geschichten, deren Inhalte zum Fest passten und dementsprechend ein Botogel meistens die Hauptrolle spielte, lauschen. Ein schöneres Geschenk hätte Flordelis sich nicht vorstellen können.

Ursprünglich hätte Platan an diesem Tag in seiner Radiosendung mehrere Geschichten vortragen sollen. Allerdings würde er das nie wieder tun. Seinen Abschied hatte er gestern Abend verkündet und war dabei sehr emotional geworden. Für ihn war es nun mal nicht nur ein simpler Job gewesen, also dachte Platan in Zukunft sicherlich noch oft an seine Zeit als Moderator zurück.

Zukunft.

Sie versprach interessant zu werden, besonders für Platan.

Mit einer frisch gekochten Kanne Kaffee kehrte Flordelis schließlich ins Wohnzimmer zurück. Mähikel lag dort neben Pyroleo, und Hubelupf war damit beschäftigt Kramshef zu bewundern, was diesem natürlich überaus gut gefiel. Garados zog es auch heute vor, im Garten zu bleiben und Durengard bewachte wie gewohnt die Haustür. Wie-Shu dagegen …

„Ah, ist es wieder so weit?“, fragte Flordelis schmunzelnd, als er sah, wo es sich sein Kampf-Pokémon gemütlich gemacht hatte. „Ich habe mich schon gewundert, dass er sich so viel Zeit lässt. Sonst hat er nicht lange gezögert.“

Wie-Shu lag halb auf Platans Schoß, den Kopf in die langen Felllappen an seinen Armen vergraben. Zufrieden hatte er die Augen geschlossen und wirkte vielmehr wie eine Katze als ein Wiesel. Fehlte nur noch das Schnurren. Auch in dieser Position wirkte Wie-Shu überraschend elegant, passend zu Platan, der ihm behutsam mit einer Hand über den Kopf strich. „Er hat diesmal vielleicht nur den richtigen Moment abgewartet. Oder er wollte sich nicht zu früh zwischen uns drängen. Ist das nicht rücksichtsvoll? Etwas anderes habe ich von deinen Pokémon aber auch nicht erwartet~.“

Was sollte das heißen, Wie-Shu wollte sich nicht zwischen sie drängen?

Vorsichtig stellte er die Kanne auf dem Glastisch ab und Platan bedankte sich für die Mühe, die er sich gemacht hatte. Dabei war es für ihn selbstverständlich, sich um seinen Gast zu kümmern. Vor allem wenn es sich dabei um Platan handelte. Das erwähnte Flordelis aber nicht, sondern er betrachtete ihn kurz schweigend. Wieder mal wirkte Platan viel zu anziehend auf ihn, erst recht im warmen Schein der Lichterketten.

Nahe des Sofas stand ein geschmückter Tannenbaum, den Madame Perrine besorgt und aufgestellt hatte, weil es ihr wichtig war, dass auch er in festliche Stimmung kam. Seltsamerweise hatte sie die letzten Jahre über nie darauf bestanden, sein Haus zu Weihnachten oder anderen Feiertagen passend zu dekorieren. Irgendetwas an Flordelis musste sie diesmal davon überzeugt haben das zu ändern.

„Magst du dich jetzt nicht mehr neben mich setzen?“, hakte Platan nach einer Weile nach. „Ist schon in Ordnung. Wie-Shu und Parfi wissen doch, dass sie uns teilen müssen.“

Keine Melodie und kein Glockenspiel der Welt könnte so traumhaft klingen wie Platans gelöstes Lachen, das nach seinen Worten folgte.

„Ich bin eher dafür, dass wir so langsam mit dem Abendessen anfangen sollten“, erklärte Flordelis räuspernd. „Ich habe Madame Perrine darüber informiert, dass ich dich heute als meinen Gast erwarte, also hat sie sich besonders viel Mühe dabei gegeben ein kleines Festmahl für uns zuzubereiten.“

Es war definitiv viel zu viel, sie hatte es wahrlich gut mit ihnen gemeint.

Platan nickte verstehend. „Das sollten wir keinesfalls verkommen lassen. Wir müssen so viel essen wie möglich.“

„Und das sagst ausgerechnet du?“ Amüsiert strich Flordelis sich über den Bart. „Sollte es dir gelingen etwas mehr als ein Drittel zu essen, wäre das ein richtiges Weihnachtswunder.“

„Oh, dann sollte ich mich wohl wirklich bemühen und dich überraschen~.“ Charmant zwinkerte Platan ihm zu. „Ich wäre nämlich sehr gerne dein persönliches Weihnachtswunder.“

Dafür müsste er nicht erst etwas leisten, denn das war er schon längst.

„Ich bin gespannt.“

Auf jeden Fall würde Flordelis auch den Pokémon etwas von dem Essen abgeben. Auch sie sollten in den Genuss eines Festmahls kommen – außerdem könnten sie auf diese Weise auch sicherstellen, dass am Ende nichts übrig blieb und Madame Perrine zufrieden wäre.

„Wenn du es schaffst, bekommst du hinterher etwas ganz Besonderes von mir“, kündigte Flordelis bedeutungsvoll an.

Zu seiner Freude fingen Platans Augen an zu glitzern, als er das hörte. „Das motiviert mich umso mehr! Darf ich vorher zur Stärkung erst noch einen Kaffee trinken?“

„Natürlich.“

Was auch sonst? Mittlerweile hatte Flordelis erkannt, wie überlebenswichtig Kaffee für Platan war. Weitaus mehr als für ihn.

Also nahm er vorerst wieder neben ihm Platz und ließ es sich nicht nehmen seine Tasse zu füllen und sich selbst noch einen Kaffee zu gönnen. Nachdem sie sich entspannt unterhalten und dabei getrunken hatten, gingen sie als nächstes tatsächlich zum Abendessen über. Anfangs konnte Platan nicht anders als überschwänglich Madame Perrine zu loben und alles begeistert in Augenschein zu nehmen. Auch Flordelis musste zugeben, dass seine Haushälterin sich selbst übertroffen hatte.

Irgendwann begann Platan überraschenderweise wirklich zu essen und Flordelis war derjenige, der kaum etwas anrührte. Stattdessen beobachtete er ihn die meiste Zeit über, während er ein Glas Wein trank. Jeder Bissen, den Platan zu sich nahm, erfüllte ihn mehr und mehr mit Zufriedenheit. Zumindest an diesem Tag müsste er sich keine Sorgen darum machen, dass der andere aufgrund mangelnder Nahrungsaufnahme einfach umkippte.

Etwas später beendeten sie das Abendessen, nur die Pokémon aßen noch gemeinsam friedlich weiter. Parfi hatte sich nun einfach in Pyroleos Mähne eingekuschelt und fühlte sich dort sicher genug, um auch eine Weile ohne Platan und Flordelis auszukommen. Letzterer bat ihn mit sich zurück ins Wohnzimmer, wo sie nun nur noch zu zweit waren.

Allerdings musste er Platan einen Augenblick vertrösten, denn Flordelis begab sich rasch ins Schlafzimmer, weil er etwas holen musste. Mit einer länglichen, edlen Schatulle in den Händen kehrte er jedoch schnell zu seinem Gast zurück und setzte sich zu ihm. Als er bemerkte, wie Platan bereits neugierig betrachtete, was er nun bei sich trug, musste er unbewusst lächeln.

„Meinen Glückwunsch, du hast es geschafft“, lobte Flordelis ihn. „Ich habe dich noch nie so viel essen sehen, seit wir uns kennen.“

„Ich nehme das mal als Kompliment“, entgegnete Platan beschwingt, doch plötzlich machte er ein etwas besorgtes Gesicht. „Du weißt aber, dass ich nicht wirklich etwas erwartet habe, oder?“

Offenbar machte er sich nach wie vor Sorgen darüber, es könnte so wirken, als wolle er Flordelis in irgendeiner Weise ausnutzen.

„Falls es dich beruhigt: Das hier ist im Prinzip auch für mich“, gestand er, damit Platan sich keine Sorgen mehr machte. „Ein Geschenk an mich selbst.“

Die Verwunderung, die Flordelis nach dieser Offenbarung auf Platans Gesicht ablesen konnte, war so liebenswert, dass sein Herz zu flattern anfing. Keinem anderen Menschen gelang es so spielend leicht, ihn immerzu zu faszinieren und aus dem Konzept zu bringen. Von außen ließ er sich das aber nicht anmerken.

„Also, könntest du deine Augen schließen?“, bat Flordelis ihn. „Öffne sie erst wieder, sobald ich es dir sage.“

Ohne zu zögern nickte Platan. „Alles, was du willst, mein Lieber~.“

Alles?

Andere hätten das schamlos ausgenutzt. Zu dieser Sorte Mensch gehörte Flordelis allerdings nicht, egal wie verlockend es in dieser Situation auch sein mochte. Besonders als Platan wirklich seine Augen schloss und geduldig lächelnd abwartete. Nun hätte Flordelis nur eine Hand ausstrecken müssen und könnte sein Haar berühren. Oder seine Wangen. Oder …

Innerlich ermahnte Flordelis sich dazu sich zu beherrschen und fragte sich gleichzeitig, wann er das Verlangen entwickelt hatte diese Dinge tun zu wollen. Darum ging es jetzt aber nicht.

Flordelis öffnete die Schatulle, in der sich eine Armbanduhr befand. Sein Weihnachtsgeschenk für Platan – und sich selbst. Das Uhrenband war dunkelbraun, eine natürliche Farbe, wie die Erde. Die Glasfassung sowie die Krone und die Zeiger bestanden aus Gold, einem hellen, warmen Ton, während das Ziffernblatt einen dunkleren Untergrund bot. Auf diesem waren himmelblaue Steine angebracht, insgesamt vier, und notwendig für eine spezielle Funktion, welche in dieser Armbanduhr eingebaut worden war.

„Ich nehme jetzt deine Hand, in Ordnung?“, kündigte Flordelis mit ruhiger Stimme an. „Nicht erschrecken.“

Mit diesen Worten griff er nach seiner linken Hand und fing an ihm die Uhr vorsichtig anzulegen. Dabei fiel ihm auf, wie weich sich die Haut von Platan anfühlte. Er musste sich davon abhalten keine unnötigen Berührungen auszuführen, immerhin wollte er dieses Vertrauen, das ihm entgegen gebracht wurde, nicht missbrauchen. Und es gehörte sich außerdem nicht.

Als er fertig war, betrachtete Flordelis zufrieden die Armbanduhr an Platans Handgelenk. Sie stand ihm ausgesprochen gut, genau wie erhofft. Um Platans natürliche Ausstrahlung zu bewahren sollte die Uhr nicht zu prunkvoll und auffällig sein, aber dennoch mit einer schlichten Eleganz überzeugen. Dieses Ziel war ihm auf jeden Fall gelungen.

„Ich bin fertig.“ Nun war Flordelis auf die Reaktion gespannt. „Du kannst die Augen wieder öffnen.“

Platan kam dem sofort nach und blinzelte kurz, ehe er einen Blick auf sein linkes Handgelenk warf. Erstaunt weiteten sich seine Augen, bevor er überhaupt gehört hatte, was dieses Geschenk so besonders machte.

„Sie hat einen integrierten Holo-Log“, erklärte Flordelis stolz. „Das ist ein Unikat. Wie du.“

Eigentlich hatte er sich die letzte Anmerkung nur denken wollen, weshalb er sofort weitersprach: „Somit bist du nun die einzige Person, die diese Art Holo-Log besitzt.“

Weiterhin erstaunt lenkte Platan den Blick von der Uhr zu ihm und öffnete den Mund, schien jedoch zu sprachlos zu sein, um etwas zu sagen.

Daher übernahm Flordelis es, keine unangenehme Stille zwischen ihnen entstehen zu lassen. „Frohe Weihnachten, Platan. Und mach dir keine Sorgen. Ich weiß, dass du es nicht darauf abgezielt hast. Wie gesagt, ich beschenke mich hiermit im Grunde auch selbst.“

Aufrichtig lächelte er Platan an. „Mit einem Holo-Log werden unsere Gespräche wesentlich lebendiger. Inzwischen genügt es mir nicht mehr nur deine Stimme zu hören, also war es mir wichtig dich vor deiner Abreise im Neujahr entsprechend auszustatten.“

Es gab einen guten Grund, warum Platan gestern seine letzte Geschichte im Radio erzählt hatte. Anfang Januar, nächstes Jahr, würde er versuchen seinen Traum zu verwirklichen und seine Ausbildung zum Pokémon-Professor wieder aufnehmen.

Wie sich herausstellte hatte er bereits eine angefangen, sie aus Unsicherheit jedoch abgebrochen und sich danach in Kalos niedergelassen. Sein damaliger Lehrmeister in Sinnoh, Professor Eibe, war positiv überrascht gewesen von seinem alten Schüler zu hören und sogleich dafür, dass Platan die Ausbildung bei ihm fortsetzte. Und das derart kurzfristig – auch dieser Eibe sah wohl das Potenzial in Platan, schon deswegen war er Flordelis sympathisch, obwohl er den Mann nicht persönlich kannte.

Leider bedeutete das auch, Platan müsste für seine Ausbildung zurück nach Sinnoh reisen. Weit weg von Flordelis. Für Platan war es wichtig gewesen, diesen Weg zu wählen, statt die gegenwärtige Professorin in Kalos anzufragen. Einen anderen Lehrmeister zu wählen, wäre ihm falsch vorgekommen, meinte er. Das war typisch für Platan.

Jedenfalls stand Flordelis zu seinem Wort. Er wollte ihn bei seinem Traum unterstützen und ihm weiter Mut zusprechen, egal wohin Platan reisen musste. Dafür war der Holo-Log notwendig. Seine Worte wirkten besser, wenn Platan ihn dabei auch sehen könnte und Flordelis wäre es gleichzeitig möglich noch besser ein Auge darauf zu haben, wie es ihm ging.

„Ich erwarte übrigens jeden Tag eine private Sendung vom Sternschauer am Abend“, merkte Flordelis schmunzelnd an. „So kannst du mir etwas dafür zurückgeben.“

Zumindest ging er davon aus, dass es Platan wichtig wäre, sich für dieses Geschenk zu bedanken, indem er selbst etwas für ihn täte.

Platans Augen fingen an vor Rührung zu glänzen. „Flordelis ...“

Überwältigt warf er nochmal einen Blick auf die Armbanduhr. „Das ist wundervoll. Vielen Dank.“

„Freut mich, dass sie dir gefällt“, sagte Flordelis beruhigt. „Ich war etwas besorgt, dass ich damit vielleicht einen Schritt zu weit gehe.“

Irritiert schüttelte Platan den Kopf. „Inwiefern?“

„Jeden Tag mit dir sprechen zu wollen.“ Aufmerksam sah Flordelis ihn an. „Anderen wäre das etwas zu aufdringlich.“

„Mich stört das nicht“, versicherte Platan sofort und sprach etwas leiser weiter. „Ich muss eher mich davon abhalten, nicht zu aufdringlich zu sein.“

„Inwiefern?“, gab Flordelis die Frage interessiert zurück. „Hat es etwas damit zu tun, dass du mich attraktiv findest, mein Lieber?“

„Was?“ Etwas überrumpelt blickte Platan zur Seite. „D-das … weißt du, ich … weil ich … du bist ...“

„Ja?“, hakte Flordelis nach, mit tiefer Stimme.

Was tat er hier eigentlich gerade?

Ausgerechnet jetzt, als die Stimmung so gut war. Diesen Moment sollte er nicht ruinieren, nur weil etwas in ihm danach verlangte zu erfahren, ob er sich mehr erhoffen durfte. Wie absurd. Wäre es dafür nicht ohnehin noch viel zu früh?

Sicherlich vollkommen unbewusst sprach Platan Flordelis' Gedanken unsicher laut aus: „Vielleicht … ist es noch etwas zu früh, darauf zu antworten.“

„Wenn du dich nicht bereit fühlst, musst du nicht antworten“, beruhigte Flordelis ihn.

Ja, so sollten sie vorerst verbleiben.

So war es richtig.

Dennoch entglitten ihm die folgenden Worte wie von selbst: „Ich wäre aber dazu gewillt, es darauf ankommen zu lassen.“

„Wirklich?“

Innerhalb weniger Sekunden erhitzte sich Platans Gesicht, was Flordelis' Herz ansprach. Es fing an in einem ungesund schnellen Rhythmus zu schlagen. Seltsamerweise hatte Flordelis auf einmal das Gefühl, genau das Richtige gesagt zu haben. Womöglich lag es aber nur daran, dass die wachsende Aufregung, ein wildes Feuer, seinen Verstand beeinträchtigte.

Einen Moment schien Platan darüber nachzudenken, was er sagen oder tun sollte, bis er schließlich tief Luft holte und wohl beschloss, lieber Taten sprechen zu lassen. Langsam hob er die Hand und legte sie in Flordelis' Nacken, um ihn näher zu sich zu ziehen, was er widerstandslos zuließ. In ihm entstand eine viel zu intensive Hitze, die sich explosionsartig ausweitete, als sich ein paar Atemzüge später ihre Lippen berührten.

Kurz war Flordelis zu überwältigt von diesem Gefühl und wie gelähmt, erlangte jedoch schnell die Kontrolle zurück, damit er den Kuss erwidern konnte. Nun war er endgültig in diesem bezaubernden Bann gefangen, den Platan schon von Anfang an auf ihn ausgeübt hatte.

Als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten atmeten sie beide kurz durch und Flordelis legte die Arme um Platan, damit er ihn näher zu sich ziehen konnte. Sofort schmiegte Platan sich dicht an ihn. Ein paar Sekunden blieben sie in dieser Position, ohne etwas zu sagen, und genossen einfach nur die Wärme des jeweils anderen.

„Also ...“, begann Platan verlegen, „eigentlich hatte ich mir vorgenommen damit zu warten, bis ich als Professor zurück nach Kalos komme.“

„Dann sollte ich mich wohl entschuldigen“, sagte Flordelis darauf.

„Nein, schon in Ordnung.“ Ein seliges Seufzen folgte. „Ich bin gerade sehr glücklich.“

„Ich auch.“ Bedächtig brachte Flordelis ihn dazu, sich wieder richtig hinzusetzen, damit er beide Hände auf Platans glühende Wangen legen konnte. „Du bist wahrlich mein persönliches Weihnachtswunder.“

Verträumt sah Platan ihn mit seinen silbern funkelnden Augen an. „Und du bist eindeutig meines. Das muss-“

„Schicksal sein“, beendete Flordelis den Satz lächelnd. „Ja, das glaube ich inzwischen auch.“

Bevor Platan darauf noch etwas sagen konnte, küsste Flordelis ihn erneut und brachte die Hitze in seinem Inneren dadurch abermals in Bewegung. Das Feuer wandelte sich zu brennenden Blumen, deren rote Blüten all seine Gefühle widerspiegelten, die Platan in ihm auslöste. Dieser Mann, den er liebte, und dessen Stimme letztendlich dafür gesorgt hatte, dass sie nun diesen wundervollen Abend zusammen verbringen konnten.

Extra: Vielleicht sollte ich das eine Weile einfach genießen

Platans Haare waren durch den Regen eine Katastrophe und nicht zu retten. Nicht ohne die entsprechenden Hilfsmittel und er wollte nicht ungefragt in dem Eigentum von Flordelis herumwühlen. Daher beschloss er, sich ausnahmsweise keine Gedanken um seine Frisur zu machen, was ihm heute erstaunlich leicht fiel. Der Grund dafür könnte etwas anderes sein, das seine Aufmerksamkeit gänzlich auf sich zog: Sein Gesicht war knallrot, wie eine Tamotbeere.

Mit gerunzelter Stirn starrte er in den blitzblank geputzten Badezimmerspiegel, der über dem Waschbecken hing, bis er seufzend den Kopf hängen ließ. So konnte er sich auf gar keinen Fall zeigen. Zuerst musste er sich beruhigen, sonst bekäme er gegenüber Flordelis kein einziges gerades Wort mehr heraus. Zumindest nicht ohne sich krampfhaft darum zu bemühen irgendwie souverän zu wirken.

Ich fühle mich wie ein frisch verliebter Jugendlicher ...

Und das als erwachsener Mann.

Aber konnte man es ihm verübeln?

Nicht nur, dass er zum ersten Mal bei Flordelis zu Hause sein durfte und sich alleine deswegen bereits überaus geehrt fühlte, er hatte obendrein auch noch Wechselkleidung von ihm bekommen. Das war wirklich fürsorglich von ihm. Allerdings versetzte er Platan damit in eine Lage, die er sich bisher nicht mal erträumt hatte, weil er nicht erwartet hätte so schnell von ihm hierher eingeladen zu werden.

Verlegen zupfte Platan an dem übergroßen, roten Hemd, das er trug. Ein Hemd von Flordelis.

Es roch nach ihm, weshalb er sich davon abhalten musste diesen Duft zu intensiv in sich aufzunehmen. Außerdem war der Stoff angenehm weich und schmiegte sich an seine Haut, wie bei einer sanften Umarmung. Als würde Flordelis persönlich die Arme um ihn schlingen und ihn behütend festhalten, sämtliche Kälte aus ihm heraus ziehen und seine Brust stattdessen mit Wärme füllen.

Beschämt vergrub Platan sein erhitztes Gesicht in den Händen und murmelte leise „Arceus ...“ vor sich hin.

Natürlich glaubte er an Liebe auf den ersten Blick und schicksalhafte Begegnungen, aber …

Nein, er wollte nicht denken, dass es zu früh oder gar unangebracht sei, solche intensiven Gefühle für Flordelis entwickelt zu haben. Die Liebe konnte man nicht kontrollieren, geschweige denn sich dagegen wehren. Zumindest Platan sah sich nicht dazu imstande. Dafür fühlte er sich viel zu wohl, wenn Flordelis in seiner Nähe war. Alles an ihm war so … anziehend.

Diese tiefe Stimme, in der so viel Sanftmut verborgen lag. Jedes Mal, sobald er Platans Namen sagte, wurde ein Schwarm aus Flabébés in seinem Herzen geboren.

Diese himmelblauen Augen, in denen Platan sich einfach verlieren wollte, weil sich in ihnen so viel Kraft und Entschlossenheit widerspiegelten. Wie unbeschreiblich schwierig es war, Flordelis nicht die ganze Zeit nur verträumt anzustarren.

Dieses brennend rote Haar, das so perfekt frisiert war und seine Verbundenheit zu Pyroleo zeigte. Was würde er dafür geben, es nur einmal berühren zu können?

Vor allem sein Wesen zog Platan am meisten in den Bann. Im Gegensatz zu ihm war Flordelis eher ruhiger und sprach nicht so viel, aber wenn er etwas sagte, war es oft tiefgründig. Selbst seine knappen Reaktionen waren hinreißend, auf eine eindrucksvolle Art und Weise. Alles an ihm war so unbeschreiblich eindrucksvoll. Voller Würde.

„Oh, Platan ...“, sagte er leise zu sich selbst. „Du bist so hoffnungslos verliebt.“

Anfangs hatte er ein wenig befürchtet, in Flordelis schlicht Ablenkung von seinen Problemen gefunden zu haben, was ihm überhaupt nicht ähnlich sähe. Mit solch verwerflichen Hintergrundgedanken würde er sich niemals einem Menschen oder einem Pokémon nähern. Seine Gefühle waren aufrichtig. Und das war gleichzeitig das Problem.

Nur weil Platan nicht glaubte, es wäre zu früh für solcherlei Gefühle, durfte er nicht davon ausgehen, dass es Flordelis genauso sah. Wahrscheinlich betrachtete dieser ihn momentan eher als einen Freund oder sogar nur als einen guten Bekannten, dessen Radiosendung er sich gerne anhörte. Einzig aufgrund einiger Komplimente sollte er nicht glauben, zwischen ihnen könnte sich … mehr entwickeln.

Eigentlich sollte er sich etwas mehr zurückhalten, statt sich diesem Gefühl hinzugeben, es gäbe etwas, das sie miteinander verband. Für ihn fühlten sich diese Treffen vermutlich nur vertraut und natürlich an, weil er so verliebt in Flordelis war. Abgesehen davon, dass dieser seine Geschichten mochte, was sollte er sonst an Platan anziehend finden?

Schließlich … war er nicht wirklich gut in irgendetwas.

Schmunzelnd schüttelte er den Kopf. „Na komm, jetzt wirst du zu negativ. So schlimm ist es auch nicht.“

Um sich auf andere Gedanken zu bringen wusch er sein Gesicht mit kaltem Wasser, in der Hoffnung, auf diese Weise etwas gegen den Rotschimmer unternehmen zu können. Leider erfolglos. Mit etwas Glück schob Flordelis es vielleicht darauf, dass er draußen im Regen unterwegs gewesen war und sich erkältet hatte. Dann machte er sich aber sicherlich Sorgen und das wollte Platan ebenso vermeiden.

Prüfend warf Platan einen Blick zu der Schultertasche, die er vorsichtig auf dem Badezimmerschränkchen abgelegt hatte. Im Moment bewegte Parfi sich nicht. Gut möglich, dass sie vor sich hin döste, so wie sie es oft tat.

Langsam schlang er die Arme um sich selbst und spürte dabei wieder deutlich den Stoff des Hemdes, der sich so gut anfühlte.

„Ich bekomme die Gelegenheit, seine Sachen zu tragen, so bald bestimmt nicht nochmal.“ Lächelnd schloss er die Augen. „Vielleicht sollte ich das eine Weile einfach genießen~.“

Nur ein bisschen.

Bis er sich beruhigt hatte und man seinem Gesicht nicht mehr so deutlich ansehen könnte, wie verlegen es ihn machte, dieses Hemd zu tragen. Wobei das nicht ganz dem entsprach, was in ihm vorging. Vielmehr erfüllte es ihn mit Glück und Geborgenheit. Darum erlaubte Platan es sich tatsächlich noch etwas mehr Zeit im Bad zu verbringen.

Nur konnte Platan nicht ahnen, dass er etwas zu lange diesen Moment auskostete und sich eine Ausrede überlegen müsste, warum Flordelis eine halbe Ewigkeit auf ihn warten musste ...

Bonjour, ma cherié

Vor einem Jahr, im Januar, hatte Flordelis den ehemaligen Radiomoderator Platan am Hafen von Tempera City verabschiedet. Nun stand er erneut hier, am Dock wo das Schiff bald anlegen sollte, und wartete diesmal auf dessen Rückkehr. Auf seinen Geliebten.

Zwischendurch war Platan zwar für einen kurzen Urlaub zurück nach Kalos gekommen, doch den Großteil des vergangenen Jahres hatten sie getrennt verbringen müssen. Die Sehnsucht nacheinander war immerzu spürbar gewesen, wenn sie sich über den Holo-Log unterhalten hatten. Zumindest bei Flordelis waren dadurch die Gefühle für Platan noch stärker entflammt und brannten so hell, dass sie niemals erlöschen könnten. Sein Herz war gänzlich erfüllt von ihm.

Darum konnte er es kaum erwarten, Platan endlich wieder in die Arme zu schließen, nachdem dieser in Sinnoh seine Ausbildung beendet hatte, was seinem Fleiß und seiner Leidenschaft zu verdanken war. Und seiner beeindruckenden Abhandlung über den bisher unbekannten Feen-Typen, der inzwischen offiziell in die Datenbank aufgenommen worden war, wofür die anderen Professoren ihm viel Anerkennung entgegen brachten – wie erwartet.

Bald könnte Platan das Labor in Illumina City übernehmen, da die vorherige Pokémon-Professoren mit Freuden in Rente gehen wollte, und mit seinen eigenen Forschungen beginnen. Sein Traum war Realität geworden. Vermutlich war Flordelis auf diese Leistung stolzer als Platan selbst, der sich noch eher bescheiden zeigte. Bestimmt weil er es noch nicht so recht glauben konnte.

Auf jeden Fall war Flordelis froh darüber, nicht mehr länger eine Fernbeziehung führen zu müssen. Natürlich hatte er es sich nicht anmerken lassen, aber manchmal war die Sehnsucht nach Platan etwas zu groß geworden. Einzig die täglichen Gespräche mit ihm hatten es halbwegs erträglich gemacht. Besonders wenn Platan einzig für ihn mit Begeisterung eine private Sendung von Sternschauer am Abend gab, so wie sie es vereinbart hatten.

Daher war Flordelis in seiner Rolle als Leuchtfeuer der Hoffnung ebenfalls engagiert gewesen, hatte ihm stets Mut zugesprochen, damit er nicht unsicher wurde, und erinnerte ihn auch daran genügend zu essen … woran Platan sich meistens wahrscheinlich nicht wirklich halten konnte. Ein Grund mehr, warum es wichtig war, dass Flordelis solche Dinge zukünftig anständig im Auge behalten könnte.

Wenigstens hatte er keinerlei Probleme mit Eifersucht gehabt, denn er vertraute seinem Partner. Obwohl er sich manchmal noch fragte, wer dieser Bekannte damals gewesen sein mochte, den Platan im Café Fleur prismatique aufbauen wollte. Vielleicht sollte er ihn einfach mal danach fragen. Sicherlich fände Platan es sogar romantisch, wenn er erfuhr, heimlich im Café von Flordelis beobachtet worden zu sein, bevor er ihn anschließend draußen auf der Straße ansprach.

Als in der Ferne am Horizont ein Schiff sichtbar wurde, stieg sofort die Aufregung in Flordelis. Natürlich zeigte er das nicht, so wie immer. In der Öffentlichkeit musste er darauf achten, wie er von außen wirkte. Einige lauerten nämlich regelrecht darauf, irgendeine Kleinigkeit zu finden, die sie in einer Klatschpresse ausschlachten und zu ihren Gunsten verdrehen könnten. Selbst wenn es sich nur um die kleinste Reaktion handelte. Diesbezüglich hatte er für sich aber bereits zu einem bestimmten Thema eine Entscheidung getroffen, über die sich so einige Paparazzi in nächster Zeit sicherlich freuen dürften.

Plötzlich streckte Parfi den Kopf aus seinem Fellkragen, in dem sie sich versteckt hielt, und zwitscherte leise, kaum dass auch sie das Schiff auf dem Meer entdeckte. Beim Abschied vor einem Jahr wollte die Kleine sich einfach nicht von ihm trennen, weshalb Platan sie ihm anvertraut hatte, mit der Begründung, auf diese Weise bliebe etwas von ihm bei Flordelis. Im Gegenzug gab der dafür seinem Partner Wie-Shu mit, da dieser ziemlich vernarrt in ihn war und Platan somit ein Pokémon an seiner Seite hätte, das anstelle von Flordelis auf ihn aufpassen konnte – Menschen mit bösen Absichten gab es bedauerlicherweise überall, so musste er sich auch um dieses Problem keine Sorgen machen.

„Ja, jetzt dauert es nicht mehr lange“, stimmte er Parfis Zwitschern ruhig zu. „Du freust dich auch darauf ihn wiederzusehen, hm?“

Darauf zwitscherte sie eine fröhliche Melodie, was er als Zustimmung wertete. Wer würde sich nicht darüber freuen Platan wiederzusehen?

Zusammen beobachteten sie, wie das Schiff dem Hafen näher und näher kam. Zu seiner Verwunderung stand Platan nicht vorne an der Reling, um schon aus der Ferne zu winken. Dabei hätte es zu ihm gepasst. Hoffentlich war das kein böses Omen. Vorsichtshalber kontrollierte Flordelis kurz sein Handy, gäbe es jedoch eine neue Nachricht von Platan hätte er sie längst gelesen. Demnach war nichts zu finden, was er verpasst haben könnte.

Mit gerunzelter Stirn fixierte sich Flordelis' Blick wieder auf das Schiff. Ungeduldig wartete er weiter ab. Schließlich legte es endlich am Hafen an und die Gangway wurde ausgefahren. Um ihn herum standen noch einige andere Leute, die wohl wie er jemanden empfangen wollten, aber er blendete sie vollkommen aus und starrte erwartungsvoll nach oben.

Jede Sekunde fühlte sich viel zu lang an.

Dann war es soweit.

Diesen Moment hatte Flordelis die letzten Monate herbei gesehnt und nun war er gekommen.

Auf einmal tauchte Platan oben auf der Gangway auf, beladen mit einem großen Reiserucksack. Anstelle einer wärmenden Winterjacke trug er einen weißen Kittel und lächelte herzlich, noch bevor sich ihre Blicke trafen. Kaum geschah genau das, fingen seine grauen Augen an zu leuchten und wie durch Magie schien sich eine Aura aus funkelnden Partikeln um ihn zu bilden. An seiner faszinierenden Ausstrahlung hatte sich nichts verändert. Im Gegenteil, sie war noch intensiver als zuvor.

Mit federnden Schritten stieg Platan die Gangway hinab und kam direkt auf Flordelis zu. Bei ihm angekommen atmete er zufrieden durch und streckte schwungvoll den freien Arm aus. „Bonjour, ma cherié~!“

Sofort tanzte diese melodische, warme Stimme geradewegs in Flordelis' Herz, das als Antwort darauf so schnell schlug, es könnte mühelos mit so einigen flinken Pokémon mithalten.

„Salut, mon amour“, erwiderte er die Begrüßung lächelnd.

Parfi zwitscherte lieblich und flatterte zu Platan hinüber, wo sie sich auf seiner Schulter niederließ. Sie schmiegte sich an seine Wange und er strich ihr vorsichtig über den Kopf, während er auch sie liebevoll begrüßte. Anschließend stellte Platan die Reisetasche auf dem Boden ab und drehte sich elegant um sich selbst, ehe er Flordelis erwartungsvoll ansah.

„Na, was sagst du? Steht mir das gut?“ Mit einem koketten Zwinkern legte er eine Hand an sein Kinn. „Ich hätte es niemals ausgehalten zu warten, bis ich dir meinen Kittel zeigen kann, also wollte ich dich überraschen. Hast du dich direkt ein bisschen mehr in mich verliebt?“

„Machst du dir etwa Sorgen, dass es noch nicht genug sein könnte?“, fragte Flordelis schmunzelnd zurück.

„Nun, wir waren lange voneinander getrennt. Da könnte es durchaus sein, dass der Zauber ein wenig verflogen ist. Also wollte ich ihn gleich wieder auffrischen.“

An der lockeren Art, mit der Platan das sagte, war zu erkennen, dass er sich nicht wirklich Sorgen deswegen gemacht hatte. Ein wenig möglicherweise aber schon.

Deshalb nahm Flordelis seine linke Hand – er trug die Armbanduhr, worüber er sehr erfreut war – und hauchte ihr zärtlich einen Kuss auf. „Platan, der Zauber, mit dem du mich in deinen Bann gezogen hast, wird ewig währen. Ich bin deiner Säuselstimme, deinem Silberblick und deinem Liebreiz so verfallen, ohne dich hat ganz Kalos seinen Glanz verloren, doch nun strahlt es endlich wieder in zahlreichen Farben, wie meine Liebe zu dir.“

Einen Augenblick war Platan zu überwältigt, um zu reagieren, und sog nur ein wenig die Luft ein, während sich ein rötlicher Schimmer auf seinen Wangen bildete. Nach einigen Sekunden legte er ergriffen die freie Hand auf seine Brust und seufzte schwer. „Du weißt genau, wie du mich um den Verstand bringen kannst. Dabei bin ich noch nicht mal fünf Minuten wieder in Kalos.“

Plötzlich lachte Platan leise. „Weißt du, einem meiner neuen Kollegen hätte es sehr gefallen, wie du diese Attacken eingestreut hast. Ich durfte ihn bei der Konferenz kennenlernen, als ich meine Abhandlung vorgetragen habe. Ein sehr interessanter Mann.“

Verträumt sah er Flordelis an. „Aber bei weitem nicht so interessant wie du.“

„Das will ich doch hoffen.“ Eingehend betrachtete er Platan genauer. „Der Kittel steht dir ausgezeichnet. Du siehst umwerfend aus. Wie dafür gemacht.“

„Nicht wahr? Ich war selbst ganz erstaunt~.“

„Du solltest trotzdem dringend eine Jacke anziehen“, riet Flordelis besorgt und umschloss Platans eiskalte Hand mit seinen, um sie etwas zu wärmen. „Sonst wirst du deinen ersten Arbeitstag als Professor krank im Bett verbringen.“

„Das wäre unschön“, gab Platan zu. „Ich habe nämlich einiges an Arbeit vor mir. Es müssen viele Daten im Pokédex angepasst werden. Einige Pokémon dürften in Wahrheit den Feen-Typen besitzen. Dafür sind zahlreiche Untersuchungen nötig.“

Mit einem Leuchten in den Augen sah er zu Parfi. „Bei dir bin ich mir ohne eine Untersuchung sicher, dass du kein Normal-Typ bist, sondern auch eine kleine, zauberhafte Fee~.“

Etwas verlegen plusterte Parfi ihr Fell auf und kniff die Äuglein zusammen.

„Klingt wirklich danach, als hättest du einiges vor dir“, bemerkte auch Flordelis.

Widerwillig ließ er Platans Hand los und zog seine Jacke aus. Ihm wurde nicht so schnell kalt, aber selbst wenn es nicht so wäre, könnte er seinen Partner nicht tatenlos weiterhin dieser Kälte aussetzen. Ohne etwas sagen zu müssen flog Parfi kurz auf Platans Kopf, so dass Flordelis ihm problemlos seine Jacke umlegen konnte. Dankend zog Platan sie direkt anständig an. Sie war natürlich zu groß für Platan, doch sie dürfte ihn anständig wärmen. Nur darauf kam es an.

Munter verschwand Parfi wieder in dem bauschigen Fellkragen, wodurch sie nicht mehr zu sehen war, was Platan wohl auf etwas aufmerksam machte. Unsicher ließ er ein wenig den Blick schweifen. „Hätten wir uns etwas mehr zurückhalten sollen?“

„Schon in Ordnung“, versicherte Flordelis ihm. „Ich habe nicht vor, meine Beziehung mit dem neuen Pokémon-Professor von Kalos geheim zu halten.“

Ein Jahr lang hatte er auf Platans Nähe verzichten müssen. Jetzt waren sie wieder vereint, da wollte er sich in der Öffentlichkeit nicht zurückhalten. Auch wenn er darauf achten musste, wie er von außen ankam, würde er mit Freuden das Risiko eingehen, eine Menge Klatsch und Tratsch in Kalos auszulösen, solange er einfach ganz natürlich mit Platan zusammensein konnte.

„Sofern das auch für dich in Ordnung ist“, fügte Flordelis noch hinzu.

Wie erwartet glitzerten Platans Augen vor Glück. „Für mich ist das mehr als in Ordnung~.“

„Fein, fein.“ Normalerweise sagte sein Partner das sonst öfter, weshalb sie beide schmunzeln mussten. „Ich wäre aber dafür, wir ziehen uns für heute aus der Öffentlichkeit zurück. Ich hätte dich ganz gerne nur für mich und kann es kaum erwarten deiner Stimme zu lauschen. Sie klingt noch bezaubernder, wenn man sie so klar und deutlich in sich aufnehmen kann.“

Charmant lächelnd lehnte Platan sich näher zu ihm. „Wenn du mir weiter solche Komplimente machst, will ich etwas ganz anderes, als dir nur etwas zu erzählen.“

Kaum hatte er das laut ausgesprochen, wurde er sichtlich von Verlegenheit übermannt und lehnte sich rasch zurück, wobei er etwas hilflos nach Worten suchte: „I-ich meine … das klang jetzt … in meinem Kopf, da … irgendwie … ich will nicht nur … versteh das bitte nicht falsch.“

Diese unschuldige Unbeholfenheit war derart entzückend, Flordelis Herz überschlug sich einige Male.

Leise lachend fuhr er Platan beruhigend mit der Hand über eine Wange. „Wenn du willst, tue ich so, als hätte ich das nie gehört. Auch wenn es schade wäre.“

Mit diesen Worten beugte Flordelis sich hinunter und hob die Reisetasche auf, um sie für Platan zu tragen. Danach gingen sie gemeinsam los, zu seinem Wagen, der nicht weit entfernt vom Hafen parkte. Sein Fahrer würde sie geschwind zu seinem Haus fahren, wo sie sich aufwärmen und sie in Ruhe ihre Zweisamkeit genießen könnten. Zusammen mit den Pokémon. Dort könnte er auch Wie-Shu begrüßen. Ohne ihn hatte in seinem Team einfach etwas gefehlt.

„Also? Wie war deine Zeit im glanzlosen Kalos, während ich in Sinnoh war?“, hakte Platan unterwegs neugierig nach.

„Teilweise stressig, wegen der Arbeit“, antwortete Flordelis wahrheitsgemäß. „Und wenn wir nicht über den Holo-Log sprachen, war ich damit beschäftigt dich zu vermissen.“

Platan kommentierte das mit einem gerührten Laut.

„Übrigens“, fiel Flordelis ein. „Ich wollte mir diese filigranen Muster auf meiner Tapete genauer ansehen, von denen du mal so fasziniert warst.“

„Oh“, entgegnete Platan darauf trocken. „Tatsächlich?“

Amüsiert nickte Flordelis ihm zu. „Entweder habe ich Schwierigkeiten damit, solch eine feine Handwerkskunst zu erkennen, oder da sind überhaupt keine filigranen Muster auf meiner Tapete. Oder auf meinen Teppichen. Magst du mir das erklären?“

„Ehrlich gesagt“, begann Platan nervös, „gab es einen anderen Grund, wegen dem ich so lange gebraucht hatte. Das mit der Tapete war nur … eine Ausrede.“

Eine erstaunlich überzeugende Ausrede. Womöglich hätte Flordelis aber misstrauisch werden sollen, weil Platan etwas zu begeistert von diesen angeblich filigranen Mustern gewesen war. Sonst war es recht deutlich zu erkennen, sobald er log, in diesem Fall hatte er jedoch scheinbar unbedingt etwas verbergen wollen. Oder es war nicht alles von dem gelogen, was Platan gesagt hatte. Seine Faszination für Eleganz existierte immerhin wirklich.

„Darüber würde ich gerne mehr erfahren“, meinte Flordelis interessiert.

Alles, was mit Platan zu tun hatte, wollte er in sich aufnehmen. Sich noch tiefer mit ihm verbunden fühlen. So wie er es sich schon von Anfang an gewünscht hatte.

Lächelnd lehnte Platan sich beim Laufen bei ihm an. „Da ich weiß, wie sehr dir meine Stimme gefällt, erzähle ich dir liebend gerne alles, was du hören willst. Auch wenn mir diese Geschichte etwas peinlich ist.“

„Keine Sorge, in meinen Augen … bist du in jeder Hinsicht wundervoll, Professor. Daran wird sich nichts ändern.“

Niemals.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ursprünglich war nur ein One-Shot geplant, der nach diesem Kapitel geendet hätte. Dann wurde aber doch eine längere Geschichte mit mehr Kapiteln daraus. =)
Ich hole einfach immer viel zu gerne gaaanz weit aus ... genau wie Platan. XD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
> „Außerdem“, fuhr Platan fort, so leise, dass man es leicht überhören konnte, „finde ich dich auch sehr attraktiv.“

Ich liebe die Vorstellung, dass Platan, nachdem ihm das so offen in Kapitel 3 herausgerutscht ist, innerlich panisch und verlegen gedacht hat: "W-was?! Habe ich das gerade wirklich gesagt?! D-dieses Hemd macht mich ganz wirr! >///<" Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Happy End! (ˆ ³ ˆ)♥

Da es von Anfang an eine eher kurze Geschichte werden sollte, damit ich es auch bis zum Ende schaffe, bin ich auf vieles nicht näher eingegangen - und hatte dadurch stellenweise das Gefühl viel zu gehetzt zu erzählen. Ich hätte beispielsweise gerne gezeigt, wie Platan und Flordelis die Pokémon des jeweils anderen kennenlernen oder Parfi und Wie-Shu tauschen. Es ergab sich aber einfach keine natürliche Möglichkeit dazu, ohne das Ganze doch wieder mit zusätzlichen Kapiteln in die Länge zu ziehen. Vielleicht irgendwann nachträglich, als kleine Extras, in Form von One-Shots ...
Jedenfalls hatte ich während des Schreibens stets das Gefühl, alles klingt und wirkt zu steif, weshalb ich ziemlich unzufrieden mit mir selbst war. Meine liebe  Flordelis ist dagegen aber sehr zufrieden, was mir dabei geholfen hat diese Geschichte nicht mehr so furchtbar kritisch zu sehen, sondern sie schlicht zu genießen (Danke dafür!). Das Geburtstagsgeschenk kam gut an und das war ohnehin alles, was ich mir erhofft habe. :3
In dem Sinne verabschiede ich mich vom Radiomoderator Platan und wünsche ihm mit Flordelis in dieser Zeit eine glückliche Zukunft. ♥♥♥

... Ich konnte leider keinen Kukui unterbringen. >_<
Kukuuuuuuuuuui!!! Q///Q Komplett anzeigen

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