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Seelenkrank

von

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Der Beginn einer langen Reise

Zwei Jahre später.

Die Bekanntschaft mit Julietta war ausschlaggebend für meine weitere Entwicklung. Ich versuchte meine Gedanken immer mehr auf mein reales Leben zu projizieren. An Jacken oder auch Taschen befestigte ich Nieten oder besorgte mir Aufnäher mit dem Logo meiner Lieblingsbands. Meine Eltern hatten mir eine schwarze Lederjacke geschenkt, die ich ein bisschen verschönerte. Musiker wie Manson beeindruckten mich nach wie vor und ich verspürte diesen Drang auch irgendwann mal Musik machen zu wollen und meine eigenen Platten zu verkaufen. Ich ließ meine Haare ein bisschen länger wachsen und trug hauptsächlich schwarze Klamotten. Diese dunkle Szene mit all ihren geheimnisvollen Facetten begann mich immer mehr in ihren Bann zu ziehen. Zu Beginn schockten mich gerade Mansons Texte, weil sie von Drogen, Absturz, Gewalt und Missbrauch erzählten. Doch jeh mehr ich in die Materie eintauchte, seine Biografie nahezu verschlang und mich mit seinen Ansichten auseinandersetzte, faszinierte er mich umso mehr. Nicht, dass ich auch so sein wollte, doch ich merkte zum ersten Mal, dass ich anders sein wollte. Anfangs unternahm ich den Versuch mit meinen Eltern zu reden, doch sie wollten nichts davon hören. Und so sah ich keinen Sinn, ihnen das alles zu erklären. Basti und Flo konnte ich aber davon überzeugen und dieses eine Jahr war wohl das glücklichste in meiner ganzen Jugendzeit. Wir besuchten viele Konzerte, zum Beispiel von Nine inch Nails oder The Cure, die mit zu den ersten Gothicbands überhaupt gehörten.

Als wir zusammen im Park hockten, kamen wir irgendwie auf Julietta zu sprechen.

„Du könntest sie doch mal wieder anrufen", schlug Basti vor.

„Ach was, sie hat sicher Bessere zu tun."

Darauf erwiderte Basti nichts mehr.  

Irgendwie konnten wir alle drei das Rauchen nicht mehr lassen und ich hatte dabei auch kein schlechtes Gewissen mehr, denn so lange es meine Eltern nicht merken würden, war es ja nicht schlimm. Doch musste ich feststellen, dass das Verhältnis zu meiner Mum immer schlechter wurde. Einerseits, weil sie es furchtbar fand, dass ich jetzt nur noch schwarze Klamotten trug und andererseits weil ich nicht mehr länger der kleine Junge sein wollte. Ich war immerhin sechzehn Jahre alt und konnte auch auf mich selbst aufpassen. Unsere Wege trennten sich und ich schlenderte durch den Park nach Hause. Da vernahm ich auf einmal ein Pfeifen dicht hinter mir. Als ich mich umdrehte, war ich sehr überrascht, denn vor mir stand Tim und er sah sehr gut aus.

„Hey, schön dich zu sehn. Was geht?“

Tim musterte mich eine Weile.

„Du hast dich in den letzten Jahren ja echt krass verändert. Alles cool. Bin sogar wieder mit meiner Freundin zusammen.“

„Das freut mich. Ja, man entwickelt sich halt.“

„Willst‘e eine rauchen?“

Diesmal sagte ich nicht nein und nahm die Zigarette dankend an.

„Komm, ich muss dir unbedingt was zeigen.“

„Na klar. Warst du auch bei deinen Eltern?“

„Ja, aber die ändern ihre Meinung nich, obwohl ich jetzt nen Job bei der Post hab. Ich denk, Eileen und ich suchen uns ne Bude.“

„Cool, dass du dein Leben jetzt so im Griff hast.“

Tim führte mich zu einer alten Laube, die innerhalb der Kleingartenanlage der Stadt lag.

„Das Grundstück gehört meinen Eltern und sie benutzen es nich mehr, deshalb hab ich und noch‘n paar Kumpels vor ne kleine Holzhütte zu bauen. Hier kann man richtig fett feiern, denn stören tut‘s eh keinen, wenn man mal ein bisschen lauter ist.“

Wir setzten uns vor die unfertige Hütte und tranken ein Bier. Er breitete auf dem wackeligen Holztisch ein weißes Pulver aus und zog es durch seine Nase. Wieder warf er mir einen fragenden Blick zu. Ich schüttelte mit dem Kopf. Wir unterhielten uns noch ein bisschen und Tim erzählte viel von sich. Er gab auch zu, dass er ab und zu noch Drogen nahm, aber alles unter Kontrolle hätte.

„Hast du denn eigentlich ne Freundin?“

Ich schüttelte den Kopf, verschwieg aber auch, dass ich etwas mit einem Mädel hatte.

Als es fast eins war, machte ich mich auf den Heimweg. Ich befürchtete schon, dass es wieder fürchterlichen Stress geben würde. Mein Vater war die Woche weggefahren und meine Mutter war sicher außer sich vor Wut. Doch als ich nach Hause kam, fand ich die Wohnung dunkel und schon fast ein bisschen einsam vor. Auch gut, somit umging ich wenigstens irgendwelche unnötigen Streitereien. Ich zuckte die Schultern, ging in mein Zimmer und hörte Musik, bis ich schließlich einschlief.

Letzte Woche hatte mir mein Vater seine alte Gitarre geschenkt, auf der ich seit dem fast jeden Tag spielte. Ich lernte sehr schnell und hatte viel Freude am Nachspielen der Songs. Irgendwann kam meine Mutter in mein Zimmer und fragte, ob ich ihr ein bisschen Gesellschaft leisten wolle. Ich folgte ihr ohne zu antworten in die Küche und kochte mir einen Kaffee.

„Weißt du Lukas, du hast dich ganz schön verändert. Ich habe den Eindruck, dass du auf einmal ein ganz anderer Mensch bist.“

„Naja in gewisser Weise bin ich das ja auch…ich werde älter und hab jetzt Hobbies und so.“

„Ja, aber was für Hobbies. Es gibt so viele Dinge, auch so viele schöne Dinge…. Aber das ist dir wahrscheinlich nicht gut genug.“

„Darum geht es doch gar nich“, fuhr ich sie genervt an.

„Nicht? Um was denn dann? Ist es etwa cool mit sechzehn Jahren zu rauchen? Oder in schwarzen Klamotten rumzulaufen?“

„Ich mag es halt und die schwarzen Klamotten haben etwas mit meiner Musik zu tun. Ich will eben nich aussehen wie alle anderen.“

„Und ich will nicht, dass du in der Schule so rumläufst! Die Lehrer denken sonst noch, du hängst mit diesen Satanisten rum.“

Ich verdrehte die Augen.

„Ja, is klar. Hast du denn früher keine Szene oder sowas gehabt, die du toll fandest? Außerdem gibt es viel schlimmere Szenen. Gothics sind ja wohl harmlos.“

Nein hatte ich nicht. In deiner Freizeit gerne, aber nicht in der Schule.“

„Mach ich aber nich. Ich laufe so rum, wie ich will.“

Sie holte tief Luft.

„Nicht in diesem Ton!“

Ich trank meinen Kaffee noch aus und verkroch mich wieder in meinem Zimmer. Warum regte sie sich so auf? Ich öffnete das Fenster, hockte mich auf das Fensterbrett und rauchte eine Zigarette.

Am nächsten Tag traf ich mich mit Tim und er stellte mich seinen ganzen Freunden im Park vor. Manche von denen sahen ganz schön fertig aus. Wahrscheinlich waren viele von denen solche Drogenfreaks, wie Tim es auch war. Ich setzte mich zu ihm auf die Wiese. Er hielt mir eine selbstgedrehte Zigarette hin.

„Hier, probier mal.“

Nichtsahnend nahm ich einen tiefen Zug und musste ein bisschen husten. Der Joint tat schnell seine Wirkung und mir wurde ein bisschen schummrig, aber auf eine angenehme Art und Weise. Ich könnte die ganze Zeit lachen und war total unbeschwingt. Auch Basti und Flo verbrachten nun viel Zeit mit mir, Tim und den andern Leuten. Jedoch war Basti der einzige von uns, der sich aus den Drogensachen heraushielt. Er saß immer nur dabei und sah uns zu. Tim nahm uns auch immer öfter mit zu irgendwelchen Partys, die dann meist in einem Massenbesäufnis endeten. Meine Eltern bekamen glücklicherweise nicht viel davon mit, da ich erst irgendwann in der Nacht nach Hause kam.

Wir waren wieder mal auf einer Party, da rief mich Tim zu sich herüber. Er hielt ein Pillendöschen in der Hand.

„Hast du Lust?“

„Ich weiß nich. Das ist doch ganz schön heftig oder?“

„Ach quatsch. Du brauchst ja nur mal zu probieren, es ist echt nich schlimm.“

Tim und ich schmissen ein paar Tabletten ein und kurze Zeit später fühlte ich mich mega fit, so als könnte ich Bäume ausreißen und die ganze Nacht durchfeiern. Es war wirklich gut und ich fühlte mich wieder frei. Meine Probleme schienen unendlich weit weg zu sein. Als Flo mitbekam, wie ich drauf war, wollte er auch unbedingt was nehmen.

Etwa eine Woche später folgte die nächste Party und ich schwebte im Drogenhimmel. Wie auch immer Tim an das Zeug kam, mich machte es glücklich. Oft zogen wir auch Pepp, wobei mir von diesem gepunchten Dreck auch oft übel würde. Deshalb blieb ich lieber bei meinen Aufputschmitteln. Doch jeh öfter ich diesen Mist nahm, desto mehr merkte ich, wie ich immer seltener widerstehen konnte und dann appellierte mein gutes Gewissen an mich und ermahnte mich, dass ich es besser nicht zu weit treiben sollte. Ich hätte nie damit anfangen sollen und ich hasste mich selbst dafür. Jetzt musste ich zu Hause echt aufpassen, dass meine Eltern nicht merkten, dass ich Drogen nahm. Das erwies sich jedoch als sehr schwierig, denn ich fand ja selbst schon, dass ich verdammt scheiße aussah. Ich bekam jetzt immer öfter Entzugserscheinungen. Glücklicherweise stellten meine Eltern keine Fragen, wenn ich sie um Geld anpumpte, denn so hatten sie Ruhe vor mir. Ich war echt total fertig und ich bildete mir auch ein, dass das meine Freunde, mit denen ich Tag täglich zu tun hatte, das auch merkten. Manchmal fühlte ich mich deshalb miserabel, doch es kam immer seltener vor, dass ich überhaupt etwas fühlte.

 Eines Nachmittags, als ich nach Hause kam, bekam ich einen furchtbaren Schreck. Es sah so aus, als hätten sich meine Eltern heftig gestritten. Auf dem Tisch stand eine leere Weinflasche und die dazugehörigen Gläser kullerten zerbrochen auf dem Teppichboden herum. An der Wand schienen Blutspritzer zu sein oder doch nur Rotwein?

Ich hockte mich auf die Couch und atmete tief durch. Mir ging es ohnehin schon beschissen und jetzt auch noch das hier. Hoffentlich hatte die kleine Jojo nichts davon mitbekommen. Vielleicht hatten sich meine Eltern ja meinetwegen gestritten?

Meine Lippen waren spröde und ich bekam auf einmal furchtbaren Durst. Ein Hungergefühl verspürte ich jedoch kaum noch. Die letzten beiden Tage hatte ich bei Tim verbracht, weil meine Eltern so keinen Verdacht schöpfen konnten.

Plötzlich hörte ich eine Tür, die geöffnet und wieder geschlossen wurde. Dann  kam meine Mum zu mir und setzte sich aufs Sofa. Ich bekam Panik, dass sie etwas merken würde. Ihre Augen geröteten Augen musterten mich, wahrscheinlich hatte sie geweint. Sie setzte sich zu mir. Meine kleine Schwester war scheinbar bei meiner Tante.

„Lukas, ich glaube, ich gehe für ein paar Tage mit Johanna zu deiner Tante Conny. Ich halte das hier nicht mehr aus.“

„Warum, was ist denn passiert?“, krächzte ich und meine Stimme war mir so unendlich fremd.

„Dein Vater und ich haben uns furchtbar gestritten und das Resultat siehst du ja selbst.“

Erst dachte ich, sie würde erneut in Tränen ausbrechen, doch sie riss sich zusammen.

„Warum habt ihr euch gestritten?“

„Ach das Übliche…er ist nie da und ich bin mit Johanna alleine. Ich geb dir noch Geld, da kannst du dir was Schönes kaufen.“

„Klar.“

Verdammt, diese blöden Entzugserscheinungen setzten schon wieder ein. Ich war froh, dass meine Mum mich nicht genauer betrachtete. Ich biss mir auf die Unterlippe.

„So ich muss jetzt los…alles okay bei dir?“

Jetzt schaute sie mir direkt in die Augen und mir wurde heiß und kalt im Wechsel.

„Ach, ich bin viel mit Tim, Basti und Flo unterwegs. Klar geht es mir gut. Bleibst du lange weg?“

Ich versuchte zu lächeln. Meine Mum schüttelte mit dem Kopf.

„Mal sehen, wir telefonieren.“

„Okay.“

Sie drückte mir das Geld in die Hand, nicht gerade wenig und ich wusste sofort, was ich mir Schönes kaufen würde.

In meinem Zimmer drehte ich mir mit zittrigen Händen einen Joint und hoffte, dass mich das ein bisschen runter brachte. Ich wurde wieder in diese Scheinwelt entführt, in der alles schön zu sein schien. Ich schloss sie Augen, um der Realität auf diese Weise zu entfliehen. Auf einmal drehte sich alles und mir wurde ein bisschen übel. Ich legte mich aufs Bett, versuchte runter zu kommen und dämmerte weg.

Leicht panisch schreckte ich hoch, als jemand an meine Tür klopfte. Ich riss das Fenster auf und versuchte den Grasgeruch mit Räucherstäbchen zu überdecken. Doch zum Glück war es nur meine kleine Jojo. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Sie kam zu mir auf den Schoß gekrochen.

„Ich wollte dir noch Tschüs sagen.“

Verdammt ich war völlig neben mir und hoffte, dass meine Schwester nichts davon mitbekam.

„Wir seh’n uns sicher bald wieder Süße.“

Auf einmal nahm sie mein Gesicht zwischen ihre kleinen Hände und sah mich traurig an.

„Geht es dir gut? Du siehst so krank aus.“

Ich versuchte zu lächeln.

„Es is alles okay…ich schwöre es. Jetzt geh lieber, bevor Mama noch sauer wird.“

Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Ich hab dich lieb Lukas. Pass auf dich auf.“

Ich winkte ihr noch und meine Mum erschien in der Tür.

„Kommst du klar?“

Ich nickte stumm. Diesmal schaute sie mich länger an und ich dachte erst, dass sie was sagen würde, doch nichts.

 

„Deine Mutter hat dir doch vor zwei Tagen erst Geld gegeben! Was zur Hölle machst du denn damit?“

Mein Vater war wütend und leider schmiss er nicht so mit seinem Geld um sich wie meine Mum. Ich versuchte mich zusammenzureißen.

„Ich hab da son paar tolle Stiefel gesehen und dafür fehlt mir noch Geld. Ich hab ja noch was übrig, aber das ist halt nicht genug. Bitte Papa.“

Er willigte schließlich ein. Sofort machte ich mich auf den Weg zu Tim und besorgte mir Nachschub, der hoffentlich bis morgen Mittag reichen würde.

Zu Hause ging ich gleich in mein Zimmer, weil ich nicht wollte, dass mein Vater mich sah. Trotz des Rausches, in dem ich mich gerade befand, wurde mir in diesem Moment das erste Mal richtig bewusst, dass ich extrem drogenabhängig war. Was hatte ich damit nur angerichtet? Wie konnte ich das meinen Eltern antun? Hatte ich diese Junkies nicht immer gehasst? Ich musste gerade jetzt an Julietta denken. Was sie wohl dazu gesagt hätte? Sie hätte mich sicherlich verabscheut. Außerdem wollte ich doch nicht auf der Straße leben und mir jeden Tag aufs Neue Gedanken machen zu müssen, wo ich denn heute pennen konnte. Das alles war irgendwie zu viel für mich und ich musste heulen.

Auch in der Schule konnte ich mich kaum noch konzentrieren und Flo ging es nicht anders. Basti hatte kein Verständnis für unser Verhalten oder für das, was wir taten. Nachmittags, vor dem Sportunterricht zog er mich zur Seite.

„Lukas, bitte hör auf damit. Ich kann das nicht mehr mit ansehen, wie mein bester Freund ins Verderben rennt.“

Er klang echt verzweifelt.

„Das geht nich so leicht. Ich glaub, ich hab die Grenze schon überschritten.“

„Früher wärst du nie so gleichgültig gewesen. Hast du dich mal wieder im Spiegel betrachtet? Du siehst echt verdammt scheiße aus. Ich glaube nicht, dass es schon zu spät ist. Bitte!“

Bastis Worte rührten mich echt und mir wurde bewusst, dass ich meinen besten Freund verlieren würde, wenn ich nicht aufhörte.

„Vielleicht hast du Recht. Gehen wir zum Sportunterricht?“

Er nickte stumm.

Als ich nach Hause kam, hörte ich seltsame Geräusche und folgte ihnen. Sie kamen aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. Ich warf einen Blick durch das Schlüsselloch und erkannte meinen Vater mit einer anderen Frau im Bett. Das brach mir fast das Herz. Wie konnte er meiner Mum nur so etwas antun. Ich war wie gelähmt und schleppte mich auf das Sofa im Wohnzimmer, um eine Zigarette zu rauchen. Mir war egal, was mein Vater dazu sagen würde. Ich hatte immer gedacht, dass meine Eltern glücklich miteinander wären. Ich hatte es schon schrecklich gefunden, dass sie sich gestritten hatten, doch jetzt das? Wusste meine Mum davon?

Ich hasste meinen Vater dafür und ich hoffte, dass ich nie so werden würde. Ich schwor mir eine Frau oder ein Mädchen nie so zu verletzen.

Die Tür vom Schlafzimmer öffnete sich und die fremde Frau flüsterte meinem Vater zu, dass jemand im Wohnzimmer sei. Kurz darauf erschien mein Vater und sah mir dabei zu, wie ich meine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte.

Er schien nicht mal nervös oder unsicher zu sein.

„Ach, du rauchst also wieder?“

„Und? Hast du ein Problem damit?“

Ich konnte ihn nicht ansehen, diesen Heuchler.

„Hast du dir die Kippen etwa von meinem Geld gekauft?“

„Ja, hab ich.“

„Weißt du, ich gehe nicht arbeiten, damit du die Kohle für solchen Mist ausgibst, ist das klar?“

Jetzt drehte ich mich zu ihm und zündete mir aus Provokation noch eine Zigarette an. Er konnte jetzt mein verheultes Gesicht sehen.

„Lukas, verdammt noch mal! Hast du mich überhaupt verstanden?“

Ich nahm einen tiefen Zug.

„Ja, das habe ich. Allerdings interessiert es mich einen Dreck!“

„Mach sofort die Zigarette aus!“

Nein! Es kann dir doch egal sein, schließlich ist es mein Leben. Geh doch lieber wieder zu deiner Tussi im Flur. Die langweilt sich bestimmt schon!“

Plötzlich war er ruhig und sein Gesichtsausdruck wurde bedrohlich.

„Da war doch gar keiner.“

„Meinst du ich bin bescheuert? Es sei denn, du ziehst dir irgendwelche Pornos rein."

„Das kann ich erklären….“

„Ach, leck mich doch am Arsch! Für mich gibt‘s da nichts zu erklären.“

Wieder trat er einen Schritt näher und schlug mich wieder mal mitten ins Gesicht. Diesmal nicht nur einmal. Erst, als ich Blut auf meiner Unterlippe schmeckte und ich zu Boden ging, ließ er ab von mir. Verbittert starrte ich ihn an. Was sollte ich jetzt tun? Feindselig musterte er mich und unter Schmerzen erhob ich mich keuchend, zog Lederjacke und Schuhe an, um mich zu verpissen.

Ich wusste, dass einer von Tims Kumpels in einem Piercingstudio arbeitete und fragte meinen Freund deshalb, ob er da was klarmachen konnte und tatsächlich trafen wir uns einen Tag später in dessen Wohnung. Er stellte sich mir als Steff vor und reichte mir freundlich die tätowierte Hand. Ich lächelte etwas zurückhaltend.

„Tim meinte, du willst dich piercen lassen?“

Ich nickte.

„Ja, in beiden Brustwarzen“, antwortete ich.

„Alles klar, dann leg dich auf die Liege.“

Er zog sich Handschuhe über und ich zog mein Shirt aus. Das Eisspray auf meiner Haut ließ mich kurz zusammenzucken. Mit einem Stift markierte Steff zwei Punkten links und recht von meinen Nippeln und hielt mir einen Spiegel vor.

„Okay, passt denk ich…du bist der Experte“, grinste ich und lehnte mich wieder zurück.

„Na dann, bist du bereit?“

„Klar.“

Steff öffnete das Tütchen mit der Nadel und jagte diese durch die markierte Stelle. Ich biss mir heftig auf die malträtierte Unterlippe. Bei der linken Seite empfand ich den Schmerz nicht mehr als ganz so schlimm, da ich ja wusste, was mich erwartete.

„Super, das war’s dann. Ich geb dir noch eine Pflege mit, die du drei Mal täglich nimmst. Am besten mit nem Wattestäbchen. In etwa sechs Wochen sollte es verheilt sein.“

„Cool, danke.“

„Ähm Lukas…ich übe mich gerade etwas im Tätowieren und Tim wollte nicht, weil er ein Schisser ist. Hättest du vielleicht Bock? Natürlich würde ich dafür nichts nehmen. Mir geht’s mehr ums Üben.“

Meine Augen leuchteten auf und ich war mir nicht sicher, ob das gerade echt passierte.

„Mach kein scheiß? Dein Ernst?“

Steff nickte grinsend.

„Ja aber sowas von. Wann hast du Zeit?“

„Wenn du willst schon morgen. Lass Mal Nummern austauschen und ich schreib dir.“

Ich tippte seine Nummer in mein Handy ein und verabschiedete mich von ihm.

„Ach ja, du solltest vielleicht halbwegs nüchtern sein.“

„Okay, das bekomm ich hin.“

Ich winkte zum Abschied und machte mich auf den Weg zu Tim, um ihm von den Neuigkeiten zu erzählen. Mein Freund freute sich für mich, gab mir jedoch auch gleich zu verstehen, dass er das für echt verrückt hielt. Ich drehte mir einen Joint und schüttelte amüsiert den Kopf.

In der Nacht bekam ich fast kein Auge zu und etwas zu früh schlug ich bei Steff auf. Dieser hatte schon alles vorbereitet und ich nahm wie gestern auf der Liege platz.

„Na, nervös?“

„Bissl schon“, gab ich zu. Das monotone Surren der Nadel wirkte irgendwie beruhigend und als diese auf meine Haut am Oberarm traf, fühlte es sich gar nicht so schlimm an. Im Hintergrund lief schwere Metalmusik, doch irgendwie mochte ich die Band, auch, wenn ich sie nicht kannte.

„Was hören wir da?“

Lacrimas Profundere.“

„Cool, neue Musik. Die kannte ich noch gar nicht. Sag Mal, isses nich theoretisch Mist für dich, wenn es rauskommt, dass du mich tätowiert hast?“

„Wenn ich nem Studio arbeiten würde sicher. Doch das ist ne private Sache zwischen uns und du hast zugestimmt. Ich hab dich weder gezwungen, noch unter Drogen gesetzt, also alles cool.“

Wir legten zwischendurch eine Raucherpause ein und fuhren dann fort. Das Schattieren schmerzte dann doch mehr als ich gedacht hatte und ich biss mir hin und wieder auf die Unterlippe und versuchte mich gedanklich abzulenken.

„Mit wem hast du dich eigentlich geprügelt?“, riss mich Steff schließlich aus meinen Gedanken. Ich seufzte.

„War nur mein Dad…hab ihn wohl etwas provoziert.“

Mein Tätowierer warf mir einen mitfühlenden Blick zu.

„Kommt das öfter vor?“

„Nee“, log ich. Musste ja schließlich nicht jeder wissen, was bei mir zu Hause abging. Der Totenschädel bekam noch Hörnchen und mit dem fertigen Tattoo war ich mehr als zufrieden.

„Sehr geil…ich glaub ich komm wieder. Für den Rücken hab ich auch noch eine Idee.“

„Immer gerne. Dann kannst du dich ja einfach melden.“

Sehr glücklich mit meinem neuen Körperschmuck schlug ich den Weg nach Hause ein, um mich für die anstehende Party zu stylen. Ich überschminkte meine Verletzung im Gesicht so gut es ging und schlüpfte in mein transparentes Oberteil, damit meine neuen Piercings zu sehen waren. Die Folie vom Tattoo durfte ich bedauerlicherweise erst morgen entfernen. Recht gut gelaunt schlenderte ich zu Tim, wo auch schon Flo und Basti auf mich warteten.

 



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