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Out of the Blue.

Out of the box.
von
Koautor:  Daelis

Vorwort zu diesem Kapitel:
Aufgaben:
Der neue Verdächtige ist ein Bekannter des Doktors und kein Mensch! Als ihr das erfahrt, könnt ihr natürlich nicht einfach gehen, sondern müsst dessen Unschuld beweisen. Schon allein, weil im Falle einer Hinrichtung mit dem Tod des Arcateenianers dessen Tarnung aufflöge und die Menschheit mächtig durcheinander brächte. Komplett anzeigen

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Acquaintances

„Wow, das … schmeckt durchaus besser als ich angenommen hätte!“

In meinen Händen hielt ich eine Baked Potato, welche in der kalten Herbstluft ihren warmen Dampf in schwungvolle Schwaden zum Besten gab. Der leckeren Kleinspeise entgegenpustend, biss ich daraufhin ein zweites Mal ab und genoss die weiche Kartoffelmasse, welche sich in meinem Mund mehr und mehr auszubreiten wusste.

„Sie erleben gerade den Beginn der Fast Food-Ketten Londons!“, erklärte der Doktor und ließ es sich nicht nehmen, einen Schluck vom Ingwerbier zu trinken, welches er in seiner rechten Hand hielt. Ich blickte neugierig zu ihm, „Die fahrbaren Kaffeewagen sind hier sogar schon ab drei Uhr morgens anzutreffen. Falls Sie also mal eine schlaflose Nacht haben?“

„Die habe ich schon mit Kaffee ab sechzehn Uhr“, musste ich mit einem schiefen Lächeln erwidern, schielte dabei ein zweites Mal auf das Ingwerbier, „Dürfte ich vielleicht …?“

Der Doktor hob fragend die Augenbrauen und folgte meinen Blick, ehe er verstand und mir den Krug entgegenhielt,

„Natürlich.“

„Danke.“

Ich nippte vorsichtig von der anderen Seite des Kruges und machte dann ein anerkennendes Gesicht. Besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Recht süß sogar. Zwar hatte ich keine Ahnung, wie ein Ingwerbier hergestellt wurde, aber der Alkohol ließ mich schon mal vermuten, dass es ähnlicher Natur war wie ein normales Bier. Und die Süße erinnerte mich an ein Kilo Zucker.

Ich reichte dem Doktor den Bierkrug wieder zurück. „Hat es einen Grund, dass Sie sich für Ingwerbier entschieden haben?“, fragte ich, weil es mir doch recht seltsam vorkam. Hierbei muss ich gestehen, dass ich die Geschichten der früheren Doktoren bis auf den erste noch nicht gesehen hatte. Ich wusste also recht wenig von den Gepflogenheiten des Timelords. Mein Gefühl verriet mir aber, dass da irgendetwas war, warum das Ingwerbier so besonders war.

Er legte den Kopf zur Seite und zuckte mit den Schultern,

„Eingebung. Es hilft, den Kopf klar zu bekommen. Ein natürliches Gegengift.“

„Gegengift auch gegen das versmokte London?“

„Leider nicht.“

Während ich nun meine gebackene Kartoffel weiteraß, sah ich mich ein wenig auf dem Platz um, den wir betreten hatten und wo sich einige Stände aneinanderreihten:

Nach unserer Flucht und dem Gang zum St. James Park, hatten wir zwar auf meine Bitte hin einen Blick auf den Buckingham Palace geworfen (der Doktor schien relativ entsetzt, dass ich es bei meinen zwei Besuchen bisher nicht geschafft hatte, dorthin zu gelangen. Vielleicht bezweifelte er sogar in dem Moment, dass ich ein typischer Mensch war) und uns dann gen Osten aufgemacht. Unser Weg würde zu Fuß noch gut über eine Stunde dauern und plötzlich hatte sich mein Magen laut bemerkbar machen müssen. Ich hatte einige der Straßen wieder erkannt, wusste so in etwa, wo wir uns befanden – und da war es auch ganz einfach gewesen zu entscheiden, wo es etwas zu essen geben sollte, wenn wir eh schon direkt in der Nähe waren: Covent Garden.

Das wollte ich mir einfach nicht nehmen lassen, mein Lieblingsort Londons.

Dort, wo man noch heute nicht nur schöne Geschäfte entdecken konnte, sondern auch Straßenkünstler und gute Läden mit Leckereien. Der Doktor hatte nichts dagegen einzuwenden. Ein bisschen Kultur schadete nicht und es lag auf unserer Route.

Der erste Eindruck, den mir das damalige Covent Garden bescherte, ließ mich meinen Hunger nahezu vergessen: Die alte neoklassiche Markthalle erstreckte sich über unsere Köpfe und beschäftigte Leute drängten sich an den Ständen entlang. Blumen, Waren des täglichen Bedarfs, frisches Obst, … im Gegensatz zu den schmutzigen Seitenstraßen befanden waren die Menschen hier meist im besseren Wohlstand, was man ihnen bereits an der Kleidung ansehen konnte. Die Straßenkünstler waren auch in jener Zeit zugange und man hörte sie von draußen laut ihre Kunst betreiben. Es war ein schöner Moment. Einer, den ich mir länger in Erinnerung halten wollte. Fast schon harmonisch, nahezu friedlich.

Nichtsdestotrotz mussten wir irgendwann weiter und so leerte der Doktor schließlich mit einem letzten Zug den Rest des Ingwerbieres, um den Krug dem Standbetreiber zurückzureichen. Sich einmal schüttelnd, trug er nun ein breiteres Grinsen auf dem Gesicht als er zu mir sah,

„Also, wollen wir weiter?“

Ich nickte. Den Rest der Kartoffel konnte ich auch noch im Gehen essen, das war kein Problem. Und je eher wir die TARDIS erreichten, umso besser.

Wir müssten bis zur nächsten Station laufen, denn Covent Garden hatte noch keinen eigenen Bahnhof. Die Auswahl an Untergrundlinien war immerhin noch sehr gering.

„Wo … geht es hin?“

„Wir werden King's Cross umsteigen.“

Das klang nach einem Plan! Einen sehr guten Plan!

 

Das Bahnhofsgebäude war nicht weniger imposant als zu heutiger Zeit. Die ockerfarbenen Steine bildeten das Gemäuer sowie die großen Rundbögen, in denen die Fensterscheiben hielten. Auch die kleinen Durchgangsbögen, durch welche man in das Bahnhofsinnere kam, hatten sich bis heute nicht verändert.

Einzig und allein die Menschen und die Fahrzeuge waren anders. Der technische Fortschritt hatte eben noch keinen Einzug erhalten.

Ich wäre am liebsten wieder reingerannt, beherrschte mich jedoch. Gesittet und somit weniger auffällig ging es schließlich auch. Wir betraten das Gebäude und begaben uns wie alle anderen auch zu den entsprechenden Gleisen. Es herrschte großer Andrang und erinnerte mich stark an die gegenwärtigen Zustände, die man von solch einem großen Kreuzungspunkt der Stadt erwarten konnte. Ich hielt mich nahe dem Doktor, so dass wir uns nicht verlieren konnten.

Geduldig am Bahnsteig auf die Einfahrt des Zuges wartend, ließ ich meinen Blick wandern und musste lächeln.

„Was … genau ist am Zeitreisen so faszinierend?“, murmelte ich dann und zog damit die Aufmerksamkeit des Timelords auf mich, „Ich meine … was haben Sie schon alles gesehen? Erlebt? Es ist irgendwie … unbeschreiblich.“

„Damit sind Sie nicht die Erste“, erwiderte er mein Lächeln mit einem eigenen, „Sie sehen mehr, als es 99% Ihrer Artgenossen jemals möglich sein wird. Es ist unbeschreiblich, aber … es ist nur auch ein kleiner Teil der Geschichte des Universums, die Sie hier erblicken. Und glauben Sie mir, das ist auch gut so.“ Er wirkte zwar ruhig, aber der Unterton in seiner Stimme klang weitaus ernster. Sie verriet mir, dass er Erfahrungen hatte machen müssen, die er mir ersparen wollte. Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte. Die ich am besten auch nie kennenlernen sollte. Meine Mundwinkel fielen auf eine gerade Linie zurück und ich wusste nicht recht, was ich darauf antworten sollte, also ließ ich es.

„Gibt es eine Zeit, einen Ort, den Sie besonders interessant finden?“, versuchte ich das Gespräch also wieder auf eine positivere Ebene zu bringen.

„Auf der Erde?“

„Zum Beispiel.“

„Mir sind die Gefilden des 18. Jahrhunderts ganz angenehm“, kam es da wie aus der Kanone geschossen und ich hob skeptisch die Augenbrauen.

„Das achtzehnte Jahrhundert? In der Zeit … sind doch ziemlich viele Kriege …?“

„Aber auch sehr viele Dichter, Komponisten und Denker“, widersprach der Doktor und sein Gesichtsausdruck wurde wieder etwas weicher, „Mozart, Lessing, Gauß … Menschen, die eure Welt nachweislich beeinflusst haben. Ihr könnt nicht mit, aber auch nicht ohne. Ihr könnt keinen Frieden schaffen, der auf Dauer hält, aber philosophiert darüber und grübelt, bis euch die Köpfe rauchen.“

Dieser Satz machte mich nachdenklich und ich senkte den Kopf. In den jüngsten Ereignissen meiner Zeit, war Frieden zwar gegeben, aber schien er immer wieder auf wackligen Füßen zu stehen. Politische Lagen, die sich zuspitzten. Politiker, die statt zu reden, sich auf Kindergartenniveau schlugen. Atomwaffenwettbewerb … und das waren nur einige der Dinge, die uns betrafen.

Die Worte des Doktors waren eine Schelte, die eigentlich nicht ich hätte annehmen müssen, sondern die Welt, doch leider trafen sie mich selbst in der Mitte meines Herzens. Es waren jene Themen, die ich versuchte auszublenden, weil ich sie nicht besonders mochte und weil ich auch der Meinung war, dass selbst wenn es nicht der Frieden der Welt war, wir eben noch nicht einmal unseren eigenen bewahren konnten – unser Miteinander. Wir hatten so viele schöne Dinge, die wir als eine gemeinsame Einheit zu erleben wussten. Und gleichzeitig diese wunderschönen Dinge und Gefühle durch negative Emotionen und Gedanken zu beeinflussen wussten, bis alles zerbrach. Wie sollten wir da die Welt friedlich stimmen?

„Da haben Sie wohl Recht“, musste ich leise zustimmen und guckte ein wenig missmutig drein. Zu sehr hatte er Recht. „Und … ist unsere Welt für Sie, Doktor?“, fragte ich da ganz unvermittelt und sah mich hierbei ein wenig auf dem Bahnsteig um, „Sehen Sie Weiß oder Schwarz?“

Der Doktor bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick und wandte seinen Augen dann ebenso wieder dem anderen Trubel um uns herum zu, „Ich würde sagen, es ist mehr ein Mischmasch aus Weiß und Schwarz. Ein Grau. Mit einem Nanopartikel Gold.“

„Wieso Gold?“

„Ihr Menschen gestaltet euer Leben in allen möglichen Facetten – von Rot bis Blauviolett. Ähnlich wie ein Nanopartikel Gold.“

„Das elektromagnetische Farbspektrum also?“

„So in etwas.“ Es ergab für nicht vollkommen Sinn, aber ich beschloss für den Moment es mit einem Nicken abzutun und in späterer Lage ein Buch zurate zu ziehen. „Kommen Sie, der Zug fährt ein!“ Mit seiner Erklärung hatte er mich genug abgelenkt, als dass ich nicht einmal mehr mitbekommen hatte, wie das Bahnsteigpersonal lautstark um Abstand bat.

Eine hölzerne Wagenreihe, die an Güterwagons erinnerte, hielt vor uns. Anders als man es von heutigen Zügen kannte, besaßen sie keine weitläufigen Fenster, sondern lediglich eine Spalte unter dem aufgesetzten Dach. Links und rechts war der Zustieg über die zwei gusseisernen Stufen möglich. Vorne an prangte ein ähnlicher Wagen, dieser war aber die ziehende Lok, auf dem der Fahrer und sein Gehilfe standen. Im Gegensatz zu den anderen Wagons hatten sie weitaus mehr Fensterspielraum. Die Verkleidung bestand auch nicht aus Holz, sondern aus Metall und war abgerundeter als der Rest. Alles in allem hätte dies auch eine Modellbahn für Erwachsene sein können. Ich war ehrlich auf die Fahrt gespannt und wippte ein bisschen ungeduldig hin und her, als wir uns schließlich zu den anderen Fahrgästen einreihten. Die Londoner waren zwar sehr auf Ordnung bedacht, aber trotzdem schoben und drückten sie, so dass ich nicht nur einmal in den Rücken des Doktors gepresst wurde. Ich musste nichts sagen, aber er griff automatisch meine Hand und das ließ mich ein bisschen lächeln. Dieser Mann hier war eindeutig dürrer als mein eigener, der wohl gerade entweder aufgestanden oder bereits zur Arbeit gegangen wäre, je nachdem wie viel Zeit nun schon in meiner Realität verflogen ist. Die Art aber, wie er sich um seine Begleitungen kümmerte, um sein Umfeld, riefen mir wieder ins Gedächtnis, warum er mein Lieblingsdoktor war. Ein Kind der Liebe.

Ich konnte mehr als nur gut verstehen, dass Rose sich in ihn verliebt hatte. Immerhin hatte ich mich ja auch in meinen Doktor verliebt.
 

In dem Wagon waren zwar einige Sitzplätze auf Bänken angedacht, aber natürlich war der Fahrgastansturm größer als die vorhandene Menge und somit mussten wir die Fahrt über stehen. So wenig Licht wie hereindrang, machte es aber auch keinen Unterschied zur totalen Dunkelheit, als wir schließlich in den Tunnel fuhren. Schnell hatte sich meine anfängliche Aufregung für diese Fahrt gelegt. Spätestens, als die Luft dicker wurde und mir der Geruch der anderen Fahrgäste in die Nase stieg und sich dort festsetzen wollte, hoffte ich, dass es bald wieder vorbei wäre. Ich hatte nicht auf die Karte geguckt, wie weit wir fahren mussten und wie lange es entsprechend dauern würde. Mein Gefühl verriet mir allerdings, dass es sich nicht nur um zehn Minuten handeln würde. Ich verlagerte mein Gewicht auf mein linkes Bein, als ich den Ellbogen eines Fremden in meiner rechten Seite spürte und hielt die Luft an. Das konnte ich natürlich nicht auf Dauer machen und somit war ich gezwungen, irgendwann wieder richtig zu atmen. „Alles in Ordnung bei Ihnen?“, hörte ich den Doktor leise sprechen und sah automatisch auf. Natürlich in die Schwärze des Tunnels hinein und nicht in sein Gesicht.

„J-Ja, ja“, stotterte ich und räusperte mich einmal, weil mir der schlechte Sauerstoffgehalt der Umgebung im Hals zu kratzen begann. Ich rieb mir die Kehle und schloss die Augen, „Ist mir nur ein wenig zu voll.“

„Sie leiden aber nicht unter Klaustrophobie?“ In der Stimme des Timelords schwang so etwas wie Alarmbereitschaft mit, so dass ich mich ermahnte, mich nicht hängen zu lassen,

„Nein, das nicht. Ich vertrage nur so ein dichtes Gedränge nicht. Rein … nervlich.“

Der Doktor schwieg und ich verzog das Gesicht. Es war mal wieder einer der Fälle, wo ich mich selbst zwar besser fühlte, weil ich mein Unwohlsein nicht verschwieg, gleichzeitig aber auch ein schlechtes Gewissen bekam, weil ich anderen damit Unannehmlichkeiten bereitete. „Ich hab leider keine Nerven wie Drahtseile“, versuchte ich es etwas munterer abzurunden und lachte sogar leicht auf.

„Das habe ich auch nicht von Ihnen verlangt“, entgegnete der Doktor überrascht, „Wie kommen Sie darauf?“

„Nun ja … Begleiter sind immer ziemlich robust, was das betrifft.“

„Glauben Sie das wirklich?“

Es lag an mir zu schweigen, denn ich wusste die Antwort besser. Das war nur das, was so sein sollte, nicht das, was wirklich war.

„Ich kann das nicht glauben“, fügte ich leiser hinzu, wenn auch mit fester Stimme, „Es entspricht nicht der Wahrheit. Nur den Erwartungen an uns.“

„Ich kann mich jedenfalls nicht über Ihre Anwesenheit beschweren“, setzte der Doktor nach, „Und Sie sollten das auch nicht. Sie untergraben sich selbst.“

Ja, vermutlich tat ich das immer noch. Auch nach über zwei Jahren, glaubte ich immer noch nicht genügend an mich selbst.

Ich öffnete wieder die Augen, starrte aber auf einen Fleck in der Dunkelheit. Ich drückte unbewusst die Hand des Doktors, da sich mit einem Mal seine Finger stärker um meine schlossen.

„Wann … kommen wir an?“

„Vermutlich in zwanzig Minuten.“

Für den Rest der Fahrt wechselten wir keine weiteren großen Worte, sondern behielten es uns vor, die Ruhe auf uns wirken zu lassen, welche nur durch das leise Gerede anderer Fahrgäste oder durch die maschinellen Geräusche des Zuges durchbrochen wurde.
 

Unser Ziel war Whitechapel. Da wir nun wussten, was geschehen war, wollten wir nicht ohne weiteres direkt an der Ecke des Tatortes aufkreuzen. Es könnten schließlich immer noch Polizisten herumlungern und wenn dies dieselben wären wie am Tag zuvor, würde man uns schneller wieder in die Zelle verfrachten als uns lieb war. Noch hatten wir nämlich einen Vorsprung.

Ich war ehrlich froh, als wir wieder frische Luft atmen konnten. Zudem hatte ich das Gefühl, dass mir die Dunkelheit auch aufs Gemüt drückte. Meine mir vor Augen geführten Baustellen und die Konversation mit dem Doktor wollte ich in der Form nicht so schnell wieder haben … Dafür hatten wir genug andere Sorgen!

Zum Beispiel eben … wie wir unbemerkt zur TARDIS zurückgelangten?

Zunächst einmal mussten wir die Hauptstraße verlassen und eine Seitenstraße finden, die uns Zuflucht versprach.

„Oh sehen Sie, wo wir gerade stehen!“ Der Doktor hatte einen angehalten, als wir aus dem Bahnhofsgebäude kamen und schien ehrlich imponiert oder … vielleicht auch ein bisschen nostalgisch? „Das Royal London Hospital!“

Ich folgte seinem Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite. Wirklich beeindruckend empfand ich dieses Gebäude vor mir nicht, immerhin war es nicht mehr als ein dreistöckiges Haus auf geraumer Breite, was dessen Funktionalität als öffentliche Einrichtung unterstrich. Heute waren Krankenhäuser schon meterweit vorher ausgeschildert und ebenso trugen viele auf ihren Dächern als Erkennungsmerkmal das hauseigene Logo als dekoratives Element.

„Irgendwie schwer zu glauben, dass es heute ganz anders aussieht und sich so herausgemacht hat.“

„Natürlich hat es das!“, erklang da auf einmal eine grummelige Stimme neben uns und ich fuhr erschrocken herum, „Es ist das erste Krankenhaus Londons, das eine eigene Medizinschule besitzt!“ Ein Mann mittleren Alters, vielleicht um die Mitte 50, stand vor uns, mit einer Aktentasche in der Hand und einer Tageszeitung unter dem Arm geklemmt. Er trug wie die meisten Herrschaften einen dunklen Überrock und einen runden, steifen Hut. Sein Bild wurde durch den krausen, aber nicht allzu dichten Vollbart komplettiert, der runden, kleinglasigen Brille und dem Ansatz eines Seitenscheitels unter der Hutkrempe.

„Verzeihung, wir wollten gewiss nicht den Ruf des Krankenhaus in Verdruss bringen“, sprach der Doktor mit seinem üblich höflichen Lächeln und trat einen Schritt vor, „Wir … waren nur überrascht.“

„Sie kommen nicht von hier, richtig?“

„Das kann man so sagen.“

Der uns fremde Mann bedachte uns mit einem jeweils längeren Blick, aber anders als bei den anderen, war es keine Skepsis die mitschwang, sondern just Interesse an dieser neuen Begegnung. Das machte ihn mir gleich etwas sympathischer, obwohl er uns so angefahren hatte.

„Dann haben Sie auch nichts von dem Elefantenmann gehört, der hier behandelt wird?“ Ich hob die Augenbrauen und meine Lippen bewegten sich, noch ehe ich mich zum Schweigen zu ermahnen:

„Sie meinen die Elefantenkrankheit, Elephantiasis?“

Der fremde Mann ahmte mich im in meinem Gesichtsausdruck nach, so dass der eine das Spiegelbild des anderen hätte sein können, als wir uns so anstarrten.

Lymphatic filariasis, meinen Sie? Nein, das ist es nicht. Aber es wird gerne damit verglichen.“ Ich glaubte, fast schon so etwas wie Anerkennung in seinen Augen ablesen zu können, als er schließlich langsam nickte und mir die Hand reichte: „Thomas John Barnando, Gründer der Heime für heimatlose und auf der Straße lebende Kinder. Es freut mich Ihre Bekanntschaft zu machen.“

„Alexandra Garcia, es freut mich ebenso. Und das ist der Do... John Smith.“

Gerade so gerettet. Wäre beinahe schief gegangen.

Der Doktor und Barnando schüttelten ebenso die Hände.

„Ich bin überrascht, dass eine junge Frau wie Sie so viel medizinisches Wissen besitzt?“ Tja, dummerweise konnte ich jetzt nicht einfach gestehen, dass ich Krankenschwester war, denn das würde sich mit meiner ausgedachten Identität nicht decken, die ich momentan als spanische Aussiedlerin trug.

„Ich habe Sie einfach nicht von meinen Büchern wegbekommen“, entgegnete da der Timelord auflachend, was auch unser Gegenüber belustigt vernahm,

„Unüblich für eine Dame in ihrem Alter, aber wenn man den Frauen nicht den Zugang schenkt, dann holen Sie sich diesen sowieso. Sie sind also selbst Mediziner? An welcher Fakultät unterrichten Sie?“ Anscheinend war Barnando der Meinung, dass der Doktor in seinem Aufzug eher einem Gastdozenten glich als einem praktizierenden Arzt. Womöglich gar nicht mal so schlecht.

„Oh, mal hier, mal da. Ich interessiere mich für die Unterrichtung der Medizin in den verschiedenen Ländern und hospitiere entsprechend mehr, als ich selbst unterrichte.“ Der Doktor war auch nie um eine Ausrede verlegen, die zudem auch noch glaubhaft klang.

„Dann sollte ich Sie vielleicht einmal mit meinen Kollegen des Royal College of Surgeons of Edinburgh bekannt machen? Wir sind die älteste Chirurgenvereinigung der Welt und ich bin mit sicher, dass Sie selbst als Nichtchirurg mit Ihren Reiseerfahrungen eine große Bereicherung wären?“

„Vielleicht werde ich einmal darauf zurückkommen, aber ich fürchte, Ihr Angebot aktuell abweisen zu müssen. Wir sind gerade auf Heimreise und hier nur auf einen Zwischenhalt aus.“

„Ah, ich verstehe“, nickte der Arzt nun auch mir wieder zu, „Natürlich. Irgendwann möchte man auch wieder nach Hause und sesshaft werden.“

„Ganz genau.“

„Wann ist es denn bei Ihnen soweit?“ Er bedachte uns beide mit einem neugierigen Blick, „Verzeihen Sie mir die Indiskretion, aber Sie scheinen mir auch bereits ein reiferes Alter zu besitzen?“ Ein netter Ausdruck für jemanden, der fast 30 Jahre alt ist. Ich musste sichtlich darüber schmunzeln, ehe ich plötzlich begriff, worauf er hinauswollte. Bevor ich allerdings etwas sagen oder mir erschrocken die Kinnlade einen Stockwerk tiefer fallen konnte, hatte der Doktor den Arm um meine Schulter gelegt, „Sobald wir daheim sind, werden wir es langsamer angehen lassen.“

Nun lachte der Bärtige vor uns auf, „Das haben meine Frau und ich auch gesagt und uns sind dennoch sieben wunderbare Kinder beschert worden.“ Spätere Nachforschungen würden allerdings ergeben, dass von diesen sieben drei früh verstorben waren. „Passen Sie auf, sie fressen Ihnen die Haare vom Kopf“, deutete er an, den Hut zu ziehen um die Geheimratsecken zu zeigen, die er mit seinem Scheitel bewusst verdeckt hielt, „Nicht nur Ihre Frau wird eine Heiden Arbeit haben.“

„Oh, damit habe ich mich bereits abgefunden. Nicht wahr, Schatz?“ Es klingelte in meinen Ohren, als mich der Doktor so betitelte und mir zudem noch einen herzlichen Blick zuwarf.

„J-Ja … wir … kriegen das Kind schon geschaukelt.“ Nicht der beste Spruch, den ich hätte bringen können, aber etwas anderes fiel mir echt nicht ein. Es sorgte zumindest für ein weiteres Lachen bei Thomas Barnardo.

„Passen Sie gut auf Sie auf, in letzter Zeit sind einige Verbrechen geschehen“, wandte er sich wieder an den Doktor und wurde ein bisschen ernster, „Die Polizei ist in ziemlichen Aufruhr und … ich sage es nur ungern, aber Ihre Erscheinung wird nicht weniger Aufsehen erregen, Miss Garcia.“

„Ja, auch das ist mir bekannt“, murmelte ich mit einem gezwungenen Lächeln, „Darauf … hat uns die Polizei ausgiebig hingewiesen.“

„Vermutlich auch, weil Sie als Arzt unter Verdacht stehen, Mr. Smith, nicht wahr?“ Barnados Mundwinkel blieben nach unten gezogen, „Es ist eine Schandtat, dass man uns bezichtigt.“

Der Doktor steckte seine linke Hand in die Tasche seines Trenchcoats und hob ein wenig das Kinn,

„Da der Ripper anatomische Kenntnisse zu haben scheint, gerät natürlich die gesamte medizinische Belegschaft unter Generalverdacht, ein Serienkiller zu sein.“

„Nicht nur wir sind betroffen. Selbst der Elefantenmensch Joseph Merrick haben sie verdächtigen wollen. Absurd. Er ist mit seiner Erkrankung nicht einmal ansatzweise in der Lage so etwas zu tun.“

„Sie versuchen eben alle Möglichkeiten auszuschöpfen.“

„Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis ich ebenso in Verwahrung genommen werde.“

„Ich hoffe sehr, dass Ihnen dieses Schicksal nicht zuteil wird, Doctor.“

Barnados zuckte mit den Schultern, als würde er jene Möglichkeit als Weg des Lebens annehmen müssen, „Ich werde keine Wahl haben und kann im Fall des Falles nur darauf hoffen, dass meine bisherigen Taten für die Gesellschaft ausreichen, meine Unschuld weiterhin zu untermauern.“

„Haben Sie eigentlich eine Vermutung, warum es der Ripper ausschließlich auf Prostituierte abgesehen hat?“

„Wenn Sie mich als Kollegen fragen …“ Unser Gegenüber ließ sich einen Moment Zeit und ließ seinen Blick über die Straße streifen, „Ist Ihnen die Theorie von Professor Cesare Lombroso bekannt?“ Wir schüttelten beide den Kopf. Auch der Doktor konnte nicht alles wissen und ich selbst erst recht nicht. „Nun, das ist nicht verwunderlich. Seine Theorie ist noch recht neu und hat gewiss nicht alle Länder bereits erreicht. Lombroso behauptet, dass man einen Verbrecher oder die Neigung zu Verbrechen anhand anhand seiner biologischen Entwicklung erkennen kann: Schädelform, Augenbrauenwuchs … ich möchte mich dem nicht ohne weiteres anschließen, aber dank ihm hat die Psychiatrie und damit auch wir Mediziner einen erheblichen Zuwachs an Bedeutung gewonnen, wenn es um strafrechtliche Aufklärung geht. Dennoch bin ich eben nicht der Meinung, dass es sich Jack the Ripper um einen solch üblichen Täter handelt.“

„Sie meinen auf Grund seines anatomischen Wissens?“

„Eher in der Art, wie er sich auszudrücken weiß. Wenn nicht jemand anderes für ihn seine Mitteilungen an Scotland Yard schreibt, haben wir es mit einem hochintelligenten Mann zu tun haben. Jemand, der sich vielleicht selbstständig die anatomische Kenntnisse angeeignet hat, um ganz London zu verwirren. Ein kluger Kopf, der allerdings keinerlei soziale Fähigkeiten besitzt, weder Empathie noch Schuld empfindet und sich selbst mit jeder weiteren Tat zu verherrlichen scheint.“

„Ein Psychopath also“, entwich es mir und zog demnach die Aufmerksamkeit des Arztes auf mich, „Vielleicht hat ihn irgendetwas traumatisiert, dass ihn dazu brachte, Frauen, bevorzugt Prostituierte zu hassen und sie zu töten? Zumindest die Tatsache, wie er sie umbringt, ist … “

„Liebes, spiel' nicht wieder den Inspektor. Du hast zu oft die Studie in Scharlachrot gelesen!“, fuhr mir der Timelord da auf einmal über den Mund, so dass ich überrascht aufsah, und ich spürte, wie sich sein Griff an meiner Schulter verstärkte. Hatte ich zu viel geredet? Mein Seitenblick galt Thomas Barnando, der kritisch dreinschaute, als er sollte und ich setzte schnell ein typisch weibliches Lachen auf. „Oh, Verzeihung! Aber die Abenteuer von Mr. Holmes und Dr. Watson haben mich einfach überwältigt!“ Ich legte die Hand an den Mund, um ein bisschen femininer zu wirken, wobei das an sich gar nicht meine Art war. Noch immer schaute Barnando verdrießlich drein, als würde er mich irgendwie verdächtigen oder gerade in eine seiner Schubladen stecken. „Und du hast ganz Recht, mein Liebster. Das tut dem Baby nicht gut!“ Unmerklich den Bauch ein bisschen mehr herausstreckend, bis mir der Rücken wehtat, legte ich meine Hände an jenen und strich behutsam drüber.

„Dann sollten Sie sich wirklich nicht zu viel Aufregung zu Gemüte führen“, erklang nun wieder die Stimme unseres neuen Bekannten, „Gerade in den ersten Wochen ist dies Gift für die Schwangere. Und ich muss es wissen, ich habe dies mit meiner Frau sieben Mal durch.“ Seine Worte klangen sanft, aber trotzdem hörte ich eine gekünstelte Lockerheit heraus, die er sich abrang, „Ich kann Ihnen die Romane von Jane Austen nur ans Herz legen. Weniger aufregend und für eine gute Lektüre während der Hausarbeit geeignet. Meine Frau ist von Emma sehr bezaubert.“

Soviel zu den durch die Blume gesprochenen Botschaften:

Emma, die Protagonistin des gleichnamigen Werkes, welche ihre Nase in allerlei Angelegenheiten steckt und sich damit am Ende den selbst größten Ärger beschert: Von sich selbst zu sehr überzeugt. Von sich selbst zu eingenommen und der Gesellschaft trotzen wollend.

Das war keineswegs das Bild, was auf mich zutreffend sein konnte, aber doch war es nun nicht das erste Mal, dass mich ein anderer dieser Zeit so einschätzte. Ich passte mit meinen modernen Ansichten und meiner großen Klappe nicht in die alteingesessene konservative Zeit. „In der Tat glaube ich allerdings auch, dass es sich beim Ripper um eine psychopathische Persönlichkeit handelt. Jemand, der seine Wut und seine Verachtung gegenüber anderen in Form von Mord aufbringen muss. Er muss das für ihn wertlose Leben beenden, um sich selbst als besserer Mensch der Welt Genugtuung und Zufriedenheit zu verschaffen. Die Vorgehensweise ist von Mal zu Mal brutaler geworden, es würde mich nicht wundern, wenn er sich selbst immer wieder aufstachelt und noch mehr versucht zu optimieren.“

Der Timelord an meiner Seite schwieg, verarbeitete die so eben gesprochenen Worte und nickte sie schließlich ab,

„Eine interessante These, Doktor Barnando.“

„Es ist eine Tragödie, dass wir diese allerdings nie beweisen werden können, weil keines seiner Opfer bisher überlebte.“

„Selbst in der Gerichtsmedizin sprechen die Toten nicht ausgiebig zu uns.“

„Nein, manche Geschichten bleiben auf ewig verschlossen.“

Die beiden Männer hielten einen Moment inne, ehe sich der klein gewachsene Barnando den Hut zurechtrückte,

„Mr. Smith, Miss Garcia. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Es war nett, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, aber die Pflicht ruft.“ Er griff unter seinen Überrock und zog ein Papier wohl aus der Tasche seines Sackos hervor, „Ich würde mich freuen, wenn Sie mir schrieben, sobald sie wohlbehalten zu Hause angekommen sind.“ Er reichte dem Doktor einen Zettel, welcher mit der schwarzen Schrift mittels einer Schreibmaschine bedruckt war. Auf ihm stand in ordentlichen Lettern der Name und die Adresse von unserem Bekannten.

„Oh, das werde ich. Es tut mir leid, dass ich Ihnen, gerade leider keine Visitenkarte meinerseits reichen kann. Sie liegt im Hotel.“

„Natürlich, das verstehe ich. Also dann … gestatten Sie?“ Er hob kurzzeitig den Hut an und schritt schließlich an uns vorbei, ins Krankenhaus.

Wir beide sahen ihm kurz noch hinterher, ehe wir uns einander einen längeren Blick zuwarfen. „Ich glaube, wir w erden uns gleich noch einmal über die Sache mit dem Reden unterhalten“, raunte der Doktor mir ins Ohr und ich musste mich geschlagen geben,

„Ich bin über die Stränge geschlagen, ich weiß.“

„Allerdings.“ Ich verzog den Mund und zuckte etwas hilflos mit den Schultern, „Als Frau, zu dürftig bekleidet, von Spanien emigriert, mit Mitte 20 noch nicht verheiratet und dafür allerdings schwanger, haben Sie keine guten Karten.“ Ein kleines Lächeln huschte über die Lippen des Doktors. Er erlöste meine Schulter von seinem Griff, in dem er nur zweimal noch auf jene klopfte und dann schließlich den Arm von mir nahm. Alles halb so wild.

Das wollte ich gerne glauben und über die Tatsache, wie sich unsere Scheinidentität immer und mehr verselbstständigt hatte, musste ich beinahe schon lachen.

So schnelle konnte es gehen. Von der Prostituierten, zur Komplizin, zur zukünftigen Frau. Interessante Wendung. „Lassen Sie uns endlich weiter.“
 

Wir kreuzten die Straße, verließen diese an der nächsten Ecke und gelangten in die parallellaufende Fieldgate Street. Unzählige Wohnhäuser, Straßennischen und Gassen passierend, schafften wir es schließlich beinahe bis zur Ausgangsposition: die Untergrundstation Aldgate East. Die TARDIS war also nicht mehr weit. Auch die Polizisten, die ich hier vermutet hätte, blieben aus. Es war schlicht nicht dasselbe, wie in der gegenwärtigen Zeit. Bei uns wäre die Polizei stärker aufgestellt worden, es hätte Absperrungen gegeben und und und. Hier allerdings wirkte es fast so als wäre nie etwas geschehen.

Es war fast schon zu leicht gewesen, als wir tatsächlich die TARDIS erreichten – und genau deswegen standen wir auch nur vier, fünf Meter von ihr entfernt. Denn wo die Polizisten auf der Straße gefehlt hatten, waren sie hier gut stationiert: Zwei standen bei der blauen Box und wirkten so, als würden sie diese mit ihrem Leben beschützen. Vermutlich täten sie das auch, wenn es drauf ankäme.

„Und was nun?“, flüsterte ich zum Doktor und schaute ein bisschen verdrießlich drein, „Wir können schlecht einfach reinspazieren!“

„Nein, das können wir in der Tat nicht.“ Er sah sich um, schien all unsere Möglichkeiten einzuschätzen und abzuwägen, die wir besäßen, „Vermutlich bleibt uns aber dennoch nichts anderes übrig.“

„Was wollen Sie tun?“

„Die TARDIS öffnen. Mit Ihrer Hilfe.“ Er bedachte mich mit einem Lächeln und augenblicklich wusste ich, worauf es hinauslaufen würde:

„Oh Nein! Nein! Nein, nein, nein, nein, nein. So nicht.“

 

Oh doch. So ja. So gerade ja. Verdammt.

Es mag ja sein, dass ich ein paar Jahre Theater gespielt habe und dass ich es immer noch hin und wieder mochte, in andere Rollen zu schlüpfen, aber … das war zu viel des Guten: Ich sollte eigentlich nur für Ablenkung sorgen, nicht mehr, nicht weniger. So viel Zeit verschaffen, dass der Doktor ohne Probleme in die TARDIS konnte.

Nun viel mir leider genau das besonders schwer – denn wenn ich etwas nicht konnte, dann war es besonders hilflos und mädchenhaft zu sein. Ich erhielt sogar noch den Trenchcoat des Doktors, damit ich ein bisschen unbeholfener wirkte, den ich mir um die Schultern legte, und vorne zugehalten hielt.

„Das kriegen Sie schon hin!“, sagte er auch noch und hatte sich aufgemacht, sich an die blaue Box von der anderen Seite heranzupirschen, während ich meine Szene spielen durfte.

Ich schloss die Augen, atmete einmal durch und sprach mir zu, dass niemand von den Anwesenden mich jemals wiedersehen würde. Es würde einfach in Vergessenheit der Geschichte der Londoner geraten. Ohne viel Hopp. Ganz genau.

Ich zog das jetzt einfach durch und dann ging es nach Hause. Fertig.

Die Schulter gestrafft haltend, ging ich klopfenden Herzens um die Ecke, stolperte auf die Polizisten zu, die meine Anwesenheit noch nicht bemerkt hatten. Ich musste ein bisschen aufdringlicher werden, also ging ich wie ein Elefant im Porzellanladen laut über den Asphalt. „E-Entschuldigung …“, brachte ich ein bisschen zu leise hervor und wiederholte mich somit „Entschuldigung!“

Die beiden Beamten sahen nun auf und bedachten mich mit einem fragenden Blick. Ich versuchte so ängstlich und hilflos wie nur möglich zu erscheinen, hielt mir den Trenchcoat fest vor der Brust zugeschnürt und setzte zu ein, zwei Atemaussetzer an, damit es ein bisschen dramatischer wirkte. Gott, kam ich mir lächerlich vor.

Ungeachtet dessen stolperte ich nun aber tatsächlich und konnte mich auch nicht mehr abfangen, da ich in die vielen Mulden des Mantels gefangen war. Zu Boden purzelnd verletzte ich mich glücklicherweise aber nicht. Dennoch war es ein sehr effektives Unterfangen, denn die beiden Polizisten kamen nun erschrocken zu mir geeilt und fragten mich im schönsten Londoner Akzent, ob mit mir alles in Ordnung wäre. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie der Doktor um die Ecke geflitzt kam und auf leisen Sohlen zur TARDIS schlich.

„J-Ja, Entschuldigung. Mir … war gerade nur schwindelig“, log ich und legte die Hand an die Schläfen, um meinen Worten Ausdruck zu verleihen.

„Wie können wir Ihnen helfen, Miss?“, fragte mich derjenige, welcher sich zu mir hingehockt hatte und einen rotbraunen Schnurrbart trug.

„E-Es … also … I-Ich werde verfolgt.“ Die beiden Beamten sahen sich alarmiert an. „E-Eben … bei der Aldgate Station … m-mich verfolgte ein Mann.“

„Ein Mann?“, sprach der andere, welcher neben uns stand und ich nickte, „J-Ja. Er ist bestimmt auch jetzt noch hinter mir her.“ Die Polizisten sahen einander an und an mir vorbei, wo ich hergekommen war.

„Nun, zumindest ist er nicht hier“, sprach Mann an meiner Seite beschwichtigend und machte Anstalten, mir hochzuhelfen, in dem er mich an meinem Arm stützte. Der andere Kollege nickte,

„Ja, wir können hier gerne einmal schauen, ob-“

„Oh!“ Gezielt knickte ich beim Aufstehen um und ließ mich abermals dramatisch zu Boden plumpsen, auch wenn der Herr Beamte vor mir mich mit seinen Armen aufzufangen wusste (Entschuldigung Schatz, ich hoffe du hast Verständnis dafür, wenn ich sage, dass ich es nur getan habe, damit der Doktor unentdeckt blieb).

Denn natürlich waren die zwei so pflichtbewusst, dass sie am liebsten sofort losgestürmt wären. Ich blinzelte, murmelte erneut eine Entschuldigung und sah, dass der Doktor es schließlich geschafft hatte, die TARDIS aufzuschließen und hineinzuschlüpfen. Mit einem Fingerzeichen hatte er die Tür daraufhin wieder geschlossen. Ich sollte ihm folgen. Irgendwie.

„Geht es Ihnen wirklich gut?“

„Ja, ja … könnten Sie mich bitte … vielleicht nur zur Straße begleiten?“

Die zwei Londoner sahen sich an, unwissend, was sie tun sollten, immerhin hatten sie hier ihren Dienst zu leisten. Aber … dem Volk zu helfen, gehörte doch auch zu den Aufgaben, nicht wahr?

Demnach stimmten sie zu, warfen noch einmal einen Blick auf die blaue Box, in deren Nähe sich immer noch niemand getraut hatte und gingen dann mit mir aus der Seitenstraße, Richtung Hauptstraße. Das würde wohl eindeutig genug Zeit geben, damit der Doktor unbemerkt die TARDIS wieder in die Gänge bekäme und wir abhauen könnten.

„Wohin müssen Sie, Miss?“, sprach mich der Polizist an, welcher mir hochgeholfen hatte, und ich geriet ins Stottern, weil ich mir natürlich nicht vorher ausgedacht hatte, wo es hingehen sollte:

„E-Ehm … ich … ich wollte eigentlich hier auf eine Freundin warten. W-Wir … wir wollten in das Café. Der Teesalon … dort drüben!“, deutete ich auf die andere Straßenseite, wo sich tatsächlich ein kleines Café befand.

„Nun, dann begleiten wir Sie am besten dort hin. Drinnen sollten Sie sicher sein. Wir können dem Wirt gerne Bescheid geben“, erklärte er mit einem Lächeln, welches ich nur schmallippig erwiderte und nickte.

Es waren nur wenige Minuten, die vergingen, bis wir das Café erreichten und ich zu einem Tisch für zwei geleitet wurde. Ich hatte die Beamten davon abhalten können, dass sie den Betreiber auf meine Situation aufmerksam machten und konnte ebenso auch dafür sorgen, dass ich den Mantel des Doktors anbehalten könnte: mir war durch die Angst immer noch sehr kalt.

Die zwei Polizisten verabschiedeten sich von mir, nachdem ich mich ausgiebig bei ihnen bedankt hatte und ich sah durch das Fenster, wie sie auf die Straße gingen, um zu ihrem Posten zurückzukehren.

Noch bevor der Kellner meinen Wunsch aufnehmen konnte, war ich aufgesprungen und wieder aus dem Teesalon geschlüpft. So schnell ich konnte, rannte ich auf die Seitengasse zu, die parallel zu jener lief, welche wir eben genommen hatten. Ich konnte nur hoffen, dass ich die TARDIS vor den Beamten erwischte, so dass ich reinspringen könnte. Mein Glück sollte mir aber nicht hold sein:

Ich sah zwar die TARDIS, doch bemerkte ich da noch eine andere Gestalt bemerkte, die drauf und dran war, sich an der Tür zu schaffen zu machen.

„Hey!“, rief ich ohne nachzudenken und sorgte dafür, dass die dunkelhaarige Frau, welche in hochgeschlossener typisch viktorianischer Kleidung und einen lockeren Zopf tragend ertappt aufsah und zurückweichen wollte, ehe sie aber die Tür der TARDIS einfach aufriss und drin verschwand! „HEY!“, schrie ich nun direkt schon, geschockt über diese Dreistigkeit und stürmte ebenso vor – die Polizisten waren tatsächlich noch nicht da, als dass sie mich entdecken könnten. Entsprechend stolperte ich hinein und da standen wir nun: Der Doktor am Pult, mit seinem überrascht schockierten Blick über diesen fremden Besuch, und dann zu mir guckend. Ich, die ihn nur überfordert kopfschüttelnd ansah. Die fremde Frau, die dem Doktor zugewandt stand und ihre Stimme nahezu flehentlich erhob: „Doktor, helfen Sie mir bitte!!“

„Dafür … wüsste ich zunächst einmal gern, wer Sie sind?“ Der typisch skeptische Blick des Timelords ließ sein Gesicht in eine lustige Grimasse verfallen.

„Oh … oh, natürlich! Entschuldigung!“ Die zu gut in die viktorianische Zeit passende Frau schien mit einem Mal so, als wäre der Groschen gefallen und nun mehr schien sie ein wenig ruhiger. Sich räuspernd, drehte sie sich sogar zu mir um, „Mein Name ist Metatropeasis. Ich … ich bin Arcateenianerin.“

Beim letzten Wort blinzelte ich und hatte mir es da schon nicht mehr gemerkt. Arca...was?

Arcateen V?“, fragte der Doktor lediglich und erfuhr ein Nicken von unserer neuen Bekannten.

„Genau.“

„Was ist passiert?“

Zumindest schien der Doktor diese Frau zuordnen zu können. Und wenn sie eine Arca-Orca-was-auch-immer war, schloss ich daraus, dass sie irgendwie zwar eine menschliche Form angenommen hatte, allerdings kein Mensch war. Dies ließ mich meine Augen einmal mehr über ihre Erscheinung schweifen und mit einem Mal fuhr ich erschrocken auf: Zwar trat kein Blut mehr aus, aber an ihrer Kehle war eine lange Schnittwunde verzeichnet. So, als hätte man sie ihr durchgeschnitten. Und auch jetzt fiel mehr erst auf, dass ihre Hände viel zu blau waren als dass es sich um eine lebende Erscheinung hätte handeln können. Und … wieso glaubte ich, das Gesicht schon einmal gesehen zu haben? Chief Inspector Sutherland hatte uns Bilder der Opfer vorgelegt, aber ich war mir nicht ganz sicher, ob sie auch darunter gewesen war.

Aus Vorsicht heraus machte ich einen Schritt zurück, was der Doktor nur zu gut mitbekam und nun mehr mir seine Aufmerksamkeit zukommen ließ, „Keine Sorge. Arcateenianer sind eine humanoide Alienrasse. Sie können von anderen Körpern Besitz ergreifen, aber … normalerweise geht von ihnen keine Gefahr aus.“ Und nun schenkte er Metatropeasis einen ebenso vorsichtigen Blick, „Sollte. Was ist also passiert? Warum bist du hier?“

„Ich bin in keiner feindlichen Absicht zur Erde gekommen“, erklärte die Angesprochene nun fast schon reuevoll, „Eigentlich … suchte ich ein Exil.“

„Ein Exil? Auf Arcateen V herrscht kein Krieg soweit ich weiß?“

„Nein, ein Exil vor meiner Familie.“

Der Doktor und ich sahen verblüfft auf. Sie wirkte nicht wie eine Ausreißerin, aber so konnte man sich eben täuschen – und warum sollten andere Lebewesen außer uns Menschen nicht auch familiäre Dispute haben, die sie nicht anders als mit Wegrennen zu lösen wussten? Eben! „Aber das ist nicht das Problem. Ich habe mir anscheinend eine unpassende Wirtin ausgesucht.“ Das würde ich auch so sagen: Unpassend tot, ja.

„Wirst du verfolgt?“

„Ja, von diesen Menschen in dunkler Kleidung, mit diesen seltsamen Kopfbedeckungen.“ Damit meinte sie wohl die hiesige Polizei. „Ich hatte mir diesen Körper gesucht, nachdem man mir daheim sagte, dass es in diesen Totenhäusern viele freie Wirte gäbe.“

„Und suchtest dir ausgerechnet eine von denen aus, die ermordet wurden und dies auch noch von einem der gefürchtesten Serienkiller in der gesamten Londoner Geschichte“, ergänzte der Doktor, nicht gerade begeistert von der Begebenheit, „Wie heißt sie?“

„Ich glaube, ihr Name lautet Elizabeth Stride.“ Also tatsächlich eines der Ripper-Opfer. Kein Wunder, dass die Polizei hinter ihr her war – und das sprach auch aus den Augen des Doktors.

Als wäre dies aber nicht genug gewesen, wurde die Tür hinter mir erneut aufgerissen und die mir nur zu bekannten Stimmen der beiden Polizisten, die mir so eben noch zuvorkommend geholfen hatten aus der gefährlichen Seitengasse zum sicheren Café zu gelangen, drangen dicht an mein Ohr:

„Grundgütiger …“

„Bei der Queen Victoria … was … ist das?“

Hatte ich schon gesagt, dass wir in der Klemme steckten?

Nein?

Wir steckten in der Klemme.

Mal wieder.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wie schnell man doch auf andere bekannte historische Persönlichkeiten treffen kann. Barnando war in der Tat der Gründer jener Heime für arme Kinder und soll bis zu seinem Tod rund 60. 000 Kindern Hilfe gebracht haben. Seine Leidenschaft schaffte aber ebenso auch Leiden, so dass er mit 50 selbst an Herzbeschwerden litt, die völlige Ruhe verordneten. Man kann annehmen, dass er an Herzschwäche starb.

Interessante Seite hierzu: http://infed.org/mobi/thomas-john-barnardo-the-doctor/ Komplett anzeigen

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