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Seelenkrank

von

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Eine gewagte Entscheidung

Ich beschloss mal wieder etwas für mein Ego zu tun, begab mich mit meinem gesparten Geld ins Tattoostudio und ließ mir ein Tattoo ganz weit unterhalb des Bauchnabels stechen, das man nur zur Hälfte sah.

„Das kann aber ganz schön weh tun“, sagte Steff.

„Ist auch okay. Bin‘s ja gewohnt.“

Ich reichte ihm den Zettel. Das Motiv hatte ich mir selbst gezeichnet, weil ich etwas Extravagantes haben wollte. Mein Tätowierer war begeistert von meinen Zeichenkünsten. Bei dem Motiv handelte es sich um eine Schlage, die sich um einen Ast windet undversucht den Apfel der Versuchung zu erlangen.

„Dann mal los. Lege dich dann auf die Liege dort in der Ecke.“

Mein Herz klopfte wie wild und meine Hände waren feucht. Doch die Schmerzen würde ich nur einmal ertragen müssen. Wobei ich diesen nicht als unangenehm wahrnahm. Als das Summen der Nadel einsetzte, schloss ich die Augen und entspannte mich. Ich lag vier Stunden da und ignorierte den Schmerz, der mal mehr, mal weniger wurde. Mit dem Endergebnis war ich sehr zufrieden. Anschließend ließ ich mich noch im Ohr piercen. Es war ein Stab, der durch den oberen Teil verlief.  Wie ich die Tätowierung pflegen musste, wusste ich ja bereits.

Nach drei Tagen war der rote Rand bei meiner Tätowierung so gut wie verschwunden. Ich salbte die Stelle trotzdem sorgfältig ein. Heute war Freitag und nach der Schule hatte ich einen Termin beim Frisör. Ich ließ mir die Haare hinten etwas kürzer schneiden, vorn ließ ich sie lang, sodass sie noch einen Teil meines Gesichtes verdeckten. Mein neuer Look stimmte mich sehr zufrieden. Ich setzte meine Sonnenbrille auf und verließ den Friseursalon mit einem Lächeln.

Ich wollte mich vor dem Auftritt noch mit Basti treffen und wir wollten gemeinsam zum Proberaum laufen. Ich toupierte meine Haare hinten etwas hoch, wofür ich ganz, ganz viel Haarspray benötigte, schminkte mich und legte meinen Schmuck an. Ich zog meine schwarze knallenge Röhrenjeans an und mein transparentes schwarzes, ärmelloses Oberteil sowie meine Cordjacke mit der Kapuze und dem Totenkopf auf der Rückseite. Ich hoffte Nici mit ihrem tollen Freund heute Abend zu sehen. Bei diesem Gedanken lächelte ich boshaft. Als ich aus meinem Zimmer kam, betrachtete mich mein Vater argwöhnisch und sein Blick an meiner Tätowierung haften.

„Wann hast du das denn machen lassen?“

„Vor vier Tagen.“

„Brauchst du da nicht die Erlaubnis deiner Eltern? Ich wüsste nicht, dass ich dir die gegeben hätte.“

„Der Tätowierer ist nen Kumpel von mir.“

Mein Vater schüttelte nur mit dem Kopf.

„Naja. Und jetzt gehst du zu deinen schwarzen Freunden?“

Ich schaute ihn mit verachtendem Blick an.

„Ich hab gleich nen Gig mit meiner Band.“

Er schaute mich jetzt anders an, als sonst.

„Dann viel Spaß…hast du was dagegen, wenn ich vorbeischaue?“

Das erstaunte mich wirklich.

„Von mir aus. Ist in dem Raum, wo du neulich davorgestanden hast und mit mir reden wolltest.“

Das war alles, was ich darauf erwiderte und ging.

Mein Vater tauchte tatsächlich auf, wie auch Nici und ihr toller Marco und noch irgendeine Freundin. Ich spürte ihren Blick die ganze Zeit.

 

Lukas hatte sich tatsächlich ein neues Tattoo stechen lassen und das gerade jetzt! Doch hatte er sich auch wieder neue Verletzungen zugezogen und das traf Nici viel mehr. Sie sorgte sich um ihren Lukas und hoffte nur, dass er das irgendwann in den Griff bekam. Einerseits schaffte es seine Stimme den ganzen Raum mit ihrem Klang zu erfüllen, doch dann wieder hauchte er die Worte ins Mikro, dass sie eine Gänsehaut bekam. Marco stand hinter Nici und umschloss sie mit seinen Armen, was sie gar nicht so richtig wollte. Ina stand neben ihr und schaute ebenso gebannt auf die Bühne. Das Piercing in Lukas Ohr fiel ihr auch auf. Marco hatte einen Piercing in der Augenbraue und in der Zunge. So wie Lukas. Nici war hin und hergerissen von ihren Gefühlen zu den beiden Jungs. Marco trug sie auf Händen, doch ihm fehlte diese selbstverliebte manchmal leicht arrogante Art, die sie bei Lukas so mochte. Auch jetzt, als er auf der Bühne stand und umjubelt wurde. Sie wünschte sich so sehr, dass er seine Meinung ändert, wenn er hoffentlich mit bekam, dass es ohne sie nicht funktioniert. Nici starrte ihn die ganze Zeit an und Marco ging ihr schon fast auf die Nerven. Er küsste sie am Hals, doch Nici wünschte sich, es wäre Lukas, der das gerade tat. Diesen Gedanken verwarf sie schnell. Nici konnte gar nicht glauben, dass sie jetzt schon das letzte Lied spielten. Es war das Lied, was Lukas ihr mal gewidmet hatte, als sie ein Paar waren. Dafür hasste sie ihn. 

„Ist alles okay mit dir? Du bist so ruhig?“

„Ich habe nur die Musik genossen. Willst du noch bleiben?“

Marco überlegte kurz.

„Naja, nicht, wenn es nicht unbedingt sein muss. Ist ja auch fast um zwei.“

„Ist okay. Muss nur noch mal schnell auf die Toilette.“

Auf dem Weg dorthin traf Nici Malen, die sie ganz lieb begrüßte.

„Hey, schön, dass du da bist. Bleibst du noch eine Weile hier?“

Nici schüttelte mit dem Kopf.

„Nee, bin mit einem Freund hier und er will gehen.“

„Wie, was ist denn mit Lukas und dir?“

„Naja, wir führen gerade eine offene Beziehung.“

Sie sah Nici etwas schockiert an.

„Wusste ich nicht. Und mit wem bist du hier?“

„Ach, einer aus meiner Klasse.“

Malen nickte etwas geistesabwesend und lud sie noch auf einen Drink ein. Marco folgte den Mädchen an die Bar.

„Und läuft es bei dir und Flo noch?“

„Ja klar. Besser denn je. Ab und zu brauch er zwar mal Tritt in den Arsch, aber das ist schon okay. Da sehen wir uns jetzt gar nicht mehr so oft oder?“

Nici zuckte mit den Schultern und dann kam Lukas auf einmal. Er zwinkerte ihr unauffällig zu, sagte irgendwas zu Malen und verschwand sofort wieder.

„Naja, da will ich dich nicht mehr länger aufhalten. Bis demnächst, denke ich.“

Sie drehte sich einfach um und war weg. Nici fühlte sich vollkommen verarscht. Etwas betrübt ging sie in Richtung Toiletten. Auf dem Weg dorthin sah sie diesen Juka, dachte sich aber nichts weiter dabei. Auf dem Rückweg schob er sich automatisch wieder in ihr Blickfeld, was entweder an seiner Größe lag oder daran, dass er gerade mit Lukas rumknutschte. Nicis Herz setzte einen Moment aus, was nicht an der Situation allgemein lag, denn immerhin führten sie eine offene Beziehung. Nein es lag daran, wie Lukas ihn ansah. So hatte er sie noch nie angeschaut und es schien mehr als nur Leidenschaft in seinem Blick zu liegen. Das verletzte das Mädchen und sie war sich nicht mehr so sicher, ob auch er die offene Beziehung wollte oder er ihr damit deutlich machte, dass es zwischen ihnen vorbei war. Sie wollte verschwinden, doch die Ecke, hinter der sie stand, bot ihr Schutz und sie wollte insgeheim doch hören, was die beiden sagten. Wie erbärmlich.

„Dann lass es doch einfach Juka…“, murrte Lukas und genau diesen Tonfall kannte sie nur zu gut. Seine Launen und diese Abwehrhaltung, die das Zusammensein mit ihm so unglaublich kompliziert machten.

„Luki hör auf, das hatten wir doch schon…was ist los?“

Nici vernahm ein Schluchzen und ihr Herz zog sich zusammen. Sie sollte gehen, doch ihr Körper tat keinen Schritt.

„Ich fühl mich so leer, so kaputt…als hätte ich all meine Gefühle auf der Bühne aufgebraucht…darf ich mich jetzt bitte betrinken?“

„Und dann? In Selbstmitleid versinken? Oder dir wieder selbst weh tun? Das kann ich nicht zulassen mein Süßer.“

Jukas Worte klangen so überzeugend, so stark und rührten das lauschende Mädchen fast zu Tränen.

„Und wenn ich nich gerettet werden will? Was hast du davon Juka? Erhoffst du dir ne heiße Nacht? Die kannst du wohl auch mit Polly haben…“, keifte Lukas zurück. Verletzte Juka und Nici war sehr gespannt, was dieser antwortete.

„Da hast du nicht ganz unrecht…aber ich will Polly nicht.“

„Das is nich mein Problem…ich brauch jetzt nen Drink…“

„Luki, bitte…übertreib es nicht…“

„Weil es dich trifft? So bin ich eben Juka…“

„Nein und das weißt du…“

„Verdammt, hör endlich auf, mich retten zu wollen!“, kam es nun sichtlich wütend von Lukas.

„Ich kann nicht…“

„Und warum?“

Wie bekannt ihr das alles vorkam, doch warum nur schaffte es Juka ihm standzuhalten und sie nicht? Eine Zeit lang herrschte Stille, dann drückte Juka Lukas wieder an die Wand und flüsterte ihm etwas zu und Nici wünschte sich, sie hätte diese Worte niemals gehört. Denn diese Worte trugen eine solche Intensität mit sich. Dagegen würde sie niemals auch nur den Hauch einer Chance haben.

„Weil ich dich liebe…so jetzt ist es raus…und glaub mir Süßer, wenn ich mit dir fertig bin, brauchst du keinen beschissenen Drink mehr…“

 

Marco und Ina brachten sie noch nach Hause. Von der Haltestelle dort in der Nähe nahm Ina dann die Bahn zu sich. Nici wollte nicht, dass Marco heute bei ihr übernachtete, weil sie sich überhaupt nicht mehr im Klaren war, was sie fühlte. Das hieß, sie wusste es schon, wollte es jedoch nur nicht wahrhaben. Es ging nicht anders und sie fing an zu weinen.

Am nächsten Tag suchte sie Ina auf.

„Hey, Süße. Was hast du auf dem Herzen?“

Nici seufzte tief und setzte sich auf das schöne blaue Sofa in ihrem Zimmer. Ihre Mutter brachte zwei Cappuccino.

„Ich habe glaub ich gerade ein riesen Problem.“

Ina sah ihre Freundin fragend an.

„Es geht um Lukas. Ich glaube es war ein Fehler was mit Marco anzufangen. Gestern beim Konzert…er war so schön und er sah einfach nur verdammt toll aus. Ich bin so doof!“, fluchte Nici. Ina sah sie vorwurfsvoll an.

„Und was willst du jetzt tun?“

Nici zuckte mit den Schultern.

„Wir führen gerade eine offene Beziehung…aber ich glaub, er nutzt das als Vorwand…ich kann ihm vermutlich nie die Freundin sein, die er braucht.“

„Was denn für ein Vorwand?“, fragte Ina und nippte an ihrem Cappuchino.

„Ich weiß nicht…er hat da was am Laufen…mit nem Kerl.“

„Shit, das ist echt bitter…und du glaubst er liebt ihn?“

„Zumindest liebt der Kerl Lukas…hab gestern gehört, wie er ihm das gesagt hat…als ich auf dem Klo waren, standen sie in der Nähe…ach Ina, das ist so doof alles. Einerseits mag ich Marco voll, doch dann ist da eben Lukas…ich dreh durch!“

„Mh, das ist echt doof und ich bin nicht sicher, was ich dir raten soll. Marco passt so gar nicht zu dir, aber nett ist er schon...“

„Marco gibt mir einfach keine Erfüllung in der Beziehung. Er ist schon lieb, das stimmt, aber er ist halt kein Gothic.“

„Mir ist gestern was aufgefallen…die Schnitte…tut Lukas sowas öfter?“

Nici seufzte abermals und nun kamen die Tränen. Ina legte ihre Hand auf Nicis Schulter und das tat irgendwie gut.

„Öfter als mir lieb ist…er ist so kompliziert Ina und redet nicht mit mir. Und dann ist er wieder voll lieb…“

Nici schluchzte und Ina nahm ihre Freundin in die Arme.

„Ach Süße…wollen wir uns heut bei Marcos Party so richtig betrinken? Vielleicht bringt dich das auf andere Gedanken“, schlug Ina vor und Nici war hin und hergerissen.

„Klingt nicht nach dem schlechtesten Plan.“

„Sag ich doch.“

Ina nickte und lächelte.

„Und da sehen wir, aus Marco wird. Danach kannst du ja immer noch mit Lukas reden!“

Das stellte sie sich unwahrscheinlich schwer vor, weil sie Lukas kannte und jetzt mit ihm reden würde sich eher als unmöglich erweisen. Jedoch wollte sie ihn auch wiedersehen.

„Daran habe ich ja auch schon gedacht, aber ich habe Angst. Angst davor, wie er reagiert, weißt du?!“

„Wir gehen da heut zusammen hin, Süße. Vielleicht wird es ja echt witzig.“

Um acht holte Ina ihre Freundin zu Hause ab. Die Mädchen hatten sich absichtlich richtig extrem gestylt. Eigentlich war die Party ja ganz toll. Seid der Sache mit Marco verstand sie sich auch super mit den anderen Mädels aus der Klasse.

„Hey Nici, ich bin echt neidisch, dass du Marco jetzt hast. Er ist voll süß, ne?“

Sie nickte nur, weil sie wieder an Lukas denken musste.

„Da bist du sicher nicht die einzige, die ihn toll findet.“

Nici versuchte scherzhaft zu klingen. Sie trank Rotwein. Die anderen zogen lieber irgendwelche Mixgetränke vor. Die Musik war voll beschissen und Nici wünschte sich, dass sie jetzt bei Lukas und seinen Leuten sein könnte.  Da tauchte Ina mit zwei Cocktails auf.

„Du bist meine Rettung. Die einzige Person, mit der ich mich vermutlich heut normal unterhalten kann.“

Ina knuffte Nici in die Seite und lachte.

„Sag mal, hat dir Nadja hallo gesagt?“

Nici zuckte mit den Schultern.

„Naja, weil mich hat sie gerade voll schräg angeschaut.“

Sie seufzte.

„Nadja ist immer noch komisch und ich hab das Gefühl die anderen Mädels tolerieren mich nur, weil ich Marcos neue Flamme bin.“

Ina sah Nici mitfühlend an.

„Also doch nichts?“

„Kann ich offen mit dir reden?“

„Ja klar doch.“

„Ich bereue es irgendwie. Ich sehne mich nach diesen verrückten Partys zurück, die wir immer mit Lukas und den Leuten aus der Band gefeiert haben. Es war alles so unkompliziert. Man hat sich halt getroffen und das Beste aus dem Abend gemacht, weißt du?“

Ina nickte. Nici war total deprimiert.

„Ich hab ihn gestern mit diesem Juka gesehen und ich glaube er will mich nicht mehr. Wenn Lukas nur nicht so einen verdammten Dickschädel hätte, wäre ich schon längst zu ihm gegangen, um mit ihm darüber zu reden.“

„Jetzt haben wir Spaß, Kopf hoch Mausi, okay?“

Nici zuckte nur mit den Schultern.

„Ich würde aber lieber ins Selbstmitleid baden.“

Ina verleierte die Augen.

„Das mag ja sein, aber wir gehen jetzt trotzdem tanzen, auch wenn die Musik total bescheuert ist.“

Eher gegen ihren Willen wurde Nici auf die Tanzfläche befördert und wurde das Gefühl nicht los, von allen angestarrt zu werden.

„Meinst du, dass ich mit Lukas reden sollte?“

„Auf jeden Fall. Man sieht dir echt an, dass du total unglücklich bist und als du mit Lukas zusammen warst, hab ich dich nie so gesehen. Ich glaube, du bist nur mit Marco zusammen, weil Nadja es so wollte, oder?“

Sie nickte stumm und irgendwie war ihr das etwas peinlich.

„Du solltest vielleicht mehr auf deine eigenen Gefühle hören und nicht darauf, was andere sagen.“

„Wenigstens du verstehst mich. Ich danke dir.“

Ina und Nici teilten sich nach dem Tanzen eine Zigarette und tranken noch mehr Cocktails. Nadja sah sie skeptisch an und schüttelte nur mit dem Kopf.

Es verbrachten ziemlich viele Leute die Nacht bei Marco. Als er in sein Zimmer kam, tat Nici so, als ob sie schon schlafen würde. Er küsste sie noch auf die Wange und legte sich neben sie.

Sie wachten gleichzeitig auf.

„Ich muss jetzt nach Hause, wegen meiner Oma“, log Nici.

„Das ist echt schade. Dachte, wir frühstücken noch zusammen.“

„Nee, tut mir leid. Ich muss los.“

Zu Hause duschte Nici und zog sich um. Dann wollte sie unbedingt zu Lukas und mit ihm reden.

 

Ich war gerade aufgestanden und hatte geduscht, als es klingelte. Da keiner zu Hause war, musste ich die Tür öffnen. Ich hätte auch mit jedem gerechnet, nur nicht mit Nici.

„Was führt dich denn zu mir? Willst mir wohl sagen, wie toll das Konzert war oder was?“

„Darf ich rein kommen? Wollte nur mal vernünftig mit reden, wenn du es gestattest.“

Da ich heute einen guten Tag hatte, ließ ich Nici eintreten. Ich trug zu meiner Belustigung nur meine Hose. Wir setzten uns in mein Zimmer und ich zündete mir eine Zigarette an.

„Was gibt’s so wichtiges?“

Sie hielt einen Moment inne und begann zu reden.

„Naja, ich habe dich gestern mit Juka gesehen und…da scheint was zwischen euch zu sein…ich glaube du benutzt die offene Beziehung nur, um mich nicht zu verletzen. Doch eigentlich hast du mich schon abgeschrieben.“

Ich bekam ein bisschen Mitleid mit ihr.

„Tja, was soll ich sagen…damit hast du nich ganz Unrecht…aber du bist ein tolles Mädchen, das kann ich immer wieder betonen…und ich will dich wirklich nich verletzen Nici, aber ich kann nich mit dir zusammen sein. Ich glaub ich liebe Juka und das schon eine ganze Weile.“

Es traf mich, sie so traurig zu sehen, aber ich konnte nicht anders.

„Okay, es ist in Ordnung…was kann ich schon dagegen tun. Immerhin haben wir es versucht.“

„Gib deinem neuen Freund doch eine Chance und ich bin trotzdem da. Wir können uns weiterhin sehen, reden, aber als Freunde eben.“

Ich lehnte mich zurück, zog genüsslich an meiner Zigarette und sah Nici mit durch dringlichen Blick an. Die Enttäuschung war ihr ins Gesicht geschrieben.

„Ich fände es schön, wenn wir Freunde bleiben könnten.“

„Bist du schon mit Juka zusammen?“

„Nein, er muss noch was mit seinem Ex klären.“

„Ich hoffe für dich, dass es klappt.“

„Danke, das weiß ich zu schätzen Süße.“

„Also dann, wir sehen uns sicher mal, im Underground oder so.“

„Klar bestimmt.“

Nici hatte ihren Blick zu Boden gerichtet und sah abwechselnd zu mir und dann auf den Teppich.

„Ich habe dich noch nie so ehrlich erlebt, wie gerade eben. Warum kannst du nicht immer so sein?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Weil ich langsam das Gefühl habe du magst mich.“

Nici schien nicht zu wissen, was sie erwidern sollte und lächelte einfach nur. Ich erwiderte ihr Lächeln schwach. Wir beschlossen uns, an diesem schönen Tag, in dem Garten weiter zu unterhalten.

„Wann hast du dir eigentlich dein Tattoo stechen lassen?“

Ich musste lachen und zuckte mit den Schultern.

„Vor ein paar Tagen.“

„Sieht echt heiß aus.“

„Danke, wolltest du nich auch eins haben?“

„Doch, muss nur ein bisschen Geld sparen und nicht immer alles gleich ausgeben. Was macht die Band?“

Ich seufzte tief.

„Eigentlich läuft’s gut, aber ich muss mich auch um nen anständigen Job kümmern und mir eine eigene Wohnung suchen.“

„Das klingt fast so, als würdest du jetzt ein bisschen seriös werden?“

Ich schüttelte mit dem Kopf.

„Ich doch nich, nur irgendwoher muss das Geld ja kommen.“

„Das klingt doch gut.“

„Ich bin auch immer für dich, aber ich glaub, das weißt du selbst. Ich mag dich echt sehr, Nici.“

Sie lächelte.

„Ich dich doch auch. Danke, dass du trotzdem für mich da bist. Ich weiß im Moment echt nicht mehr, was ich denken soll. Nadja ist voll komisch, weil sie nicht will, dass wir wieder zusammenkommen und Marco ist auch nicht der richtige Typ für mich.“

„Tja, dann musst du es ihm sagen.“

„Das ist auch blöd. Gestern hat er ne Party organisiert, da hab ich mich voll unwohl gefühlt, weil dumme Musik kam und ich mich nach den Feten im Proberaum zurückgesehnt habe.“

Ich musste lächeln.

„Ist ja süß.“

„Würdest du eigentlich trotzdem eine offene Beziehung führen, zumindest so lange du noch nich mit Juka zusammen bist?“

Ich schüttelte mit dem Kopf.

„Glaub das ist keine so gute Idee.“

„Okay, okay. War ja nur so ne Frage.“

In dem Moment klingelte Nicis Handy. Das Gespräch war sehr kurz.

„Es war Nadja. Sie steht vor meinem Haus und wartet auf mich.“

„Dann solltest du da besser hingehen oder?“

Sie nickte. Ich erhob mich und nahm Nici in die Arme.

„Kannst dich ja mal melden.“

„Natürlich. Bis später. Kannst Nadja ja nen schönen Gruß sagen.“

Nici drehte sich noch einmal um.

„Ha ha.“

 

Nadja sah Nici ein bisschen beleidigt an.

„Warst du grad bei Lukas?“

„Ja, musste ihm noch ein paar CDs bringen. War auch nicht lange da. Er war kurz angebunden.“

Sie erzählte ihr vorerst nichts von ihren Plänen, sondern traf sich noch mit Ina, weil sie ihr versprochen hatte Bericht zu erstatten.

„Irgendwie kann ich dir das nicht ganz abkaufen.“

„Dann lässt du es halt bleiben.“

„Gestern hast du dich echt toll verhalten. Marco war echt voll am Boden zerstört. Hast du dich eigentlich entschieden?“

Ich zuckte mit den Schultern und da sah sie Ina auch schon von weitem kommen.

„Ich hab jetzt keine Zeit. Ina und ich wollen noch was erledigen. Bis morgen in der Schule.“

„Du hast dich also für Lukas entschieden? Man sieht es dir an und mit einem so freudigen Gesicht habe ich dich bei Marco noch nie gesehen.“

Nici versuchte Nadja zu beruhigen, weil sie keine Lust auf noch mehr Stress mit ihr hatte. Sie sah Nici immer noch mit misstrauischem Blick an.

„Weißt du langsam geht mir das ständige Hin und Her echt auf die Nerven. Kannst du dich endlich mal entscheiden, was oder wen du willst?“

Nici seufzte und wusste, dass es wenig Sinn hatte mit Nadja über Lukas zu reden. Ihr lag wirklich viel an ihm, auch als Freund, doch das konnte sie nicht verstehen und Marco genauso wenig. Nur wie sollte sie ihm klarmachen, dass sie nicht mehr mit ihm zusammen sein wollte?

„Was überlegst du denn so angestrengt?“

Ihre Stimme hatte diesen sarkastischen Unterton.

„Naja, eben die Sache mit Marco.“

„Weißt du, mir tut Marco einfach nur leid. Erst himmelst du ihn an und erzählst, was für ein Arschloch Lukas ist und jetzt ist es wieder umgedreht!“

„Ich weiß, aber du musst doch auch nicht mit ihm reden. Außerdem ist Lukas eigentlich ganz anders.“

Nadja zog die Augenbrauen hoch.

„Ja, ja, verteidige ihn noch schön. Du raffst einfach nicht, dass er dich nur ausnutzt. Lukas hatte schon immer seinen Kopf und er würde sich nicht so schnell für ein Mädchen ändern.“

„Na du musst es ja wissen. Weil du ihn auch so super gut kennst.“

„Ich hab zwar schon fast ein Jahr kein Wort mehr mit ihm gewechselt, aber ich denke schon, dass ich deinen tollen Lukas gut genug kenne. Aber wie heißt es so schön, Liebe macht blind.“

„Du bist echt total blöd. Ich glaube, darauf habe ich keinen Bock. Such dir doch andere Freunde mit denen du so sein kannst, aber nicht mit mir.“

Nici ließ sie eiskalt stehen. Ina hatte das Geschehen aus der Ferne verfolgt und schüttelte nur mit dem Kopf. Die Freundinnen suchten sich im Park ein schönes Plätzchen und genossen die warme Sonne.

„Und, erzähl schon?“

Nici lächelte verträumt vor sich hin.

„Wir haben uns darauf geeinigt Freunde zu bleiben. Das ist immerhin ein Anfang.“

Ina grinste Nici an.

„Na das klingt doch gut. Als ich ihn vorhin so mit seinem neuen Tattoo gesehen habe… es war einfach traumhaft. Warum muss dieser Kerl auch nur so toll sein?“

Sie seufzte.

„Welches Tattoo? Er hat so viele“, bemerkte Ina.

„Das am Bauch, nahe der Hüften.“

„Wow, ja stimmt, das ist mir auf jeden Fall aufgefallen…mhh, Freundschaft oder Freundschaft plus...“, kicherte Ina.

„Genau das ist es ja. Lukas meint das ernst und er war sehr ehrlich zu mir. Er ist schwul und fast mit nem Kerl zusammen.“

„Aber nur fast, kannst deinen Charme ja noch mal spielen lassen.“

„Er ist aber verdammt anspruchsvoll und ich glaub nicht, dass ich noch was daran ändern kann.“

„Ach Süße, lass uns noch biss bei dir chillen. Vielleicht schauen wir uns einfach einen Film an, was meinst du?“

Nici nickte und so gingen sie in ihr Zimmer und machten es sich auf dem Bett bequem, um dann einen Film auszusuchen.

 

Bald fing in unserem Jahrgang  die Tanzstunde an und Marco nervte Nici schon die ganze Zeit, weil er unbedingt mit ihr tanzen wollte, sie jedoch nicht so richtig mit ihm. Ihre Gefühle machten sie wahnsinnig, weil sie nicht wusste, was ich noch denken sollte. Lukas? Oder doch Marco? Hatte sie das nicht immer gewollt, solche Freunde wie Lukas sie hatte? Hatte sie es sich nicht immer gewünscht, wie ein verruchtes Lolita Girly rumzulaufen? Malen präsentierte ihre Meinung in aller Öffentlichkeit. Nicht, weil sie andere provozieren wollte, sondern, weil ihr es egal war, wie andere von ihr dachten. Sie lebte den kleinen Gothic in sich richtig aus, im Gegensatz zu Nici. Das machte sie wütend auf sich selbst. Sie wollte einfach, dass Malen sie auch wieder so akzeptierten, wie alle anderen in der Clique.

Malen hatte gerade Besuch von einer Freundin, natürlich auch ein Gothic. Ihr Style war sehr gewagt, aber Nici gefiel es. Sie hatte pinke Haare, hochtoupiert, eine zerrissene Netzstrumpfhose, ebenfalls in Pink und einen sehr, sehr kurzen Rock. Ihr Oberteil war weiß und hatte einen weiten Ausschnitt. Beide Mädchen begrüßten Nici und sie setzte sich zu ihnen auf das Bett.

„Das ist Jule, eine gute Freundin von mir. Aber was treibt dich denn zu mir?“, fragte Malen.

„Ich wollte nur mal mit dir reden.“

„Alleine? Oder ist es okay, wenn Jule dabei ist?“

Nici zuckte mit den Schultern, da erhob sich das Mädchen aber auch schon.

„Schon gut, ich muss sowieso erst mal los. Treffen wir uns heut im Underground Süße?“

„Klar. Bin gegen elf am Eingang. Bis dann.“

Die beiden gaben sich zum Abschied einen Kuss auf den Mund. Dann verschwand Jule hinter der Tür. Malen zündete sich eine Zigarette an.

„So, um was geht es?“

„Kann ich mit dir vielleicht über Lukas reden?“

Malens Blick war immer noch abwertend. Nici musste irgendwie an sie herankommen, nur wie?

„Und weshalb kommst du damit ausgerechnet zu mir? Hast du denn keine anderen Freudinnen, mit denen du darüber reden kannst?“

Nici seufzte.

„Doch, schon, aber ich habe mir gedacht, dass du mich vielleicht besser verstehst, weil du Lukas auch sehr gut kennst.“

„Ach so. Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich eigentlich ganz froh, dass ihr nicht zusammen seid. Tut mir leid Nici, aber ich sehe in dir nur ein kleines dummes Mädchen, das nicht weiß, was es will. Für mich bist du nur ein Mitläufer in der Szene, der eigentlich gar keine richtige Ahnung hat.“

„Ich weiß, dass du so von mir denkst. Ich würde mir echt wünschen, dass du mich akzeptieren würdest.“

Malen lachte.

„Naja, das stellst du dir wahrscheinlich sehr einfach vor oder?“

Sie schüttelte energisch mit dem Kopf.

„Ich muss es wohl hinnehmen, dass du so von mir denkst.“

„Nicht unbedingt. Ich fand deine Aktion nur neulich bei Lukas seinem Konzert total blöd. Da gehst du mit deinem Freund zu deinem Exfreund aufs Konzert. Was soll das denn? Offene Beziehung hin oder her. Und dann ist dein Freund auch noch so einer von den coolen Typen, die die Gothicszene wahrscheinlich abgrundtief hassen, aber die Mädels trotzdem geil finden. Weißt du, ich finde es einfach lächerlich, wenn so kleine Möchtegern Gothicmädels mit ihren Hopperfreunden Hand in Hand in den x-tra-x kommen und sie dann ganz tolle Lackmieder gekauft bekommen, weil die Kerle ja die fette Kohle haben.“

„Ja, aber ich bin nicht so! Außerdem war Lukas doch der, der die offene Beziehung wollte. Ich glaub nicht daran, dass wir wieder zusammenkommen, aber ich denke eine Freundschaft bekommen wir hin.“

Sie zog die Augenbraune hoch und drückte ihre Zigarette aus.

„Ach ja, wie kommst du darauf?“

„Naja, ich glaube da läuft was mit Juka, hat er dir das noch nicht erzählt? Ich meine, ich habe keine Chance mehr, aber er ist mir wichtig und ich hab mich bei euch schon immer wohler gefühlt, als bei den Leuten aus meiner Klasse. Es wäre auch schön, wenn wir uns wieder besser verstehen würden.“

Jetzt hatte Nici alles gesagt, was ihr Herz bedrückte, ob das so richtig war, wusste sie allerdings auch nicht. Auf einmal wurden Malens Züge weicher. Sie schaute Nici nicht mehr so ernst an, sondern lächelte sogar.

„Tja, was machen wir da jetzt?“

„Das musst du entscheiden.“

„Und du denkst jetzt, ich nehme dich mal so ganz fix als Freundin zurück?“

Nici zuckte wieder mit den Schultern.

„Früher haben wir uns doch auch verstanden oder? Warum dann jetzt nicht mehr?“

Sie antwortete nicht gleich, aber Nici hatte das Gefühl, dass sie Malen fast von sich überzeugt hatte. Früher hätte sie das nie gewagt, doch sie wollte es unbedingt so und sie mochte Malen auch. Deshalb wünschte Nici sich auch, dass das andere Mädchen sie mochte.

„Ja, schon. Nur früher hatte ich bei dir auch das Gefühl, dass du voll hinter dem stehst, was du verkörpern willst. Und ich meine, wen interessiert es schon, wie du in der Schule aussiehst? Ich gehe auch nicht auf gestylt zur Arbeit. In der Schule musst du dich doch auch nicht beweisen, oder? Und außerdem, wenn dich deine normalen Freunde nicht so mögen, wie du sein möchtest, sind das auch keine Freunde.“

„Das meine ich ja. Mein Outfit in der Schule ist relativ normal, aber die Leute sind eben komisch.“

Malen rauchte noch eine Zigarette und bot Nici auch eine an, die sie nicht ablehnte.

„Okay, okay, du scheinst wirklich nicht so zu sein, wie ich dich eingeschätzt habe. Ich denke auch, dass es kein großer Fehler sein würde, wenn wir uns wieder besser verstehen würden. Und was Lukas betrifft, wenn du wieder mit ihm zusammenkommen willst, solltest du dich meiner Meinung nach ihm ein bisschen anpassen. Ich hab da so eine Idee.“

Nici schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Naja, ich wollte doch heut mit Jule ins Underground. Lukas würde bestimmt auch mitkommen, wenn ich ihn Frage. Dich putzen wir vorher so richtig raus und du kommst dann auch einfach mit. Tolle Frauen machen Lukas doch immer schwach.“

Nici hätte alles erwartet, nur das nicht. Aber die Idee gefiel ihr.

„Okay, das klingt gut. Und soll ich da vorher zu dir kommen?“

„Ja, würde ich sagen. Wir machen uns hier fertig und gehen dann los. Also dann, ich muss noch mal los. Bist du um neun bei mir?“

„Klar. Bis dann.“

Malen umarmte sie sogar zum Abschied. Das freute Nici unheimlich.

 

 

Ich war eigentlich auch froh, Nici los zu sein. Ich brauchte Ruhe und zog mich bei der kleinen Laube zurück. Und wie erhofft, war ich hier mutterseelenalleine. Ich wusste nicht, wie ich das alles bewältigen sollte. Ich musste mich auch um meinen Führerschein kümmern. Die Füße streckte ich aus und legte mich längs ins Gras. Vor kurzem hatte ich mich bei einer Medienfirma beworben, jedoch noch keine Antwort erhalten. Ich hoffte endlich Arbeit zu bekommen, weil ich von zu Hause ausziehen musste und das zwingend. Ich hatte auch schon eine tolle Wohnung ausfindig gemacht, doch diese konnte ich nur mit meinem eigenem Geld finanzieren. Ich freute mich irgendwie auf ein eigenes Leben, ja vielleicht sogar mit Juka zusammen. Bei diesem Gedanken lächelte ich.

Mein Vater war zu Hause, als ich kam. Gerade wollte ich auf mein Zimmer gehen, als er mich zurückrief. Ich atmete tief durch. Was wollte er denn jetzt schon wieder?

„Ich will mal kurz mit dir reden. Ist das okay?“

Ich nickte, ohne etwas zu sagen.

„Ich habe mich gefragt, was du wohl nach der Schule vor hast? Willst du ein Studium beginnen oder eine Lehre anfangen?“

„Von zu Hause ausziehen und ne Lehre beginnen.“

„Ich weiß, dass du mich nicht so richtig leiden kannst, obwohl wir Vater und Sohn sind, Lukas. Aber ich dachte mir, dass ich dich ja doch irgendwie unterstützen könnte. Natürlich nur, wenn du willst.“

„Wenn du mir eine Wohnung bezahlen kannst, gerne. Mehr Unterstützung brauche ich nich. Ich habe mich bei ein paar Firmen beworben, da sah es nicht schlecht aus.“

Er sah mich forschend an und strich sich über das glattrasierte Kinn.

„Wenn du willst, kannst du auch bei mir als Mediengestalter arbeiten. Da verdienst du eine ganze Menge Geld. Du denkst jetzt wahrscheinlich, dass ich mich nur einschleimen will, aber ich will dir doch wirklich nur etwas Gutes tun.“

Das war das Letzte, was ich wollte. Aber leider musste ich zugeben, dass er nicht ganz unrecht hatte. Mein Vater war sein eigener Chef und eigentlich konnte ich mich geehrt fühlen, wenn er mir ein solches Angebot machte.

„Ich denke drüber nach, okay?“

Mein Vater lächelte mich an und schien zufrieden mit sich zu sein. Ich machte mich auf den Weg zu Basti und erzählte ihm, was mein Vater mir gerade für ein Angebot unterbreitet hatte.

„Mh, vielleicht hat er echt nen schlechtes Gewissen und will dir helfen“, bemerkte mein Freund schulterzuckend während er seinen Kaffee umrührte.

„Diese Vermutung hatte ich auch schon, aber ich traue ihm nich. Vielleicht fang ich da auch erst Mal an, spar mir bissl Geld zusammen und wechsel dann. Aber jeden Tag meinem Vater begegnen. Das kotzt mich jetzt schon an.“

Basti zuckte nur mit den Schultern.

„Mike hat mich jetzt offiziell zum stellvertretenden Chef ernannt. Cool oder?“

„Freut mich für dich…naja, du bist ja ohnehin schon Mitbesitzer vom Café.“

„Irgendwie schon, is trotzdem anders als Chef. Jetzt kann mich Mike nicht mehr ankacken, sondern ich auch ihn“, freute sich Basti und ich schüttelte belustigt den Kopf.

„Ich habe in der Schönhauser Allee eine ganz tolle Wohnung gesehen. Ist ganz oben, du kannst also praktisch über ganz Berlin gucken. Das Zimmer in der Wohnstube ist rund. Echt voll schön, nur leider nicht umsonst.“

„Naja, ich werde bei meiner Mama wohnen  bleiben. Mike ist ja auch kaum da und ich will sie nicht alleine lassen.“

Basti öffnete sein Zimmerfenster und wir hockten uns aufs Fensterbrett, um eine Zigarette zu rauchen.

„Nici war heute früh bei mir.“

„Und?“

„Nix und. Ich hab ihr von Juka erzählt.“

„Und wie hat sie reagiert?“

„Naja, will, dass wir Freunde bleiben und so.“

Basti grinste mich nur an und schüttelte mit dem Kopf.

„Na dann. Geht’s dir gerade gut Lukas?“, fragte mein Freund vorsichtig. Ich zuckte mit den Schultern.

„Könnte schlimmer sein. Ich komm schon klar…aber danke der Nachfrage…ich muss dann auch los, wollt mich noch mit dem Vermieter treffen…“

„Alles klar…“

Ich verabschiedete mich dann von Basti und umarmte ihn kurz.

Der ältere Mann, vielleicht mein zukünftiger Vermieter teilte mir bei unserem Treffen mit, dass er sich tatsächlich für mich entschieden hatte und ich nächsten Monat einziehen könne. Hoffentlich. Ich war völlig aus dem Häuschen und schrieb sogleich Basti und Flo. Jetzt musste ich echt dringend an Geld kommen und konnte nicht länger warten, bis die Firma auf meine Bewerbung reagierte. Deshalb nahm ich das Angebot meines Vaters zähneknirschend an. Er schien sich tatsächlich zu freuen, was mich wieder ein bisschen Hoffnung schöpfen ließ.

„Du kannst gleich am Montag anfangen. Aber da wäre noch etwas.“

Prüfend musterte er mich von oben bis unten und ich ahnte, was jetzt kommen würde.

„Es wäre nicht schlecht, wenn du halbwegs normal dort auftreten könntest. Gegen deine Ringe da im Gesicht kann ich nichts mehr ausrichten, aber bitte ungeschminkt und ohne schwarze Fingernägel!“

„Das hätte ich sowieso gemacht. Du wirst es kaum glauben, aber ein bisschen Benehmen habe ich tatsächlich auch. Was ist mit den Klamotten? Wird bei dir ein bestimmter Kleidungsstil verlangt?“

Er überlegte kurz.

„Könntest du dich mit einem weißen Shirt anfreunden?“

„Warum nicht. Kann ich da ne schwarze Hose drunter ziehen?“

Er nickte und freute sich über mein Interesse an diesem Job. Was blieb mir auch anderes übrig.

Ich kaufte mir also ein paar weiße Shirts. Etwas moderner und eng anliegend. Schwarze Hosen hatte ich genug in meinem Schrank.

Malen fragte, ob ich mit ins Underground kommen wollte und da ich mal wieder Lust hatte, mich so richtig aufzumotzen, sagte ich da nicht nein. Basti konnte ich auch noch überreden. Ich hatte mir heut zwei neue Ringe für meine Unterlippe gekauft. Kunstvoll umrahmte ich meine Augen mit schwarzem Kajalstift und machte mich dann auf den Weg. Basti und ich tranken unterwegs noch zwei Bier, um dann im Underground nicht so viel Geld auszugeben.

Davor warteten drei Mädels und eins davon war Malen. Als wir dann genau vor ihnen standen, erkannte ich auch Nici, die verdammt heiß aussah. Ich gab ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange.

Wir waren so ziemlich die ersten im Club, deshalb bestellten wir erst einmal Getränke. Irgendwie konnte ich meine Augen nicht von Nici wenden und auch Basti stimmte mir zu, dass sie toll aussah.

„Ich frag mich echt, ob sie ihren Freund noch hat?“

Basti zuckte mit den Schultern.

„Frag sie doch.“

Ich zündete mir eine Zigarette an.

„Was interessiert es mich.“

„Aber, falls sie ihren Freund noch hat, ist das ja ganz schön dreist, was sie heut abzieht, oder?“

„Das geht mich nichts an.“

Basti lächelte und schüttelte mit dem Kopf. Irgendwann setzte ich mich mit Nici auf die Couch, ein bisschen abseits von den anderen.

„Du hast mich heut echt überrascht.“

„Gut zu wissen. Bin ich dir jetzt wieder einen Schritt näher?“

Ich zuckte nur mit den Schultern und lächelte ein bisschen arrogant.

„Nein, sorry.“

Nici schien noch immer Hoffnung zu haben.

„Schade. Reizt dich das gar nicht mehr?“

„Um ehrlich zu sein, ein bisschen vielleicht, aber andere Sachen reizen mich nun mal mehr.“

Nicis Rock war verdammt kurz. Ich legte meine Zigarettenschachtel absichtlich zwischen meine Beine, nachdem ich mir eine angezündet hatte. Auch hatte ich Nici absichtlich keine angeboten, weil ich einfach nur wissen wollte, ob sie so dreist war und sich die Schachtel schnappte.

„Du kannst ganz schön fies sein.“

„Mhh, ich weiß.“

Ich konnte an ihrem Blick erkennen, dass sie mit sich rang, mich nach einer Zigarette zu fragen oder sich selbst bedienen sollte. Ich genoss das und nahm einen tiefen Zug.

„Hast du eigentlich vor, dir noch mehr Piercings stechen zu lassen?“

„Keine Ahnung. Im Gesicht denk ich nicht. Mit einem Tattoo hatte ich eher geliebäugelt. Warum fragst du?“

Das kleine Miststück hielt jetzt tatsächlich meine Zigarettenschachtel in den Händen und legte sie dann auch haargenau wieder an den ursprünglichen Ort zurück.

„Nur so. Steht dir ganz gut.“

„Ich hätte jetzt nicht gedacht, dass du dir das zutraust.“

Sie wusste sofort, was ich meinte und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.

„Jetzt sag aber nicht, dass du die Schachtel mit Absicht dort hingelegt hast?“

Ich musste grinsen.

„Oh doch. Ich denke du kennst mich so gut?“

„Ja, ich habe mir schon sowas gedacht, aber was wolltest du damit bezwecken?“

Jetzt musste ich lachen.

„Ich wollte nur testen, ob du so hemmungslos bist, wie du heut aussiehst, das ist alles. Und tatsächlich, du passt dich ganz deinem Outfit an.“

„Du bist ein… ein…“

„Na? Ein was?“

„Mir fehlen die Worte. Hättest du das bei anderen Mädchen auch gemacht?“

„Und was, wenn ja?“

Sie zögerte einen Augenblick.

„Nein, den anderen Mädchen hättest du wahrscheinlich vorher eine Zigarette angeboten.“

„Ist dir eigentlich bewusst, was für eine blöde Diskussion wir hier gerade führen?“

Diesmal lachte Nici.

„Tja, diese dumme Diskussion wäre nie zustande gekommen, wenn du diese seltsame Idee nicht gehabt hättest.“

Ich bekam auf einmal einen Lachanfall.

„Wow, du hast es gerade geschafft, mich zum Lachen zu bringen. Ich meine so richtig.“

„Das ist schön. Wollen wir noch was trinken?“

„Ja, aber nur, wenn ich dir was spendieren darf.“

„Keine Einwände.“

„Was willst du haben?“

„Eine Whiskeycola, bitte.“

Ich zwinkerte Nici zu und verschwand kurz an der Bar.

„Dankeschön.“

Freundschaftlich legte ich ihr meinen Arm um die Schulter.

„Und sonst alles gut, was macht dein Freund?“

Sie sah mich überrascht an.

„Keine Ahnung, glaub er war zu lieb für mich“

„Ach was.“

„Er wollte nich, dass ich allein weggehe und so. Das hat mich genervt.“

„Der Ausschnitt ist auch ziemlich gewagt. Da fällst du heut bestimmt dem einen oder anderen auf“, stellte ich fest.

„Vielleicht?“

„Naja, jetzt hast du wieder freie Wahl.“

„Lassen wir das mal langsam angehen.“

Auf einmal spannte sich jeder Muskel meines Körpers an und mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich vergas sogar fast zu atmen. Ich spürte Nicis Blick von der Seite. Sofort löste ich meinen Arm von meiner Exfreundin. Fuck! Wie konnte er nur so schön sein?

„Oha…der scheint es dir echt angetan zu haben“, stellte sie etwas wehmütig fest.

„Ach halt die Klappe“, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen. Ich ließ Nici allein und begrüßte meinen Jukaschatz mit offenen Armen. Als er mich in seine Arme schloss und das länger als nötig, wuchs diese Begierde nach ihm. Und zu meiner Schande wusste er das ganz genau, denn seine Hände glitten an meinem Körper hinab und hinterließen wie immer ein leichtes Kribbeln. Dann setzte er sich zu mir auf die Couch. Seine schwarze Strickjacke reichte fast bis zum Boden und darunter trug er nur ein Top, welches so gut wie nichts verdeckte. Die enge Hose lag wie immer wie eine zweite Haut an und betonte Jukas schlanke Figur nur noch mehr. Und er hatte seinen Bauchnabelpiercing getauscht- eine silberne Schlange baumelte an dem roten Steinchen. Verdammt, ich konnte nicht mehr denken.

„Na, hast du wenigstens ein schlechtes Gewissen?“

„Ja…schon. Warte mal kurz, bin gleich wieder da.“

Ich eilte zur Theke und verlangte eine Flasche halbtrockenen Sekt. Dann stellte ich mich vor Juka. Nici schien ein wenig beleidigt zu sein, weil meine Aufmerksamkeit nicht mehr ihr galt.

„Welche Hand willst du, die rechte oder die linke?“

Er zog die Augenbrauen hoch.

„Beide.“

„Nee, nee. Entweder oder.“

„Mhh, dann links.“

Ich tat die Flasche von der rechten in die linke Hand und überreichte sie Juka. Natürlich geöffnet und mit Glas. Er schüttelte mit dem Kopf und grinste.

„Du bist schon so ein kleiner Charmeur. Danke mein Hübscher.“

„Gern geschehen, mein Süßer.“

Juka durchbohrte mich wieder mit diesem unglaublichen Blick und in meinem Bauch drehten die sogenannten Schmetterlinge völlig durch.

„Du machst mich noch ganz verlegen. Können wir kurz raus gehen und reden?“

„Ja klar.“

Vor dem Club war die Luft angenehm kühl und wir teilten uns eine Zigarette. Ich berührte vorsichtig die geflochtenen Zöpfchen, die links und rechts seines Kopfes entlangführten. Den Mittelteil der Haare waren zu einem dezenten Iro auftuppiert.

„Eigentlich war es ja ganz gut, dass du so lange nicht bei mir warst.“

Juka wirkte jetzt irgendwie angeschlagen. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Ich habe mich jetzt endgültig von Polly getrennt.“

„Was? Warum das denn?“

Polly war Jukas Transvestitenfreundin, die mit ihm in der WG wohnte.

„Es ging um dich. Polly war fest davon überzeugt, dass ich mich durch dich verändert habe. Außerdem ist sie ein sehr eifersüchtiger Mensch. Sie hat irgendwie Wind von unserer kleinen Affäre bekommen.“

Zum ersten Mal erlebte ich Juka richtig ernst. Das zog mich irgendwie ganz schön runter. Immer hatte Juka ein offenes Ohr für mich gehabt und jetzt, wo er mit seinen Problemen zu mir kam, konnte ich ihm nicht so helfen, wie er es verdient hatte.

„Super. Immer bin ich für solche Sachen verantwortlich.“

„Tut mir leid. Ich dachte nur, dass ich mit meinen Sorgen zu dir kommen könnte.“

Juka sah mich enttäuscht an und machte mir deutlich, dass er sich mehr von mir erwartet hatte. Schon machte er kehrt und wollte nach drinnen verschwinden. Ich bekam seine Hand gerade noch zu fassen.

„Hey warte, ich hab das nich so gemeint. Vergiss Polly oder versuch es zumindest. Du hast immer noch mich.“

Ich warf ihm einen liebevollen Blick zu und schloss ihn in meine Arme.

„Weißt du, Süßer, es ist mir nicht mal schwer gefallen, mich für unsere Freundschaft zu entscheiden. Ich bin Polly gegenüber immer tolerant gewesen, aber sie? Ich wollte das Theater nicht mehr länger mitmachen.“

Juka war so wundervoll. Ich gab ihm noch einen Kuss, nahm ihn bei der Hand und wir kehrten zurück in den Club.

Ich musste endlich eine Entscheidung treffen. Juka ging mir nicht mehr aus dem Kopf und ich musste mir endlich eingestehen, dass ich absolut auf Männer abfuhr, vor allem auf diesen einen. Da konnte Nici noch so kurze Röcke und knappe Oberteile anhaben, an Juka kam sie nicht heran.

 

 

 

Irgendwann kam ich mit Flo auf dieses Thema zu sprechen. Juka und ich trafen uns zwar nicht oft, aber immer, wenn wir uns sahen, entstand da diese magische Verbindung zwischen uns. Wir machten es uns auf der Wiese vor unserer Holzhütte bequem.

„Du Flo, ich glaub ich hab mich echt in Juka verliebt.“

Mein Freund sah mich zuerst etwas skeptisch an, grinste dann aber.

„Mh, na endlich gibst du es offen zu.“

Ich seufzte und rauchte eine Zigarette.

„Naja, ich kann es nich länger unterdrücken.“

„Juka is schon heiß.“

Ich nickte und nahm einen tiefen Zug.

„Juka…ich weiß nich, ob er das auch so will…immerhin hat er sich grad erst von Polly getrennt…aber ich hatte vor nich all zu langer Zeit was mit ihm.“

„Wie du hattest schon wieder was mit ihm und wie viel?“

„Naja, das erste Mal war‘s nur ein Blowjob, das zweite Mal Sex und das dritte Mal auch.“

„Und wie hat dir der gefallen?“

„Es war der Hammer.“

Flo schaute mich an und ich wusste nicht was ich sagen sollte.

„Mach kein Scheiß…“

„Is mein voller ernst und das schlimme ist, dass ich bei beiden Malen mit Nici zusammen war.“

„Lukas, du verdorbenes Stückchen…ich wusste ja immer, dass du es liebst Frauen zu vögeln, doch das? Nicht übel. Ganz ehrlich, rede mit Juka und schnapp ihn dir. Scheiß auf Nici.“

Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Du bist und bleibst der Beste.“

 

Montagmorgen trat ich vor meinen Vater und dieser war begeistert. Wir aßen noch eine Kleinigkeit und fuhren dann zu seiner Firma. Da es morgens etwas frisch war, zog ich mein schwarzes Jackett noch über. Er führte mich zu einem leeren Computer und erklärte mir meinen Auftrag. Dann ließ er mich alleine. Neben mir saß ein Junge, etwa in meinem Alter nur ein bisschen wohl genährter. Ich konnte sehr schnell beobachten, dass auch viele junge Damen hier arbeiteten. Der Junge schielte immer in meine Richtung, das nervte mich langsam. Einmal erwiderte ich seinem Blick, welchem er nicht lange standhielt. In der Pause ging ich eine rauchen. Weil das Wetter so schön war, beschloss ich auf den Hof zu gehen. Die Mädels dort beobachteten mich und kicherten. Plötzlich stand der Junge neben mir. Ich sah ihn an.

„Ähm, hättest du vielleicht mal eine Zigarette für mich?“

Ohne etwas zu sagen reichte ich ihm eine.

„Ich bin übrigens Max.“

„Lukas“, sagte ich kurz und knapp.

„Bist du ein neuer Lehrling?“

„Naja, so ähnlich.“

„Warum, wenn ich fragen darf?“

Max war mir irgendwie sehr sympathisch und deshalb sah ich keinen Grund, warum ich ihm nicht die Wahrheit sagen sollte.

„Bin durch meinen Vater hierhergekommen. Der dir wahrscheinlich als dein Chef bekannt ist.“

Max sah mich weit aufgerissene Augen an.

„Was? Herr Sennert ist dein Vater? Habe gar nicht gewusst, dass er noch einen Sohn hat.“

Ich schmunzelte.

„Doch. Auch wenn er das vielleicht gerne geändert hätte.“

„Ihr seht euch überhaupt nicht ähnlich.“

„Ich weiß und das ist auch gut so. Ich habe mehr von meiner Mum geerbt.“

„Ihr scheint euch nicht sonderlich gut zu verstehen oder?“

„Könnte besser sein, aber zum Geldverdienen reicht es. Mein Vater ist ein Aufschneider, mehr nicht.“

Max schwieg einen Moment und fragte mich dann, ob ich wieder mit hinauf kommen würde.

Mein Vater kam ab und zu, um nach dem Rechten zu sehen.

„Na, ihr scheint euch ja gut zu verstehen.“

Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Er verschwand.

„Es ist furchtbar diese Visage den ganzen Tag zu sehen!“

„Wie redest du denn über deinen Vater?“, fragte Max erschrocken.

„Nicht sonderlich gut. Hab auch keinen Grund dazu. Zwischen uns sind gewisse Dinge vorgefallen, die er am liebsten rückgängig machen würde, aber das geht nun mal nicht. Ich mache wenige Menschen schlecht, aber solche wie mein Vater gehören dazu.“

„Guck mal, die Mädels schauen die ganze Zeit zu dir herüber!“

„Ich weiß. Kannst ja mal winken.“

Max lachte und ich stimmte in sein Gelächter ein.

Die Tage vergingen so langsam, doch Max und ich verstanden uns ganz gut. Das eine oder andere Mädel hatte ich auch schon kennengelernt, weil, wenn es Probleme gab, fragten sie immer, ob ich ihnen helfen könne. Ich genoss es so angesehen zu sein. Max schien etwas betrübt darüber, denn er war nun der Loser bei der ganzen Sache. Irgendwie tat er mir leid.

„Hey, alles okay bei dir?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Willst du mit mir eine rauchen kommen?“

„Klar.“

Es war zwar noch keine Pause, aber eine Zigarette zwischendurch konnte ja nicht schaden.

„Es tut mir leid, dass ich dir deinen guten Ruf versaue, aber ich mache das nicht mit Absicht. Die ganzen Mädels interessieren mich kein Ding.“

„Es ist nur so, schon mein ganzes Leben lang musste ich vieles zurückstecken. Hier hatte ich ab und zu mal die Chance selbst Initiative zu ergreifen, doch dann kamst du.“

Es tat mir sehr leid so was zu hören. Ich wollte Max nicht als Idioten dastehen lassen.

„Max, auch wenn ich nicht so aussehe, ich habe auch schon viele schlimme Dinge erlebt. In allen Dingen, die ich mir vorgenommen habe, bin ich gescheitert. Ich bin mit Sicherheit nicht der, für den du mich hältst. Aussehen ist nicht immer alles.“

Er erwiderte eine ganze Zeit nichts, daran merkte ich, dass er nachdachte.

„Ich dachte immer, wenn man reiche Eltern hat und gut aussieht, hat man überall Chancen.“

„Genau das ist der springende Punkt! Ich hasse es von den Leuten begafft zu werden, mir dumme Sprüche anhören zu müssen und mich letztendlich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühle. Ohne meine Freunde wäre ich NICHTS. Ich bin bloß ein Mensch, wie jeder andere auch, nur das wollen viele nicht wahrhaben.“

Etwas erstaunt sah mich Max an, was mich schon wieder nervte.

„Du bist der erste, von dem ich so was höre. Die Jungs aus meiner ehemaligen Klasse haben mich immer ausgelacht, weil ich nicht die gleichen Interessen hatte, wie sie und weil ich nicht so toll war, wie sie. Immer musste ich nur einstecken und am Ende war ich so froh, dass mich dein Vater eingestellt hat. Da waren alle voll neidisch auf mich, weil auch zwei andere Jungs aus der Klasse sich hier beworben hatten, jedoch ohne Erfolg.“

Ich konnte ein triumphierendes Lächeln in seinem Gesicht sehen.

„Solche Situationen kenne ich. Aber ich beurteile die Menschen nicht nach ihrem Aussehen, sondern nach ihrem Verhalten.“

„Das finde ich voll coooool. Von solcher Sorte gibt es nicht mehr viele. Sag mal, warum verstehst du dich nicht mit deinem Vater?“

„Is ne lange Geschichte und verzeih mir, aber ich muss nich mit jedem darüber reden.“

Einen Moment lang hielt er Inne.

„Mhh verstehe. Läufst du in deiner Freizeit auch so abgefahren rum?“

Er schien sehr interessiert an meinem Leben zu sein.

„Naja, eher in schwarzen Klamotten. Ziemlich gruftig eben.“

Er nickte.

„Das passt voll zu dir!“

Ich musste lächeln.

„Aber ich glaube, ich würde mich nie trauen solche Sachen anzuziehen. Stimmt es, dass die Mädels in dieser Szene so toll sein sollen?“

Ich lachte abermals. Nicht nur die Mädels, schoss es mir auf einmal durch den Kopf.

„Ja, aber es gibt auch Ausnahmen, wie überall.“

Langsam begaben wir uns wieder zu unserem Arbeitsplatz. Der Rest des Tages verging relativ schnell.

Zu Hause lobte mich mein Vater, dass er mit meiner Arbeit sehr zufrieden sei. Ich erwiderte darauf nichts. Es war schon fast Wochenende und mein Vermieter rief mich an und fragte, was nun mit der Wohnung sei. Ich sagte, dass ich mich morgen bei ihm melden würde.

„Du Papa, könntest du mir einen Gefallen tun?“

„Was denn?“

„Könntest du mir die Anzahlung für die Miete vorschießen? Sonst kann ich die Wohnung vergessen. Bis übermorgen will er das Geld haben.“

Etwas vorwurfsvoll sah mich mein Vater an.

„Ja, mache ich. Hast du alles andere schon geklärt? Strom? Wasser und so?“

Ich nickte.

 

Die Sache mit der Wohnung war jetzt sattelfest. Meine Jungs waren mir eine sehr große Hilfe bei dem Umzug. Diese Tage waren sehr stressig. Mein Vater hatte mir angeboten, mich von der Arbeit freizustellen, doch dieses Angebot lehnte ich ab, denn diese Genugtuung wollte ich ihm nicht auch noch geben.

„Wusste gar nicht, dass du so ein Arbeitstier bist.“

„Naja, ich brauche ja Geld.“

Er grinste und das erste Mal seit langem erwiderte ich diese nette Geste von ihm. Nach zwei Tagen war die Wohnung komplett fertig eingeräumt. Ich konnte nun endlich mein neues zu Hause betreten. Die Küche war schon eingebaut. Meine Wohnstube hatte ich mir gemütlich eingerichtet, vorwiegend mit den Möbeln aus meinem alten Zimmer und mein Bett hatte sein Platz in einem eigenen Schlafzimmer. Das Bad war sehr klein, aber vollkommen ausreichend. Für das Wohnzimmer hatte ich mir eine Couch gekauft, die total riesig und voll bequem war.

Ich rief Flo an, ob er nicht vorbeikommen wolle. Eine viertel Stunde später klingelte es auch schon.

„Willkommen.“

„Nicht übel, jetzt hab ich nen neuen Platz zum Pennen. Vor allem das runde Fenster da oben ist ja voll schön. Kann man das auch öffnen?“

„Na klar.“

Ich betätigte den Hebel und bot Flo einen wundervollen Blick über die Stadt.

„Musst du morgen arbeiten?“

Ich nickte und zündete mir eine Zigarette an.

„Sollen wir trotzdem eine kleine Einweihungsparty feiern?“

„Na klar, hast du was zum Rauchen dabei?“

„Natürlich“, sagte Flo mit einem verschwörerischen Grinsen und baute einen Joint.

„Sag mal, hast du dich noch mal bei Juka gemeldet?“

Ich bekam den ersten Zug.

„Nee, hatte die letzten Tage zu viel zu tun.“

Flo zog die Augenbrauen hoch.

Und du drückst dich davor.“

„Mhh, erwischt….“

„Du bist doch sonst nich so schüchtern.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ja, aber es ist Juka…“

„Ich glaube, wenn er kein Interesse an dir hätte, würde er dich nicht so behandeln…ich glaub, er liebt dich…“

Ich schluckte schwer.

„Ich weiß…“

„Wie, du weißt?“, fragte mein bester Freund schockiert.

„Er hat’s mir vor ner Weile gesagt…aber ich und Liebe und so…is gleich meeeegaaaa Überforderung…deshalb…“

„Sag‘s ihm…bitte…sonst tue ich es und das wird peinlich Süßer…“, ärgerte mich Flo und ich warf ihm einen finsteren Blick zu.

Wir machten uns einen gemütlichen Abend. Flo schlief dort irgendwann ein. Am anderen Morgen kam ich jedoch nicht so richtig aus den Federn, als mein Wecker mich halb sechs weckte. Langsam quälte ich mich ins Bad unter die Dusche. Danach fühlte ich mich gleich besser. Flo verließ mit mir das Haus, er wollte noch einkaufen. Doch überließ ich ihm meinen Schlüssel, falls er noch ein bisschen für sich sein wollte und ich war nicht sicher, ob oder wann er überhaupt das letzte Mal zu Hause gewesen ist.

„Ich lege mich jetzt noch mal in mein Bett.“

„Toll, dafür gehe ich jetzt Geld verdienen.“

Ich trottete zur S- Bahn Station und fuhr zur Firma meines Vaters. Max erwartete mich schon am Eingang. Gemeinsam gingen wir an die Arbeit. Mein Dad kam auch nach kurzer Zeit.

„Und, wie lebt es sich in den eigene vier Wänden?“

Ich grinste.

„Toll.“

„Los jetzt macht euch an die Arbeit, wir haben viel zu tun.“

Ich arbeitete wie wild, bis hin zur Pause. Da hatte ich mir die wohlverdiente Zigarette verdient. Jedoch war es heute ziemlich wechselhaft draußen, deshalb zogen Max und ich das Raucherzimmer vor.

„Verstehst du dich wieder besser mit deinem Vater?“

„Ja. Ist auch gut so.“

 

 

Irgendwie war ich heute nicht sehr redegewandt. Flo rief mich zwischendurch an und fragte, ob ich Lust hätte heute Abend mit ins Underground zu kommen. Ich willigte selbstverständlich ein. Ich sollte Juka fragen, ob er auch kommen will. Und der Gedanke an ihn reichte schon, um mich völlig aus der Realität zu katapultieren.

„Na, du scheinst gerade ganz weit weg zu sein!“

Max holte mich wieder in den Alltag zurück.

„Ja, sorry. Musste gerade über etwas nachdenken.“

Im Laufe des Tages erinnerte mich mein Vater auch daran, dass meine Oma Hanna morgen ihren Geburtstag feiern wollte.

 

Nici stand kurz vor ihrem Realschulabschluss und Lukas schwirrte noch immer in ihrem Kopf umher. Da kam ja auch der Abschlussball dazu. Ob sie Lukas trotzdem fragen könnte, ob er mit ihr dahingehen wollte? Denn auf Marco hatte sie absolut keine Lust und diese Sache würde sicher wieder ein gefundenes Fressen für Nadja sein.

Nici ging diesmal mit ihren Sorgen zu Ina. Sie war sehr mitfühlend und das tat gut, denn außer Lukas hatte sonst kaum jemand Mitgefühl für Nici empfunden.

Sie konnte auch nicht anders und musste weinen.

„Hey, das tut mir echt voll leid. Hast du nicht Lust heut Abend mit ins Underground zu kommen? Ich kenne da ein paar Leute und es wird dir sicher gefallen.“

Nici seufzte.

„Von mir aus. Meinst du, ob ich Lukas trotzdem wegen dem Abschlussball fragen soll?“

„Ich weiß nicht, wie ihr gerade zueinander steht. Wenn ihr euch noch versteht kannst du das denk ich schon machen. Musst du wissen.“

Sie lächelte ihre Freundin an.

„Sag mal, wollen wir uns bei mir fertig machen?“

„Oh ja, das wäre toll. Ich hole nur noch ein paar Klamotten von zu Hause.“

Ina verschwand für eine halbe Stunde, in der Nici unter der Dusche stand und anschließend das richtige Outfit für diesen Abend heraussuchte. Sie entschied sich für den violetten Minirock, der passenden Korsage dazu und ihre Stiefel. Dann schminkte sie sich noch.

Es war um elf, als sie den Club betraten und sie sah Lukas schon von weitem. Womit hatte sie das nur verdient. Sie machte auch Ina darauf aufmerksam und sie stellte sich ihren Freunden vor. Die meisten von denen schienen Batcaver zu sein, aber das störte Nici nicht.

Sie musste einfach immer zu Lukas gucken. Ob er schon Notiz von mir genommen hatte? Eher unwahrscheinlich. Doch von Juka war noch keine Spur. Vielleicht hatte es zwischen den beiden doch nicht geklappt?

Mit Ina hatte Nici trotz alledem ihren Spaß. Sie tanzten sehr oft und lachten. Dann gingen sie vor die Tür, um frische Luft zu schnappen.

„Wenn er ja nicht so toll wäre. Scheißkerl.“

„Denk lieber nicht drüber nach. Geh ihn doch morgen einfach mal besuchen und lass dich überraschen, was passiert.“

Nici zog die Augenbrauen hoch.

„Meinst du echt?“

Ina nickte und grinste. Sie setzten sich auf die Stufen.

„Ich glaube irgendwie, dass ich an allem Schuld bin, wegen der Sache mit Marco damals.“

„Kann schon sein. Ich kenn Lukas zwar nicht so gut, aber das könnte schon ein Grund sein. Obwohl ihr ein tolles Pärchen wart. Das kann man nicht anders sagen. Ich kann ihn dir ja auch mal rausschicken.“

Nici schüttelte energisch mit dem Kopf.

„Nein bloß nicht. Oder doch? Nein, lass das lieber bleiben. Vielleicht kommt er ja auch von alleine.“

Ina legte ihren Arm um Nicis Schulter.

„Ihr macht es euch echt verdammt schwer, wenn du mich fragst.“

„Tja, an mir liegt das wohl kaum. Lukas hat nun mal seinen eigenen Kopf und da kommt man nur schwer gegen an. Ich vermisse ihn voll.“

Plötzlich öffnete sich die Tür und Nici hatte irgendwie schon im Gefühl, dass es Lukas sein würde. Ina bestätigte, dass ihr Gedanke richtig war. Nici verleierte die Augen. Lukas schien sich weniger Gedanken darüber zu machen, denn er setzte sich einfach ganz dreist vor Nici und grinste sie an. Sie machte Ina jedoch deutlich, dass sie hier bleiben sollte.

„Ich dachte schon, dass du einfach gegangen bist, ohne mit mir zu reden.“

„Warum sollte ich mit dir reden?“

„Konnte ja sein… es sei denn dir ist nicht danach, dann gehe ich wieder. Dachte nur, dass ich dich wenigstens mal begrüßen sollte.“

„Wie freundlich von dir.“

Lukas schien Inas Anwesenheit nicht weiter zu stören. Dann wurde sein Gesichtsausdruck ernster.

„Ist was passiert?“

Ina stand jetzt auf und ging rein. Nici warf ihr einen hilflosen Blick zu und sie lächelte ihr zu.

„Ach es ist schwierig, du bist immer noch toll und es fällt mir manchmal schwer ich einfach nur als Freund zu sehen.“

„Sowas brauch Zeit, aber wenn es dir zu viel wird sag Bescheid okay?“

„Damit wir uns gar nicht mehr sehen?“

„Ein bisschen Abstand tut manchmal gut, aber das musst du wissen.“

Er schaute Nici nachdenklich an und sie war irgendwie hin und hergerissen. Sie musste mal wieder feststellen, dass er verdammt hübsch war und sie war kurz davor nachzugeben. Was konnte sie schon verlieren? Und das wäre vielleicht auch ihre Chance ihn wegen dem Abschlussball zu fragen?

„Nein das will ich nicht, ich werde mich schon dran gewöhnen.“

Nici hasste ihn dafür, dass er gerade hier saß und versuchte sie zu besänftigen. Warum tat er das?

„Vielleicht. Meinst du das geht gut, wenn wir nur Freunde sind?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Werden wir ja sehen oder?“

„Ich denke drüber nach, okay?“

Lukas erhob sich und gab ihr ein Nicken zur Antwort.

 

 

Der Rest des Abends wurde einfach genial. Ich wünschte mir von Lou Gramm Lost in the Schadows. Und dann auf einmal kam Juka, obwohl ich ihm nicht geschrieben hatte. Er trug seine schwarze Lackhose, ein bauchfreies Oberteil unter seinem Jackett und die Plateaustiefel. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Wie immer in seiner Nähe. Er plauderte mit dem Barkeeper und es hatte sogar fast den Anschein, als ob die beiden miteinander flirteten. Sicher hatte ich schon Mal Eifersucht empfunden, nicht aber so, dass es mir die Kehle zuschnürte. Wenige Minuten später traf auch Jukas Freund Kami ein und gesellte sich an die Bar. Wir saßen mit dem Inhaber vom Underground an einem Tisch, weil wir Pläne für das Wochenende schmiedeten, doch mir fiel es schwer, mich zu konzentrieren. Er kam nicht mal zu uns.

„Ich würde euch ja gern mal wieder hier im Club haben. Nur wenn ihr wollt.“

„Ich würde mich auch riesig freuen. Wäre Samstag okay?“, fragte ich.

„Ja, aber ihr müsst früh da sein wegen den ganzen technischen Sachen.“

„Das ist ja kein Problem. Würde sagen um zwei?“

Er willigte ein. Basti und Flo spendierte ich ein Jacky Cola.

„Jetzt geh schon oder auf was wartest du?“, drängte mich Basti. Ich zuckte mit den Schultern, musste aber gleichzeitig aufpassen meine Wut auf diesen Bartypen zu unterdrücken. Es war jetzt bestimmt schon eine halbe Stunde vergangen, so fühlte es sich zumindest an, und Juka hatte noch immer keine Notiz von mir genommen. War das Absicht?

„Ich weiß nich, Juka kann auch kommen!“

„Lukas und Juka…Lukas und Juka…jetzt beweg deinen Arsch, sonst geh ich zum DJ und mach ne Durchsage…“, witzelte Flo.

„Untersteh dich…sonst setzt es was!“

„Oho…da is wohl jemand untervögelt…mein liebster Schatz, ich mein das ernst…so kenn ich dich nich und ich hab‘s Satt dich so leiden zu sehen…“

„Flo, noch ein paar Minuten…bitte.“

Auch, wenn es mich so aufbrachte, konnte ich es nicht lassen zu Juka zu schauen. Und dann endlich, zu meiner Freude winkte er mir zu und kam wenige Minuten später zu uns an den Tisch. Flo zwinkerte mir unauffällig zu. Juka war zurückhaltender als sonst und ich fragte, was los sei. Als er diese Frage mit nichts beantwortete, nahm ich seine Hand und zog ihn mit vor die Tür, weil man dort besser reden konnte. Ich bot ihm eine Zigarette an, die er jedoch ablehnte. Gut, jetzt oder nie.

„Ich glaub dir nich, dass nichts ist.“

„Mh, das dachte ich mir schon…trotzdem sag ich es dir nicht. Es hat ja sowieso keinen Sinn“, entgegnete er ziemlich deprimiert und mit einem schwachen Lächeln.

„Tja, wenn du nich sagst, was is, kann ich dir auch nich helfen.“

„Ich hab einfach mal keine Lust zum Reden, okay!“, fuhr er mich an. So kannte ich ihn gar nicht und war leicht geschockt. Ich dachte an unsere letzte intimere Begegnung und da schien mein Verstand mit mir durchdrehen zu wollen.

„Juka bitte rede mit mir okay“, sagte ich dann nach einer Weile. Sein Blick ruhte auf mir und mir fiel wieder auf, wie unglaublich hübsch er war. Ich mochte es, wenn seine weißblonden Haare ein bisschen strubblig vom Kopf standen und dieses wunderschöne blasse Gesicht mit diesen tiefblauen Augen, die von dunklem Kajalstift umrahmt wurden.

„Und wenn schon Luki…du weißt es doch mittlerweile und tue nicht so, als würdest du nicht auch auf mich stehen. Nur dein Hin und Her macht mich echt langsam irre.“

„Das is schön, aber ich wusste auch nicht, ob ich mal nur so ein Gelegenheitsfick war oder nich. Außerdem wollte ich es dir heute sagen.“

„Gelegenheitsfick? Das war es für dich? Glaubst du ernsthaft, ich sage zu jedem Typ, den ich vögel, dass ich ihn liebe?! “, entgegnete Juka aufgebracht.

Ich war kurz vorm durchdrehen. Warum war er heut so streitlustig. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.

„Hörst du mir eigentlich zu? Juka…ich hab mich in dich verliebt…nur diese Gefühle überfordern mich völlig und…ich bin halt, wie ich bin“

Darauf erwiderte er lange nichts und ich hatte Angst, etwas Falsches gesagt zu haben. Doch dann griff er nach meiner Hand und zog mich an sich. Meine Hände berührten eher ungewollt seinen nackten Bauch. Mir wurde heiß und kalt im Wechsel und ich spürte seinen warmen Atem. Langsam näherten sich seine Lippen den Meinen und ich erwiderte seinen Kuss. Da war dieses unglaubliche Gefühl wieder und ich wollte nicht, dass es aufhörte. Ich lächelte Juka an und legte meinen Kopf an seine Schulter.

„Wow, du bist der Wahnsinn.“

„Echt?“, fragte er mich skeptisch.

„Naja ich konnte die letzten Wochen an nichts anderes denken.“

Juka lachte und strich mir über die Wange.

„Soso…bist du sicher, dass du das willst Luki? Einiges würde sich für dich ändern und ich weiß nicht wie sich das auf unsere Freundschaft auswirkt.“

„Können wir denn nicht trotzdem Freunde sein?“

„Sicher, nur…falls es nicht halten sollte, kann ich nicht garantieren, ob es danach noch eine Freundschaft zwischen uns geben wird.“

Jukas Worte klangen ziemlich hart, aber er hatte Recht und ich dachte noch einmal ernsthaft über meine Entscheidung nach. War es das, was ich wollte? Einen Mann lieben? Alles fühlte sich neu und ungewohnt an und trotzdem schön. In Jukas Gesicht spiegelten sich feminine Züge und doch wirkte er sehr männlich. Sein weicher, liebevoller und verführerischer Blick brachte mein Blut in Wallungen und ich wollte ihn haben.

„Ja sicher würden wir dadurch viel riskieren, aber ich finde, das isses wert. Ich liebe dich und es hat zwar ne Weile gedauert, bis ich das kapiert hab, doch das is mein voller ernst…ich liebe dich…so sehr. Durch dich hab ich angefangen wieder ein bisschen an mich zu glauben und begriffen, dass ich doch nich so scheiße bin. Ohne dich hätte ich das letzte Jahr nich überlebt Juka…du gibst mir Halt. Immer.“

Ich küsste ihn wieder und wollte noch nicht rein gehen. Juka lächelte mich an, tupfte sich über die tränenfeuchten Augen und schüttelte mit dem Kopf.

„Wow, diese Worte aus deinem Mund…ich weiß nicht, was ich sagen soll…ich war mir nicht sicher, ob ich es schaffe dich da irgendwie durchzuboxen. Und dann das ganze Theater mit Nici…oh Luki, du machst mich gerade zum glücklichsten Mann der Welt.“

Und wieder zog er mich in einen Kuss. Fast automatisch reagierte mein Körper, als seine Hände unter mein Shirt wanderten und ich gab einen wohligen Laut von mir.

„Und du bist so verflucht heiß Juka…das macht mich wirklich ein bisschen wahnsinnig“, nuschelte ich in den Kuss und absichtlich rieb er sich an mir.

„Und du mich erst…und was fangen wir jetzt damit an?“

„Mhh, ich hab da ne Idee“, antwortete ich und zog ihn mit mir. Für Samstag besaß ich den Schlüssel für den Personalbereich des Clubs und da jetzt alle hinter der Bar oder am DJ Pult beschäftigt waren, dürften wir freie Bahn haben. Trotzdem verkrümelten wir uns in den hinteren Bereich der privaten Räume des Clubs. Juka presste mich gegen die Wand und machte mir somit seine Besitzansprüche deutlich. Das gefiel mir und ich ließ mich drauf ein. Seine Hand zwischen meinen Beinen ließ mich aufstöhnen und gerade konnte ich ihn gar nicht schnell genug in mir spüren. Er hob mich ein bisschen hoch und ich schlang meine Beine um seine Hüften. Der erste Stoß kam unerwartet und ziepte etwas, doch dann wurde es besser. So viel besser und ich ließ mich von der Leidenschaft treiben. Schließlich stürzte ich über die Klippen und biss meinem Liebsten leicht in die Schulter, um meinen Schrei etwas zu dämpfen.

„Das sollte mich für die nächsten zwei Stunden ruhig stellen“, witzelte ich. Juka lächelte und küsste mich auf die Stirn.

„Hab ich wirklich so einen Einfluss auf dich?“, fragte mein Freund erstaunt.

„Oh, du hast ja keine Ahnung…gehen wir zurück zu den anderen?“

„Und was sagen wir, wenn sie fragen, wo wir waren?“

Ich zog meinen Reisverschluss nach oben und zuckte mit den Schultern.

„Die Wahrheit…ich hab diese Gefühle lange genug verleugnet…“

„Du bist toll…hab ich dir schon Mal gesagt, dass dich liebe?“

„Noch nicht oft genug…danke Juka. Für alles.“

„Immer wieder gern und jetzt komm du kleines Sexmonster.“ 

Hand in Hand gesellten wir uns wieder zu den anderen und erst jetzt bemerkte ich, dass Nici noch immer da war. Ich wartete auf Sehnsucht oder ähnliche Gefühle, doch diese blieben aus. Juka nahm mich auf seinen Schoß und ich schwebte gerade auf Wolke 7. Ich konnte es auch nicht lassen, ihn dauernd zu küssen, denn endlich durfte ich das in der Öffentlichkeit tun.

 

Trotz des Kusses und der lieben Worte war ich nicht sicher, ob ich das zwischen und jetzt Beziehung nennen konnte. Doch ab wann wurde eine Beziehung zweier Menschen als diese bezeichnet?

 

 

Nach der Arbeit holte ich Jojo ab, um ein Geschenk für Oma zu besorgen. Wir kauften ihr einen tollen großen Blumenstrauß und einen Gutschein von ihrem Lieblingskaffee, in dem sie sich gern mit ihren Freundinnen traf.

Sie freute sich riesig uns zu sehen. Wir und meine Tante Conny waren die ersten Gäste.

„Lukas, Johanna?  Seid ihr das? Lasst euch umarmen! Wir haben uns ja so lange nicht gesehen.“

Meine Oma erdrückte mich fast, aber das war nicht so schlimm. Meine Tante drückte mir einen Kuss auf die Wange.

„Na Großer, wie geht’s?“

„Mir geht es gut. Hoffe euch auch? Kann ich euch noch was helfen?“

„Nein, ist schon alles gedeckt, aber danke.“

Meine Tante kam mit mir auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen.

„Ich habe mir schon Sorgen gemacht, wegen deiner Mama und so.“

„Das ist schon okay. Ich bin ja schon groß. Hab jetzt auch eine eigene Wohnung, da kannste mich ja mal besuchen kommen.“

„Super, gern. Wo wohnst du denn?!“

„In der Schönhauser Allee. Zeig ich dir bei Gelegenheit mal.“

Nun trafen auch die anderen Kaffeegäste ein, unter anderem auch mein Vater und meine andere Tante mit meiner Cousine und meinem Cousin. Ich begrüßte alle herzlich, nur die Begrüßung zwischen meinem Vater und mir fiel sehr dürftig aus. Es war irgendwie komisch hier alle Familienmitglieder versammelt zu sehen. Allen außer meiner Mum. Das tat irgendwie ganz schön weh. Doch erstaunlicherweise verstand ich mich sehr gut mit meiner Cousine Nancy. Auch sie war eine der Wenigen, die Tante Conny und mich zum Rauchen auf den Balkon begleitete. Sie müsste mittlerweile Mitte zwanzig sein. Sie war schon immer etwas korpulenter gewesen, trug unvorteilhafte Kleidung und ihre Haare waren wasserstoffblond gefärbt. Aber ich mochte sie.

„Du hast dich echt nicht verändert Lukas. Bist immer noch so ein Schwarzer.“

„Davon werde ich auch nicht so schnell abweichen.“

„Hast du eigentlich deine Freundin noch?“

„Wen Nici? Nein. Die hat mich wahnsinnig gemacht. Ich bin total müde, war gestern mit meinen Jungs unterwegs. Also das heißt mit meiner Band. Samstag geben wir ein Konzert. Also, wenn du Lust hast?“

„Du hast eine Band? Ist ja cool. Was macht ihr so für Musik?“

„Naja unsere Musik geht in Richtung düsterer Rock.“

„Das hätte ich ja nun nicht vermutet. Wie kam es denn dazu?“

Ich war sehr erfreut darüber, dass sich meine Cousine so für unsere Musik interessierte.

„Das hat etwas mit einer Band zu tun, die wir richtig genial finden. Wir wollen jedoch nicht so klingen wie sie, aber die Elemente sind trotzdem erhalten. Halt nichts Elektronisches. Ich muss auch heute noch zur Bandprobe, kann also nich so lange bleiben.“

„Und wo spielt ihr da?“

„Im Underground. Ist ein Club. Weiß nich, ob du den kennst.“

Nancy schüttelte mit dem Kopf. Es war noch eine lange Zeit bis zum Abendbrot und so führte ich sie noch kurz zu meiner Wohnung. Sie wollte auch unbedingt etwas von den 69 Eyes hören.

„Klingt echt interessant.“

„Du darfst dir jetzt aber von uns nicht zu viel versprechen. Das mache ich auch nur als Hobby, also wir stehen jetzt auch bei keiner Plattenfirma unter Vertrag. Das wäre auch zu schön.“

Nancy schaute sich in meiner Wohnung um.

„Du hast es echt schön hier. Ich würde auch gern in einer eigenen Wohnung wohnen.“

„Tust du nich? Lässt dich deine Mutter nich oder was?“

„Nicht direkt. Ich habe nicht das Geld dazu. Ich arbeite nur als Einzelhandelskauffrau, da verdient man nicht sehr viel.“

„Ich habe mir das auch nur alles erarbeitete, weil mein Vater mich in seiner Firma eingestellt hat. Als Entschädigung.“

„Warum denn das?“

„Weil ich ihn nich leiden kann. Er hat damals Dinge mit meiner Mum abgezogen, das kann ich ihm nich verzeihen, aber er wollte sich somit wieder bei mir einschleimen. Hauptsache ich bekomme genug Kohle.“

„Meine Mutter ist schon ganz in Ordnung, aber sie will eben nicht, dass ich von zu Hause weggehe. Weil mein Vater doch auch oft unterwegs ist und so. Was soll ich da machen. Aber ich dachte immer, dass du deinen Vater so gut leiden konntest?“

„Ja, das konnte ich auch mal, aber seit der Sache mit meiner Mum nicht mehr. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass er sie ziemlich mies behandelt hat und ab und zu ist er sogar hangreiflich geworden. Das fand ich ziemlich krass.“

Nancy sah mich etwas schockiert an. Ich bot ihr eine Zigarette an. Auf meiner Handyuhr war es um fünf, wir hatten also noch anderthalb Stunden Zeit.

„Ich bin auch sehr froh, dass es wenigstens noch den einen oder anderen aus unserer Familie gibt, der mich leiden kann. Bei den Meisten bin ich ja sowieso unten durch, weil ich so ein böser Grufti bin. Aber die sollen halt denken, was sie wollen.“

In dem Moment klingelte mein Handy. Es war Basti und fragte mich, ob ich schwarze Haarfarbe hätte. Ich verneinte seine Frage. Anschließend fragte er mich, ob er in einer halben Stunde vorbeikommen könne. Ich willigte ein.

„War mein Kumpel. Ich frage mich, was er schon wieder im Schilde führt. Stört es dich, wenn er vorbeikommt? Er ist echt ganz lieb.“

Nancy musste lachen.

„Ist schon okay.“

Da Basti immer sehr pünktlich war, kam er schon etwas früher mit schwarzer und roter Haarfarbe. Ich schaute ihn fragend an.

„Kannst du mir das mal fix machen?“

„Und was hast du mit dem schwarz vor?“

„Naja, ich wollte mir oder bessergesagt du willst mir bestimmt mal ein paar schwarze Strähnen färben?“

„Ach so, klar. Mach ich mit links. Da haben deine Haare ja praktisch dann die gleichen Farben wie meine, nur umgedreht!“

Wir lachten und ich verschwand mit Basti im Bad. Dort machte er sich die Haare nass und ich verteilte anschließend die rote Farbe gleichmäßig auf seinem Kopf.

„Und wie zur Hölle soll ich dann die schwarzen Strähnen da rein bekommen?“

„Hast du Silberfolie? Ich denke, du warst schon so oft beim Frisör.“

Silberfolie? Du meinst Alufolie oder, warte ich guck mal.“

„Haha, ja genau die“, kicherte Basti. Tatsächlich besaß ich Alufolie in meiner Küche. Ich konnte die schwarzen Strähnen nicht färben, ohne zu lachen. Basti sah aus wie ein Marsmännchen. Der ganze Spaß musste nun eine halbe Stunde einwirken. Ich holte uns Jungs ein kühles Bier und wir setzten uns in mein Wohnzimmer zu Nancy. Ich stellte die beiden erst einmal einander vor.

„Jaja, Basti und seine roten Haare. So lange ich dich kenne, hattest du noch keine andere Haarfarbe. Hast du dir die Haare sonst nicht auch immer selbst gefärbt?“

Verlegen schüttelte er mit dem Kopf und zog an seiner Zigarette.

„Das war Mutti. Ich kann das doch nicht. Heute hat sie aber keine Zeit gehabt und da hab ich gedacht, dass ich dich da ja mal fragen könnte.“

„Und du meinst, du kannst mir da vertrauen?“

Er zuckte mit den Schultern und lachte.

„Im schlimmsten Falle bin ich dann eben schwarz rot gefleckt oder so.“

„Vielleicht wird das dann der neue Trend?“

Auf einmal wurde Bastis Miene ernster.

„Was war das gestern eigentlich zwischen dir und Juka?“

Ich lachte, weil Basti nicht ernst sein konnte, selbst, wenn er sich die größte Mühe gab.

„Ich hab‘s getan…ich hab Juka gesagt, dass ich mich in ihn verliebt hab.“

„Kraaasss…find ich super.“

„Ja, ich kann‘s selbst noch nich so richtig glauben.“

„Interessant. Und?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Was und?“

„Wie isses mit ihm? Mach es doch nicht so spannend.“

Ich seufzte tief und zog an meiner Zigarette.

„Ich glaub wir sind zusammen. Es is so anders als alles was ich bisher kannte…Nici und so.“

„Was, du stehst auf Männer liebster Cousin?“, fragte Nancy dann erstaunt. Ich zuckte mit den Schultern und nickte.

„Lass das bloß nicht den Rest unserer Familie erfahren.“

„Und wenn schon isses mir echt egal.“

„Fühlt es sich anders an, als bei Nici?“, fragte Basti dann wieder. Ich sah meinen Freund grinsend an.

„Total anders. Ich glaube, wir können jetzt mal gucken, ob deine Haare schon gut sind.“

Vielleicht hatte ich tatsächlich ein glückliches Händchen, denn Bastis Haare waren perfekt geworden. Vorsichtig spülten wir die Farbe aus und er föhnte sie trocken.

„Süß. Fast zum verlieben.“

Er gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf.

„Wir müssen jetzt noch mal fix zu meiner Oma, Abendbrot essen. Ich komme dann in den Proberaum.“

Meine Tante war sehr traurig, als ich schon verschwand.

„Ich melde mich mal bei dir.“



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