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Seelenkrank

von

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Der letzte Streit oder die Ruhe vor dem Sturm

Jetzt war die Hälfte der Ferien schon rum und nach den Sommerferien lagen noch eine Menge Klassenarbeiten und Leistungskontrollen an. Eigentlich bin ich nicht der Typ, der den ganzen Nachmittag zu Hause sitzt und lernt, doch diesmal tat ich genau das. Ich wollte mich selbst nicht enttäuschen und schließlich sind gute Noten Voraussetzung. Ich blieb wirklich den ganzen Montag zu Hause und lernte für Geographie, Chemie und Mathe. Obwohl ich Mathe am besten konnte, bekam ich das gerade jetzt am wenigsten in meinen Kopf hinein. Doch nach einiger Zeit funktionierte es und ich ging alle Aufgaben, Formeln und Rechenwege noch einmal gewissenhaft durch. Geo und Chemie war nicht sonderlich schwer, wenn man im Unterricht gut aufgepasst hat. Zwischendurch verließ ich mein Zimmer ab zu, um etwas zu essen und um elf ließ ich mich etwas erschöpft in mein Bett fallen. Jedoch stand ich doch noch mal auf, um unten gute Nacht zu sagen. Meine Mum saß im Flur und arbeitete an ihrem Laptop, wahrscheinlich für die Agentur. Sie schaute auf, als ich an ihr vorbei ins Bad ging. Als ich wieder raus kam war sie damit beschäftigt ihren ganzen Schreibkram zusammenzuräumen.

„Ich geh jetzt ins Bett!“, bemerkte ich trocken. Sie erwiderte nichts und so schaute ich kurz bei Jojo ins Zimmer. Sie schlief schon tief und fest. Ich gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn und verschwand in meinen eigenen vier Wänden. Kurze Zeit später schneite meine Mum herein. Sie sah auch sehr geschafft aus, ihre Haare waren ein bisschen fettig und ihre Augen klein vor Müdigkeit.

„Was ist in letzter Zeit los mit dir? Du bist kaum noch zu Hause. Und wenn man mal mit dir reden will bist du auch schon wieder weg. Ich bin wohl nur dafür da, dass du einen warmen Arsch hast und ab und zu mal etwas zu Essen bekommst?“

Ich war tierisch müde und hatte absolut keine Lust mich mit meiner Mum rumzustreiten.

„Hab nur ne Menge Termine gehabt und da kam noch der ganze Schulstress dazu. Außerdem hab ich mich mit Nici gezofft.“

„Ach so ist das. Und deine Familie spielt wohl überhaupt keine Rolle mehr?“

„Doch schon. Ich habe die letzten Tage wahrscheinlich mehr Zeit mit Johanna verbracht als du. Außerdem brauchst du gar nicht von Zeit für Familie reden, wenn ich morgens aufstehe bist du schon weg und wenn ich nachmittags heim komme bist du auch noch nicht da. Den Abend möchte ich mit meinen Freunden verbringen.“

„Manchmal bist du wirklich komisch. Und findest du es wirklich hübsch, die du dich anziehst?“

Ich runzelte die Stirn. Verdammt noch mal ich wollte pennen und mich nicht die ganze Nacht irgendwelchen sinnlosen Gesprächen widmen.

„Ich habe mich mit meinem Psychologen über dich unterhalten Lukas…er meinte du hast vielleicht Probleme.“

„Die habe ich sehr wohl. Und?“

„Das ist es, was mir solche Angst macht. Du wirkst so abgestumpft und deine schwarze Welt umgibt dich wie ein Schleier. Es erweckt den Anschein als wäre dir alles egal!“

„Nur weil du jetzt nen Seelenklemptner gefunden hast, musst du nich versuchen mich zu therapieren. Aber schön, wenn das dein emotionales Zentrum erreicht und du dir Gedanken um mich machst.“

„Dann erkläre mir bitte nur ein einziges Mal, warum du so bist...“

Ich zündete mir noch eine Zigarette an.

„Woher soll ich das denn wissen? Ich steh halt auf die Musik, find mich hübsch in den schwarzen Klamotten und es erfüllt mich mit Stolz Musik zu komponieren, die andere berührt.“

„Musik die sich mit Tod und krankhaften Gefühlen befasst?“, stellte meine Mum etwas schockiert fest.

„Ja und? Es sind meine Gefühle, denn alle Gefühle hinterlassen Spuren oder nicht?“

„Erzähl mir doch nicht, dass dein Leben nur von solchen düsteren Gefühlen geprägt ist.“

Meine Mutter warf mir einen bösen Blick zu.

„Bisschen schon…aber immerhin hab ich einen Weg gefunden damit klarzukommen.“

„Womit habe ich so ein Kind wie dich nur verdient? Ja sicher…deine Sauf- und Drogenparties. Mach doch, was du willst.“

„Mach ich schon immer, weil meine Mutter leider keine Zeit für mich hat! Nur für sich selbst! Mach nur so weiter mit deinem Egotrip. Aber nicht mal das merkst du.“

„Was hab ich denn auch für eine Wahl. Zerstöre dich doch Lukas!“

„Echt?“

„Ich hab versucht zu dir durchzudringen, aber das geht nicht…ich gebe auf.“

Ich konnte nicht anders, ich musste lachen, worauf ich einen entsetzten Blick erntete.

„Mir fehlen die Worte.“

„Weißt du früher war das alles anders, da hast du mir nicht solche Sorgen bereitet......“

„Bitte hör doch auf immer von früher zu reden!“, fiel ich ihr ins Wort.

„Jeder Mensch verändert sich und genau das habe ich auch getan. Wann begreifst du endlich, dass ich kein kleines Kind mehr bin? Du siehst in mir wahrscheinlich nur einen, der das Saufen im Schädel hat und sonst nichts kann. Ich weiß wirklich nicht für was du mich hältst, aber kannst du nicht wenigstens versuchen mich so zu akzeptieren, wie ich bin?“

Meine Mum lächelte schwach.

„Ich wünschte mir, du wärst ein ganz normaler Junge und nicht so dunkel. Immer nur schwarz und Tod.“

Das saß tief. Jetzt hatte sie endlich das ausgesprochen, was ich schon immer vermutet hatte. Vielleicht mochte sie mich als Mensch, nicht aber so, wie ich mich in der Öffentlichkeit zeigte. Ich hasste sie dafür.

„Dann wünsche dir das mal weiter.“

„Ich will ja nur, dass du dich änderst!“

„Tue ich aber nicht. Schon gar nicht für dich!“

Sie erwiderte nichts und verließ mein Zimmer. Ich schrieb Juka, dass ich ihn sehr lieb hatte und er schickte mir ein Herzchen zurück. Ich schnappte mir meine Gitarre und lenkte mich mit Spielen ab, sonst würden nach diesem Gespräch wieder schlimme Dinge passieren. Mit letzter Kraft versuchte ich die Worte meiner Mum auszublenden.

 

Da wir noch drei Wochen Ferien hatten, beschlossen Basti, Flo, Tim, Julietta und ich noch am See, der in der Nähe der Stadt lag, zelten zu gehen. Wenigstens ein bisschen Urlaub und weg von dem Chaos und dem Stress. Ich packte mein Zeug und suchte mein Zelt im Keller, weil mich Tim in einer Stunde holen wollte.

Noch im Bademantel ging in die Küche, wo Jojo schon auf mich wartete. Ich kochte mir einen Kaffee und zündete mir dann eine Zigarette an. Mir wurde ein wenig schwindelig, als ich aufstand und meinen Kaffee holte, denn Nikotin auf nüchternen Magen ist ja bekanntlich nicht gut. Egal. Ich schlürfte meinen Kaffee und verzog mich dann ins Bad. Wie gut eine kalte Dusche am frühen morgen doch tut. Nachdem ich mich angezogen hatte und mein Gepäck von oben holte, klingelte Flo auch schon an der Tür. Wir passten alle bei Tim ins Auto. Jojo wollte mit ihren Leuten vielleicht auch vorbeikommen. Nachdem wir ein schattiges Plätzchen gefunden hatten, schlugen wir unsere Zelte auf und begannen mit Trinken. Am Seeufer war ein Volleyballnetz aufgebaut und wir fragten die Leute, die dort spielten, ob sie Lust auf ein Match hatten. Trotz meines Pegels schlug ich mich nicht schlecht und wir gewannen. Tranken mit den Jungs noch ein Freundschaftsbier und gingen baden. Ich telefonierte noch mit Nici, weil sie und Nadja auch heute irgendwann zum See kommen wollten. Sie teilte mir mit, dass sie gerade unterwegs waren. Ich half ihnen später beim Aufbauen ihrer Zelte und beschloss meinen Pegel zu halten.

Es dämmerte bereits und mein liebster Flo hatte sich schon mehr als abgeschossen. Mike und Julietta gesellten sich auch zu uns, was Nici wahrscheinlich nicht zu passen schien. Jule mit ihrer hammer Figur und den Tattoos. Nicht, dass ich Nici unattraktiv fand, immerhin war ich mit ihr zusammen, doch Jule war halt Jule und sie wusste wie sie mich um den Finger wickeln konnte. Flo kam irgendwann zu mir und Jule und legte seinen Kopf in meinen Schoß.

„Geht’s dir gut Schatz?“, fragte ich ihn. Er hielt den Daumen hoch.

Nici saß mir gegenüber und redete mit Nadja. Leider war es mir nicht erspart geblieben, dass Nadja ohne Chris hier her kam.

Am nächsten Morgen war Flo verschwunden und als ich ihn endlich erreichte, kam er mit einer weiteren Freundin von uns im Schlepptau, Malen. So langsam versprach das eine richtig witzige Runde zu werden. Ich wusste, dass er das mit Jenny beendet hatte, weil sie es nicht mit ihm ausgehalten hatte, Malen hingegen war ein super Mädel. Da wir echt ein bisschen versteckt waren, abgeschottet von den anderen Besuchern hier, schlug Jule vor Trinkspiele zu spielen. Flo verdrehte seine Augen.

„Mann Jule, ich bin noch nich mal nüchtern und du willst schon wieder mit trinken anfangen?“

Sie lachte nur und Flo verschwand mit Malen im Zelt.

„Ich glaube wir verschieben das auf später“, warf ich ein und legte mich in die Sonne. Nici gesellte sich zu mir.

„Alles okay bei dir?“

„Klar…ich genieße das gerade, nichts tun, Sonne und liebe Menschen um mich.“

Doch wieder schweiften meine Gedanken ab und ich machte mir schmerzlich bewusst, dass einer fehlte, nämlich Juka. War ich ihm auf einmal so egal? Hatte es etwas mit unserem letzten Treffen zu tun? Wurde ich im doch zu anstrengend? Irgendwie machte mich das wütend und ich holte mir ein Bier. Meine Freundin ging mir mächtig auf die Nerven. Und da hallten Jukas Worte in meinem Kopf, dass Nici nicht gut für mich sei. Hatte er damit wirklich so Recht?

„Muss das wirklich jetzt schon sein? So vergeht mir fast die Lust, dich zu küssen“, pampte mich Nici an und jetzt öffnete ich das Bier erst recht.

„Dann lass es halt.“

„Ah verstehe, du bist wieder in deiner ach so berühmten ist-mir-egal-Stimmung.“

Ich verdrehte die Augen und zündete mir eine Kippe an.

„Ich dachte, wir haben ein bisschen Zeit für uns, aber du hängst ja nur bei deinen Freunden und besäufst dich. Da kann ich auch gehen.“

„Dann tue es doch Nici und hör auf hier den Moralapostel zu spielen!“, fuhr ich sie an.

Wir spielten irgendwann mit unseren eigenen Leuten Volleyball, da wir mittlerweile genügend waren. Mir fiel auf, dass mich Nici mied. Ja, sie musste mich den ganzen Tag völlig breit ertragen, das war wohl nicht das, was sie sich erhofft hatte.

Nachdem nach dem hundertsten Mal noch immer die Mailbox ran ging, gab ich es auf, Juka anzurufen. Es begann zu dämmern und die Sonne, die hinterm Horizont verschwand, tauchte alles in ein rosarotes Licht. Jule war ganz heiß darauf mit ihren Trinkspielen zu beginnen. Ich jedoch zog eine Abkühlung im See vor. Meine Freundin folgte mir und schlang ihre Beine um mich, was wohl sowas wie Versöhnungsversuch sein sollte. Wir küssten uns, doch es fühlte sich so falsch an, deshalb ließ ich von ihr ab, schwamm zum Ufer und setzte mich dort hin. Holte vorher noch meinen Wodka und trank einen Schluck.

„Wenn wir wieder in der Stadt sind, unternimmst du da was mit mir? Nur wir allein?“, fragte sie schließlich und kuschelte sich an mich. Ich zuckte mit den Schultern.

„Weiß nich…“

„Was ist eigentlich los mit dir? Bin ich dir nicht mehr gut genug? Findest du Jule etwa geiler, wie sie sich hier immer so aufspielt und allen ihre Titten zeigen muss“, fauchte sie und ich musste ein bisschen lachen. Das also missfiel ihr.

„Jule is mir egal Nici…ich bin einfach nur echt kaputt und duuuuu redest dir das noch immer schööön. Warum schießt du mich nicht ab? Gibt dir das etwa sooooo viel, mich völlig breit und fertig zu sehen?“

„Keine Ahnung, ich hoffe einfach, dass du wieder ein bisschen normaler wirst.“

Wütend sprang ich auf und kippte noch mehr Wodka in mich rein.

„Warum wollen eigentlich alle, dass ich verfickt noch Mal normal werde?“

„Weil das, was du tust nicht gesund ist Lukas…das macht krank!“

„Du bist genauso wie meine Eltern, hast dauernd was an mir auszusetzen und versuchst mir einzureden, dass alles nicht so schlimm is…aber das stimmt nich…es is beschissen…“

„Ist dir auch nur einmal in den Sinn gekommen, dass es deine Eltern gut mit dir meinen? Doch du bist so stur und gibst ihr nicht auch nur den Hauch einer Chance.“

Ich funkelte sie voller Zorn an.

„Wage es nicht dir solche Urteile zu bilden…“, wisperte ich bedrohlich leise.

„Das ist aber das, was ich sehe…“

„Ach ja? Und wann siehst du das? Siehst du, wie mein Vater seine Hand gegen mich erhebt, weil er mit Worten nicht mehr weiterkommt? Oder bekommst du mit, wenn sie mir dauernd sagen, dass ich ungewollt bin? Nein, also halt verdammt noch Mal deinen Mund!“, fuhr ich sie an und erst jetzt wurde mir klar, was ich da zu ihr gesagt hatte. Ich war so wütend und am Ende, dass ich mein dunkelstes Geheimnis mit ihr geteilt hatte. Fuck! Noch einen Grund mehr, sie von mir zu stoßen.

Plötzlich kam sie wieder ein Schritt auf mich zu und wollte mich umarmen, doch ich drückte sie weg und trank noch mehr. Mein Gleichgewicht geriet schon mächtig ins Wanken.

„Du wirst mich niemals richtig lieben können…dazu unterscheiden wir uns zu sehr…versteh doch endlich, dass ich nicht in deine perfekte Welt passe.“

„Noch gebe ich nicht auf…und ich ertrage es nicht, wenn dich jemand anderes hat…du bist so toll…“, versuchte sie die Situation zu retten. Hatte sie überhaupt begriffen, was ich da gerade offenbart hatte? Ihre Worte setzten meiner geschundenen Seele nur noch mehr zu, bissen mich wie eine Schlange, deren Gift mich langsam und qualvoll tötete.

„Das solltest du nicht sagen, ich gehöre mir allein und diese Besitzansprüche machen dich verdammt unsexy…das will ich nich hören…“

Nici berührte mich, strich über meine vernarbte Haut und das ließ mich erst recht  zurückschrecken. Ich wollte nicht, dass sie mich da anfasste. Auch sonst mochte ich es gerade nicht eine solche Nähe aushalten zu müssen. Und scheinbar sah auch sie den Schmerz in meinen Augen.

„Lass mich einfach kurz allein…ich ertrage gerade keine Zärtlichkeit…“

„Lukas, bitte…nur ein Kuss…“

„Ich…ich kann nich…“

Diese Dunkelheit schnürte mir die Kehle zu und ich rannte weg. Entfernte mich von meinen Freunden und gab mich diesem Gefühl hin, brach in Tränen aus und verfluchte mich selbst. Meine Fingernägel gruben sich in die noch leicht feuchte Haut meines Unterarms und ich kratzte mich dort auf. Wie so oft drang die rote Flüssigkeit aus der Wunde und der pulsierende Schmerz setzte ein. Stumme Tränen liefen meinen Wangen herab und ich zog meine Beine an meinen Körper, legte den Kopf auf die Knie und fühlte mich hundeelend.

Warum nur fehlte mir Juka so? Dann wagte ich mich ein bisschen weiter in meine Phantasiewelt vor und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich wollte ihn. Juka war der einzige mit dem ich mir vorstellen könnte mehr als nur einen Blowjob auszuprobieren. Noch einmal. Ich wollte ihn wieder lieben, wie damals bei mir. Okay, ich stand echt auf Männer, auch gut. Ich war mittlerweile so betrunken, dass es mich nicht mal störte, so zu denken. Würde es Nici als fremdgehen bezeichnen, wenn ich noch einmal was mit derselben Person hätte?

Das Trinkspiel war schon in vollem Gange und wer verlor, musste nicht nur trinken, sondern auch ein Kleidungsstück ablegen. Jule war die Erste, die oben ohne dasaß. Ich drehte mir einen Joint und beobachte das Treiben. Dann holte ich meine Gitarre aus dem Zelt und klimperte ein bisschen vor mich hin. Flo setzte sich neben mich und mir entging nicht, wie er besorgte Blicke in Richtung meines verletzten Armes warf.

„Is alles gut bei dir?“, fragte mein liebster Freund, doch ich schüttelte mit dem Kopf und hielt inne.

„Nich wirklich…is alles beschissen und Nici macht mich fertig…“

„Soll ich Mal mit ihr reden?“

„Nee…vorerst nich…“

„Deine Selbstverletzungsattacken häufen sich gerade Schnuckelchen…das gefällt mir nich…“

Ich zuckte mit den Schultern und zündete mir eine Zigarette an.

„Ich halt den Schmerz im Kopf sonst nich aus Flo…und dann…naja, du weißt schon“, setzte ich an, doch plötzlich klingelte mein Handy. Die Nummer kannte ich nicht, ging aber ran und mein Stimmungsbarometer schwang augenblicklich von null auf hundert. Juka sagte, dass er herkommen wolle. Dieser Abend versprach doch noch gut zu werden. Als er dann endlich eintraf, haute mich das völlig um. Ich konnte nicht mehr denken. Wie so oft begrüßte er erst die anderen, dann kam er zu mir.

„Sorry, mein Handy ist gerade kaputt und ich hatte viel zu tun.“

„Kein Problem, jetzt bist du ja hier. Wie geht es dir?“

„So weit ganz gut…gibt’s noch Bier?“

Ich hielt ihm meine Wodkaflasche hin.

„Auch gut.“

In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wir entfernten uns ein Stück vom Rest und hockten uns ans Wasser. Sofort warf auch er mir einen besorgten Blick zu, als er meinen verletzen Arm sah.

„Dir geht’s nicht gut oder?“

Ich biss mir heftig auf die Unterlippe und schüttelte mit dem Kopf. Da zog er mich in seine schützenden Arme und wie so oft in seiner Nähe brach meine Fassade und mein Kopf sank in seinen Schoß. Schluchzend suchte ich Halt an diesem einen Menschen. Sanft strich mir Juka übers Haar und ich beruhigte mich. Er zog sein Shirt aus und warf mir einen fragenden Blick zu.

„Kommst du mit ins Wasser?“

„Ich war vorhin und es is verdammt kalt.“

Ohne darauf zu antworten, zog er mich hoch, streifte mir mein Shirt über den Kopf und zog mir die Hose aus.

„Ich würde dir gern etwas zeigen“, wisperte er und ich folgte ihm. Mein Herz raste in meiner Brust und ich bekam eine Gänsehaut, als ich ins Wasser glitt. Doch schon umfingen mich Jukas Arme und er zog mich an sich.

„Dich nackt?“, grinste ich und schlang meine Beine um seine Hüften, nicht ohne kurz nach Luft zu schnappen, weil sich Jukas nackter Körper so göttlich anfühlte. Mein Verlangen nach ihm wuchs.

„Luki…“, keuchte er und küsste mich.

„Juka…ich will dich…jetzt…ganz tief in mir…will wissen, wie es sich anfühlt…“, stammelte ich betrunken, verdammt geil und mit einem Hauch von Unsicherheit.

„Oh…das klingt wie Musik in meinen Ohren…sag das noch Mal“, amüsierte er sich und seine Finger suchten gierig nach meinem Eingang. Ich löste mich aus dem Kuss und warf meinen Kopf nach hinten. Schon saugten sich seine süßen Lippen an meinem Hals fest und seine Finger drangen tiefer. Bunte Lichter tanzten vor meinen geschlossenen Augen und als mich diese unerwartete Welle der Lust überrollte, biss ich mich kurz in Jukas Schulter fest, um einen lautes Stöhnen zu dämpfen.

„Nimm mich…“, flüsterte ich noch einmal und stellte zu meiner Enttäuschung fest, dass er seine Finger aus mir entfernt hatte und mich wieder ein Stück zum Ufer führte, wo das Wasser etwas seichter war. Leichte Wellen schlugen an meine Beine und schon beugte sich Juka wieder über mich, um mich in einen berauschenden Kuss zu verwickeln. Erneut stießen seine schlanken Finger in mich und erneut unterdrückte ich einen Lustschrei.

„Süßer…dreh dich um und hebe deinen Po etwas an…wäre das in Ordnung?“

Ich schluckte, denn jetzt wurde mir das Ausmaß meiner Worte erst bewusst. Juka würde gleich Sex mit mir haben. Doch ich tat, was er von mir verlangte. Seine Hände strichen über meine Seiten, streichelten meinen Bauch und massierten meine wachsende Erregung. Ich drückte meinen Rücken etwas durch und konnte in der Ferne unsere Freunde am Lagerfeuer sehen. Jederzeit könnte jemand auf die Idee kommen, im See baden zu gehen. Auch Nici, doch dieser Gedanke erregte mich noch mehr. Lachen drang zu uns und dann verschwamm alles. Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Körper oder bessergesagt, den unteren Teil. Ich zuckte zusammen und versuchte nicht zu wimmern. Meine Hände krallten sich in das trockene Gras, gruben sich in die Erde und schon fast bereute ich meine Entscheidung, da bewegte sich Juka ganz langsam in mir. Das Stechen wurde erträglich und ich konnte mich wieder etwas entspannen. Versuchte wieder eine halbwegs bequeme Position zu finden und stützte mich schließlich auf meine Unterarme. Wieder wanderten Jukas Hände an meinen Hüften entlang bis zu meiner Härte und nun massierte er diese im Einklang mit seinen Bewegungen.

„Ohhh fuck…ich…awweeee“, stöhnte ich nur und spürte ein schon fast extremes Ziehen im Unterleib. Als mein schöner Japaner erneut meine Prostata streifte, stöhnte ich erneut und mittlerweile war es mir egal, ob uns jemand hörte. Ich wollte mehr.

„Ich bewege mich jetzt ein bisschen schneller…“, kündigte er an und seine Stöße gewannen an Intensität, wenn das möglich war und vor meinen Augen begannen die Sterne zu tanzen. Mein Körper glühte vor Hitze und in meinem Gehirn wimmelte es nur so von unbekannten Gefühlen. Lust gepaart mit Schmerz und Leidenschaft. Ein Feuer der Emotionen, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte, erfüllte mich und als ich mich in Jukas Hand ergoss, biss ich Wort wörtlich fast ins Gras. Jukas Körpersäfte verteilten sich ungewohnt und warm in mir und augenblicklich sackte ich zusammen. Seine weichen Hände strichen sachte über meinen Rücken und er fuhr die Konturen meiner Wirbelsäule nach. In meinem Magen rumorte es heftig. Der Geruch des vertrockneten Grases drang in meine Nase und langsam drehte ich mich auf den Rücken, nur um Jukas liebevolles Lächeln zu erhaschen, doch war das mehr an Gefühlen, als ich ertragen konnte. Deshalb zog ich mich wieder an und stolperte zum Lagerfeuer zurück. Meine Gedanken überschlugen sich und alles drehte sich. Ich wollte schreien, doch kein einziges Wort drang über meine Lippen.

Nici und Nadja hockten nebeneinander und musterten mich argwöhnisch. Schon fast in Zeitlupengeschwindigkeit erhob sich meine Freundin und kam zu mir. Ihre Nähe ertrug ich allerdings noch weniger, als die von Juka, welcher sich jetzt ebenfalls etwas abseits zu Basti setzte. Seine linke Schulter zeichnete noch immer meine Bissspuren. Ich schluckte und mein Hals fühlte sich plötzlich wie ausgetrocknet an.

Ich wusste, dass mich Juka nie dazu drängen würde mit Nici Schluss zu machen, doch wusste ich auch, dass dieser Moment etwas zwischen uns freigesetzt hatte. Etwas, das man nicht mehr rückgängig machen konnte und entweder machte ich es offiziell oder Juka war ab jetzt mein heimlicher Liebhaber. Keiner hegte auch nur den kleinsten Verdacht, außer Flo vielleicht, wenn er sich mal von seiner Malen hätte losreißen können. Das schlimme war, dass ich nicht mal mein schlechtes Gewissen plagte. Juka zog ganz schön nach und Nici kuschelte sich an mich. Jetzt saß mir Juka gegenüber und warf mir anzügliche Blicke zu. Ich hasste ihn dafür. Er redete mit Basti und Jule und ich machte mir schmerzlich bewusst, dass ihn jede kleine Bewegung, jede Geste unglaublich attraktiv machten. Ich erhob mich kurz, ging zu Juka, legte meine Arme von hinten um ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann drückte ich ihm noch einen Kuss auf die Wange und zog Nici mit, um mit ihr zu reden. Juka warf mir einen Handkuss zu und ich zeigte ihm meinen Mittelfinger.

„Es tut mir leid, was ich vorhin gesagt hab“, bemerkte Nici etwas unsicher. Ich nickte nur und mein Herz schlug mir bis zum Hals.

„Mhh…mir nich….“

Trotz der Dunkelheit konnte ich erkennen, wie sich Nici ihre Augen weiteten.

„Ist das jetzt ein schlechter Scherz?“

„Nein…Nici ich kann das nich…das mit uns funktioniert nich. Ich werde nie der sein, den du dir wünscht und du wirst mir nie das geben können, was ich brauche.“

„Was soll das denn schon wieder? Woher willst du wissen, dass ich dir nicht geben kann, was du brauchst?“

Ich seufzte tief ein und wieder aus.

„In deiner Gegenwart fühle ich mich nicht mehr wohl…dauernd hab ich das Gefühl, dir etwas beweisen zu müssen…dir der Freund zu sein, den du dir wünscht, aber ich kann nich mehr...“

„Aber das musst du doch auch nicht“, versuchte sie einzulenken.  

„Du machst mich nicht glücklich und ich liebe dich nicht…außerdem, wenn dir soviel an mir liegt, warum hast du die letzten beiden Tage keine Zeit mir verbracht? Ein Wort von dir Nici…und ich hätte die Sauferei gelassen. Doch du willst es doch nich anders…damit du und Nadja was zum lästern habt…damit ich wieder als Versager dastehe…dabei mach ich das nicht mit Absicht. Aber du verstehst das nicht. Denkst, ich würde dir mit Absicht weh tun!...Doch das stimmt nich!“, redete ich mich in Rage. Dabei merkte ich nicht einmal, wie mich der Schmerz meiner eigenen Worte fast niederrang.

„Dann lass es doch einfach…dir scheint ja auch nichts an mir zu liegen, wenn du deinen Kummer im Alkohol ertränkst…weißt du was Lukas, fick doch wen du willst, besauf dich und hab Spaß…ich bin fertig mit dir!“

„Du hast nichts verstanden“, flüsterte ich kaum hörbar und verschwand in der Dunkelheit. Gab mich ihr hin und öffnete die Wunde erneut. Die Tränen verschleierten meine Sicht und ich nahm den Schmerz kaum wahr. Nur anhand der Tatsache, dass das warme Blut mittlerweile meine Hand erreichte, ließ darauf schließen, dass die Wunde tief sein musste. Jemand rief meinen Namen, doch ich ignorierte es. Blieb in der Dunkelheit hocken und ließ mich von ihr einlullen. Meine Finger zitterten wie Espenlaub, als ich mir eine Zigarette zwischen die Lippen schob und sie anzündete. Wieder vernahm ich meinen Namen und dieses Mal war die Stimme viel zu nah. Juka. Fuck. Ich wollte wegrennen, doch als ich mich erhob, überrannte mich ein Schwindelanfall und ich kippte in die Arme meines schönen Japaners. Er packte mich an meinem verletzten Arm.

„Scheiße!“, fluchte er und mir entglitt die Zigarette. Plötzlich umfing mich Wärme und mein pochender Schädel wurde auf etwas weichem gebettet.

 

 

„Ich gebe ihr nicht Mal die Schuld. Schon vor ner Weile hätten meine Alarmglocken läuten sollen.“

Juka schaute traurig zu Basti und strich über den pechschwarzen Haarschopf seines geliebten Lukas, der nun endlich ruhig in seinem Schoß schlummerte.

„Da geht es dir wohl wie mir…wir sind echt beschissene Freunde…ist vorhin irgendwas passiert Juka?“

Der blonde Japaner seufzte tief.

„Mhh…wir hatten Sex Basti und ich weiß, dass es falsch ist, aber ich kann ihm einfach kein Wunsch abschlagen…“

Die Unterhaltung der beiden wurde plötzlich gesprengt. Nici kam auf sie zu, natürlich hielt sich ihre Leibgarde im Hintergrund. Sie schien über irgendetwas sehr erbost zu sein und kam wütend auf Basti und Juka zu. Ihr abschätzender Blick  richtete sich auf Lukas, der noch immer ruhig schlummerte.

„Na, nehmt ihr ihn in Schutz? Ganz ehrlich Basti, ich hab schon viel mitgemacht, aber jetzt hat er den Bogen überspannt.“

In dem Japaner fing die Wut an zu kochen. Er bettete Lukas Kopf auf seiner Jacke und erhob sich, zog Nici ein Stück weg von der Feuerstelle und funkelte sie angriffslustig an. Etwas irritiert musterte sie ihn.

„Dauernd beschwerst du dich über Lukas Verhalten, doch ist dir auch nur einmal in den Sinn gekommen, dass es ihm wirklich beschissen geht?“

Nici lachte gekränkt.

„Ihm geht es doch immer beschissen. Ich kann an einer Hand abzählen, wann er mal glücklich war. Naja, soll mir auch egal sein…von mir aus kann er sich jetzt mit der anderen Tussi amüsieren…“

Juka konnte nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken. Luki hatte ihr gegenüber also nichts erwähnt. Dann würde auch er seine Klappe halten, auch wenn er diesem dummen naiven Ding gern auf die Nase binden würde, wie gut der Sex mit ihrem lieben Ex doch war.

„Luki ist viel zu gut für dich und wenn du ihn nicht verstehst, lass ihn in Ruhe…“

„Ach und du bist jetzt der Experte für ihn oder was?“

Juka lächelte selbstgefällig.

„Glaub mir Nici, ich bin Experte in einigen Dingen, die dich erstaunen würden…aber ja…Lukas erzählt mir viel…deshalb weiß ich, wie es in ihm aussieht und was ihm gut tut…du gehörst nicht dazu…“

Jetzt schien er das Mädchen aus der Fassung gebracht zu haben. Immerhin etwas.

„Moment…Lukas redet mit dir über seine Gefühle? Hat er dir auch erzählt, dass ihn sein Vater vermeintlich verprügelt? Und bestichst du ihn mit Drogen und Alkohol?“

Beinahe blieben ihm die nächsten Worte im Hals stecken. Er wusste zwar viel über das zerrüttete Familienverhältnis seines Lieblings doch das? Augenblicklich verspürte er Übelkeit und Hass. Vor allem Hass. Auf Nici, die diese Aussage viel locker nahm und Hass auf Lukas Vater. Verdammt.

„Siehst du? Und glaub mir, Schätzchen…bestechen muss ich ihn nicht…ich schätze ihn einfach. Nehme ihn, wie er ist. Und wenn ich dir einen gutgemeinten Rat geben darf, das solltest du auch tun oder du verlierst ihn…“

Nici schüttelte nur den Kopf.

„Alles klar…das versuche ich schon seit wir zusammen sind…doch lieber zieht er sich in seine Welt zurück, als mit mir zu reden…besäuft sich, ballert sich mit Drogen voll…“

„Dann solltest du dich fragen, woran das liegt Nici…es steht mir leider nicht zu, aber wenn es so wäre, würde ich dir raten, dich von ihm fern zu halten…du tust ihm alles andere als gut…doch irgendwas scheint er an dir zu mögen…“

Auf einmal änderte sich ihre Mimik und sie schien sehr verzweifelt.

„Aber wie Juka? Er hat mir von seiner Affäre erzählt und ich hab das Gefühl da ist noch mehr…als er mir davon erzählte, hab ich ihn in die Arme genommen und ihm verziehen…was soll ich noch tun?“

Juka spürte Genugtuung und kostete diese in vollen Zügen aus.

„Ich weiß auch von seiner Affäre…und ich finde, du hast nicht den Hauch einer Chance…“

„Das heißt, du kennst sie?“

Der Blonde lachte spöttisch.

„Oh ja…ich kenne sie. Frag Lukas einfach danach…und jetzt wünsche ich dir noch einen schönen Abend…geht einfach…“

Juka kehrte wieder zurück. Lukas schlief noch immer. Vorsichtig bettete er seinen Kopf wieder in seinem Schoß. Wie friedlich er doch wirkte. Er würde alles daran setzen, um seinen Luki vor der Grausamkeit der Welt zu beschützen.

„Darf ich dich was fragen Juka?“, riss ihn der Rotschopf aus seinen Gedanken.

Der Angesprochene nickte nur, ohne den Blick von dem schlafenden Jungen zu wenden.

„Liebst du Lukas?“

Eine kurze Pause trat ein und Basti hatte schon Bedenken etwas Falsches gefragt zu haben.

„Willst du eine ehrliche oder eine vernünftige Antwort?“

„Eine ehrliche natürlich.“

„Ich liebe ihn…mehr als ich jemals irgendeinen Menschen geliebt habe…und Nici hat ihn nicht verdient. Sie kann nicht mit ihm umgehen und ich hab Angst, dass sie ihn zerstört…das könnte ich nicht ertragen…“

„Bist du dir bewusst, was es heißt, Lukas zu lieben?“

Juka lächelte liebevoll und nickte.

„Natürlich…ich kämpfe für ihn Basti…koste es, was es wolle…weißt du das mit seinem Vater?“

Basti nickte.

„Hat er es dir auch erzählt?“

„Nein…scheinbar ist es ihm vor Nici rausgerutscht und sie hat es mir gesagt…das erklärt so einiges Basti und ich will ihn einfach nur beschützen.“

Der rothaarige lächelte schwach.

„Flo und ich auch, aber das schlimme ist, wir können ihn nicht immer beschützen…vor allem nicht vor sich selbst…doch du? Du kannst es vielleicht schaffen Juka…“

„Ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht…Luki sollte nicht hier bleiben…ich nehm ihn mit zu mir.“

„Du willst noch fahren?“

„Ich hab kaum was getrunken und das ist das beste für ihn…“

Juka bugsierte seinen schlafenden Chaoten auf die Rückbank seines PKW’s, schnallte ihn irgendwie an und fuhr zurück in die Stadt. Shit, die leuchtenden Zahlen der digitalen Uhr auf seinem Amaturenbrett zeigten ihm an, dass es schon viel zu spät war. Er würde morgen von zu Hause aus arbeiten. Um das frühe Aufstehen kam er trotzdem nicht drum herum. Lukas erwachte, als Juka das Auto parkte und ihn abschnallte. Sein glasiger Blick deutete noch immer darauf hin, dass er zu viel getrunken hatte. Er krabbelte aus dem Auto und versuchte zu laufen, landete jedoch sofort wieder in den Armen des Japaners.

„Süßer, ich bring dich jetzt ins Bett.“

Oben angekommen, zog er dieses wunderschöne Geschöpf aus, kümmerte sich um die Wunde am Arm und verfrachtete ihn ins Schlafzimmer.

„Muss ich allein schlafen?“, brammelte er schon fast enttäuscht und dieser Blick ließ Jukas Herz schmelzen. Er lächelte.

„Nein, ich komm gleich“, antwortete er und verschwand noch kurz im Bad. Es traf ihn jedes Mal aufs Neue seinen geliebten Schatz so nah am Abgrund zu sehen. Das, was er zu Basti gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Er liebte Lukas. Wann nur würde der Tag kommen, wo auch der schwarzhaarige das begreifen würde? Denn Juka war sich ziemlich sicher, dass Lukas Gefühle für ihn ähnlich waren. Nur wusste er auch, dass sein kleiner Chaot auch nicht unbedingt gut darin war, über seine Gefühle zu reden. Deshalb würde er warten.

Als Juka zurück ins Schlafzimmer kehrte, saß Lukas im Bett, strich sich über den verletzten Arm und seine zarten Wangen benetzten stumme Tränen. Der Japaner setzte sich hinter ihn und schlang seine Arme um den Jüngeren. Seine Lippen hauchten zarte Küsse auf die tätowierten Schultern seines Lieblings.

„Ich dachte du schläfst tief und fest“, flüsterte Juka.

„Nici hasst mich Juka…“, gab er zurück.

„Das ist sehr schade für sie, denn da entgeht ihr so einiges…Luki…ist es wahr, dass dich dein Vater misshandelt?“

Auf einmal spiegelte sich Panik in den grünen Augen und Lukas biss sich heftig auf die Unterlippe. Wich seinem Blick aus, doch behutsam nahm Juka sein wunderschönes Gesicht zwischen seine Hände. Er brauchte keine Antwort, denn die hatte er bereits bekommen.

Auf einmal ergriff  Lukas Jukas Hand und führte diese zu einer ganz bestimmten Stelle seines Körpers. Auch der Blonde schluckte schwer und seinem Liebsten schien es alles andere als leicht zu fallen die Berührung dort auszuhalten. Seine Fingerkuppen ertasteten die kleinen Unebenheiten auf Lukas Brust und innerlich zerriss es ihn beinahe. Wie gerne würde er ihm sagen, dass er ihn liebte. Und wie gerne würde er der Grund dafür sein, dass Lukas endlich aufhörte, sich selbst zu verletzen. Doch er musste sich langsam herantasten. Noch war es zu früh und keinesfalls wollte er das, was sie miteinander hatten, zerstören. Juka küsste ihn sanft.

„Luki…wenn du Hilfe brauchst, komm bitte immer zu mir. Ich kann und vor allem will ich dich nicht zwingen, nur das geht nicht spurlos an einem vorbei…und ich hab dir schon mal gesagt, dass ich immer für dich da sein werde…ich hab dich sehr lieb…“

Lukas schlang seine Arme schon beinahe hilfesuchend um seinen Japaner und schluchzte.

„Danke…“, flüsterte er kaum hörbar. Doch Juka verstand ihn.

„Lass uns schlafen Süßer…“

„Juka…nimm mich in deine Arme und versprich mir, mich nie mehr loszulassen…“

„Nie mehr ist eine lange Zeit Luki…“

„Ich weiß…aber du machst irgendwie alles besser…“

Juka zog seinen kleinen Liebling noch enger an sich, sodass Lukas die Tränen nicht bemerkte, die sein Japaner seinetwegen vergoss.

 

Den Rest der Ferien verbrachten wir mit proben und lernen. Doch das, was da passiert war, konnte ich nicht ungeschehen machen und schon allein der Gedanke an Juka reichte fast aus, um mich alles andere um mich herum vergessen zu lassen. Was zur Hölle hatte ich da losgetreten? Erschwerend kam nun auch hinzu, dass Nici als auch Juka über meine familiäre Misere Bescheid wussten. Dass alles lieg gewaltig aus den Rudern.

Flo holte mich und Jojo ab. Ich nahm sie jetzt jeden morgen mit zur Schule, weil sie ja dasselbe Gymnasium wie ich besuchte.

„Ey, man, wo warst du gestern? Hast dich ja den ganzen Tag nicht mehr blicken lassen.“

„Hab gelernt.“

„Ich auch, aber nicht den ganzen Tag lang. Hast du Kippen? Meine sind gestern alle geworden.“

Ich gab Flo eine und steckte mir selbst eine an.

„Wieso, wo wart ihr gestern?“

„Im Club, war aber nicht so besonders. Das übliche halt. Schönen Gruß von Malen soll ich dir sagen und du kannst dich ruhig mal wieder bei ihr melden.“

„Seid ihr jetzt so richtig zusammen?“

„Kann man wohl sagen.“

Flo grinste mich an und es freute mich ihn so glücklich zu sehen.

„Mit Malen kann man sich echt so super unterhalten.“

„Meine kleine Malen hast du also verführt?“

„Ist halt ne tolle Frau. Ist bei Nici und dir wieder alles in Ordnung?“

Wahh stimmt, Flo wusste das ganze ja noch gar nicht. Ich war noch nicht dazu gekommen es Basti und Flo zu erzählen. Das heißt, Basti wusste ja Bescheid, Flo war die letzten zwei Wochen nur mit Malen zusammen gewesen. Jedoch wollte ich das alles nicht so vor meiner Schwester ausplaudern.

„Ja“, sagte ich deshalb. Wir waren an der Schule angekommen, ich gab meiner Schwester noch einen Kuss und dann ging sie schon hinein. Flo und ich warteten noch auf Basti. Ich rauchte noch eine und als ich Flos gierigen Blick sah, gab ich ihm freundlicherweise auch noch eine Zigarette. Ich druckste ein bisschen rum und die beiden schauten mich skeptisch an.

„O-kay…das wird doch nich so easy…ich glaub ich muss euch was sagen…vermutlich hab ich wieder Mal Mist gebaut…“

„So schlimm kann‘s nich sein Schnuckiputz…wahhh, lass mich raten…war Juka beim Zelten? Ich war so mega dicht“, witzelte Flo. Doch Basti sah mich noch immer forschend an. Ich nickte ihm nur zu.

„Nici und ich haben uns übel gestritten…Juka war später noch da, ja…“

„Also war es dieses Mal nachdem du mit Nici Schluss gemacht hast?“, hakte Flo nach. Toll, mein Plan nicht an Juka zu denken war somit auch dahin.

„Ja und nein…ich hatte was mit Juka und ich glaub ich bin bi oder schwul oder keine Ahnung…verwirrt trifft es ganz gut…“

Flo hielt anerkennend den Daumen hoch und Basti grinste bis über beide Ohren.

„Ich find schwul steht dir auch gut.“

Ich gab Flo einen Klaps auf den Hinterkopf. Unser dritter im Bunde schwieg noch immer. Leider klingelte es und wir mussten unsere Unterhaltung später fortführen.

Der Vormittag verlief relativ normal, bis auf die Arbeiten. In der Frühstücks- und Mittagspause gingen wir zur Raucherinsel und werteten die Arbeiten aus. Bei Jessica brach gleich eine Welt zusammen, als sie herausfand, was sie für Schusselfehler gemacht hatte. Ich amüsierte mich darüber.

„Lach nicht so dreckig Lukas“, schnauzte mich Jessica an.

„Tut mir leid, aber ich bin nun mal ein Ass in Mathe. Ich kann dir ja in der nächsten Arbeit wieder helfen. Vielleicht fällt sie auch gar nicht so schlecht aus, wie du denkst“, tröstete ich sie und da lächelte sie. In den letzten beiden Stunden hatten wir eine Doppelstunde Deutsch. Mein Klassenlehrer fragte mich, ob in der Pause kurz Zeit hätte. Ich wartete, bis alle aus dem Raum verschwunden waren, dann ging ich vor zum Lehrertisch.

„Lukas, ich habe mich zum Elternabend mit deiner Mutter unterhalten und sie ist auch der Meinung, dass du wieder etwas mehr für die Schule machen solltest.“

Ich lachte bitter.

„Aha“, brachte ich gequält hervor.

„Nein, sie klang sehr besorgt. Lukas, mir geht es nur darum, weil ich dich sehr mag und das schon von Anfang an. Du bist intelligent und nett. Im Unterricht arbeitest du fleißig mit. Aber was hindert dich im Moment daran?“

Ich zuckte mit den Schultern. Warum sollte ich mit meinem Klassenlehrer über meine Probleme reden?

„Es gibt viele Dinge, die mir im Augenblick zu schaffen machen.“

„Ich will dir nur deutlich machen, dass du mit mir auch über alles reden kannst. Warum kommst du heute Nachmittag nicht mal bei mir vorbei? Wo ich wohne, weißt du ja.“

Ich war etwas misstrauisch.

„Meinen Sie das ernst?“

„Natürlich. Ich würde mich sehr freuen. Vielleicht möchtest du mir dann mehr erzählen, wenn wir ungestört reden können. Überlege es dir.“

Als ich nach der sechsten Stunde nach Hause kam, kochte ich Jojo und mir etwas zu Essen. Bratkartoffeln mit Rührei. Sie traf kurze Zeit später ein. Wir aßen zusammen, dann erledigte ich meine Hausaufgaben und lernte für den nächsten Tag. Jojo wollte mit Eileen schwimmen gehen und dann ins Kino.

„Ich komm heut auch nicht so spät, also bis später meine Süße.“

Ich überlegte tatsächlich, ob ich noch einen Abstecher bei meinem Klassenlehrer machen sollte, entschied mich allerdings dann dagegen, weil es mir irgendwie absurd vorkam.

Unser Klassenlehrer teilte uns mit, dass ein neuer Junge in unsere Klasse kommen würde, der die elfte Klasse nicht geschafft hatte. Sein Name war Kevin und er war wahrscheinlich einer der Jungs, die sich nur von Fast Food ernährten. Also, das heißt, dass er ziemlich dick war und mir fiel auch auf, dass einige Jungs aus meiner Klasse oft damit beschäftigt waren, sich über Kevin lustig zu machen. Ich hatte irgendwie Mitleid mit ihm. Im Sportunterricht spielten wir Volleyball. Ich war einer der drei Personen, die wählen durften. Natürlich wollte ich Basti und Flo in meiner Mannschaft haben.

Kevin saß abseits von den anderen und schaute traurig, also beschloss ich ihn auch in meine Mannschaft zu wählen. Unser Klassenmacho Julian warf mir einen verachtenden Blick zu. Wir führten schon seit Jahren eine Art Konkurrenzkampf, weil er es nicht haben konnte, dass mich viele Mädels hübscher fanden als ihn.

Kevin kam mit langsamen, unsicheren Schritten auf uns zu. Er spielte nicht schlecht und unsere Mannschaft gewann jeden Satz.

Im Umkleideraum lästerte Julian über Kevin.

„Nur, weil er nicht so toll aussieht, wie du, muss das doch nicht heißen, dass er unsympathisch ist. Aber du hast ja keine Ahnung von Toleranz oder Mitgefühl.“

Er schaute mich missbilligend an und antwortete:

„Na und, Freunde habe ich doch trotzdem. Was will ich mehr?“

„Aber im Gegensatz zu dir muss ich mir meine Freunde nicht erkaufen! Du magst zwar gut aussehen, aber hast doch nichts im Hirn. Und, wenn du nicht so gut aussehen würdest, hättest du wahrscheinlich gar keine Freunde. Ich bin da wohl im Vorteil, weil ich gut aussehe und trotzdem mögen mich die Leute.“

Darauf sagte er nichts mehr und ich grinste ihn nur fies an. Basti, Flo und ich gingen noch eine rauchen und dann machten wir uns schleunigst auf den Weg zum Kunstraum.

Dort waren schon fast alle versammelt und Julian und ein paar andere Klassenkameraden warfen sich gerade eine Federmappe zu. Ich bekam nach wenigen Minuten mit, dass es sich um Kevin seine Mappe handelte. Da platzte bei mir endgültig der Kragen. Kevin rannte verzweifelt vom einen zum anderen, doch diese dämlichen Typen ließen im keine Chance. Als Julian die Federtasche vor zu einem anderen werfen wollte, stellte ich mich ihm in den Weg und fing sie auf. Anschließend gab ich sie Kevin zurück.

„Was bist du eigentlich für ein Kind, Julian. Hast du nichts anderes im Schädel, als dich auf Kosten anderer lustig zu machen? Das ist echt feige.“

„Ich habe doch nur meinen Spaß und du sei mal nicht so ein Spielverderber. Außerdem brauchst du gar nicht so cool zu tun, schließlich bin ich gerade Klassenbester und du?“

Ich versuchte mich nicht von ihm provozieren zu lassen.

„Na und? Wenigstens muss ich mich nicht an schwächeren vergreifen, um aufzufallen. Und es geht mir sowas von am Arsch vorbei, ob du besser bist als ich.“

Er grinste mich jetzt fies an.

„Ja, du fällst auch so auf, das stimmt. In deiner schwarzen Satanskluft. Aber leider stehen die Mädels nicht auf sowas. Da habe ich wohl die besseren Karten.“

Ich musste lachen, weil mir die Mädels ohnehin egal waren. Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Was interessieren mich die Mädels. Außerdem haben schwarze Klamotten haben immerhin mehr Style als schweinchenrosa Hemden.“

Da Julian gerade ein Shirt in dieser Farbe trug, passte das ganz gut. Die anderen Mitschüler kicherten jetzt und auch Kevin musste schmunzeln.

„Ach ja, und mal sehen, wer hier am Ende des Jahres Klassenbester ist. Lass dich überraschen.“

Ich warf ihm ein arrogantes Grinsen zu und ging zu Flo auf meine Platz, weil unser Kunstlehrer auch schon kam. Wir sollten eine Collage anfertigen und die meine sah ziemlich düster aus und spiegelte somit irgendwie meinen momentanen seelischen Zustand. Nach dem Unterricht kam Kevin hinter mir her gerannt und bedankte sich bei mir.

„Hey, das ist echt kein Problem.“

„Aber warum hast du das eigentlich für mich gemacht?“

„Weil ich der Meinung bin, dass du auch eine Chance verdient hast. Ich hasse solche Typen wie Julian, die immer nur denken, sie müsste im Mittelpunkt stehen und alles daran setzten andere Leute fertig zu machen.“

„Das war echt mutig von dir. Gerade von dir hätte ich das am wenigsten erwartet. Schon als ich dich früher immer gesehen habe, hatte ich irgendwie Respekt vor dir, weil du so krass rumläufst.“

Ich musste lachen. Das typische schwarz-weiße Denken aller Jugendlichen, die nichts mit Gothic am Hut haben.

„So bin ich halt. Wie gesagt, ich gehe nie vom Äußeren aus. Ein Mensch sollte nett sein und der Rest ist egal. Übrigens hast du heut gut Volleyball gespielt.“

Kevin lächelte mir zu und ich erwiderte es.

„So, dann sehen wir uns morgen und lass dich nicht ärgern.“

Ich hatte mir jetzt wirklich vorgenommen wieder mehr für die Schule zu machen, denn erstens wollte ich ja ein gutes Abi haben und jetzt musste ich Julian wieder einholen. Denn ich konnte nicht auf mir sitzen lassen, dass er besser war, als ich. Deshalb erledigte ich zu Hause als erstes meine Hausaufgaben.



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