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Seelenkrank

von

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Die letzte Chance

Lukas hatte sich seit diesem einen Tag komplett verändert. Er redete kaum noch mit jemandem und zeigte nur noch wenige Gefühle für Nici. Außerdem war da noch die Tatsache, dass er was mit Juka hatte. Niemals hätte sie erwartet, dass er auch auf Männer abfuhr. Das machte sie sehr traurig. Sie musste mit jemandem reden, der nicht Nadja war. Jemand, der Lukas nahe stand, sie dennoch mochte. Da fiel Flo schon mal weg. Basti vielleicht? Si scrollte durch ihre Handykontakte und stellte fest, dass sie noch immer die Nummern von Lukas Freunden eingespeichert hatte. So dachte das Mädchen nicht lange nach und tippte die Nachricht.

N: Hey Basti, hoffe dir geht es gut. Du sag mal, weißt du was zur Zeit mit Lukas los ist? Er benimmt nich mir gegenüber voll komisch und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Gruß Nici

Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis ihr der Rotschopf zurückschrieb.

B: Nici, schön von dir zu hören. Lukas geht es gerade nicht so gut…was soll ich dir dazu sagen…rede halt mit ihm. Und naja, du kennst ihn doch, er macht halt gern alles mit sich allein aus. Bestimmt fängt er sich wieder. Grüße

Diese Antwort, so musste Nici bitter feststellen, war alles andere als zufriedenstellend. Doch langsam wusste sie keinen Ausweg mehr. War ihre Beziehung überhauet noch zu retten? Und Nici wurde die Angst nicht los, dass er sie nicht mehr wollte. Wenn er doch nur wieder zu ihr gekommen wäre und sich nicht sonst wo aufhalten würde.

Sie startete einfach den Versuch und klingelte bei ihm zu Hause. Und tatsächlich, er hockte oben in seinem Zimmer und starrte ausdruckslos aus dem Fenster. Nicht einmal, als er mitbekam, dass jemand herein kam, schenkte er Nici Beachtung. Eine ähnliche Situation hatte sie schon einmal durchleben müssen und sie kämpfte mit den Tränen, als sie die Wunde auf seinem Oberkörper erblickte. Was hatte er in den letzten Tagen nur wieder getrieben?

„Hey, ist alles okay mit dir?“

Er drehte seinen Kopf in ihre Richtung.

„Nichts is okay. Ich habe jetzt keine Lust auf ein Gespräch.“

Das hatte Nici vermutet.

„Bitte sag mir wenigstens, wo du die letzten Tage warst, ich hab mir Sorgen um dich gemacht.“

Er senkte seinen Kopf zu Boden.

„Mit ner Freundin unterwegs…und bei…Juka“

Was war nur mit ihm los? Warum war er so verletzend? Bei Juka. Nicis Herz zog sich schmerzhaft zusammen.

„Okay, schön. Können wir nicht normal reden? Bitte, ich brauch dich doch.“

Jetzt sah er Nici direkt an und sie bildete sich ein, dass seine Gesichtszüge etwas weicher wurden.

„Es ist besser du gehst Nici. Vielleicht sehen wir uns ja morgen nochmal.“

„Ich bin aber nicht sicher, ob ich dich in diesem Zustand allein lassen sollte Lukas.“

Er seufzte und zündete sich eine Zigarette an. Sein sonst so selbstbewusstes Wesen wirkte kaputt und eingefallen. Die blutigen Schnitte untermalten diese Trostlosigkeit nur noch und ihr einst so perfekter Gothboy war nur noch ein Schatten seiner selbst. Einerseits wollte sie ihm wirklich helfen, doch sie fragte sich zum tausensten Mal, wie.

Sein Körper verkrampfte sich, als sie ihn umarmte. Er nahm einen tiefen Zug und drehte sich jetzt endlich ihr zu. Die traurige Leere brach ihr fast das Herz. Behutsam schob er sie von sich weg.

„Glaub mir, es kann nich schlimmer werden…ich bin schon ganz unten und vermutlich sollte ich die Verletzungen verheilen lassen, bevor ich mir neue Schnitte verpasse…Nici, tue uns beiden nen Gefallen und gib auf. Ich bin zu schwach und zu feige, um dich gehen zu lassen…du du kannst es einfach beenden. Hier und jetzt.“

Die Tränen kamen von ganz allein. Heftig schüttelte sie mit dem Kopf.

„Ich…ich kann nicht Lukas…“

„Dann müssen wir wohl irgendwie damit klarkommen…“

„Wirklich? Warum beendest du es nicht einfach Lukas? Warum lässt du mich so leiden? Uns beide…“

Er kaute auf seiner Unterlippe herum und drückte die aufgerauchte Zigarette aus.

„Ich kann nich…ein Teil von mir scheint dich noch immer zu mögen. Ich bring’s nich übers Herz…deshalb, bitte geh einfach Nici…ich ertrage gerade keine Menschen und schon gar nich dich.“

Und da war sie wieder, diese Wut auf Lukas, weil er sie nicht einfach lieben konnte. Doch sie liebte ihn, so sehr.

„Dann…dann geh doch zu deinem Juka!“, schrie sie ihn jetzt. Lukas lachte traurig und musste nichts weiter sagen, denn sie verließ auch so sein Zimmer, denn er hatte Recht, gerade ertrug sie ihn nicht. Wie sollte sie mit jemanden umgehen, der sich selbst nicht mochte?

Nici legte sich auf ihr Bett, drückte das Gesicht in die Kissen und weinte bitterlich. Bedeutete sie ihm denn überhaupt noch etwas? Was hatte Lukas auf einmal so gleichgültig gemacht? Oder waren seine Gefühle gegenüber Juka doch größer?

Total enttäuscht schleppte sich Nici am nächsten Tag in die Schule und hoffte sehr, dass er sie heut Nachmittag besuchen würde. Nadja wollte unbedingt wissen, was mit ihr los war und sie war auch noch so dumm und klagte ihr Leid.

„Ach, das altbekannte Problem. Ich sage dazu nichts mehr. Dafür bist du doch selbst verantwortlich Nici.“

„Danke für dein Mitgefühl! Unter einer Freundin stelle ich mir echt etwas anderes vor.“

Nici hatte angefangen zu rauchen und suchte sich in der Freistunde ein ruhiges Plätzchen hinter der Schule. Sie würde am liebsten heulen, doch es ging nicht. Auf einmal hörte sie Schritte und dachte zu erst, dass Nadja war ihr vielleicht gefolgt. Dann sah sie Ina, ein Mädchen aus der Parallelklasse und ebenfalls ein Gothic. Mit ihr hatte sich Nici in letzter Zeit ab und mal unterhalten.

„Hey. Hättest du vielleicht  mal eine Zigarette für mich?“

Nici versuchte zu lächeln.

„Klar doch.“

Sie setzte sich neben Nici auf die Wiese.

„Ist alles okay mit dir?“

„Naja, mehr oder weniger. Ich fühle mich gerade von allen verlassen. Vor allem von Nadja.“

„Warum denn das, wenn ich fragen darf?“

„Ach, das ist eine längere Geschichte, aber um es kurz zu fassen… ich habe gerade Stress mit meinem Freund und wollte mit ihr darüber reden, da sie ihn aber nicht leiden kann, ist sie gar nicht drauf eingegangen. Das hat mich schon enttäuscht.“

„Ich mag sie sowieso nicht besonders. Du bist echt voll nett und ich kann nicht verstehen, warum du oft nur mit ihr rumhängst.“

„Ich weiß es manchmal auch nicht. Meinen Freund mag sie auch nicht.“

„Seid ihr schon lange zusammen?“

„Ja, schon. Deshalb macht es mich ja so traurig, dass er gerade so komisch ist. Nicht mal seine Band kann ihn aufmuntern.“

Ina sah Nici begeistert an.

„Wow, er spielt in einer Band? Das ist ja toll! Sind sie bekannt?“

Sie schnippte den Zigarettenstummel weg und schaute auf die Uhr. Ihnen blieb noch eine halbe Stunde zeit.

„Naja, mehr oder weniger. Sie heißen Nocturna, wenn dir das was sagt?“

Wieder sah Nici Erstaunen in Inas Blick.

„Klar kenne ich die und finde sie richtig toll. Und mit wem bist du da zusammen? Ich meine, eigentlich sind sie ja alle ganz süß.“

„Mit dem Sänger.“

„Ich beneide dich echt. Da hast du bestimmt auch viele Konkurrentinnen oder?“

Nici musste lachen. Nicht nur Konkrentinnen.

„Schon, aber das stört uns nicht. Eigentlich ist Lukas voll der Liebe, aber wie gesagt, im Moment hat er gerade seine Arschlochphase.“

Die Mädchen gingen langsam wieder in Richtung Schulhof und Nadja schaute sie etwas pikiert an, als sie Nici und Ina zusammen sah.

Die letzte Stunde verging relativ schnell und Nici wollte nach der Schule noch mit Ina einen Kaffee trinken gehen. Mit Nadja hatte sie kein einziges Wort mehr geredet.

Ina wartete am Eingang im Untergeschoss auf ihre neue Freundin und sie gingen gemeinsam hinaus.

Während sie so redete, überlegte Nici, ob sie Lukas heut noch anrufen sollte? Und wenn er dann wieder so komisch war? Ihr entfuhr ein Seufzer. Zur Hölle mit diesem verdammten Kerl.

Das Schulgebäude hatten sie nun hinter sich gelassen. Da hörte Nici auf einmal schnelle Schritte hinter sich.

„Nici, bitte warte!“

Ein wenig außer Atem blieb Lukas vor ihr stehen. Irgendwie sah sie ihn mit anderen Augen und er sah zerstörter aus denn jeh. Und doch irgendwie süß. Trotzdem tat Nici noch ein wenig beleidigt.

„Ich wollte mich nur entschuldigen, ich war gestern ziemlich assi zu dir. Wollen wir später was machen?“

„Naja, wenn du nicht gerade was anderes zu tun hast.“

„Sonst hätte ich dich ja wohl kaum gefragt.“

Nici konnte nicht anders und musste ihn küssen.

„Okay, Entschuldigung angenommen. Kommst du zu mir?“

„Heut Abend, in Ordnung? Ich bin so gegen sieben bei dir. Muss jetzt in den Proberaum.“

„Bis später.“

Er gab ihr noch einen Kuss und verschwand.

„Na, scheint ja wieder alles klar zu sein. Mann, der sieht ja echt verdammt heiß aus.“

Nici lächelte und nickte.

„Manchmal denke ich einfach nur, dass Nadja eifersüchtig ist, weil ich mit Lukas zusammen bin. Denn sie hat ja schon seit zwei Jahren keinen Freund mehr gehabt.“

Die Mädchen gingen in ein Kaffee in der Innenstadt, wo man sich raus setzen konnte.

„Nur weißt du, Nadja war meine erste richtige Freundin hier an der Schule und das ist vielleicht der Grund, warum ich mich oft zu ihr hingezogen fühle. Am Anfang hat sie mich auch immer verstanden, doch als sie nicht mehr mit Basti, dem Schlagzeuger von Nocturna zusammen war, hat es angefangen. Nun hab ich immer öfter das Gefühl, dass sie absichtlich gegen mich arbeitet, aber ist ja jetzt auch egal. Ich habe ja auch noch andere Freunde.“

Die Bedienung brachte zwei Cappuccino.

„Naja, irgendwie seit ihr ja auch völlig unterschiedlich oder? Sie ist ja eher so die Hoppertussi.“

Nici nippte an ihrer Tasse.

„Nadja? Nee, sie hört sogar ganz gute Musik, gibt sich allerdings auch mit Hoppern ab. Sie mag diese Leute halt und ich akzeptiere das ja auch. Nur sie toleriert mich nicht mehr.“

„Das ist schon blöd. Was und sie war mal mit dem Schlagzeuger zusammen? Das ist ja heftig.“

Nici musste lachen.

„Allerdings existierte die Band zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das war auch schon vor vier Jahren, doch ich werde das Gefühl nicht los, dass sie immer noch an Basti hängt.“

„Hätte er noch Interesse?“

Energisch schüttelte sie mit dem Kopf.

„Nein. Für ihn ist das Thema Nadja schon lange abgehackt. Ich meine, das war auch nur so einer Vermutung von mir. Ich habe mich nie mit Nadja darüber unterhalten. Das würde eben erklären, warum sie immer so blöd tut, wenn es um Lukas geht.“

Sie schwiegen einen Augenblick und Nici packte ihren Keks aus, der mit dem Cappuccino serviert wurde.

„Darf ich dich fragen, wie ihr zusammengekommen seid?“

Nici erinnerte sich gern an diesen Tag zurück und umso lieber erzählte sie davon.

„Das war vor vier Jahren im Sommer, kurz nachdem ich Nadja kennenlernte. Sie nahm mich mit zu ihren Freunden und da war Lukas halt auch dabei. Erst haben wir uns nur unterhalten und später sind waren wir dann ein Paar. Wir waren oft zusammen und auseinander, weil er nicht ganz einfach ist und ich habe auch schon oft wegen diesem verdammten Kerl geheult. Aber ich kann einfach nicht ohne ihn sein.“

Ina lächelte.

„Wir müssen echt mal was zusammen machen. Vielleicht können wir ja zusammen aufs nächste Nocturna Konzert gehen?“

„Klar doch. Das ist sogar kommenden Samstag, wenn ich mich nicht irre. Ich sag dir morgen Bescheid.“

„Oh ja, das wäre toll. Ich muss dann erst mal nach Hause. Also dann bis morgen.“

Sie umarmten sich noch zum Abschied und Nici schlug auch den Heimweg ein.

 

Eigentlich war ich total fertig von der Bandprobe, obwohl wir nichts gemacht hatten. Ich hatte ständig den Text vergessen und musste dauernd lachen. Das hatte natürlich auch den Rest der Band dazu animiert. Ich duschte zu Hause noch und zog mir frische Klamotten an.

Es war noch voll warm und deshalb legten wir uns auf einer großen Decke und einer Flasche Rotwein in den Garten. Nici legte ihren Kopf auf meinen Bauch und ich strich ihr zärtlich über die Wange.

„Du willst also wissen, warum ich gerade so distanziert bin?“

Nici schaute zu mir auf.

„Wenn du nicht darüber reden willst, ist es auch okay. Ich will dich nicht zwingen.“

„Nein, ist schon okay, ich weiß nur nich genau, wie ich beginnen soll…“

„Dann lass dir eben Zeit. Komm, wir stoßen erst mal an.“

Ich setzte mich in Schneidersitz und unsere Gläser gaben ein melodisches Kling von sich, als sie sich berührten. Dann gab ich Nici einen Kuss und räusperte mich.

„Ich war sauer auf dich, weil du mir nich vertraust und da hab ich ein bisschen mit Jule, ner Freundin von früher rumgehangen. Nici, du bist ein tolles, süßes Mädchen, nur  manchmal macht mich genau das echt nachdenklich. Ich meine, ich habe dir mehr als einmal den Grund gegeben Schluss zu machen, warum tust du es nich?“

Ihre eben noch so gute Laune schwand innerhalb weniger Sekunden.

„Jetzt echt? Sitzen wir jetzt hier um darüber zu reden?“

„Ja genau das tun wir.“

Ich wusste, dass sie mich vermutlich hasste, aber dieses Gespräch hatten wir beide bitter nötig, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte.

„Lukas…ich dachte zwischen uns ist alles okay…ich meine, vielleicht habe ich ein bisschen überreagiert, als du mir erzählt hast, dass ihr ein Mädel in eurer Band habt. Aber ich komme damit klar.“

Ich zündete mir eine Zigarette an.

„Nici, ganz ehrlich, dich stört es scheinbar nicht, wenn ich was mit nem Typen habe, aber du regst dich fürchterlich auf, weil ich Lena in die Band aufgenommen habe…das passt nich zusammen. Ich kann das nich…dauernd erklärst du mir, wie toll du mich findest und doch werde ich mehr und mehr zu dem, den du niemals wolltest, hab ich Recht?“

Sie umklammerte ihr Glas, als wäre es ihr letzter Rettungsanker.

„Ich wollte dich immer unterstützen, habe auf alles, was Nadja oder Chris über dich gesagt haben gepfiffen, weil du das nicht bist. Manchmal glaube ich, dass du hilflos bist und mich vielleicht brauchst. Du kannst niemals jemand sein, den ich nicht will Lukas.“

Ich lächelte traurig, weil sie das wahrscheinlich wirklich ernst meinte. Aber Nici kannte es gerade nicht anders, sie hatte vor mir eine richtige Beziehung gehabt und dann mich, nicht gerade das, was sich ein Mädchen in ihrem alter wünscht. Nici dachte vielleicht, dass sie mich zu einem besseren Menschen machte, aber das tat sie nicht. Doch wie sollte ich ihr das klar machen. Keine Frage, ich mochte sie wirklich, doch wollte ich auch, dass sie glücklich war und das würde sie mit mir niemals werden, so gern sie das auch glauben wollte.

„Na gut, du hast eine offene Beziehung vorgeschlagen…dann möchte ich aber auch, dass du dich auf einen anderen Kerl einlässt, falls du dann noch immer feststellen solltest, dass du mich liebst, lass es mich wissen.“

Sie nickte und wechselte das Thema.

„Ach ja, bevor ich es vergesse. Das Konzert ist Samstag oder?“

„Mal sehen, wenn wir in den nächsten Tagen so viel schaffen wie heute, würde ich nein sagen.“

„Warum das denn?“

„Ach wir haben alles gemacht, nur nich ordentlich geprobt. Es war aber wieder mal ganz lustig. Basti hat versucht Weihnachtslieder auf dem Schlagzeug zu spielen und das mitten im Sommer. Ganz schön durchgeknallt eben.“

„Ihr spinnt ja. Weil eine Freundin hatte mich gefragt. Ich war mir aber nicht sicher, was soll ich ihr also sagen?“

„Ich denk schon. Kannst sie ganz herzlich von mir persönlich einladen. Aber Nadja ist es nicht?“

Nici schüttelte glücklicherweise mit dem Kopf.

„Nein. Ina, die kennst du noch nicht. Sie ist auch ein Gothicmädel und geht auf meine Schule. Sie findet euch richtig toll.“

Das schmeichelte mir. Langsam wurde es kühl und wir zogen uns zurück in Nicis Zimmer. Dort sahen wir uns noch einen Film an, bei dem ich einschlief.

 

Nici war sich nicht sicher, ob eine offene Beziehung wirklich das war, was sie wollte, doch es schien wirklich die einzige Möglichkeit zu sein Lukas davon zu überzeugen, wie viel er ihr bedeutete. Mit Nadja hatte sie sich ganz schön verkracht, doch mit Ina verstand sie sich immer besser. Und da war noch jemand, der Nici gerade jetzt gut tat. Marco, ein Junge aus ihrer Klasse und alle Mädchen finden ihn wahnsinnig hübsch. Einmal hatte er sie auf ihr Outfit und so angesprochen und da hatte sie ihm etwas über die Szene erzählt, was ihn sehr zu interessieren schien. Seit dem wich er irgendwie nicht mehr so recht von ihrer Seite. Nici genoss das und war es nicht das, was Lukas von ihr verlangte? Marco konnte sich zwar nicht so für ihre Musik begeistern, doch war er ganz angetan von dem Rest der Szene. Jedoch gab es auch Tage, an denen sie sich total in ihre eigene Welt zurückzog und alle anderen mied. In solchen Situationen hörte Nici stundenlang Musik und wünschte sich, dass Lukas doch bei ihr sein könnte.

Warum war er so? Manchmal wünschte sie sich tatsächlich, dass er anders wäre, war das falsch? Oder war sie ihm plötzlich doch so egal? Tausend Fragen plagten sie, auf die sie keine Antwort wusste.  Nici zweifelte immer mehr daran, dass er sie überhaupt noch liebte.

Es kam auch immer öfter vor, dass sie Marco zu Hause besuchte und sie redeten lange miteinander.

„Vielleicht ist dieser Lukas doch nicht so der Richtige für dich. Ich meine, ein so liebes Mädel wie dich müsste man doch eigentlich anders behandeln oder?“

Nici zuckte nur mit den Schultern. Marco hatte blonde Haare und eine sehr modischen Haarschnitt. Er trug oft Jeans und Sweatshirts in den verschiedensten Farben, aber ihr gefiel sein Skaterlook.

„Ich weiß es echt nicht. Vielleicht hat unsere Beziehung ja wirklich keine Zukunft.“

„Tja, das musst du letztendlich wissen, aber ich finde es schon fast erschreckend, dass du kaum noch fröhlich bist. Ich mag dich wirklich sehr Nici und es ist nicht schön, einen Menschen, den man mag immer so traurig zu sehen. Ich will am Wochenende eine Party bei mir zu Hause steigen lassen. Du bist herzlich eingeladen, wenn du Lust hast.“

Nici wurde Marco immer sympathischer und sie würde auf jeden Fall zu seiner Party kommen.

„Nadja darfst du natürlich auch mitbringen und ihr könntet auch bei mir schlafen, da meine Eltern sowieso nicht da sind.“

Marco war ja der Mädchenschwarm schlechthin. Und Nici konnte nicht richtig verstehen, warum er sich ausgerechnet mit ihr abgab. Empfand er vielleicht doch mehr als Freundschaft? Es war ihr aber auch zu blöd ihn danach zu fragen. Und Lukas? War ein Arschloch, der sein Ding durchzog, ohne Rücksicht auf Verluste. Marco gab ihr im Augenblick das Gefühl, dass sie etwas Besonderes war. Außerdem war er weder drogenabhängig noch vorbestraft. War das nicht immer wichtig in einer Beziehung? Außerdem verstand sie sich seit der Freundschaft mit Marco auch wieder besser mit Nadja. Sie war sogar nahezu begeistert davon.

„Ja, das mit der Party klingt gut. Wer kommt da noch so alles?“

Marco zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. So die Leute halt, mit denen ich so rumhänge. Die meisten von denen kennst du auch vom Sehen.“

Marco gab sich mit einer Hopperclique ab und Nici musste auch zugeben, dass sie ganz okay waren.

In der Schule stand Marco jetzt auch ganz oft bei ihr und sie unterhielten sich.

An dem Abend, an dem die Party bei Marco steigen sollte, fragte er Nici, ob sie nicht schon früher zu ihm kommen könnte. Sie dachte sich wenig dabei und willigte ein. An der Ausstattung im Haus konnte man deutlich erkennen, dass Marco seine Eltern sehr reich sein mussten. Warum auch nicht. Er führte sie in das riesengroße Wohnzimmer und brachte ihr einen selbstgemixten Cocktail.

„Wow, das ist ja echt der Wahnsinn hier.“

Er sah sie eine Weile schweigend an und sage dann:

„Wenn du willst, kannst du das immer haben.“

„Wie soll ich das denn jetzt verstehen?“

„Naja weißt du Nici, ich fühle für dich mehr als nur Freundschaft und würde es toll finden, wenn du auch so denkst.“

Das schüchterne Mädchen wusste nicht so richtig, was sie darauf sagen sollte. Aber fand sie ihn nicht auch attraktiv? Und wahrscheinlich würde er ihr alles geben, was sie sich wünschte. Dieser Gedanke war schon verlockend. Plötzlich kam er auf Nici zu und küsste sie. Es war irgendwie schön und doch spürte sie innerlich eine Blockade, die sie versuchte zu ignorieren.

Sie ließen an diesem Abend alle anderen Gäste sehen, dass sie ein Paar waren.

 

Basti und ich waren die ersten am Proberaum.

„Hast du mal ne Zigarette Lukas?“

„Na klar. Findest du es okay, wenn Lena jetzt in unserer Band mitspielt?“

„Sicher. Vielleicht entwickelt sich ja sogar was.“

„Ist eigentlich mal was zwischen euch gelaufen?“

Basti schüttelte mit dem Kopf.

„Ich habe manchmal das Gefühl, dass sie mich eher abweist. Ich bin einfach zu schüchtern. Werd sehn, was noch daraus wird. Hat Tim eigentlich auch was über mich erzählt?“

Ich nickte stumm und eigentlich hatte ich nicht vorgehabt Basti zu erzählen, was Tim zum Besten gegeben hat, aber wenn er es wissen wollte, okay.

„Er hat nur gesagt, dass du nicht in die Band passen würdest, weil du aus anderen Verhältnissen kommst und dich nur bei uns durch schlauchen würdest.“

Ich schluckte und konnte an seinem Blick erkennen, dass ihn diese Worte verletzten.

„Und was hast du darauf erwidert?“

„Ich habe dich verteidigt, was denn sonst. Tim ist einfach nur ein Stück Dreck, mehr nicht. Basti, es tut mir auch wahnsinnig leid, dass ich dich in letzter Zeit wegen Tim so abserviert habe. Erst gestern ist mir klar geworden, dass Tim kein wahrer Freund ist, sondern du und Flo. Ich hoffe du kannst mir verzeihen.“

Basti lächelte und antwortete:

„Ich denke deine Aktion gestern war schon Beweis genug für unsere Freundschaft. Ich weiß zwar nicht, was du alles mit Tim geredet hast, aber ich glaube, es hat Wirkung gezeigt. Das konnte ja man erkennen. Ich fand das echt mutig von dir, denn wenn ich ehrlich bin, hätte ich mich nicht so einfach mit Tim angelegt.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„War nicht der Rede wert. Ich lasse mir aber nicht sagen, wie scheiße meine Freunde sind. Vor allem nicht du!“

Auf einmal nahm mich Basti in die Arme und bedankte sich bei mir. Ich war sehr gerührt.

Nach und nach trudelten auch die anderen Bandmitglieder ein. Es lief ganz gut. Als wir keine Lust mehr hatten ging ich noch mit zu Basti, weil wir uns noch ein bisschen unterhalten wollten. Doch vorher stattete ich meiner Mum noch einen Besuch ab. Es war schon fast dunkel, nur ein Stück Sonne war noch am Horizont zu sehen. Ich kniete mich vor ihr Grab und schon wieder war der Schmerz unerträglich. Ich biss mir auf die Unterlippe um die Tränen zu unterdrücken. Und erneut fragte ich mich, warum das passieren musste. Sie wäre in zwei Tagen 35 Jahre geworden. Meine Mum war sehr jung, als sie mit mir schwanger wurde und dann hatte ich sie so enttäuscht. Ihre ganze Jugend war dahin und dann wurde sie auch noch von meinem Vater tyrannisiert. Ich wünschte mir, ihr ein besseres Leben hätte bieten können, aber nun war es zu spät. Ich schluckte die Tränen abermals hinunter. Zaghaft strich ich über den glatten Marmorgrabstein. Meine Beine zitterten leicht, als ich mich erhob.

Basti teilte mir mit, dass Lena auch noch vorbeikommen wolle. Wir öffneten eine Flasche Whiskey und mixten diesen mit Cola. Er bot mir eine Zigarette an, die ich dankend annahm.

„Jetzt verbindet uns ja noch eine gemeinsame Sache“, sagte ich. Basti schaute mich an und nickte.

„Findest du es schlimm?“

„Ja. Ich hätte nie gedacht, dass mir meine Mum soviel bedeutet.“

„Ich habe jetzt manchmal noch damit zu kämpfen. Er wird immer fehlen. Geht dir bestimmt genauso.“

Ich nickte nur. In dem Moment klingelte es, dann kam Lena ins Zimmer und teilte mir mit, dass Nici draußen auf mich wartete, weil sie mit mir reden wolle. Nichtsahnend ging hinunter vor Bastis Haus.

„Du Lukas, ich hab da jemanden kennengelernt und ich wollte dir nur sagen, dass ich was mit anfangen will…ich weiß nicht, was draus wird.“

Ich grinste sie an.

„Okay…aber du musst mir das nich erzählen Süße, tue was immer du willst, hab Spaß und schalt mal für eine Weile dein Gewissen aus.“

„Ja, ich weiß, trotzdem wollte ich es dir erzählen.“

„Schon gut. Dann geh und amüsiere dich.“

Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und war sehr gespannt, wie das ausgehen würde.

Nici sah mich mit unsicherem Blick an und nickte.

„Also bis dann.“

„Dann geh ich jetzt wieder hoch zu Basti. Ich will deine wertvolle Zeit ja nicht beanspruchen, die du sicher viel lieber mit deinem tollen Freund verbringen möchtest“, stichelte ich ein bisschen.

„Kannst du nicht einmal normal sein?“

„Niemals.“

Jetzt brachte ich Nici doch ein bisschen zum Lachen.

„Du bist echt unmöglich, hab noch einen schönen Abend.“

„Den werde ich mit Sicherheit haben.“

Sie verschwand in der Dunkelheit. Irgendwie war unsere Beziehung ja schon vorher kaputt, aber jetzt war sie endgültig vorbei, weil Nici endlich das getan hatte, wozu ich ihr immer geraten hatte, nämlich sich einen besseren Kerl zu suchen. Ich wünschte mir, dass sie das richtige tat. Ich gesellte mich wieder zu Basti und Lena und trank mein Whiskeyglas in einem Zug leer.

„Ich glaube Nici hat einen anderen!“

Basti sah mich leicht schockiert an.

„Wie sie hat nen anderen?“

Ich rauchte eine Zigarette und schenkte mir noch ein Glas Whiskey ein. Dann erzählte ich den beiden, was ich mit Nici für einen Deal laufen hatte.

„Und das nur, weil du denkst sie ist nicht glücklich mit dir?“

Ich nickte.

„Ich kann nicht mit ihr zusammen sein und sie versteht es nicht. Doch ich mag sie zu sehr, um ihr eine Abfuhr zu geben, deshalb muss sie auf diese Weise andere Typen kennenlernen. Ich weiß das ist strange, aber manchmal habe ich wohl doch noch sowas wie Mitgefühl.“

Wir schmiedeten aus Spaß große Zukunftspläne mit unserer Band. Um drei machte ich mich mit schwankenden Schritten auf den Heimweg. Als ich an meinem Haus angekommen war, sah ich zwei Gestalten in der Dunkelheit. Ich blieb stehen und dann erkannte ich Nici und ihren neuen Freund. Er war einer von diesen Milchreisbubies mit blonden Haaren und spießigen Klamotten. Ganz schnieke war er gekleidet. Seine Eltern verdienten wahrscheinlich auch Geld wie Heu. Ich war etwas überrascht, weil er mir so gar nicht ähnlich war. Er gegrapschte sie am Hintern. Fast automatisch ließ ich mich auf den Stufen vor meiner Haustür nieder. Die beiden Turteltäubchen kamen in meine Richtung gelaufen. Nici blieb stehen und sagte, sie würde gleich nachkommen. Ich wollte nur noch ins Bett.

„Alles okay bei dir?“

„Klar und bei dir so?“

Ich verkniff mir vorerst weitere zynische Kommentare.

„Ja, war ein schöner Abend. Sehen wir uns die Tage?“

„Ja klar, wenn dein Liebster das verkraftet. Ich nehme nich an, dass du ihm was von unserem Deal erzählt hast.“

„Nicht direkt.“

Ich sah sie neugierig an.

„Hab ich dabei gut oder schlecht abgeschnitten?“

„Naja, ich hab dich in den Wind geschossen und du bist jetzt zutiefst verletzt.“

Das amüsierte mich durchaus und ich musste lachen.

„Na meinetwegen.“

„Bist du nicht sauer oder so?“

„Hör endlich auf immer alles infrage zu stellen. Geh jetzt, sonst denkst er noch du flirtest mit mir.“

„Okay, dann schlaf gut.“

Ich hätte nicht gedacht, dass das alles mit Nici so gut laufen würde, naja irgendwie fehlte sie mir schon. Immerhin hatte sie versucht aus mir einen besseren Menschen zu machen. Doch sie war gescheitert und ich fühlte mich nicht glücklich. Nici hatte wirklich verdient einen Jungen an ihrer Seite zu haben, der weniger Probleme als ich hatte. Sie brauchte jemanden, der ihr Geborgenheit schenkte und für den sie alles war. Und insgeheim wünschte ich mir auch einen solchen Gefährten an meiner Seite, aber dazu musste ich Gefühle zulassen, die ich bisher nie vor anderen gezeigt hatte. Diese lagen verborgen irgendwo in den Tiefen meiner Seele und hielten ihren hundertjährigen Schlaf. Vielleicht kam doch eines Tages der Mensch, der die Dornenhecke niederschlug. Ich versank wieder in meine düstere Welt aus Schmerz, Hass, Einsamkeit und Verzweiflung. Irgendwie alles auf einmal. Ich hasste die ganze Welt und der Alkohol stieg mir mächtig zu Kopf. Ich zertrümmerte meinen Spiegel an der Wand erneut und die zusammengeklebten Scherben zersprangen abermals in tausend kleine Teile auf dem Fußboden. Dort lag ich dann mit blutüberströmten Händen und heulte mir die Seele aus dem Leib. So blieb ich liegen, bis es dämmerte. Meine Glieder schmerzten und ich hatte große Mühe auf die Beine zu kommen. Mir war schlecht, doch ich konnte mich nicht übergeben. Im Badezimmer wusch ich das getrocknete Blut von meinen Armen ab, wobei die Wunden erneut aufbrachen. Ich nahm mir zwei Wischtücher mit in mein Zimmer und schnürte sie um meine Arme, um die Blutung zu stillen. Dann ging ich abermals ins Bad, duschte und schminkte mich. Wie verkorkst konnte mein Leben eigentlich noch werden? Vor anderen tat ich immer, als wäre ich der supertolle Kerl, der mit jeden Problemen klarkommt, doch die Wirklichkeit sah anders aus. Ich war ein Gefangener meiner selbst und ich schaffte es einfach nicht zu fliehen oder auszubrechen. All die Wunden, die ich mir zufügte, waren gescheiterte Versuche die Mauer meiner Festung zu durchdringen, doch auch so gelang es mir nicht. Brauchte ich vielleicht doch einen Psychologen, der mir half? Aber wie sollte ich einem fremden Menschen erklären, was mit mir nicht stimmte, wenn ich das nicht Mal bei meinen eigenen Freunden schaffte. Ich fühlte mich so kaputt und verachtete mich auf meine ganz eigene Art und Weise.



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