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Festival of Blood

von

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Prolog

Weißer Rauch drang aus dem Lauf seines Gewehrs, welches noch angewinkelt in seinen Armen lag, sein linkes Auge war immer noch zusammen gekniffen, der Zeigefinger ruhte auf dem Abzug. Nur wenige Meter vor ihm lag etwas, was unwissende als ein Wesen bezeichnen würden, welches ihnen als Kindern durch dunkle Märchengeschichten Furcht und Schrecken hätte einjagen sollen. Er dagegen hatte keine Angst vor dieser Kreatur. Wiederum hörte er seinen Puls schnell gegen seine Halsschlagader hämmern, das Blut rauschte nur so in seinen Ohren und wenn er für einen kurzen Augenblick den Atem anhalten würde, dann würde er anhand der Geschwindigkeit seines Herzschlages einen Infarkt befürchten müssen. Doch er würde keinen Herzinfarkt bekommen, nein ganz im Gegenteil. Er befand sich gerade dermaßen im Rausch, dass er nichts anderes mehr um sich herum wahrnahm.

Nicht das Rascheln der Blätter im Wind.

Nicht das Plätschern des kleinen Baches.

Nicht das herrliche Zwitschern der Vögel.

Nicht das leise Knacken eines trockenen Zweiges, welcher unter der Belastung einer riesigen Pranke zerbrach, welche zu der sich von hinten anschleichenden Bestie gehörte.

„Hab ich dich endlich…“, flüsterte der Jäger schon fast, er hatte seine Stimme immer noch nicht richtig gefunden.

Er ging zu seiner erlegten Beute, ging direkt neben ihr in die Knie und horchte. Keine Atemgeräusche, kein Knurren drang mehr an sein Ohr.

„Ich habe es endlich geschafft. Mein größter Fang...einen schönen Platz habe ich für deinen Kopf an meiner Wand…“

Plötzlich schreckte der Mann auf, denn er spürte etwas direkt hinter sich stehen. Er wirbelte mit wild pochendem Herzen um sich herum, Gewehr im Anschlag und blickte dem Tier sich gegenüber stehend ins Gesicht. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt und er bemerkte, dass er seinen Atem angehalten hatte, während das kleine Rehkitz vor ihm lediglich den Kopf schief legte. Für eine Weile standen sie sich so gegenüber. Keiner regte sich. Der Jäger zielte immer noch auf das Kitz, seinen Finger zittrig am Abzug. Er musste sich selber eingestehen, dass er gezögert hatte abzudrücken. Langsam ließ er sein Gewehr wieder sinken, woraufhin sich das Rehkitz auch wieder in Bewegung begab. Es stolzierte schon fast an ihm vorbei, so als wolle es ihm fies „du Feigling“ ins Gesicht grinsen.

„Idiot…“, tadelte sich der Jäger und ohrfeigte sich selber, „jedes andere Tier hätte sich bereits an deinen Eingeweiden erfreut! Das nächste Mal schießt du SOFORT!“

Als hätte sie nur auf diesen Ausruf gewartet sprang die Bestie aus ihrem Versteck hervor, schlug laut knurrend mit gefletschten Zähnen ihre Klauen in beide Schultern des Jägers und stürzte ihn so in sekundenschnelle zu Boden. Der Aufprall war so hart, dass sich der Mann ein kleines Stück Zunge abbiss, als seine Kiefer aufeinanderprallten. Sofort füllte sich sein Mund mit dem metallischen Geschmack seines eigenen Blutes, während er seine Arme aus Reflex schützend vor sein Gesicht werfen wollte. Doch die Bestie ließ bereits wieder von ihm ab und flüchtete in den dichten dunklen Wald.

Er wusste nicht, ob er es aus Frust oder Schmerz tat, aber der Jäger schrie so laut er nur konnte, er strampelte mit Füßen und Händen wie ein kleines Kind auf den Boden ein. Das Schreien wurde zu einem Brüllen und das Brüllen verwandelte sich schließlich in ein hysterisches Schluchzen, während er sich schwerfällig aufsetzte und seinen Körper nach weiteren Wunden abtastete. Abgesehen von seiner Zunge war er tatsächlich unversehrt gewesen, sein dicker Ledermantel hatte die langen Krallen der Bestie abwehren können! Ächzend stemmte er eine Hand aufs Knie und drückte seinen immer noch zitternden Körper nach oben.

Jetzt war er die Beute, jetzt wurde er gejagt, jetzt gab es kein zurück mehr, für keinen von beiden.

„Wir haben im Moment zwei Möglichkeiten…“, brachte der Jäger zittrig hervor und ging in geduckter Haltung ein paar Schritte, „entweder bringen wir es hier und jetzt zu Ende, oder du wartest hier auf mich, bis ich wieder komme…“

Stille.

An seine Ohren drang nur das Rascheln der Blätter im Wind, das Plätschern des kleinen Baches und das herrliche Zwitschern der Vögel.

„Du Feigling...“

Der Jäger wandte sich erneut seiner bereits erlegten Beute zu, holte seine Machete aus der Halterung hinter seinem Rücken hervor und schlug mit kräftigen Hieben den Kopf von dessen Schultern ab.

Aus dem Nichts ertönte ein Knacken von links!

Blitzschnell reagierte der Jäger und warf seine Machete mit ordentlich Schwung in die Richtung, aus welcher soeben noch das Geräusch gekommen war. Er konnte einen schmerzverzerrten Aufschrei hören und wie seine Waffe in einen Körper eindrang. Egal was er gerade getroffen hatte, es würde auf jeden Fall schon mal schwer verletzt sein. Er prüfte seine Munition bevor er das Gewehr erneut anlegte und pirschte sich vorsichtig an. Er schob ein paar Büsche beiseite und wich einem moosbewachsenen gefällten Stamm aus, schließlich erblickte er das getroffenen Tier und seufzte schwerfällig. Das Rehkitz lag schwer verwundet vor im, die Machete war im Bauchraum eingedrungen und blitzte zur anderen Seite ein wenig heraus. Der Jäger lehnte das Gewehr an den umgefallenen Baumstamm und ging neben dem Tier auf die Knie.

„Es tut mir leid. Du warst eigentlich nicht meine Beute…“

Er nahm seinen Hut vom Kopf, murmelte ein kurzes Gebet, zog dann einen Colt aus seiner Hüfttasche, zielte und drückte ab.

„...aber du wirst mich einige Tage ernähren. Du bist also nicht umsonst gestorben…“

Das Kitz über die Schulter geschmissen kehrte der Mann zu seiner geköpften Trophäe zurück und hielt irritiert inne. Die von ihm erlegte Bestie hatte bereits begonnen ihre Gestalt zu verändern, das war ihm auch bewusst gewesen, dass das passieren würde. Und dennoch, das was ihm augenblicklich das Blut in den Adern gefrieren ließ war die Erkenntnis, dass er nicht wie erwartet das Weibchen sondern seinen Partner erlegt hatte.

„Oh...das ist...überhaupt nicht...gut…“, grummelte der Jäger, legte das Kitz ab und sah sich beunruhigt um, „ganz und gar...nicht gut…“

Bei jedem kleinsten Laut zuckte er zusammen, sein Puls nahm erneut Fahrt auf, seine Nackenhaare stellten sich zu Berge und ein eiskalter Schweiß lief über sein Gesicht. Woher würde sie kommen? Von dort? Oder von hier? Von oben vielleicht?!

Er hatte bereits weibliche Exemplare dieser Gattung gejagt und er wäre jedes Mal beinahe selber dabei drauf gegangen. Sie waren um einiges angriffslustiger, unberechenbarer und blutrünstiger als die Männchen und die Tatsache, dass diese hier auch noch mitansehen musste wie er höchstpersönlich seinen geliebten Partner umgebracht hatte würde alles zu seinem wahr gewordenen Alptraum machen.

Er holte tief Luft, als ihm bewusst wurde, das es nun für ihn endgültig kein Entkommen mehr gab. Er würde heute hier in diesem Wald sterben…

1

Samantha Davis zog genüsslich an dem Strohalm, welcher ihr den köstlichen Smoothie in den Mund beförderte, bevor sie den Becher wieder in der Mittelkonsole ihres Leihwagens verstaute und den Arm lässig aus dem geöffneten Fenster streckte und der Musik aus dem Radio lauschte. Das Navi meldete sich kurz zu Wort und gab ihr neue Anweisungen, welche die junge Frau sofort befolgte. Nachdem sie sich auf der neuen Straße sicher eingeordnet hatte machte sie es sich erneut auf ihrem Fahrersitz gemütlich.

Ab und zu fuhr sie sich mit gespreizten Fingern durch ihre offenen braunen Haare, tippte mit den Fingern im Takt der Musik auf das Lenkrad, ab und zu sang sie sogar ein paar Strophen mit.

Nach einiger Zeit nahm sie ihre Sonnenbrille ab, der Himmel hatte sich zunehmend mit dunklen Wolken zugezogen und es sah verdächtig nach einem kräftigen Regenschauer aus. Genau in diesem Moment blinkte das Motorsymbol ihres Wagens auf und ein ungutes Piepen übertönte die Musik.

„Das ist nicht gut…“, murmelte die junge Frau und setzte sich wieder in eine aufrechte Position.

Unruhig beobachtete sie, wie immer mehr Symbole piepend aufleuchteten, der Wagen ließ sich zunehmend schwerer lenken.

„Oh bitte nicht!“, stöhnte Samantha genervt und schlug auf das Lenkrad ihres nun immer langsamer werdenden Autos ein.

Der Wagen hatte ihr bereits vor 65 Meilen durch immer wieder aufblinkende Symbole zu verstehen gegeben, dass er allmählich die Schnauze voll hatte. Er konnte ja schließlich nichts dafür, dass Samantha zu spät aufgestanden und somit der klimatisierte Leihwagen mit deutlich mehr PS bereits vergriffen war. Hätte sie doch bloß auf der Internetseite auf reservieren geklickt! Das Auto stand nun endgültig mitten auf der Straße und machte auch keinerlei Anstalten mehr weiterzufahren.

Verdammt nochmal! Frustriert stieß Samantha die Wagentüre auf und kletterte nach draußen.

„Fuck!“, zischte sie und trat mit voller Wucht gegen den Vorderreifen, woraufhin die Motorhaube demonstrativ mit einem lauten „Puff“ aufsprang und weißer Rauch emporstieg.

„ECHT JETZT?!“

Die junge Frau riss die Arme gen Himmel empor und stieß sämtliche Flüche und Schimpfwörter auf einmal aus, bevor sie sich gegen den linken Vorderreifen fallen ließ und in ihrem Handy nach der nächsten Werkstatt suchte.

„Herzlichen Glückwunsch Miss Davis! Sie haben den Hauptgewinn gezogen und dürfen laaange laufen!“, ächzte Samantha und stand wieder auf.

Die Tatsache, dass der Himmel immer dunkler und der Wind immer rauer wurde machte ihre Gesamtsituation wohl kaum besser.

Sie holte ihre Umhängetasche und zwei Flaschen Eistee aus dem Kofferraum, blickte ein letztes Mal auf den immer noch qualmenden Leihwagen und lief los. Immer am Straßenrand entlang ging Samantha sämtliche Szenarien durch, wie die Reaktionen ihrer Mutter sein könnten wenn sie ihr erklärte, was passiert war und welchen Rattenschwanz es hinter sich herziehen würde. Die junge Frau stöhnte mehrmals entnervt auf, denn egal welche Taktik sie anwenden würde, es würde ein Drama geben. Wie immer...

Sie nahm einen kräftigen Schluck ihres Eistees und stieg auf einen kleinen Hügel um eine bessere Übersicht zu haben. Ihre Füße schmerzten jetzt schon und Samantha befürchtete, dass sie an Nicoles Hochzeit mit offenen Blasen in die teuren Schuhe steigen müsste. Wie ätzend! Wieso musste sie gerade an einem so wichtigen Tag den Wecker überhören?! So was passierte aber auch wirklich nur ihr. Samantha versuchte es zu vermeiden immer wieder auf ihr Handy zu sehen um Akku zu sparen, daher hatte sie nach einer Weile das Zeitgefühl völlig verloren. Natürlich hatte es vor ein paar Minuten auch noch zu regnen begonnen.

„Shit!“, fluchte sie und wischte sich eine nasse Haarsträhne von der Stirn bevor sie ihr Cap wieder aufsetzte, „ich hasse dich auch Karma...“

Es musste ungefähr früher Nachmittag sein, der Regen war stärker geworden, Samanthas Klamotten klebten bereits an ihr, jeder weitere Schritt war nur noch eine Qual und an den Muskelkater, welchen sie spätestens morgen haben würde wollte sie noch gar nicht denken.

„Kommt bitte dieses Mal pünktlich!“, hörte sie die mahnende Stimme ihrer Mutter im Kopf und rollte theatralisch mit den Augen.

„Ja Mama“, hatte Samantha beim Telefongespräch von letzter Woche gestöhnt.

„Du weißt, dass Onkel Jeff uns das wieder monatelang vorhalten wird!“

„Ja Mama...“

„Die halbe Verwandtschaft macht sich bereits über uns lustig!“

Erneut hatte Samantha die Augen verdreht und war in ihrer Wohnung auf und abgelaufen.

„Deine Kleider habe ich dir bereits gekauft, dass wenigstens diese pünktlich vor Ort sind!“

Moment mal...Kleider? Plural? Wie lange sollte diese Hochzeit eigentlich gehen?

„Jetzt übertreib nicht Mama!“, rief Samantha empört und knabberte an ihrem Fingernagel, „das letzte Mal war ich nur knapp zwei Stunden zu spät!“

„Ja! Zwei ganze Stunden! Und Onkel Jeff hat es mir ein halbes Jahr täglich aufs Brot geschmiert!“

„Ich kann doch auch nichts dafür, dass der Highway verstopft war...“

„Wenn du rechtzeitig losgefahren wärst...“

„Er macht aber auch immer ein Drama wo keines ist...“

„Kindchen bitte nicht an den Nägeln knabbern!“

Augenblicklich hatte Samantha ihre Finger wieder aus dem Mund genommen und ihrer Mutter mehrmals versprochen, dass sie es zu Nicoles Hochzeit pünktlich schaffen würde.

Und hier war sie nun mitten im Nirgendwo seit Stunden zu Fuß im Regenschauer unterwegs und hatte nur noch eine halbe Flasche Eistee übrig. Langsam machten ihre Nerven schlapp und sie ging erneut sämtliche Szenarien durch, was passieren würde, falls ihr die Flüssigkeit ausging. Im Abendprogramm hatte Samantha schon immer gerne Survival Shows angesehen, doch jetzt begann sie langsam zu realisieren, dass sie nicht dafür bereit war ihren eigenen Urin aus ihrem Schuh zu trinken...zumal sie offene Riemchensandalen trug.

„So schlimm wird es schon nicht werden...mach dich nicht unnötig verrückt“, sprach sich die junge Frau selber Mut zu, musste jedoch feststellen, dass es sie nur noch panischer machte.

Ihre Schritte wurden auf einmal wieder schneller, hastiger und dann passierte es auch schon. Durch ihre Panik gepaart mit den Riemchensandalen rutschte Samantha auf einem nassen Blätterhaufen aus, ruderte wie wild mit ihren Armen, knickte mit ihrem Knöchel um und es legte sie der Länge nach zu Boden.

„ECHT JETZT KARMA?!“, schrie die junge Frau vor Schmerz und hielt sich die verletzte Stelle, „ich hasse dich ja auch...aber ECHT JETZT?!“

Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit geworden, dass sie nun doch ihren eigenen Urin trinken müsste? So langsam schien ihr zu dämmern, dass die Hochzeit ohne sie stattfinden würde. Nicht, weil sie sich wie alle erwarteten verspäten würde, sondern weil irgend ein wildes Tier an ihrem Oberschenkelknochen nagen würde. In einer dunklen Höhle. Weit weg von hier.

Tränen von Frust und Verzweiflung stiegen Samantha in die Augen und sie rieb sich schluchzend den Knöchel, weshalb er ihr nur noch mehr schmerzte.

„Was kann ich denn überhaupt?“, schniefte die junge Frau und wischte sich den Rotz unter der Nase mit dem Arm weg, „alles mach ich falsch!“

Langsam robbte sie über den nassen Waldboden durch den Matsch zum nächsten Baum, welcher der erste einer kleinen Lichtung war und lehnte sich gegen seinen Stamm. Vorsichtig zog Samantha sich die Sandale vom Fuß und versuchte sich ihren Knöchel mit kalten nassen Moos und Laub zu kühlen. Als der Schmerz endlich für einige Sekunden gemildert wurde schloss sie die Augen und stöhnte erleichtert auf, ließ ihren Oberkörper wie einen nassen Sack gegen den Stamm fallen und legte den Kopf gen Nacken. Sie horchte dem Rauschen des Regens um sich herum, den Rascheln der Blätter im Wind und irgendwo in unmittelbarer Nähe plätscherte ein Bach. Wenn sie es bis zu diesem Bach schaffen würde, dann könnte sie ihren Fuß noch effektiver kühlen.

Unter lautem Ächzen raffte sich die junge Frau wieder auf die Beine, ihren verletzten Fuß so gut wie nur möglich schonend und humpelte in die Richtung, woher das Plätschern kam. Nach Weile erreichte sie einen gefällten Baumstamm, welcher bereits großzügig mit Moos bewachsen war und setzte sich erleichtert seufzend darauf. Hier würde sie eine Pause einlegen, kurz verschnaufen und ihrem Puls erlauben, wieder in humanen Abständen zu schlagen. Samanthas lange braune Haare, welche sich durch Wind und Wetter beinahe alle aus ihrem lockeren Dutt gelöst hatten klebten an ihrem Körper. Mit einem geübten Handgriff löste sie ihren Haargummi und schüttelte kräftig ihren Kopf, so dass ihr fast schon schwindelig wurde. Als sie einzelne Strähnen aus dem Gesicht gewischt hatte horchte sie angespannt auf und sah sich ein wenig um. Natürlich wusste sie, dass sie sich das Geräusch von eben nur eingebildet hatte, ein listiges Spiel ihrer Fantasie, dennoch versteifte sich ihr Körper immer mehr und irgendein komisches Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit.

Sie hatte vor einiger Zeit schon durch Nässe und Wind zu zittern begonnen, aber dieses Zittern, was sie jetzt hatte…

„Hallo?“, rief Samantha nach links.

Nichts. Natürlich nichts! Wenn sie ein jagendes Tier wäre, würde sie ja auch nicht antworten!

„Oh man…“, seufzte sie und tadelte sich dafür, sich mit diesen Gedanken noch mehr Angst gemacht zu haben.

Jetzt wurde sie noch unruhiger und ihr Gehör bildete sich immer mehr imaginäre Geräusche ein. Aber...was wenn es gar nicht imaginär war…?

„Hör jetzt auf damit!“, rief Samantha laut und verpasste sich selber eine Ohrfeige.

Mit einem lauten Schluchzen, denn die Ohrfeige war fester gewesen als geplant, stemmte sich die junge Frau von dem Baumstamm ab und humpelte weiter in Richtung des Baches. Allmählich wurde das Plätschern lauter, woraufhin sich Samanthas Stimmung wieder aufhellte. Die Büsche wurden dichter, sie hatte mit ihrem verletzten Fuß alle Mühe sich hier durchzukämpfen. Natürlich verhedderte sich ihr Oberteil in den kleinen Ästen, wodurch Samantha gezwungen war stehen zu bleiben. Sie fummelte verärgert vor sich her fluchend an dem Stoff und den Blättern herum, als plötzlich aus dem Nichts ein lauter und viel zu naher Tierschrei ertönte. Wie versteinert stand sie nun da, die Augen weit aufgerissen, ihre Hände verkrampften sich und ihr Körper bebte nun so stark, dass ihre Zähne schmerzhaft aufeinander klapperten. Samantha war vor Jahren mit ihrem Großvater jagen gewesen um zu wissen, dass das, was sie da eben gehört hatte definitiv der Jäger war. Ein Späher, welcher dem Rest des Rudels zu verstehen gab, dass er die Beute ausgemacht hatte.

Samanthas Kopf fuhr ruckartig herum, als nur wenige Meter neben das Knacken eines Zweiges zu hören war. Die Büsche und Sträucher in unmittelbarer Nähe wackelten in einer gleichmäßigen Bewegung, etwas kam gerade auf sie zu gelaufen.

„FUCK!“

Samantha zerrte an ihrem Oberteil, der Stoff riss und die junge Frau fiel nach hinten über. Sie ruderte wie wild mit den Armen, um noch in letzter Sekunde wieder das Gleichgewicht zu erlangen, blieb dann jedoch mit ihrem verletzten Fuß an einer Baumwurzel hängen und landete unsanft auf ihrem Hintern.

„Ah...shit…“, keuchte sie und blickte durch die Sträucher hindurch.

Zwei leuchtend rote Augen waren starr auf sie fixiert, die Pupillen waren so klein wie Stecknadelköpfe. Zäher Speichel tropfte von weißen spitzen Fangzähnen, welche nur darauf warteten, sich in Samanthas weiches Fleisch zu bohren.

„Du bist...kein...Hund…“, keuchte die junge Frau, ihr Brustkorb hob und senkte sich viel zu schnell, während sie versuchte sich vorsichtig nach hinten weg zu schieben. Vor allem weg von diesem Ding, welches sie immer noch anstarrte.

Ein Geräusch aus einer Mischung von Knurren und Bellen ertönte, Samantha rutschte vor lauter Schreck mit ihrem Fuß auf dem nassen Laub aus und ihr entfuhr ein heller Aufschrei. Darauf hatte das Tier mit den roten Augen nur gewartet.

Es preschte hervor, Samantha schrie erneut auf. Ihre Füße stemmten sich gegen den nassen Waldboden und dann rannte sie. Sie rannte so schnell sie nur konnte, sie spürte im Moment keinen Schmerz mehr, nur noch nackte Angst. Hinter sich hörte sie immer noch das Tier mit den roten Augen, wie es sie vor sich her hetzte, seine Beute.

Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte sich die junge Frau, ob es vielleicht Sinn machen würde auf einen Baum zu flüchten, doch dann fiel ihr wieder ein, dass es regnete und beinahe alle Bäume mit Moos bewachsen waren. Und sie konnte eigentlich auch gar nicht so gut klettern. Wie viele Filme hatte sie bereits gesehen, wo die junge Frau vor irgendeinem Bösewicht floh und jedes Mal, wenn diese auf einem Baum oder Felsvorsprung klettern wollte packte sie etwas am Fuß. Ende Gelände.

Oh nein! Nicht mit mir!, dachte Samantha und griff nach einem dünneren Baum, sie wirbelte herum, rutschte nur minimal auf dem nassen Laub und hetzte dann in eine andere Richtung. Ihre Lungen brannten mittlerweile, sie hatte das Gefühl gar nicht mehr richtig Luft einzuatmen, doch stehen bleiben kam auf keinen Fall in Frage! Hinter ihr gab das Tier ein genervtes Knurren von sich, so als hätte es allmählich genug und würde sie gleich fangen wollen.

„BITTE NICHT!!“, rief Samantha und versuchte ihren Baumtrick gleich noch einmal.

Diesmal erwischte sie jedoch einen morschen Stamm, welcher unter dem Schwung und ihrem Gewicht mit einem lauten Knacken sofort nachgab. Samantha wurde zu Boden geschleudert und kullerte noch ein paar Meter weiter, dann gab der Waldboden unter ihr nach und sie rutschte einen Hang herunter. Als hätte sie eine Hornisse gestochen sprang die junge Frau sofort wieder auf ihre Beine und erblickte einige Farmgebäude nur wenige hundert Meter vor sich.

Gerade als sie erleichtert aufatmen wollte hörte sie wieder das Tier hinter sich laut aufknurren. Anscheinend suchte es eine flachere Stelle um seine Jagd wieder aufnehmen zu können, doch so lange würde Samantha nicht warten. Wieder rannte sie um ihr Leben, versuchte um Hilfe zu schreien, doch ihre geplagten Lungen ließen es wie ein erbärmliches Pfeifen des Windes klingen.

Ein knurrendes Bellen ertönte erneut hinter ihr und durch das durchaus kürzere Gras konnte sie die Pfoten ihres Verfolgers über den Boden schnellen hören.

Gleich würde sie es haben. So kurz vor ihrem Ziel, so klischeehaft. Es würde sie zu Boden drücken, ihr Fleisch mit seinen Zähnen heraus reißen und sie würde dabei noch bei vollem Bewusstsein sein. Die Ranch kam nur sehr langsam näher, Samantha merkte, wie ihr Körper bereits von sich aus langsamer wurde. Er hatte bereits aufgegeben…

Als die junge Frau ein letztes Mal unter Tränen aufsah bemerkte sie, wie eine einzelne Person neben dem Gebäude, einem Stall hervorgetreten war und genau in ihre Richtung blickte.

„HEEEY!“, schrie sie auf, wedelte wild mit den Armen, verlor dabei ihr Gleichgewicht und stürzte erneut zu Boden.

In dem Moment, als sie feste damit rechnete, dass das Tier mit den roten Augen das erste Mal seine langen Zähne in ihr Fleisch bohren würde ertönte ein lauter Knall, dann noch einer. Etwas jaulte schmerzhaft auf, es folgte ein dritter Knall und dann war es ganz plötzlich ruhig. Nur das Rauschen des Regens war zu hören und Samantha hob wie in Zeitlupe ihren Kopf. Die Person, welche sie eben erst entdeckt hatte stand breitbeinig einige Meter vor ihr, Rauch quoll aus einer Schrotflinte. War es endlich vorbei? Hatte sie tatsächlich überlebt?

Hastig rollte sie sich auf den Rücken und blickte in Richtung aus der sie gekommen war. Zwei tiefe Einschussmulden waren zu sehen, eine davon nur knapp von ihren Füßen entfernt. Der dritte Schuss musste das Tier mit den roten Augen erwischt haben, dennoch war es nirgends zu sehen. War es etwa nur verwundet worden? Samantha stand mühsam auf, ihre Knie wackelten als stünde sie auf einer Vibrationsmatte und erst jetzt konnte sie ihre brennenden Lungen das erste Mal in vollem Ausmaß spüren, sie hustete heftig, es schüttelte ihren ganzen Körper und dann erbrach sie.

Es dauerte einige Momente, bis sie sich wieder gefangen hatte und erst danach sah sie einen tiefroten nassen Fleck im Gras, nur knapp einen Meter von sich entfernt. Als ihr durch diesen Anblick bewusst wurde, wie nah sie tatsächlich dem Tode gewesen war erbrach sie sich erneut. Sie verweilte einen Augenblick noch kurz über dem Boden kauernd, dann blickte sie sich nach ihrem Retter um.

Doch da stand niemand mehr. Sie konnte sich das alles nicht nur eingebildet haben! Samantha fand erneut die beiden Einschussmulden im Boden und den Blutfleck, dennoch war kein Schütze mehr aufzufinden. Vorsichtig ging sie auf wackeligen Beinen die paar Meter zu der Scheune, hielt sich an der Holzwand kurz fest, bevor sie zögernd um die Ecke sah.

Was sie erblicken konnte waren zirka zwanzig weiße Schafe, welche genügsam mähend brav in einem Kreis herumstanden, in ihrer Mitte stand ein junger Mann. War dieser Mann ihr Retter? Samantha hatte vorher sein Gesicht nicht wirklich sehen können, zumal er ein Cap tief in sein Gesicht gezogen auf hatte und jetzt stand er mit dem Rücken zu ihr. Oberkörper frei. Trotz Regen.

„Ähm...entschuldigen Sie…?“, versuchte Samantha auf sich aufmerksam zu machen.

Der Mann, welcher anscheinend gerade damit beschäftigt war seine Herde zu scheren reagierte nicht auf sie. War sie so leise gewesen? Die junge Frau ging noch ein paar unsichere Schritte auf das Gewusel vor sich zu, dann regte sich ihr Gegenüber zum ersten Mal.

„Wenn du jetzt noch einen Schritt näher kommst, verscheuchst du meine Schafe!“, rief er ihr zu, ohne von seiner Arbeit abzulassen.

Samantha blieb starr und wie angewurzelt stehen. Sie beobachtete ihn noch eine Weile, wie er da so ein Schaf nach dem anderen die weiße Wolle routiniert mit einer Elektroschere abschnitt, es wegschob und sich gleich das nächste holte.

„Ich...ich wollte mich bei Ihnen bedanken, Sir! Sie haben mir das Leben gerettet!“

Er ignorierte sie erneut. Langsam fühlte sich Samantha dann doch von ihm verarscht und ging zwei weitere Schritte nach vorne. Kaum hatte sie zum dritten Schritt angesetzt, verstummten plötzlich alle Schafe, blickten zu ihr auf und verstreuten sich unter aufgeregtem Mähen in alle Richtungen. Der Mann hielt in seiner Position inne und auch Samantha war erneut zu einer Salzsäule erstarrt.

„...ups…“, raunte sie und sah den Tieren nach, welche immer noch wie aufgescheucht rannten.

„Habe ich dir eben nicht erst gesagt, dass du da stehen bleiben sollst?!“, fauchte der Mann sie jetzt an und ging strammen Schrittes auf sie zu.

„Ähm aber ich...ähm…“, stammelte die junge Frau, als er direkt vor ihr zum Stehen kam.

Eingeschüchtert blickte sie mit eingezogenem Kopf zu ihm auf, er war locker zwei Köpfe größer als sie und selbst durch seine verspiegelte Sonnenbrille konnte Samantha die hasserfüllten Blicke spüren, mit welchen er auf sie herabsah.

„Tut...tut...mir leid…“, murmelte sie und wich zwei Schritte zurück.

„Damit gewinne ich jetzt auch keinen Blumentopf mehr! Hast du eine Ahnung, wie lange ich gebraucht habe, alle Schafe einzufangen?“

Samantha erinnerte sich daran, dass sämtliche Tiere eben völlig tiefen entspannt um ihn versammelt gestanden hatten, doch sie traute sich nicht zu widersprechen. Sie wich lieber noch einen Schritt zurück.

Der Mann wandte sich von ihr ab und schimpfte weiter wild vor sich her, hob die Elektroschere vom Boden auf und stampfte deutlich angepisst in die Richtung, wo sich die meisten Schafe versammelt hatten. Samanthas Atem ging immer noch zittrig und sie nutzte die Gelegenheit, um sich etwas umzusehen. Sie stand direkt neben einer Scheune, anscheinend wurden dort die Tiere untergebracht, wenn sie nicht auf der Weide standen. Ungefähr dreißig Meter gegenüber vom Stall stand das Wohngebäude, dahinter war eine großzügige Fläche eingezäunt. Weiter links von der Scheune, bei welcher Samantha sich gerade befand stand eine weitere ihrer Art. Bei schönem Wetter würde der Anblick hier weitaus angenehmer und nicht so trostlos sein wie jetzt, es hatte zwar mittlerweile aufgehört wie aus Kübeln zu regnen, doch der Himmel war immer noch dunkelgrau.

Die junge Frau zitterte heftig, wahrscheinlich eine Mischung aus Angst und Kälte, ihre nassen Klamotten klebten ihr am Leib wie eine zweite Haut. Samantha ließ den Blick weiter über die Ranch gleiten in der Hoffnung noch jemanden außer dem Schafe scherenden Rüpel zu erblicken, doch leider schien er der einzige weit und breit zu sein.

Langsam ging sie in dessen Richtung, blieb allerdings mit respektvollem Abstand zu ihm und den Schafen stehen und räusperte sich. Die flauschigen Tiere blickten erneut alle auf einmal zu ihr auf.

„Können Sie mir vielleicht sagen, was das für ein Tier war?“

„Das sind Schafe“, antwortete er knapp, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

„Ja das sehe ich auch!“ Samantha rollte theatralisch mit den Augen, „ich meine das Vieh, welches mich verfolgt hat!“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

Auch diese Antwort kam viel zu schnell und zu knapp. Samantha schüttelte ihren Kopf und deutete in die Richtung aus der sie gehetzt worden war.

„Verkaufen Sie mich nicht für blöd! Da hat mich was verfolgt und ich will wissen, was es war!“

Der Mann ließ von dem geschorenen Schaf ab und drehte sich in der Hüfte zu ihr um.

„Na dann geh halt wieder zurück, vielleicht findest du es noch einmal...oder besser gesagt es findet dich!“

Samantha stampfte wütend mit dem verletzen Fuß auf den Boden, japste dann schmerzhaft auf, was dem Mann ein gehässiges Kichern entlockte. Er schmiss die Elektroschere achtlos auf den Boden und drehte sich nun voll zu ihr um. Er konnte unmöglich älter wie Mitte zwanzig sein, seine nackte Haut war von der Arbeit unter freiem Himmel dezent gebräunt, sein trainierter Oberkörper war vollkommen unbehaart und glänzte vor Schweiß und Regentropfen. Unter seiner Cap spitzten einzelne schwarze Haare hervor.

„Hören Sie“, versuchte es die junge Frau erneut und spürte wie sich Verzweiflung in ihr breit machte, „das Vieh muss hier noch irgendwo herumlaufen!“

„Gut möglich.“

„Was war es?“

„Nur ein Hund.“

„Ein Hund?! Welcher Hund hat rote Augen??“

„Ein wilder Hund.“

Samantha ließ entnervt ihre Schultern hängen und blickte ihr Gegenüber fassungslos an. Anscheinend wollte er ihr nicht helfen, auch wenn er eben noch ihr Leben gerettet hatte.

„Gibt es hier irgendwo in der Nähe eine Werkstatt? Mein Auto ist…“

„Nein“, schnitt er ihr schroff ins Wort, „es gibt eine kleine Siedlung in etwa 3 Meilen. Versuch es dort.“

Samantha blickte in die Richtung, in die er zeigte. Sie stutzte bei dem Gedanken die Strecke mit ihrem verletzten Knöchel alleine laufen zu müssen in dem Wissen, dass das Tier mit den roten Augen noch irgendwo da draußen auf sie wartete. Unter normalen Umständen würde sie für die Strecke wahrscheinlich in knapp etwas über 90 Minuten brauchen, mit dem verletzen Knöchel allerdings…

„Könnten Sie mich vielleicht fahren?“

Der Mann hob als Antwort lediglich nur eine Augenbraue.

„Könnten Sie dann vielleicht so nett sein und jemanden Bescheid geben…?“

Seine Mimik blieb unverändert. Der Frust stieg erneut in Samantha hoch und sie ballte die Fäuste, während sie versuchte die Tränen zurück zu halten. Sie holte tief Luft und startete einen letzten Versuch.

„Kannst du mir dann wenigstens deine Waffe geben, falls dieses Vieh wieder kommt?!“

Der Mann griff hinter sich an seinen Gürtel und warf etwas in ihre Richtung. Kurz vor ihrem nackten Fuß steckte nun ein Messer mit einer zirka 13 cm langen Klinge, welches sie aufhob und hoffnungslos betrachtete.
 

~*~
 

„...sollte ich dieses verdammte...au...Arschloch je wieder...au...sehen, dann werde ich seine Elektroschere...au...nehmen und ihn mit meinen eigenen Händen irgendetwas abrasieren!“, fluchte Samantha wütend vor sich her.

Sie hatte vor wenigen hundert Metern zufällig einen dicken Ast gefunden, auf welchen sie sich nun abstützen konnte und humpelte um einiges sicherer den erdigen Weg entlang. Sie hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt noch richtig war, mittlerweile hatte es angefangen zu Dämmern, und die Tatsache, dass es erneut zu Regnen begonnen hatte machte ihre Gesamtsituation nicht wirklich besser. Ihr Magen knurrte und sie hatte fürchterlichen Durst, sie war mittlerweile völlig erschöpft und fror. Hinzu kam noch, dass ihr Handyakku leer, somit ihre einzige Lichtquelle dahingeschieden war und sie deshalb dermaßen paranoid geworden war, dass sie bei jedem kleinsten Geräusch aufschrie und zusammen zuckte. Das Messer hielt sie immer griffbereit, auch wenn ihr Verstand ihr immer wieder sagte, dass sie damit wohl kaum eine Chance haben würde.

Samantha kam an eine Weggabelung an und guckte verzweifelt in die beiden Richtungen, zwischen denen sie jetzt entscheiden müsste. Die Linke führte nach einigem Geschlängel in einen dichten Wald und ihre müden Augen spielten ihr vor, dass viele kleine gelbe und rote Augenpaare sie bereits daraus fixierten. Der Rechte Weg führe einen kleinen Hügel hinauf, und sie konnte nicht sehen was dahinter lag.

„Tiefer finsterer Wald gegen Fußschmerzen des Todes…“, murmelte die junge Frau vor sich her, „gefressen werden gegen vielleicht eine geringe Chance Hilfe zu finden.“

Sie seufzte und humpelte rechts den kleinen Hügel rauf.

„Ich werde ihm so was von die Eier abrasieren!“

Nach und nach wurde es immer dunkler und Samantha wurde es allmählich bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit draußen unter freiem Himmel schlafen zu müssen gar nicht so weit weg lag. Sie schluchzte niedergeschlagen und zog die Nase hoch und plötzlich passierte es ganz schnell.

Ihr Ast, auf welchem sie sich gestützt hatte brach unter einem lauten Knacken genau in der Mitte auseinander und erneut an diesem Tag stürzte die Frau heftig zu Boden. Als wäre das allerdings noch nicht entwürdigend genug gewesen landete Samantha diesmal in einer tiefen schlammigen Pfütze, so dass ihr Gesicht für einige Sekunden im Matsch untertauchte. Hastig versuchte sie sich wieder aufzusetzen, wirbelte mit ihren Händen vorm Gesicht herum und versuchte Mund und Augen so schnell wie nur möglich wieder frei zu bekommen. Als ihr das nicht wirklich gelingen wollte ballte sie wutentbrannt die Fäuste, schlug damit auf die Matschpfütze ein und schrie aus vollem Hals ihren Frust hinaus. Noch bevor sie ein weiteres Mal tief Luft holen konnte klackte es knapp hinter ihr und sie hielt erschrocken inne. Wie in Zeitlupe hob sie ihre Hände, die Finger weit gespreizt nach oben.

„Bitte...bitte nicht schießen…“

„Bist du unbewaffnet?“, fragte eine tiefe Männerstimme.

„Ich habe nur ein Messer…“

„Zeig es mir!“, befahl der Mann schroff und Samantha konnte den Lauf der Waffe an ihrem Hinterkopf spüren.

„ICH SEHE ES NICHT!“, schluchzte sie verzweifelt mit hysterisch quietschiger Stimme auf, „meine Augen sind voller Schlamm!!“

Stille.

Samantha hörte nur das Prasseln des Regens und matschige Schritte, welche um sie herumgingen.

„Wo genau hast du es verloren?“

„Bitte nicht schießen! Es muss hier irgendwo bei mir liegen, aber bitte nicht schießen!“

Erneut schwieg der Mann und sie konnte spüren, wie er in ihrer unmittelbaren Nähe den Boden absuchte.

„Ich habe es gefunden. Trägst du sonst noch irgendeine Waffe bei dir?“

„Nein…“

Samantha fragte sich in diesem Moment wie beschissen dieser Tag eigentlich noch werden konnte. Dann plötzlich griff der Mann ihr in die Haare und zog ihr Gesicht mit einem Ruck nach hinten.

„NEIN!! BITTE NI-“

Aus dem Nichts floss kaltes Wasser über ihr Gesicht und die junge Frau verschluckte sich heftig daran. Allmählich spürte sie unter ihrem Kulchen, wie der Matsch von ihrem Gesicht weggespült wurde, konnte sogar endlich das Licht, welches direkt auf sie gerichtet war wahrnehmen. Der Mann ließ ihre Haare wieder los und entschuldigte sich tatsächlich dafür, dass er sie eben so grob angefasst hatte. Langsam öffnete Samantha ihre Augen und blinzelte verwirrt gegen den Scheinwerfer, ihre Hände immer noch erhoben. Der Mann, welcher sich als weitaus älteres Semester mit Lederhut und bodenlangen Mantel entpuppte half ihr mit einem schnellen Ruck hoch und in sein Auto, welches zu den grellen Scheinwerfern gehörte. Erst als er ihre Tür mit einem schwungvollen Knallen schloss und die junge Frau erleichtert aufatmen wollte hielt sie inne und musterte die ganzen Schusswaffen, welche auf dem Sitz zwischen ihr und dem Fahrer lagen.

Shit, dachte sie und stellte nüchtern fest, dass sie anscheinend vom Regen in die Traufe gefallen war…

Der Mann stieg und einem ächzenden Seufzer in sein Auto ein und schnallte sich an, dann blickte er zu seiner Mitfahrerin und bemerkte ihren besorgten Blick.

„Ich bin Jäger“, antwortete er tonlos.

„Und was jagen Sie genau…?“

„Keine Menschen“, lachte er jetzt laut auf und schaltete das Radio an, „keine Sorge! Hätte ich dir etwas antun wollen, dann würdest du jetzt nicht neben mir sitzen!“

Samantha wandte ihren Blick von den ganzen Schusswaffen ab und stierte wortlos in die Dunkelheit. Nach einigen Fahrtminuten brach der Jäger sein Schweigen.

„Was macht so ein junges Fräulein wie du hier draußen ganz alleine? Du...du bist doch alleine oder?“

„Bin ich“, nickte sie knapp, „mein Auto ist irgendwo liegen geblieben und ich habe Hilfe gesucht.“

„Irgendwo liegen geblieben“, wiederholte der Mann ungläubig, „du bist also nicht von hier?“

„Nein, Sir. Ich komme aus Gainesville, Georgia und wollte ursprünglich nach Orlando, Florida. Meine Cousine feiert dort gerade Hochzeit.“

„Aus Gainesville sagst du? Aber wie kommst du denn gerade hier hin?“

„Wo ist dieses hier hin?“

Der Jäger hielt inne und schob seine Unterlippe dramatisch vor.

„Das...kann ich dir leider auch nicht so genau sagen…“

„Nicht mal den Bundesstaat?“

„Nein, Miss.“

„Kennen Sie sich hier dann wenigstens aus?“

„Einigermaßen.“

Samantha ließ sich schwungvoll in ihren Sitz fallen und schlug die Hände vor die Augen.

„Aber, aber! Wer wird denn gleich so verzweifelt weinen? Wir sind ja gleich da.“

Nur zögerlich nahm Samantha ihre Arme wieder herunter und blickte in das Gesicht ihres Entdeckers. Dieser grinste breit und lenkte sein Auto einen holprigen Pfad entlang.

„Hier in dieser verlassenen Einöde gibt es tatsächlich ein kleines verschlagenes Nest Namens Wolfsburrow. Errichtet von irgendwelchen Siedlern, die den Weg nicht mehr nach Hause gefunden haben.“

„Wolfsburrow?“

„Wolfsburrow.“

Könnte dieses Dorf tatsächlich jenes sein, welches der junge Schäfer heute erwähnt hatte? Samantha schüttelte sich bei dem Gedanken an diesen Kerl, welcher ihr zwar das Leben gerettet, sie danach jedoch keines Blickes mehr gewürdigt hatte. Der Wagen kam zum Stillstand und die beiden stiegen aus. Natürlich regnete es immer noch aber das ließ die kleinen Häusern, aus welchen gedämpftes Licht schimmerte auf eine gemütliche Art mystisch wirken. Der Jäger winkte Samantha zu, dass sie ihm folgen sollte. Wie in einer Trance überwältigt von der unbeschreiblichen Atmosphäre hinkte sie hinter ihm her, konnte somit aber beobachten wie hier und dort Vorhänge zur Seite geschoben und sogar ein paar Haustüren geöffnet wurden. Doch von den Einwohnern ging keinerlei Furcht aus, niemand beäugte Samantha mit Misstrauen, ganz im Gegenteil ein junges Pärchen mit Kindern blieb tatsächlich auf ihrem Weg stehen und winkten ihr freundlich zu. Samantha wäre beinahe schon wieder gestolpert, so verblüfft war sie gewesen.

„Kennen...Sie die alle?“, fragte sie an den Jäger gewandt, als er ihr die große Türe einer Art Wirtshaus aufhielt.

„Nur einige. Aber keine Sorge, sie sind hier alle sehr herzlich und Fremden gegenüber immer hilfsbereit.“

„Ohne Gegenleistung?“

„Es kommen nicht allzu viele Touristen hier her. Sie scheinen sich über neue Geschichten zu freuen.“

Samantha machte ein überraschtes Gesicht, dann standen die beiden bereits an einem massiven Holztresen, wo der Jäger zwei Mal mit der flachen Hand drauf schlug. Noch bevor seine Begleitung sich darüber beschweren konnte schwang eine Tür seitlich hinterm Tresen dermaßen dynamisch auf, dass Samantha Angst hatte das Holz gleich ins Gesicht geknallt zu bekommen. Sie wich einen Schritt zurück, ihr Körper erinnerte sie daran, dass sie eigentlich große Schmerzen hatte und sie ächzte laut auf. Einer der Sitzgäste, welcher sich mit Freunden in einer Nische gegenüber des Tresens niedergelassen hatte rückte ein wenig zur Seite und klopfte auf den nun freien Platz neben sich. Samantha nickte ihm dankend zu, setzte sich und versuchte ihren Fuß nicht weiter zu belasten. Als sie an ihrem ausgestreckten Bein hinab blickte wurde ihr mit einem mal ganz anders und die Schamröte stieg ihr ins Gesicht. Sie war von Oben bis unten mit Matsch bedeckt, sie wischte sich hastig übers Gesicht, ihre Hände waren voll mit nasser Erde und Schlamm. Und so lässt der mich neben sich sitzen…

„Es...es tut mir leid, ich hoffe deine Klamotten werden nicht dreckig“, entschuldigte sie sich kleinlaut bei dem Mann, welcher ihr Platz gemacht hatte.

Doch dieser winkte lächelnd ab, nahm einen kräftigen Schluck seines Biers und entgegnete, dass ihm Naturmädchen eh die liebsten seien.

Hinter dem Tresen war eine mopsige Frau in ihren 50ern mit blonden hochgesteckten Haaren erschienen und ihr Gesicht strahlte eine dermaßen wohlige Wärme aus, dass Samantha hätte dahinschmelzen können. Die Wirtin begrüßte den Jäger so, wie es sich Samantha vorgestellt hatte. Eine herzliche Umarmung über die Theke, sie tätschelte mit ihrer Hand sogar seine Schulter und dann reichte sie ihm erst mal einen Schnaps aufs Haus. Die beiden redeten kurz miteinander, dann zeigte der Jäger auf Samantha und gestikulierte ein wenig hin und her. Die junge Frau erinnerte sich daran, dass sie über und über mit Schlamm und Erde besudelt war und schämte sich erneut. Gleich würde sie sich ein Donnerwetter anhören dürfen, was ihr einfiel so das Gasthaus zu betreten. Doch anstatt tief Luft für eine Standpauke zu holen machte die Frau einen bemitleidenden Schmollmund, kam um die Theke gewuselt und legte eine Hand auf Samanthas Schulter.

„Oh Kindchen...du armes kleines Ding...hat dich das Wetter überrascht?“

„Äh...ja…?“

„Keine Sorge! Wir kümmern uns um dich“, strahlte die Frau und rieb sich energiegeladen die Hände, „mein Mann soll dir so schnell wie möglich ein entspannendes Bad einlassen und ich bezieh ein frisches Bett für dich! Sicherlich hast du Hunger? Und Durst! Colin! Gib dem armen Ding doch mal was ab, dein Bauch hängt eh bald unter deinem Hemd hervor!“

Die Männer, welche neben Samantha in der Nische saßen lachten laut auf und noch bevor sich die junge Frau in irgendeiner Art äußern konnte wurde ihr ein voller Maßkrug und ein prall gefüllter Teller vor die Nase geschoben.

„Aber ich kann doch nicht…!“, versuchte Samantha die durchaus nette Geste abzuwenden, doch die Wirtin nickte ihr eifrig zu und bestand darauf, da es niemanden unter ihrem Dach jemals an etwas fehlen sollte.

„Vielen Dank die Herren…“, murmelte Samantha eingeschüchtert wie ein kleines Kind, nahm jedoch einen großzügigen Schluck und große Bissen.

Verdammt es schmeckte alles dermaßen gut, dass sie immer hastiger wurde und immer mehr schlang, dann erinnerte sie sich, dass sie ja nicht alleine war und schämte sich erneut. Die Männer in ihrer Nische lachten erneut laut auf und ermutigten sie ruhig weiter zu essen. Samantha tat wie ihr geheißen und schob sich weitere Kartoffeln und Fleischstücke in den Mund, so dass sie gar nicht mitbekam, wie der Jäger seinen Schnaps leerte und sich bei der Wirtin mit einem Handzeichen verabschiedete.
 

~*~
 

„Ich möchte mich vielmals bei Ihnen entschuldigen, dass ich so viel Dreck und Unruhe in Ihr Haus gebracht habe…“, entschuldigte sich Samantha später am Abend bei der Wirtin, welche auf den Namen Martha hörte, „noch dazu, dass Sie andere Gäste…“

„Aber, aber meine Liebe!“, winkte Martha schnell ab und wuselte den nur bedingt beleuchteten Flur im oberen Geschoss entlang, „hier sind alle Gäste meine Kinder und Kinder bekommen früh erzogen, dass geteilt wird. Nicht wahr?“

„Ähm...ja?“

Martha legte ihre Hand auf einen der antiken Türknäufe, drehte ihn und schob die Holztür unter leisem Knarren von sich. Samantha trat ebenfalls in das Zimmer und wurde von einer rustikalen Wärme empfangen. Alle Möbel waren aus massiven Holz geschreinert worden, ein alter, aber dennoch schöner Teppich lag vor dem Bett, welches seitlich an der Wand stand, gegenüber hatte ein Schreibtisch inklusive Stuhl seinen Platz gefunden. Gleich neben der Tür stand ein Sessel, welcher dazu einlud viele Bücher in ihm zu lesen und daneben ging eine weitere Türe weg, anscheinend das Badezimmer.

„Hoffentlich wirst du dich hier wohlfühlen!“

„Es ist wunderschön“, lächelte Samantha und begutachtete die Schnitzerei in der Kommode am Bettende.

„Das Bad ist gleich dort“, bestätigte Martha und wies auf die andere Türe, „mein Mann hat das Bad bereits vorbereitet. Wenn du noch irgendetwas brauchst, dann komm ruhig runter, wir sind immer lange auf!“

„Vielen, vielen Dank!“

„Nicht doch, nicht doch! Wir lieben es Gäste von Außerhalb zu haben!“

„Aber ich muss mich noch bei meiner Familie melden, dass sie sich keine Sorgen um mich machen. Das habe ich vorhin völlig vergessen!“

„Alles zu seiner Zeit, Schätzchen...jetzt genieße erst einmal dein Bad und schlaf dich ordentlich aus! Morgen wirst du genug Zeit haben, dich um alles zu kümmern.“

Martha schenke Samantha ein letztes Mal ihr herzliches Lächeln, dann schloss sie die Tür. Die junge Frau eilte in das Badezimmer, wo ihr eine dicke nach Lavendel und Zitrone riechende Nebelwand aus Wasserdampf entgegenkam. Sie konnte sich ihr Spiegelbild nicht ansehen, der Spiegel war zu beschlagen, also riss sie sich ihre Klamotten, oder besser gesagt was davon übrig geblieben war vom Leib und stieg in die Wanne. Das Wasser war perfekt! Der Schaum war perfekt! Der Kerzenschimmer, das leise tröpfeln des Regens gegen das Fenster einfach nur perfekt! Samantha konnte gar nicht glauben, dass sie nach so einem Tag tatsächlich noch ein Happy End gefunden hatte und rutschte mit ihrem Kopf Unterwasser. Morgen Früh musste sie den Jäger oder Steve, Marthas Mann unbedingt nach diesem großen Tier mit den roten Augen befragen, denn auch, wenn sie mit dem Leben davon gekommen war...es ließ ihr einfach keine Ruhe!

Aber als Erstes auf ihrer Liste stand definitiv, dass sie ihre Mutter anrief. Sie musste gerade vor lauter Sorge am Sterben sein, Samantha war zwar eine ständige zu spät Kommerin, dennoch hatte sie es immer geschafft, ihrer Mutter vorher Bescheid zu geben, dass sie sich verspäten würde.

„Arme Mama…“, seufzte Samantha und prustete den Badeschaum von ihrem Mund weg.

Endlich wieder sauber und gut riechend schlüpfte sie in die Klamotten, welche sie in der Kommode vorfand und verkroch sich unter die mollig warme Decke. Sogar das Bett war perfekt! Das konnte doch alles gar nicht der Realität entsprechen…

Doch um darüber nachzudenken war Samantha bereits zu müde. Ihre Lider schlossen sich noch bevor sie bemerken konnte, dass Jemand oder besser gesagt Etwas auf das Dach geklettert war und sie nun im Schlaf beobachtete.
 

~*~
 

Sie hatte absolut keine Ahnung gehabt wie spät es war, als sie zum ersten Mal ihre Augen öffnete, doch Samantha fühlte sich so fit und erfrischt wie schon lange nicht mehr. Sie streckte sich genüsslich, stopfte ihre Haare in einen lockeren Dutt, nachdem sie sie provisorisch mit ihren Fingern gekämmt hatte und ging in ihren Schlafklamotten barfüßig aus dem Zimmer. Samantha stieg die Treppen zum Gasthaus runter, wo sie bereits von Steve und Martha erwartet wurde. Die beiden begrüßten sie überaus herzlich und tischten ihr ein beinahe königliches Frühstück auf. Als Samantha denen sagte, dass sie niemals so viel Geld bei sich haben würde winkten die beiden vollkommen synchron ab und versicherten ihr, dass sie sich deswegen erst mal keine Sorgen machen müsste. Das Frühstück war noch köstlicher als das gestrige wild zusammen gewürfelte Abendessen gewesen. Martha hatte Samantha einen himmlisch riechenden Tee zubereitet, welcher süß und fruchtig schmeckte. Die junge Frau erkundigte sich nach der Geschmacksrichtung, Martha zwinkerte jedoch nur und meinte es wäre ein Familienrezept.

Als sie mit dem Essen fertig und alles abgeräumt war fragte Samantha erneut nach dem Telefon des Wirtshaus.

„Steve ist gerade dabei es zu reparieren“, entschuldigte sich Martha, „der Sturm gestern Abend hat anscheinend eine Leitung beschädigt. Spätestens bis zum Abend des Mondscheinfest sollte es wieder funktionieren!“

„Bis zum Abend des Mondscheinfestes?“

„Unser Mondscheinfest ist wunderschön“, strahlte die Wirtin über ihr komplettes Gesicht, „wir feiern es einmal im Monat zum Vollmond!“

Augenblicklich musste Samantha an den Mythos des Werwolfes denken und schüttelte den Kopf. Es gab weder Werwölfe, Vampire, noch Feen oder jegliches anderes Fabelwesenzeug.

„...und wann soll dieses Mondscheinfest denn stattfinden?“

„Wir beginnen morgen Abend damit, einen Tag vor Vollmond und es geht insgesamt 3 Nächte.“

„Und solange kann ich nicht nach draußen telefonieren?!“, gab Samantha erschrocken von sich, „meine Mutter wird vor Sorge sterben!“

...die Männer haben zwar schon einiges an Werkzeug mitgenommen, können allerdings erst vor Ort herausfinden wie groß der Schaden tatsächlich ist. Wenn wir Pech haben, müssen sie also noch mal hierher zurück und mehr Werkzeug holen. Das zieht sich leider…“

„Verständlich…“, seufzte Samantha dennoch.

„Du wirst heute wahrscheinlich alle Hände voll damit zu tun haben, dich um dein Auto zu kümmern?“

„Oh Gott ja! Das habe ich ja fast vergessen!“

Martha lächelte glücklich und stellte den letzten Teller wieder in den Schrank, bevor sie sich ihre Schürze abnahm und mit Samantha nach draußen ging.

Es schien zwar die Sonne, jedoch blieb es kühl in der kleinen Siedlung Wolfsburrow, es lag sogar noch ein leichter Nebelschleier in der Luft. Vor dem Wirtshaus lag ein gepflasterter Platz, auf welchem die Einwohner gut verteilt standen, um sich zu unterhalten und um sie herum spielten drei Kinder fangen. Die restlichen Häuser waren in zwei Reihen um den Platz gebaut worden und hinter diesen auf einem Hügel konnte Samantha eine kleine Kirche entdecken. Hier hatten sie tatsächlich eine kleine Siedlung errichtet, wie alt diese jedoch war konnte man nicht anhand eines oberflächlichen Blickes festgestellen. Hinter dem Wirtshaus ging ein kleiner Pfad am Bach entlang und führte in ein kleines Waldstück. Davon würde sie sich allerdings erst einmal fernhalten schwor sich Samantha. Sie hatte definitiv genug von Wald und das für die nächsten Jahre!

„Wir haben hier eine Heilerin“, holte Martha sie aus ihren Gedanken zurück in die Realität.

„Bitte?“

„Dein Knöchel. Er muss dir immer noch sehr wehtun. Wir haben hier eine sehr begabte Kräuterkundige Heilerin, welche dich im Handumdrehen wieder hergestellt hat.“

Samantha glaubte nicht an Kräuterheilkunde und schon gar nicht, dass ihr Knöchel im Handumdrehen geheilt sein würde. Aber warum sollte Martha sie auf lügen wollen? Außerdem schien hier vieles ein wenig mystischer zu sein, als es sich jeder zugestehen wollte.

„Ich bringe dich zu ihr.“

Die beiden Frauen gingen quer über den Platz, grüßten einige der Einwohner mit freundlichen Kopfnicken und Lächeln, dann führte sie ihr Weg zwischen zwei Häusern vorbei und plötzlich fand sich Samantha vor einer kleinen Hütte auf einer Waldlichtung vor. Schon wieder! Die junge Frau begann allmählich den Wald zu hassen.

Martha ging einige Schritte voraus, klopfte an die Tür und wartete. Samantha hingegen, welche ja noch einige Schritte entfernt stand beobachtete, wie hellgrauer Rauch aus dem kleinen gemauerten Schornstein quoll. Sie musste sofort an den Film die Hexe und der Zauberer an Merlins Haus denken, denn genauso sah dieses hier aus. Nur, dass kein alter weiß bärtiger Mann die Tür öffnete, sondern eine junge Frau mit kinnlangen rötlichen Haaren und einem schmutzig grünen Umhang über die Schultern geschmissen. Darunter schien sie nur einen schwarzen Zweiteiler mit eng anliegenden Shorts zu tragen und als Schuhe Boots. Sie erkannte Marthas Gestalt und ihr Gesicht strahlte, sie sprang hervor und fiel der alten Frau um den Hals.

„Es ist auch schön dich wiederzusehen“, lachte die Wirtin schwer atmend und versuchte ihr beider Gleichgewicht zu halten.

Samantha stutzte. Ihr Wort wörtliches Hexenhäuschen war keine zehn Minuten Fußweg von Wolfsburrow entfernt gewesen und die beiden umarmten sich, als wäre ihr letztes Treffen über ein halbes Jahr lang her gewesen.

„Ich habe eine Patientin für dich“, holte Martha Samantha aus ihren Überlegungen, „ihr Knöchel ist schwer verletzt.“

Samantha legte den Kopf schief und fragte sich, wie die andere junge Frau wohl auf sie reagieren würde. Die Kräuterheilerin blickte über die Schulter der Wirtin hinweg zu ihr und winkte ihr freudig zu. Samantha tat es ihr gleich, wenn auch etwas weniger euphorisch.

„Sie braucht deine Hilfe, Wilma.“

Die junge Frau, welche auf den Namen Wilma zu hören schien nickte aufmerksam und winkte die beiden anderen nach innen. Während Samantha zum Hauseingang humpelte winkte Martha ab mit der Begründung, dass sie noch fürs Abendessen Zutaten bräuchte und sich die Zimmer nicht von alleine säuberten. Gerade als Samantha ihre Hilfe beim Saubermachen anbieten wollte packte Wilma ihren Arm, zog sie in ihre Hütte und schloss die Tür. Dann rieb sie sich aufgeregt in die Hände und hüpfte wie eine Elfe in die Mitte ihrer Behausung, wo Klischeehaft ein alter Kessel vor sich her brodelte. Erst jetzt erreichten Samanthas Nase sämtliche Gerüche nach Gewürzen, Kräutern und irgendwas anderem undefinierbar Säuerlichen. An den Wänden waren alte Holzbretter angebracht worden, wo Gläser gefüllt mit Allerlei Wurzeln, Blättern, Beeren und sogar Vogelfüßen standen.

Dieses ganze Haus war das reinste Hexen Klischee!

„Dann erzähl mir doch bitte, wie dir das passiert ist“, ergriff Wilma zum ersten Mal das Wort und blickte Samantha über den Rand ihres Kessels hinweg an.

„Bitte?“

„Dein Knöchel. Wie ist das passiert?“

2

Samantha war überwältigt gewesen, wie schnell Wilmas Medizin Wunder gewirkt hatte. Nachdem sie ihr in einer kurzen Fassung erzählt hatte, was ihr gestern Nachmittag alles widerfahren war hüpfte die junge Kräuterheilerin wie ein kleiner Gummiball durch ihre Hütte, nahm hier ein Blatt aus einem Glas, dort einige getrocknete Beeren aus einer Schublade und noch vieles mehr und warf es dann ohne hinzusehen über ihre Schulter in den Kessel. Dann blieb sie abrupt stehen, stierte ihren Kessel verwundert an und verpasste ihm einen kräftigen Tritt. Augenblicklich stieg aus ihm eine lilafarbene glitzernde Wolke auf und die junge Frau sah mit einem Mal äußerst zufrieden aus. Ok, dachte sich Samantha, noch mehr Klischees können wir heute nicht mehr erfüllen…

„Ja, meine Spezialeffekte brauchen manchmal einen kleinen Anschubser“, grinste Wilma breit und hob entschuldigend ihre schmalen Schultern.

„Wenn du das sagst…“

Generell war die junge rothaarige Frau relativ zierlich gebaut, und wenn Samantha immer gedacht hatte, sie sei schon klein gewachsen, dann unterbot Wilma sie um einen halben Kopf.

„Leider habe ich keinen dreiäugigen Salamander mehr, der würde das Ganze noch abrunden.“

„Ah...ja.“

„Den gibt es hier wirklich“, lachte Wilma, als ihr die Ungläubigkeit in Samanthas Stimme auffiel, „bei Gelegenheit zeige ich dir mal einen.“

„So lange habe ich eigentlich nicht vor zu bleiben.“

„Nicht?“, rief Wilma überaus enttäuscht aus, „du MUSST bleiben!“

„Meine Mutter macht sich große Sorgen um mich“, erwiderte Samantha und es zog ihr den Magen zusammen, als ihr wieder einfiel, dass ihre Mutter immer noch nicht über ihren Verbleib informiert war.

Der Rotschopf zögerte kurz, griff dann in ihre lederne Bauchtasche und schmiss irgendein Kraut in den blubbernden Kessel. Sie hielt kurz inne, stützte sich dann mit beiden Händen am Kesselrand ab, während sie wie in Trance in die lilafarbene Flüssigkeit starrte.

„Sie weiß bereits, dass du nicht kommen wirst“, murmelte sie dann.

Natüüürlich weiß sie das bereits. Immerhin war es mittlerweile der nächste Tag und sie war immer noch nicht auf Nicoles Hochzeitsfeier erschienen. Und gleich wenn Samantha die Hütte wieder verlassen würde, dann hüpften weiße Einhörner auf einer saftigen Wiese vor sich her.

„...die Hochzeit wurde übrigens abgesagt“, setzte Wilma fort, ohne aufzusehen.

Samantha erstarrte plötzlich zu einer Salzsäule und glotzte ihr Gegenüber mit weit aufgerissenen Augen an. Ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt und sie spürte, wie ihr Mageninhalt rebellierte.

„Ein Sturm…“, murmelte die Rothaarige weiter, „der Schauplatz wurde völlig...weggeweht…“

„Weggeweht?“

„Es war ein starker Sturm.“

Samantha stand auf und humpelte zu ihr rüber, stierte in den Kesselinhalt und stutzte. Das Einzige, was sie sah war eine dickflüssige lilafarbene Substanz. Aber das mit der Hochzeit konnte niemand hier wissen! Sie hatte keiner Menschenseele davon erzähl, nur dem Jäger das sie nach Orlando wollte.

„Wo siehst du das alles?“, wollte Samantha ungläubig wissen.

„Na da“, meinte Wilma und zeigte auf eine Blubbelblase, welche augenblicklich zerplatzte, „du bist keine Wicca, du kannst nicht ‚Sehen‘.“

„Klar kann ich sehen!“

„Ja, aber nicht ‚Sehen‘ sehen. Du bist voller Zweifel dieser Dimension gegenüber, dein drittes Auge wird sich demnach nicht öffnen.“

Als die Blicke der beiden Frauen sich trafen vibrierte die Luft in der Hütte. Samanthas Miene zeigte, wie falsch sie das hier alles fand, Wilma hingegen schmunzelte Honigsüß.

„Zu viel des Guten“, grinste sie, „mach es dir gemütlich und ich werde deinen Fuß heilen.“

Samantha setzte sich auf einen Baumstumpf, streckte dabei ihr verletztes Bein weit von sich und nutzte dabei die Gelegenheit, sich weiter in der Hütte umzusehen. Es war das reinste Klischee.

So hatte sie sich ein Hexenhäuschen immer vorgestellt.

„Wicca“, murmelte Wilma, während sie in einem Mörser etwas zerrieb, „die Absicht der Hexerei ist es, die in der Natur und in sich selbst enthaltenen Kräfte zu nutzen, um ein bestimmtes Ergebnis zu manifestieren, sei es Liebe, Erfolg, Heilung oder Verbindung mit anderen Wesen. Die Wiccas beziehen oft Magie in ihre Rituale ein. Daher können alle Wiccas die Fähigkeit zur Hexerei besitzen, jedoch können nicht alle Hexenpraktizierenden Wiccaner sein.“

Sie sah von ihrem Tun auf und grinste noch breiter.

„Ich habe kein Wort verstanden, aber du hast mich vorher schon überzeugt.“

„Ich weiß“, strahlte Wilma und fügte dem Mörser noch ein paar Zutaten hinzu.

„Du kannst also Gedanken lesen?“

„Nein. Ich hatte eine Vision, als du neben mir gestanden hast, dass du sehr skeptisch mir gegenüber bist. Ich sehe manchmal Dinge, die selbst mir zuerst unerklärlich sind, sich mit der Zeit aber wie ein Déjà-vu von selbst lösen.“

Sie kam mit der Schale zu Samantha, ging vor ihr auf die Knie und zeichnete mit der Paste eine Rune auf deren Knöchel. Dann legte sie ihre flache Hand knapp darüber und schloss ihre Augen. „Das fühlt sich so gut an“, seufzte Samantha und schloss ebenfalls ihre Augen, nachdem sie das leichte Kribbeln spürte.

Sie hielt ihre Augen noch für eine Weile geschlossen, auch als sie hörte, wie Wilma bereits wieder in ihrer Hütte hantierte. So ein unbeschreiblich wohltuendes Gefühl, sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie so etwas schon einmal empfunden hatte.

„Wir müssen gehen“, unterbrach Wilma plötzlich die Stille und warf sich ihre Kapuze über, „sonst kommen wir zu spät.“

„Zu spät?“, schreckte ihr Gast auf und blinzelte, „für was?“

„Komm einfach! Du kannst jetzt wieder normal laufen.“

Zögernd klopfte Samantha mit ihrem Fuß auf den Boden und stellte vergnügt fest, dass sie tatsächlich keinerlei Schmerzen mehr hatte. Sie sprang auf und folgte Wilma schnellen Schrittes in Richtung Wald. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte die junge Frau zögern, doch Wilma spürte das und zog sie am Handgelenk einfach hinter sich her.

Samanthas Magen rebellierte je tiefer sie in den Wald eindrangen, doch Wilma wuselte zielsicher voraus ohne jede Scheu. Naja, schließlich sie wurde ja auch nicht vor kurzem von einem rotäugigen Tier durch den halben Wald gejagt.

„Ah…“, seufzte die Wicca siegessicher und hielt an einer kleinen Lichtung an, „gerade noch rechtzeitig!“

Samantha sah sich nach etwas um, das von größerer Bedeutung sein könnte, konnte jedoch außer grünen Blättern und Büschen nichts bemerkenswertes erkennen. Wilma ging ein bisschen voraus, bückte sich über eine Baumwurzel und winkte ihre Begleitung zu sich. Samantha schlich sich schon fast an und linste über die Schulter der Rothaarigen Frau und riss ungläubig die Augen auf. Vor ihnen krabbelte ein kleines Tierchen, genauer gesagt ein kleiner Salamander. Mit drei Augen.

„Das gibt’s doch nicht…“, hauchte sie und ging neben Wilma in die Hocke.

„Und du hast geglaubt, ich verarsche dich“, grinste die Wicca.

„Fängst du ihn?“

„Nein...diesen hier nicht…“

Sie verweilten so noch eine Weile, dann erhob sich Samantha wieder und sah sich auf der Lichtung noch ein wenig um. Sie war wunderschön, wenn man außer Acht ließ, welche Tiere unter anderem hier ihr Unwesen trieben. Wilma guckte zu ihr auf, ihre Miene war nicht mehr so fröhlich wie vorher sondern ungewöhnlich ernst.

„Du...du hast ihn...also getroffen?“

„Wen denn?“, erkundigte sich Samantha überrascht.

„Den Wächter...des Waldes…“, raunte die Wicca und warf Samantha einen ehrfürchtig Blick über die Schulter zu, „das Tier mit den roten Augen...“
 

~*~
 

Gefrustet entfernte sich Samantha von Wilmas Hütte, nachdem die beiden Frauen dorthin zurück gekehrt waren und sie immer noch keine Antworten bekommen hatte. Sie hatte die junge Wicca den kompletten Rückweg geradezu bedrängt ihr mehr über den „Wächter des Waldes“ zu erzählen, das Tier mit den roten Augen, doch Wilma hatte ehrfürchtig geschwiegen, immer wieder versucht die Gespräche in einen lockeren Smalltalk umzulenken, doch Samantha ließ nicht ab und so kam es dazu, dass sie die letzten Minuten schweigend nebeneinander herliefen. An der Hütte angekommen verkündete Wilma, dass sie sich sehr auf das anstehende Mondscheinfest freuen und es liebend gerne mit Samantha zusammen feiern würde.

„Bis dahin ist hoffentlich mein Auto wieder repariert und ich kann nach Hause fahren“, grummelte die junge Frau und ging zurück in die Siedlung, ohne Wilmas Reaktion oder Antwort abzuwarten.

Dort angekommen waren einige Frauen damit beschäftigt den großen Platz von Laub und kleineren Ästen zu befreien, anscheinend würden sie hier ihr sogenanntes Mondscheinfest feiern. Martha erblickte Samantha und winkte ihr zu, erkundigte sich nach ihrem Fuß und stellte zu ihrer großen Freude fest, dass er geheilt worden war.

„Wilma ist ein wahrer Schatz“, verkündete eine andere Frau, welche zu ihnen aufgeschlossen hatte, „mein Sohn hatte einmal ein so starkes Fieber, dass wir schon um sein Leben fürchteten, doch Wilma war gekommen und nicht von seinem Bett gewichen für ganze vier Tage! Sie hat ihn geheilt!“

„Mir rührt sie regelmäßig eine Salbe für meine Gelenkschmerzen an“, gab ein anderer Bewohner stolz von sich.

„...und mir trocknet sie immer Kräuter für meinen Tee!“

Samantha hatte selber am eigenen Leib erfahren, wie gut Wilmas Heilkräfte gewesen waren, es gab keinerlei Zweifel daran, dass sie ihr Werk beherrschte. Und dennoch hegte sie im Augenblick einen gewissen Groll gegen die junge Wicca, welche anscheinend mehr wusste, als sie zugab.

„Martha...du wolltest mir den Weg zur Werkstatt zeigen…“, unterbrach Samantha die mittlerweile angeregt plaudernde Runde.

„Oh natürlich! Hast du deine Autoschlüssel bei dir?“

„Hab ich.“

„Hier entlang“, winkte die Wirtin ihr zu, nachdem sie sich von den anderen Dorfbewohnern verabschiedet hatte.

Sie gingen geradewegs aus der Siedlung, bis zu einer gemauerten Brücke, welche über den breiten Bach führte. Martha blieb stehen, ohne auch nur einen Fuß auf die Überführung zu setzen und zeigte in die Richtung, aus der sie und der Jägersmann gestern gekommen waren.

„...wenn du diesem Pfad folgst biegst du an der kommenden Gabelung links ab und dann ist es gar nicht mehr zu verfehlen. Der Weg zieht sich ein wenig aber zum Glück ist dein Fuß ja wieder geheilt.“

„Du meinst jetzt aber nicht die Ranch mit den Schafen, oder?“

„Doch. Genau die mein ich.“

Samantha ächzte verärgert auf und verdrehte theatralisch ihre Augen. Gestern war sie erst dort gewesen, gleich nachdem sie dem Tier mit den roten Augen entkommen war. Dieser Rüpel, welcher seine Schafe geschoren und sie dumm von der Seite angemacht hatte. Dieser Kerl, mit dem netten Körperbau.

„Gestern hab ich dort bereits nachgefragt, ob sie mein Auto reparieren können und der Mann meinte nein.“

Martha lächelte wissend und entschuldigend zugleich: „Das was sicher Tommy. Er ist...man könnte sagen…“

„Ich möchte nur ungern meine guten Manieren in deiner Gegenwart verlieren, weshalb ich diesen Kerl als ‚äußerst unfreundlich‘ beschreiben würde, doch das wäre, wie wir beide wissen weit untertrieben!“, brummte Samantha und rieb sich ihren Nasenrücken als ihr bewusst wurde, dass sie heute anscheinend wieder mit ihm interagieren musste.

Martha neigte ihren Kopf ein wenig schief und beäugte die junge Frau mit einem wissenden Lächeln, welches Züge von Traurigkeit zeigte.

„Er hatte es...früher nicht immer...leicht, weißt du? Sicher, er braucht ab und zu eine ordentliche Standpauke, wenn du ihn allerdings mal näher kennengelernt hast, dann ist er ein recht netter Bursche.“

„Ach so?“, meinte Samantha und zog ungläubig eine Augenbraue hoch.

„Ja. Tommy hat seine mürrischen Phasen, ich weiß. Aber, wenn du ihm die Stirn bietest...“

Samantha hob jetzt beide Augenbrauen, erwiderte jedoch nichts, während die Wirtin sie vielsagend angrinste. Sie wollte Martha ihre Illusion nicht zerstören, dass es da draußen in der Welt auch Menschen gab, die ihr nicht so wohlgesonnen waren wie die Bewohner hier.

„Ich würde ja gerne meinen Gatten oder einen der anderen Männer darum bitten, dich zu fahren…“, entschuldigte sich die ältere Frau niedergeschlagen, „jedoch scheint der Telefonmast stärker beschädigt zu sein, als sie anfangs dachten. Außerdem liegen durch den Sturm einige umgestürzte Bäume auf der Straße...die müssen auch noch beseitigt werden.“

„Alles gut“, winkte Samantha ab, „mein Fuß ist dank dir und Wilma wieder so gut wie neu!“

Die junge Frau marschierte los, und als sie die Brücke endgültig überquert hatte wies Martha sie daraufhin, dass es mitten durch den Wald eine weitere Abkürzung gab, welche sie ebenfalls direkt zur Ranch führen würde. Ohne großartig zu überlegen winkte die junge Frau erneut ab, sie hatte seit gestern definitiv genug Wald für die nächsten Jahre gesehen.

Jetzt bei Tageslicht und zwei gesunden Füßen war der Pfad zwar nicht mehr annähernd so gruselig wie gestern Abend gewesen, dennoch wollte sie ihr aktuelles Glück auch nicht herausfordern. Zu Samanthas Überraschung hatte sich die Sonne mittlerweile einen Weg durch die dicke Wolkendecke erkämpft und tauchte alles in ein wohlwollendes saftiges grün. Die Vögel sangen ihre herrlichen Lieder, während Hasen und Igel vergnügt Samantha vor die Füße sprangen. Blumen, welche am Wegrand nur so wucherten versprühten ihren lieblichen Duft und zeigten sich in prächtigen Formen und Farben und die junge Frau entschied sich, spätestens bevor sie abfahren würde sich hier einen großen Strauß für zu Hause mitzunehmen.

Nachdem sie den anstrengend langgezogenen Hügel bezwungen hatte machte Samantha eine Verschnaufpause, konnte die Ranch jedoch schon deutlich vor sich liegend sehen. Wenn sie zügig laufen würde, dann wäre sie in guten 15 Minuten dort.
 

~*~
 

Sie hatte 21 Minuten gebraucht, der Berg hatte sich deutlich mehr gezogen, als gedacht. Die laute Musik, welche aus einer der beiden Scheunen an ihr Ohr drang hatte Samantha bereits viele hundert Meter früher schon hören können. Sie ging am Wohngebäude vorbei und guckte in Richtung der beiden Scheunen, als sie plötzlich hinter sich das typische Geräusch einer Flinte hörte, die durchgeladen wurde.

Augenblicklich wandte sie sich erschrocken dem Geräusch zu, hob beide Hände in die Luft und blickte den älteren Mann mit großen Augen an, welcher in einem Schaukelstuhl auf der Veranda saß. Er lehnte sich mit einer deutlich erstaunten Miene nach vorne, so als hätte er seit Jahren keinen Fremden mehr gesehen. Der Mann stellte beide nackten Füße auf den Boden, so dass der Stuhl nicht mehr wippte, schob mit einem Daumen den Schild seiner Cap ein Stück nach oben und stellte die Schrotflinte neben sich auf den Boden.

„Ma’am“, grüßte er sie schließlich und deutete mit dem Schild seiner Cap eine nickende Geste an, „womit habe ich denn die Ehre?“

„Äh...hi…“, stotterte die junge Frau für einen Moment, dann erholte sie sich von dem Anblick der Flinte, „mein Name ist Samantha Davis und man sagte mir, ich meine Martha sagte mir, dass Sie mir vielleicht helfen könnten?“

„So? Meinte Martha das?“, grinste der ältere Mann süffisant und griff neben den Stuhl, wo er ein Einmachglas mit einer klaren Flüssigkeit hervorholte und davon mehrere kleine Schlücke trank.

„Sind Sie Earl?“

„Der bin ich.“

Er saß nun wieder tiefenentspannt in seinem Schaukelstuhl, wippte gemütlich hin und her, während er Samantha nicht aus den Augen ließ. Doch sein Blick hatte nichts Bedrohliches an sich, er sah sie lediglich nur aufmerksam an. Die dunkelblaue Latzhose spannte sich über seinen voluminösen Bauch, seine nackten Füße stießen sich immer wieder leicht vom Boden ab, das Einmachglas in einer Hand, die Schrotflinte in der anderen haltend fehlte nur noch die lange Weizenähre in seinem Mundwinkel.

Samantha schmunzelte vergnügt in sich hinein, ein weiteres Klischee war somit erfüllt worden. Sie trat vorsichtig einen Schritt auf die Veranda zu und versuchte so normal wie nur möglich zu reden, immerhin hatte Earl noch seine durchgeladene Waffe in der Hand und wer wusste schon, wie viel er bereits von seinem anscheinend selbst gebrannten getrunken hatte.

„Gestern Mittag ist mein Auto liegen geblieben…“

„Das tut mir leid. Wo denn genau?“, erkundigte sich der Mann im Schaukelstuhl.

„Ähm...gute Frage...“

„Sie wissen nicht, wo ihr Auto liegen geblieben ist?“, fragte Earl ungläubig und zog eine Augenbraue hoch.

„Naja…“, druckste die junge Frau jetzt, „bis zu einem gewissen Zeitpunkt habe ich es gewusst...dann wurde ich allerdings durch den angrenzenden Wald gejagt und habe dadurch die Orientierung verloren.“

Jetzt war Earl hellhörig geworden, augenblicklich stoppte er seinen Schaukelstuhl, stellte das Glas klirrend zu Boden und erhob sich zu seiner vollen Größe. Mit festem Griff trug er die Schrotflinte neben sich her, während er die Treppen zu Samantha herabstieg.

„Bist du verletzt worden?“, fragte er ernst und beäugte die junge Frau fast schon aufdringlich.

„Nein. Ich konnte dem Vieh gerade so entkommen…“

„Ich weiß ganz genau, wer das war…“, raunte Earl und blickte zu dem Waldrand, aus welchen Samantha gestern noch gehetzt worden war, „die Zeit ist also gekommen…und du bist dir sicher, dass er dich nicht doch irgendwie verletzt hat? Nicht mal ein kleiner Kratzer?“

„Sie meinen das Tier mit den roten Augen?“, fragte Samantha voller Hoffnung, vielleicht endlich ihre Antworten zu bekommen.

Sie erinnerte sich mit Schrecken daran, wie sie gejagt worden war, ihr wurde sofort wieder übel und ihre Hände wurden von einem kalten Schweißfilm bedeckt. Allerdings hatte sie außer zweier Stürze keinerlei Schäden davon getragen.

„Rote Augen?“

Earl überlegte angestrengt, schüttelte dann jedoch verneinend seinen Kopf.

„Nein. Nein! Ich bin mir ganz sicher. Dieses Tier...hat es Tollwut?“

Earl schien zu ihrer Überraschung deutlich erleichtert zu sein, anscheinend sprachen die beiden nicht von ein und demselben Tier. Verdammte Scheiße, wo zur Hölle war sie hier nur gelandet, wenn es gleich zwei von diesen blutrünstigen Bestien gab? Samantha raufte sich knurrend die Haare, während Earl den Kopf schief legte und sie mit einem breiten Schmunzeln beobachtete. Dann nickte er.

„Tu dir selber einen Gefallen, und bleib nachts lieber in deinen vier Wänden. Bei dem, was zur Zeit hier sein Unwesen treibt ist Tollwut das geringste Problem.“

„Zum Glück hat mich der Schäfer gerettet! Wenn er nicht auf das Tier geschossen hätte, dann wäre es sehr wahrscheinlich um mich geschehen gewesen!“

„Der Schäfer?“, fragte Earl jetzt verwundert nach.

„Der jüngere Mann, Tommy, welcher hier anscheinend für Sie arbeitet. Der, der gestern hier die Schafe geschoren hat.“

Die Miene des Farmers hellte sich zu einem breiten Grinsen auf, er wusste wen Samantha meinte und nickte eifrig. Er winkte der jungen Frau zu, ihm zu folgen und marschierte in Richtung der einen Scheune, und zu ihrer Überraschung war Earl für seinen Körperbau verdammt schnell zu Fuß.

„Warten Sie! Was war das denn jetzt für ein Tier? Wird es wiederkommen?!“

„Da war nur ein großer schwarzer Hund“, winkte Earl ab.

„Das glaube ich nicht! Keine Hunderasse wird jemals so groß!“

„Oh, wenn du dich da mal nicht täuscht, Fräulein.“

„Aber welche Rasse hat bitte so leuchtend rote Augen?“

„Eine wilde Rasse.“

„Sie versuchen mich genauso zu verarschen, wie Tommy gestern!“

„Na, dann hat er ja auch mal was richtig gemacht“, lachte Earl heißer und stieß das Tor zur Scheune auf, aus welcher immer noch die dröhnende Musik hallte, „komm runter, Bursche und mach diesen fürchterlichen Krach aus! Wir haben Damenbesuch!“

Samantha blickte überrascht nach oben und bemerkte, das eine Art Speicher über ihr ragte wo einige Büschel Stroh zu sehen waren. Erst jetzt viel der jungen Frau die Leiter neben sich stehend auf und sie fragte sich, warum sie ihr nicht schon beim Eintreten aufgefallen war. Sie würde sich die nächste Zeit von aufgestellten Leitern, sowie schwarzen Katzen fern halten und später würde sie Ausschau nach einem Baum voller Krähen halten müssen. So viel Pech wie Samantha die letzten Stunden gehabt hatte waren selbst für ihre Verhältnisse ungewöhnlich gewesen.

Ein Rascheln ertönte, rief Samantha aus ihren negativen Gedanken und sie konnte hören, wie sich direkt über ihr jemand anscheinend durch das ganze Stroh kämpfte und dann sprang eine Gestalt auch schon vom Speicher herunter. Die junge Frau wich erschrocken einen Schritt zurück, als der schlecht gelaunte junge Mann von gestern direkt neben ihr landete und sich völlig unversehrt wieder aufrichtete. Zur Hölle mit allem hier!, rief eine Stimme in Samanthas Kopf, das waren locker fünf Meter gewesen und dieser Kerl war völlig unversehrt?

Tommy blickte ihr direkt in die Augen und Samantha spürte, wie sich eine Gänsehaut über ihrem ganzen Körper ausbreitete. Er trug heute keine Sonnenbrille, so wie gestern, daher konnte sie zum ersten Mal seine Augenfarbe sehen.

Seine Augen…sie hatten die Farbe von reinstem Bernstein.

Auf einmal fühlte es sich für sie so an, als würden die beiden in einem tiefen dunkelgrünen Wald stehen, sie konnte sogar die Vögel zwitschern hören und den Wind durch die Blätter der Bäume rauschen. Sie war sich sogar ziemlich sicher, dass sie den Wald riechen konnte.

Earl trat neben Tommy und schlug mit seiner flachen Hand auf dessen Hinterkopf. Dieser wandte den Blick von Samantha ab und funkelte den alten Mann herausfordernd an.

„Du Idiot!“, motzte Earl aufbrausend, „als ich dich gestern beim Abendessen gefragt habe, was es denn neues gibt, hast du wohl völlig vergessen mir zu erzählen, dass du das Leben dieser jungen hübschen Lady gerettet hast?!“

Bei dieser unerwarteten Standpauke entgleiste für einige Sekunden das Gesicht des jüngeren Mannes und er stand regungslos da, rieb sich den Nacken und seufzte genervt auf.

„Ah! Jetzt fällt es dir also wieder ein? Ist dir bewusst, was hätte passieren können?!“

„Ich habe es verjagt!“, beschwerte der jüngere Mann sich jetzt grummelnd, „und es ist ja auch nichts passiert!“

„Dein Glück!“, brummte Earl, „du wirst die junge hübsche Lady zu ihrem Auto begleiten und es herbringen, damit du es wieder zum Laufen bringen kannst!“

Tommy warf Samantha jetzt einen herausfordernden Blick zu und sie sah ungläubig zwischen ihm und Earl hin und her.

„Moment! Ich soll zusammen mit ihm gehen? Alleine?“, erkundigte sie sich und versuchte erst gar nicht zu verbergen, dass sie alles andere als begeistert war.

Earl lachte sie an und winkte ab: „Keine Sorge. Er beißt nicht.“
 

~*~
 

Der rote Jeep Wrangler rüttelte Samantha ordentlich durch, während Tommy beinahe schon steif neben ihr saß und den Wagen durch das Gelände jagte, dabei stur auf die Straße starrend. Trotz Gurt und Seitengriff, welchen die junge Frau beinahe krampfhaft umklammert hielt hatte sie nicht das Gefühl, hier drin ordentlich gesichert zu sein. Es konnte aber auch an Tommys konsequenten Schweigen liegen, was eine unwohle Atmosphäre in ihr herauf beschwor. Es lief nicht einmal das Radio!

Nach einer gefühlten Ewigkeit holpriger Schaukelfahrt erreichte der rote Jeep endlich eine normale Straße, wo Tommy den Wagen nach wenigen Minuten Fahrt abrupt zum Stillstand brachte und dann regelrecht zu seiner Begleitung rüber starrte. Samantha verkroch sich beinahe schon in die Ecke ihres Sitzes, seine Augen funkelten in einer Farbe, die sie vorher noch nie gesehen hatte. Seine schwarzen Haare waren zwar kurz geschnitten, standen trotzdem in alle Richtungen ab, es hatte sich sogar ein Weizenhalm in ihnen verfangen. Auf seinem Gesicht machte sich ein dunkler Bartschatten breit, während sein Oberkörper völlig frei von Haaren war, wie sie gestern gesehen hatte. Gerade trug er ein ausgebeultes T-Shirt, dessen Aufdruck fast nicht mehr zu erkennen und Tommy definitiv einige Nummern zu groß war.

„Was ist?“, traute Samantha sich endlich zu fragen, nachdem er sie eine weitere gefühlte Ewigkeit wortlos angestarrt hatte.

Plötzlich rutschte der junge Mann zu ihr rüber, Samantha konnte den Geruch nach trockenem Stroh und Männerschweiß bereits wahrnehmen. Seine leuchtend gelben Augen brannten sich weiterhin in ihre braunen, während sein Gesicht dem ihren immer Näher kam. Earl hatte ihr zwar versichert, dass Tommy nicht beißen würde, aber jetzt war sie sich nicht mehr allzu sicher. Wer würde ihr zur Hilfe kommen, falls tatsächlich etwas passieren sollte? Um Himmelswillen, warum musste so was ausgerechnet immer nur ihr passieren?!

Aus Reflex hielt sie ihm die ausgestreckte Hand entgegen, hoffte er würde die Andeutung verstehen, Abstand zu ihr zu halten, doch Samantha kam sich gleichzeitig so dämlich bei dieser Geste vor. Tommys Augen wichen für den Bruchteil einer Sekunde von den ihren ab, er begutachtete ihre Hand, die schmalen Finger, die manikürten Nägel, was Samantha sich extra für Nicoles Hochzeit hatte machen lassen. Ein schelmisches Grinsen machte sich plötzlich auf seinen schmalen Lippen breit.

„Du hast Angst vor mir“, raunte er belustigt und blickte ihr wieder in die Augen.

„Nein“, erwiderte sie mit fester Stimme, während der Rest ihres Körpers komplett andere Signale von sich gab.

„Oh doch…“, lächelte er nur noch breiter, „ich kann es riechen…“

Samantha hielt abrupt inne und presste ihre Lippen feste aufeinander. Stank sie wirklich so sehr? Eigentlich müsste sie doch nach einer Mischung aus Lavendel, Zitrone und Wilmas Heilpaste riechen.

„Nein. Da täuscht du dich.“

„Dann ist ja gut.“

Gerade als Samantha erleichtert aufatmen wollte schnellte Tommys Hand nach vorne, bekam ihren rechten Knöchel zu fassen und zog diesen ruckartig an sich heran. Die junge Frau gab ein schrilles Quietschen von sich, versuchte nach ihm zu treten und zu schlagen, gleichzeitig ihre Autotüre und Gurt zu öffnen. Tommy blieb völlig unbeeindruckt, hielt ihren Knöchel in seinem festen Griff bei sich und sah sie abwartend an.

„VERDAMMTER! PERVERSLING! LASS LOS!!“, schrie sie und trat mit ihrem freien Fuß wild auf ihn ein, „HILFEEE!“

Er hingegen war die Ruhe in Person, fummelte gemächlich an seinem Lederarmband, welches er am Handgelenk trug herum, löste dessen Knoten und band es genauso gelassen an Samanthas Knöchel. Fassungslos zu einer Salzsäule erstarrt beobachtete die junge Frau ihn mit weit aufgerissenen Augen bei seinem Tun und fragte sich, ob das eine neue Art der Perversion war, als er ihren Fuß auf einmal wieder freigab. Dann löste er ohne ein weiteres Wort zu sagen seinen Gurt und stieg aus dem Jeep, als wäre dieser Übergriff niemals geschehen.

„Was zur Hölle…?“, murmelte Samantha völlig in ihrer Haltung erstarrt und beobachtete, wie Tommy bis zur Motorhaube ging und ihr dann einen fragenden Blick über seine Schulter zuwarf.

Sie zog vorsichtig ihr ausgestrecktes Bein wieder an sich und ihre Augen begutachteten das Lederarmband, welches nun locker an ihrem Fußgelenk baumelte. Es war ziemlich schlicht gewesen, nur mit einigen Stickereien und schwarzen Holzperlen verziert worden.

„Kommst du endlich?“, rief Tommy herausfordernd und holte sie somit aus ihren Gedanken zurück in die Realität.

Vorsichtig setzte sich die junge Frau wieder auf: „Wohin? In deine kleine Hütte am Waldrand, wo du mich in aller Ruhe vergewaltigen kannst?!“

„Oh bitte“, winkte der junge Mann ab und entfernte sich vom Auto, „so hübsch bist du auch wieder nicht!“

Samanthas Kiefer klappten entsetzt auseinander, sie fing sich jedoch schnell wieder ein und hielt seinem breiten Rücken angewidert den ausgestreckten Mittelfinger entgegen. Hastig schnallte sie sich ab und sprang regelrecht aus dem Jeep, nur um wenige Sekunden später knapp hinter ihrem Begleiter zu laufen, allerdings einen gebührenden Sicherheitsabstand einhaltend.

„Und du glaubst wohl, du seist der reinste Casanova oder wie?“, fauchte sie ihn wie eine gereizte Katze von der Seite aus an.

Tommy warf ihr erneut einen vielsagenden Blick über seine Schulter aus zu, grinste dabei schelmisch: „Dein Blutdruck ist erhöht, deine Atmung geht schnell und unregelmäßig, deine Pupillen sind geweitet...“

„Was?“

„Du bist erregt.“

Hastig schnappte Samantha nach Luft und starrte Tommy empört an, woraufhin dieser triumphierend grunzte.

Schweigend gingen sie die Straße entlang, die junge Frau brodelte innerlich vor sich hin. Samantha ließ ihren Blick gelegentlich umher schweifen, zu ihrer linken ragte der mächtige Wald aus dem Boden, während zu ihrer rechten nichts als ebene Graslandschaft war.

„Bleib in meiner Nähe!“, knurrte Tommy und sie zuckte zusammen, „ich habe keine Lust auch noch nach dir Ausschau halten zu müssen.“

„Ich bin direkt hinter dir!“, fauchte sie zurück, „warum hast du deinen Wagen auch dort hinten stehen gelassen?!“

„Mach einfach was ich dir sage.“

„Yes, Sir!“, salutierte sie sarkastisch hinter ihm, schloss jedoch einige Schritte zu dem jungen Mann auf.

Erneut begutachtete Samantha ihre Umgebung und musste feststellen, dass ihr hier überhaupt nichts bekannt vorkam. War sie so bald schon in den Wald abgebogen? Bei dem Versuch, sich daran zu erinnern drangen sich immer wieder zwei rot leuchtende Augen in ihre Gedanken und ein heftiger Schauer durchfuhr ihren Körper.

„Wovor hast du solche Angst?“, fragte Tommy, blieb stehen und wandte sich zu ihr um.

„Nichts...ich habe nur gerade an das Vieh von gestern denken müssen…“, erwiderte sie und rieb sich die Arme, als würde sie frieren.

Tommys Blick ließ von ihr ab und wanderte zu dem Waldrand hinüber. Seine Kiefer mahlten kurz konzentriert, sein Adamsapfel bewegte sich leicht, als er schluckte und die Flügel seiner Nase blähten sich auf. Samantha beobachtete ihn aufmerksam bei seinem Tun und musste dem Drang widerstehen, die Weizenähre aus seinem Haar zu pflücken, genau in diesem Moment blickte er sie wieder an.

„Es ist außer Riechweite.“

„Du meinst Reichweite“, korrigierte die junge Frau ihn, unterdessen setzten sie ihren Weg fort, diesmal nebeneinander gehend.

Anstatt zu antworten zuckten Tommys Kiefer noch einmal kurz, dann streckte er seinen Arm aus und zeigte mitten ins Nichts. Samantha folgte seinem Finger und alles was sie sah war eine Abbiegung, welche die Straße gleich machen würde.

„Da wo ich herkomme nennt man das Kurve.“

„Dahinter steht dein Wagen.“

„Echt jetzt?!“, rief sie schon unglaubwürdig aus.

„Wenn ich es dir sage.“

Samantha beschleunigte stark zweifelnd ihren Gang und joggte die Entfernung fast schon, bis zur Mitte der Biegung und tatsächlich! Ihr blauer Mietwagen stand einsam und verlassen mitten in der Spur genauso, wie sie ihn gestern verlassen hatte. Aber warum war ihr da diese Kurve nicht aufgefallen?

Die junge Frau blieb direkt neben dem Auto stehen, sah sich um, nur um festzustellen, dass das tatsächlich genau die Stelle von gestern war. Anscheinend konnte sie sich nur nicht mehr an die Kurve erinnern, immerhin war sie ja völlig am Ende ihrer Nerven und orientierungslos gewesen.

Tommy schloss zu ihr auf, er war in einem normalen Tempo weiter gelaufen. Samantha blickte zu ihm auf und seufzte genervt, woraufhin er sie fragend ansah. Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen, streckte einen Arm aus und griff nach dem Weizenhalm in seinen schwarzen verwuschelten Haaren. Wie eine Jagdtrophäe hielt sie ihm diese direkt vors Gesicht und grinste zufrieden.

„Viel besser“, gestand sie erleichtert und warf die Ähre auf den Boden.

Seine Augen verfolgten den Weizenhalm noch einige Meter, bis der Wind ihn weggetragen hatte und deutete dann auf den Wagen.

„Was ist denn genau kaputt?“

„Wenn ich das wüsste, dann hätte ich mich gestern schon selber darum gekümmert!“

„Ach ja?“, wollte er ungläubig wissen und seine Augenbrauen schnellten zweifelnd in die Höhe.

„Ja!“

Tommy streckte seinen Hals ein wenig und wenn Samantha noch nicht völlig den Verstand verloren hatte, dann schien er an ihrem Leihwagen zu...schnuppern? Echt jetzt? Die junge Frau legte ihren Kopf etwas in Schräglage und tat es ihm gleich. Sie roch gar nichts.

„Hm...könnte der Kolben sein. Wahrscheinlich hat er sich festgefressen.“

„Und das kannst du riechen?“, wollte Samantha erstaunt wissen, trat nun näher an das Auto und roch noch einmal.

„Ich schon. Sind dir irgendwelche ungewöhnlichen Geräusche während der Fahrt aufgefallen?“

„Definiere ungewöhnliche Geräusche“, bat sie ihren Begleiter und erinnerte sich an das ständige Piepsen, welches der Wagen während des Fahrens von sich gegeben hatte.

„Ein metallisches Schleifen vielleicht?“

„Nicht während der Fahrt. Er ist einfach ausgegangen, und dann als ich ihn getreten habe hat’s puff gemacht.“

„Puff?“, wiederholte Tommy belustigt.

„Ja und dann kam so weißer Rauch aus der Motorhaube und die ist dann auch noch aufgesprungen und dann kam noch mehr Rauch und dann ging gar nichts mehr.“

„Du hast dein Auto getreten?“, fragte er jetzt in einem strengeren Ton.

„Naja...es ist ja offiziell gar nicht meines…“

„Du trittst ein fremdes Auto? Das ist Sachbeschädigung.“

„Als ob du dich um Sachbeschädigung anderer kümmern würdest!“, winkte Samantha ab und drückte den Kopf ihrer Fernbedienung, um den Wagen zu öffnen, „kannst du es reparieren oder nicht?“

„Können schon…“, zuckte Tommy mit seinen muskulösen Schultern.

„Oh Gott! Was kommt denn jetzt als aber?!“, stöhnte sie genervt und öffnete den Kofferraum.

„...aber ich muss schauen, dass ich die richtigen Ersatzteile in meiner Werkstatt habe.“

„Lass mich raten: wenn du Ersatzteile bestellen müsstest, und davon sind wir beide überzeugt, dann würde das eine halbe Ewigkeit dauern, bis du sie hättest und solange müsste ich in Wolfsburrow bleiben?“

„Ich habe keine Ahnung wie lange es dauern würde, es kommt ganz darauf an, wie lange die Jungs brauchen die Telefonleitung zu reparieren. Aber ja. Du würdest so lange in Wolfsburrow bleiben müssen.“
 

~*~
 

Mittlerweile musste es früher Nachmittag sein, Samantha und Tommy hatten den Leihwagen Mithilfe eines Abschleppseils bis kurz vor die Scheune gezogen, wo der junge Mann nun „einen Blick“ darauf warf und sie mit einem Glas selbstgemachter Limonade auf der untersten Treppe der Veranda saß.

Earl schien gerade selber im Haus beschäftigt zu sein, doch das störte sie nicht. Er hatte ihr das Glas kalter Limonade gebracht und sich dann mit den Worten verabschiedet, der Keller müsste nach dem starken Regenfall wieder trockengelegt werden.

Tommy hatte derweil sein übergroßes Oberteil ausgezogen, bevor er sich über ihr Auto hergemacht hatte, ihr war also absolut nicht langweilig. Sie beobachtete ihn aus sicherer Entfernung, wie er halb in den Motorraum verschwunden war, seine Armmuskeln spannten sich jedes Mal an, wenn er an etwas schraubte. Samantha seufzte schwerfällig und streckte ihre Füße von sich weg, wobei ihr das Lederarmband an ihrem Knöchel wieder auffiel. Warum zum Teufel hatte er ihr das nur umgebunden? Welchen Zweck, welche Hintergedanken hatte er dabei gehabt?

Die junge Frau überlegte, ob sie tatsächlich den Versuch starten sollte, Tommy danach zu fragen. Sie zog einen Schmollmund und wackelte dabei mit ihren Füßen im Takt vom Klimpern und Klackern, was vom Auto an ihr Ohr drang. Je länger sie es betrachtete, umso mehr gefiel ihr das Lederarmband.

Plötzlich warf jemand einen Schatten auf sie und Samantha blickte neugierig auf. Tommy stand immer noch Oberkörper frei vor ihr, rieb seine Hände an einem Tuch, seine Miene war völlig unbeeindruckt und sie befürchtete seine Diagnose bereits zu wissen.

„Also?“, fragte sie trotzdem.

„Also“, begann er und steckte sich den Lappen in die hintere Hosentasche, „ich hoffe es gefällt dir in Marthas Wirtshaus...denn du wirst noch eine Weile dort bleiben.“

Samantha seufzte entmutigt, stand auf und rieb sich angestrengt den Nacken. Wie um Himmelswillen sollte sie ihrer Mutter dieses Dilemma nur erklären? Sie begann sich bereits sämtliche Szenarien durch den Kopf gehen zu lassen, als sie spürte, wie niemand anderes als Tommy ihr in die Haare griff, an ihrem Haargummi nestelte und ihn schließlich aus ihrem Dutt löste. Sie stand derweil still wie eine Puppe vor ihm, beobachtete lediglich sein ausdrucksloses Gesicht, dann fielen ihre langen braunen Haare auch schon locker über ihre Schultern.

„Viel besser“, murmelte Tommy, setzte dann aber ein schelmisches Grinsen auf und reichte ihr den Haargummi ebenfalls wie eine Jagdtrophäe.

Samantha wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte, fuhr sich dann mit beiden Händen mehrmals durch ihre leichten Wellen und schüttelte diese auf. Als sie dann wieder zu Tommy blickte, bemerkte sie, wie er mit geschlossenen Augen tief durch die Nase einatmete. Seine bernsteinfarbenen Augen glühten regelrecht, nachdem er sie wieder geöffnet und Samantha damit fixiert hatte.

„Willst du ihn denn gar nicht wiederhaben?“, riss Tommy sie aus ihren Gedanken und hielt ihr den Haargummi nur noch dichter vors Gesicht.

„Vielleicht willst du ihn mir ja auch um mein Fußgelenk machen?“, fragte sie kühl und hob besagtes Bein an.

Er sah nur für einen sehr kurzen Moment auf ihren Knöchel, wo sein Lederarmband bereits angebunden war und grinste schief, dann wandte er sich wieder ihrem Gesicht zu.

„Wie schon gesagt, dein Leihwagen wird einige Tage brauchen. Ich lass es dich wissen, wenn er wieder fahrtüchtig ist. Genieße deine Zeit solange in Wolfsburrow“, lenkte er stattdessen ab.

„Werdet ihr beiden auch zum Mondscheinfest kommen?“, erkundigte sich die junge Frau plötzlich, als Tommy eigentlich schon wieder am Gehen war.

Er blieb ruckartig stehen und betrachtete sie aus verwundert großen Augen. Hatte er mit ihrer Frage jetzt nur nicht gerechnet oder war er dermaßen verblüfft, dass sie mit ihm Zeit verbringen wollte? Samantha hielt ebenfalls inne und dachte darüber nach, ob sie das auch tatsächlich wollte, oder ob sie nur die unangenehme Stille überwinden wollte, welche eben kurz geherrscht hatte. Ein paar Sekunden vergingen, während er einfach so da stand und in die Leere starrte, er schien ernsthaft zu überlegen.

„Ich werde wohl oder übel da sein“, scherzte Samantha selbstironisch.

3

„Ah, da bist du ja wieder“, strahlte Martha wie immer über ihr komplettes Gesicht, nachdem sie Samantha in das Wirtshaus eintreten sah, „und? Was gibt es neues?“

Die junge Frau seufzte niedergeschlagen, nahm direkt an der Theke Platz und erzählte der Wirtin, was Tommy über ihr Auto gesagt hatte.

„Aber das ist doch schön!“, jauchzte Martha, kam um die Theke herum gewuselt und drückte Samantha herzlich, „endlich mal wieder einen Gast zu haben erfüllt uns alle mit sehr viel Freude!“

Die junge Frau blickte sie einen Moment noch ungläubig an, dann lächelte sie allerdings ebenfalls, anscheinend hatte sie sich ihrem Schicksal endlich ergeben. Martha sprang wie ein junges Reh um sie herum, ihre Freunde ging allmählich auf Samantha über und sie konnte sich ein herzhaftes Lachen nicht mehr verkneifen. Sie rutschte von ihrem Barhocker runter und umarmte Martha herzlich.

„Vielen Dank, dass ihr alle so nett zu mir seid“, bedankte sie sich.

„Du wirst es hier lieben!“, versicherte ihr die alte Frau, „und unser Mondscheinfest! Du wirst so begeistert sein!“

Sie klatschte aufgeregt in die Hände und wuselte noch einige Male um die Theke herum, als Samantha sie allerdings danach frage, ob und wie sie sich erkenntlich zeigen könnte blieb sie abrupt stehen und drohte ihr mit dem Finger.

„Untersteh dich! Fräulein, du bist mein Gast, ich werde dich hegen und pflegen!“

„Okay“, lachte Samantha hell auf, „ich wollte ja nur fragen!“

„Ach ja, bevor ich es vergesse...Wilma war in deiner Abwesenheit noch einmal hier. Sie schien dich zu suchen, wollte allerdings keine Nachricht für dich hinterlassen.“

Wie ein Stromschlag durchzuckte es Samanthas Körper und eine gewisse mulmige Aufregung machte sich in ihr breit. Hatte die Wicca ihre Meinung tatsächlich geändert und wollte ihr nun mehr über das Tier mit den roten Augen, dem „Wächter des Waldes“ erzählen?

Samantha ließ Martha ohne ein weiteres Wort zurück und rannte schon fast zu Wilmas Hütte, wo sie fester als ursprünglich gewollt an die Tür klopfte, ihr jedoch niemand öffnete.

„Verdammte scheiße!“, fluchte Samantha und stampfte mit ihrem Fuß frustriert auf, „jetzt könnte ich endlich mehr über dieses drecks Vieh erfahren und dann ist sie nicht da!“

„Du meinst doch nicht etwa das Tier, welches dich gestern gejagt hat?“, ertönte plötzlich wie aus dem Nichts eine männliche Stimme hinter ihr und ließ die junge Frau fürchterlich zusammen zucken.

Sie wirbelte herum und starrte Tommy erschrocken an.

„Was machst du denn hier?!“, rief sie hysterisch.

„Dasselbe könnte ich dich auch fragen“, grinste er schelmisch.

„Wie zum Teufel hast du mich hier gefunden?“

Anstatt ihr zu antworten ließ der junge Mann seinen aufmerksamen Blick über Wilmas Hütte wandern, seine Kiefer mahlten angespannt, sein restlicher Körper spannte sich wie zu einem Sprung an.

„Scheiße noch mal ich wusste es!“, rief Samantha völlig außer sich und stieß Tommy mehrmals mit der flachen Hand gegen die Brust, „du bist so ein Perversling!! Du hast mich Mithilfe deines Armbandes jetzt mit einem GPS Tracking Chip ausgestattet, damit du mich überall zu jeder Zeit finden kannst, gib’s endlich zu, du Schwein!“

„Es ist kein GPS Tracking Chip“, erwiderte er nüchtern, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, „dich würde ich überall wiederfinden.“

„Samantha! Da bist du ja“, rief plötzlich Wilma freudig und kam aus dem Wald hinter ihrer Hütte getreten.

Sie trug einen kleinen geflochtenen Korb bei sich, welcher übervoll mit lila bläulichen Blüten war. Die junge Wicca breitete einen Arm aus, mit welchem sie Samantha umarmen wollte, doch Tommy trat sofort zwischen die beiden Frauen und knurrte Wilma gefährlich tief an.

„Was zum…“, zuckte Samantha wahrhaftig erschrocken zurück.

Wilma war hingegen weniger beeindruckt, sie warf ihm nur einen genervten Blick zu und wies den jungen Mann darauf hin, dass er sich augenblicklich auf ihrem Grund und Boden befand. Er wich kein Stück zurück, knurrte sie sogar noch einmal an, Samantha konnte sehen, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.

„Wenn du dich nicht gleich beruhigst, dann werde ich ihr eine hübsche Krone hier raus anfertigen, damit du nie wieder in ihrer Nähe sein kannst, du dummer Köter“, flüsterte Wilma so leise, dass es nur Tommy hören konnte und wies ihn auf ihre gesammelten Blumen hin, „du weißt ganz genau, was das ist, nicht wahr?“

Sein Knurren wurde zu einem heißerem Fauchen und zu Wilmas Überraschung wich er immer noch keinen Zentimeter zurück.

„Ah...so ist das also…“, stellte sie schlussendlich fest und ließ ihren Blick zu der jungen Frau hinter ihm wandern.

„Ihr beiden...kennt euch bereits?“, mischte sich Samantha ein und trat neben Tommy.

„Wir...wissen...voneinander“, erwiderte Wilma und setzte wieder ihr honigsüßes Lächeln auf, „er ist sozusagen der Fleischlieferant von Wolfsburrow.“

„Halt dein Maul“, knurrte der junge Mann wieder gefährlich tief, seine Augen glühten gelb vor Hass.

„Was denn? Ich habe nichts falsches gesagt!“, beschwerte sich Wilma ironisch kichernd und öffnete Samantha ihre Tür, „komm rein, ich mache dir einen erfrischenden Tee.“

Die junge Frau blickte zwischen den beiden hin und her, ihr fiel dabei allerdings nicht auf, welche Blicke sich Tommy und Wilma zuwarfen.

„Ich könnte dir eine Schale voll Wasser anbieten, aber gleich dahinten fließt ein Bach“, grinste die Wicca dem jungen Mann zu.

„Können wir gehen?“, fragte dieser an Samantha gewandt, sein Tonfall war ernst und gereizt.

Die junge Frau blickte ihn dezent überfordert an. Auf der einen Seite war sie ihren Antworten so nah wie nie zuvor, auf der anderen Seite machte ihr Tommys Verhalten tatsächlich große Sorgen.

„Was wolltest du eigentlich von mir?“, fragte sie ihn deswegen, „du wirst mich nicht ohne Grund aufgesucht haben…“

Tommy schwieg, warf ihr nur einen flüchtigen Seitenblick zu, ansonsten ließ er Wilma nicht aus den Augen. Deine Kiefer mahlten kräftig aufeinander, seine Armmuskeln waren angespannt und zeichneten sich deutlich unter seinem Shirt ab.

„Das kann warten“, murmelte er angestrengt, „und geht nur dich etwas an.“

„Okay…? Geht es um mein Auto?“

„Nein.“

„Dann muss es leider warten.“

Samantha hob entschuldigend ihre Arme und folgte der Wicca in deren Hütte, blickte noch ein letztes Mal über ihre Schulter hinweg zu Tommy, welcher sie beinahe schon flehend ansah. Dann schloss sich die Tür.

Während Wilma ihr wie versprochen einen erfrischenden Tee zubereitete nahm Samantha auf dem selben Baumstumpf Platz wie heute morgen. Ihr fiel wieder der kleine geflochtene Korb ein, welchen Wilma draußen hatte stehen lassen und fragte sich, was für eine Art Blumen das gewesen sein muss.

„Das ist Eisenhut“, bemerkte Wilma kichernd und reichte ihrem Gast einen Tonbecher, „doch vor nicht allzu langer Zeit nannte man es auch Wolfswurz.“

Samantha warf einen erneuten Blick über ihre Schulter, somit konnte sie direkt durchs Fenster auf den Eingangsbereich sehen, wo der geflochtene Korb immer noch stand.

„Er ist wunderschön…“

„Ja nicht?“, strahlte Wilma begeistert übers komplette Gesicht, „zur Zeit des Mondscheinfestes steht er immer in besonders voller Blüte. Perfekt für meine Arbeit.“

„Was machst du damit?“

„Verschiedene Dinge. Normalerweise trockne ich ihn und mahle in dann zu einem Pulver. In der Zeit vom Mondscheinfest jedoch verwende ich ihn hauptsächlich als Schmuck für meine Hütte.“

„Du gehst also auch auf das Fest?“, erkundigte sich Samantha und nippte an ihrem Tee.

„Ich feier sozusagen mein eigenes Fest“, belächelte sie, „ab und zu leiste ich den Bewohnern schon Gesellschaft, ihre Speisen sind einfach zu köstlich, aber am eigentlichen Fest, nämlich in der Nacht vom Vollmond pflege ich meine eigenen Traditionen.“

„Martha hatte erwähnt, dass sie irgendwie drei bis vier Tage feiern.“

„Es sind drei Nächte“, berichtigte die Wicca und zählte folgendes an ihren Fingern ab, „morgen Abend ist hauptsächlich eine Art Straßenfest für die Familien von Wolfsburrow, wobei der große Dorfplatz herrlich geschmückt sein wird und es gibt viel Essen und Feuerwerk! Am Abend darauf ist Vollmond, da steppt der Bär...oder der Wolf, wie man es lieber hat. Und am dritten Abend feiert man wie eine Art...ruhigere Zeremonie mit diversen...nennen wir es mal ‚Opfergaben‘. Das kann alles mögliche sein. Ernteerzeugnisse wie Brot, Wurst oder Wein. Viele basteln auch etwas, Blumensträuße oder -kränze.“

„Im großen und Ganzen also eine reine Feierorgie.“

Wilma lachte hell auf, warf kurz ihren Kopf gen Nacken und nahm Samanthas leeren Tonbecher, um nachzufüllen.

„So kann man es auch sagen.“

„Das hört sich doch nach sehr viel Spaß an. So langsam freue ich mich, dass ich hierbleiben ‚muss‘.“

„Also ich habe jedes Mal riesigen Spaß“, verkündete Wilma und goss Tee in den Becher, bevor sie ihn Samantha zurück gab, „jedes einzelne Mal.“

Sie blickte ihrem Gast über den Rand des Bechers intensiv in die Augen und grinste vielversprechend dabei.

„Was genau kannst du mir jetzt über das Tier mit den roten Augen erzählen?“, fragte Samantha aufgeregt und nippte am Tee.

Augenblicklich verschwand Wilmas Grinsen: „Es ist mir nicht gestattet, über den Wächter des Waldes zu sprechen.“

Samantha hielt erschrocken inne und blickte der jungen Wicca mit geweiteten Augen entgegen. Kam es ihr gerade nur so vor, oder hatte Wilma extrem gereizt geklungen?

„A...aber Martha meinte, dass du nach mir gesucht hast?“, erkundigte sie sich daher und stellte den Tonbecher ab.

„Natürlich! Ich wollte mich nach deinem Knöchel erkundigen“, erwiderte Wilma und machte eine gefrustete Geste, „ich beherrsche mein Fach, dennoch statte ich meinen Patienten gelegentlich Besuche ab.“

„Ach...so…“, gestand Samantha niedergeschlagen und blickte beschämt zu Boden.
 

~*~
 

Der führe Abend kündigte sich mit einem feuerroten Wolkenschleier an, als die junge Frau in die Siedlung zurückkehrte und bemerkte, wie einige Holzbuden bereits am Aufbau waren. So langsam konnte sich Samantha ein Bild daraus machen, was hier morgen Abend alles los sein würde. Gerade, als sie in Richtung Wirtshaus gehen wollte trat ein Mann strammen Fußes heraus und sie erkannte ihn sofort.

„Hallo! Lange nicht mehr gesehen“, grinste und winkte sie ihm zur Begrüßung zu.

Er blickte auf, überlegte kurz dann winkte er zurück. Erst jetzt fiel ihr auf, das sein rechtes Auge von einer Augenklappe verdeckt wurde.

„Guten Abend, Fräulein.“

„Ich habe mich noch gar nicht bei Ihnen bedankt, dass Sie mich gestern eingesammelt und hierher gebracht haben.“

„Ach…“, winkte er beinahe schon gleichgültig ab, „nicht der Rede wert.“

„...und ich weiß noch nicht mal Ihren Namen!“

Er grinste süffisant: „Sie nennen mich Hunter.“

„Hunter?“, wiederholte Samantha ebenfalls belustigt, „ein Jäger, der Hunter heißt?“

„Ja...meine Eltern hatten entweder wenig Einfallsreichtum oder sehr viel Humor. Aber bitte, ich möchte, dass wir uns duzen. Ich fühle mich jedes mal um fünfundzwanzig Jahre älter, wenn das jemand bei mir macht!“

„Okay, Hunter. Dann möchte ich mich ganz herzlich bei dir bedanken, dass du mich gestern aufgesammelt und hierher gebracht hast. Vielleicht hast du mir sogar das Leben gerettet?“

„So weit würde ich jetzt aber nicht gehen.“

„Oh doch! Wer weiß, wie lange dieses Vieh noch auf der Lauer gelegen hat?“

Jetzt würde er hellhörig, nahm seinen Rucksack von seinen Schultern und stellte ihn am Boden ab.

„Welches Vieh? Du hast gestern mit keinem Wort erwähnt, dass dich ein Tier verfolgt hat.“

„Ich war gestern Abend so was von fertig mit den Nerven“, lachte Samantha selbstironisch und winkte ab, „ich habe mich in einem Wald verlaufen, nachdem mein Auto liegen geblieben ist und von da ab hat mich ein großes schwarzes Tier mit roten Augen verfolgt. Tommy hat es zwar angeschossen und somit verjagt, allerdings nicht getötet…“

„Warte, was? Was sagst du da?“, unterbrach Hunter sie und packte Samantha feste an ihren Schultern, „rote Augen? Sagtest du gerade rote Augen?“

„Ja.“

„Ich glaube es nicht...die Zeit ist gekommen...endlich…“

„So was ähnliches hat Earl heute auch gesagt…“

„Ich muss los!“, verkündete Hunter, griff hastig nach seiner Tasche und eilte beinahe wie von der Tarantel gestochen davon.

„WARTE! KANNST DU MIR WENIGSTENS SAGEN, WAS DAS FÜR EIN TIER WAR???“, rief Samantha ihm hinterher, und obwohl er definitiv noch in Hörweite gewesen war hielt er nicht an und dann war er auch schon in seinen Wagen eingestiegen und raste davon.

„Wieso kann oder will mir zum Teufel nochmal eigentlich niemand sagen, was das für ein verschissenes Tier gewesen ist?!“

Zur Unterstreichung ihres Frustes stampfte sie noch einmal feste mit ihrem Fuß auf den Boden ein und betrat dann das Wirtshaus.

„Hi“, grüßte sie Steve, welcher jetzt anstatt seiner Frau hinter der Bar stand und die letzten Krüge vor dem großen Ansturm einräumte, „hast du einen schönen Tag gehabt?“

„Im großen und ganzen ja.“

„Freust du dich schon auf das Mondscheinfest morgen? Wir sind schon alle so aufgeregt!“

„Sag mal, Steve…“, begann Samantha und hockte sich auf den Stuhl direkt an der Bar, „kennst du dich hier mit der Flora und Fauna aus?“

Der Mann lachte herzlich auf und nickte: „Ich bin hier geboren und aufgewachsen! Ich kenne jeden und alles hier was kreucht und fleucht!“

„Kannst du mir sagen, welches Tier hier ungefähr so groß ist? Schwarzes strubbliges Fell und rot glühende Augen.“

Schlagartig hielt Steve in seinem Tun inne, ihm wäre sogar beinahe der letzte Krug runter gefallen, hätte Samantha ihn nicht noch in letzter Sekunde aufgefangen. Sie fragte, ob alles gut mit ihm sei, dann löste sich langsam seine Starre wieder. Er lehnte sich am Tresen an, sein Atmen wurde zum Keuchen und auf seiner Stirn erschienen kleine Schweißperlen.

„Oh mein Gott, Steve! Was ist mit dir? Wo ist deine Frau, du brauchst dringend Hilfe!“, rief Samantha völlig außer sich und wandte sich an die wenigen Gäste, welche im Gastraum saßen.

„Wo hast du es gesehen?“, hielt Steve sie am Handgelenk fest, „und wann?“

„Gestern! Es hat mich durch den Wald bei Earls Ranch gejagt!“

„Oh nein...das ist gar nicht gut…“, senkte Steve seine Stimme.

„Was ist es denn??“

Und dann von einen Moment auf den anderen wurde Steves Mimik wieder völlig normal und er lachte aus vollem Hals. Samantha starrte ihn ungläubig an und bemerkte die Gäste hinter sich, welche ebenfalls in Gelächter ausbrachen. Jeder lachte. Außer ihr.

„Habt ihr jetzt alle den Verstand verloren?“, fragte sie und entzog Steve hastig ihre Hand.

„Es ist ein Fabelwesen, welches in einer gruseligen Version einer Gute Nacht Geschichte vorkommt, um unartigen Kindern Angst einzujagen“, erklärte der Wirt schließlich und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel.

Samantha spürte, wie sich der Frust in ihr breit machte und ein gewisser Zorn in ihr aufstieg. Sie machten sich tatsächlich lustig über sie!

„Aber ich habe es gesehen! Es hat mich gejagt, verdammt noch mal!“

„Wahrscheinlich ist es ein Wildschwein gewesen, das dich aufgescheucht hat. Die können hier auch verdammt groß werden.“

„Steve! Ich meine es ernst! Es hat mich angegriffen!“

„Wenn ein ausgewachsener Keiler sich bedroht fühlt, dann greift er auch an. Die Viecher können verdammt unangenehm werden.“

Einer der anderen Gäste stimmte Steve zu und ein anderer bestätigte, dass er heute morgen erst so ein Tier am Waldrand gesichtet hätte. Samantha sprang von ihrem Hocker runter und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Wilma hat mir erzählt, dass ihr es den ‚Hüter des Waldes‘ nennt!“

„Das ist richtig. In der Geschichte nennen wir es so. Außerdem weißt du nie, was diese Wicca gerade für ein Kraut geraucht hat...glaub nicht immer alles, was du von ihr zu hören bekommst.“

„Hunter glaubt mir, dass es das Tier mit den roten Augen gibt!“

„Ach Hunter“, winkte Steve breit grinsend ab, „er ist ganz in Ordnung, ehrlich! Allerdings ist er ein bisschen verwirrt im Kopf. Er denk auch, er habe eine Harpyie im Wald ein Stückchen weiter oben gesehen. Bei seinen Erzählungen war er so genau ins Detail gegangen, dass wir alle unsere Gewehre geschnappt und ihm zu dem Ort gefolgt waren. Schlussendlich war es ein stinknormaler Adler gewesen.“

„Ein anderes Mal war er der festen Überzeugung, endlich ein Einhorn gesehen zu haben. Was war es aber eigentlich gewesen? Richtig! Ein wildes Pferd, welches zufällig ein blütenweißes Fell hatte.“

„Oder wisst ihr noch die Geschichte von vor 20 Jahren?“, warf ein weiterer Gast in die Runde, wurde jedoch sofort von allen gleichzeitig gestoppt und garstig angestarrt.

Samantha blickte ihn interessiert an: „Was war denn vor 20 Jahren?“

„Ach gar nichts…“

Ihr ungläubiger Blick wanderte erneut zu Steve, welcher ihr ein wenig schadenfroh zu grinste.

„Es tut mir sehr leid, aber ich MUSSTE dich einfach auf den Arm nehmen.“

„Ahja…“

„Noch mal: es tut mir leid, Samantha! Hier. Der geht aufs Haus…“

Er füllte ein Schnapsglas und reichte es ihr, wobei er sich ein drittes Mal bei ihr entschuldigte.
 

~*~
 

Die Sonne verschwand bereits am Horizont, als Samantha erneut an Wilmas Tür klopfte. Die junge Wicca öffnete sofort ihre Türe, war ziemlich überrascht, dennoch grinste sie wie immer honigsüß, aber Samantha kam augenblicklich zum Punkt.

„Du kennst Tommy, nicht wahr?“

„Kennen würde ich es nicht unbedingt nennen...“

„Dann kennst du sicherlich auch den Jägersmann?“

„Du meinst Hunter?“

„Genau den.“

„Was ist mit ihm?“, erkundigte sich die rothaarige leicht beunruhigt.

„Weißt du, wo er wohnt?“

Wilma öffnete beunruhigt ihre Türe nun ganz.

„Du willst Hunter besuchen?“, erkundigte sich die Wicca, „soll ich dich begleiten?“

„Ich muss mit ihm reden. Alleine.“

Für einen Augenblick sahen sich die beiden Frauen wortlos an, dann gab Wilma endlich nach und seufzte tief.

„Sein Haus liegt etwa eine Stunde Fußmarsch von hier. Du kennst bereits den Weg zur Ranch. Doch anstatt das du links gehst, bleibst du auf dem Pfad immer weiter gerade aus in Richtung Wald.“

„Wie konnte ich nur nicht von Selbst drauf gekommen, dass ein Jäger, welcher auch noch Hunter heißt mitten in einem düsteren Wald wohnt…?“, scherzte Samantha selbstironisch.

„Es wäre zu einfach“, grinste Wilma zurück, „soll ich dich jetzt begleiten, oder nicht?“

„Ich werde es schon finden...ansonsten wird Tommy mich schon aufspüren.“

Wilma legte überfragt ihren Kopf schief, woraufhin Samantha ihr das Fußgelenk mit dem Lederarmband zeigte. Sie erwähnte ebenfalls, dass darin irgendein GPS Tracker eingebaut sein musste, womit er sie immer aufspüren konnte. Wilmas Augenbrauen zogen sich ungläubig nach oben, doch sie erwiderte nichts weiter.
 

„Ich habe mittlerweile völlig den Verstand verloren...“, murmelte Samantha zu sich selber und stieg über eine übergroße Baumwurzel, „langsam befürchte ich, dass ich ernsthaft irre werde. Ich werde mir einen guten Seelenklempner suchen müssen, wenn ich wieder zu Hause bin. Wer zum Teufel geht alleine in einen gottverdammten düsteren Wald, wo alles mögliche auf der Lauer liegt?“

Sie linste nach oben, wo eine große Eule in einem blätterlosen knorrigen Baum saß und ihren Blick starr erwiderte.

Nein, dachte sich die junge Frau kopfschüttelnd, das war üüüberhaupt nicht gruselig gewesen! Schnellen Schrittes ging sie weiter, versuchte so wenig Geräusche wie nur möglich zu machen, zuckte jedoch selber bei jedem noch so kleinen Piepsen und Knacken zusammen. Dann erinnerte sie sich daran, dass Steve vorhin erwähnt hatte, dass es hier Wildschweine gab.

„Völlig verrückt bist du, Mädchen!“, schimpfte sie sich selber, „du wirst hier noch drauf gehen!“

Endlich konnte sie Hunters Auto in unmittelbarer Nähe erkennen und so entschloss sie sich, die kurze Entfernung zu rennen. Mittlerweile lag alles um sie herum wie in einem bläulichen Schleier gehüllt und langsam begann sie zu frösteln. Es war Nacht geworden.

„Hunter!“, rief sie bereits aus einigen Metern Entfernung, „Hunter! Bist du da?“

Als hätte er nur auf ihren Besuch gewartet schwang der Jäger die Holztüre auf und blickte sie ungläubig an.

„Was um Himmelswillen machst du denn hier?“

Seine Stimme klang heißer und entsetzt, er hielt lediglich nur seinen Kopf aus dem offenen Türschlitz heraus.

„Wir müssen reden“, erwiderte die junge Frau und ging wie selbstverständlich auf das Haus zu.

„Es ist beinahe schon dunkle Nacht! Kind, schau das du nach Hause gehst!“

„Nein! Ich weiß, dass du mir endlich Antworten auf meine Fragen geben kannst und wenn du dich weigerst, dann wirst du heute Nacht definitiv einen Übernachtungsgast haben, denn ich werde erst gehen, wenn ich weiß, was ich von dir wissen will!“

„Ist das eine Drohung?“, brummte der alte Mann.

Sie blickte ihn einen Moment lang streng schweigend an, und als sie bereits dachte, dass er sie tatsächlich wieder nach Hause schicken würde machte Hunter ihr Platz und ließ sie eintreten. Seine Hütte war rustikal eingerichtet, so wie man es aus alten Filmen kannte. Hier und dort hing eine Jagdtrophäe von diversen Waldtieren an der Wand, ein brüchiger gemauerter Kamin in der Ecke, direkt gegenüber stand ein altes durchgesessenes Sofa. Von der Decke hingen getrocknete Waldkräuter.

„Chic“, bemerkte Samantha und pfiff anerkennend.

„Mein zu Hause.“

Die junge Frau linste durch eine halb offene Tür und konnte eine heruntergekommene Küchenzeile erkennen, folgte jedoch Hunters Geste und nahm in dem ebenso alten Sessel links neben dem Sofa Platz. Sie bemerkte, dass ihm alles andere als wohl dabei war, sie in seiner Hütte zu haben, er rutschte nervös auf seinem Platz hin und her, knetete seine Hände.

„Also…?“, raunte er und blickte sie aus seinem müden Auge an, „was willst du wissen?“

„Das Tier mit den roten Augen.“

„Die Bewohner haben dir erzählt, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe, richtig?“

Samantha nickte stumm und Hunter lachte gekränkt auf, schüttelte den Kopf und rieb sich angespannt das Knie.

„Natürlich haben sie das gesagt. Der Mensch hat die Angewohnheit, Sachen die er fürchtet gerne zu verdrängen.“

„Es gibt dieses Tier“, sagte Samantha mit fester Stimme, ihre Hände ballten sich zu Fäusten, so dass ihre Knöchel weiß hervortraten, „ich habe es gesehen, es hat mich gejagt und ich will wissen wie ich mich dagegen wehren kann, sollte es mich noch einmal angreifen!“

„Du kannst nichts machen, außer um dein Leben zu rennen…“, schüttelte der Jäger niedergeschlagen den Kopf, „ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich bereits auf ihn geschossen habe. Tödlich verwundet habe ich ihn dutzende Male und er lebt immer noch.“

„Er? Es ist ein Männchen?“

Hunter zuckte unwissend mit den Schultern: „Ich weiß es nicht. Ich sage immer nur ‚er‘, damit ich mit einem besseren Gewissen sterben kann. Sollte sich herausstellen, dass es sich um ein weibliches Tier handelt, werde ich mich ewig noch im Grab herum wälzen.“

„Männer und ihr Ego…“

Jetzt formte sich ein schwaches Lächeln um seine Lippen.

„Wenn ich dich fragen würde, welchem Tier du es am ehesten zuordnen würdest…“

„...dann würde ich dir sagen, dass es einem Wolf am ähnlichsten sei. Ich habe ihn schon so oft aus nächster Nähe gesehen. Statur, wie er sich anschleicht...definitiv ein Wolf. Nur um einiges größer und wilder.“

Hunter krallte sich mit seinen Fingern in den Stoff des Sofas und blickte Samantha mit seinem einen Auge unruhig an. Die junge Frau knetete derweil ihre Hände in ihrem Schoß, ihr war dabei genauso unwohl wie ihm.

„Du bist den weiten Weg aber nicht nur wegen dieser Frage gekommen...richtig?“

Samantha biss sich auf die Unterlippe und formulierte ihre Frage mehrmals in Gedanken, um sie so schonend wie nur möglich zu stellen.

„Als sich die Männer in dem Wirtshaus über uns beide lustig gemacht haben…“, begann sie und ihre Stimme war kurz vorm Versagen, „da haben sie Geschichten erzählt, was du nicht schon angeblich alles gesehen haben sollst.“

Hunter kicherte ein wenig gekränkt auf, nickte jedoch zustimmend: „Sie scheuen sich nicht mehr vor mir. Ich bin alt geworden…“

„...einer der Männer erwähnte eine Geschichte, welche vor 20 Jahren stattgefunden haben soll. Alle verstummten schlagartig und es war unangenehm still in dem Gastraum gewesen.“

„Ja. Das kann ich mir gut vorstellen…“

„Was hast du damals gejagt…?“

Hunters Auge fixierte sich auf einen Punkt in dem knisternden Feuer seines brüchigen Kamins. Seine Kiefer mahlten angestrengt, als er in seinen Gedanken die Szenen von damals Revue passieren ließ.

„Es war...Herbst gewesen“, begann er, „meine Frau liebte Picknicks im bunten Laub. Wir fuhren zusammen mit unseren Kindern an unsere Lieblingsstelle an einen See, zirka eine Stunde von hier. Während wir aßen hörten wir immer wieder den selben Tierschrei, was in freier Natur ja nichts unbedenkliches ist, vor allem in Wäldern wie diesem hier. Doch dieser Schrei...ich hatte noch nie ein Tier gehört, das solche Laute von sich gab…“

Er räusperte sich heißer und rieb sich schwer seufzend eine Schläfe.

„Ich ließ meiner Frau das Gewehr, sie konnte beinahe besser schießen als ich zu der Zeit. Ich sagte zu ihr, dass ich mich nur kurz umsehen würde. Ich ging ein Stück in den Wald, nicht tief nur ein wenig. Dann griff mich plötzlich etwas von hinten an.“

Samantha schluckte schwer, während Hunter seine Geschichte schon fast zu ruhig erzählte. Ein unangenehmer Schauer lief ihr die Wirbelsäule hoch und runter, Gänsehaut machte sich auf ihrem Körper breit und sie bildete sich ein, dass das Lederarmband an ihrem Knöchel zu jucken begann.

„...ich weiß nicht mehr, wie, aber ich habe mich aus seinen Krallen und Klauen befreien können. Ich rannte zurück zu meiner Familie, doch das, was sie von ihnen übrig gelassen hatten waren nur noch zerfetzte Gliedmaßen. Als ich dort ankam verging sich gerade eine dieser Bestien an meiner Tochter. Sie bemerkte mich sofort und griff mich an.“

Er zeigte auf seine Augenklappe.

„War es das Tier mit den roten Augen gewesen?“

„Nein. Diese waren ihm zwar nicht völlig unähnlich, dennoch etwas komplett anderes. Ich schwor bei meinem Leben, dass ich meine Familie rächen würde und begann die beiden zu jagen.“

„Es waren zwei Tiere gewesen?“

„Ein Pärchen“, nickte Hunter zustimmend, „ich jagte sie dreizehn Vollmonde lang quer durch den Wald, die Klippen entlang und landete schließlich wieder hier im Tal. Ich konnte mit einer List einen von ihnen in eine Falle locken und erlegen. Zu meinem Bedauern war sein Partner die ganze Zeit auf der Jagt nach mir gewesen.“

„Der Jäger wurde also zum gejagten.“

„Ich dachte, ich würde durch seine Zähne sterben. Es war ein verbitterter Kampf um Leben und Tod auf beiden Seiten. Ich kann dir nicht mehr sagen wie, doch ich erledigte die Bestie. Ich schlief vor lauter Erschöpfung ein und als ich wieder erwachte bemerkte ich, dass meine Beute mit seinen letzten Kräften weg gekrochen war. Ich folgte der Blutspur und fand den verendeten Körper vor dem Eingang einer Höhle wieder.“

„Du hast deine Rache also bekommen.“

„Nein.“

„Wie nein? Ich dachte, du hättest beide erledigt“, stutzte die junge Frau und sah sich eine Jagdtrophäe nach der anderen an, konnte jedoch kein Tier erkennen, welches aus seiner Erzählung hätte stammen können.

„Ich habe sie nicht aufgehängt“, bemerkte Hunter, „sie haben es nicht verdient zur Schau gestellt zu werden.“

„Was hält dich dann noch hier? Du hast die beiden erledigt. Ihr Leben für das deiner Familie.“

„...als ich direkt neben dem erlegten Tier stand…“, er machte eine demonstrative Pause und sah mit seinem einen Auge Samantha tief in ihre, „habe ich kleine Pfotenabdrücke entdeckt.“

„Sie hatten Jungen?“

„Eins. Einen Welpen.“

„Und du jagst ihn jetzt auch noch.“

„Ich werde erst ruhen, wenn ich ihn auch noch erlegt habe. Und wenn es mich selbst das Leben kostet!“
 

~*~
 

Draußen war es mittlerweile so unheimlich geworden, das Samantha Hunters Hütte eigentlich nicht mehr verlassen wollte. Ihre Paranoider ließen sie sofort glauben, dass sie von vielen hunderten glühender Augen fixiert wurde, nur darauf wartend, dass sie einen falschen Schritt machte. Sie rieb sich die Arme und stieg die kleine Treppe runter. Ein dichter Nebel hatte sich über den weichen Waldboden ausgebreitet, wieso musste es hier immer wie in einem Horrorszenario aussehen?!

Sie ging einige Schritte, dann blieb sie wie angewurzelt stehen. Etwas stand hinter ihr. Viel zu nah!

Samantha packte den Griff des Messers, welchen Tommy ihr gestern erst gegeben hatte und war bereit sofort zu zustechen. Sie horchte noch einmal auf, dann holte sie Schwung und wirbelte herum.

Ihr Arm wurde durch eine Hand gestoppt, die Spitze der Klinge kam nicht mal in die Nähe seines Halses.

„TOMMY!“, fauchte die junge Frau aufgewühlt, „ich hätte dich verletzen können!“

Der junge Mann zog zweifelnd beide Augenbrauen hoch und blickte zwischen ihr und der Klinge hin und her.

„Bist du dir sicher?“

„Meine Fresse! Du bringst mich noch um!“

„Hoffentlich nicht“, grinste er schelmisch, „was machst du mitten in der Nacht hier im Wald? Du solltest doch in Wolfsburrow bleiben!“

„Ich war bei Hunter. Wir haben geredet.“

„Über was?“

„...das Tier mit den roten Augen. Ich wollte endlich Antworten haben.“

„Und hast du sie bekommen?“

„Nicht wirklich…“, seufzte sie schwerfällig, „Steve und die Anderen meinen zwar, dass Hunter und ich völlig den Verstand verloren haben, aber ich weiß, was ich gesehen habe.“

Sie blickte zu dem jungen Mann auf, welcher immer noch ihren Arm festhielt. Seine Gesichtsausdruck war ohne jede Mimik, sie wusste nicht, woran er gerade dachte.

„Glaubst du auch, dass ich den Verstand verloren habe?“

„Nein.“

„Also glaubst du mir?!“

„Nein.“

„Ja wie jetzt nein?! Du hast schließlich auf es geschossen, verdammt!“

Er schüttelte den Kopf und gab ihren Arm wieder frei. Samantha steckte das Messer wieder weg und seufzte jetzt völlig entnervt.

„Was machst du eigentlich mitten in der Nacht hier draußen? Ach ja richtig! Du trackst mich ja…“

Tommy legte schelmisch grinsend den Kopf schief und ließ sein Gegenüber noch eine Weile vor sich her fluchen, sie schien für ihn ein sehr amüsantes Bild abzugeben.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich überall finden würde“, meinte er schließlich ruhig.

„Oh Gott, Junge. Das war der schlechteste Anmachspruch, den ich je gehört habe.“

„Wenn ich dich wirklich hätte haben wollen, dann würdest du bereits nackt unter mir auf dem Waldboden liegen, die Beine weit gespreizt und laut stöhnend!“

Sie starrte ihn für einen Moment lang mit weit aufgerissenen Augen an. Das Bild, welches sie nun von sich beiden im Kopf hatte ließ Samanthas Wangen glühen und auf den Rest ihres Körpers hatte es eine ganz ähnliche Wirkung. Ihr Unterleib begann zu ziehen und ihre Beine wurden allmählich zu Wackelpudding. Sie schluckte schwer und blickte viel zu tief in seine glühend gelben Augen.

„Was machst du nur mit mir...“, raunte sie schließlich und hatte ein ungutes Gefühl vor seiner Antwort.

„Ich bringe dich sicher zurück nach Wolfsburrow. Es ist für dich alleine viel zu gefährlich hier draußen.“

„Und du kannst mich beschützen?“

„Ja. Das kann ich.“

Samantha rieb sich die fröstelnden Arme und nickte zustimmend: „Dann lass uns gehen…“

Die meiste Zeit liefen sie schweigend nebeneinander, trotz Tommy bei sich wissend zuckte sie bei jedem Knacken und Rascheln zusammen, blickte sich hastig um. Er grinste in sich hinein und fing sich böse Blicke von ihr ein.

„Was?“

„Und du wolltest alleine zurück laufen…“, bemerkte er süffisant, „du merkst gar nicht, wie du dich immer wieder von selbst in Gefahr bringst.“

„Du tust ja so, als würden wir gerade verfolgt werden.“

„Wer sagt dir, dass es nicht so ist?“, wollte er ruhig wissen und sah ihr fest in die Augen.

„Hör auf damit!“, fluchte sie und beschleunigte ihren Gang, woraufhin Tommy nur noch breiter grinste.

In der Ferne konnten sie mittlerweile die Lichter von Wolfsburrow erkennen, Samantha wagte es jedoch nicht jetzt schon erleichtert aufzuatmen. Sie hörte seinen regelmäßigen Atem neben sich, vernahm seine festen Schritte auf dem weichen Waldboden, während sie geradezu über Stock und Stein stolperte.

„Wie geht es dem Auto?“, fragte sie, um die unangenehme Stille zwischen ihnen zu unterbrechen.

„Unverändert. Immer noch.“

Sie rollte theatralisch mit ihren Augen und blieb ruckartig stehen. Irgendwas beobachtete sie aus dem Wald heraus, das konnte sie deutlich spüren. Auch Tommy hatte angehalten und blickte in die selbe Richtung.

„Was ist da im Wald, Tommy?“, fragte sie ängstlich und trat einen Schritt näher an ihn heran.

„Willst du das wirklich wissen?“, raunte er und warf ihr einen prüfenden Seitenblick zu.

„Das Tier mit den roten Augen?“, flüsterte sie und spürte, wie sich ihr Magen augenblicklich umdrehte.

„Nein.“

„Was dann?“

Er hob den Kopf und schnupperte ein paar Mal. Samantha fand das immer noch ziemlich übertrieben, sie war der festen Überzeugung, dass er sie im Grunde nur noch mehr verunsichern wollte. Aber warum?

„Nichts bedrohliches. Es hat mehr Angst vor uns als du vor ihm“, gestand er schließlich.

„Du kannst seine Angst riechen?“

„Ja. Deine übrigens auch.“

„Ich habe keine Angst!“, fauchte sie ihn an.

Tommy hob fragend beide Augenbrauen hoch und prüfte ihren zitternden Körper. Dann grinste er schelmisch und fragte, ob sie sich da sicher sei.

„Ich bin mir sicher, dass ich mich definitiv unwohl in deiner Gegenwart fühle! Du machst mir absichtlich Angst, damit ich dich nicht wegschicke!“

Er lachte laut auf und warf den Kopf gen Nacken.

„Und warum sollte ich dir absichtlich Angst machen wollen? Dein Puls schlägt dreimal so schnell seitdem du die Hütte des Jägers verlassen hast, dein Atem geht zittrig und unregelmäßig, und das liegt nicht an der Kälte. Deine Nackenhaare stehen zu Berge und du hast Gänsehaut seit mindestens zehn Minuten.“

Sie stockte. Er hatte mit allem Recht. Hinzu kam noch dieses ständige paranoide Gefühl, dass sie von irgendwas verfolgt wurde.

„...und was spürst du noch…?“, kam die Frage plötzlich über ihre Lippen und sie wunderte sich über sich selber.

„Das dir vorhin ganz heiß wurde, als ich den Liebesakt mit mir beschrieben habe“, grinste Tommy jetzt breit und fing sich dadurch einen Stoß ihrer flachen Hand ein.

„Du bist unmöglich!“, rief sie genervt aus, wusste jedoch, dass er auch damit Recht gehabt hatte.

„Komm jetzt“, kicherte er gehässig, „es ist nicht mehr weit und du musst schlafen!“

Erst als die beiden die Brücke zu Wolfsburrow überquert hatten atmete Samantha tief durch. Augenblicklich hellte sich ihre Stimmung auf und ihr Herzschlag regulierte sich allmählich wieder.

Hier und dort waren noch einzelne Bewohner wach und bauten Stände für das Mondscheinfest morgen Abend auf, einer der Männer befestigte eine sehr langes Seil von Stand zu Stand.

„Für die Laternen“, grinste er fröhlich, als er Samanthas prüfenden Blick bemerkt hatte.

„Laternen?“

„Wir werden sie morgen aufhängen, damit sie über die Nacht Licht spenden können. Hi, Tommy!“

„Hallo“, erwiderte der junge Mann und schob Samantha weiter vor sich her.

„Warum leben du und Earl eigentlich nicht hier bei den anderen?“, erkundigte sich die Frau, während sie auf das Wirtshaus zusteuerten.

„Zu viele Menschen.“

„Du befürwortest also ein Leben in Einsamkeit?“

„Ich bin nicht allein. Ich habe den alten Mann und die Schafe.“

Samantha klatsche in die Hände und lachte herzhaft auf: „Die Schafe!“

Die beiden betraten das lebhafte Gasthaus, Martha und Steve hatten wie gestern Abend alle Hände voll mit ihren Gästen zu tun, winkten ihnen jedoch zur Begrüßung. Samantha winkte ihnen zurück und ging gefolgt von Tommy um die Ecke, wo es zur Treppe nach oben ging.

„Also dann“, klatsche sie in die Hände, nachdem sie auf der zweiten Stufe Halt gemacht hatte, „vielen Dank, dass du mich sicher nach Hause gebracht hast.“

Er blickte ihr intensiver denn je in die Augen. Samantha fühlte, wie sich eine angenehm kribbelnde Aufregung in ihr breit machte. Sie stand immer noch auf der zweiten Stufe der Treppe, war somit genau auf Augenhöhe mit ihm. Mit diesen bernsteinfarbenen Augen, welche sie schon so oft in ihren Bann gezogen hatten.

„Kommst du morgen zum Mondscheinfest?“, fragte sie, um die unangenehme Stille zwischen ihnen zu unterbrechen.

„Ich komme auf jeden Fall“, grinste er schelmisch und griff nach ihrem Handgelenk, „...und ich werde dich finden, egal wo du bist.“

Sie ließ seine Berührung zu und grinste breit. Dann zog Tommy sie vorsichtig näher zu sich heran, seine glühenden Augen brannten sich wie immer in die ihren und dann passierte es.

Samantha legte ihre freie Hand zuerst an seine Wange, glitt von dort aus bis in seinen Nacken, die junge Frau schloss die Augen und küsste ihn. Anstatt sich dagegen zu wehren, wie sie es eigentlich in diesem Moment erwartet hatte erwiderte Tommy ihren Kuss sofort, legte einen Arm um ihre Hüfte und drückte ihren Körper gegen den seinen. Ein heißes Kribbeln durchfuhr Samanthas Bauch, sämtliche Nerven pulsierten im Takt ihres Kusses und ihr Unterleib ließ ein dezentes Ziehen vernehmen. Tommy ließ von ihrem Handgelenk ab, fasste ihr mit beiden Händen um ihre Taille und hob Samantha mit Leichtigkeit auf seine Hüften, ohne dabei den Kuss auch nur eine Sekunde zu unterbrechen. Sie keuchte kurz auf, was er sofort als Einladung wahrnahm und ihr seine Zunge entgegenstreckte. Ihre Fingerkuppen fuhren über seine Kopfhaut, wuschelten durch seine schwarzen Haare, während er sicheren Schrittes die Treppe emporstieg.

Von wegen er will mich nicht, kicherte Samantha triumphierend in sich hinein, schlang ihre Beine nur noch enger um seine Hüften und krallte sich in seinen Haaren fest. Augenblick ließ Tommy sie wieder zu Boden, ging sicher, dass sie ordentlich auf ihren Füßen stand und starrte ihr dann schwer keuchend in die Augen.

„Was ist los?“, kicherte sie und legte ihre Arme wieder um seinen Nacken, „kannst du etwa schon nicht mehr?“

„Ich...ich kann...nicht...vergib mir!“, keuchte er und sprang die Treppe auf einmal runter.

Dann war er verschwunden.

4

Frustriert knörend kickte Samantha ihre Bettdecke von sich und starrte an die Zimmerdecke. Was zum Teufel war gestern Abend bloß Tommys Problem gewesen? Seinetwegen hatte sie in der letzten Nacht kaum geschlafen, sich andauernd unruhig hin und her gewälzt, der Typ dürfte sich heute aber ein gewaltiges Donnerwetter anhören, wenn er ihr unter die Augen trat.

Die junge Frau setzte sich in ihrem Bett auf und ließ den Blick durch ihr Zimmer wandern. Heute war der erste Abend des Mondscheinfestes, worauf sich alle so sehr freuten, sie bis gestern Abend mit eingeschlossen Doch im Moment war ihre Stimmung dermaßen am Tiefpunkt, dass sie sich nicht mal sicher war, ob sie ihre Räumlichkeiten heute überhaupt verlassen wollte. Dann knurrte jedoch ihr Magen.

„Okay, okay. Ich geh ja schon“, murmelte sie und schwang ihre nackten Füße aus dem gemütlichen Bett auf den Holzboden.

Die Dielen knarrten dezent bei jedem ihrer Schritte, als sie ins Bad ging, sich wusch und ein wenig alltagstauglich zurecht machte.

Unten im Gasthaus angekommen war keine Menschenseele zu sehen. Samantha blickte auf die Uhr ihres mittlerweile endlich wieder vollgeladenem Handys und stellte fest, dass es noch ziemlich früh am Morgen war. Alle würden wahrscheinlich gerade voll in den Vorbereitungen stecken, sie würde also in die Küche gehen und sich selbstständig etwas zum Essen machen.

Sie ging hinter die Bar und durch die hölzerne Schwingtüre hindurch, wo Martha in ihrer aktuellen Tätigkeit innehaltend überrascht aufsah.

„Guten Morgen“, grüßte Samantha und kam zu der großzügigen Kücheninsel, wo die Wirtin ihr gerade gegenüber stand.

„Kindchen!“, rief die Frau freudig, dennoch überrascht aus, „haben wir dich etwa geweckt?“

„Nein. Ich konnte nicht wirklich schlafen.“

„Oh nein! Ist etwas mit deinem Bett nicht mehr in Ordnung?“

„Alles bestens. Es hat überhaupt nichts mit dem Zimmer oder euch zu tun…“

Die junge Frau lehnte sich mit beiden Armen auf die Arbeitsplatte der Kücheninsel und beäugte Marthas Tätigkeiten. Die ältere Frau grinste wohl wissend und legte den Kopf schief, wodurch ihr einige blonde Locken in die Stirn fielen.

„Liebeskummer bringt uns alle um Schlaf und Verstand, meine Liebe“, lächelte sie und schob das fertig geschnittene Gemüse in eine große Schüssel.

„Liebeskummer?“, wiederholte Samantha unglaubwürdig, „keineswegs!“

„Oh doch, oh doch. Ich sehe doch den gequälten Ausdruck in deinen wunderschönen braunen Augen. Lass es mich wissen, wenn ich jemanden bestimmtes die Ohren lang ziehen soll!“

Samantha musste bei dem Gedanken, wie Martha Tommy die Leviten lies breit grinsen. Die Frau ging dem Kerl doch maximal nur bis zur Brust…

„Falls du den Drang verspüren solltest, deinem Frust Luft zu machen, oder einfach nur dein Herz ausschütten willst, ich bin für dich da“, verkündete die Wirtin herzlich.

„Das ist so lieb, vielen Dank. Eigentlich wäre das jetzt der Moment, in dem ich meine überfürsorgliche Mutter anrufe, aber ich befürchte, dass der Mast immer noch nicht repariert ist. Ich habe hier null Empfang.“

„Der Mast ist wieder völlig hergestellt. Vielleicht stattest du später mal Earl und Tommy einen Besuch auf der Ranch ab, die liegen um einiges besser wie wir hier unten im Tal. Da solltest du auf jeden Fall Empfang haben.“

Samantha rollte demonstrativ bei Tommys Namen mit ihren Augen und Martha verstand sofort. Sie zog einen Schmollmund, ließ alles stehen und liegen, wuselte um die Kücheninsel herum und drückte ihren Gast mütterlich von der Seite.

„Ach Kindchen...die Männer machen es uns nicht leicht, hm?“

Samantha seufzte schwerfällig, nickte zustimmend und klemmte sich eine locker gewordene Haarsträhne hinters Ohr.

„...aber sei ihm nicht allzu nachtragend, ja?“, bat die ältere Frau, „er weiß es doch auch nicht besser. Stell dir vor, das arme Ding wurde von Earl ganz alleine großgezogen, und der macht mir nun wirklich nicht den Eindruck, als dass er was von Romantik verstehen würde.“

„Arbeiten Tommys Eltern im Ausland?“

„Er hat es dir also noch gar nicht erzählt?“

„Um ehrlich zu sein…“, überlegte Samantha und legte den Kopf schief, „ich weiß noch nicht einmal sein Alter. Ich weiß rein gar nichts über ihn.“

Martha, welche bereits wieder auf ihren ursprünglichen Arbeitsplatz stand machte ein sehr trauriges Gesicht. Schweigend schnitt sie für ihren Gast einen perfekt roten Apfel auf, reichte ihn ihr und seufzte schwerfällig.

„Eigentlich steht es mir gar nicht zu, über anderer Leute Schicksal zu reden...aber ich kenne Tommy, seit er geboren wurde und weiß daher auch, dass er von alleine niemals mit der Sprache heraus rücken würde. Wir drücken also ein Auge zu und verraten ihm nichts.“

Samantha biss in ein Stück des saftigen Apfels und horchte gespannt auf, um ja kein Wort zu verpassen, was ihr die Frau gleich erzählen würde.

„Tommys Eltern, Henry und Louise, ein zauberhaftes Paar waren sie. Zusammen mit Henrys Bruder, Earl, bauten sie die Ranch oben auf dem Hügel auf. Begannen damit Schafe zu züchten und lebten von dem Verkauf ihrer Wolle. Damals hatten sie deutlich mehr Tiere, machten also ein recht lukratives Geschäft und konnten gut von dem Erlös der verkauften Wolle leben. Die Ranch blühte aber erst so richtig auf, als ihr erstes Kind zur Welt kam. Tyler nannten sie es. Ein zauberhafter kleiner Junge, wenn auch recht lebhaft aber so sind Kinder nun mal, richtig? Beinahe täglich besuchten sie uns hier unten im Tal, ich würde sagen, dass wir ziemlich gut befreundet waren. Henry baute sich zu dieser Zeit noch die Werkstatt auf, als zweites Standbein sozusagen. Er hatte schon immer gerne Dinge repariert, half auch immer hier unten im Dorf aus, wenn etwas durch ein Unwetter zu Schaden kam.“

Meine Güte, dachte sich Samantha und biss in ein weiteres Stück Apfel, das hört sich ja wie im Bilderbuch an!

„...ein paar Jahre später kam dann Tommy auf die Welt. Louise und Henrys Glück hätte nicht größer sein können, doch leider begann zur selben Zeit ein wildes Tier hier in den Wäldern sein Unwesen zu treiben. Regelmäßig riss es Schafe aus ihrer Herde. Waren es anfangs nur einzelne Tiere gewesen, so hatte sich ihre Anzahl binnen eines Jahres verdreifacht. Henry und Earl gingen regelmäßig auf die Jagt nach dem Tier, kamen jedoch immer mit leeren Händen zurück.“

„Das Tier mit den roten Augen?“, entwich es Samantha sofort.

Martha schüttelte niedergeschlagen den Kopf und reichte ihrem Gast den fertig aufgebrühten Tee.

„Sie sprachen nie darüber, was genau sie jagten, alles was wir wussten, war, dass es ein sehr großes Tier sein musste. Viele Männer aus dem Dorf schlossen sich ihnen zur Jagt an, immer erfolglos. Ungefähr zu in diesem Zeitraum kam auch Hunter das erste Mal zu uns. Er und Henry hatten zwar immer wieder Meinungsverschiedenheiten, was dieses Tier genau anging, doch auf der Jagt waren sie immer ein gutes Team gewesen! Dann war es lange Zeit ruhig um das Tier geworden und wir hatten bereits die Hoffnung geschöpft, dass es sich ein neues Revier gesucht hat. Aber das war ein großer Irrtum gewesen...die Nacht, in welcher es passierte...es war einfach nur schrecklich…“

Martha wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, ging zum Waschbecken, um sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen zu lassen. Sie blickte aus dem Fenster, weit weg in die Ferne der Vergangenheit und atmete zittrig aus.

„Louise war eine sehr gute Freundin gewesen...ich vermisse sie so sehr…“

„Das Tier…“, begann Samantha ehrfürchtig und schluckte schwer, „es hat sie umgebracht…?“

„Es war das reinste Massaker gewesen. Wir hatten in der Nacht plötzlich laute Schreie gehört und du weißt ja, wie weit die Ranch entfernt ist. Wie in Frankensteins Monsterfilmen eilten wir ihnen zur Hilfe mit Fackeln, Mistgabeln und geladenen Gewehren, doch als wir ankamen...es war so viel Blut…“

Erneut ging Marthas Atem zittrig und ein leises Schluchzen war zu hören. Sie tätschelte sich ihre Wangen und ging gefasst an die Kücheninsel zurück.

„Henry und Earl müssen es überrascht haben, als es wieder Schafe reißen wollte und ein in die Ecke getriebenes Tier ist unberechenbar! Louise war im Haus geblieben, bei ihren Kindern, doch als das Tier Henry getötet und Earl schwer verwundet hatte holte es sich Tyler und seine Mutter. Tommy hatte sich unter der Kommode versteckt, er war zu seinem Glück noch ziemlich klein gewesen und kam mit seinem Leben und einem großen Schrecken davon. Am nächsten Tag wollten wir Earl bei der Beerdigung helfen, doch er hatte bereits die Leichen vergraben.“

„Sagtest du nicht, dass er schwer verwundet wurde?“

„Ich habe es damals nicht persönlich gesehen, aber es muss anscheinend schlimmer ausgesehen haben, als es dann tatsächlich war. Seit dem zieht er Tommy groß und glaube mir, wenn ich dir sage, dass er sein Bestes gegeben hat.“

Samantha nickte wie in Trance. Plötzlich tat ihr Tommy sehr leid und sie hätte sich ohrfeigen können, gestern Nacht noch so schlimm über ihn gedacht zu haben. Sie würde später zu ihm gehen und sich dafür entschuldigen.

So, als wolle sie die schlechte Stimmung von ihnen abschütteln hüpfte Martha kurz zwei, dreimal auf der Stelle, tätschelte ein letztes Mal ihre roten Wangen und setzte wieder ein Lächeln auf.

„Genug aber jetzt mit der schlechten Stimmung! Heute beginnt endlich unser Mondscheinfest und ich muss noch so viel Essen vorbereiten! Du weißt, dass ich dich auf dem Fest erwarte, junge Dame?“

„Natürlich“, grinste ihr Gegenüber, „darf ich fragen, was es denn alles leckeres zu Essen gibt?“ Samantha lehnte sich nun mit ihrem Oberkörper auf die Arbeitsplatte, konnte allerdings außer geschnittenem Obst und Gemüse nichts weiter entdecken. Ein Festmahl sah in ihren Augen weitaus anders aus.

„Ach, das kommt ganz darauf an, was er erwischt hat.“

„Erwischt? Du meinst Erlegt?“

„Erwischen, Erlegen ist doch das Gleiche“, winkte Martha ab, ohne sie anzusehen.

Samantha dachte nicht weiter über ihre Aussage nach und überblickte die vielen Zutaten, welche verstreut in der großen Küche lagen. Alles sah so frisch und lecker aus, dass die junge Frau sich jetzt umso mehr auf das Mondscheinfest freute.

„Ich weiß ja, dass ich hier keinen Finger rühren darf“, druckste Samantha schmunzelnd, „aber kann ich dir vielleicht nicht doch mit etwas behilflich sein?“

In dem Moment, als Martha sich ihr zuwandte, gleichzeitig nach Luft schnappte, um eine Standpauke auf ihren Gast loszulassen sprang die Schwingtür zur Küche auf und ein Mann mit einem toten Reh über seinen Schultern trat ein.
 

~*~
 

Mit einem dumpfen Geräusch warf er regelrecht das Tier direkt vor Samantha auf die Ablage und blickte ihr dann überrascht in die Augen. Diese Augen…

„Tommy!“, rief Martha in einer Mischung aus Freude und Entrüstung, „doch nicht vor dem Gast!“

Der junge Mann ignorierte die Wirtin völlig und starrte seinem Gegenüber immer noch tief in die Augen. Samantha war der Meinung gewesen, dass er sich anscheinend etwas unwohl in ihrer Gegenwart fühlte.

„Guten Morgen“, sagte sie deshalb freundlich und trat einen Schritt von dem Tier zurück, welches sie aus seinen toten Augen anblickte.

Tommy erwiderte nichts, er guckte zwischen ihr und Martha überfordert hin und her, dann wandte er sich wortlos ab und verschwand so schnell aus der Küche, wie er gekommen war.

„Was war das denn?“

Martha kam kichernd um die große Kücheninsel herum gewuselt und tätschelte dem Reh respektvoll den Rücken.

„So ein schönes Exemplar!“

Erneut schwang die Tür zur Küche auf, Tommy trat erneut ein, diesmal brachte er erlegte Hasen, zwei große Vögel, welche Gattung Samantha gerade nicht zuordnen konnte und verschwand schon wieder. Beim dritten Mal erschien der junge Mann mit Steve im Schlepptau, sie beide hatten jeweils zwei Eimer gefüllt mit Bachwasser und reichlich noch lebenden Fisch dabei. Die Frauen beobachteten, wie die Männer die Eimer sogleich in die gekühlte Kammer trugen, als sie wieder in die Küche traten klopfte Steve Tommy ehrfürchtig auf die Schultern und bedankte sich wortwörtlich für die fette Beute.

„Du scheinst eine gute Jagt gehabt zu haben“, entgegnete Martha respektvoll und reichte Tommy einen großen Krug zu Trinken an.

Er zögerte einen Moment, Samantha bemerkte, wie er verstohlen aus dem Augenwinkel heraus zu ihr rüber blickte, nahm dann jedoch den Krug dankend entgegen und leerte ihn zur Hälfte. Er schien sich in ihrer Anwesenheit deplatziert zu fühlen und Samantha fragte sich, ob es tatsächlich „nur“ mit dem Ereignis des letzten Abends zu tun hatte. So, wie sie ihn allerdings kennen gelernt hatte zweifelte sie daran, dass es an so etwas simplen lag, dass er sich plötzlich dermaßen zierte. Anscheinend hatte Earl ihm eingehämmert, dass er sich zukünftig in Gegenwart einer Lady besser zu benehmen hatte.

Samantha schmunzelte bei dem Gedanken, wie der alte Mann Tommy während einer Standpauke mit erhobenem Zeigefinger drohte. Noch breiter grinste sie, als sie sich gedanklich ausmalte, wie der Junge auch noch ehrfürchtig vor seinem Ziehvater kuschte.

„Dann erwarte ich dich gleich beim Zerlegen“, verkündete Steve und klopfte Tommy erneut auf die Schulter, „ruh dich aber noch kurz aus. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.“

Tommy nickte stumm, ging zu dem Waschbecken rüber und ließ sich kaltes Wasser über Kopf und Nacken laufen.

„Scheinst ja schnell zu überhitzen“, bemerkte Samantha und legte ihr Kinn auf ihre zum Dach gefalteten Hände.

Sie konnte einfach nicht anders und musste ihm diesen Seitenhieb verpassen. Tommy drehte sich ausdruckslos zu ihr um, seine Augen fixierten sie nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann verschwanden sie unter dem Handtuch, welches Martha ihm über den Kopf schmiss.

„Ich habe vorhin erst gewischt!“, schimpfte sie, „und du tropfst mir alles wieder nass!

„Reg dich nicht so auf...du wirst auch morgen wieder durchwischen…“, erwiderte Tommy gleichgültig und rubbelte sich die Haare trocken.

Ah…, dachte Samantha und atmete erleichtert durch, da war er ja wieder, der gute alte Tommy. Als hätte er seinen Namen in ihren Gedanken gehört schmiss er das nasse Handtuch auf die Ablage hinter sich und kam zu ihr rüber. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um seinen herausfordernden Blicken stand halten zu können, als er so nah vor ihr stand, dass sich ihre Körper fast berühren konnten. Sie spürte sofort wieder dieses Ziehen in ihrem Unterleib und eine Gänsehaut machte sich auf ihren Armen breit. Dieses verdammte Kribbeln! Dieser verräterische Körper! Sie schmunzelte ihn übermütig frech an, da sie sich in Marthas Gegenwart ziemlich sicher fühlte, er hingegen blickte auf sie nieder und dann setzte er dieses von ihr so hassgeliebte schelmische Schmunzeln auf, griff hinter sie und löste ihren Haargummi. Wie eine Jagdtrophäe hielt er ihn ihr stolz vors Gesicht, während sie niedergeschlagen in sich Grinste. Dieser Punkt ging an ihn, dass musste sie sich eingestehen.

„Besser?“, fragte sie Tommy und er nickte.

„Viel besser.“

Sie griff nach ihrem Haargummi, schlang es sich um das Handgelenk und verkündete Martha, dass sie sich für einen Anrufversuch auf die Ranch begeben würde. Die Wirtin wünschte ihr einen schönen Tag und machte sich wieder an die Arbeit, während Samantha Tommy ein letztes Mal einen vielsagenden Blick zuwarf, sich dann mit genügend Schwung zum Gehen umdrehte, dass ihre nun offenen Haare nur so durch die Luft flogen. Noch bevor sie an der Schwingtür angekommen war konnte sie sein intensives Einatmen hören und wie er einen Moment inne hielt. Sie grinste triumphierend. Nun stand es 1 zu 1!

Vor dem Wirtshaus hielt die junge Frau abrupt inne und blickte Wilma fragend an, welche breitbeinig mit Händen in die Hüfte gestemmt vor ihr stand und frech grinste.

„Guten Morgen“, grüßte Samantha überrascht, „was machst du denn hier?“

„Ich muss dir was zeigen!“, klatschte die Wicca in die Hände, „komm schnell mit!“

„Leider will ich erst versuchen meine Mutter zu erreichen.“

„Aber das kannst du doch auch von unterwegs aus machen.“

Wilma wollte bereits nach ihrem Handgelenk greifen, doch genau in diesem Moment trat Tommy hinter Samantha aus dem Gasthaus und ließ ein bedrohliches Brummen von sich ertönen. Wilma wich erschrocken einen großzügigen Schritt nach hinten, blickte dann fragend zwischen Samantha und Tommy hin und her.

„Er hat gerade...das Essen...gebracht“, hob die junge Frau entschuldigend beide Arme, „du kannst mich ja zur Ranch begleiten?“

„Nein, kann sie nicht“, erwiderte Tommy sofort, kaum dass Samantha ihren Satz beendet hatte.

„Dann komm zuerst mit mir mit. Es dauert auch nicht lange“, versprach die Wicca und grinste siegessicher.

„Möchtest du mir wieder dreiäugige Salamander zeigen?“, grinste die junge Frau breit.

„Viel besser“, grinste Wilma ebenfalls breit zurück und streckte Samantha ihr die Hand entgegen.

„Sie hat gesagt, dass sie bereits andere Pläne hat“, knurrte Tommy und schlug Wilmas Hand mit seiner eigenen fort.

Was dann geschah verwirrte Samantha nur noch mehr und sie schien endgültig den Glauben zu verlieren. Er ging lässig die Stufen auf den großen Platz runter, holte mit seinem Arm aus und schlug ihr dann kräftig auf den Hintern. In dem Moment, als Samantha mehr aus Schreck als Schmerz wegspringen wollte griff Tommy ihr in die offenen Haare, drückte ihr Gesicht dann zur Seite, vergrub seine Nase an ihrem Hals und fuhr so einmal großzügig über ihre Wange, während er übertrieben laut durch die Nase einatmete. Dabei ließ er Wilma nicht eine Sekunde aus den Augen.

„Wir sehen uns heute Abend“, raunte er dann in Samanthas Ohr, biss kurz hinein und ging in Richtung Steve, welcher breit grinsend auf ihn wartete.

„WAS ZUM…?“, presste die junge Frau hervor und wischte sich über die glühende Wange, „hey! Was zum Teufel sollte das eben?!“

„Dämlicher Köter“, fauchte Wilma deutlich verärgert und blickte zu Samantha, „kommst du nun mit oder nicht?“

„Wie gesagt...ich will zuerst versuchen meine Mutter zu erreichen. Sagen wir, dass ich dich gleich danach an deiner Hütte abhole?“

Wilma machte eine enttäuschte Miene, stimmte ihr dann jedoch zu.

„Ich werde warten…“
 

~*~
 

Während sie den kleinen Hügel erneut emporstieg hätte Samantha sich unter schwerem Atmen selber ohrfeigen können. Wieso hatte sie nicht einfach Tommy gefragt, ob er sie auf die Ranch hätte mitnehmen können? So viel, wie sie die letzten Tage zu Fuß zurück gelegt hatte würde sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr tun!

Als sie die Gebäude endlich erkennen konnte merkte sie, wie die berührte Stelle ihrer Wange von Tommys Nase wieder zu kribbeln begann und kratzte sich, um es endlich zu vertreiben.

Aber irgendwo hatte diese Geste ihr dermaßen zugesetzt, dass ihr ganzer Körper sich jetzt anfühlte, als würden unendlich viele Ameisen auf ihr krabbeln. Es lief ihr lauwarm die Wirbelsäule hinunter und in ihrem Kopf machte sich die Szene vom gestrigen Abend erneut breit. Seine Hände, wie sie sie mit Leichtigkeit auf seine Hüften gehoben hatten, sein Mund, sein Geruch…

„Oh! Hör auf damit! Du machst es nicht wirklich besser!“, rief Samantha wütend aus und stampfte mit ihrem Fuß auf dem Boden auf.

„Wir sind heute Morgen aber gut gelaunt, Miss“, ertönte plötzlich Earls Stimme, welcher wie immer um die Ecke auf seiner Veranda im Schaukelstuhl saß.

Das Schild seiner Cap tief ins Gesicht gezogen musste er wahrscheinlich gerade ein Nickerchen gemacht haben.

„Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe…“, entschuldigte sich die junge Frau peinlich berührt.

„Aber, aber“, winkte Earl ab und setzte sich in seinem Schaukelstuhl aufrecht hin, „Tommy ist gerade nicht da, falls du dich nach deinem Auto erkundigen wolltest.“

„Nein. Ich weiß wo er sich gerade herumtreibt. Martha meinte, ich hätte hier bei euch besseren Empfang. Ich muss endlich meine Mutter erreichen, sie ist sicherlich schon ganz krank vor Sorge!“

„Ach so. Dann versuch dein Glück besser im Haus, hier draußen wird dich nur das Rauschen des Windes stören.“

Samantha horchte, konnte jedoch nichts wahrnehmen, außer dem Mähen der Schafe. Wenn er es ihr allerdings schon anbot…

„Vielen Dank.“

Sie ging an dem alten Mann vorbei, ihr Handy bereits mit der gewählten Nummer ihrer Mutter in der Hand, als Earl ihr noch etwas hinterher rief.

„Tu dir nur selber einen Gefallen und geh nicht nach oben. Du weißt ja, wir sind zwei Junggesellen und wir haben es mit der Ordnung nicht so!“

Er lachte heißer auf und Samantha tat es ihm gleich.

„Ist gut, und danke nochmal!“

Sie ging durch den kurzen Flur an der Treppe nach oben vorbei in die Küche, welche an eine Werbung der 50er Jahre erinnerte, wo die glückliche Familie jeden Morgen ihr perfektes Frühstück serviert bekam. Ein Runder Holztisch stand in ihrer Mitte, fünf dazu passende Holzstühle drum herum. Samantha erinnerte sich an die Geschichte von Tommys Familie, welche sie erst heute erfahren hatte und seufzte traurig. Das Tuten ihres Handys unterbrach jedoch ihre trauernden Gedanken und sie legte sich das Gerät ans Ohr.

„Mama?“, fragte sie aufgeregt, als sie der Meinung war ihre Mutter gehört zu haben.

Doch alles, was sie in diesem Moment zu hören bekam war ein unruhiges Rauschen und Knacken in der Leitung und dann brach der Empfang ab.

„Mist!“

Die junge Frau blickte auf ihre Empfangsbalken und stellte fest, je näher sie wieder dem Flur kam, umso besser wurde er. Ein Hoffnungsschimmer machte sich in ihrer Brust breit und somit stieg sie die ersten Stufen der Treppe hinauf. Ein weiterer Balken fügte sich hinzu und Samantha strahlte über das ganze Gesicht. Sie wählte erneut die Telefonnummer und es tutete wieder.

„Hallo?“, ertönte eine ihr wohlbekannte Stimme.

„MAMA?!“

„SAMANTHA?“, rief ihre Mutter am anderen Ende der Leitung geschockt aus, „UM HIMMELSWILLEN, KIND!! WO BIST DU??“

„Oh Mama, endlich erreiche ich dich!“

„Wo bist du? Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht! Niemand hat dich erreichen können!“

„Wenn du wüsstest, was mir alles passiert ist“, scherzte die junge Frau und wischte sich eine Freudenträne aus dem Augenwinkel.

„Die Hochzeit wurde verschoben…“

„Das weiß ich schon.“

„Woher denn das? Hast du bereits mit Nicole telefoniert?“

„Nein. Mama, das erzähle ich dir alles, wenn wir uns in Orlando wiedersehen! Ich habe dir so viel zu erzählen, das glaubst du mir nicht!“

Wieder knackte es in der Leitung und Samantha stieg zwei weitere Stufen empor.

„Ich höre dich ganz schlecht...wo um Himmelswillen bist du?“

„Warte ich hab’s gleich…“, murmelte die junge Frau und warf einen prüfenden Blick nach unten, wo sie Earls Fuß neben dem Türrahmen stehen sah.

Schnell sprang sie die letzten Stufen ins obere Geschoss und prüfte den Empfang.

„Mama? Hörst du mich jetzt wieder?“

„Ganz...schlecht...wo...zur...Hölle...bist...du?!“

Samantha ächzte genervt und lief erst nach rechts, doch da wurde das Knacken und Rauschen nur noch schlimmer, also hastete sie in die andere Richtung und betrat den Raum. Es musste eines der beiden Schlafzimmer sein, doch das interessierte sie im Augenblick relativ wenig. Sie lief zum Fenster, beugte sich über das Bett und fragte erneut, ob sie jetzt besser zu hören war.

Doch da war der Empfang bereits abgebrochen.

„VERDAMMTE SCHEIßE!“, rief sie wütend aus und warf ihr Handy gefrustet aufs Bett.

Dicke Tränen kullerten ihr über die Wangen und sie fuhr sich tief seufzend durch die offenen Haare. Was sollte sie nur tun? Der Empfang würde hier überall abbrechen, egal wo sie es auch noch versuchen würde. Sie hatte ihrer Mutter nicht einmal sagen können, dass sie sie lieb hat.

Samantha blickte aus dem offenen Fenster direkt auf die Schafherde, wie die Tiere glücklich und zufrieden vor sich hin grasten, die junge Frau bemerkte, wie ein lauer Wind wehte und frische Luft ins Zimmer hinein ließ, und die offen stehende Tür mit einem lauten Knall wieder schloss.

Samantha fuhr erschrocken herum und erstarrte augenblicklich zu einer Salzsäule. Ihr Kiefer klappte nach unten und ihr gefror das Blut in den Adern, als sie mit weit aufgerissenen Augen die tiefen Kratzfurchen in der Wand gegenüber sich sah. Sie krallte sich mit ihren zittrigen Händen in die Bettdecke, als ihr gesunder Menschenverstand ihr klarmachte, dass das niemals normalen Kratzspuren sein könnten. Sie gingen beinahe über die komplette Wandseite.

Irgendetwas wildes hatte hier drinnen gewütet, versucht aus diesem Zimmer zu entkommen. Ihr Atem ging viel zu schnell, sie hyperventilierte, ihr Puls hämmerte nur so gegen ihre Venen und sie konnte ihre Augen nicht von dieser Wand abwenden. Ihr Instinkt schrie sie an, dass sie endlich fliehen sollte. Weit wegrennen, bis ihre Beine sie nicht mehr tragen konnten. Nur Hauptsache weg von hier!

Aber dann erwischt mich das Tier mit den roten Augen…, dachte sie im nächsten Moment.

Es kann wohl kaum schlimmer sein, als das, was hier drin gewütet hat, wies ihre innere Stimme sie darauf hin, was sie eben entdeckt hatte.

Die Tür ging mit einem stöhnenden Quietschen auf und Tommy trat ein, starrte Samantha mit weit aufgerissenen Augen an. Sie erwiderte seinen Blick, welcher genauso geschockt war, als hätte sie sein dunkelstes Geheimnis gelüftet. Jetzt wusste sie auch, warum Earl sie gebeten hatte nicht ins obere Stockwerk zu gehen. Von wegen Unordnung!

„Was...machst...du...hier?“, murmelte Tommy gefährlich ruhig.

Seine Arme waren bis zu den Ellbogen blutverschmiert und auch seine Kleidung wies mehrere dunkelrote Flecken auf. Er sah aus wie frisch aus einem Horrorszenario entsprungen. Der Killer, welcher auf frischer Tat ertappt worden war. Anstatt zu antworten deutete Samantha eingeschüchtert von seinem Erscheinungsbild wortlos auf die Wand, er folgte ihrem Finger und hielt inne. Als er sie erneut ansah leuchteten seine bernsteinfarbenen Augen umso mehr und er hob langsam beide Hände, so als wollte er sich ergeben.

„Ich...ich kann das...erklären…“, flüsterte er jetzt beinahe und ging sehr langsam auf sie zu.

„Bleib ja weg von mir“, fauchte die junge Frau, wie eine Katze die in der Klemme saß.

„Samantha, bitte. Du musst dir anhören, was ich dir zu sagen habe.“

„Einen Scheiß muss ich! Was für ein kranker Psychopath bist du eigentlich? Was treibst du hier drin? Irgendwelche verrückten Tieropferrituale, oder was?“

„Nein. Es ist nichts dergleichen.“

„Bleib stehen!“, rief sie aufgebracht und sprang aufs Bett.

Tommy hielt inne, beide Hände immer noch erhoben und seinen Blick auf ihr Gesicht fixiert, wie ein Raubtier das gleich fette Beute machen würde.

„Ich möchte es dir aber erklären…“, wiederholte Tommy behutsam, „aber dafür musst du dich zuerst beruhigen…“

Samantha versuchte verzweifelt aus dem Augenwinkel etwas zu erspähen, was sie gleich als Waffe gegen ihn verwenden könnte.

Das Kissen? Zu weich.

Nachttischlampe? Nicht vorhanden.

Baseballschläger? Moment mal was??

Sie konnte ihren Augen nicht trauen, als sie tatsächlich einen hölzernen Baseballschläger an der Wand lehnen sah, natürlich genau zwischen sich und Tommy.

„Den wirst du nicht brauchen“, versicherte er ihr, als er dem Blick der jungen Frau gefolgt war, „lass uns nur in Ruhe über alles reden, bitte. Ich verspreche dir, dass dir absolut nichts passieren wird...“

Scheiß aufs Reden!, schrie Samanthas Instinkt und sie preschte wortlos nach vorne. Sie warf sich mit ihrem vollem Körpergewicht gegen Tommy, dieser verlor die Balance und fiel nach hinten um. Noch bevor er irgendwie reagieren konnte rollte sich Samantha von ihm, über den Boden, griff nach dem Baseballschläger und schlug zusammen mit einem lauten Schrei sofort zu. Anstatt regungslos zu Boden zu gehen, so wie es jeder normale Mensch unter diesem Hieb getan hätte taumelte ihr Gegenüber jedoch nur benommen einige Schritte zurück, hielt sich an der zerkratzten Wand fest und rieb sich den Kopf. Das genügte ihr auf jeden Fall zur Flucht! Die junge Frau griff nach dem Türknauf, riss ihn allerdings ab.

„SCHEIßE!!“, schrie sie aufgebracht.

Aus dem Augenwinkel konnte sie sehen, wie sich Tommy wieder einigermaßen gefangen hatte, zwar hielt er sich immer noch den Kopf, kam aber erneut auf sie zu.

„Samantha“, sagte er, diesmal um einiges ernster.

„Ah! FUCK!“

Sie trat mit aller Wucht gegen die Tür, die Scharniere gaben unter der Wucht nach und sie konnte endlich aus dem Zimmer flüchten, rannte förmlich die Treppen nach unten, hörte von oben ein lautes genervtes Knurren und fuhr innerlich zusammen. Das Tier mit den roten Augen hatte genauso geklungen…

Mit nur einem einzigen Satz war Tommy vom Geländer aus nach unten gesprungen, kam knapp hinter Samantha auf dem Boden auf, woraufhin sie gefährlich ins Stolpern geriet, wie wild mit den Armen rudernd noch die Haustüre passierte und dann fiel sie auch schon.

Sie landete unsanft auf ihrer Seite, rollte sich jedoch unter dem Adrenalinschub schnell auf den Rücken und sah noch, wie ihr Verfolger gerade auf die Veranda heraustrat. Tommys Augen funkelten in einem hellen Gelbstich, er grinste siegessicher auf sie herab und dann hörte Samantha nur noch einen lauten Knall aus nächster Nähe und beobachtete, wie Tommy regelrecht nach hinten geschleudert wurde.
 

Stille.
 

Samantha setzte sich vorsichtig und wie in Zeitlupe im Dreck auf und starrte auf die Stelle, wo Tommy eben noch gestanden hatte, nun konnte sie nur noch die Sohlen seiner nackten Füße sehen. Langsam drehte die junge Frau den Kopf in die Richtung, woher der Schuss gekommen war und sah, wie Earl breitbeinig dastand, die rauchende Schrotflinte immer noch im Anschlag hielt. Er hat jetzt nicht wirklich absichtlich auf seinen eigenen Neffen geschossen?

„Du...du hast ihn umgebracht…“, raunte sie und spürte, wie dicke Tränen ihr die Wangen runter kullerten.

„Bist du verletzt?“, erkundigte sich der alte Mann beunruhigt und ging vorsichtig auf sie zu.

„Du hast ihn umgebracht“, wiederholte sie anstatt auf seine Frage zu beantworten und erhob sich auf ihre wackligen Beine.

„Samantha! Hat er dich irgendwie verletzt? Gekratzt oder gebissen?“

„DU HAST IHN UMGEBRACHT!!“, schrie sie nun so animalisch laut, dass Earl abrupt stehen blieb.

Er hatte sich eben noch die Flinte lässig über die Schulter gelegt, doch jetzt wusste er nicht mehr so ganz, wie er mit dieser Situation umgehen sollte.

„Oh nein“, murmelte er schließlich, „er hat dich erwischt…“

„NEIN, DU HAST IHN ERWISCHT!! WAS FÜR EIN ONKEL BIST DU, DASS DU DEIN EIGEN FLEISCH UND BLUT ERSCHIEßT??“

Plötzlich regte sich im Haus etwas. Samantha fuhr hastig herum und starrte ungläubig auf Tommy, welcher sich bereits wieder aufgesetzt hatte und sich einige Kugeln Schrot aus der Brust puhlte. Hatte er eine erwischt, dann schnippte er sie wie einen lästigen Fussel zu Boden, so fuhr er fort, bis er alle Kugeln aus seinem Torso entfernt hatte und erhob sich dann schwer ächzend vom Boden.

„Was zum…wie...?“

Hinter Samantha lachte Earl jetzt dröhnen und hielt sich den dicken Bauch: „Keine Sorge, junge Lady! Diesen Kerl kriegt man so schnell nicht klein, auch nicht, wenn man mit in Eisenhutextrakt getränkte Schrotkugeln auf ihn schießt.“

„Musste das sein, alter Mann?“, beschwerte sich der eben noch erschossene und trat erneut auf die Veranda, „diesmal hat es ordentlich wehgetan!“

„Natürlich, das sollte es ja auch!“

Samantha drehte und pochte heftig der Kopf. Wie konnten die beiden sich jetzt noch dermaßen locker unterhalten? Wieso lebte Tommy überhaupt noch?? Er müsste doch eigentlich mausetot auf dem Holzboden liegen!

„Oh oh. Gleich kippt sie um…“, meinte Earl und kratze sich verlegen den Hinterkopf, „muss wohl zu viel auf einmal für sie gewesen sein…“

Noch bevor Samantha völlig den Verstand verlieren konnte schaltete ihr Körper auf Standby Modus und sie fiel in Ohnmacht. Ihre Beine gaben einfach nach, doch noch bevor sie auf dem Boden aufprallen konnte war Tommy in nur einem Satz zu ihr gesprungen, hatte sie aufgefangen und nun trug er sie hinter Earl laufend ins Haus.

„Hat ihr eben ganz schon die Augen weggedreht“, bemerkte der alte Mann und stellte seine Schrotflinte neben der Haustüre ab, „die jungen Dinger von heute sind auch nichts mehr gewohnt.“

„Du scheinst vergessen zu haben, dass nicht jeder täglich sieht, wie ein angeblich Toter sich eine Ladung Schrot auf der Brust entfernt.“

„Stimmt auch wieder. Komm! Legen wir sie aufs Sofa. Soll sie sich ordentlich ausruhen, die Arme.“

5

Ihre nackten Füße versanken in dem kalten feuchten Moos, eine dichte Nebelwand nahm ihr die Sicht und Orientierung. Samanthas Hand ertastete einen Baum, welcher dicht mit Efeu bewachsen war, sie blickte an ihm hoch, um mit Hilfe der Sonne erahnen zu können, wie spät es war und wo sie sich befand. Doch der Himmel war eine einzige schwarze Fläche, kein einziger Sonnenstrahl war zu sehen. Sie ging ein Stückchen weiter, lauschte bei jedem noch so kleinen Geräusch auf, welche ihr plötzlich so ungewöhnlich laut vorkamen. Sie hörte eine protestierende Maus zu ihren Füßen fiepsen, Samantha blickte sie an, so als könnte sie sie tatsächlich verstehen.

„Es tut mir leid, wenn ich dir die Vorfahrt genommen habe…“, raunte die junge Frau und hob ihren nackten Fuß an, damit die Maus passieren konnte.

Doch anstatt im nächsten Erdloch zu verschwinden flitzte sie den Baumstamm direkt neben Samantha empor, hielt sich mit einer Pfote am Efeu fest und fiepste aufgeregt. Als wäre es das normalste auf der Welt streckte Samantha ihre Hand nach der Maus aus, welche wie selbstverständlich auf die Frau sprang, ihren Arm empor rannte und auf ihrer Schulter sitzen blieb. Sie fiepste völlig hysterisch und fuchtelte mit ihren winzigen Pfoten herum, die junge Frau horchte ihr aufmerksam zu, nickte zustimmend.

„Verstehe. Zeigst du mir den Weg?“

Augenblicklich schnellte eine Pfote nach vorne und die Maus wies ihr die Richtung, welche sie ohne zu zögern einschlug. Während Samantha sich über den moosbewachsenen Waldboden tastete sank die Maus auf ihrer Schulter erschöpft in sich zusammen, begann sich zu putzen und korrigierte sie mit lautstarken fiepsen, falls ihre Begleitung vom Weg abkam.

Samantha kämpfte sich durch ein dichtes Gestrüpp, wurde von zurück schnellenden Ästen gepeitscht, stolperte beinahe über eine Wurzel, welche sich hinterhältig über den Boden schlängelte, doch als sie dies alles bezwungen hatte wurde sie mit einem der schönsten Anblicke überhaupt belohnt. Sobald sie den Wald verlassen hatte erblickte die junge Frau den dunkelblauen Himmel, welcher mit unendlich vielen weiß leuchtenden Sternen übersät war, der gewaltige Vollmond spiegelte sich anmutig in dem See, welcher ruhig vor ihr lag. Es raubte ihr buchstäblich den Atem, so schön war dieser Anblick, Samantha konnte sich ein gerührtes Lächeln nicht verkneifen und ging langsam durch das hohe Gras auf den See zu. Die Wasseroberfläche war so hypnotisierend friedvoll, dass sich die junge Frau ans Ufer stellte um sie einfach nur zu betrachten. Sie fühlte sich sorgenfrei, so völlig im Reinen mit sich selber, dass sie hätte weinen können. Die Maus, welche immer noch auf ihrer Schulter saß legte behutsam eine Pfote auf Samanthas Wange, woraufhin ihr aufgeheitert ein Schluchzen entglitt und sie sich schnell die Tränen wegwischte. Ihr leicht verschwommener Blick wanderte ruhig über das Seeufer und blieb an etwas hängen, was auf halber Strecke gemütlich auf sie zugelaufen kam. Auf allen Vieren marschierte das Tier direkt auf die junge Frau zu, seine leuchtend gelben Augen auf sie gerichtet hielt es nur wenige Meter vor ihr an und legte sich entspannt auf den mit Gras bewachsenen Boden.

„Bist du auch endlich angekommen?“, lächelte Samantha das Tier an, „du hast dir aber schön Zeit gelassen.“

Das Tier ließ seinen Kopf zwischen seine nach vorne ausgestreckten Pfoten sinken und versuchte reumütig zu gucken, woraufhin Samantha herzlich auflachte. Sie blickte zu der Maus auf ihrer Schulter und nickte ihr zufrieden zu.

„Vielen Dank, dass du mich hier her geführt hast. Du kannst jetzt nach Hause gehen…“

Ohne weiteres Fiepsen sprang die Maus in einem hohen Bogen von Samanthas Schulter und als sie am Boden aufkam platzte sie mit einem dumpfen „Puff“ zu einer lilafarbenen Nebelwolke, aus welcher sogleich zwei rot glühende Augen starrten.
 

~*~
 

Mit einem hellen Schrei schreckte Samantha schweißgebadet hoch, fiel von der Couch zu Boden und krabbelte gehetzt über die Holzdielen bis zur nächsten Wand, wo sie mit weit aufgerissenen Augen zu den beiden Männern aufsah, welche sie besorgt betrachteten.

„Wo bin ich?!“, keuchte sie aufgelöst und blickte sich hastig um.

„Du bist in Sicherheit“, versuchte Earl sie zu beruhigen, „du bist bei uns zu Hause.“

Ihre Augen wanderten von ihm zu Tommy, welcher schräg hinter seinem Onkel an der Wand angelehnt stand, seine muskulösen Arme vor der Brust verschränkt.

„DU LEBST!“, rief Samantha aufgelöst und starrte dann Earl böse an, „UND DU HAST IHN ERSCHOSSEN!“

„Das erspart uns einiges an Zeit, dass du dich noch daran erinnern kannst“, nickte Earl zustimmend, erhob sich ächzend aus dem Sessel, um ein Glas Wasser aus der Küche zu holen.

Samantha stemmte ebenfalls ihre wackeligen Knie gegen den Holzboden, blieb jedoch noch an der halt gebenden Wand angelehnt stehen und starrte Tommy ungläubig an. Sein Hemd war völlig unversehrt, er musste sich ein neues angezogen haben, während sie ohnmächtig gewesen war. Wie lange war sie wohl weg gewesen?

„Hast du irgendwelche Beschwerden? Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel?“, erkundigte sich Earl, welcher aus der Küche mit einem Glas Wasser zurückkam und ihr dieses reichte.

„Ich glaube, ich bin verwirrt…“, stammelte sie und trank gierig von dem Glas.

„Das ist völlig normal bei dem, was du gesehen hast.“

„Wie lange war ich bewusstlos?“

„Nicht lange. Vielleicht eine Stunde?“

Samantha seufzte schwerfällig und hielt sich die Stirn. Nein, Fieber hatte sie keines.

„Möchtest du dich nicht wieder setzen?“, fragte der alte Mann, welcher selber erneut in seinem Sessel Platz genommen hatte.

„Wieso hast du auf deinen Neffen geschossen?“, wich Samantha aus und funkelte den Mann wütend an, „warst du bereits so betrunken?“

„Nein. Ich hatte Angst um dich gehabt.“

„ANGST? UM MICH?“

Earl nickte nur, ließ sie dabei keine einzige Sekunde aus den Augen.

„Ich hatte dich darum gebeten, nicht ins Obergeschoss zu gehen. Du hättest dir dadurch selber einen Gefallen getan, wenn du auf mich gehört hättest.“

„Was versteckt ihr da oben? Welches Tier haltet ihr beide kranke Psychopathen gefangen?“

„Wenn dich mein Zimmer schon so beunruhigt, dann solltest du erst einmal in den Keller sehen“, brummte Tommy und stieß sich von seiner Wand ab, fing sich jedoch sofort von seinem Onkel den Ellbogen in die Rippen ein.

„Oh mein Gott…“, schluchzte die junge Frau, „ich komme hier nie mehr lebend raus!“

„Du kannst kommen und gehen, wie du möchtest“, versicherte Earl ihr und machte eine herzliche Geste mit seinen Händen, „du bist jederzeit Willkommen!“

„Sie wird sich nie wieder blicken lassen, wenn wir ihr alles erzählt haben“, brummte Tommy erneut und funkelte Samantha mit seinen bernsteinfarbenen Augen forschend an.

„Aber es muss sein…“, seufzte Earl niedergeschlagen, „nachdem was sie gesehen hat.“

„Sie ist doch selber daran Schuld!“, beschwerte sich Tommy und fuchtelte aufgebracht mit seinen Händen vor Earls Gesicht herum, „waren das eben denn nicht deine eigenen Worte?“

„Ruhig jetzt!“, befahl der alte Mann streng und zu Samanthas Überraschung gehorchte der junge Mann sofort.

„Was ist in dem Keller…?“, raunte Samantha so leise, dass man es beinahe nicht hätte hören können.

Sie presste ihren Körper gegen die Wand, um so viel Abstand wie nur möglich zu den beiden Männern halten zu können.

„Ich verspreche dir, dass wir ihn dir zeigen werden, nachdem wir dir unser Geheimnis erzählt haben.“

„Wenn du dann noch nicht schreiend davon gerannt bist“, fügte Tommy hinzu.

Die junge Frau schluckte schwer und alle ihre Sinne schrien sie an, dass sie doch endlich die Flucht ergreifen sollte, aber ihre verdammte Neugierde...war einfach viel zu groß…

Nur sehr langsam ging sie wieder zu der Couch zurück, auf welcher immer noch die zerwühlte Decke lag, nahm am äußersten Rand Platz und hielt ihr leeres Glas empor.

Wortlos nahm es Tommy ihr aus der Hand, als sich ihre Finger berührten war es für Samantha, als hätte sie einen leichten Stromschlag bekommen. Während sie ihre Fingerkuppen betrachtete räusperte sich der alte Mann zu ihrer rechten.

„Bevor wir anfangen muss ich dich allerdings etwas fragen.“

Samantha blickte von ihren Fingern zu ihm auf und hob erwartungsvoll beide Augenbrauen.

„Glaubst du an...Fabelwesen?“

Earl hatte ihr die Frage mit so viel Überzeugung gestellt, dass sie kurz laut hysterisch auflachen musste.

„Ich habe dir ja gesagt, dass sie eine Ungläubige ist“, entgegnete Tommy nüchtern, als er aus der Küche zurückkam, das volle Glas Limonade vor Samantha abstellte und wieder seinen Platz an der Wand einnahm.

„Früher als Kind“, kicherte die junge Frau immer noch und winkte ab, „da habe ich an alles geglaubt, das volle Programm! Feen, Einhörner, Meerjungfrauen, Drachen…“

„Werwölfe?“, erkundigte sich Earl und lehnte sich nach vorne.

„...Vampire, Kobolde…“, nickte sie zustimmend und zählte fröhlich weiter auf.

„Ich glaube, sie hat dem Wink mit deinem Zaunpfahl nicht verstanden“, brummte Tommy und verschränkte erneut die Arme vor der Brust.

„Samantha“, unterbrach sein Onkel die junge Frau und lehnte sich, soweit es sein voluminöser Oberkörper zuließ weiter nach vorne.

„Hm?“

„Glaubst du an Werwölfe?“

„Ich habe mir mal zwei oder drei Filme angesehen, grottenschlechte Story alle miteinander, wenn du mich fragst. Und die Effekte! Um Himmelswillen! Von wegen Horrorfilm, ich habe mich totgelacht!“

Earl warf Tommy hinter sich einen fragwürdigen Blick zu, dieser schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und brummte etwas von „hoffnungslos verloren…“

„Tut mir leid, Jungs“, kicherte sie immer noch und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel, „aber nein. Ich bin mittlerweile aus dem Alter draußen, um an so was zu glauben.“

„Das Tier mit den roten Augen. Wie erklärst du dir das?“, sagte Earl so plötzlich und unerwartet, dass sogar Tommy erschrocken hochzuckte.

„IHR BEIDE!“, rief Samantha entschlossen und zeigte mit ihrem Finger abwechselnd auf die Männer, „ihr beide habt mir gesagt, dass das nur ein großer wilder Hund sei! Und im Dorf sagen sie, dass es ein Keiler ist! Ihr haltet mich alle miteinander für verrückt und jetzt wollt ihr mir plötzlich klarmachen, dass es tatsächlich Werwölfe gibt?“

„Die Kratzer in der Wand in meinem Zimmer. Wie erklärst du dir diese?“

„Oh bitte...du hattest eine schwere Kindheit und warst wahrscheinlich auch noch ein überaus anstrengender und rebellierender Teenager!“

„Ich glaube, sie will es nicht verstehen…“, murmelte der Mann im Sessel und rieb sich sein bärtiges Kinn.

„Verdammt ich zeig ihr jetzt einfach den Keller!“, knurrte Earls Neffe wütend und stieß sich erneut von der Wand ab, wurde jedoch von seinem Onkel am Arm festgehalten.

„Du tust gar nichts. Sie will es nicht wahrhaben.“

„Aber…“

Sein Onkel schüttelte nur den Kopf, während Samantha ihre Limonade leerte und aufstand.

„Wenn ihr beiden mir sonst keine Märchen mehr auftischen wollt? Ich würde mich vor dem Abend heute gerne noch einmal in die Badewanne legen und mit Wilma bin ich vorher auch noch verabredet.“

„Die Wicca?“, erkundigte sich Earl grunzend und blickte zu ihr auf, „lebt sie immer noch im Wald hinter Wolfsburrow?“

„Allerdings. Wenn die Herren mich jetzt also entschuldigen würden?“

Earl nickte ihr wortlos zu, während Tommy unsicher zwischen ihm und Samantha hin und her blickte. Sie verabschiedete sich winkend und erst als sie aus der Haustüre getreten war riss sich Tommy aus dem festen Griff seines Onkels los und folgte ihr aufgebracht.

„Samantha! Warte!“, rief er ihr hinterher.

„Ich habe keine Lust mehr, euren Keller zu besichtigen“, sagte sie entschlossen und ging ihren Weg weiter, ohne ihn anzusehen.

„Aber du musst uns glauben!“

„Ich habe langsam genug von euren durch Schafdung und Alkohol eingebildete Geschichten, Tommy! Ihr wollt mir anscheinend nicht die Wahrheit sagen, aber weißt du was? Das ist völlig ok! Ich habe damit abgeschlossen, werde mir jetzt noch ein paar schöne Tage in Wolfsburrow machen und dann hole ich mein Auto und fahre nach Hause.“

„Dann werde ich deinen Leihwagen eben nicht reparieren“, sagte er entschieden und blieb abrupt stehen.

Sie tat es ihm gleich, wandte sich zu Tommy um und grinste ihn verrückt funkelnd an: „Fein! Dann nehme ich einfach deinen! Ich habe gesehen, dass er so gut wie vollgetankt ist. Ach und das hier…“

Die junge Frau hob ihren Knöchel an und fummelte an dem Lederarmband herum, bevor sie es ihm siegessicher zeigte und dann vor ihm auf den Boden schmiss.

„...das kannst du auch zurück haben! Ich habe keine Lust mehr von dir getrackt zu werden.“

Sein Blick, welcher eben noch aufbrausend und wütend gewesen war zeigte jetzt Züge tiefer Traurigkeit. Langsam hob er das Lederarmband vom Boden auf und betrachtete es wortlos.

„Ich muss dir ja nicht sagen, wohin ich als nächstes gehe, du wirst mich ja eh überall finden…“, mit diesen Worten drehte Samantha sich erneut um und fuhr ihren Weg fort.
 

~*~
 

Wilmas rötlichen Haare glänzten im Sonnenlicht, während sie fleißig damit beschäftigt war ihr kleines Hexenhäuschen mit Eisenhut in Form von Kränzen und Girlanden zu dekorieren. Sie wandte sich honigsüß grinsend zu Samantha um, als diese noch außer Hörweite gewesen war und kam ihr ein Stück entgegen.

„Ich freue mich so sehr, dass du doch noch gekommen bist“, strahlte die Wicca und fasste Samantha an beiden Händen.

„Aber ich habe dir doch gesagt, dass ich dich besuchen komme.“

„Hast du deine Mutter erreichen können?“

„Nur sehr kurz…“, schmollte Samantha, „der Empfang hier ist echt miserabel!“

„Tatsächlich? Du hast mit ihr reden können?“

„Ja. Aber die Verbindung ist nach wenigen Sekunden immer wieder abgebrochen.“

„Das tut mir sehr leid, meine Liebe.“

„Ich habe ihre Stimme hören können, das hat gut getan“, lächelnd winkte Samantha ab, „damit werde ich die restlichen Tage hier überstehen.“

„Wie...restlichen Tage?“

„Ich habe Tommy vorhin gedroht, falls mein Auto bis nach dem Mondscheinfest nicht repariert ist, dass ich seines nehmen werde. Ich habe zu Hause Verpflichtungen, einen Job Freunde und Familie…“

„Aber du kannst nicht gehen!“, unterbrach Wilma sie plötzlich verzweifelt.

Samantha legte ihren Kopf gutmütig grinsend zur Seite und versuchte ihren Schmollmund nicht all zu sehr zu zeigen. Sie fand es tatsächlich herzerwärmend, wie sich alle dagegen sträubten, dass sie wieder nach Hause fahren wollte, aber hier in Wolfsburrow konnte sie keiner richtigen Arbeit nachgehen, mit der sie sich ein Leben aufbauen könnte. Sicherlich würden Martha und Steve sie erst einmal bei sich wohnen lassen, genug Platz hatten die beiden ja, aber dennoch, Samantha sah sich hier nicht dauerhaft lebend.

„Ich würde so oft ich nur könnte zu Besuch kommen“, versprach sie der rothaarigen Frau, welche den Tränen nahe war und umarmte sie herzlich.

„Du würdest nie wieder kommen...du würdest uns alle vergessen“, murmelte Wilma niedergeschlagen.

„Ich verspreche es dir hoch und heilig!“

Sie streichelte Wilmas Wange zärtlich mit ihren Fingern und drückte sie noch einmal, bevor sie deren geschmückte Hütte begutachtete.

„Das sieht wunderschön aus.“

„Danke.“

„Soll ich dir noch ein wenig helfen, bevor wir gehen?“

„Von mir aus können wir gleich los.“

„Na dann.“

Wilma setzte endlich wieder eines ihrer Grinsen auf, Samantha hatte sie mit so trauriger Miene durchaus für gruselig empfunden. Die beiden Frauen liefen eine Weile schweigend nebeneinander her, über die Brücke von Wolfsburrow in Richtung Weggabelung.

„Was genau wolltest du mir eigentlich zeigen? Ich bin neugierig geworden.“

„Das soll eine Überraschung werden“, entgegnete die Wicca und legte sich demonstrativ den Zeigefinger gegen die Lippen.

„Wieder eines deiner außergewöhnlichen Tierchen?“

„Vielleicht?“, grinste die rothaarige jetzt wieder honigsüß, „wir müssen da lang!“

Sie zeigte in die Richtung des Waldes, worin Hunters Hütte stand. Samantha dachte daran, wie gruselig dieser Wald gestern bei Nacht gewesen war und fragte sich, ob er bei Tageslicht genauso sein würde.

„Ich bin ja bei dir“, strahlte Wilma und nahm Samantha an der Hand, „ich werde dich beschützen!“

Bei diesen Worten zog sich ihr Magen krampfhaft zusammen, sie dachte an gestern Nacht, als Tommy sie zurück nach Wolfsburrow gebracht hatte und wie er ihr versprochen hatte, sie beschützen zu können. Jetzt auf einmal hatte sie ein durchaus schlechtes Gewissen ihm gegenüber, so als würde sie ihn gerade betrügen, nachdem sie ihm wahrscheinlich sein Herz gebrochen hatte. Sie seufzte tief und fasste sich den Entschluss, heute Abend Tommy persönlich für das Mondscheinfest abzuholen und sich bei ihm zu entschuldigen. Ja! Genau das würde sie machen! Sie hatte einfach übertrieben.

„Gleich sind wir da“, verkündete Wilma und deutete auf die Hütte im Wald.

Sie gingen tatsächlich direkt auf Hunters Hütte zu und Samantha überlegte, was Wilma ihr da zeigen wollte. Jetzt bei Tageslicht entdeckte sie, dass eine Feuerstelle gleich vor dem Haus war und eine selbstgebaute Vorrichtung um abgezogene Tierfelle zu trocknen. Klar, dachte sich Samantha, er war ja ein Jäger. Ein kleines Beet lag zu ihrer linken Seite, doch die Pflanzen, was Hunter da auch immer mal angepflanzt hatte waren seit langem vertrocknet, und jetzt, wo sie direkt vor der Hütte stand fiel ihr auf, dass auch diese an sich von Außen ziemlich alt und herunter gekommen aussah. Die hölzernen Fensterläden hingen nur noch mit letzter Kraft an der Fassade, das Dach hatte bereits die ein oder andere Schindel verloren. Wilma ging selbstbewusst die Stufen hinauf und öffnete die Tür, welche sich unter lautem Knarzen bemerkbar machte.

„Willst du nicht erst vorher anklopfen?“, wollte Samantha wissen.

„Er weiß, dass wir kommen.“

„Ach?“

Wilma verschwand bereits in der Hütte, wobei sich ihre Begleitung noch kurz verunsichert umsah. Selbst am Tag war es hier gruseliger, als sie angenommen hatte. Schnell folgte sie der Wicca und trat ebenfalls in die Hütte ein.

Wieder begrüßte sie wie gestern Abend ein modriger Geruch, doch diesmal war es kalt und dunkel, nur ein bisschen Sonnenlicht drang durch die geschlossenen Fensterläden. Wenn sie gestern nicht erst selber mitbekommen hätte, dass hier noch jemand wohnte, dann hätte Samantha gedacht, dass diese Hütte seit Jahrzehnten verlassen stand. Der Wind pfiff nur so durch die Ritzen und das ganze Gebäude krachte und knarzte.

„Wilma?“, rief Samantha verunsichert und sah sich nach der rothaarigen Frau um.

„Ich bin hier.“

Die Wicca trat in den Durchgang, welcher in die kleine Küche führte und blickte ihre Begleitung fragten an.

„Was...genau...wolltest du mir hier...zeigen?“

„Ach das? Das hat sich erst einmal erledigt. Dafür hätten wir heute Morgen gleich kommen müssen.“

„Und warum sind wir dann trotzdem gekommen?“

„Hunter hat mich gebeten, einige seiner Kräuter aufzufüllen, ich sollte mir die Gläser selber holen.“

„Und dafür brauchst du mich?“, wollte die junge Frau ungläubig wissen.

„Ich verbringe halt gerne Zeit mit dir“, strahlte die Wicca und zwinkerte ihr zu.

Samantha grunzte, als Wilma wieder in der Küche verschwunden war und gläserne Geräusche an ihr Ohr drangen. Sie begutachtete die präparierten Jagdtrophäen, welche an der Wand hingen und fand sie genauso gruselig, wie gestern Abend. Kopfschüttelnd wandte Samantha sich von den ausgestopften Tierköpfen ab und wollte Wilma in die Küche folgen, als sie plötzlich an irgendetwas mit ihrem Fuß hängen blieb und es sie unter einem erschreckten Aufschrei der Länge nach hinschmiss. Sie landete mit einem dumpfen Geräusch auf ihren Bauch und wirbelte den Staub um sich herum auf. Als sie aufsah guckte Wilma überrascht zu ihr runter und erkundigte sich, ob sie sich verletzt hatte.

„Nichts passiert“, grinste Samantha schadenfroh und stemmte sich vom Boden ab, „ich bin es ja mittlerweile gewohnt hinzufallen…“

„Du hast aber auch ein Talent.“

Während Wilma ihre Runde durch Hunters Haus fortfuhr betrachtete Samantha nachdenklich den Teppich unter ihren Füßen, welcher eben noch als Stolperfalle gedient hatte. Er war ein wenig verrutscht worden und hatte dadurch eine Falte geschmissen.

Aber irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht…

Samantha hatte Hunter zwar als ein bisschen kauzig, aber dennoch immer sehr ordentlichen Mann kennengelernt. Auch wenn sie sich in dem sogenannten Wohnzimmer umsah bemerkte die junge Frau, das alles ordnungsgemäß an seinem Platz stand. Etwas staubig vielleicht, dennoch beinahe schon mit der Wasserwaage ausgemessen. Wie konnte es also jetzt sein, dass gerade der Teppich eine Falte schmiss? Hunter war auch nicht mehr der jüngste, gerade er müsste doch auf so was akribisch Acht geben. Samantha gab der Teppichfalte einen Tritt und hielt überrascht inne. Irgendetwas hatte bei ihrem Tritt ein metallisches Geräusch von sich gegeben. Teppiche gaben im Normalfall aber keine Geräusche von sich.

„Was ist?“, erkundigte sich die Wicca, als sie ihre Begleitung grübelnd auf den Boden starren sah.

„Der Teppich…“, murmelte Samantha.

Wilma trat neben sie und rümpfte grinsend die Nase: „Nicht unbedingt mein Geschmack aber hey! Was ist mit ihm?“

Anstatt zu antworten ging Samantha auf die Knie und hob die Falte hoch. Zum Vorschein kam zur Überraschung beider Frauen tatsächlich etwas.

„Ist das wirklich eine Falltür?“

„Oh...ist das gruselig“, murmelte Wilma und schüttelte sich kurz, „da gibt es sicherlich Spinnen!“

Samantha kräuselte ihre Augenbrauen zusammen und blickte zu ihr auf. Die Wicca schien sich ernsthaft zu ekeln.

„Du stehst auf dreiäugige Salamander und übergroße Schmetterlinge, aber Spinnen hasst du? Echt jetzt?“

„Nicht hassen“, druckste Wilma und hüpfte unruhig von einem Fuß auf den anderen, „ich mag sie einfach nur nicht!“

Samantha kicherte schelmisch und zog an dem eisernen Ring, wodurch sich die Luke einige Zentimeter öffnete. Sofort drang ihnen ein süßlich verwesender Geruch entgegen. Die junge Frau griff in die Hosentasche, holte ihr Handy hervor und schaltete dessen Taschenlampe ein, um eine bessere Sicht haben zu können.

„Du willst da jetzt aber nicht wirklich runter steigen, oder?“

„Um Himmelswillen! Wir begehen damit Hausfriedensbruch und ich habe kein Interesse daran, mich auch noch mit Hunter anzulegen!“

Außerdem konnte Samantha zu ihrer Erleichterung nur eine Treppe sehen, welche zu einer alten wackligen Holztür führte und nicht wie erwartet einen mittelalterlichen Folterkeller. Und dennoch schloss sie die Luke mit einer gewissen Unzufriedenheit, legte den Teppich diesmal ordentlich hin und verließ mit Wilma die Hütte.

Draußen war die Sonne bereits erneut dabei unterzugehen, so dass sich ihre Umgebung in ein warmes rot orangenes Licht tauchte. Alles lag viel zu ruhig da, kein Vogel zwitscherte mehr, sie konnten nur die kleinen leuchtenden Lichterpunkte und feiernden Geräusche des Mondscheinfestes in der Ferne ausmachen. Verdammt!, dachte sich Samantha und hätte sich ohrfeigen können, dass sie tatsächlich so lange gebraucht hatte. Sie wollte doch noch zu Tommy gehen, um sich zu entschuldigen! Jetzt plagte sie ein schlechtes Gewissen und sie hatte Bedenken, dass er heute gar nicht mehr kommen würde...

„Na komm“, forderte Samantha Wilma auf, welche anscheinend fröstelte und schaltete erneut ihre Taschenlampe vom Handy ein, „die anderen warten sicher schon auf uns…“
 

~*~
 

Samantha hatte schnell noch ein Bad genommen und stand jetzt vor ihrem Badezimmerspiegel, um sich ein wenig zurecht zu machen, während von draußen lautes ausgelassenes Gelächter an ihr Ohr drang. Es war mittlerweile dunkler Abend geworden und die Lichter von Laternen und offenen Feuern warfen lustige Schatten in ihr Zimmer, als sie sich ihre Schuhe anzog und ein letztes Mal einen prüfenden Blick in den Spiegel warf. Sie trug ihre guten dunkelblauen Jeans, ein hellgraues T-Shirt und darüber ein grün kariertes Holzfällerhemd, wo sie die Ärmel bis zum Ellbogen hochgerollt hatte. Als Schuhe trug sie ihre Riemchensandalen und hoffte, dass sie heute nicht damit umknicken würde. Sie bündelte ihre offenen Haare und legte sie sich über eine Schulter und ging aus ihrem Zimmer.

Es roch köstlich nach gegrillten Essen, die Papierlaternen leuchteten in einem herrlich angenehmen Licht, genau so wie es Martha voraus gesagt hatte. Kinder spielten ausgelassen auf dem großen Platz miteinander, während es sich die Erwachsenen auf Holzbänken gemütlich gemacht hatten. Samantha war ein wenig enttäuscht gewesen, dass niemand von ihnen eine Art Tracht angezogen hatte, immerhin war dies hier ihr heiliges Mondscheinfest. Die Bewohner von Wolfsburrow trugen ihre ganz normale Kleidung, Frauen hatten sich nur etwas auffälliger zurecht gemacht und die Männer, trugen ihren Bart ordentlich gekämmt.

Martha und ihr Mann Steve hatten alle Hände voll damit zu tun ihre Gäste aus dem Wirtshaus heraus zu bedienen, sie trugen in regelmäßigen Abständen großzügig mit dampfenden Essen beladene Holzbretter und Krüge mit gekühltem Bier und Saft nach draußen, wo sich jeder dran bedienen durfte. Samantha gefiel dieses Konzept und sie schmunzelte breit, sie würde Wolfsburrow sehr vermissen. Diese offene Freundlichkeit der Bewohner war ihr gestern noch sehr unglaubwürdig rüber gekommen, doch jetzt, wo sie sich mit beinahe jedem hier in einem kurzen Pläuschchen verlieren konnte würde es schmerzen wieder aufzubrechen. Immerhin hatte sie in Gainsville einen Job und andere diverse Verpflichtungen.

„Samantha!“, rief ihr eines der größeren Kinder zu und winkte.

Die junge Frau wandte sich von ihrem aktuellen Gesprächspartner ab und winkte lächelnd zurück. Die Kinder hielten Funken sprühende Wunderkerzen so hoch sie nur konnten, jauchzten und quietschten lebhaft herum. Als Samantha den Kindern breit grinsend beim Spielen zusah überlegte sie, sich ebenfalls eine Wunderkerzen zu kaufen und sie mit den kleinen Dorfbewohnern zusammen zu bestaunen. Sie hatte sich schon lange nicht mehr so sorglos und heiter gefühlt, und gerade, als sie sich erkundigen wollte, wo es die stabförmigen Feuerwerkskörper denn zu erwerben gab viel ihr Blick durch das angeregte Gewusel hindurch direkt auf Tommy.

Die Zeit um die beiden herum schien augenblicklich still zu stehen, ihr Herz machte dermaßen heftige Freudensprünge, so als wollte es aus ihrer Brust und in seine Arme springen, während ihr Magen auf der anderen Seite sich so stark zusammen zog, dass sie Angst hatte das köstliche Essen gleich wieder zu erbrechen. Ihr blieb die Luft für einen Moment lang weg, und als sie sich daran erinnert hatte wieder zu atmen, schmeckte alles so viel intensiver.

Seine Augen glühten im Licht der Papierlaternen und brannten sich direkt in ihre, sein schmaler Mund verzog wie immer keine Miene und er schien sich tatsächlich rasiert zu haben, denn der dunkle Bartschatten in seinem Gesicht war völlig verschwunden. Seine Haare standen nicht mehr so chaotisch in alle Richtungen, er trug dunkelblaue lässig sitzende Jeans, Boots und ein rostbraunes Henley Shirt, seine beiden Daumen hatte er in die Gürtellaschen seiner Hose eingeharkt und sein Gewicht auf sein rechtes Bein verlagert.

Verdammt sah er gut aus!

Samantha hätte sich für diesen Gedanken ohrfeigen können, so wie sie ihn heute Morgen noch behandelt hatte! Ihre aktuellen Gefühle glichen einer wilden Achterbahnfahrt, wobei sich ihr schlechtes Gewissen direkt in den ersten Wagen gesetzt hatte und nun mit ausgestreckten Armen wild umherschrie. Völlig unerwartet zwinkerte er ihr zu und bei diesem Anblick begann ihr Herz nur noch schneller zu schlagen, so dass es mittlerweile schmerzte. Sie bemerkte, wie sich ihre Pupillen allmählich weiteten und völlig unterbewusst biss sich die junge Frau auf die Unterlippe.

Tommy legte interessiert den Kopf schief und da war es wieder! Ihr hassgeliebtes schelmisches Schmunzeln machte sich auf seinen Lippen breit. Was sollte sie nur tun? Samanthas Gefühle spielten nun völlig verrückt, ihr wurde heiß und kalt zugleich und ihre Atmung setzte erneut aus. Was zum Teufel war nur los mit ihr? Wie in Trance standen die beiden nun da, blickten sich gegenseitig tief in die Augen und ignorierten alles was um sich herum geschah. Sie verloren jegliches Zeitgefühl, im Augenblick existierten nur er und sie. In dem Moment, als Tommy sich gleichmäßig mit der Zungenspitze über die Lippen leckte entfuhr Samantha ein schwerer Seufzer und sie entriss sich seiner Magie, indem sie sich vom ihm abwandte.

„Ich brauche dringend etwas zu trinken“, murmelte sie zu sich selber und eilte davon, „am Besten Hochprozentiges!“

Samantha quetschte sich an den Menschenmassen in dem Wirtshaus vorbei und erkämpfte sich einen Weg direkt an die Bar. Steve und einer seiner Angestellten waren damit beschäftigt, ihre Kunden mit alkoholischen Getränken zu versorgen, trotz des Ansturms, welchen sie um diese Uhrzeit hatten bemerkte er Samantha sofort und winkte ihr freudig zu.

„Was kann ich dir Gutes tun, meine Liebe?“, rief Steve ihr entgegen und machte eine einladende Handbewegung auf die bunten Flaschen hinter sich.

Samantha beugte sich nach vorne, um nicht so sehr schreien zu müssen, doch da schnellte direkt neben ihr eine Hand flach auf den Tresen nieder und jemand schob sich zwischen sie und ihrem Vordermann. Doch anstatt in Steves Richtung zu sehen um seine Bestellung aufgeben zu können blickte er Samantha an, lehnte sich lässig gegen das Holz und rieb sich grübelnd mit der freien Hand über sein frisch rasiertes Kinn. Der jungen Frau verschlug es sogleich sie ihn erneut erkannte den Atem, sie vergaß zu schlucken und starrte ihr Gegenüber fassungslos an. Dieser zeigte Steve, ohne seine Augen auch nur eine Sekunde von ihr abzulassen zwei Finger und sagte „Whiskey“ so sexy und gleichgültig zur selben Zeit, dass Samantha sich am Tresen festhalten musste, so weich wurden ihre Knie augenblicklich. Tommy lehnte sich ihr etwas entgegen, zog grinsend eine Augenbraue hoch, hob ihr Kinn mit einem Finger an und raunte mit seiner rauen Stimme: „Hab dich gefunden.“

Anstatt zu antworten starrte die junge Frau ihn nur weiter mit offen stehendem Mund an, sie zuckte nicht einmal, als Tommy mit seinen Fingern direkt vor ihrem Gesicht schnippte.

„Geht...es...dir gut?“, erkundigte er sich nur dezent besorgt, er grinste sie wissend an.

„Ich denke schon.“

„Denkst du, oder weißt du?“

„Wegen heute Morgen“, platze es aus ihr heraus, doch Tommy brachte sie mit einem gleichgültigen Abwinken zum Schweigen.

Steve stellte ihnen die zwei Gläser mit der honigfarbenen Flüssigkeit hin, Tommy schob eines zu Samantha rüber und nahm sein eigenes in die Hand.

„Auf das Mondscheinfest“, meinte er mit fester Stimme, prostete ihr zu und nippte an seinem Schluck Whiskey, während Samantha so perplex und immer noch mit der Gesamtsituation überfordert war, dass sie ihr Glas mit einem Zug leerte.

„Was zum…?!“, erhob er empört seine Stimme und machte eine Geste, als wolle er sich gleich die Haare raufen, „genieße deinen Whiskey gefälligst!“

Anstatt die unangenehm scharf bissig schmeckende Flüssigkeit zu schlucken ließ Samantha sie wieder ins Glas zurückfließen, stellte es zurück auf den Tresen und schüttelte sich angewidert. Dann erst hatte sie den Sinn von Tommys Worten verstanden und realisiert, dass das der erste Drink gewesen war, welchen er ihr spendiert hatte schämte sich zutiefst. Sie schlug ihre flachen Hände vor ihr Gesicht und öffnete ihren Mund zu einem stummen Frustschrei. Schlimmer konnte der Tag nun wirklich nicht mehr werden, oder? Wo war ihr Erdloch, in welchem sie augenblicklich versinken konnte?

Plötzlich spürte sie, wie jemand ihre Hand ergriff und sanft nach unten zog und Tommy sah ihr tief in die Augen. Eine Hitzewelle durchflutete ihren Körper und sie spürte wie ihre Wangen zu glühen begannen.

„Bist du okay?“, erkundigte er sich, hielt immer noch ihre Hand in seiner.

„Ich glaube schon…“, murmelte sie verlegen.

Tommy grinste breit: „Glaubst du oder weißt du es?“

Auf Samanthas Mund machte sich ebenfalls ein Grinsen breit und sie sah verlegen zur Seite, striff sich mit der freien Hand eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Du magst anscheinend keinen Whiskey.“

„Nicht wirklich.“

„Das hättest du mir sagen müssen.“

„Tut mir leid.“

Jetzt lachte Tommy amüsiert auf, warf den Kopf gen Nacken und nippte erneut an seinem Glas. Samantha blickte zwischen sich und ihm auf ihre immer noch verbundenen Hände. Wieso ließ er sie nicht los? In diesem Moment wollte sie auf keinen Fall, dass er das tat. Im nächsten Augenblick spürte sie, wie sich eine Welle von Mut in ihr ansammelte und so straffte sie ihre Schultern und blickte wieder zu Tommy auf.

„Du hättest mich ja fragen können, was ich trinken möchte“, entgegnete sie selbstsicher und sah ihr Gegenüber gespielt herausfordernd an.

„Das hätte ich tatsächlich machen können. Aber deine große Klappe heute morgen hat mich glauben lassen, das du der Whiskey Typ bist.“

„Was hat das denn mit meiner großen Klappe zu tun?“, wollte sie nun nicht mehr so mutig wissen.

„Dein Auftreten heute morgen war so selbstsicher, dass ich der festen Überzeugung gewesen war, dass du Whiskey magst. Das hat mir sehr imponiert.“

Tatsächlich? Samantha sah verblüfft in sein Gesicht, doch er meinte seine Aussage definitiv ernst. Dann erinnerte sie sich daran, wie traurig und verletzt er geguckt hatte, als sie ihm sein Lederarmband vor die Füße geschmissen hatte. Jetzt verließ sie auch der Recht von Mut, welchen sie eben noch angesammelt hatte und wollte sich nur noch selber ohrfeigen. Sie ließ ihren Kopf auf ihre Hand sinken und schloss entnervt ihre Augen, um die Frusttränen besser schlucken zu können. Dann merkte sie, wie Tommy die Finger ihrer beiden Hände ineinander schob und sie sah ungläubig zu ihm auf.

„Ich verzeihe dir“, raunte er so leise und heißer, dass sie es eigentlich nicht mehr hätte hören können, doch im Augenblick war alles so intensiv gewesen und sie bemerkte, wie er etwas unter seiner flachen Hand auf dem Tresen zu ihr rüber schob.

Natürlich erkannte sie die kleinen schwarzen Perlen sofort und sie musste lachen, während Tommy seine Hand immer noch auf seinem Lederarmband ruhen ließ.

„Du gibst es mir also wieder zurück?“

„Es hat schon immer dir gehört“, entgegnete er überzeugt, hob ihre andere Hand an, welche mit seinen Fingern ineinander verschoben war und legte sie sanft auf das Holz der Theke.

„Also…“, startete er einen neuen Versuch, während er ihr das Lederarmband diesmal um das Handgelenk band, „was möchtest du denn trinken?“

„Ich denke ein Bier wäre für den Anfang nicht schlecht.“

Augenblick verzog Tommy seinen Mund wieder zu ihrem hassgeliebten schelmischen Grinsen und sie fuchtelte mit ihrer freien Hand zwischen ihnen herum.

„Ich WEIß, dass ich ein Bier WILL!“

Immer noch breit grinsend wandte er sein Gesicht kurz ab, gab Steve seine neue Bestellung auf und tippte mit seinen Fingern auf dem Holz der Theke. Samantha warf einen Blick auf ihr Handgelenk, an welchem jetzt sein Lederarmband baumelte. Irgendwie hatte sie es ab dem Moment vermisst, als sie es ihm vor die Füße geschmissen hatte. Ihre andere Hand war immer noch von Tommys eigener umfasst und sie fragte sich, ob er vor hatte den ganzen Abend mit ihr Händchen zu halten.

Steve stellte zwei Krüge Bier vor ihnen ab und Tommy prostete ihr zu.

„Auf das Mondscheinfest.“

„Auf das Mondscheinfest“, wiederholte sie und trank einen kräftigen Schluck.
 

~*~
 

Mittlerweile war es spät am Abend, nachdem sie noch zwei weitere Biere getrunken hatten waren Tommy und Samantha nach draußen gegangen und zusammen über das Fest gelaufen. Sie hatten sich die einzelnen Köstlichkeiten schmecken lassen und die selbstgebastelten Blumensträuße und Kränze begutachtet, wobei Tommy von denen mit Wolfswurz gebührend Abstand hielt. Als die meisten Bewohner sich zum Schlafen gehen verabschiedeten nahmen die beiden auf einem Baumstamm an einem der Lagerfeuer Platz und blickten lange wortlos in die lodernden Flammen.

„Was genau ist das zwischen dir und Wilma?“

Tommy starrte weiterhin ausdruckslos in das tanzende Feuer, während seine Kiefer aufeinander mahlten. Samantha beobachtete ihn ruhig, war sich nicht sicher, ob sie überhaupt eine Antwort bekommen würde.

„Ich mag sie einfach nicht“, kam dann doch aus seinem Mund und er knetete seine Hände, „und sie mich nicht.“

„Aber das ist doch in Ordnung. Man muss nicht immer jeden mögen.“

„Erinnerst du dich noch daran, als ich dich gestern bei ihrer Hütte gefunden habe?“

„Du wolltest aus irgendeinem Grund, dass ich mit dir mitkomme.“

Tommy nickte, starrte weiterhin in die Flammen, Samantha tat es ihm gleich. Eine Weile saßen sie erneut stillschweigend nebeneinander, bis er sie dann doch mit seinen bernsteinfarbenen Augen ansah, welche durch das Licht des Feuers umso mehr glühten.

„Ich möchte, dass du dich von ihr fernhältst!“

„Bitte was?“, fuhr sie erschrocken auf und erwiderte seinen Blick, „nur weil du sie nicht leiden kannst?“

„Sie…“, begann er, biss sich dann jedoch auf die Unterlippe.

Er kämpfte mit sich selber, das konnte sie deutlich sehen. Was zum Teufel war nur zwischen den beiden passiert, dass er Wilma so sehr verabscheute, dass sogar Samantha sich von ihr fernhalten sollte?

„Sie hat meinen verletzten Fuß geheilt“, meinte sie ruhig, „ich habe mittlerweile ja mitbekommen, dass ihr beide schlechte Erfahrungen miteinander gemacht habt, doch ich kann mich keineswegs beschweren. Über keinen von euch beiden!“

„Ach ja?“, fragte Tommy monoton und sah erneut von den Flammen zu ihr auf.

„Ja. Ich mag euch beide. Klar, Wilma ist aufgedreht und manchmal ziemlich aufdringlich...aber dafür bist du immer mürrisch und mir ein einziges Rätsel.“

„Ich habe dir versucht zu erklären, was ich bin. Erinnerst du dich?“

Sie erwiderte jetzt seinen prüfenden Blick und bemerkte, dass vieles davon abhing, wie sie jetzt darauf reagieren würde. Deshalb grinste die junge Frau friedvoll, rutschte das letzte Stück zu Tommy rüber und lehnte ihren Kopf an seine Schulter an. Sie schloss ihre Augen und seufzte entspannt.

„Ja“, murmelte sie, „du bist ein Werwolf. Morgen Abend kannst du ja ein schönes Lied für mich heulen, hm?“

Er erwiderte nichts mehr. Irgendwann, Samantha war beinahe eingeschlafen, da spürte sie, wie er sein Gesicht in ihr Haar vergrub, tief einatmete und einen leichten Kuss auf ihren Scheitel drückte.

6

Helle Sonnenstrahlen drangen an ihr Gesicht und Samantha drehte sich schwerfällig knörend in die andere Richtung. Sie blinzelte zwei, dreimal und dann war sie endgültig wach, setzte sich in ihrem Bett auf und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Heute war sie nicht so frustriert gewesen wie gestern früh, heute hatte sie sehr gut und vor allem durchgeschlafen.

Sie erinnerte sich wage daran, wie sie und Tommy noch am Lagerfeuer gesessen hatten, wie sie irgendwann gegen seine Schulter gelehnt eingeschlafen war. Er hatte sie in den frühen Morgenstunden in ihr Zimmer getragen, sie zugedeckt und ihr einen Gutenachtkuss auf die Stirn gehaucht. Dann war er wieder verschwunden.

„Ich werde aus dem Kerl einfach nicht schlau“, gähnte sie genüsslich, rieb sich die Augen und blickte dann auf ihr Lederarmband.

Sie grinste breit, während sie es einige Minuten lang ansah, dann schwang sie sich aus dem Bett, motiviert heute einen schönen Tag zu haben. Sie ging nach unten, hielt während sie frühstückte ein kurzes Schwätzchen mit Martha, welche wie immer am herum wuseln war und verabschiedete sich dann.

Draußen war die aufgeladene Stimmung beinahe zum Greifen nah, heute Abend würde sie Wolfsburrow in seiner wahren Pracht erleben und bei dem Gedanken hätte Samantha Freudensprünge machen können. Mit schwungvollen Schritten ging sie über die Brücke, den Weg entlang bis hin zur Weggabelung und dann links zur Ranch hinauf. Am Haus angekommen hörte sie das gleichmäßige Schnarchen von Earl, welcher wie erwartet in seinem Schaukelstuhl saß, die Cap tief ins Gesicht gezogen. Samantha fragte sich breit grinsend ob er immer noch oder schon wieder schlief, während sie den klimpernden Geräuschen aus Richtung der Werkstatt folgte.

Tommy stand ihr mit dem Rücken zugewandt breitbeinig da, sein nackter Oberkörper war zur Hälfte im Motorraum ihres Leihwagen verschwunden. Die metallischen Geräusche, welche an ihr Ohr drangen hätten eine Melodie sein können, so gut gelaunt war sie in diesem Moment.

„Du hast Speck gegessen“, hörte sie plötzlich Tommys Stimme leicht gedämpft.

„Ja“, kicherte sie und harkte ihre Daumen in die Gürtellaschen ihrer Jeans, „schön knusprig rausgebraten.“

Er erhob sich langsam aus dem Motorraum, schloss die Haube und drehte sich dann zu ihr um, unterdessen wischte er seine Hände an einem Tuch ab. Sein Gesicht war noch ein wenig schmutzig, doch das störte sie keineswegs.

„Ich mag es, wenn meine Frau nach Speck schmeckt“, raunte Tommy mit seiner tiefen Stimme und seine Augen wanderten zu ihrem Mund.

„Moment mal...was?“, lachte sie herzhaft auf und warf den Kopf nach hinten, doch da hatte er bereits seine Hände um ihre Hüfte gelegt und drängte sie jetzt mit seinem Gewicht gegen die Scheunenwand.

Ihr Lachen verstummte sofort und sie starrte Tommy mit offen stehenden Mund an. Seine Hände wanderten von ihrer Hüfte nach hinten und blieben auf ihren Hintern liegen, wo sie sich durch seine Körperwärme einzubrennen schienen. Ihr Unterleib pulsierte heftig, gab ebenfalls eine Hitzewelle nach der anderen ab und ihr Atem ging unregelmäßig.

„Du hast mich schon verstanden“, knurrte er leise und kam mit seinem Gesicht immer näher, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten, „heute Nacht...ist es...endlich soweit…“

Samantha spürte, wie sich ihre Lippen immer mehr zu einem breiten Lächeln formten, ohne, dass sie etwas dagegen unternehmen konnte, sie streckte ihre Hände nach Tommy aus, fuhr mit den Fingerspitzen über seinen mit Ruß verdreckten Oberkörper und zeichnete seine Brustmuskeln nach.

„Warum denn bis heute Abend warten?“, hörte sie sich plötzlich selber sagen und ein Teil von ihr starrte sie nun entrüstet an.

Jetzt grinste er ebenfalls breit, sein Mund schwebte direkt über ihren, seine bernsteinfarbenen Augen glühten.

„Vorfreude ist doch die schönste Freude…“, raunte er amüsiert, „außerdem mag ich es, wie gerade das Blut durch deine Adern rauscht, wie dein Herz droht gleich aus deiner Brust zu springen…“

„Dann...gibt mir wenigstens…“, überlegte sie und biss sich genüsslich auf die Unterlippe, „einen kleinen Vorgeschmack...das ist doch erlaubt, oder?“

Er nahm sogleich sie ihren Satz beendet hatte eine Hand von ihrem Po und griff ihr damit unters Kinn und striff mit seinem Daumen über ihre Lippe, bevor er ihr ein letztes Mal intensiv in die Augen schaute. Dann küsste er sie voller Verlangen und ohne Hemmungen, ihr Puls hämmerte jetzt gegen ihre Venen und sie nahm sein Gesicht in ihre Hände, zog ihn noch näher an sich heran. Tommy hob sie erneut mit Leichtigkeit auf seine Hüften, drehte sich mit ihr um und setzte Samantha auf die geschlossene Motorhaube.

„Mach das Auto nicht kaputt!“, lachte sie hell auf.

„Ich dachte, es ist gar nicht deins…“, raunte er und fuhr mit seiner Zunge an ihrem Hals entlang, was ihr eine gewaltige Gänsehaut verpasste.

Er lehnte seinen Oberkörper erneut gegen den ihren, drückte sie somit weiter nach hinten, während die beiden wieder heiße Zungenküsse austauschten. Samanthas Hände glitten seinen nackten Brustkorb nach unten, bis sie am Bund seiner Jeans angekommen waren, fanden die Knöpfe und den Reißverschluss.

Augenblicklich sprang Tommy nach hinten weg, schwer keuchend sah er sie herausfordernd mit seinen funkelnden Augen an, während Samantha in ihrer Bewegung inne hielt und enttäuscht einen Schmollmund zog. Für einen Moment hatte sie Bedenken, dass er wieder abhauen könnte, doch diesmal grinste er sie schelmisch an und trat wieder einen kleinen Schritt auf sie zu.

„Das war knapp“, gestand er und schnippte ihre Nasenspitze.

„Knapp?!“, wiederholte sie ungläubig, genauso schwer atmend wie er, „sag bloß nicht, dass du Angst hast von deinem Onkel erwischt zu werden?“

„Oh bitte…“, winkte er gleichgültig ab, „ich habe dir gesagt heute Abend...UND du hast einen Vorgeschmack bekommen! Wage es bloß nicht, dich jetzt auch noch zu beschweren.“

Während sie ihn ansah bebte ihr Brustkorb heftig, sie schluckte schwer und warf dann ihren Kopf in den Nacken. Tommy lehnte sich erneut über sie und fuhr mit seiner Nase ihre Silhouette entlang, ihren Hals hoch und drückte ihr einen kleinen Kuss auf den Mundwinkel.

„Du riechst so gut, wenn auf aufgeregt bist…“, murmelte er und roch erneut an ihrem Hals.

Sie kicherte und schob ihn von sich, bevor sie von der Motorhaube herunter sprang.

„Was hast du heute noch alles vor?“, erkundigte sie sich und blickte sich in der Werkstatt um.

„Dein Wagen“, meinte Tommy und tätschelte diesen, „ich kann noch ein paar Kleinigkeiten vorbereiten.“

„Und danach“, grinste sie breit und deutete zwischen ihnen hin und her, „kannst du dich noch konzentrieren?“

Er sah sie herausfordernd an, schmunzelte jedoch. So langsam war die Hitze aus ihrem Gesicht verschwunden und Samantha hatte das Gefühl, wieder klar denken zu können.

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, erkundigte sie sich.

„Nein.“

„Boah! Die Antwort kam viel zu schnell!“, beschwerte sie sich.

„Ich muss hiernach noch ein paar andere Sachen erledigen, und dabei kann ich dich leider nicht gebrauchen.“

„Aha.“

„Sei mir jetzt nicht böse“, schmollte er gespielt und kam ihr ein Stück entgegen, „heute Abend, und das versprech ich dir, da hab ich nur noch für dich Zeit.“

„Die wirst du auch brauchen!“, gab sie zurück, woraufhin er schallend lachen musste.
 

~*~
 

Martha saß auf ihrer Treppe zum Wirtshaus, beide Beine von sich gestreckt und eine Tasse Tee trinkend, als Samantha neben sie trat.

„Kindchen! Wie geht es dir?“

„Sehr gut“, grinste sie breiter, als sie ursprünglich wollte, „nachdem ich allerdings weder dir oder irgendjemanden hier helfen kann muss ich mir ein bisschen die Zeit tot schlagen…“

„Genieß die Langeweile. Heute Abend ist es endlich soweit!“

„Es ist Vollmond.“

„Allerdings. Und er wird so groß und hell sein, dass wir fast keine Laternen brauchen werden.“

„Ich bin schon sehr gespannt!“

„Was wirst du jetzt tun?“

„Kann ich dir noch etwas Gesellschaft leisten?“

„Aber natürlich!“, freute sich Martha und rutschte rüber.

Samantha nahm Platz und streckte ihre Beine genauso aus, wie die Frau neben ihr.

„Oh...ich sehe, du trägst dein Fußband ja gar nicht mehr?“, erkundigte sich die Wirtin.

Wortlos hob Samantha ihr Handgelenk, an welchem das Lederarmband jetzt baumelte und grinste breit. Martha kicherte belustigt auf und streckte ihr Gesicht erneut der Sonne zu. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, ließen sich von der herrlich warmen Mittagssonne ins Gesicht scheinen, bis einige Kinder spielend vor ihnen her liefen. Die beiden Frauen beobachteten sie eine Weile, bis die Kleinen schließlich weiter gingen, wobei ihr Lachen noch lange zu hören war.

„Möchtest du denn Kinder?“, erkundigte sich Martha und blinzelte zu Samantha rüber.

„Keine Ahnung.“

„Hast du noch nie darüber nachgedacht?“

„Nicht wirklich. Bevor ich an so etwas denken kann möchte ich erst eine stabile Beziehung aufbauen, verstehst du?“

„Und dir hat vorher noch nie jemand den Kopf verdreht?“

Samantha grinste, schüttelte dann aber verneinend ihren Kopf. Martha setzte sich jetzt ruckartig gerade hin und blickte sie aus großen Augen an.

„Noch nie ‚nie‘?“, sie schlug ehrfürchtig eine Hand vor ihren Mund, „du bist also noch…?“

„Japp“, jetzt nickte Samantha, „bin ich.“

„Oh Kindchen!“

Die Wirtin legte ihr fürsorglich einen Arm über die Schultern und knuddelte die junge Frau. Samantha winkte den Dorfbewohnern unbeholfen zu, welche in diesem Moment an ihnen vorbei liefen und diese Szene beobachten konnten.

„Aber das ist doch wunderbar!“, jauchzte Martha und klatschte in die Hände, „und absolut nichts, wofür sich eine Dame schämen müsste!“

„Aber ich schäme mich doch gar nicht!“

„Weißt du, ich war auch so wie du, als Steve und ich...du weißt schon“, kicherte die Frau und lief rot im Gesicht an.

„Das ist mein Stichwort“, entgegnete Samantha und klopfte sich auf die Schenkel, „ich wünsche dir einen schönen Tag! Bis heute Abend!“

„Bis heute Abend“, trällerte ihr die Wirtin hinterher.

Die junge Frau begab sich auf den Pfad, welcher hinterm Dorf lag und in Richtung Wilmas Hütte führte. Samantha nahm sich vor, auf dem festen Pfad zu bleiben, sollte ihr die Wicca über den Weg laufen, dann würde sie weiterhin freundlich zu ihr sein. Für einen kurzen Moment rangelte sie mit sich selber, ob sie Wilma ebenfalls drauf ansprechen sollte, was zwischen ihr und Tommy diese dermaßen greifbare Antipathie hervorgerufen hatte, beschloss jedoch es lieber sein zu lassen. Tommy zur liebe. Sie ließ seine Worte innerlich noch einmal Revue passieren, als ihr eine schwarze Katze aus dem Gebüsch miauend entgegenlief.

„Oh hey!“, grüßte Samantha das Tier und ging in die Hocke, um es zu streicheln, „na du kleine süße Maus? Wohin gehörst du denn? Dich habe ich im Dorf ja noch gar nicht gesehen!“

Die Katze warf sich Samantha vor die Füße und wälzte sich genüsslich im Gras, während die junge Frau ihren Bauch ausgiebig kraulte schnurrte sie laut. Daraufhin erinnerte sich Samantha, dass ihr im Dorf tatsächlich noch keine Haustiere aufgefallen waren. Niemand hielt sich einen Hund oder eine Katze, nicht mal einen Vogel!

„Eine süße hübsche bist du“, lobte sie die Katze weiterhin, stand wieder auf und ging einige Schritte, „aber ich muss weiter. Vielleicht sehen wir uns später noch einmal?“

Sie winkte der schwarzen Katze noch einmal zu und fuhr ihren Weg fort. Nach einigen Metern hörte sie das protestierende Miauen des Tieres, und wandte sich um. In kleinen hüpfenden Bewegungen kam ihr die Katze nach und schlängelte sich dann um ihr Bein, laut schnurrend.

„Aber ich kann dich nicht mitnehmen...außer du läufst selber. Aber ich kann dir noch nicht sagen, wie lange ich laufen werde.“

Die Katze miaute lauthals und Samantha vernahm das als eine Zusage, also streichelte sie das Tier ein letztes Mal und ging erneut weiter. Gefolgt von der schwarzen Katze lief sie an Wilmas Hütte vorbei und eine Weile wortlos einfach geradeaus. Ab und zu drehte sie sich nach ihrer pelzigen Begleitung um, welche nur wenige Schritte hinter ihr lief.

„Du bist so zutraulich…“, wunderte sich Samantha.

Die Katze miaute lauthals.

„Ja...ich mag dich auch“, kicherte die junge Frau.

Irgendwann rannte die Katze an ihr vorbei, wandte sich zu ihr um, miaute auffordernd und hopste in den angrenzenden Wald hinein. Samantha schüttelte ihren Kopf und lief weiter auf dem Weg entlang. Erneut miaute die Katze laut.

„Nein, nein. Da geh ich nicht rein. Da rennen mir zu viele große Tiere herum.“

Die Katze sprang auf einen Baumstamm, putzte sich schnell die Pfote und blickte Samantha auffordernd an. Sie ging auf die Katze zu, welche anstatt auf ihre Streicheleinheiten wartend sitzen blieb vom Baum herunter sprang und erneut einige Meter in den Wald hinein ging.

„Ich sagte doch nein! Du kannst gerne ein paar Mäuse fangen gehen, aber ich werde keinen einzigen Meter in diesen Wald machen!“

Protestierend setzte sich die schwarze Katze hin und miaute kläglich. Samantha rollte theatralisch mit den Augen und seufzte entnervt.

„Weißt du, du erinnerst mich an jemanden, der genauso nervig anhänglich ist wie du.“

Jetzt hielt die Katze inne, legte den Kopf schief.

„Verdammt, du guckst mich sogar an, wie sie!“

Die Katze setzte zum Sprung an, landete elegant auf dem weichen Waldboden und verschwand mit einem leisen „puff“ in einer lilafarbenen Wolke. Samantha starrte ungläubig mit weit aufgerissen Augen und offen stehenden Mund auf die Stelle, wo eben noch die Katze war und nun eine junge Frau erschien und aus der Wolke trat. Sie grinste honigsüß und legte ebenfalls den Kopf schief.

„SCHEIßE NOCHMAL!“, rief Samantha ehrfürchtig aus und zeigte auf die junge Wicca, „DAS WAR UNGLAUBLICH!!“

„Vielen Dank“, erwiderte Wilma und vollführte eine Verbeugung, dabei fiel ihr Mantel nach vorne.

„Also das mit dem nervig anhänglich sein war nicht so gemeint…“

Jetzt kicherte Wilma mit vorgehaltener Hand und winkte ab. Samantha starrte erneut auf die Stelle, wo sich ihr Gegenüber gerade verwandelt hatte.

„Eines meiner kleineren Kunststücke. Dennoch verfehlt es nie seine Wirkung.“

„Kannst du dich denn in alle Tiere verwandeln?“

„Vielleicht“, zwinkerte sie Samantha zu, „wollen wir noch ein Stück zusammen gehen?“

„Gern. Ich habe dich gestern Abend auf dem Fest vermisst.“

Wilma zog einen traurigen Schmollmund: „Ich wäre gerne gekommen. Allerdings hatte ich für heute Abend noch einige Vorbereitungen zu treffen und habe mich in der Zeit verschätzt.“

„Also kommst du heute auch nicht?“

„Nein.“

„Morgen?“

„Morgen, versprochen!“

„Zeigst du mir dann, in welche Tiere du dich noch so verwandeln kannst?“

„Schwebt dir denn etwas bestimmtes vor?“

„Vielleicht“, grinste Samantha herausfordernd und zwinkerte Wilma schelmisch zu, „was für eine Zeremonie genau geht heute Nacht in deiner Hütte ab?“

„Ich lade ein paar Rehe und Eichhörnchen zu mir ein und wir trinken zusammen bis der letzte nicht mehr kann.“

Samantha lachte hell auf und klatschte in ihre Hände.

„Kannst du eigentlich auch mit den Waldtieren sprechen? So richtig kommunizieren?“

„Sagen wir es so…“, murmelte Wilma, streckte nebenbei einen Arm in die Luft, worauf augenblicklich zwei Vögelchen landeten und ihre hübschen Lieder trällerten, „ich kann sie bis zu einem gewissen Grad beeinflussen.“

Samantha staunte nicht schlecht und horchte amüsiert den Vögeln beim zwitschern zu, als diese fertig waren flogen sie wieder davon.
 

~*~
 

Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt, als Samantha in ihrem Zimmer Amok lief und ihren ganzen Koffer im Raum verstreut hatte. Sie musste feststellen, dass sie absolut nichts zum anziehen hatte.

„Verdammt!“, fluchte sie und warf einige Stofffetzen durch die Luft, „da pack ich einmal für eine Hochzeit ein und habe ernsthaft kein einziges Kleid dabei?!“

Sie erinnerte sich daran, dass sie damals, als sie mit ihrer Mutter telefoniert hatte, erfuhr, dass diese Kleider für sie besorgt hatte. Sie waren jetzt nur in Orlando und nicht hier, wo sie dringend gebraucht wurden. Samantha raufte sich die Haare und ging gefrustet im Zimmer auf und ab, sie würde heute Abend sicherlich nicht in Jeans und Holzfällerhemd Tommy gegenüber treten!

Die junge Frau seufzte schwerfällig und ließ sich aufs Bett fallen. Sie vergrub ihr Gesicht hinter ihren Händen und murmelte irgendein Kauderwelsch vor sich her, als sie hochschreckte. Hatte da eben nicht etwas geklopft? Sie horchte. Da! Schon wieder!

Sie stand ungläubig von ihrem Bett auf und ging an ihr Fenster, wo zwei Waldohreulen saßen und sie erwartungsvoll mit ihren großen gelben Augen anstarrten. Samantha starrte zurück, dann klopfte eine der Eulen tatsächlich mit ihrem Schnabel gegen die Scheibe und die junge Frau öffnete ihnen. Während die eine sofort mit einem Bündel an ihren Krallen befestigt in das Zimmer hopste rieb die andere ihren Schnabel beinahe schon zärtlich an Samanthas Arm. Die Frau starrte immer noch ungläubig auf die Szenerie in ihrem Zimmer und guckte dann zu der Eule am Fenster, welche ihr plötzlich einen Briefumschlag mit einer Kralle reichte.

„Wilma? Bist du das schon wieder??“

Die beiden Vögel der Nacht guckten Samantha fragend an, eine legte ihren Kopf in eine für Eulen typische Schräglage. Sie reagierten nicht so auffällig, wie Wilma, als sie heute als Katze auf sie zugekommen war.

„Dankeschön…“, murmelte Samantha und nahm den Brief entgegen.

Die beiden Waldohreulen gaben ein hohles huh, huh, huh von sich, die eine sprang wieder auf den Fensterrahmen, nachdem sie ihr Bündel von der Kralle entfernt hatte und schwupps waren die beiden Vögel der Nacht auch schon wieder verschwunden. Samantha starrte noch einige Minuten wortlos in die Dämmerung und schüttelte dann nur noch den Kopf.

„Das hier glaubt mir wirklich niemand…“

Sie beugte sich zu dem Bündel, löste die Kordel, mit welcher es zusammen gehalten wurde und hob völlig sprachlos ein lila bläuliches Kleid in die Höhe. Samantha erinnerte die Farbe sofort an die Blumen, welche Wilma gestern noch so fleißig gesammelt hatte und sie öffnete den Brief, während der leichte Stoff des Kleides über einen Arm hing.
 

„Meine allerliebste Samantha,
 

auch wenn ich meine Meinungsverschiedenheiten mit diesem Köter haben sollte, so habe ich bemerkt, was du für ihn empfindest.

Ich möchte, dass du heute Abend dieses Kleid für ihn trägst, und keine Sorge, es hat nur die Farbe von Eisenhut! Du fandest sie so wunderschön...

Umso mehr würde ich mich freuen, wenn ich es morgen ebenfalls für unseren gemeinsamen Abend an dir sehen könnte…
 

Wilma.
 

„Oh...mein...Gott…“, raunte die junge Frau und blickte erneut auf das Kleid, welches über ihren Arm hing.

Erneut hielt sie es in die Luft, ließ den glatten Stoff dann mehrmals über ihren Handrücken gleiten. Sie würde morgen Wilma in ihrer Katzengestalt dermaßen knuddeln und streicheln, dass sie aus dem Schnurren gar nicht mehr raus käme. Samantha zog ihre aktuelle Kleidung aus und stieg in das Kleid, legte die dünnen Träger über ihre Schultern und striff es dann glatt. Ihr Spiegelbild zeigte eine junge Frau, welcher ihre langen braunen Haare in großzügigen Locken über die Schulter fielen, das Kleid, welches einen gewagten V Ausschnitt hatte schmiegte sich perfekt an ihren Körper. Es ging ihr exakt bis zu den Knöcheln, der kühle Stoff fühlte sich angenehm auf ihrer Haut an.

„Vielen Dank, meine liebe Wilma…“, hauchte Samantha und grinste ihr Spiegelbild vielsagenden an.

Samantha saß hippelig auf ihren Barhocker, ihre Augen auf den Eingangsbereich des Wirtshauses geheftet. Jedes Mal wenn jemand eintrat stockte ihr Atem und jede Faser in ihrem Körper spannte sich an, und immer waren es Dorfbewohner, welche in ausgelassener Feierstimmung eintraten. Mittlerweile hatten sich vier von ihnen zusammen gefunden und stimmten ihre mitgebrachten Instrumente, während Samantha weiterhin die Tür beobachtete.

„Er wird kommen“, tätschelte Martha ihr irgendwann die Handfläche, „hab nur noch etwas Geduld.“

Samantha lächelte zustimmend, doch langsam verließ sie der Mut. Mittlerweile hatte die Band angefangen fröhliche Tavernenmusik zu spielen und die ersten Dorfbewohner hatten sich zu Paaren auf der extra hergerichteten Tanzfläche zusammen gefunden. Während sie sie so beobachtete presste Samantha ihre Lippen feste aufeinander, wies jeden freundlich ab, der sie zum Tanzen auffordern wollte.

Das Wirtshaus war brechend voll und die Stimmung war genauso, wie sie ihr immer beschrieben wurde. Die Leute tanzten und lachten, die Getränke und Speisen flogen nur so über die Theke und Samantha bestellte sich ein Glas Wein. Wie in Trance saß sie in ihrem Kleid da und seufzte schwerfällig. Was, wenn Tommy etwas dazwischen gekommen war? Was, wenn ihm auf dem Weg hierher etwas schlimmes passiert war? Sie nippte unruhig an ihrem Wein, welcher einfach nur vorzüglich schmeckte, stellte das Glas ab und sah sich erneut um. Jedes Mal, wenn sich ihr Blick mit dem von Martha traf warf sie ihr einen traurigen Blick zu. Langsam bemerkte Samantha, wie die Tränen in ihren Augen hochstiegen, sie hatte sich doch so sehr auf diesen Abend gefreut…

Sie dachte an heute Morgen, an den Kuss, und das Versprechen, dass es heute endlich soweit sein würde. Hatte er sie vielleicht vergessen oder es sich tatsächlich anders überlegt?

Samantha leerte ihren Wein, wischte sich schniefend mit den Handballen über die Augenwinkel und rutschte von ihrem Barhocker herunter. Sie würde wenigstens ein wenig mit den Dorfbewohnern zusammen feiern, sie konnten ja nichts für ihre schlechte Stimmung. Unsicher schob sie sich durch die Menschenmassen und stand direkt vor der Tanzfläche, wo die Paare nur so herumwirbelten, die anderen klatschten im Takt der Musik. Ein Mann trat an sie heran, er sagte ihr auch seinen Namen, doch den überhörte sie durch die laute Geräuschkulisse. Er reichte ihr seine Hand und Samantha warnte ihn, dass sie überhaupt nicht tanzen konnte.

Mädchen, warum bist du dann überhaupt auf die Tanzfläche gegangen?, schimpfte eine innere Stimme mit ihr, doch anstatt erneut abzuwinken nahm sie freundlich lächelnd seine Hand und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen. Er bat um ihre andere Hand und sobald er sie hatte begann der Tanz der beiden. Während er sicheren Schrittes führte hing Samantha immer zwei Takte hintendran, sie lächelte jedes Mal entschuldigend, wenn sie ihm auf die Füße trat. Er hob ihre eine Hand an, so dass sie eine Drehung vollführen konnte, sobald diese beendet war schwang er sie wieder mit sich herum. Es machte ihr Spaß, vor allem nachdem sie die Schritte des Tanzes einigermaßen kannte, doch irgendein Gefühl tief in ihr passte nicht zu ihrer ausgelassenen Stimmung. Irgendetwas in ihr sagte, dass das, was sie hier machte falsch war.

Nachdem das Lied geendet hatte klatschten alle und jauchzten fröhlich, der Mann bedankte sich bei ihr für den Tanz und verschwand wieder in der Menge. Sie hatte gar keine Möglichkeit, sich ebenfalls wieder in den Massen untergehen zu lassen, denn sofort stand der nächste Anwärter vor ihr und reichte breit grinsend seine Hand. Sie reichte ihm die ihre und er deutete eine Verbeugung an und hauchte einen leichten Kuss auf ihren Handrücken, ohne ihre Haut dabei zu berühren. Das nächste Lied wurde angestimmt und Samantha machte sich bereit, blickte zu dem Pärchen direkt neben sich und bemerkte somit nicht, wie jemand ihrem aktuellen Tanzpartner auf die Schulter tippte. Die beiden Männer hatten einen kurzen Wortwechsel, jener, der ihre Hände hielt nickte zustimmend und ließ sie los. Samantha starrte ungläubig auf den leer gewordenen Platz vor sich und bildete sich ein, dass er anscheinend von seinem Vorgänger gewarnt worden war, was für eine miserable Tänzerin sie doch sei. Die junge Frau ließ die Schultern hängen, sie war ihm nicht böse, auf keinen Fall. Sie konnte ihn irgendwo auch verstehen. Mit einem kurzen entschuldigenden Lächeln winkte sie dem Pärchen neben sich zu und wollte sich gerade von der Tanzfläche zur Bar begeben, als erneut jemand vor sie trat. Anstatt sie zuerst zu fragen griff er sogleich nach ihren Händen, legte sich die eine an seine Hüfte, bei der anderen verschränkte er ihre Finger ineinander. Samantha blickte empört auf, doch als sie in diese bernsteinfarben leuchtenden Augen sah hätte sie vor Erleichterung sofort losheulen können.

Tommy stand triumphierend grinsend vor ihr, blickte auf sie herab und drückte ihr einen leichten Kuss auf die Stirn. Er hatte sich zudem auch noch in Schale geschmissen, trug ein weißes Hemd, welches er bis auf die obersten zwei Knöpfe geschlossen hatte, dazu eine dunkelblaue Jeans, diesmal ohne Löcher. Um seinen Hals trug er eine zierliche silberne Gliederkette, welche bis an sein Schlüsselbein reichte und einen kleinen Anhänger hielt.

„Du siehst gut aus“, lächelte sie, „aber ohne deine zerrissene Hose und dein ausgebeultes Shirt hätte ich dich beinahe nicht erkannt.“

Er grinste noch breiter und ließ sie zuallererst eine Drehung vollführen, wodurch er die anderen Tanzpaare aus dem Takt brachte.

„Du bist wunderschön…“

„Jetzt hast du die anderen verwirrt“, tadelte sie ihn, als ihr das Chaos auf der Tanzfläche auffiel.

„Die sind mir egal. Heute Abend…“, er machte eine kure Pause und roch genüsslich an ihrem Handgelenk, „...zählen nur du und ich.“

Ein lauwarmer Schauer rannte ihre Wirbelsäule herunter und sie schüttelte sich genüsslich, bevor sie endlich zu tanzen begannen.

„Du kannst das echt gut“, staunte sie und nickte anerkennend, „bei dir sehe ich gar nicht so aus, wie eine blutige Anfängerin. Kamst du deshalb so spät, weil du mit deinem Onkel noch geübt hast?“

„Wir hatten keine genaue Zeit ausgemacht“, erwiderte er nüchtern und ließ sie erneut eine Drehung vollführen, „und nein. Ich konnte vorher schon tanzen. Das ist schließlich nicht mein erstes Mondscheinfest.“

Langsam aber sicher wurde die Musik schneller und ungezwungen, so dass man nicht unbedingt mit einem Partner zusammen tanzen musste. Einige einzelne Dorfbewohner hüpften ausgelassen zwischen den Tanzpaaren hindurch, alle lachten und klatschten und machten Quatsch miteinander. Samantha, welche immer noch eng mit Tommy tanzte lachte über eine witzige Bemerkung, die einer machte so laut und heftig, dass ihr der Bauch morgen wehtun würde. Sie wischte sich eine Lachträne weg und fächelte sich mit der Hand Luft zu.

„Dir wird jetzt schon warm?“, fragte Tommy sie herausfordernd, „du überhitzt wohl schnell?“

Sie kniff ihn in die Seite, woraufhin er sie an den Hüften packte, hochhob und sich zusammen mit ihr mehrmals um sich selber drehte.

„TOMMY!“, rief Samantha lachend aus und versuchte sich irgendwo an ihm festzuhalten, „lass mich bloß nicht fallen!“

Anstatt sie wieder auf ihre Füße zu stellen drehte sich der junge Mann jetzt lachend in die andere Richtung und Samantha streckte begeistert kreischend die Arme von sich.

„HUUIII!“

Nach und nach fanden die anderen tanzenden Dorfbewohner Gefallen an ihrer Aktion und begannen damit, es nachzumachen. Martha und Steve blickten von der Bar auf ihre Tanzfläche rüber und beobachteten belustigt, wie sich die Leute gegenseitig herumwirbelten.

Irgendwann setzte Tommy Samantha wieder auf ihre Füße an, hielt sie dennoch an ihren Schultern fest, damit sie durch ihren Drehwurm nicht das Gleichgewicht verlor.

„Noch eine Runde?“, grinste er sie schelmisch an, die Hände bereits wieder an ihren Hüften.

„Nur noch einmal! Dann muss ich was trinken.“

„Alles klar.“
 

~*~
 

Sie hatte absolut jegliches Zeitgefühl verloren, als Samantha endlich an der Theke angekommen war und sich bei Martha zwei Bier bestellte.

„Siehst du?“, zwinkerte ihr die Frau zu und brachte die Getränke, „er ist doch gekommen.“

„Und er sieht gut aus“, grinste die junge Frau und warf einen sicheren Blick aus der Ferne zu Tommy rüber, welcher gerade mit den Männern zusammen tanzte.

„Oh ja. Das tut er“, stimmte Martha ihr zu und lehnte sich über den Tresen, um besser sehen zu können.

„Wer tut was?“, wollte Steve wissen, welcher nur die Hälfte mitbekommen hatte, bekam jedoch nur ein synchronisiertes „Nichts!“ von den beiden Frauen zu hören.

Tommy harkte sich bei einem der anderen Männer unter und sie wirbelten sich gegenseitig im Kreis herum, während sie vergnügt wie kleine Kinder lachten.

„Männer“, schüttelte Martha dann breit grinsend den Kopf, während Samantha lässig ein Bein über das andere schlug.

„Gönn ihnen jetzt den Spaß. Morgen müssen viele von ihnen einen gewaltigen Kater ausnüchtern…“

„Ich nicht“, grinste Martha gehässig und ging wieder ihrer Arbeit nach.

In diesem Moment kam Tommy schwer keuchend bei Samantha an, ein Schweißfilm machte sich allmählich auf seiner Haut breit.

„Alles gut bei dir?“, erkundigte sich die junge Frau breit grinsend.

„Alles bestens!“, grinste er ebenfalls, setzte seinen Bierkrug an seinen Mund und trank.

Und trank.

Und trank.

„AH!“, keuchte er auf und stellte den leeren Krug auf die Theke.

Samantha nickte anerkennend, unternahm jedoch nicht den Versuch, es ihm nachzumachen. Sie konnte sich ganz genau vorstellen, wie das enden würde.

„Na komm“, forderte ihr Gegenüber sie auf.

„Schon wieder tanzen?“

„Natürlich!“

Tommy warf sie ohne eine weitere Antwort abzuwarten lässig über seine Schulter und trug sie zu den anderen zurück, welche bei diesem Anblick laut jubelten. Mit einem Ruck stellte er Samantha wieder auf ihre Füße und lachte ihr ausgelassen ins Gesicht.

Das war nicht mehr dieser grüblerische mürrische Mann, den sie kennen gelernt hatte, dieser hier war ein komplett anderer. Er konnte feiern, er konnte tanzen und er machte anscheinend beinahe jeden Spaß mit. Was wollte sie mehr? Samantha beobachtete ihn glücklich, wie er lauthals mit anderen Dorfbewohnern ein Lied anstimmte und es bis zur letzten Strophe auswendig mitsang, danach hüpften sie erneut wie kleine Kinder über die Tanzfläche und alberten herum.

Samantha erwischte sich bei dem Gedanken, dass sie tatsächlich am Grübeln war, doch nicht von hier wegzugehen. Die Dorfbewohner von Wolfsburrow waren von Anfang an so nett zu ihr gewesen, auch wenn sie argwöhnisch und als völlig Fremde zu ihnen gekommen war. Sie könnte Martha fragen, ob sie ihr Zimmer erst einmal dauerhaft beziehen könnte, ihr als Küchenhilfe zu Diensten zu sein, oder irgendeiner Tätigkeit hier im Dorf nachgehend. Wolfsburrow versorgte sich mit allem selber, das hatte sie bereits herausfinden können, sie gingen Jagen, bestellten die Felder, welcher überall um sie herum verteilt lagen. Der Bach hatte klares trinkbares Wasser, man führte hier ein völlig sorgloses Leben.

Samantha blickte zu Tommy auf, welcher gerade direkt vor ihr tanzte und in seine Hände klatschte, sie immer wieder aufforderte mitzumachen. Könnte sie sich ernsthaft vorstellen zusammen mit ihm eine Zukunft zu gestalten?

Gemeinsam mit ihm die Ranch führen.

Gemeinsam mit ihm auf die Jagt gehen.

Gemeinsam ihre Kinder großziehen.

Gemeinsam mit ihm alt werden und auf der Veranda den Sonnenuntergang betrachtend.

Samantha seufzte tief und blickte verträumt zu dem Mann auf, welcher für ihre aktuellen Gefühle verantwortlich war. Er hielt in seinem Tun inne und erwiderte ihren Blick, seine bernsteinfarben Augen glänzten, während sein restlicher Körper unter dem schweren Atmen sich heftig hob und senkte. Er näherte sich mit improvisierten Tanzschritten und nahm sie bei den Händen, drückte ihr einen feuchten Kuss auf die Wange.

„Was grübelst du denn so? Lass uns heute Abend Spaß haben!“

„Ich überlege, ob ich tatsächlich hier bleibe.“

Tommy riss seine Augen überrascht auf und umfasste ihre Hände nun fester.

„Du willst hier bleiben…?“, wiederholte er sachte, anscheinend wollte er genau jetzt nichts falsch machen.

Samantha ließ gerührt den Blick über die feiernde Gruppe schweifen, presste ihre Lippen aufeinander und nickte. Sie hatte ihre Entscheidung gefasst.

„Ja“, sagte sie mit fester Stimme und sah Tommy entschlossen an, erwiderte seinen festen Händedruck, „ich will hier bleiben! Bei dir. Ich will bei dir bleiben.“

Noch bevor sie etwas anderes sagen konnte drehte er die beiden Körper zu der tanzenden Menge, er holte tief Luft, riss ihren Arm, woran sein Lederarmband baumelte in die Luft und rief so laut er nur konnte: „MEINE FRAU!! SIE WIRD BEI UNS BLEIBEN!!“

Die Masse eskalierte vor Jubelschreien und Glückwünschen, sie fassten sich alle bei den Händen und tanzten um die beiden herum, während Tommy Samanthas überwältigtes Gesicht zwischen seine Hände nahm und ihr einen leidenschaftlichen Kuss gab. Er war nicht aufdringlich, oder stürmisch, aber sie konnte bereits jetzt schon das spüren, was sich bei anderen erst nach Monaten inniger Beziehung bemerkbar machte.

Tommy ging neben ihr in die Hocke, schob Samantha auf seine Schulter und erhob sich zusammen mit ihr. Trotz das er einen Arm um ihre Beine gelegt hatte wurde die junge Frau von anderen Dorfbewohnern gestützt, damit sie nicht runter fiel. Tommy wandte sich an die Hausbesitzer, welche die Szene aufmerksam beobachtet hatten und deutete auf die beiden.

„LASST UNS FEIERN, FREUNDE!“

„Was machen wir denn die ganze Zeit?“, fragte Samantha von weiter oben und wuschelte durch seine schwarzen Haare.

Während die breite Masse an die Bar stürmte ließ Tommy sie von seinen Schultern gleiten, fing sie jedoch mit seinen muskulösen Armen auf und trug sie so an den anderen vorbei.

„Hey! Wollten wir nicht feiern?“, fragte Samantha und kicherte leicht verunsichert.

„Das werden wir jetzt auch“, verkündete er und trug sie die Treppe rauf.

Als ihr bewusst wurde, was genau er damit meinte zog sich ihr Unterleib kribbelnd zusammen und ihr Gesicht lief puterrot an. Sie spürte, wie eine gewaltige Hitzewelle sich in ihrem Körper breit machte und wie sich jede einzelne Faser in ihr anspannte. Tommy öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und legte Samantha vorsichtig aufs Bett, bevor er sich hastig seines Hemdes und seiner Schuhe entledigte, er zog die Vorhänge zu und dann beugte er sich bereits über sie. Er inhalierte ihren Duft am Hals, ihrem Arm und Handgelenk, wo sein Lederarmband befestigt worden war, drückte dann viele kleine Küsse auf ihren Puls, wanderte ihren Arm entlang zu ihren Schultern, ihrem Hals und dem Mund, welcher ihn bereits sehnsüchtig erwartete. Er hielt ihren Arm, welchen er eben noch liebkost hatte mit einer Hand fest, mit seiner freien streichelte er Samantha zärtlich über ihr Haar und ihre Wangen. Er beugte sich immer noch über sie und selbst jetzt, wo sich ihre Körper noch nicht berührten konnte sie die Hitze wahrnehmen, welche von Tommy ausging. Er begann schwerer zu atmen, was darauf zurückzuführen war, dass er sich ihr zuliebe zurückhielt, Samantha lächelte gerührt und streichelte seinen muskulösen Oberkörper. Diesmal hielt er sie nicht auf, als ihre Hände an seinem Hosenbund fummelten, sie öffnete seinen Knopf und zog den Jeansstoff ein Stück nach unten. Er kicherte angestrengt, half ihr sich aufzusetzen und zog ihr das Kleid in einer flüssigen Bewegung über den Kopf. Dann drückte Tommy sie wieder sanft auf die Matratze und blickte ihr tief in die Augen. Seine eigenen leuchteten so intensiv und seine Pupillen waren klein wie Stecknadelköpfe. Es raubte ihr fast den Atem, wie er sie so ansah.

„Bitte…“, flüsterte sie und streichelte seine Wange, „ich will dich genauso sehr wie du mich...aber du sollst wissen, du bist mein Erster…“

Tommy hielt den Atem an und schloss seine Augen, bevor er seine Stirn gegen ihr Dekolletee sinken ließ. Jetzt keuchte er beinahe, seine Hand, welche ihre immer noch festhielt wanderte ein Stück nach oben, so dass sich ihre Finger ineinander verschlingen konnten. Als er sie dann wieder ansah konnte Samantha so viel Güte und Zärtlichkeit in seinem Gesicht erkennen, dass sie vor Glück hätte weinen können.

„Du machst mir dieses Geschenk, welches ich eigentlich gar nicht verdient habe…“, raunte er schwerfällig und küsste sie auf den Mund.

Sag doch so was nicht, dachte sie und streichelte liebevoll sein Schulterblatt. Er wanderte zu ihrem Ohr, küsste es ebenfalls und dann flüsterte er: „Ich mache alles, was du willst. Ich bin nun dein, dein ganz allein...sag mir, was ich tun soll und ich mache es!“

Samantha bekam eine gewaltige Gänsehaut und ihr Atem ging zittrig, dann biss sie Tommy neckisch in sein eigenes Ohr.

„Zeig mir, wie sehr du dich darüber freust, dass ich bei dir bleibe…“, flüsterte sie und schloss die Augen.

7

Es war noch mitten in der Nacht, als Samantha durch ein lautes Geräusch aus dem Schlaf hochschreckte. Wie aus Reflex griff sie neben sich, doch die Stelle, an welcher Tommy jetzt eigentlich liegen sollte war leer. Erschrocken hielt sie in ihrer Bewegung inne, vielleicht war er nur schnell auf die Toilette gegangen?

„Tommy?“, fragte sie in die Dunkelheit, bekam jedoch keine Antwort.

Er könnte allerdings auch nach unten gegangen sein, er hatte vielleicht Durst bekommen. Samantha setzte sich auf die Kante des Bettes und ignorierte das süße Ziehen, das sich in ihrem ganzen Körper breit machte. Sie zog sich schnell eine Hose und ein Shirt über und ging auf nackten Füßen nach unten. Alles lag in völliger Dunkelheit vor ihr, wo war der hell leuchtende Mond, von dem alles so sehr geschwärmt hatten wenn man ihn mal brauchte?

„Tommy?“, fragte sie erneut.

Samantha horchte plötzlich auf, sie hatte tatsächlich etwas gehört. Von draußen. Es klang wie ein röchelndes Knurren.

Ja, natürlich! Warum war sie denn nicht gleich darauf gekommen? Tommy behauptete ja, dass er ein Werwolf sei, und wo würde er sonst sein, wenn nicht draußen um den Vollmond leidenschaftlich anzuheulen? Sie öffnete genervt augenrollend die schwere Holztüre und ging gemächlich nach draußen bis in die Mitte des großen Platzes, welcher im Augenblick menschenleer war. Die junge Frau drehte sich einmal um die eigene Achse und versuchte irgendetwas in der Dunkelheit erkennen zu können. Sie blickte gen Himmel, wo sie die dicken Wolken bemerkte, welche sich gerade vor den Mond geschoben hatten. Und dann, als sie ihren Blick wieder auf ihre Umgebung gerichtet hatte konnte sie wie aus dem Nichts zwei bernsteinfarben Punkte zwischen zwei Häusern aufleuchten sehen. Samantha atmete erleichtert auf und ging ein paar Schritte auf Tommy zu.

„Du bist mir ja einer...das nächste Mal, wenn du dich raus schleichst, warne mich wenigstens vor, damit ich mir keine Sorgen mehr machen muss!“, tadelte sie ihn gespielt.

Als Antwort erhielt sie ein bedrohlich tiefes Knurren. Samantha blieb stehen und erwiderte den herausfordernd Blick ihres Gegenübers.

„Ich verstehe ja, dass du immer noch deinen Freiraum behalten möchtest. Deswegen mache ich dir ja gar keinen Vorwurf.“

Jetzt bewegten sich Tommys Augen in der Dunkelheit, nur viel niedriger, eigentlich genau so, als würde er auf allen Vieren vor ihr kriechen.

„Was machst du denn da unten? Steh endlich auf und komm wieder ins Bett…“, knörte Samantha gespielt und winkte ihn zu sich heran.

Er kam auch näher, diesmal gab er ihr als Antwort eine Mischung aus bellen und gefährlichen Knurren.

„Also eins muss ich dir lassen! Du verstehst was von method acting! Du bist echt überzeugt davon, ein Werwolf zu sein, richtig?“

Jetzt waren seine leuchtenden Augen direkt vor ihr, vielleicht trennten sie nur noch ein paar Meter. Tommy knurrte sie immer noch aus tiefster Kehle an, was ihr allerdings langsam auf die Nerven ging.

„Okay, okay. Du hast mich überzeugt! Du bist ein Werwolf! Bist du jetzt endlich zufrieden?“

„SAMANTHA!!“, schrie Steve plötzlich panisch aus vollem Hals, „MACH, DASS DU DA WEGKOMMST!!“

Die junge Frau drehte sich erschrocken zu ihm um, beobachtete, wie einer der anderen Männer hastig Munition in sein Gewehr lud, nur um es wenige Sekunden später anzulegen. Was machten die jetzt nur für ein Drama? Es war doch schließlich Tommy!

In diesem Moment verzog sich die Wolke, welche den Vollmond verdeckt gehalten hatte und tauchte alles in gleißend helles Licht.

„Na endlich...aber jetzt, mein Freund kannst du dir was anhören!“

Mit diesen Worten drehte sich die junge Frau erneut zu Tommy um, nur dass das, was sie sah nicht wirklich Tommy war. Augenblicklich erstarrte sie zu einer Salzsäule, ihr Körper begann heftig zu zittern und ihr blieb ein dicker Kloß im Hals stecken. Sie ließ unkontrolliert Urin ab, ihre Augen weiteten sich bis aufs Maximum, während die Bestie sich vor ihr auf seine Hinterbeine stellte um sich so zu seiner vollen Größe aufrichten zu können. Aus seinem feucht glänzenden Maul drang sein Atem in Form von kleinen Dunstwölkchen, seine weißen spitzen Zähne konnten locker mit dem hellen Licht des Vollmondes mithalten.

„SAMANTHA!!“, schrie Steve erneut.

Genau in diesem Moment holte sie riesige Bestie vor ihr tief Luft und brüllte sie mit einem Laut an, welcher Samantha durch Mark und Bein ging, ihre Knie gaben nach und sie ließ sich wie einen nassen Sack Mehl zu Boden fallen. Die Bestie starrte sie mit ihren gelb leuchtenden Augen an, wartete anscheinend darauf, dass sie endlich losrannte und damit seine Jagd eröffnete.

Ein lauter Knall ertönte und eine Einschussmulde erschien knapp neben der Bestie. Als diese knurrend auf den kleinen Krater reagierte fuhr es wie ein starker Stromschlag durch Samanthas Körper, sie sprang mit einem einzigen Satz auf ihre Beine und schrie aus vollem Hals, drehte sich um und rannte so schnell sie nur konnte los.

Die Dorfbewohner, welche sich auf der Veranda des Wirtshauses versammelt hatten riefen ihr zu, dass sie noch schneller rennen sollte, Steve legte derweil ebenfalls sein Gewehr an und zielte. Durch die Bodenerschütterung um sie herum wusste Samantha, dass die Bestie ihr mittlerweile hinterher rannte.

Ein zweiter Schuss ertönte.

„GLEICH HAST DU ES GESCHAFFT! NUR NOCH EIN STÜCKCHEN!!“

„SCHIEßT BITTE NICHT AUF MICH!“, schrie die junge Frau panisch, sprang mit einem großen Satz die Treppe nach oben und schmiss sich auf den harten Holzboden des Wirtshauses.

Ein dritter Schuss ertönte, gleich darauf ein schmerzverzerrtes Heulen.

Die Männer schrien die Bestie an, dass sie endlich verschwinden sollte und dann schlugen sie die massive Tür hinter ihnen zu. Martha hatte eine dicke Wolldecke über Samantha geschmissen und hielt die junge Frau fest in ihren Armen, während diese immer noch stark zitterte.

„Warum warst du da draußen?!“, fuhr Steve sie an, „du hättest sterben können!“

Samantha schmiss wütend die Decke zurück und funkelte ihn ebenso wütend an. Sie schlug mit der geballten Faust so feste sie nur konnte gegen das Holz der Theke.

„WAS ZUR HEILIGEN SCHEIßE WAR DAS??“, schrie sie Steve und die anderen Männer an.

Noch bevor einer von ihnen antworten konnte ertönte von draußen ein lautes langgezogenes Heulen, was allen augenblicklich tief in die Knochen fuhr. Martha legte ihre Arme jetzt nur noch fester um Samantha, welche hilflos in die bestürzten Männergesichter blickte. Eine Weile blieb es mucksmäuschenstill im Gasthaus, niemand traute sich etwas zu sagen. Erst nachdem Samantha den ersten Schrecken einigermaßen herunter geschluckt hatte richtete sie sich vorsichtig auf.

„Also…“, raunte sie mit heißerer Stimmte, „wer von euch will mir erzählen, was hier eigentlich abgeht?“
 

~*~
 

„Wir wissen nicht genau, wann es begann...aber die ersten datierten Aufzeichnungen weisen auf einen warmen Aprilabend von vor über 300 Jahren hin. Ein Mann, welcher sich beim wandern verirrt hatte, halb verhungert und am Ende seiner Kräfte wurde von einem der ortsansässigen Jäger gefunden und hier ins Dorf gebracht. Damals war es noch namenlos gewesen. Die Familie des Jägers pflegte den Mann, gab ihm Essen und Trinken, versorgte seine Wunden. Er fügte sich schnell in die Gemeinde ein, nahm sich sogar eine Frau und gründete seine eigene Familie. Niemand hinterfragte, warum er immer zum Vollmond zwei bis drei Nächte im tiefen Wald verschwand, er hatte sich ebenfalls als Jäger aufstellen lassen, da ist es völlig normal, dass jemand mal ein paar Tage weg ist. Auch heute noch. Irgendwann suchte eine Grippewelle das Dorf heim und bis auf diesen einen Mann erkrankten beinahe alle Bewohner schwer daran. Er gab sein bestes, seine Freunde und Familie gesund zu pflegen, doch dann stand der nächste Vollmond bevor. Er hatte also eine Entscheidung zu treffen. Sollte er bleiben und sich weiterhin um alle kümmern, oder sollte er wie jedes Mal für einige Tage Schutz im Wald suchen und dabei riskieren, dass alle gestorben waren, wenn er zurückkehrte. Er hatte seiner Frau die Treue bis in den Tot geschworen und so war er geblieben. Binnen einer einzigen Nacht wurde dieses Dorf beinahe völlig ausgelöscht. Diejenigen, die sich bis dahin gegen das Fieber behaupten konnten waren zerfleischt worden, und die, die wiederum den Angriff der Bestie überlebten hatten verwandelten sich ebenfalls zum nächsten Vollmond. So bekam das kleine Dorf hier seinen Namen Wolfsburrow.“

Steve nahm einen kräftigen Zug seines Biers, schluckte schwer und blickte besorgt in die Runde von Dorfbewohnern, welche immer noch in seinem Gasthaus verschanzt waren.

„Das Dorf blühte erneut auf, die Bewohner betrieben Landwirtschaft, züchteten Tiere und versorgten sich abgeschnitten von der Außenwelt erfolgreich selber. Man war sich nicht gegenseitig böse, wenn der Nachbar in einer der Vollmondnächte dein eigenes Schaf oder Huhn riss...der Zusammenhalt war enorm. Die wenigen Bewohner, welche dem Angriff der Bestie entkommen waren und somit noch menschlicher Natur begannen damit, ihre Häuser mit Wolfswurz, heute bekannt als Eisenhut zu schmücken, da diese Bestien äußerst allergisch darauf reagierten. Sie hielten in Vollmondnächten gebührenden Abstand zu jenen, lebten also in Frieden und Harmonie Seite an Seite. Irgendwann kamen Geistliche nach Wolfsburrow und als sie erkannten, welche Gefahr von vielen der Bewohner ausging verfolgten sie jeden gnadenlos, der anderer Natur war, als die ihre. Rasant schrumpfte Wolfsburrows Einwohnerzahl erneut. Viele Jahrzehnte strichen ins Land und man vergaß allmählich, dass es diese Bestien irgendwann mal tatsächlich gegeben hat.“

„So entstand das Märchen von der Bestie mit den roten Augen…“, murmelte Martha müde, „viele der hier gerade Anwesenden wuchsen mit dieser Geschichte auf.“

„...dann kamen vor zirka 30 Jahren neue Fremde in unser Dorf. Zuerst waren wir unsicher, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten sollten. Schließlich war Wolfsburrow jedes Mal beinahe ausgerottet worden, wenn sich Fremde hierher verirrt hatten. Doch diese waren anders. Sie fragten nach einem kleinen Stück Land, welches sie uns für gutes Geld abkaufen wollten. Wir hatten zu dieser Zeit einige Häuser in der Dorfmitte leer stehen, doch sie wollten nicht zentral bleiben. Sie gingen den Hügel hinauf und ließen sich dort nieder. Ab und an kamen sie zu Besuch, handelten zuerst nur mit uns, fragten nach Baumaterialien und Setzlingen zum anpflanzen. Eines Abends blieben sie und feierten zusammen mit uns, wir wurden mit der Zeit sogar gute Freunde.“

„Henry, Earl und Louise?“, erkundigte sich Samantha, woraufhin Steve und Martha nickten.

„Als Louise mit ihrem ersten Kind schwanger war ging ich regelmäßig zu der Ranch, um ihr Gesellschaft zu leisten. Henry und Earl waren schon immer viel unterwegs gewesen und ich wollte sie in diesem Zustand nicht zu lange alleine lassen. Das Haus war so still gewesen, dass ich schon dachte, sie hätten uns wieder verlassen, doch dann hörte ich aus dem Keller ein lautes Knurren und ging nachsehen. Als ich dann sah, was sie da unten für Kreaturen in Käfigen hielten rannte ich so schnell wie ich nur konnte zurück. Ich holte Steve und die anderen Männer, doch gegen diese Tiere brachten unsere normalen Kugeln nichts. Also warteten wir. Die Bestien waren schließlich in Käfigen eingesperrt worden, wir waren also in Sicherheit und konnten so auf die Rückkehr der Familie warten. Tagelang warteten wir, doch es kam niemand und irgendwann sah einer von uns erneut in den Keller, ob die Bestien bereits verendet waren.“

„Und ihr fandet die Familie wieder, welche sich in die Käfige gesperrt hatte.“

„Sie hatten große Angst davor, wie wir darauf reagieren würden, aber wir kannten die Märchen und Sagen um Wolfsburrow und hielten es für ein gutes Zeichen. Wir lebten in herzlicher Symbiose, Henry und Earl jagten in einer einzigen Nacht teilweise für das ganze Dorf, während Tyler und Tommy von uns beaufsichtigt wurden, während der Vollmond schien.“

„Aber...dann war Tommy bis dahin...noch gar kein Werwolf?“

„Das ist schwer zu sagen. Nachdem, was Louise uns darüber erzählt hat ist es bis zum 15. Lebensjahr fraglich, ob das Wolfsgen vererbt wird oder nicht. Natürlich waren ihre Jungs ein wenig wilder und rauflustiger, als unsere Kinder aber sie wurden nie gewalttätig und spielten mit den anderen. Wir wissen nicht genau, was in jener Nacht vor 20 Jahren genau schiefgelaufen ist.“

„Habt ihr Earl nie danach gefragt?“

„Wenn es nur so einfach wäre“, seufzte Steve traurig, „er hat immer nur erzählt, dass bei der letzten gemeinsamen Jagd etwas schreckliches passiert sei. Jedes Mal wenn wir ihn darüber ausfragen wollten ist er wütend geworden. Wir hatten, trotz dass er uns seine Familie mit uns sehr gut befreundet war einfach zu viel Angst vor ihm.“

„Aber...können sich Werwölfe nicht nur an Vollmond direkt verwandeln?“

„Die breite Masse hat drei Nächte.“

„Immer wenn ihr Mondscheinfest feiert…“

„Genau. Das muss etwas mit der Strahlung und irgendwelchen Wellen zu tun haben, welche in diesen Tagen vom Mond ausgehen. Die jungen und unerfahrenen schaffen die Verwandlung nur direkt zu Vollmond und selbst da auch nur sehr kurz. Je erfahrener sie mit der Zeit werden, umso mehr können sie es kontrollieren.“

„Ihr wollt mir also allen Ernstes weiß machen“, raunte Samantha ehrfürchtig stirnrunzelnd und blickte vorsichtig nach draußen, wo die Bestie immer noch ihre Runden über den Dorfplatz zog, „dass das da wirklich Tommy ist?“

„Ich habe dies hier auf deinem Nachttisch gefunden…“, murmelte Martha und reichte ihr etwas.

Es war die silberne Gliederkette mit Anhänger, welche Tommy vor einigen Stunden noch getragen hatte.

„Und ich dachte, dass das ein simples Schmuckstück sei…“, grübelte Samantha und beäugte den Anhänger genauer. Er war mit einem lilafarbenen Pulver gefüllt.

„Getrockneter Eisenhut. Oder Wolfswurz. Wird es von einem Werwolf zur Zeit eingenommen, in der er sich eigentlich verwandeln könnte, dann reagiert sein Körper so stark darauf, dass die Verwandlung entweder unterbrochen oder für einige Stunden herausgezögert wird. Da allerdings hier das Pulver nicht angerührt wurde war es anscheinend bereits zu spät für ihn gewesen.“

„...nein…“, schüttelte die junge Frau den Kopf und blickte erneut nach draußen, wo sie einen großen Schatten umher schleichen sah, „er wollte, dass ich ihn so sehe.“

„Bist du dir da sicher?“

Samantha nickte wie in Trance: „Ich habe ihn und Earl nicht geglaubt. Mich sogar über sie lustig gemacht. Gestern Abend habe ich ihn damit aufgezogen, dass er mir ja ein Lied vorheulen könnte, wenn er sich verwandelt.“

„Oh, Kindchen…“, schmollte Martha und rieb ihr sanft über den Rücken, „es ist aber auch ein harter Brocken, den man da schlucken muss…“

„Und ihr habt gar keine Angst vor ihm? Immerhin ist er ein Werwolf!!“

„Doch, natürlich haben wir Angst...aber...aber es ist doch der kleine Tommy! Außerdem beschützt uns der Türkranz aus Eisenhut.“

Eine Weile saßen sie alle schweigend in dem Gasthaus, die Stimmung war beinahe schon erdrückend. Samantha kaute auf der Innenseite ihrer Wange herum und grübelte.

Scheiße noch mal, der Mann den sie zu lieben glaubte war ein fucking Werwolf! Ein blutrünstiges Monster!

„Die Sonne geht langsam auf“, verkündete einer der Dorfbewohner, welcher die Gardinen ein Stück zur Seite geschoben hatte.

„Dann ist es ja endlich vorbei“, seufzte Steve erleichtert, „was wirst du jetzt mit deinem Wissen als Nächstes tun?“
 

~*~
 

Die Sonne war bereits als volle Scheibe am Horizont zu sehen, da hämmerte die junge Frau gegen die geschlossene Haustüre, Earl öffnete ihr und blickte sie mehr als verschlafen an.

„Samantha…“, gähnte er genüsslich und kratzte sich den wilden Bart, „welche Ehre...ist aber ein bisschen früh, findest du nicht…?“

„Harte Nacht gehabt, wie?“, sagte sie mit ziemlich rauer Stimme.

„Bitte?“, fragte der alte Mann jetzt aufmerksam nach.

„Ich weiß es jetzt, Earl. Alles. Er hat mich angegriffen, heute Nacht. Wären Steve und die anderen Dorfbewohner nicht gewesen, wer weiß, was er mit mir gemacht hätte!“

Spätestens jetzt war Earl hellwach, seine dunklen Augen funkelten: „Hattest du das Lederarmband denn nicht um?“

„Was hat das denn jetzt damit zu tun? Hast du mir nicht zugehört, alter Mann? Dein Neffe hat mich in Form eines Werwolfes…!“

„Ich habe dich schon verstanden. Hattest du es nun um, oder nicht?“

Samantha stutzte, hob ihren Arm, an welchem das Armband befestigt worden war und zeigte es Earl.

„Ich habe es nicht mehr abgenommen, seit Tommy es mir erneut umgebunden hat…“

Der alte Mann atmete erleichtert auf, was die junge Frau nur noch mehr verwirrte.

„Dann hat er dich nicht angegriffen.“

„ER IST AUF MICH ZUGERANNT!“

„Bist du in diesem Moment vor ihm weggelaufen?“

„WELCHER NORMALE MENSCH WÜRDE DAS DENN NICHT?!“

Tommys Onkel hob schmunzelnd beide Schultern, während Samantha entnervt stöhnte und sich auf dem Farmgelände umsah.

„Er…“, murmelte der alte Mann dann aber plötzlich verlegen und kratzte sich am Hinterkopf, „er ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen.“

„Natürlich nicht! Er war ja bei mir.“

„Ich meine danach. Nach dem vermeintlichen ‚Angriff‘…“

Er hatte sein letztes Wort mit Anführungszeichen gestikuliert betont.

„Möchtest du mir bitte erklären, wie du trotz deines Wissens darüber, dass dein Neffe mich in Gestalt eines VERDAMMTEN WERWOLFES angegriffen hat immer noch so ruhig bleiben kannst!?“

Earl grinste komischerweise verschmitzt: „Ich werde zwar langsam alt und gebrechlich, verfüge aber dennoch über ein sehr sensibles Gehör, meine Liebe. Dein Pulsschlag ist dermaßen hoch, dass du einen Herzinfarkt erleiden würdest, wenn ich mich jetzt mit dir zusammen aufrege. Ich weiß was du heute Nacht gesehen hast, er hat mir nämlich von seinem Plan erzählt, bevor er zu dir gegangen ist.“

„Oh, Scheiße!“, rief die junge Frau ehrfürchtig und sprang die Veranda mit einem Satz wieder runter, „du bist ja auch so einer!“

„Nun ja...ich bin wie gesagt nicht mehr der jüngste und eine Verwandlung verlangt meinem Körper mittlerweile sehr viel ab, aber ich verfüge immer noch über die ausgeprägten Sinne.“

„Du kannst mir also sagen, wo er sich gerade aufhält?“, erkundigte sie sich und verschränkte ihre Arme vor der Brust, „ich habe nämlich ein Hühnchen mit deinem Neffen zu rupfen!“

„Meine liebe Samantha, es wäre im Augenblick der allerschlechteste Zeitpunkt mit ihm zu reden...aber wenn du möchtest“, erwiderte Earl und machte eine einladende Geste in sein Haus hinein, „dann bin ich jetzt bereit dir all deine Fragen zu beantworten.“

Sie blickte ihn skeptisch an: „Alle Fragen?“

„Alle Fragen“, nickte er zustimmend, „nun, da du es mit eigenen Augen gesehen hast…“

Stille.

Samantha rang innerlich heftig mit sich selber, ihm zu folgen. Sie könnte auf der einen Seite brav hier stehen bleiben und warten, irgendwann würde Tommy schon nach Hause zurück kehren...

Earl verlagerte derweilen sein Gewicht von einem Bein auf das andere, wartete jedoch geduldig auf ihre Entscheidung.

„Wenn du mich beißen würdest…“, begann sie plötzlich und blickte ein bisschen beschämt zu Boden.

„Und warum sollte ich dich beißen wollen?“

„Ich weiß es nicht. Rieche ich denn nicht appetitlich genug für dich?“

„Du willst nicht mit mir alleine im Haus sein, richtig?“

„Tut mir leid“, antwortete sie hastig, „nicht böse gemeint.“

Er zuckte gleichgültig mit seinen Schultern, murmelte etwas von „ihrer Entscheidung“ und schlenderte gemütlich in die Küche. Sie konnte hören, wie etwas klapperte, ein Wasserhahn auf und wieder zugedreht wurde und kurz darauf roch es verführerisch nach Kaffee. Samantha hatte noch nicht gefrühstückt, wie denn auch, ihr saß der Schrecken der letzten Nacht immer noch dermaßen tief in den Knochen und irgendwo in ihr flüsterte eine leise Stimme immer und immer wieder, dass sie allmählich verrückt wurde.

Earl grinste ihr über seine Schulter aus zu, als sie tatsächlich hinter ihm in der Küche auftauchte, er hatte sich mittlerweile seine Latzhose übergezogen und deckte den Tisch für ein ausgiebiges Frühstück.

„Wir werden ein sehr langes Gespräch führen, und ich kann deinen Magen vor lauter Hunger knurren hören.“

„Danke...und...Earl...wegen dem Beißen…“

Er winkte ab, grinste sie noch breiter an und erwiderte ziemlich locker: „Wenn ich du gewesen wäre, dann hätte ich wahrscheinlich genauso reagiert.“

Samantha setzte sich und begann damit ihre Hände nervös durchzukneten.

„Bereit, wenn du es bist“, verkündete Earl, nachdem er erst ihr und dann sich einen Kaffee eingeschenkt und sich ebenfalls gesetzt hatte.

„Wie lange...wird er denn...noch unterwegs sein?“

„Er wird nicht kommen, solange du hier bist. Wir konnten dich jedes Mal riechen, noch bevor du über die Brücke von Wolfsburrow gelaufen warst.“

„Ach...so…“, murmelte sie und roch an sich selber.

„Hast du dich tatsächlich nie gewundert, warum ich jedes Mal wie drapiert im Schaukelstuhl saß, wenn du uns besucht hast?“

„Nein. Tatsächlich dachte ich, was für ein fauler und versoffener Kerl du doch bist.“

Earl lachte heißer auf.

„Du wirst Tommy aber nicht noch einmal erschießen, wenn er wieder nach Hause kommt, oder?!“

„Ich dachte in diesem Moment nur daran, dass wenn ich ihn umbringe, dann könnte ich dir damit immer noch das Leben retten…“

„WAS?! Aber wieso? Wieso hätte Tommy sterben müssen?“

„Wird man von einem Werwolf gebissen und überlebt dies, so verwandelt man sich zum nächsten Vollmond ebenfalls in einen. Um den Fluch wieder aufzuheben muss der Werwolf, der dich gebissen hat sterben. Oder du tötest denjenigen, der ihn verwandelt hat. So oder so, einer muss sterben.“

„Also müsste ich, um Tommy vom Fluch zu befreien dich töten?“

„Nein. Er wurde nicht gebissen. Tommy kam so auf die Welt und mit der Pubertät brach das Wolfsgen durch.“

„Aber wie könnte ich ihn denn von dem Fluch befreien?“

„Wer sagt denn, dass wir es als Fluch sehen?“

Samantha seufzte schwerfällig und blickte in ihren Kaffee hinein, so als würde er ihr bessere Antworten liefern.

„Brauchst du einen Schnaps in deinen Kaffee?“, erkundigte sich Earl breit grinsend.

„N...nein...alles gut. Ich muss nur meine Gedanken kurz neu ordnen…“

„Das kannst du machen, wenn wir hier fertig sind. Es werden noch sehr viele Informationen auf dich zukommen.“

„Okay...dann...bevor du anfängst...hätte ich bereits eine Frage!“, bemerkte Samantha mit neuem Mut und straffte ihre Schultern, „das Tier mit den roten Augen. Ist es einer von euch?“

„Nein.“

„Aber es existiert, richtig?“

„Richtig.“

„ICH WUSSTE ES!“, rief Samantha triumphierend aus und klatschte in die Hände, „oh, warte nur Steve...wenn ich dich später in die Finger kriege!“

„Er hat nur versucht dich zu beschützen. Das ganze Dorf hat das.“

„Indem, dass er sich über mich lächerlich gemacht hat?“

„Er hat nur versucht dich davon abzulenken, weiter nachzuforschen. Auf andere Gedanken zu kommen. Wir alle wissen nicht, wer oder was dieses Wesen genau ist, welche Gefahr tatsächlich von ihm ausgeht.“

„Könnt ihr es mit euren ‚ausgeprägten Sinnen‘ denn nicht wittern?“

„Wir haben es oft genug gejagt, als Mensch und als Wolf...aber jedes Mal wenn wir kurz davor waren es zu fangen verschwand es.“

„Es verschwand..? Einfach so.“

„Als hätte es nie gelebt. Die Spur, unsere Witterung war augenblicklich weg.“

Earl hob entschuldigend beide Hände in die Luft.

„Aber du hast es schon einmal gesehen?“

„Ich habe es mehrmals am Waldrand rennen sehen und sogar gegen es gekämpft…“

„Aber es ist kein Wolf…“

„Nein...nein...ehr...ein sehr großer Hund...mit langem zotteligen schwarzen Fell...dadurch leicht mit einem Wolf zu verwechseln.

„Was ist vor 20 Jahren hier genau passiert?“

Der alte Mann seufzte schwer und blickte sich plötzlich in der Küche um, als könnte er seine verstorbene Familie immer noch sehen.

„Es...es begann alles kurz nach Tommys Geburt. Die Schafe, welche wir züchteten dienten nicht nur dem Gewinn von Wolle, sondern waren auch als Fleischlieferant für uns gedacht. In Wolfsgestalt erhöht sich nämlich unser Kalorienbedarf um ein Vielfaches, und als Louise damals das erste Mal trächtig, oh verzeih mir, ich meine natürlich schwanger war mussten wir noch zusätzlich jagen gehen. Wir hatten bereits Bedenken, dass wir den Hirsch- und Wildschweinbestand des Waldes erheblich minimiert hätten, dann kam meinem Bruder auf die glorreiche Idee mit den Schafen. Zu dieser Zeit versuchten wir ja noch so unauffällig wie nur möglich zu sein, wir gingen sehr selten ins Dorf runter, um nach Baumaterialien oder ähnlichem zu fragen. Henry und ich konnten sehr vieles alleine bauen, doch als die Dorfbewohner durch einen dummen Versprecher erfuhren, dass wir die Ranch erweitern wollten und gleichzeitig auch noch Nachwuchs erwarteten bekamen wir die freiwilligen Helfer beinahe nicht mehr los. Am Anfang waren sie äußerst nützlich, wir wurden mit den beiden Scheunen um einiges schneller fertig, als gedacht, wir hatten sogar noch Überfluss an Ressourcen und Zeit, um den Speicher auszubauen. Aber dann kam der Vollmond immer näher. Und die Dorfbewohner wollten immer noch nicht gehen. Wir hatten sehr große Angst, dass wir auffliegen würden, also verschanzten wir uns bereits drei Tage vor und nach Vollmond unten im Keller. Wir hörten sie klopfen, wie sie unsere Namen riefen, doch wir verhielten uns mucksmäuschenstill, zumindest soweit das als Werwolf möglich ist...wir wollten ja niemanden verletzen. Der Vollmond war beinahe vorüber und kurz bevor wir wieder ‚auftauchen‘ wollten fanden sie uns im Keller. Zu unserer Überraschung nahmen sie unsere ‚wahre Identität‘ sehr gut auf, nur die Wenigsten hatten tatsächlich Angst vor uns.“

„Gibt es außer euch beiden denn noch andere Werwölfe in der Umgebung?“

„Nein. Tommy und ich sind die letzten unserer Art. Zumindest konnten wir in den letzten 20 Jahren keine neue Witterung aufnehmen, und unser Revier ist riesig.“

Earl nahm einen Schluck Kaffee und biss in seine großzügig belegte Brotscheibe, erkundigte sich kurz nach Samanthas Befinden und fuhr fort.

„Tommy kam an einem Freitag den 13. zur Welt. Für uns Werwölfe ist das der heiligste Feiertage überhaupt.“

„Gestern Abend war Freitag der 13.!“, schreckte Samantha von ihrem Stuhl auf, Earl nickte nur zustimmend.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, um wie vieles wichtiger der gestrige Abend für Tommy gewesen sein musste.

„Einige Tage nach seiner Geburt hatten wir...wie nennst du es noch mal…? Ach ja, das Tier mit den roten Augen. Wir hatten es kurz nach Tommys Geburt das erste Mal gewittert, dachten uns allerdings nicht wirklich etwas dabei. Es roch nicht nach einem von uns, aber auch nicht nach einer ernsthaften Bedrohung. Zu diesem Zeitpunkt vernachlässigten wir unsere Deckung enorm, die Dorfbewohner wussten ja bereits über uns Bescheid und so viele neue Leute kamen nicht wirklich nach Wolfsburrow. Außer Hunter…“

Samantha fuhr erneut durch einen Schreck hoch. Wieso war sie all die Zeit so dumm, so blind gewesen? Hunters Familie war vor 20 Jahren durch ein wildes Tier abgeschlachtet worden, genau zur selben Zeit waren Tommys Eltern ums Leben gekommen! Alles ergab plötzlich Sinn!

„Ihr habt seine Familie…“, flüsterte sie und blickte Earl aus dem Augenwinkel heraus wütend an.

„Es war...ein Unfall“, entschuldigte er sich beschämt.

„Unfall? Wie kann das Abschlachten einer ganzen Familie als Unfall abgetan werden?!“

Earl erwiderte ihren wütenden Blick ziemlich gelassen, nahm einen weiteren Schluck Kaffee und schenkte sich danach neu ein. Er ließ Samantha einen Moment lang brodeln, sie sprang von ihrem Stuhl auf und stampfte um den Tisch herum.

„Ihr habt seine Familie ermordet!“, rief die junge Frau aufgebracht und schlug mit der flachen Hand auf die Küchenzeile.

„...ich sagte ja bereits, dass es ein Unfall war…“, hielt Earl an seiner Aussage fest und deutete auf den Stuhl, von welchem Samantha eben noch aufgesprungen war, „und wenn du dich nicht gleich wieder beruhigst, dann passiert heute auch noch einer.“

Samantha schnaufte heftig, ihr Brustkorb bebte förmlich, allerdings bemerkte sie ein gewisses Aufblitzen in Earls Augen, welches sie von Tommy bereits nur zu gut kannte. Sie ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder, warf ihrem Gegenüber trotzdem weiterhin böse Blicke zu.

„Wenn sie noch klein sind, dann ist ein Welpe, so nennen wir junge Werwölfe, so anstrengend wie 5 Menschenkinder, denen man vorher Zucker gegeben hat. Louise war, auch wenn sie in der Rolle als Mutter völlig aufging sehr erschöpft und wir Werwölfe lieben es, durch den Wald zu rennen. Einfach nur laufen. Du kennst es sicher auch, wenn dir der Schädel brummt und du einen ausgiebigen Spaziergang machst. Tommy war zu diesem Zeitpunkt gerade mal wenige Monate alt gewesen. Seine Eltern rannten in den Wald, während ich die Kinder hütete. Henry und Louise sollten sich einmal ordentlich die Beine vertreten, Zeit zu zweit verbringen und auch genießen. Es Dämmerte bereits, als ich einen kreischenden Schrei und mehrere Schüsse aus dem Wald heraus vernahm. Ich sperrte die Kinder in die Käfige im Keller und machte mich bereit…Das war der letzte Tag gewesen, an welchem ich meinen Bruder und meine Schwägerin lebend gesehen habe.“

Earl brach mitten im Satz ab, Tränen stiegen plötzlich in seine Augen und er schlug sich eine Hand davor, damit Samantha das Elend nicht sehen musste. War diese eben noch wütend auf ihn und seine Familie gewesen, so empfand sie jetzt tiefes Mitleid. Sie beugte sich über den Tisch und griff seine freie Hand, hielt sie fest in ihrer.

„Hunter hat sie…“

„Ich weiß, dass ich ihn für das, was er getan hat eigentlich hassen müsste. Er hat mir meine Familie, mein Rudel genommen, Tommys Eltern…ich weiß nicht genau, was passiert ist, doch ich nehme an, dass sie aus versehen ihren Weg gekreuzt haben. Und einem Werwolf trifft man wie du bereits gemerkt hast nicht alle Tage...“

„Aber ich dachte, dass sie von einem wilden Tier getötet wurden...Martha erzählte, dass überall Blut und Kampfspuren zu sehen waren…“

„In dieser Nacht…“, murmelte Earl und machte eine kurze Pause, „kam dein Tier mit den roten Augen zum ersten Mal direkt zum Wohnhaus. Hatte es vorher lediglich nur ein paar Schafe gerissen, so wollte es diesmal eine größere Beute. Ich tat alles in meiner Macht stehende, um meine beiden Neffen zu beschützen. Doch dieses Tier…was es auch immer sein mag, es kämpft um zu töten, und es hat definitiv Freude daran. Es verwundete mich zuerst, sein Biss fügte meinem Wolfskörper dermaßen tiefe Wunden zu, dass meine Heilung ewig dauern würde. Tyler...er hatte es irgendwie geschafft aus dem Käfig zu entkommen...er rannte auf uns zu, die Schrotflinte seines Vaters in den Händen haltend. Ich musste also machtlos zusehen, wie mein kleiner Neffe, ein kleines Kind zu Tode gebissen wurde. Er hatte nie den Hauch einer Chance gehabt. Ich frage mich heute noch, warum es mich am Leben gelassen hat...“

„Es...es...tut mir...so leid...Earl!“, schluchzte Samantha nun auch, „ich kann mir gar nicht vorstellen…“

„Nein. Das sollst du auch nicht. Ich habe Tommy als einzigen meiner Familie retten können, habe ihn aufgezogen, wie mein eigenes Kind und versucht einen guten Mann aus ihm zu machen. Alles, was er dir auch immer angetan hat ist auf mich zurückzuführen. Mir muss es also leid tun.“

„Du hast dein Bestes gegeben. Und miserabel ist er als Mensch ja auch wieder nicht…“

„Ich hatte ihm davon abgeraten, sich dir in seiner wahren Gestalt zu zeigen. Er wollte es aber unbedingt“, Earl hob entschuldigend seine schlaffen Schultern, „ich weiß nicht, ob ich dir so ganz zustimmen kann, wenn ich daran denke, was alles hätte schiefgehen können.“

„Nun ja...ich habe ihn allerdings auch böse damit aufgezogen…euch beide.“

„Das hätte Tommy jedoch nicht beeinflussen dürfen. Er ist das neue Alphatier des Rudels.“

Samantha legte den Kopf schief und dachte daran, wie seine gelb leuchtenden Augen sie aus der Dunkelheit heraus angestarrt hatten, wie er sich dann vor ihr aufgebaut und sie angebrüllt hatte. Sie hielt die silberne Gliederkette hoch und zeigte sie dem alten Mann. Earl blickte nüchtern zu ihr, dann auf das Schmuckstück und nickte anerkennend.

„Die hat er übrigens vergessen...ich wollte sie ihm wieder zurück geben.“

„Hast du eine Ahnung, für was diese Kette gedacht ist?“

„Martha meinte, dass der Anhänger mit getrocknetem Eisenhut gefüllt sei und eine Transformation zurückhalten sollte.“

„Die Kette ist aus reinem Silber. Tödlich für Werwölfe, wir reagieren äußerst allergisch darauf. Zusammen mit dem getrockneten Eisenhut eine todsichere Mischung. Sie gehörte seiner Mutter. Sie trug sie jedes Mal, wenn sie zur Transformationszeit unter Menschen gehen wollte. Je stärker der Wolf in ihr durchkam, umso kräftiger brannte sich die Kette in ihr Fleisch, der Eisenhut war nur dafür gedacht, als allerletzte Notlösung zu agieren.“

„Er ist giftig für euch, nicht wahr?“

„In so geringen Dosen, wie sie im Anhänger vorhanden ist stoppt sie eine Transformation für wenige Stunden, sehr schmerzhaft, ist aber nicht tödlich. Je höher die Dosis, umso gefährlicher wird es allerdings.“

„Ich erinnere mich daran, dass du mit in Eisenhut gewälzten Kugeln auf Tommy geschossen hast.“

Earl nickte zustimmend und hielt die Kette seiner Schwägerin in seinen Händen.

„Deswegen schmücken die Dorfbewohner ihre Häuser auch damit. Sollten wir es aus irgendeinem Grund nicht schaffen, uns in den Keller zu sperren oder die Transformation zu stoppen sind sie trotzdem sicher.“

„...und ihr habt es mir die ganze Zeit über gesagt…“, murmelte Samantha und blickte auf den Boden ihrer mittlerweile leeren Kaffeetasse, „ich war so dumm!“

„Es wäre doch zu einfach gewesen“, grinste Earl traurig, „gibt es sonst noch etwas, dass du wissen möchtest?“

„Dieses Lederarmband…“, murmelte Samantha und legte besagten Arm auf den Tisch, „Tommy scheint sehr viel daran zu liegen, dass ich es trage...warum?“

„Hast du denn eine Ahnung?“, fragte der alte Mann anstatt zu antworten.

„Zuerst dachte ich, dass darin ein GPS Tracker eingenäht sei, damit er mich überall und jederzeit finden könnte. So wie ein perverser Stalker.“

Earl lachte heiter auf, schüttelte ungläubig seinen Kopf und rieb sich den Bauch.

„...aber...es scheint für ihn eine viel größere Bedeutung zu haben, richtig?“

„Richtig.“

„Ich kann anhand der Stickereien und Holzperlen nur leider kein aussagekräftiges Muster erkennen.“

„Das wirst du auch nicht, weil es kein bestimmtes Muster gibt. Die Stickereien und Perlen sind völlig belanglos angeordnet.“

„Also sagst du mir jetzt, was das ist?“

„Wir haben keinen speziellen Begriff oder Namen dafür. Es wird in unserem Clan vom Vater an den Sohn weitergereicht, damit dieser es seiner Partnerin als Treueschwur schenken kann.“

Samantha riss ihre braunen Augen weit auf. Bitte was hatte dieser alte Kauz gerade zu ihr gesagt? Partnerin?

„A...a...aber…“, stammelte sie vor sich her, blickte zwischen Earl und dem Lederarmband verwirrt hin und her.

Der alte Mann grinste breit über sein ganzes Gesicht, seine flachen Hände ruhten auf seinem voluminösen Bauch: „Tommy hat dich damit als seine Partnerin ausgewählt.“

„Aber! Das erste Mal, als er es mir umgebunden hat konnten wir uns doch überhaupt nicht leiden!“

„Sagt wer?“

„ICH!“

„Wir mochten dich beide von Anfang an. Tommy war nur etwas...er hat eine komische Art jemanden das gleich zu Beginn zu zeigen.“

„Allerdings!“, brummte Samantha, betrachtete noch eine Weile ihr Armband und grübelte ein bisschen vor sich her, gab dann allerdings schwer seufzend auf und ließ sich nach hinten in die Stuhllehne fallen.

„So wie du gerade aussiehst trau ich mich ja gar nicht zu gratulieren“, kicherte Earl.

„Gratulieren? Werde ich denn gar nicht gefragt, ob ich überhaupt die Frau eines Werwolfes sein möchte?“

„Wenn du ernsthaft gegen diese Bindung gewesen wärst, dann hättest du sicher seinen Avancen letzte Nacht nicht nachgegeben, oder?“

„BITTE WAS?“

„Ich kann es riechen, Samantha. Du riechst nicht mehr nach dir alleine.“

Oh mein Gott!, schrie ihre innere Stimme laut auf und rannte sich Haare raufend im Kreis, während das Gesicht der jungen Frau wortwörtlich entgleiste. Samanthas Wangen liefen sofort knallrot an und sie schlug die Hände panisch davor, während ihr Gegenüber in schallendes Gelächter ausbrach.

„Oh...so ein Schlingel aber auch“, kicherte Earl und schenkte sich beiden Kaffee nach, „da kommt er ganz nach seinem Vater!“

„Muss ich jetzt auch ein Werwolf werden?“, fragte sie ängstlich.

„Nur, wenn du es auch wirklich willst. Tommys Mutter lebte jahrelang als Mensch in unserem Rudel, bis sie eine von uns werden wollte. Auch sie hatte große Angst davor.“

„Und wenn ich niemals eine von euch werden will?“

„Dann bleibst du für den Rest deines Lebens ein Mensch.“

„Warum höre ich ein großes ‚aber‘ in deiner Stimme mitschwingen?“

„Aber ich möchte dich daran erinnern, dass wir Werwölfe im Gegensatz zu euch Menschen eine sehr lange Lebenserwartung haben. Wir heilen von Selbst unsere Wunden und werden beinahe nie krank.“

„Wirst du mir verraten, wie alt du bist?“

Earl grinste sie schief an: „Ich werde im Winter dreiundneunzig Jahre alt.“

Samantha starrte ihn unglaubwürdig an. Man konnte Tommys Onkel schon ansehen, dass er in die Jahre gekommen war, allerdings sah er nicht älter wie Anfang sechzig aus!

„Geborene Werwölfe sind mit Anfang zwanzig voll ausgewachsen und altern danach nur noch sehr langsam.“

„Welche Krankheiten könnt ihr eigentlich bekommen?“, erkundigte sich Samantha, „so viel kann es da ja eigentlich nicht geben…“

„Du hattest eine davon erst selber genannt.“

„Natürlich. Tollwut. Wie stelle ich mir einen tollwütigen Werwolf vor?“

Earl verschluckte sich beinahe an einem Schluck Kaffee und hustete heftig, während die junge Frau entschuldigend grinste.

„Wenn wir in unserer Wolfsgestalt sind, dann behalten im Normalfall lediglich nur die Alphatiere und sehr erfahrene die volle Kontrolle über ihr Handeln. Tollwut würde dies allerdings außer Kraft setzen. Wir sind dann völlig außer Kontrolle und greifen auch unsere eigene Art an.“

„Solange ich ein Mensch bin, wird Tommy für mich also immer eine Gefahr darstellen...“

„Nein. Du bist seine Partnerin. Sein Weibchen. Das Lederarmband dient durch Tommys Geruch, welcher nun an dir haftet als Schutzbarriere. Solange du es trägst, versteht sich.“

„Du willst mir also weiß machen, dass er mich als Werwolf nicht angreifen würde, und das nur wegen dieses kleinen schlichten Dings? Und das soll ich dir glauben?“

Earl machte eine entschuldigende Geste: „Das, meine Liebe wirst du wohl auf eigene Faust herausfinden müssen...bei seinen Eltern hatte es auf jeden Fall funktioniert.“

Er schenkte sich beiden erneut Kaffee nach.

„Warum...warum hasst Tommy Wilma so sehr?“, fragte Samantha und nippte an ihrem Getränk.

„Dieser Hass beruht auf Gegenseitigkeit, glaub mir. Ich weiß nicht warum, aber die beiden konnten sich von Anfang an nicht riechen…und als sie dann auch noch so großes Interesse an dir gezeigt hat wurde er zunehmend eifersüchtig.“

„Könnte es daran liegen, dass sie eine Wicca ist?“

„Ich habe kein Problem mit ihr. Allerdings sehe ich sie auch recht selten, da ich nicht mehr so oft ins Dorf gehe…“

„Meinst du, ich könnte diesen jahrelangen Streit schlichten?“

„Ich empfehle dir, dass du dich da raushältst. Leben und leben lassen…“

8

Samantha saß noch eine Weile alleine auf der Veranda. Ihr Kopf pochte, ihr Herz hämmerte heftig gegen ihre Brust und ihre Gefühle fuhren Achterbahn, von ihren Hormonen ganz zu schweigen.

„Ich soll die Partnerin eines Werwolfes sein…“, murmelte sie grüblerisch vor sich her, „sein Weibchen…“

Sie ließ den Blick über das Geländer schweifen, bis zur Weide mit den Schafen hinüber. Die Tiere sahen für sie nicht sonderlich appetitlich aus, mal abgesehen davon, dass ihr Geruch in Samanthas Nase fürchterlich biss.

Für Earl und Tommy musste es unerträglich stinken, dachte sie sich, ihre Sinne waren schließlich um einiges sensibler.

Die junge Frau blickte in die andere Richtung, an der Scheune vorbei, hinter welcher der dichte Wald aus dem Boden ragte, durch welchen sie bereits gejagt worden war. Wenn sie nun hier bleiben würde, müsste sie dann weiterhin das Tier mit den roten Augen fürchten müssen?

Als Mensch wahrscheinlich ja.

Tommy oder Earl konnten schließlich nicht immer in ihrer Nähe sein und wenn sie sich irgendwann einmal alleine im Wald aufhalten würde…

Samantha schüttelte ihren Kopf, warum in aller Welt sollte sie alleine in den Wald gehen? Sie hatte allen Grund, genau das nicht zu tun, wollte sie eine weitere Begegnung mit diesem Vieh vermeiden.

Das Tier mit den roten Augen…

Wenn es kein Werwolf war, was könnte es denn dann bloß sein? Auf gar keinen Fall ein normaler Wolf oder ein wilder Hund, wie es ihr bis jetzt alle weiß machen wollten. Es war dafür viel zu groß gewesen.

„Earl?“, rief Samantha in das Haus hinein.

Kurz darauf erschien Tommys Onkel im Rahmen der offenstehenden Haustüre.

„Wenn einer von euch Tollwut bekommen würde…“, begann sie und blickte ihn über ihre Schulter hinweg an, „würde er sich dann auch wieder in einen Menschen zurückverwandeln, oder in seiner Wolfsgestalt verweilen?“

„Das ist eine sehr gute Frage. Ich müsste allerdings raten, und kann dir deswegen keine genaue Antwort geben.“

„Du sagtest, dass ihr dann die Kontrolle über euch verlieren würdet.“

„Ja.“

„Und, dass das Tier mit den roten Augen definitiv jagt, weil es töten will und nicht weil es muss.“

„Interessante Theorie. Du fragst dich, ob es ein mit Tollwut infizierter Werwolf sein könnte. Leider muss ich dich da enttäuschen. Immer wenn ich es wittern konnte, hat es niemals nach einem von uns oder einem kranken Tier gerochen.“

Samantha ließ seufzend ihre Schultern nach vorne rollen und zog einen Schmollmund. Es hätte ja einmal einfach sein können…

„Plage dich nicht, meine Liebe…“, rief sie der alte Mann zurück in die Realität, „wir versuchen es seit über zwanzig Jahren zu fangen...und irgendwann werden wir Erfolg damit haben!“

Sie lächelte ihn dankend an und ließ den Blick wieder in die Ferne schweifen.

„Wann wird er denn wieder nach Hause kommen?“

„Keine Sorge! Er wird kommen. Im Moment muss er nur den Kopf frei bekommen, er macht sich fürchterliche Vorwürfe wegen heute Nacht.“

„Sein Jeep steht gar nicht in der Scheune.“

„Weil er damit weggefahren ist. Damit du ja nicht auf die Idee kommen könntest, ihm zu folgen.“

Earl schmunzelte sie wissend an, während Samantha die Augen theatralisch verdrehte. Eine Weile schwiegen die beiden, der laue Wind blies den herben Duft des Waldes zu ihnen rüber, als Samantha schließlich auf ihre Schenkel klopfte und aufstand.

„Kann man wohl nichts machen“, seufzte sie und winkte Earl zum Abschied, „dann werde ich es Tommy gleich tun, und bei einem langen Spaziergang ebenfalls den Kopf frei kriegen.“

„Pass auf dich auf“, sagte Earl fast schon fürsorglich, „auch bei Tageslicht sollte man immer wachsam sein.“
 

~*~
 


 

Samantha schlenderte die Wege nahe des Waldrandes entlang, sie hatte noch mehr als genügend Zeit, bis sie heute Abend bei Wilma eingeladen sein würde oder Tommy von seinem Selbstfindungstrip zurück kam. Wie wohl das eigene Mondscheinfest der Wicca aussehen würde? Samantha grinste breit, als sie sich diverse Waldtiere beim tanzen um ein Lagerfeuer vorstellte, während sie und Wilma auf improvisierten Instrumenten Musik machten.

„Ich habe wirklich eine blühende Fantasie…“, schüttelte die junge Frau den Kopf und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.

Vorher würde sie noch einmal ausgiebig in die Badewanne gehen, das Kleid, welches sie gestern Abend bereits angezogen hatte würde Wilma sicherlich auch sehr gut gefallen. Samanthas Grinsen wurde noch breiter, sie freute sich wirklich auf den heutigen Abend, welchen sie mit der rothaarigen Frau verbringen würde. Wilma hatte ihren Fuß geheilt und war sonst auch immer nett und zuvorkommend zu ihr gewesen. Das sie Tommy nicht leiden konnte versetzte Samantha einen leichten Stich ins Herz, wie gerne hätte sie einen Abend mit den beiden zusammen verbracht…

Die junge Frau blieb stehen, blickte sich in ihrer aktuellen Umgebung um und musste feststellen, dass sie über einen Umweg gelaufen war. Sie hatte dank ihrer intensiven Gedankengänge nicht mitbekommen, dass sie anscheinend einen völlig anderen Pfad als ursprünglich geplant genommen hatte.

Kleine trockene Äste knackten unter ihren Füßen, die von eben noch so angenehme Brise hatte sich zu einem unangenehmen Wind entwickelt. Die junge Frau begann allmählich zu frösteln und sie rieb sich ihre Arme. Wie zum Teufel war sie nur hier rein geraten?!

Ach ja. Ihr Leihwagen war plötzlich stehen geblieben, als sie auf dem Weg zur Hochzeit ihrer Cousine gewesen war.

Genau in diesem Moment hörte sie Motorengeräusche. Samantha reckte den Kopf und bemerkte das gräuliche Auto, welches mit ordentlicher Geschwindigkeit durch den Wald fuhr. Es war Hunters Auto gewesen.

Samanthas Magen zog sich zusammen, sie kannte mittlerweile die Wahrheit über die Täter, welche seine Familie abgeschlachtet hatten. Er dürfte niemals erfahren, wer es tatsächlich gewesen war, ansonsten würde er Tommy und Earl…

Sie schüttelte hastig den Kopf, versuchte dadurch den Gedanken zu vertreiben. Dann fiel ihr wieder ein, dass der Jäger ebenfalls das Tier mit den roten Augen jagte. Vielleicht konnte sie ein wenig mehr über dieses Vieh erfahren, Hunter musste den wirklichen Grund ja nicht wissen. Schnellen Schrittes nahm sie die Verfolgung auf, trat auf den Pfad, welchen das Auto ebenfalls genommen hatte und ging in die Richtung, in der seine Hütte stand.

Nach einer Weile konnte sie den alten Mann in einigen Metern Entfernung vor sich kniend sehen, er schien gerade etwas zu suchen, sein Blick war auf den Waldboden geheftet und der Kopf wiegte sich in gleichmäßigen Bewegungen von links nach rechts.

Die junge Frau ging weiter auf ihn zu, sprach ihn sogar an, jedoch schien Hunter so in seiner Suche vertieft zu sein, dass er sie nicht wirklich wahrnahm.

„...es...war...hier“, murmelte der in die Hocke gegangene Jägersmann und ließ seinen Kopf gelegentlich hin und herwandern, „es ist...hier durchgelaufen…“

Samantha ging einen weiteren Schritt auf ihn zu, trat auf einen trockenen Ast und blieb sofort erschrocken stehen. Hunter war in seiner gehockten Stellung schnell wie der Blitz zu ihr herumgefahren und hielt ihr nun eine silberne Klinge entgegen gestreckt. Sein eines Auge funkelte sie dabei so düster, beinahe schon mordlustig an, dass Samantha ein Kloß im Hals stecken blieb. Hunters Klinge würde, insofern er sie geschmissen hätte nun tief in ihrem Oberschenkel stecken.

„...die Arteria femoralis ist als Fortsetzung der Arteria iliaca externa, die Arterie zur Versorgung des Beins. Sie gibt kurz unter dem Leistenband die etwa gleich starke Arteria profunda femoris ab, die in die Tiefe abbiegt und die hauptsächliche Versorgung des Oberschenkels leistet…“

Samantha starrte ungläubig auf den grauhaarigen Mann vor sich, welcher wie im Gebet vor sich her murmelte, doch den Rest konnte sie nicht mehr verstehen, da ihr Blut in den Ohren viel zu laut rauschte. Sie wich vorsichtig einen halben Meter zurück, schob dabei einen Laufhaufen zusammen und schluckte mehrmals.

„Ich hätte dich töten können“, brummte der Jäger verärgert und blickte mit seinem einen Auge tadelnd zu ihr auf.

„Zum Glück hast du es nicht“, versuchte die junge Frau die Stimmung wieder zu lockern, „bist du was großem auf der Spur?“

„Du warst bei mir im Keller“, brummte der einäugige erneut und funkelte sie über seine Schulter hinweg herausfordern an.

„N...nein“, wehrte Samantha sofort ab und hielt ihre ausgestreckten Hände zum Schutz vor sich, „ich bin lediglich nur über deinen Teppich gestolpert und habe dadurch die Luke entdeckt. Aber ich war nicht in deinem Keller!“

Er wandte ihr jetzt sein Profil zu, erhob sich aus seiner Hocke und steckte das Messer zurück in seine Halterung, dadurch wurde Hunters Ledermantel herumgewirbelt und Samantha konnte auf dem Boden die Fußspuren erkennen. Ihr zog es den Magen fürchterlich zusammen, als sie erkannte, wie sie langsam von einem Pfotenabdruck zu einem menschlichen Fußballen wurden.

Tommy!

„Du...hast sie...also nicht gesehen?“, fragte der Jäger heißer, sein eines Auge unruhig auf Samantha geheftet.

Sie schüttelte wild ihren Kopf und wich einen weiteren Schritt zurück: „Ich schwöre dir, dass ich wirklich nicht in deinem Keller war und nichts gesehen habe! Wilma hat deine Vorräte aufgefüllt und dann sind wir wieder gegangen!“

„Du würdest ganz anders reagieren, wenn du sie tatsächlich gesehen hättest…“

Hunter blickte jetzt grübelnd zu Boden, direkt auf die Fußspuren, er stand so da und regte sich keinen Millimeter. Samantha bemerkte, dass ihre immer noch ausgestreckten Hände zu zittern begonnen hatten, während ein kalter Wind ihr hinten in den Rücken fuhr und in Mark und Bein überging. Wieso hatte sie in Hunters Gegenwart plötzlich so viel Angst? Er hatte vorher schon kauzig und etwas verrückt auf sie gewirkt, doch jetzt, nachdem sie selber die Fußspuren und das dazugehörige Monster gesehen hatte…

„Wirst du ihn jetzt jagen?“, hauchte sie so leise, dass es normalerweise kein menschliches Ohr hätte hören können.

Hunter hatte sie allerdings gehört. Sein Kopf wandte sich langsam, beinahe wie in Trance in ihre Richtung. Er kniff sein eines Auge argwöhnisch zusammen.

„Was hast du eben gesagt?“, fragte er monoton.

„Ob du jetzt jagen gehen wirst.“

„Du…“, raunte er und ging einen Schritt auf sie zu, „du hast ‚ihn‘ gesagt. Ob ich ‚ihn‘ jetzt jagen werde.“

„N...nein…“, winkte sie unsicher ab, „ich habe gestottert. Du musst dich verhört haben!“

„Du hast aber nicht gestottert, Samantha“, sagte er ziemlich selbstsicher, kam einen weiteren Schritt näher, „und ich habe mich auch nicht verhört. Mein Körper mag langsam durch sein Alter verfallen, doch meine Ohren haben schon immer die leisesten Geräusche vernommen, Dinge gehört, welche dich um den Verstand bringen würden.“

Samantha wich erneut zurück, nachdem Hunter immer weiter auf sie zuging, sie lief rückwärts direkt in einen Baum hinein, zuckte erschrocken zusammen und starrte dem Jäger mit ängstlich geweiteten Augen ins Gesicht.

„Du bist zwar noch recht neu in Wolfsburrow, und dennoch weißt du bereits mehr, als jeder andere Neuankömmling jemals zuvor.“

„Ich weiß gar nichts!“

„Oh doch…“, grinste Hunter breit und kam jetzt so nah an sie heran, dass sie seinen warmen Körper spüren könnte.

Er hob seine Hand an ihr Gesicht und fuhr Samantha mehrmals mit seinen rauen Fingern an der Wange hoch und runter. Wäre diese Geste von Steve, Earl oder gar Tommy gekommen, dann hätte sie wohl fürsorglich oder liebevoll wirken sollen, aber Hunter machte ihr mittlerweile genauso viel Angst wie Tommys Anblick von heute Nacht, oder gar das Tier mit den roten Augen.

„Weißt du...ich habe heute Nacht nämlich seinen Schrei gehört…“, lächelte der Jägersmann nun triumphierend, seine Hand wanderte von Samanthas Wange hinter in ihren Nacken, „und ich bin mittlerweile zu einhundert Prozent überzeugt davon, dass du junges Fräulein ganz genau weißt, wer das gewesen sein könnte.“

„Schrei? Welchen Schrei meinst du? Heute Nacht habe ich geschlafen, wie ein Baby...AUA!“

Hunters Finger hatten sich in ihren offenen Haaren festgekrallt und ihren Kopf so ruckartig zurückgezogen, dass sie einen stechenden Schmerz vernommen hatte.

„Hör auf, mich für dumm zu verkaufen!“, fauchte der grauhaarige Mann sie jetzt böse an, „du wirst mir auf der Stelle den Namen sagen!“

„Au! Du tust mir weh, Hunter! Ich habe keine Ahnung, wovon du redest!“

„HÖR AUF MICH FÜR DUMM ZU VERKAUFEN!“, schrie er sie jetzt an und zog noch fester an ihren Haaren.

„ICH WERDE DIR GAR NICHTS SAGEN!“, schrie sie ebenfalls unter dem Schmerz auf.

Sein Auge starrte sie jetzt wissend an, um seine Lippen zeichnete sich ein gehässiges Schmunzeln. Für einen Moment standen die beiden wortlos so da, dann zerrte Hunter sie hinter sich her, ging direkt auf seine Hütte zu.

„Du lässt mir tatsächlich keine andere Wahl, meine Liebe“, sagte er entschieden und ging mit ihr nach drinnen, wo er sie mit Schwung nach vorne schleuderte und auf den Boden schmiss.

Als Samantha ängstlich zu ihm aufsah zeigte er auf die Stelle neben ihr, wo sie gestern noch über den Teppich geflogen war.

„Runter mit dir!“, befahl er.

„Nein!“

„Du wirst da jetzt runter gehen und sie dir ansehen!“

Er schob den Teppich mit einem kräftigen Kick zur Seite und öffnete die Luke, bevor er erneut sein Messer zückte und sie damit bedrohte.

„Oh nein…“, wimmerte Samantha und schüttelte ihren schmerzenden Kopf.

„Du lässt mir keine Wahl! Ich muss sie dir zeigen!“

„Wen meinst du mit ‚sie‘?“

Erneut deutete er nach unten, hielt ihr die Klinge direkt an ihren Hals.

„Es liegt nur an dir, wie viel Schmerzen ich dir noch zufügen werde…“

Sie schluckte schwer und schniefte laut, Hunter verzog jedoch keine Miene. Vorsichtig blickte Samantha die staubigen Stufen nach unten, welche in seinen Keller führten und bemerkte, dass die brüchige Holztüre nun offen stand.

„Wenn ich mir ansehe, was du mir so dringend zeigen möchtest…“, schluckte sie erneut, „wirst du mich dann am Leben lassen?“

„Du hast mein Wort, dass ich dir kein weiteres Haar krümmen werde.“

Sie konnte den Geruch, welcher ihr in dem unteren Kellerraum in die Nase stieg nicht zuordnen, doch Samantha war sich in diesem Moment bewusst, dass sich dieser Duft für immer in ihr Gedächtnis gebrannt hatte. Sie ging voraus, Hunter mit gezückter Klinge direkt hinter ihr bis die beiden durch einen kleinen Flur schließlich im eigentlichen Kellerraum angekommen waren.

„Warte hier“, befahl er und schlich an ihr vorbei.

Durch die mangelnden Lichtverhältnisse konnte die junge Frau nur Schemen erkennen, konnte nur erahnen, wo sich Hunter gerade aufhielt. Dann flammte plötzlich eine alte Öllampe auf, eine zweite und eine dritte. Samantha blickte sich sofort in dem Raum um, konnte jedoch außer einem abgeschlossenen Waffenschrank und einigen vollgestopften Wandregalen nichts sonderbares erkennen. Was zum Teufel wollte der alte Kauz ihr so unbedingt zeigen? Sie sah nach oben, wo dutzende getrockneter Sträuße Eisenhut von der Decke hingen, ihr Blick wanderte daran entlang, bis sie schließlich unter vorgehaltener Hand einen erschrockenen Aufschrei unterdrückte. Augenblicklich wandte sie ihr Gesicht von dem ab, was sie so schockiert hatte, ihr wurde schlagartig übel und sie erbrach sich.

„Sieh sie dir nur an…die beiden sind mein größter Fang“, murmelte Hunter wie in Trance und hob eine Lampe näher an die beiden Menschenköpfe, welche wie seine anderen Jagdtrophäen an der Wand befestigt waren.

„Du Monster…“, würgte Samantha und hustete heftig.

„Jetzt magst du mich noch für ein Monster halten...hab nur noch ein wenig Geduld.“

„Geduld? Worauf soll ich denn warten? Dass die beiden Highway to hell singen?!“

Hunter zog einen alten klapprigen Holzstuhl von der gegenüber liegenden Wand weg und stellte ihn Samantha direkt vor die beiden Köpfe.

„Vertrau mir. Du wirst mich verstehen. Lass uns hier zusammen noch ein bisschen warten.“

„Ein bisschen?“

„Nur ein bisschen.“

Er tätschelte die Sitzfläche des Stuhls, ging dann wieder an die gegenüber liegende Wand zurück und lehnte sich lässig dagegen. Samantha dachte gar nicht daran, sich direkt vor diese Freakshow zu setzen, sie hatte nicht mal den Mut, die beiden genauer anzusehen. Stur zu Boden starrend knetete sie nervös ihre Hände durch und versuchte ruhiger zu atmen. Sie hatte absolut keine Ahnung wie lange die beiden hier unten mittlerweile verweilten.

„Da!“, fuhr Hunter plötzlich auf und stieß sich aufgeregt von seiner Wand ab.

Die Frau schreckte zusammen und wurde von dem Jäger am Arm gepackt und mitgezogen. Er schob sie zielstrebig vor sich her, direkt vor die beiden Menschenköpfe, umfasste ihr Kinn feste mit einer Hand und richtete ihr Gesicht so aus, dass sie darauf schauen musste.

„Sie es dir an…“, raunte er ihr ehrfürchtig ins Ohr, „dann verstehst du es…“

Erst jetzt erkannte Samantha, dass es sich bei den beiden Köpfen um einen Mann und eine Frau handelte, welche sie aus grau trüben Augen anstarrten. Ein heißer Stich fuhr ihr ins Herz, als sie vermutete zu wissen, wen sie da gerade ansah. Eines der Gesichter begann sich plötzlich vor ihren Augen zu bewegen, Samantha blinzelte unglaubwürdig mehrmals, sie musste träumen.

„Aber!“, stieß sie heißer hervor, als sie feststellte, dass sich nun beide Gesichter tatsächlich bewegten.

„Ja...endlich…“, flüsterte Hunter erfreut und trat neben sie.

Die beiden Gesichter, welche eigentlich tot sein sollten und sich somit nicht mehr bewegen durften eröffneten ihr dramatisches Schauspiel, wobei Samantha in regelmäßigen Abständen hörte, wie deren Gesichtsknochen knackten. Bei dem Mann begann sich langsam seine Nase und Oberlippe ein wenig nach vorne zu schieben, eine kleine Schnauze zu bilden, bei der Frau wuchsen die Ohren zuerst in die Länge, wurden immer spitzer. Beinahe gleichzeitig verfärbte sich ihre Haut zu einem dunklen graubraun, beinahe schon schwarz, ihre menschlichen Zähne fielen einer nach dem anderen aus und zu Boden, machten Platz für ihre langen spitzen Fangzähne.

„Nein…“, raunte Samantha, während ihrem Verstand nun endlich bewusst wurde, wen sie hier beobachtete.

Heiße Tränen rannten ihr über die Wangen und ihre Unterlippe bebte heftig, während Henry und Louise, Tommys Eltern ihre Transformation zum Werwolf allmählich abschlossen. Vier leuchtend gelbe Augen starrten Samantha nun entgegen, zwei weit aufgerissene, mit langen Fangzähnen bestückte Mäuler waren bereit nach ihr zu schnappen, um große Stücke Fleisch aus ihr zu reißen.

„Endlich zeigen sie ihre wahre Schönheit…“, verkündete Hunter und ging nach vorne, um die beiden Köpfe abwechselnd zu streicheln.

Sie waren wieder zu toten Trophäen erstarrt und doch sahen sie für Samantha so lebendig aus. Sie wischte sich ihre Tränen weg, schluchzte noch ein letztes Mal laut.

„Sieh sie dir nur an…“, schwärmte Hunter und kraulte einem der beiden Köpfe das Kinn.

„Du bist krank.“

„Krank?“, erkundigte er sich getroffen, ließ von dem Kopf ab und wandte sich seinem Gast zu, „was ist krank dabei, seine Familie zu rächen, welche von diesen Bestien zerfleischt wurde?!“

„Auch sie haben nur ihre Kinder beschützt!“, rief Samantha ihm wütend entgegen.

Hunter ging direkt auf sie zu, packte ihren Arm und sah ihr aufmerksam mit seinem einen Auge ins Gesicht.

„Kinder?“, wiederholte er und ein leichter weißer Schaum bildete sich in seinen Mundwinkeln, „plural?“

Sie erstarrte, als sie verstand, dass sie Tommy in diesem Moment verraten hatte, dass sie gerade eben sein Todesurteil unterschrieben hatte. Um Hunters schäumende Mundwinkel bildete sich jetzt ein hasserfülltes Lächeln, sein eines Auge funkelte voller Mordlust, er blickte ein letztes Mal zu den beiden Werwölfen an seiner Wand.

„Jetzt weiß ich es…“, lachte er dann so plötzlich hysterisch auf, dass Samantha die Gunst der Stunde nutzte, sich von ihm losriss und panisch aus dem Keller rannte, dabei sogar ihre Schuhe verlor.

Als sie gehetzt die Stufen der Veranda alle auf einmal herunter sprang konnte sie Hunters Stimme ein letztes Mal schreien hören.

„JETZT WEIß ICH ES ENDLICH!!“
 

~*~
 

Blanke Panik erfüllte Samanthas Herz, während sie wie gehetzt durch den Wald zurück zur Ranch rannte. Verdammt noch mal! Wie hatte sie nur so dumm sein können? Durch sie würde Tommy jetzt von Hunter gejagt werden, welcher bereits seine Eltern ermordet hatte! Sie versuchte so gut wie nur möglich die beiden Köpfe an seiner Kellerwand aus ihrem Gedächtnis zu drängen, doch je mehr sie dies versuchte, umso mehr spielte ihre Fantasie ihr einen Streich und fügte Tommys Kopf nur noch hinzu.

Sie rannte mit Tränen in den Augen, so schnell sie nur konnte, bemerkte direkt vor ihr die Baumwurzel nicht, welche sich hinterhältig unter einem Laubhaufen versteckt hatte, stolperte und flog so heftig zu Boden, dass sie in ihrem Körper etwas leise knacken hören konnte.

Samantha schrie unter dem heftigen Schmerz so laut auf, dass sie von ihrer eigenen Stimme erschrak. Sie wälzte sich über den Waldboden, so dass sie jetzt wieder auf dem Rücken lag und versuchte zu Atmen, doch der Schmerz, welcher von ihren Rippen aus ging war so stark, dass ihr für einen Moment die Luft wegblieb. Heiße Tränen rannten ihr nur so über die Schläfe, während ihr panischer Blick gen Himmel gerichtet war, welcher mittlerweile dunkel geworden war. Unten in Hunters Folterkeller hatte sie jegliches Gefühl für die Zeit verloren gehabt, jetzt war die Abenddämmerung im vollen Gange.

„Muss...ihn...warnen…“, keuchte sie, hustete dann heftig, so dass ihr ganzer Körper sich schüttelte.

Nur sehr langsam konnte Samantha sich aufsetzten, ihre Rippen schmerzten so sehr, dass ihr mehrere laute Schluchzer entfuhren. Hoffentlich war Tommy wieder zu Hause, wenn nicht würde sie Earl dermaßen bedrängen, dass er es ihr endlich verraten musste, wo sein Neffe sich aufhielt!

Eine Hand auf ihre Rippen gepresst versuchte sie erneut zu rennen, konnte jedoch immer nur sehr kurze Abschnitte etwas schneller gehen, bevor die Schmerzen wieder zu groß wurden.

„Bitte...bitte...lass ihn zu Hause sein…“, wimmerte die junge Frau, während sie die Lichter der Ranch endlich erblickte.

An der Veranda machte sie Halt, musste erst einmal verschnaufen, was ehr einem Keuchen als Atmen ähnelte. Zum Glück würde Wilma sie wieder heilen können, diese Schmerzen waren so unerträglich, dass Samantha drohte den Verstand zu verlieren.

Langsam stieg sie die Treppe zur Haustüre empor, klopfte schnell und kräftig gegen diese und rief nach Earl und Tommy. Das komplette Haus lag still vor ihr. Zu still.

„Der Alte kann doch noch nicht schlafen…“, fluchte die junge Frau und ging auf der Veranda ums Haus herum.

Sie blickte gleich beim ersten Fenster ins Innere und konnte Earl tatsächlich in der Küche am Tisch sitzen sehen, seinen Kopf auf seine Hände gestützt. Um ihn herum lagen mehrere Blüten verstreut, welche Samantha in den letzten Tagen mehrmals gesehen hatte. Wolfswurz.

Hastig klopfte Samantha gegen das Glas der Scheibe und der alte Mann schreckte hoch. Sie erstarrte sofort bei seinem Anblick, denn seine sonst so dunkelbraunen Augen leuchteten in einem kräftigen Gelb, die Pupillen so klein wie Stecknadelköpfe. Earl blickte sie ebenfalls erschrocken an, schien allerdings noch mehr Mensch als Wolf zu sein, denn seine mittlerweile heißere röchelnde Stimme fragte sie, warum zum Teufel sie jetzt hier war.

„HUNTER!!“, rief sie panisch aus, „ER WEIß ES!“

Earl verstand augenblicklich, sein Gesichtsausdruck verwandelte sich in sekundenschnelle von erschrocken zu wütend, dann zu hilflos und er starrte auf seine Hände, welche auf der Tischplatte ruhten. Seine Fingernägel waren gerade dabei sich zu verfärben...

Samantha war gerade dabei das Fenster nach oben aufzuschieben, als er sie mit seinen gelben Augen fixierte und zu knurren begann.

„Komm ja nicht rein!“, brummte er gefährlich tief, „meine Transformation ist bereits zu weit fortgeschritten!“

„Ich dachte du kannst dich anhand seines Alters nicht mehr verwandeln?!“

„Ich habe gesagt, dass es meinem Körper einiges abverlangt…“

„UND GEGEN DICH HILFT DAS BESCHISSENE ARMBAND WOHL NICHTS, ODER WIE?!“

„Dummkopf...du wirst nicht hier gebraucht, sondern woanders...“

„Wo ist Tommy? Ich muss ihn warnen!“

Earls Hand streckte sich nach vorne aus, seine Fingernägel waren bereits zu schwarzen langen Klauen geworden. Er begann zu röcheln, sein Atem ging unregelmäßig. Samantha bemerkte, dass seine grauen Haare immer lichter wurden, er hatte beinahe eine Glatze.

„Geh...zur...Hauptstraße…“, keuchte er heißer, seine Stimme klang jetzt viel tiefer, „und...dann...durch...den...Wald…“

„Einfach nur in den Wald?“

„Er...wird...dich...finden…“

Natürlich würde Tommy sie finden. Er hatte ihr von Anfang an gesagt, dass er sie immer finden würde…

Earl stand unter schwerem Keuchen vom Stuhl auf und stützte seine Hände auf die Tischplatte, wodurch er mehrere der verteilten Blüten auf den Boden fegte, verweilte so einen kurzen Augenblick, dann starrte er zu Samantha rüber.

„WAS MACHST DU NOCH HIER?! LAUF!!“

Bei seinem letzten Wort verwandelte sich seine Stimme nun endgültig in den Schrei eines Tieres, welchen Samantha nur zu gut kannte. Sie drehte sich hastig um und rannte so schnell es ihre Schmerzen erlaubten in die Richtung, welche Earl ihr beschrieben hatte.

Sie musste regelmäßig Pausen machen, hatte dadurch panische Angst, dass ihr die Zeit davonlief und sie zu spät zu Tommy kommen würde. Hoffentlich würde Hunter ihn niemals finden! Sie könnte sich das nie verzeihen…

Der weiche Waldboden wechselte zu harten Asphalt, Samantha blickte sich kurz um und sah direkt in den tiefen dunklen Wald hinein, welcher vor ihr aus dem Boden ragte. Ihre Fantasie spielte ihr einen üblen Streich und ließ sie mehrere leuchtende Augenpaare daraus direkt auf sie starrend sehen. Schnell schloss Samantha ihre Augen und schüttelte ihren Kopf, bis ihr fast schwindelig wurde.

„Ihr seid gar nicht da!“, rief sie wütend aus und kniff sich heftig in den Arm.

Als sie dann die Lider wieder öffnete waren die eingebildeten Augen tatsächlich verschwunden.
 

~*~
 


 

Ihre nackten Füße versanken in dem kalten feuchten Moos, ein dichter Nebelschleier nahm ihr die Sicht auf ihren Weg, so dass Samantha mehrmals fluchend auf kleine spitze Äste trat. Ihre Hand ertastete einen Baum, welcher dicht mit Efeu bewachsen war, sie blickte an ihm hoch, um mit Hilfe des Mondes erahnen zu können, wo sie sich befand. Doch der Himmel war eine einzige graue Fläche, kein einziger Lichtstrahl drang durch die dicke Wolkendecke hindurch. Sie ging ein Stückchen weiter, lauschte bei jedem noch so kleinen Geräusch auf, welche ihr plötzlich so ungewöhnlich laut vorkamen. Sie hörte eine protestierende Maus zu ihren Füßen fiepsen, Samantha blickte sie an, so als könnte sie sie tatsächlich verstehen.

„Nein…“, raunte die junge Frau und blickte die Maus ungläubig an, „dass kann nicht sein…“

Doch anstatt im nächsten Erdloch zu verschwinden flitzte das Tier den Baumstamm direkt neben Samantha empor, und verschwand genauso schnell in dessen Krone.

Ein unwohles Gefühl machte sich in ihr breit. Sie konnte sich nicht mehr genau an den Traum erinnern, allerdings war sein Ausgang immer noch in ihrem Kopf verankert. War die Maus tatsächlich verschwunden, oder würde sie gleich Kehrt machen, um zu Samantha zurück zu kommen?

„Ich muss mich beeilen…“, murmelte die junge Frau, „es zählt jede einzelne Sekunde!“

Sie kämpfte sich durch ein dichtes Gestrüpp, wurde von zurück schnellenden Ästen gepeitscht, stolperte beinahe erneut über eine Wurzel, welche sich hinterhältig über den Boden schlängelte, doch als sie dies alles bezwungen hatte wurde sie mit einem unheimlichen Déjà-vu konfrontiert, welches ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Sobald sie den Wald verlassen hatte warf sie den Kopf gen Nacken, der dunkelblaue Himmel war mit unendlich vielen weiß leuchtenden Sternen übersät, der gewaltige Vollmond spiegelte sich anmutig in dem See, welcher nur wenige Meter vor ihr lag. Es raubte ihr buchstäblich den Atem so schön und unheimlich zugleich war dieser Anblick für sie, Samantha ging langsam durch das hohe Gras auf den See zu, immer wieder stehen bleibend um sich nach Gefahren umzusehen. Die Wasseroberfläche war völlig bewegungslos, nur das Spiegelbild des Vollmondes, welcher die komplette Umgebung beinahe wie ein Flutlicht erhellte war darin zu sehen. Sie fühlte sich beobachtet, blickte immer wieder unruhig zu allen Seiten, es machte Samantha fast wahnsinnig, dass dieser Moment ihr so vertraut vorkam, wobei er ihr doch eigentlich völlig fremd sein müsste.

Die junge Frau bemerkte den roten Jeep, welcher ein paar Meter vom Seeufer entfernt stand. Er musste also hier sein!

Sie versuchte sich durch tiefes ein und ausatmen wieder zu beruhigen, rieb sich die fröstelnden Arme und ihr Blick wanderte unruhig über das Seeufer und blieb an etwas hängen, was auf halber Strecke auf sie zugelaufen kam. Samanthas Herz setzte für einige Sekunden aus, sie hielt ruckartig den Atem an und starrte auf den dunklen Fleck, welcher immer näher und näher kam. Die Gestalt war jetzt so nahe, dass die junge Frau seine leuchtend gelben Augen erkennen konnte, welche Tommy auf sie gerichtet hielt. Erst direkt vor ihr blieb er stehen, sein Gesicht war völlig ausdruckslos, weder ein Lächeln oder irgendein Anzeichen von Freude, dass er sie endlich wiedersah war zu erkennen. Einige Sekunden lang blickten sich die beiden wortlos in die Augen, nur das leise Rauschen des Windes war zu vernehmen.

„Bist du auch endlich angekommen?“, lächelte Tommy Samantha dann endlich an und legte seine Hand liebevoll auf ihre Wange, „du hast dir aber schön Zeit gelassen.“

„Es tut mir so leid…“, wimmerte sie und dicke Tränen liefen ihr augenblicklich übers Gesicht, „aber ich glaube, ich habe alles kaputt gemacht!“

Er schwieg, streichelte weiterhin ihre Wange und wischte mit seinem Daumen die Tränen weg, dann spürte sie, wie er ihre Hand nahm und ihren zitternden Körper an den seinen zog und sie in seine Arme schloss.

„Dich trifft keine Schuld…“, raunte Tommy ruhig und sog den Duft ihrer Haare tief ein, „ich war viel zu leichtsinnig gewesen!“

„Hätte ich dir und deinem Onkel nur von Anfang an geglaubt, es wäre nie soweit gekommen, wie es jetzt ist! Ich bringe alleine mit meiner bloßen Anwesenheit dein Leben in Gefahr!“

„Ich lasse dich jetzt aber nicht mehr gehen“, sagte Tommy entschlossen und ergriff beide ihrer Hände.

„Hast du mir eben nicht zugehört? Dein Leben ist in Gefahr! Hunter weiß was, nein wer du bist, und er wird nicht aufhören dich zu jagen, bis er dich...“

„Er wird mich niemals erwischen“, grinste Tommy triumphierend, küsste Samanthas Stirn und blickte ihr danach tief in die Augen, „alleine weil ich jetzt so viel habe, um das es sich zu leben lohnt!“

„Du Spinner“, weinte sie erneut und schüttelte den Kopf, löste sich aus seiner Umarmung, „ich versuche hier gerade dein Leben zu retten und du Idiot vergeudest diese Chance, nur um bei mir zu bleiben?“

„Bei euch.“

Samantha starrte Tommy mit weit aufgerissenen Augen an, seine funkelten sie liebevoll und fürsorglich an, dann küsste er sie erneut behutsam auf die Stirn.

„Was zum Teufel meinst zu damit?“, flüsterte sie ehrfürchtig und trat einen Schritt von ihm weg.

„Ich werde euch beide mit meinem Leben beschützen...weil ihr das einzige seid, für das ich jetzt noch existiere“, sagte er, streckte die Hand nach ihr aus, wobei nur seine Fingerkuppen ihren unteren Bauch durch den Stoff ihrer Kleidung berührten, was sich für Samantha wie ein Stromschlag anfühlte.

„Aber wir haben doch nur...einmal...“, wich sie erschrocken einen weiteren Schritt zurück, „woher willst du das so genau wissen? Was, wenn du dich täuscht?“

„Du weißt, welchen Tag wir gestern hatten…“, murmelte er und blickte ehrfürchtig zu Boden, „und du weißt, dass dieser Tag heilig für mich war, in mehr als nur einer Hinsicht…“

„Oh mein Gott…“, flüsterte die junge Frau, legte sich eine Hand flach an den Mund und keuchte.

„Zusammen mit dir an meiner Seite“, raunte Tommy, „wird die Ära der Werwölfe zu neuem Glanz erstrahlen.“

Samanthas Lippen bebten, sie war in diesem Moment überwältigt von dem Chaos an Emotionen, aber vor allem hatte sie gerade jetzt nur noch größere Angst um sein Leben, dass sie Tommy am Liebsten ganz weit weg von hier bringen wollte. Der Drang zur Flucht war größer denn je.

Erst jetzt viel ihr mit Schrecken der Mond wieder ein, welcher immer noch sein helles Licht auf sie strahlte. Samantha wandte ihr Gesicht ruckartig dem Himmel zu, starrte auf den riesigen Vollmond und eine noch nie dagewesene Furcht erfüllte jede Faser ihres nun stark zitternden Körpers. Als sie wie in Zeitlupe erneut zu Tommy blickte hatte dieser bereits seine Augen auf die helle Scheibe über ihnen geheftet.
 

Stille.
 

Eine unheimliche Stille erfüllte alles um den See herum. Es war so ruhig um sie, dass nicht einmal eine Grille zu hören war, kein Grashalm raschelte, während der Wind sanft blies.

„Tommy…“, flüsterte Samantha mit ängstlicher, kaum hörbarer Stimme und wich einige Schritte von dem jungen Mann zurück.

Er wandte seinen Blick ohne zu blinzeln vom Vollmond ab und seine gelb leuchtenden Augen brannten sich in die ihren. Sie hörte, wie sein Atem allmählich schwerer ging, zu einem heißeren Röcheln wurde, während er sie immer noch starr ansah.

„Bitte nicht…“, wimmerte sie, ihre Lippen bebten so stark, dass sie fast kein richtiges Wort mehr herausbrachte, „du musst...dagegen...ankämpfen...“

Er öffnete seinen Mund, wollte ihr anscheinend eine Antwort geben, allerdings formte Tommy seine Lippen so, als müsste er sich gleich übergeben, wodurch die ersten seiner noch menschlichen Zähne herausfielen. Er ging mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck langsam auf seine Knie, hielt sich mit einer verkrampften Hand seinen Brustkorb, sein Mund und Hals waren mit seinem eigenen Blut bedeckt worden, welches durch den akuten Zahnwechsel nur so gelaufen war.

„Tommy...Hunter wird...dich töten...wenn er dich...so sieht“, weinte Samantha bittere Tränen, wich jedoch einen weiteren Schritt von ihm, ging rückwärts langsam auf den roten Jeep zu.

Der Ton, welchen Tommy mittlerweile beim schweren ein und ausatmen von sich gab hatte nichts menschliches mehr an sich, sein Oberkörper zuckte heftig, kippte nach vorn über und er stützte sich mit beiden Händen vom Boden ab. Seine sonst so zerzausten schwarzen Haare fielen ihm büschelweise aus, sein Oberkörper wölbte sich unnatürlich, während die Wirbelsäule gewaltig hervortrat. Er stemmte seine nackten Füße gegen den Boden, rutschte immer wieder ab, so als wolle er sich auf einen Sprint vorbereiten. Allmählich hatte Tommys Hautfarbe einen gräulich braunen Ton angenommen, seine Stimme klang jetzt wie die eines wilden Tieres. Samantha stand immer noch wie eine Salzsäule da, zitterte am ganzen Körper und weinte, nicht, weil das, was sie eben mitansehen musste sie so sehr schockierte, sondern weil ihr die Konsequenzen bewusst waren, was danach passieren könnte. Sollte Hunter Tommy in seiner Werwolfform sehen, würde er ihn ohne zu zögern erschießen.

In diesem Moment zuckte Tommys Kopf auf und er starrte Samantha mit seinen leuchtend gelben Pupillen direkt an. Sein Gesicht sah deformiert aus, er gab laut knurrende Geräusche von sich, während sich sein Unterkiefer langsam nach vorne schob, seine Ohren wuchsen in eine längliche Form und seine restliche Muskulatur schwoll immer mehr an. In diesem Moment hatte Samantha keine brilliante Idee, keine letzte Chance, wie sie Tommy das Leben retten konnte. Sie erwiderte seinen animalischen Blick ein letztes Mal, wandte sich ruckartig von ihm ab und rannte zu dem Wagen hinüber. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass Tommy den Schlüssel hatte stecken lassen und tatsächlich, als Samantha die Türe aufriss erhaschte sie schon einen Blick auf den Schlüsselanhänger. Hastig stieg sie ein, knallte die Wagentüre wieder zu und verriegelte den Jeep. Dann hielt sie für eine Sekunde inne.

„Du weißt aber schon, dass es einen Werwolf nicht interessiert, ob der Wagen verschlossen ist oder nicht? Wenn er rein will, dann kommt er rein!“, schimpfte sich die junge Frau selber, wischte ihre letzten Tränen aus dem Gesicht und drehte den Schlüssel um.

In dem Moment ertönte ein lautes langgezogenes Heulen nur wenige Meter entfernt von ihr, Tommys Transformation war jetzt abgeschlossen, er würde nun jagen gehen.

„Verdammt! Spring endlich an!“, rief die Frau verzweifelt, als der Motor nur klägliche Laute von sich gab.

Sie wagte einen schnellen Blick zu riskieren, der Werwolf befand sich immer noch in einer am Boden kauernden Position. Sein Körper war völlig haarlos, groß und schlank, dennoch waren die durchtrainierten Muskeln gut zu sehen, an seinen Beinen hatte sich ein zusätzliches Gelenk gebildet. Sein Gesicht hatte sich nicht wie in sämtlichen Horrorfilmen in eine längliche Schnauze verformt, nein es sah äußerst menschlich aus, was es dafür umso gruseliger machte. Anscheinend hatte Tommy sie völlig vergessen, was Samantha einige Sekunden Vorteil bringen könnte.

„Nun mach schon…!“, knurrte die junge Frau den Jeep an und schlug zweimal kräftig auf das Lenkrad ein, erwischte beim letzten Mal natürlich die Hupe.

Abrupt hielt sie still, ihr Gesicht drehte sich hastig nach links, von wo aus nun zwei gelb leuchtende Augen auf sie und den Wagen gerichtet waren.

„FUCK!“

Der Werwolf fletschte laut knurrend seine Zähne und Samantha versuchte immer hektischer den Wagen zum Laufen zu bringen, während die Bestie sich langsam pirschend in Bewegung begab.

„KOMM SCHON, KOMM SCHON!“

Plötzlich wippte der rote Jeep heftig nach links und rechts, Samantha schrie entsetzt auf und wurde auf den Beifahrersitz geschleudert, während der Werwolf, welcher sich eben noch gegen das Fahrzeug geschmissen hatte nun lauernd seine Kreise darum zog.

„Von wegen das Lederarmband schützt mich vor seinem Angriff! Das blöde Ding muss kaputt sein!“, fluchte Samantha unter einem genervten Ächzen, setzte sich wieder auf und drehte den Schlüssel erneut im Zündschloss um, ohne auch nur noch einmal nach draußen zu sehen.

Der Motor sprang laut brummend an und Samantha trat prompt das Gaspedal bis zum Anschlag, die Reifen drehten kurz durch und dann begab sich der rote Jeep schon in Bewegung. Nach nur wenigen Metern blickte sie in den Rückspiegel, der Werwolf wurde von den Schlussleuchten rot angestrahlt und sah jetzt nur noch bedrohlicher aus. Bei diesem Anblick machte sich eine gewaltige Gänsehaut auf ihrem gesamten Körper breit.

Der Werwolf gab ein lautes kehliges Jaulen von sich und spurtete dann dem Wagen hinterher, zuerst nur auf zwei, dann auf vier Beinen. Samantha gab noch mehr Gas, den Blick zwischen dem Feldweg vor sich und der jagenden Bestie hinter sich wechselnd. Wo zum Teufel sollte sie jetzt nur hinfahren? Nach Wolfsburrow? Keine schlechte Idee, nur würde Tommy sie allerspätestens dann erwischen, wenn sie den Wagen verlassen, und zu einem der Häuser rennen würde. Sie hatte ja mittlerweile herausgefunden, dass das Lederarmband doch nicht funktionierte.

Zur Ranch? Natürlich! Als wäre ein Werwolf noch nicht genug Problem für sie, also warum dann nicht gleich zwei von der Sorte?

Plötzlich schwankte der Jeep heftig, Tommy hatte anscheinend einen der Hinterreifen erwischt und zerfetzt, Samantha versuchte laut schreiend das Lenkrad gerade zu halten. Mit aller Kraft gelang es ihr noch die Abbiegung vor sich zu erwischen, dann zerstörte der Werwolf auch noch den zweiten hinteren Reifen und das Auto geriet ins Schleudern. Mit einem gewaltigen Aufprall fuhr die junge Frau gegen einen großen Stein, die Scheinwerfer des Wagen gingen sofort aus, der Motor versagte. Alles, was sie jetzt nur noch vernahm war das tiefe hungrige Knurren, welches direkt neben ihr ertönte. Sie zwang sich durch die Nase zu atmen, ihren Puls einigermaßen wieder unter Kontrolle zu bringen, den Blick stur geradeaus gerichtet, trotzdem bemerkte sie die Bewegungen außerhalb des Wagens aus ihrem Augenwinkel. Gleich wird er zuschlagen...

9

Samanthas Körper zitterte heftig, während der Werwolf weiterhin seine Kreise um das Auto herum zog. Hatte Earl ihr vorhin nicht erst erklärt, dass das Lederarmband zu ihrem Schutz dienen und Tommy sie aus diesem Grund nicht angreifen würde?

„Auf keinen Fall werde ich aussteigen, um das jetzt auszuprobieren!“, grummelte sie und versuchte sich weiter zu beruhigen.

Wieso musste es auch unbedingt ein verdammter Werwolf sein? Erneut schaukelte der Wagen heftig und Samantha schrie entsetzt auf, umklammerte verkrampft das Lenkrad und schloss ihre Augen.

„Er wird mir nichts tun. Er wird mir nichts tun. Er wird mir nichts tun!“

Immer wieder wiederholte sie diese Worte wie ein Mantra zu sich selber, und dann war es ganz ruhig um sie herum geworden. Hatte es funktioniert? Oder hatte der Werwolf einfach nur das Interesse an dem Jeep verloren? Vorsichtig öffnete Samantha wieder ihre Augen, linste aus dem Fenster der Fahrertür hinaus und blickte direkt in zwei gelbe Augen, welche genau vor ihr in der Dunkelheit leuchteten. Der Kopf der Bestie war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, alles was die beiden gerade trennte war die dünne Glasscheibe, welche durch die regelmäßigen Atemzüge des Werwolfes beschlug. Samantha sog die Luft scharf ein, doch ihr Körper verweigerte ihr jeden weiteren Dienst. Sie konnte nicht schreien, sich nicht bewegen, gar nichts. Sie saß einfach nur da, und starrte in die Stecknadelkopf großen Pupillen, welche genau auf sie fixiert waren.

„Ich weiß, dass du irgendwo da drin bist, Tommy…“, flüsterte die junge Frau ehrfürchtig mit zittriger Stimme.

Der Werwolf knurrte sie gefährlich tief an, seine spitzen Zähne blitzten hervor und zähflüssiger Speichel tropfte von ihnen. Samantha zwang sich, das Gesicht von ihm abzuwenden und wieder nach vorne zu sehen, genau in diesem Moment bemerkte sie eine Gestalt vor dem Jeep stehend, ein Gewehr im Anschlag haltend.

Noch während sie Luft holte ertönte ein laut knallendes Geräusch, ein Schuss und ein silbernes Netz breitete sich über die Bestie neben dem Jeep aus. Für einige Sekunden tobte der Werwolf, versuchte sich zu befreien, doch dadurch zog sich das Netz immer enger zusammen, bis schließlich nur noch ein gefährlich knurrend und brüllendes Bündel am Boden lag.

„HUNTER!“, rief Samantha wütend aus, stieg aus dem Jeep aus und stellte sich genau zwischen Tommy und dem Jäger.

„Guten Abend, Fräulein“, grinste der alte Mann gehässig und fasste sich zum Gruß an die Krempe seines Hutes.

„Wie zum Teufel hast du uns gefunden?“

„Ach…“, zuckte er mit seinen Schultern und blickte gierig hinter Samantha auf seine Beute, „einem verletzten Vögelchen zu folgen ist nicht allzu schwer. Außerdem war sein Geheule auch nicht gerade leise…“

„Ich lasse dich nicht zu ihm!“

„Ich weiß“, blieb Hunter völlig ruhig stehen, „deswegen warte ich ja auch auf meine Verstärkung.“

Samantha blickte ihn ungläubig an. Wie jetzt?

Der Jäger grinste bei ihrem verdutzten Anblick umso breiter, sein Kopf nickte seitlich, woraufhin die junge Frau verwirrt nach links blickte. Wilma trat in diesem Moment einen Schritt auf sie zu, zwinkerte ihr keck, streckte Samantha dann ihre flache Hand wie für einen Luftkuss entgegen und pustete ein lilafarbenes Pulver mitten in deren Gesicht. Augenblicklich musste Samantha heftig niesen, und dann wurde ihr bereits schwarz vor Augen.
 

~*~
 

Als Samantha das nächste mal ihre Augen öffnete blickte sie einer Zimmerdecke entgegen, an welcher ein Ventilator gemütlich surrend seine Runden zog. Sie blinzelte zwei, dreimal, setzte sich auf und bemerkte, dass sie in einem relativ gemütlichen Bett lag. In einem atemberaubenden weißen Kleid. Die junge Frau hielt inne, sah an sich herunter und überlegte, wo in ihrem Kleiderschrank sie dieses Prachtstück nur versteckt hatte. Sie schwang ihre nackten Füße über die Bettkante und ertastete kalten Holzboden, welcher unter ihrem Gewicht leicht knarrte.

„Ich habe in meinem Apartment aber keinen Holzboden…“, murmelte Samantha verwirrt und blickte sich weiter in dem Zimmer um.

Es war weiß gestrichen, der Holzboden war relativ dunkel, ein recht schöner Kontrast. Gegenüber des großen Bettes stand eine Kommode im selben Farbton wie der Boden, durch das Fenster gleich darüber wehte eine sanfte Brise die Vorhänge in den Raum. Draußen war es heller Tag, worauf hin Samantha umso mehr stutzte. War es eben nicht noch tiefe Nacht gewesen?

Sie zuckte zusammen. Tommy! Sie musste ihn finden und retten!

Auf nackten Füßen rannte die junge Frau aus dem Zimmer, hetzte die Treppe nach unten, wo ihr herrlicher Duft von Pfannkuchen und Kaffee entgegen drang.

„TOMMY!“, rief Samantha laut, den leckeren Geruch komplett ignorierend.

„Ich bin hier!“

Ihr Kopf schnellte herum und sie erblickte Tommy, ihren Tommy, wie er völlig entspannt im Türrahmen auftauchte und sie verwundert ansah. Er trug lediglich nur eine Jeans, welche locker auf seinen Hüften saß, über seine linke Schulter lag ein Küchentuch.

„Warum schreist du so? Ist etwas passiert?“, fragte er leicht besorgt.

„Bitte? Was zum Teufel ist hier los?! Wo ist Hunter? Er hat dich eben noch gefangen und du warst ein Werwolf!“, sprudelte es nur so aus Samantha heraus, während sie auf ihn zu rannte und ihre Arme um seinen nackten Oberkörper schlang.

„Oh man“, lachte Tommy jetzt herzlich und küsste ihren Scheitel, „du musst geträumt haben, mein Liebling…“

„Wir müssen dich verstecken! Hunter wird dich töten, wenn er dich findet!“

„Wer ist Hunter?“, fragte Tommy argwöhnisch nach.

Samantha starrte ungläubig zu ihm auf.

„Der Jäger…“

„Ein Jäger, der Hunter heißt?“ kicherte Tommy und schüttelte den Kopf, „so was kann auch nur dir einfallen, oder?“

„Was…?“

„Du musst dir gestern tatsächlich heftig den Kopf gestoßen haben...wir sind zu Hause. In Sicherheit. Ich wollte dir gleich einen frischen Kaffee nach oben bringen.“

„Ich habe mir den Kopf gestoßen...?“, wiederholte Samantha und fasste sich an ihre Schläfe und sah sich erneut um.

Erst jetzt erkannte sie das Untergeschoss des Wohngebäudes der Ranch, auf welcher Earl und Tommy lebten. Es war renoviert worden, einige Möbel waren neu und standen auch anders, doch es hatte immer noch seinen rustikalen Charme. Samantha ließ unglaubwürdig die Hand sinken und drehte sich einmal im Kreis. Sie spürte, wie Tommy ihr über den Arm streichelte und sie liebevoll ansah.

„Darf ich dich etwas verrücktes fragen?“, murmelte die junge Frau und blickte ihrem Gegenüber schüchtern in die bernsteinfarbenen Augen.

„Natürlich.“

„Bist du ein Werwolf, oder?“

Jetzt lachte Tommy schallend auf, warf seinen Kopf schwungvoll gen Nacken und hielt sich den Bauch. Nachdem er sie erneut anblickte, immer noch lachend, wischte er sich eine Träne aus dem Augenwinkel, küsste Samantha dann leidenschaftlich auf den Mund und drückte sie feste an sich.

„Ich liebe dich“, kicherte er.

„Beantworte meine Frage!“, zwang sie sich ernst zu bleiben und schob sich von Tommy weg.

„Natürlich bin ich ein Werwolf! Vor knapp einer Woche war erst Vollmond, hast du das schon wieder vergessen?“

Samantha atmete tief durch, es war also wirklich IHR Tommy. Jetzt war sie es, die ihn feste an sich drückte und ebenfalls „ich liebe dich!“ murmelte.

Erneut drückte er ihr einen Kuss auf den Scheitel und ging dann zurück in die Küche, Samantha folgte ihm.

„Das Frühstück ist gleich fertig“, verkündete Tommy und wendete geschickt den Pfannkuchen, welchen er gerade briet, „wärst du so lieb und weckst die Kinder?“

Wie ein heftiger Stromschlag durchzuckte es Samanthas Körper und sie starrte ihn nun völlig ungläubig an.

Kinder?

Mit einem mulmigen Bauchgefühl stieg die junge Frau erneut die Stufen empor, ging allerdings diesmal in das rechte Zimmer, wo sie bereits von einem kleinen freudig hüpfenden Knirps in seinem Gitterbett erwartet wurde. Samantha ging zögernd auf das Kleinkind zu, welches mittlerweile breit grinsend seine Arme nach ihr ausstreckte, hob es auf ihre Hüften und hielt erschrocken inne. Das fühlte sich so gut an, so richtig, so als wäre es nie anders gewesen…

Das Kleinkind kicherte, während Samantha ihm die längeren schwarzen Haarsträhnen aus der Stirn streichelte und in seine bernsteinfarbenen Augen blickte.

„Ganz der Papa, hm?“, schmunzelte die Frau und gab dem Kind einen liebevollen Kuss auf die Wange.

„Das ist nicht der Papa. Das ist Henry!“, ertönte in diesem Moment eine helle Mädchenstimme.

Samantha drehte sich um und blickte auf das zweite Kind, welches sie mit mehreren Zahnlücken angrinste. Das Mädchen war zirka sechs Jahre alt, hatte lange schwarze Haare und ebenfalls bernsteinfarbene Augen.

Die Frau bemerkte, wie ihr heiße Tränen über die Wangen liefen, sie hielt sich augenblicklich die freie Hand vor den zitternden Mund und schniefte laut.

„Aber Mama! Du musst doch nicht weinen!“, rief das kleine Mädchen erschrocken und schlang seine dünnen Ärmchen um Samanthas Oberschenkel.

In diesem Moment ging die Zimmertüre weiter auf und Tommy trat ein, blickte Samantha mit großen Augen an, sagte jedoch nichts.

„Ich bin...so glücklich…“, brachte diese zwischen zwei Schluchzern hervor und streckte eine Hand nach ihm aus.

Sofort schmunzelte Tommy schelmisch, genau dieses spitzbübische Schmunzeln, welches sie so sehr an ihm liebte und nahm sie in den Arm, nachdem er seine Tochter ebenfalls auf seine Hüfte gehoben hatte.

„Rudelknuddeln!“, jauchzte die Kleine erfreut und schlang ihre Ärmchen um den Hals ihres Vaters.

Nach der Umarmung sah Tommy seiner Frau noch einen Moment intensiv in die Augen, bevor Samantha den kleinen Jungen auf dem Boden abstellte und dessen noch wackligen Körper mit einer Hand stabilisierte.

Das Mädchen, welches immer noch von Tommy getragen wurde knurrte diesen spielerisch an, als er sein Gesicht ihr zuwandte rieb sie breit grinsend ihre Nase an der seinen, knurrte und kicherte. Tommy tat es ihr gleich, bevor er verkündete, dass die Pfannkuchen kalt würden, und sie nun endlich frühstückten sollten.
 

~*~
 

Samantha spürte, wie ihr Tränen über die Schläfen rannten, als sie langsam wieder zur Besinnung kam. Sie weigerte sich, ihre Augen zu öffnen, spürte nur, das sie auf etwas kaltem harten lag. Neben sich hörte sie schwer atmende Geräusche, metallisches Rascheln, dann ein erschöpftes Seufzen.

„Ah...sie kommt langsam wieder zu sich…“, ertönte plötzlich eine Frauenstimme.

Sie brauchte einige Sekunden, bis sie diese erkannt hatte und riss ihre Lider auf und blickte Wilma, welche grinsend auf sie herabsah direkt ins Gesicht.

„Guten Morgen, Sonnenschein!“, strahlte die Wicca, nahm Samanthas Hände in die ihren und zog sie mit einer geschmeidigen Bewegung in eine aufrechte Position, „herzlich willkommen, zu unserem eigenen Mondscheinfest!“

Samanthas Blick wanderte benommen zu ihrer linken, woher die klimpernden Geräusche gekommen waren. Tommy stand in seiner menschlichen Form an der Wand, seine Arme waren nach oben an zwei Handschellen gefesselt, mehrere Schnitt und Stichwunden zierten seinen nackten Oberkörper, sein Gesicht sah ebenfalls übel zugerichtet aus. Völlig am Ende seiner Kräfte erwiderte er Samanthas Blick, dann wanderten seine Augen auf die Wand gegenüber, sie tat es ihm gleich.

Erst dann wurde ihr mit Schrecken bewusst, wo sie sich gerade befand…

Die beiden blickten Tommys transformierte Eltern direkt an, Samantha durchflutete ein schuldbewusster Schmerz, sie wandte ihre Augen von Henry und Louise ab, starrte auf ihre Hände, welche immer noch in Wilmas Griff lagen.

„Was machst du hier…?“, fragte die junge Frau an die Wicca gewandt, „hast du ihn so übel zugerichtet?“

„Ich?“, rief die rothaarige empört aus, „nein, meine Liebe. Ich war nur Publikum. Ich bin allein nur wegen dir hier.“

„Wegen mir?“

„Ich habe dir doch versprochen, dass wir beide unser eigenes Mondscheinfest haben werden. Ich muss zugeben, dass Hunters Keller nicht so prachtvoll geschmückt ist, wie es meine Hütte gewesen wäre…“

„Du hast einfach nur zugesehen? Auch wenn du Tommy nicht leiden kannst, so weißt du doch, was er mir bedeutet!“, Samanthas Stimme verwandelte sich in ein heißeres Schluchzen.

„Der Köter interessiert mich nicht die Bohne…“, winkte Wilma gleichgültig ab.

In diesem Moment trat Hunter in den Kellerraum und blickte Samantha mit seinem einen Auge kurz an, bevor er sich erneut Tommy widmete.

„Deine Wunden beginnen wieder zu heilen...wo waren wir stehen geblieben?“, fragte er diesen und grinste gehässig.

Tommy legte seinen Kopf schief, grinste ebenfalls und murmelte: „Du warst gerade dabei mir die Fesseln abzunehmen, damit ich mich für die Klinge aus Silber revanchieren kann.“

„Netter Versuch, Bürschchen! Aber ich muss zugeben, dass du zäher bist, als ich angenommen hatte!“

Tommy verfolgte Hunter mit seinen Augen, als dieser zum Waffenschrank ging, die Türen öffnete und sein Arsenal begutachtete. Der alte Mann warf Wilma einen fragenden Blick über die Schulter zu.

„Wie lange haben wir noch bis Sonnenaufgang?“

„Du hast noch genug Zeit“, winkte sie erneut ab.

„WIESO TUT IHR DAS?!“, schrie Samantha die beiden jetzt an.

Blanke Wut brodelte in ihr, purer Hass war jetzt das einzige, was sie für Hunter und Wilma noch empfinden konnte.

„Ich habe dir doch bereits gesagt, dass ich nur wegen dir hier bin.“

„Was willst du von mir?! Ich habe nichts, dass ich dir geben kann!“

Wilmas Mund verformte sich augenblicklich zu einem süffisanten Lächeln und ihre Augen funkelten listig.

„Ich will dein Herz essen…“, raunte sie schließlich, zog einen langen schwarzen Dolch hervor und leckte einmal genüsslich mit ihrer Zunge an der Klinge entlang, „ich werde es dir aus deiner Brust schneiden und den Köter dabei zusehen lassen, wie ich es genüsslich verspeise!“

Samantha starrte sie ungläubig mit weit aufgerissenen Augen an, während Tommys Fesseln gefährlich raschelten, als er sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen stemmte.

„Das sind Handschellen aus reinem Silber“, meinte Hunter, welcher mittlerweile wieder zu seinem Opfer gekommen war, „dagegen kannst du nicht das Geringste entgegenbringen!“

„Ich muss nur das Fleisch deiner Kehle zwischen meine Zähne bringen“, knurrte der junge Mann tief und schnappte nach dem Jäger, „dafür brauche ich meine Hände nicht!“

„Ja genau...wehr dich noch ein bisschen…“, flehte Hunter ehrfürchtig, „umso länger werden wir beide zusammen Spaß haben!“

„Hunter! Du musst das nicht tun! Tommy und sein Bruder haben mit dem Tod deiner Familie nichts zu tun! Es war ein Unfall!“, rief Samantha aufgebracht und sprang von der Bahre herunter, auf welcher sie noch vor wenigen Minuten bewusstlos gelegen hatte.

„Halt dich da raus, Weib!“, fauchte Hunter sie dermaßen an, das die Speicheltröpfchen nur so flogen, „das macht meine Familie nämlich auch nicht mehr lebendig!“

Der Jäger hielt eine Spritze mit angsteinflößend langer Nadel in die Luft, in ihrer Kammer war eine lila bläuliche Flüssigkeit. Tommy blickte ausdruckslos auf die Spritze, welche Hunter ihm breit grinsend vors Gesicht hielt.

„Wilma hat extra für mich ein Konzentrat aus Wolfswurz zubereitet. Es wird dich zwar nicht umbringen, aber mal sehen, wie lange du dich unter den höllischen Schmerzen winden wirst…“

Der Jäger hob die Spritze noch höher, bis die Nadel kurz vor Tommys Hals schwebte.

„NEIN! DAS LASS ICH NICHT ZU!“

Augenblicklich stürzte sich Samantha auf den alten Mann, schlang von hinten ihre Arme um dessen Hals, wollte ihn so aus dem Gleichgewicht bringen. Doch diese Rechnung hatte sie leider ohne Hunter gemacht…

Der alte Mann griff nach einem ihrer Handgelenke, zog es mit beeindruckender Leichtigkeit von seinem Hals weg, drehte sich zu der jungen Frau um und verpasste ihr eine dermaßen schallende Ohrfeige mit seinem Handrücken, dass es Samantha einmal um die eigene Achse drehte und sie schließlich ungebremst zu Boden ging.

„Ich habe dich gewarnt!“, fauchte der Jäger sie böse an.

Ihre Rippen riefen ihr in diesem Moment schmerzhaft wieder in Erinnerung, dass sie solche Aktionen eigentlich unterlassen sollte. Schwerfällig keuchend setzte sich die junge Frau wieder auf, schmeckte Blut in ihrem Mund und wischte sich über den pochenden Mundwinkel. Als sie dann erneut aufblickte sah sie Tommys hasserfüllte leuchtende Augen, wie sie sich in Hunters Gesicht brannten, ihm den Tot wünschten. Erneut lehnte sich der junge Mann gegen seine Fesseln, was ihm unheimliche Schmerzen zufügen musste.

„Du hättest einfach auf ihn hören sollen…“, sagte Wilma so höhnisch es nur ging, zog Samantha wieder auf die Beine und hielt ihr den Dolch an den Hals, „und jetzt wirst du dich brav wieder auf die Bahre legen…“

„Sonst was…?“, fauchte Samantha gefährlich ruhig und funkelte die Wicca angriffslustig an.

„Jetzt tu nicht so, als würdest du großartig Gegenwehr leisten“, lachte die rothaarige auf und stieß ihr Opfer in Richtung Bahre.

Samantha knallte dagegen, stieß sich jedoch gleich wieder davon ab und nutzte den Schwung, holte aus und schlug Wilma mit voller Wucht die Faust ins Gesicht. Diese taumelte benommen zurück, prallte gegen das hölzerne Regal und wurde unter herunterfallenden Holzbrettern und was darauf gestanden hatte vergraben.

„Meine Frau!“, lachte Tommy stolz, legte seinen Kopf gen Nacken, ließ ihn wieder vorschnellen und verpasste Hunter somit eine heftige Kopfnuss.

Dieser ging ohne einen weiteren Laut ebenfalls zu Boden und blieb regungslos liegen.

„Ist er tot?“, fragte Samantha und eilte zu Tommy rüber, um seine Fesseln zu lösen.

„So einen Dickkopf habe ich nun auch wieder nicht“, beschwerte er sich und drückte ihr einen eiligen Kuss auf die Schläfe.

„Verdammt! Ich kriege diese Scheißdinger einfach nicht auf!“, fluchte die junge Frau und riss ein paar Mal an der Kette, „kannst du dich nicht einfach verwandeln und sie sprengen?“

„Guck mal an die Decke, mein Schatz…“, murmelte Tommy, „im ganzen Raum hängen Sträuße mit Eisenhut. Hier verwandelt sich niemand.“

Plötzlich ertönte ein helles zynisches Lachen den Raum, Bücher und Glasgefäße wirbelten durch die Luft und Wilma erhob sich wieder zu ihrer vollen Große, stemmte die Hände in die Hüften und funkelte Tommy herausfordernd an.

„Sag das noch mal, du dummer Köter!“

Sie zog den Dolch, welcher im Moment noch in ihrem Oberschenkel steckte unter einem schmerzerfüllten Stöhnen heraus, streichelte sich einmal mit ihrer flachen Hand über die Wunde, welche sofort verheilte.

„Verdammte Hexe!“, fauchte Tommy sie wütend an.

Wilma kicherte und hielt Samantha erneut den Dolch entgegen.

„Ich werde dich kein weiteres Mal bitten. Oder soll ich ab jetzt deutlicher werden?“

„Aber ich dachte, dass wir beide uns gut verstehen würden! War das denn alles nur gespielt von dir?“, wollte Samantha wissen.

„Oh ich kann dich schon leiden. Du hast ordentlich Schwung in die ganze Sache gebracht, vor allem jetzt, wo du weißt, wie Hunters Familie ums Leben gekommen ist...das sollte eigentlich unser kleines Geheimnis bleiben, nicht wahr, Tommy?“

Samantha warf ihren Kopf zu dem Mann hinter sich herum und starrte ihn ungläubig an. Zu ihrer Überraschung sah dieser allerdings genauso verblüfft aus wie sie.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest…“, knurrte dieser.

„Ach ja...du warst damals noch sehr klein…“, erwiderte Wilma und tippte sich mit der Klingenspitze gegen den Kopf, „in meinem Alter hat man jegliches Zeitgefühl verloren, sorry.“

„Was heißt hier in deinem Alter?! Du bist kaum älter als zwanzig!“, beschwerte sich Samantha.

„Dankeschön“, strahlte ihr Gegenüber verzückt, „und nachdem ich endlich dein Herz gegessen habe werde ich auch viele weitere Jahre so aussehen!“

Samantha wich einen Schritt zurück, als Wilma lässig in ihre Richtung ging, den Dolch weiterhin auf sie gerichtet.

„Samantha, lauf!“, brummte Tommy und lehnte sich erneut gegen seine Ketten, „bring dich in Sicherheit!“

„Nein! Ich lass dich hier nicht alleine!“

„Oh mein Gott! Ihr beiden seid so süß, ich könnte KOTZEN!“, lachte Wilma und gab würgende Geräusche von sich, „wohin soll sie denn fliehen, Köter? Dein Wagen ist Schrott, schon vergessen?“

Die Wicca ging einen weiteren Schritt auf die beiden zu, Samantha stand mit ihrem Rücken mittlerweile direkt vor Tommy, würde er seinen Kopf nach unten senken…

Ja genau! Das war die Idee!

„Warte!“, rief Samantha eilig und blickte erneut zu Tommy auf, „beiß mich!“

Seine bernsteinfarbenen Augen weiteten sich ungläubig. Er blinzelte zwei, dreimal und verstand immer noch nicht.

„Wenn ich infiziert bin, dann wird sie mein Herz nicht mehr haben wollen!“

„Netter Versuch, aber es interessiert mich kein bisschen, ob du ein Werwolf bist oder nicht.“

Verdammte Scheiße, es hätte ja einmal so einfach sein können! Wilma war mittlerweile so nah gekommen, dass sie Hunters Körper neben sich liegen sehen konnte, sie stieß mit ihrem Stiefel gegen sein Bein, woraufhin der alte Mann angestrengt stöhnte.

„Komm schon, Hunter…reiß dich endlich mal zusammen!“, befahl die Wicca.

„Du sagtest, dass der Tod von seiner Familie unser Geheimnis sei“, brummte Tommy, „was hast du damit gemeint?“

Der alte Mann riss sein Augenlid auf und starrte die rothaarige herausfordernd an. Wilma verdrehte theatralisch die Augen, stöhnte genervt und kickte einen imaginären Stein weg.

„Also gut! Wenn ihr es alle so unbedingt wissen wollt!“, meinte sie und spielte gelangweilt mit ihrem Dolch, „ich kann euch am Ende ja doch alle umbringen!“

Samantha erkannte die junge Frau, welche sonst immer so hilfsbereit gewesen war nicht mehr. Was war in den letzten Stunden nur mit ihr passiert, dass sie sich dermaßen gewandelt hatte? Hunter zog sich ächzend an der Bahre hoch, hielt sich seine schmerzende Stirn.

„Vor mehr als hundertfünfzig Jahren war ich durch mein ständiges verwandeln in Tierwesen ziemlich am Ende meiner Kräfte angelangt, also schlug ich erst einmal hier in der Nähe mein Lager auf. Um meine Magie nicht zu verlieren und meine Jugend beizubehalten brauchte ich, je nach Verwandlung die Herzen junger Frauen. Habt ihr eine Ahnung, wie schwer es ist, an einem abgeschiedenen Ort wie diesem an solche Herzen zu kommen?! Wolfsburrow liegt mitten im Nirgendwo, es geschieht nur selten, dass sich mal jemand fremdes hierher verläuft, auf der anderen Seite allerdings fragt auch niemand großartig nach, sollte alle Jahre mal eine junge Frau verschwinden...es ist Fluch und Segen zugleich! Also musste ich all die Zeit immer ein bisschen nachhelfen.“

„HUNDERTFÜNFZIG?!“, rief Samantha ungläubig aus und schüttelte den Kopf, „sorry, aber das glaube ich dir nicht!“

„Nun ja...wie schon gesagt ich reinkarniere mich durch die Herzen junger Frauen immer selber. Es ist wie eine neue Batterie einzusetzen.“

„Moment mal! Soll das etwa heißen…“

Samantha hielt abrupt inne und schlug voller Entsetzen die Hände vor ihren Mund. Es machte plötzlich alles Sinn. Jedes Mal, wenn Wolfsburrow beinahe am Rande der Ausrottung gestanden hatte...das war alles Wilma gewesen!

„Das heftige Fieber...die Geistlichen…“

Wilma grinste breit und zeigte stolz mit dem Daumen auf sich: „Ganz genau! Das geht alles auf meine Rechnung. Die beiden Ereignisse sind allerdings nur die radikalsten, welche ich damals verursacht habe...die vielen kleinen sind ja nie aufgezeichnet worden.“

„Du MONSTER!“

„Oh bitte!“, erhob Wilma plötzlich verärgert ihre Stimme und fuchtelte wild mit dem Dolch herum, „sei ehrlich, Samantha! Wenn du an meiner Stelle gewesen wärst, hättest du genauso gehandelt! Für solch mächtige Kräfte ist dies nur ein geringes Opfer!“

„Niemals würde ich Menschen töten!“

„Das sagst du jetzt. Stell dir einfach mal vor, eine unbändige Macht fließt durch deinen Körper, mit der du machen kannst, was du willst! Niemand weißt dich in die Grenzen, niemand kann es mit dir aufnehmen!“

„...nur damit ich mich in Mäuse und schwarze Katzen verwandeln kann?!“, fragte Samantha skeptisch.

Hinter ihr klapperten Tommys Ketten, als sie ihm einen Blick zuwarf bemerkte sie, wie seine Kiefer mahlten und seine Augen die Wicca starr anblickten.

„Auf jeden Fall war ich vor zwanzig Jahren erneut ziemlich erschöpft“, fuhr Wilma schließlich fort, so als würden sie sich nicht gerade bei Vollmond in einem stickigen Folterkeller aufhalten, „ich brauchte ein Herz und das dringend.“

Sie warf Hunter einen wissenden Blick zu, der alte Mann erwiderte den ihren , sah dabei noch etwas verwirrt aus. Die rothaarige Frau zog einen theatralischen Schmollmund und beäugte erneut ihren schwarzen Dolch.

„Es kam mir einfach zu gelegen, dass deine Familie an genau diesem Tag ein Picknick im Wald machen wollte. Ich konnte nicht widerstehen! Ich lockte dich mit einem Tierschrei weg und griff dich an. Ja das war ich gewesen. Deine Tochter...es war so köstlich...ihr Herz...es schlug noch, als ich den ersten Bissen nahm. Nur zu dumm, dass ich von Tommys Eltern, den beiden Werwölfen bei meinem Festmahl unterbrochen wurde...“

Hunters Auge trat gewaltig hervor, als er endlich verstand, was Wilma ihm da gerade gestanden hatte. Er zog wortlos seinen Colt, spannte den Hahn und schoss auf sie, Wilma traf die Kugel genau zwischen die Augen, sie wurde nach hinten geschleudert und fiel zu Boden. Hunter blickte ihren leblosen Körper so hasserfüllt an, dass sogar Samantha das Blut in den Andern gefror.

„Samantha!“, flüsterte Tommy plötzlich und holte sie aus ihrer Trance zurück, „schnell, dass ist unsere Chance!“

Eilig machte sich die junge Frau erneut an seinen Handschellen zu schaffen, während Hunters schwerfälliges Atmen an ihre Ohren drang.

„Du Miststück“, spuckte der alte Mann auf Wilmas Leiche, „du hast mich Jagd auf völlig unschuldige machen lassen!“

„Diese Erkenntnis macht meine Eltern jetzt auch nicht mehr lebendig“, sagte Tommy so hart, dass Samantha in ihrem Tun innehielt.

Hunter wandte sich zu den beiden um, Samantha und Tommy erwiderten seinen Blick. Sein Gesicht war nun das eines alten gebrochenen Mannes, er ließ die Schultern hängen und warf den Colt beinahe schon gleichgültig auf die Bahre.

„Es tut...es tut mir so leid…“, schluchzte Hunter, „auch das mit dir, Samantha! Dieses hinterhältige Miststück versprach mir, dass ich meine ersehnte Rache bekommen würde, sobald ich dich nach Wolfsburrow gebracht hätte…“

„Bitte was? Was sagst du da? Es war also gar kein Zufall, dass du mich an jenem Abend gefunden hast?“

„Nein. Wilma klopfte an diesem Morgen an meine Tür und meinte, dass wir uns gegenseitig helfen könnten. Sie erklärte mir, dass sie in einer Vision eine junge Frau auf dem Pfad gesehen hätte, welche der Schlüssel zu meiner Rache sein würde. Und so kam es, dass ich dich gefunden und nach Wolfsburrow gebracht habe. Geduldig solle ich sein, sagte sie mir, dass ich immer ein wachsames Auge auf dich haben solle…“

Hunter ging auf die beiden zu, seine schweren Schritte schlurften über den staubigen Kellerboden. Automatisch stellte sich Samantha vor Tommy und breitete ihre Arme zum Schutz aus, hielt Hunters ausdruckslosen Blick tapfer stand. Doch dieser ignorierte die junge Frau völlig und sah Tommy in die Augen, als er knapp vor den beiden zum stehen gekommen war.

„...sie sagte mir, dass sich meine Beute schon sehr bald zeigen würde, dass Samantha lediglich der Köder sei...natürlich habe ich dich an ihrer Seite wahrgenommen, allerdings sah ich nur, dass ich zwei junge Menschen dabei beobachtete, wie sie sich verliebten. Das war nicht in meinem Interesse, also wollte ich in die Wälder fahren, um dort jagen zu gehen. Ich verteufelte Wilma schon, dass sie mich in die Irre geführt hatte. Doch dann...“

Tommys Kiefer mahlten kräftig aufeinander, seine Gesichtsmuskeln spannten sich an und er schüttelte seinen Kopf.

„Ich saß praktisch schon in meinem Wagen, als ich gestern Nacht deinen Schrei gehört habe. Und in diesem Moment fiel mir wieder ein, dass du deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten bist…“

Hunter wandte sein Gesicht dem verwandelten Werwolfkopf an seiner Wand zu.

„Wilma versicherte mir, dass wenn ich Samantha ordentlich Angst machen würde, sie mich praktischerweise direkt zu dir führen würde. Also tat ich das auch.“

Hunter presste seine Lippen feste aufeinander, senkte den Kopf und schluchzte laut auf. Er hielt sich eine Hand vor den Mund gepresst, mit der anderen fasste er sich in die Tasche seines Ledermantels. Ohne Samantha richtig anzusehen hielt er plötzlich einen kleinen Schlüssel in die Luft, welchen sie zögernd annahm.

„Ich kann mich nicht oft genug bei euch beiden entschuldigen...macht, dass ihr hier verschwindet…“, murmelte der alte Mann und wandte sich von den beiden ab.
 

~*~
 

Samantha entfuhr ein schriller Schrei, als sie Wilma plötzlich breit grinsend vor Hunter stehen sah. Aus dem Einschuss floss Blut, sie verdrehte ihre Augen nach hinten, so dass nur noch das weiße zu sehen war und kurz darauf presste sich die Kugel aus der Wunde, diese fiel mit einem leisen „Klong“ zu Boden. Sie schloss mit einem entspannten Seufzer die Augen, ließ ihre Nackenmuskulatur knacken und als sie dann wieder ihre Lider öffnete leuchtete ihre Iris in einen kräftigen Rot. Noch bevor Hunter irgendwie reagieren konnte stieß sie ihm den schwarzen Dolch mitten ins Herz, drehte die Klinge mehrmals, bis der alte Mann leblos zu Boden ging.

„SAMANTHA!“, rief Tommy außer sich, „SCHNELL!“

Die junge Frau starrte immer noch völlig regungslos zu der Wicca, welche über Hunters Leiche stieg, ihren Dolch aus dessen Brust zog und sein Blut an ihrem Mantel abwischte. Diese Augen...diese leuchtend roten Augen…

„Du...du...bist…“

„Kannst du dich noch daran erinnern, dass du mich gefragt hast, in welche Tiere ich mich sonst noch so verwandeln könnte?“, fragte die rothaarige, beäugte die schwarze Klinge in ihrer Hand, dann Samanthas kreidebleiches Gesicht, „soll ich dir meinen allerbesten Trick zeigen?“

Hinter ihnen brüllte Tommy und zerrte an seinen Ketten dermaßen laut, dass es Samantha augenblicklich aus ihrer Starre löste. Sie schnellte herum, versuchte mit zittrigen Händen den kleinen Schlüssel in das noch kleinere Schloss der Handschellen zu stecken.

„Komm schon!“, fluchte die junge Frau außer sich.

Mit einem leisen klickenden Geräusch schaffte sie es dann endlich, sie drehte den Schlüssel und die erste Fessel sprang auf und gab Tommys rechten Arm frei. Doch bevor sie es mit dem zweiten Schloss gleichtun konnte wurde sie in eine dichte lilafarbene Wolke gehüllt, ihr Körper wurde von Tommy weggezogen und dann schwebte sie plötzlich knapp über den Kellerboden in der Luft.

„Hier spielt die Musik!“, hörte sie Wilmas Stimme, welche jetzt um einiges tiefer und bedrohlicher klang.

Samantha wurde in ihrer schwebenden Position langsam zu der Wicca herumgedreht, welche mit ihrer freien Hand geschmeidige Bewegungen ausführte. Erst als sich die Frauen erneut gegenseitig in die Augen sehen konnten ließ Wilma sie wieder zu Boden sinken, die lilafarbene Wolke entfernte sich gänzlich von Samanthas Körper und umhüllte nun die rothaarige Frau, welche ihrem Gegenüber ein letztes gehässiges Grinsen zuwarf, bevor ihr Gesicht in dem lilafarbenen Nebel völlig verschwand. Für wenige Sekunden konnte Samantha nur noch die roten Augen aus der Wolke heraus leuchten sehen.

Dann machte es Puff.

Samanthas Knie gaben augenblicklich nach, ihre Augen waren weit aufgerissen auf das gerichtet, was nun langsam aus der lilafarbenen Wolke gelaufen kam.
 

Es war das Tier mit den roten Augen…
 

Erst als die letzten Reste des farbigen Nebels verschwunden waren schüttelte es sein schwarzes Fell einmal kräftig durch, fletschte dann seine langen spitzen Zähne und setzte zum Sprung an. Wie durch ein Wunder reagierte Samanthas Körper völlig automatisch und sie rollte sich schnell zur Seite, stemmte sich wieder auf ihre Füße und suchte vergebens nach Hunters Colt. Das Tier mit den roten Augen rutschte wenige Zentimeter über den staubigen Boden, nachdem es auf diesem gelandet war und setzte erneut zum Angriff an, doch genau in diesem Moment löste sich Tommys zweite Handschelle und er stürzte sich wild knurrend auf Wilmas Tiergestalt. Er presste seine muskulösen Arme um ihre Kehle, versuchte sie durch sein Gewicht zu Boden zu drücken, doch das Tier mit den roten Augen warf ihn nach nur wenigen Versuchen erfolgreich von sich. Tommy rollte sich geschmeidig über den Boden, sprang auf und war mit nur einem Satz bei Samantha, welche immer noch heftig zitterte. Er packte sie wie einen Sack Getreide, warf sich die junge Frau mit Leichtigkeit über die Schulter und riss den Waffenschrank aus deiner Wandhalterung, bevor er ihn auf Wilma fallen ließ, welche in diesem Moment auf die beiden losgehen wollte. Ein lauter Knall, metallisches Klirren gelang an Samanthas Ohr, dann wurde sie durchgeschüttelt, während Tommy mit ihr über der Schulter aus dem Keller rannte.

Draußen war es tiefe Nacht, der kalte Wind drang endlich in ihre Lungen, vertrieb den stickigen Kellergestank. Samantha tätschelte Tommy nach kurzer Zeit auf die Schulter, er verstand und sprang einen letzten gewaltigen Satz, setzte sie nach seiner sicheren Landung vorsichtig auf dem kalten Waldboden ab und blickte ihr fürsorglich ins Gesicht. Sie hielt sich sofort die gepeinigten Rippen, wandte ihren schmerzverzerrten Gesichtsausdruck von ihrem Retter ab und holte tief Luft.

„Samantha…“, murmelte Tommy besorgt, „du musst dich verstecken!“

Behutsam legte er ihr eine Hand auf die Schulter und drückte ihren Körper sanft in das nächst größere Gebüsch. Während dessen durchfuhr es die junge Frau wie ein Stromschlag, sie fuhr herum und schlug seine Hand weg. Tommy blickte sie verwirrt und besorgt zugleich an, hielt jedoch in seiner Position inne, während seine bernsteinfarbenen Augen auf ihr ruhten. Als sie ihn aufgebracht an funkelte bedeutete er ihr mit dem Zeigefinger auf seinen Lippen, dass sie nicht wie sonst gleich losschreien sollte.

„Warum zum Teufel hast du gestern Abend und vorhin Jagd auf mich gemacht?!“, fauchte sie ihn leise an und stieß mit der flachen Hand gegen seine nackte Brust, „ich dachte dieses Lederarmband sei dafür da, dass du mich als eine von euch erkennst!“

„Ich habe dich nicht gejagt…“, erwiderte Tommy gelassen, doch dann schien er sich in ihre Situation zu versetzten, „okay, vielleicht habe ich das ein bisschen. Aber ich wollte dich nur vertreiben, damit du mir nicht im Weg stehen würdest, wenn ich gegen diese beiden Verrückten da kämpfe!“

„Verdammt noch mal, Tommy! Ich hab mir fast in die Hosen geschissen vor Angst!“

„Tut mir leid. Allerdings kann ich in meiner Wolfsform nicht mehr in der menschlichen Sprache kommunizieren.“

„Du hast dich sehr deutlich ausgedrückt, keine Sorge!“

„Tut mir leid!“, wiederholte er sich.

Die blickten sich für einige Sekunden wortlos an, dann machte Samantha einen Satz nach vorne und schlang ihre Arme um seinen nackten Oberkörper. Sie hatte große Mühe, ein Schluchzen zu unterdrücken, ihr Körper zitterte erneut, während Tommy ebenfalls seine Arme um sie schlang.

„Ich dachte schon, ich hätte dich verloren…“, flüsterte sie mit bebender Stimme.

Er presste seine Lippen auf ihren Scheitel und sog ihren Duft tief ein, dann schob er sie ein kleines Stück von sich und betrachtete sie forschend.

„Wie geht es euch?“, erkundigte er sich.

„Meine Rippen haben etwas abbekommen“, gestand sie.

„Ich meinte EUCH!“

Samantha hielt inne. Ach ja…

Sie legte behutsam eine flache Hand gegen ihren Unterleib und horchte in sich hinein.

„Bist du dir auch ganz sicher…?“, fragte sie ihn immer noch ungläubig.

„Samantha! Hast du wirklich immer noch Zweifel, nachdem, was du mittlerweile alles erlebt hast?“, brummte Tommy genervt.

Sie duckte sich unter seinem schroffen Tonfall, schüttelte allerdings mit dem Kopf. Sie hatte nach allem tatsächlich keinen Grund mehr an irgendetwas zu zweifeln.

„Was machen wir jetzt?“

„Zuerst bringe ich euch beide in Sicherheit. Dann kümmer ich mich um dieses Miststück von Hexe!“

„Sie war an allem Schuld...wegen ihr mussten Hunter und du so viel Schmerz ertragen…“

„Ich hatte dich darum gebeten, Abstand zu ihr zu halten“, erinnerte Tommy sie.

„Wahrscheinlich war sie auch daran Schuld, dass mein Leihwagen zum Liegen gekommen ist. Aber warum hat sie mich an jenem Tag im Wald noch nicht getötet? Niemand hätte es mitbekommen!“

„Hunter. Sie wollte mich aus dem Weg räumen. Wären wir beide uns nie begegnet…“

„Aber was hätte sie davon gehabt, wenn du nicht mehr am Leben wärst?“

„Ich bin der Alphawolf meines Rudels. Nur durch mich können neue Werwölfe gezeugt werden.“

„Wusstest du die ganze Zeit, dass sie das Tier mit den roten Augen ist?“

„Nein. Sie hatte zwar einen eigenartigen Geruch an sich, allerdings nie den einer derartigen Bestie.“

„Kannst du es auch wirklich mit ihr aufnehmen?“

„Samantha“, lächelte Tommy jetzt wieder fürsorglich und streichelte ihre Wange, „wenn nicht ich, wer dann?“

„Bitte pass auf dich auf…“

„Selbstverständlich. Schließlich will ich meine Kinder zusammen mit dir aufwachsen sehen!“

Durch Samanthas Körper zog sich ein angenehm süßer Schmerz, als sie an ihren Traum zurückdachte. Sie lächelte und nahm Tommys Hand, mit welcher er sie eben noch so sanft gestreichelt hatte und hielt sie fest in ihrer.

„Ich habe sogar schon Namen, welche dir sicherlich auch gefallen würden…“, flüsterte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihre Lippen zärtlich auf seine.

„Du kannst sie mir morgen früh verraten...zuerst muss ich mich noch um Wilma kümmern.“

Samantha blickte in die tief dunkle Nacht, welche sich vor ihnen erstreckte. Sie presste ihre Lippen aufeinander und schielte verlegen zu Tommy auf.

„Mir ist da gerade eine Idee gekommen, wie wir sie in eine Falle locken könnten, so wie sie es vorhin mit uns gemacht haben…“

„Wir?“, wiederholte Tommy und an seinem Tonfall erkannte sie, dass es ihm definitiv nicht gefallen würde.

Sie nickte und zog dann Hunters Colt aus dem Bund ihrer Hose.

10

In einem dichten Gebüsch kauernd blickte Samantha auf die kleine Lichtung, welche vor ihr in völliger Stille lag. Es hatte sich ein leichter Nebel über den Waldboden gebildet, die Horrorfilm Szene war perfekt inszeniert worden. Ein Schauer durchfuhr ihren Körper und es schüttelte die junge Frau, als sie daran dachte, wie nah sie vorhin dem Tier mit den roten Augen tatsächlich gewesen war.

Wilma...sie war es die ganze Zeit über gewesen. Erst jetzt registrierte Samantha, wie oft die Wicca eigentlich die Chance gehabt hätte, sich zu verwandeln, um sie zu töten. So viele Möglichkeiten hatte sie verstreichen lassen, nur um Hunter auf Tommys Fährte zu locken.

Samantha seufzte traurig und wischte sich die aufsteigenden Tränen schnell wieder weg. Armer Hunter. Zwanzig Jahre lang hatte er den falschen gejagt, seine Wut und Trauer auf Unschuldige abgewälzt. Tommys Eltern hatten sich damals nur in ihrer Werwolfform gezeigt, weil sie Wilmas Tiergestalt so vertreiben wollten, doch da es war bereits zu spät gewesen…

Hunter hatte dann natürlich nur noch die beiden Werwölfe gesehen, nachdem sich Wilma heimlich aus dem Staub gemacht hatte.

Samantha seufzte erneut.

Ein Knacken ertönte zu ihrer Linken und die junge Frau zuckte heftig zusammen. Ihr Kopf schnellte in die Richtung und sie blickte tief in zwei rot leuchtende Augen, welche sie genau wie vor wenigen Tagen fixiert hatten. Die Pupillen waren klein wie Stecknadelköpfe, das schwarze Fell war mit seiner dunklen Umgebung verschmolzen. Wilma hatte sie gefunden.

„Hallo, Wilma“, raunte Samantha in die Nacht hinein und bekam als Antwort ein gefährlich tiefes Knurren.

Dann sprang die junge Frau aus ihrem Gebüsch, rannte direkt auf die Lichtung, während sie hinter sich sofort ihren Verfolger hören konnte. Samantha presste ihre Hand gegen ihre Rippen, der Schmerz war beinahe unerträglich und sie keuchte bereits nach dieser kurzen Strecke laut auf.

Blitzschnell wurde sie von Wilmas Tiergestalt überholt, welche ihr durch gefährliches fletschen ihrer Zähne den Weg nun versperrte. Samantha konnte gerade noch abbremsen, ruderte heftig mit ihren Armen, erlangte zum Glück wieder die Kontrolle. Sie starrte die Bestie sich gegenüber stehend hasserfüllt an, jene gab knurrende Geräusche von sich.

„Du durchtriebenes Miststück…“, entgegnete Samantha zynisch, „du hättest mich töten sollen, als du die Chance dazu gehabt hast! Jetzt werde ich all die Menschen rächen, welchen du Leid zugefügt hast!“

Wilmas Tiergestalt gab ein verächtliches Schnauben von sich, was einem Lachen hätte ähneln können. Samantha spürte, wie ihre Angst erneut in ihre Glieder kroch, sie umfasste den Griff des Colts, zog ihn aus ihrem Hosenbund und richtete ihn auf das Tier mit den roten Augen. Erneut schnaubte dieses verächtlich, während Samantha den Hahn mit zittrigen Händen spannte, tief durchatmete und das Ende des Laufes schließlich gegen ihre eigene Schläfe hielt.

„Ich kann dich vielleicht nicht damit töten...dafür mich! Und wenn ich bereits tot bin und mein Herz nicht mehr schlägt, dann bin ich völlig unbrauchbar für dich.“

Wilmas Tiergestalt hielt für den Bruchteil einer Sekunde inne, dann knurrte es gefährlich tief.

„Ach? Du glaubst mir nicht, dass ich dazu in der Lage bin?“

Wahrscheinlich wusste die Wicca, wie richtig sie damit lag, Samanthas Hände zitterten dermaßen, dass sie große Mühe hatte, den Colt weiterhin gegen ihre Schläfe zu halten.

Das Tier mit den roten Augen pirschte sich in einem ausgedehnten Halbkreis an Samantha heran, diese ließ Wilma keinen einzigen Augenblick aus ihrem Sichtfeld verschwinden. Verdammt!, dachte sie verzweifelt, ich möchte weder von dieser Hexe gefressen werden noch Suizid begehen! Doch so wie es aussah, waren das ihre einzigen Optionen für diese Nacht...

In diesem Moment der Unachtsamkeit schlug das Tier mit den roten Augen einen kleinen Harken und setzte zum Sprung an, und als es sich mitten im Sprung in der Luft befand konnte es Samantha seine langen weißen Zähne präsentieren, während es wie in Zeitlupe sein Maul weit aufriss.

Die junge Frau riss vor Schreck die Augen weit auf und blickte ihrem Ende bereits entgegen, als Wilmas Tiergestalt von links einen mächtigen Seitenhieb verpasst bekam, durch die Luft geschleudert wurde und mit einem schmerzverzerrtem Heuler auf dem Waldboden aufkam. Samanthas erschrockener Blick wanderte von der einen zu der anderen Kreatur, welche wie aus dem Nichts neben ihr erschienen war, sie war riesig, ging aber trotzdem in leicht gebeugter Haltung auf zwei Beinen. Zum ersten Mal konnte Samantha Tommys wahre Gestalt direkt neben sich beobachten, nicht, dass sie das jemals gewollt hätte.

Tommys Wolfsgestalt war, würde er sich auf seinen Hinterläufen aufrichten mindestens doppelt so groß sein, wie seine menschliche Form, seine gräulich braune Haut war beinahe kahl, er hatte kein richtiges Fell, lediglich nur einzelne Büschel schwarzer Haare, aus seinem Maul quoll sein Atem in Form weißer Dunstwölkchen, seine gelben Augen leuchteten in die Dunkelheit der Nacht.

Schnell wich sie automatisch einen Schritt zur Seite, der Werwolf knurrte zwar tief wie ein V8 Motor, ließ es allerdings aus irgendeinem Grund nicht bedrohlich klingen. Samantha bildete sich ein, dass dieses Geräusch stark dem Schnurren einer Katze glich. Für sie zumindest...

Wilmas Tiergestalt stemmte mittlerweile wieder gefährlich keifend alle vier Pfoten gegen die feuchte Erde, schüttelte ihr pechschwarzes Fell und ging dann zähnefletschend auf ihren neuen Gegner zu. Der Werwolf sah völlig unbeeindruckt zu ihr rüber, selbst wenn er ebenfalls auf allen Vieren gehen würde, dann wäre er immer noch größer, wie das Tier mit den roten Augen und mindestens genauso schnell und wendig. Wilma musste ihren nächsten Zug also genaustens planen, wenn sie von Tommy nicht nochmal so einen Hieb bekommen wollte.

„Gib endlich auf!“, rief Samantha plötzlich wie aus dem Nichts, beide Kreaturen der Nacht wandten ihr augenblicklich den Kopf zu, „du hattest von Anfang an keine Chance gegen Tommy! Du wirst ihn niemals besiegen können, hörst du?!“

Wilmas Tiergestalt verzog ärgerlich die Lefzen noch höher und knurrte Samantha nun so böse an, dass diese weiche Knie bekam. Der Werwolf schräg neben ihr ging auf alle Viere und so ein paar Schritte nach vorne, versperrte Wilma somit den direkten Weg zu ihrer Beute und begab sich in Angriffsposition. Das Tier mit den roten Augen setzte erneut zum Sprung an, biss dem Werwolf kurz zweimal in den Unterarm, bevor es schnell an ihm vorbei huschen und zu Samantha rennen wollte, doch Tommy schaffte es erneut auszuholen und sie mit einem weiteren Hieb wieder wegzuschleudern. Wilma landete wie eine Katze flink auf allen Vieren, spurtete sobald sie den Boden vollständig unter sich spüren konnte wieder auf die beiden zu. Schnell wandte sich der Werwolf zu seinem Schützling um, holte tief Luft und brüllte sie aus vollem Halse an. Samantha starrte ihn für eine Sekunde geschockt mit weit aufgerissenen Augen an. Scheiße! Er wollte sie jetzt doch nicht etwa beißen und Wilma damit ihre Chance auf ihren Snack nehmen, doch dann bemerkte sie einen großen Unterschied in seinem Brüllen. Es war keineswegs so bedrohlich wie gegenüber Wilma gewesen, nein. Es klang besorgt und auffordernd zugleich. Samantha verstand. Tommys Brüllen hatte „LAUF!“ bedeutet, und somit rannte die junge Frau erneut in den dunklen Wald hinein.

Sie wusste, dass wenn Tommy ernst gegen Wilma machen würde sie nur eine Last für ihn wäre, da er ständig aufpassen müsste, wo sie war, um sie nicht zu gefährden.

Außerdem...Was sollte Samantha in diesem Wald jetzt noch gefährlich werden? Ein großer schwarzer Hund mit Zottelfell und ein verdammter Werwolf kämpften gegeneinander, sie würde im Moment nirgends woanders sicherer sein, als hier in diesem Wald. Natürlich scheuchte Samantha genau in diesem Moment einen Keiler auf, welcher ihr mit hellem Aufschrei einen gewaltigen Schwingerer mit seinem mächtigen Kopf mitgab, und die junge Frau so einige Meter durch die Luft schleuderte. Unsanft landete sie auf dem Waldboden, rollte noch einige Meter weiter, bis sie schließlich auf dem Bauch liegen blieb. Der Schmerz raubte ihr den Atem, für wenige Sekunden starrte die junge mit weit aufgerissenen Augen und Mund zu Boden, ihre Rippen pulsierten schnell und heftig. Nur sehr langsam stemmte sich die junge Frau gegen das Laub und sah sich prüfend um. Der Keiler rannte bereits laut protestierend in die andere Richtung davon, sie würde sich also in Ruhe auf weitere Verletzungen untersuchen können. Tatsächlich fühlte sich außer ihren schmerzenden Rippen, welche der Keiler natürlich mit seinem Kopf direkt getroffen hatte nur noch mehr verletzt an, tiefere Atemzüge fügten ihr beträchtliche Schmerzen zu. Ächzend hob sie ihr Shirt hoch, an der schmerzenden Stelle bildete sich bereits ein dunkel violetter Fleck. Keuchend verdrehte die junge Frau die Augen und als sie den zu Boden gefallenen Colt aufheben wollte bemerkte sie, wie ihr rechter Oberschenkel jetzt ebenfalls schmerzte. Sie fuhr sich vorsichtig mit der Hand über besagte Stelle und musste feststellen, dass die Innenseite ihrer Handfläche jetzt klebrig nass war.

„Scheiße!“, fluchte Samantha, das hatte ihr gerade noch gefehlt!

Der Keiler musste sie anscheinend zusätzlich noch mit einem seiner Hauer erwischt haben.

Wilde Kampfschreie waren immer noch in ihrer unmittelbaren Nähe zu hören, Samantha würde noch mehr Abstand zwischen sich und die beiden Kreaturen der Nacht bringen müssen. Sie zog sich ächzend an einem größeren Stein nach oben, hielt sich die schmerzenden Rippen und humpelte von dem lauten Schreien und Knurren davon. Nach nur wenigen Metern musste sie feststellen, wie etwas ihr rechtes Bein herunterlief und sie stieß leise Flüche von sich.

„Scheiße!“

Samantha blieb schwer keuchend an einen Baum angelehnt stehen und öffnete ihren Gürtel, bevor sie sich die Hose herunterzog. Die Wunde blutete zum Glück nicht all zu stark, musste jedoch so schnell wie nur möglich versorgt werden. Samantha hielt einen Moment lang inne und überlegte, wer ihr nach Wilmas Ableben Erste Hilfe leisten könnte. Natürlich hatte jeder der Dorfbewohner eine kleine Hausapotheke, allerdings würden ihre derzeitigen Wunden im Vergleich zu Wilmas Heilkünsten ewig brauchen.

Ein lauter Tierschrei ließ Samantha augenblicklich zusammenfahren, kurz darauf konnte sie hören, wie etwas großes direkt auf die zurannte.

Sie vergaß sofort jeden Schmerz, der in diesem Moment durch ihren Körper ging und rannte wie von der Tarantel gestochen los. Die Luft, welche sie nur in kurzen Zügen ein und ausatmen konnte begann schon nach nur wenigen Metern in ihrer Lunge zu brennen, der kalte Nachtwind peitschte ihr ins Gesicht und trieb ihr die Tränen in die Augen. Hinter sich konnte sie wie schon damals die heftigen Vibrationen ihres Verfolgers über den Boden rennen spüren, und diesmal knurrte und keifte Wilma noch wilder als damals. Allmählich kam Samantha in dem kleinen Gefälle an, welches direkt runter zu Wilmas Hütte und dann zum Dorf Wolfsburrow führen würde. Wenn ihre Beine nur noch ein wenig schneller rennen könnten…

Augenblicklich ertönten direkt hinter ihr wie aus dem Nichts Pfotengeräusche, welche über das Laub hetzten.

„Miststück!“, keuchte Samantha und trieb sich an, noch schneller zu rennen.

Hinter ihr ertönte ein siegreiches Knurren, welches gleich fette Beute machen würde, doch dann verwandelte sich dieses triumphierende Knurren in fürchterlich schmerzverzerrtes Wimmern, ein warnendes Brüllen ertönte und dann rannte kurz darauf eine riesige schwarze Gestalt mit drei Metern Abstand neben Samantha durch die Nacht.

Rennt da gerade tatsächlich ein Werwolf an meiner Seite? Ohne mich fressen zu wollen?! Krasser Scheiß!

Die junge Frau hielt an einer kleinen Lichtung schwer keuchend an, sie stemmte ihre Hände auf ihre zittrigen Knie, ihr Atem erschien in kleinen Wolken vor ihrem Gesicht, während die Vibrationen zu ihren Füßen sich allmählich entfernten. Als Samantha keuchend aufblickte starrten sie zwei leuchtend gelbe Augen herausfordernd an, weiße spitze Zähne blitzten auf, während der Werwolf sie gleichmäßig wie ein V8 Motor anknurrte. Es klang in ihren Ohren nicht bedrohlich aber woher sollte sie denn auch wissen, wann das Knurren eines Werwolfes gefährlich klang und wann nicht.

„Glaub ja nicht“, schnaufte sie immer noch schwerfällig, begab ihren Oberkörper jedoch wieder in eine aufrechte Position, „dass ich jetzt Angst vor dir habe, nur weil du im Augenblick eine wutentbrannte Bestie bist...du bist immer noch Tommy…mein Tommy.“

Der Werwolf knurrte kurz lauter auf, seine Ohren legten sich nach hinten an und er erhob sich ebenfalls in eine aufrechte Position. Samantha schrie sofort kreischend auf, wandte sich von ihm ab und wollte wieder losrennen, doch mit einem einzigen Sprung stand der Werwolf erneut knurrend vor ihr.

„Tommy!“, rief sie ihn wütend an und ihr Gegenüber hielt sofort inne.

Sie starrten sich gegenseitig tief in die Augen, während die Geräusche der Nacht um sie herum wirkten. Samantha warf einen hastigen Blick über ihre Schulter, sie wusste, dass Tommy Wilma bei seinem letzten Angriff nicht getötet hatte, dafür waren ihre Zauberkünste zu mächtig gewesen...

Genau in diesem Augenblick drückte sich etwas raues gegen ihre herabhängende Hand, Samantha erstarrte zu einer Salzsäule, als sie die Vibrationen des tiefen Knurrens durch ihren ganzen Körper spüren konnte, während sich der massive Kopf des Werwolfs beinahe schon gegen sie schmiegte. Nur sehr langsam blickte sie ehrfürchtig nach unten, ihre Hand ruhte genau auf seinem kahlen Schädel und sie begann vorsichtig aus einem Reflex heraus genau diese Stelle zu kraulen, woraufhin der Werwolf erneut wie ein V8 Motor klang und sich nur noch mehr gegen sie drängte. Es war für Samantha nicht einfach sich gegen sein Gewicht zu stemmen, ohne dabei das Gleichgewicht zu verlieren, doch in diesem Moment musste sie trotz anfänglicher Furcht sich selber eingestehen, dass sie sich vorher noch nie so geborgen gefühlt hatte. Sie streichelte den Kopf des Tieres, welches sich gegen sie lehnte und musste dermaßen breit grinsen, dass ihr zuerst gar nicht auffiel, wie sämtliche Tiere panisch aus dem Wald heraus rannten. Erst als sich der Werwolf mit einem genervten Brummen ein Stück von der jungen Frau entfernte und den flüchtenden Tieren argwöhnisch nachsah bemerkte es auch seine Begleitung. Es war unheimlich, wie Rehe, Wildschweine, Hasen und andere Waldbewohner wie gehetzt an ihnen vorbei rannten, so als stünden da nicht eine menschliche Frau und ein riesiger Werwolf.

„Das ist nicht gut…“, raunte Samantha und blickte in die Richtung, aus welcher die Tiere kamen.

Auf dem Waldboden machte sich langsam ein lilafarbener Nebel breit, als Tommy ihn ebenfalls bemerkte knurrte er bedrohlich und stellte sich auf seine Hinterbeine, bereit zum Angriff.
 

~*~
 

Der lilafarbene Nebel erreichte Samanthas Füße, genau in dem Augenblick spürte die junge Frau einen stechenden Schmerz in beiden Knöcheln und sie schrie erschrocken auf. Noch bevor sie oder Tommys Wolfsgestalt reagieren konnten zog etwas der jungen Frau die Füße weg und zerrte sie schnell über den feuchten Waldboden, achtete dabei nicht sonderlich drauf, ob Samantha mit Bäumen oder Steinen zusammen stieß. Ihr Körper schmerzte mittlerweile überall, und als dieses Etwas endlich von ihr abgelassen hatte und sie regungslos auf dem Boden lag pulsierte einfach alles an und in ihr. Den Kopf in Richtung des schwarzen Nachthimmels gerichtet und auf die Sterne starrend liefen Samantha dicke Tränen über die Schläfen, dann beugte sich wie aus dem Nichts Wilmas Gesicht breit grinsend über sie.

„Du hast doch nicht wirklich gedacht, dass du mir heute Nacht entkommen könntest?“, raunte die Wicca honigsüß.

Die schwarze Klinge ihres Dolches fuhr Samantha am Hals entlang und verweilte direkt über ihrem wild pochenden Herzen.

„Weißt du…“, hauchte Samantha und schluckte schwer, „für einen kurzen Moment...da hatte ich tatsächlich einen Hoffnungsschimmer.“

„Und wann soll dieser Moment gewesen sein?“

Die Stille der Nacht wurde durch vier ohrenbetäubende Schüsse unterbrochen, welche Samantha Wilma durch Hunters Colt aus nächster Nähe verpasste. Die rothaarige Frau schrie hysterisch auf, sprang von ihrem Opfer weg und wurde just im nächsten Augenblick von dem Werwolf zu Boden gerissen. Schrille Schreie erreichten Samanthas Ohren, während sie immer noch in den sternenreichen Himmel starrte, den rauchenden Colt in ihrer Hand haltend.

„Genau jetzt…ist dieser Moment...“, murmelte sie erschöpft, „hast du das etwa nicht in einer deiner Visionen kommen sehen?“

Mit einem dumpfen Geräusch ließ sie die Schusswaffe zu Boden fallen, schloss ihre Augen und horchte dann noch einem Moment den Schreien und Knurren aus unmittelbarer Nähe. Erst, als es wieder mucksmäuschenstill um sie herum geworden war rollte Samantha sich mit letzter Kraft auf den Bauch und kroch über den Waldboden zu Wilma hinüber. Tommy, welcher sich ebenfalls wieder in seine menschliche Form zurückverwandelt hatte kniete neben ihr, aus seinem Mund floss eine gewaltige Menge Blut, welche sich allerdings bei Wilmas Anblick leicht erklären ließ. Er hatte ihr die Kehle aufgebissen, mehrere tiefe Wunden über ihren ganzen Körper verteilt, ihr Anblick glich dem, welchen Hunter damals auf seine Familie gehabt haben musste. Ein einziges Massaker.

Tommy half Samantha in eine aufrechte Sitzposition und reichte ihr etwas. Es war Wilmas schwarzer Dolch.

„Glaubt...ja...nicht, dass es...hier...und jetzt...zu Ende...ist...“, gurgelte die Wicca, während immer mehr Blut aus ihrem Mund und Hals lief.

„Du hast verloren…“, entgegnete Samantha und nahm den Dolch aus Tommys Händen.

Sie erschrak, als sie feststellen musste, wie kalt sein Körper in dem Moment gewesen war. Als sie ihm ins Gesicht blickte erkannte sie dunkle Schatten unter seinen Augen, seine Haut, welche sonst eine gesunde Bräune gehabt hatte sah jetzt im hellen Mondlicht leichenblass aus. Der Kampf gegen Wilma musste Tommy unheimlich viel Kraft gekostet haben…

„Mag...sein, dass ich...heute hier...sterben werde…“, raunte Wilma unter ihnen, dennoch verformte sich ihr blutverschmierter Mund zu einem gehässig triumphierenden Grinsen, „aber...dafür werde...ich den Köter...mit...mir nehmen...!“

Als sich Tommy und Samanthas Blicke diesmal trafen durchflutete beide die bittere Erkenntnis, dass die Wicca tatsächlich ein letztes Ass in der Hinterhand gehabt hatte. Die rothaarige Frau versuchte bei diesem Anblick zu lachen, hustete jedoch mehr und mehr Blut aus ihren Lungen.

„Aber...aber wie?“, wollte Samantha hysterisch wissen, fasste Tommy mit einer Hand an die blasse Wange, „er hat keinerlei schwerwiegende Wunden von dir! Und selbst wenn, sein Wolfsgen würde alles heilen!“

„Während du von Hunter geflohen und zu dem Köter gerannt bist habe ich Vorkehrungen getroffen und meinen kompletten Körper mit einer Creme aus hochkonzentrierten Eisenhut eingeschmiert. Es zerfrisst ihn in diesem Augenblick von innen heraus. Kannst du spüren, wie dein ganzer Körper sich langsam immer schwerer und tauber anfühlt?“

„DU MISTSTÜCK!!“, schrie Samantha sie an und rammte den schwarzen Dolch mit aller Wucht in Wilmas Herz.

Diese keuchte unter dem schrecklichen Schmerz ein letztes Mal auf, ihr ganzer Körper zuckte zusammen, dann sah sie zu Samantha auf und lächelte zufrieden: „Du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, dass ich kampflos abtreten werde…?“

Dann fiel ihr Kopf mit einem letzten Ruck zur Seite und sie blieb regungslos liegen, der rötliche Glanz aus ihren Augen verschwand nun endgültig.
 

~*~
 

Samanthas Schluchzen war alles, was im Moment zu hören war. Ihr Körper bebte unter den heftigen Weinkrämpfen, während sie zusammen mit Tommy, welcher einen Arm um sie gelegt hatte aus dem Wald hinaus humpelten. Seine Haut fühlte sich eisig kalt an, dünne lilafarbene Linien schlängelten sich über seinen gesamten Körper, seine Augen wirkten müde und glanzlos.

„Wir flicken dich schon wieder zusammen“, versprach Samantha ihm und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, „aber vorher müssen wir dich zu deinem Onkel bringen, der weiß schon, was zu tun ist.“

„Ich bin so müde…“, murmelte Tommy leise, sein Körper wurde zunehmend schwerer.

„Nicht einschlafen, hörst du?“

„Lass mich kurz hinsetzen...nur kurz…“, bat er.

Samantha half ihm auf die Knie, er stöhne schwerfällig und lehnte sich gegen den Felsen, an welchem sie gerade angekommen waren. Sie wischte ihm fürsorglich den kalten Schweiß von der blassen Stirn, drückte einen sanften Kuss gegen seine Schläfe und setzte sich neben ihn. Tommy legte seinen schweren Kopf gegen den ihren und seufzte zufrieden.

„Wir haben sie besiegt“, sagte er ruhig und Samantha konnte hören, das er lächelte.

„Ja...das haben wir…“

„Wie geht es dir?“

„Hör auf, dich um mich zu sorgen!“, tadelte sie ihn, „du bist viel schlimmer verletzt! Wir müssen dich zu deinem Onkel bringen!“

„Der wird noch schlafen…“

„Gleich nicht mehr!“

„Lass...lass uns zusammen...den Sonnenaufgang...ansehen, okay?“

„Tommy, wir müssen weiter.“

„Bitte…“, raunte er und warf Samantha einen traurig flehenden Blick zu, „danach gehen wir gleich weiter, versprochen.“

Erneut bebten ihre Lippen, doch sie nickte und legte sich seinen Arm um ihren Nacken. Der Horizont vor ihnen begann langsam, sich rötlich einzufärben, Tommys Atem ging zunehmend schwerfälliger.

„Rede mit mir“, bat Samantha und stieß ihn leicht an, „wir müssen beide wach bleiben.“

„Okay…“

„Das ist zu wenig! Tommy! Rede weiter!“

„Du wolltest mir zum Morgen hin die Namen verraten, welche du dir für unsere Kinder ausgesucht hast.“

Samantha unterdrückte ein weiteres Schluchzen und nahm seine Hand in die ihre, streichelte sie zärtlich.

„Nach deinen Eltern…“, sagte sie mit bebender Stimme, „Henry und Louise.“

Tommys Körper zuckte, als er versuchte zu lachen, allerdings nur ein Röcheln hervor brachte.

„Das...das finde ich eine gute Idee…“, gestand er.

In diesem Moment erschien der erste Sonnenstrahl, augenblicklich spürte Samantha, wie es allmählich wärmer wurde.

„Ich liebe dich…“, murmelte er und streichelte mit seinem Daumen über ihre Handfläche, „ich wollte es dir schon viel früher sagen…“

„Warum hast du es denn nicht…?“

„Weil du mich dann sicherlich ausgelacht hättest.“

Sie grunzte und nahm seine Hand fester in ihre. Wahrscheinlich hätte sie das getan…

„Und wann sollte das bitte gewesen sein?“, erkundigte sie sich.

Stille.

Sofort stieß Samantha Tommy mehrmals an, er öffnete wieder seine Augen und blinzelte mehrmals.

„Nicht einschlafen…“, tadelte sie ihn.

„Ich bin wach“, versprach er ihr und lehnte seinen Kopf gegen den Felsen.

„Du wolltest mir sagen, wann du mir das erste mal deine Liebe gestehen wolltest…“

Tommy gab ein klägliches Kichern von sich, sein Körper zuckte erneut.

„Na was ist? Hat dich plötzlich der Mut verloren?“, grinste sie müde.

Er schwieg erneut, und als Samantha abermals zu ihm aufsah blickte er sie direkt an, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Als sie dann in seine Augen sah bemerkte die Frau, dass jeglicher Glanz aus ihnen verschwunden war. Sie leuchteten nicht mehr in diesem intensiven Bernstein, jetzt waren sie matt, seine Pupillen geweitet. Und doch lächelte er sie an…

Die Sonne war mittlerweile zur Hälfte aufgegangen, als Samantha ihre Lippen feste aufeinander presste, heiße Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter, griff in ihren Hosenbund und holte Hunters Colt hervor. Dann spannte sie den Hahn.

„Ich liebe dich auch…“, flüsterte sie und küsste Tommy ein letztes Mal.



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