Zum Inhalt der Seite

Seelenkrank

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Geister der Vergangenheit

Wir saßen gerade auf der Terrasse und ich baute uns einen Joint. Auch mein Schwesterchen und Fabi gesellten sich zu uns. Es war ein ungemütlicher Tag, Regen und Kälte überwogen leider nun in dieser winterlichen Zeit. Während wir so redeten, hörte ich, wie ein Auto in der Auffahrt hielt. Dann das Geräusch von High Heels auf Pflastersteinen hallte in der Einfahrt. Zuerst dachte ich, Jule würde uns einen Besuch abstatten. Doch dann vernahm ich diese Stimme, die meinen Namen rief und mein Körper erstarrte zu einer Salzsäule. Die Frau, die meinen Namen gerufen hatte, bog um die Ecke. Ich hielt den Joint in meiner Hand fest umklammert und mein Blick wanderte von ihren Füßen, die in schwarzen Pumps steckten bis hinauf zu ihrem roten Cocktailkleid und dem schwarzen Parka. Von ihrem Schirm platschten Regentropfen auf den Boden. Sie wirkte ein bisschen älter, doch schien sie real zu sein. Ich nahm einen tiefen Zug und mir war vollkommen egal, ob sie das Ding in meiner Hand als Joint identifizierte oder nicht. Zuerst wanderte Jojos Blick von mir zu ihr, dann sprang sie auf und fiel ihr um den Hals. Sie legte ihren Schirm ab und zog Jojo an sich. Das war zu viel für mich. Ich holte meinen besten Freund, den Wodka aus dem Kühlschrank und verzog mich auf mein Zimmer. Meine Hände zitterten und wirre Gedanken rasten durch meinen Kopf. Gerade erst hatte sich mein Leben beruhigt und ich hatte geglaubt, ich hätte die Kontrolle wiedererlangt und jetzt das? Wie war das möglich? Ich habe doch damals selbst gesehen, wie das Flugzeug abgestürzt ist. Und es hieß, niemand hat das überlebt, wie also konnte sie, meine Mum jetzt hier sein? Ich bemühte mich um Fassung, doch mein Herz pochte wild und drohte mich zu ersticken. Sollte ich mich nicht freuen? Doch konnte ich das? Meine Tür zum Balkon stand offen und jetzt trat sie aus der Dunkelheit ins Licht. Mein ganzer Körper spannte sich an und ich trank noch einen großen Schluck. Ohne etwas zu sagen trat sie ein und nahm neben mir auf dem Sofa platz. Allerdings setzte sie sich ganz vorne an den Rand, als wäre sie auf dem Sprung.

„Hi", sagte sie sehr zaghaft und leise. Ich setzte die Flasche erneut zum Trinken an und merkte, wie mir der Alkohol allmählich zu Kopf stieg.

„Hi", antwortete ich kühl.

„Du fragst dich sicher, wie das alles sein kann. Möchtest du es hören?"

Wollte ich? Ich zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Wenn du für all das eine plausible Erklärung hast, vielleicht."

Sie spielte etwas nervös mit ihren Fingern.

„Freut es dich denn gar nicht mich zu sehen?"

Ich seufzte und fühlte mich auf einmal wieder wie ein kleiner Junge. Meine Gefühle waren nahezu unbeschreiblich und ich wusste nicht, wie ich sie ihr gegenüber äußern sollte.

„Ich frage mich halt, wie das möglich is...vielleicht bringst du ein bisschen Licht in die Sache."

Irgendwie schaute sie mich traurig an, vielleicht weil sie sich eine andere Reaktion erhofft hätte.

„Kurz vor der Explosion, so etwa 20 Minuten zuvor teilte uns der Pilot mit, dass etwas nicht stimmte. Er nahm Funkkontakt mit dem Flughafen in Edinburgh auf und ein paar wenige von uns schafften es sich die Schwimmwesten überzuziehen und einfach ins Wasser zu springen. Allerdings hielt man alles erst einmal geheim, weil die Explosion ohnehin schon genug Anlass gab, sich das Maul zu zerfetzen. Ich weiß nicht, wie lange ich im Meer getrieben bin....ich wurde irgendwann bewusstlos und erwachte später im Krankenhaus. Ich musste operiert werden und meine Eltern wurden informiert. Sie nahmen mich irgendwann, als mein Zustand stabil war mit zu sich und dort erholte ich mich dann."

Mein Magen zog sich zusammen und ich merkte, wie mich die Wut überkam. Ich konnte und wollte mich nicht zügeln.

„Und wie lange ist das her? Ich kann dir sagen, wie lange es her ist- 3 Jahre und vier Monate. Drei verfickte Jahre dachte ich du bist tot! Kannst du dir vorstellen wie beschissen das is?", schrie ich sie an und mir war vollkommen egal, dass meine Schwester vermutlich jedes Wort mitbekam. Ich stand auf und schritt im Zimmer auf und ab.

„Lukas, Schatz...ich weiß, dass es hart für dich und auch für Johanna gewesen sein muss, aber ich konnte mich an so wenig erinnern. Ich wusste anfangs nicht mal mehr, wer ich bin und wer meine Familie ist. Ich hatte keine Bilder und keine Ausweise...ich wusste nichts von mir...nicht einmal, dass es dich gibt."

Mein Körper bebte noch immer vor Wut. Ich trank noch einen Schluck.

„Erzähl mir doch nicht, dass dieser Zustand drei Jahre angehalten hat! Weißt du, gerade war mein Leben echt okay...und jetzt tauchst du einfach wieder auf und alles ist in Ordnung oder was?"

Meine Schwester kam zu uns, weil sie vielleicht dachte, sie könnte die Situation entschärfen.

„Nein, es hat keine drei Jahre gedauert, aber ich musste auch über vieles nachdenken. Es war gut diese Zeit für mich zu haben", sagte sie ruhig. Die Wut in meiner Stimme konnte ich noch immer nicht zügeln.

„Ein Anruf hätte gereicht. Ich wäre der letzte gewesen, der kein Verständnis gezeigt hätte, wenn du gesagt hättest, du brauchst noch Zeit für dich! Aber gar nichts von dir hören zu lassen und dann einfach auftauchen?!"

Meine Schwester kam zu mir und wollte meinen Arm tätscheln. Ich funkelte sie an und schubste sie weg.

„Lukas, gib Mama doch wenigstens eine Chance", flehte sie mich an.

„Ich muss niemandem irgendeine Chance geben! Jetzt verschwindet beide und lasst mich alleine!"

„Aber Schatz, bitte lass uns reden...ich habe...", stotterte meine Mum, doch sie konnte ihren Satz nicht beenden.

„Sofort!!"

Sie kamen meinem Wunsch nach. Völlig erschöpft, betrunken und ziemlich breit brach ich zusammen. Ich stellte die Flasche neben mir auf den Tisch und rollte mich zusammen. Ja, eigentlich sollte ich mich freuen, doch das ging irgendwie nicht, da viel zu viel Schmerz mit ihr verband. Vor allem hätte sie sich melden können, das war sie mir schuldig. Doch stattdessen hat sie sich ein schönes Leben gemacht und ihre Vergangenheit begraben, bis ihr jetzt dann wohl doch in den Sinn kam sich mal bei uns sehen zu lassen. Aber nicht mit mir. Schon so viel Schmerz und Leid habe ich ertragen müssen, irgendwann ist es doch auch mal genug. Ein leises Klopfen an der Tür lies mich aufhorchen. Selene. Doch wünschte ich mir jetzt nur eine Person her. Sie reichte mir die Hand und half mir hoch.

„Magst du noch was essen?", fragte sie zaghaft. Ich schüttelte mit dem Kopf.

„Süßer, du kannst dich nicht nur von Bier und Wodka ernähren. Komm, ein bisschen was essen schadet dir sicher nicht."

„Nur wenn sie weg ist."

„Deine Mum ist gegangen. Aber ich glaube Jojo ist echt sauer."

Und schon wieder stieg diese unbegreifliche Wut in mir auf.

„Warum sind nur alle sauer auf mich? Nur, weil ich mir nicht mehr von jedem Arsch auf meinen Gefühlen herum trampeln lasse?", fuhr ich jetzt auch Selene an, bereute es jedoch sofort wieder und griff nach ihrer Hand.

„Das wird schon alles wieder werden. Jetzt komm erst mal mit."

Selene führte mich in die Küche. Von meiner Schwester und meiner Mum keine Spur. Nur Fabi gesellte sich wieder zu uns. Er nahm mir die Wodkaflasche weg, die ich noch immer umklammert hielt und stellte sie zurück in den Kühlschrank. Ich bekam kaum einen Bissen hinunter, doch, als ich Selenes tadelnden Blick sah, versuchte ich es wenigstens. Doch irgendwie war es auch beruhigend, denn immerhin hatte sie ja Recht, diese ständige Sauferei musste ein Ende haben. Dennoch ließ ich es mir nicht nehmen nach dem Essen einen Joint zu rauchen.

„Darf ich dich was fragen?"

Ich schaute sie an und wusste, dass ihre Frage etwas mit meiner Mum zu tun hatte. Doch ich nickte und nahm einen tiefen Zug.

„Warum hat sie dich gerade so sauer gemacht?"

Ich seufzte tief und überlegte, wie ich es ihr am besten erklären konnte und ich wusste, warum sie mir diese Frage stellte. Ihre Eltern wollten nichts mehr mit ihr zu tun haben und meine Mum hätte gern mit mir geredet und ich weigerte mich. Im Nachhinein konnte das schon echt verwirrend für einen Außenstehenden rüberkommen.

„Es ist, weil sie mich so viele Jahre hingehalten hat. Noch heute habe ich ihren Tod nicht ganz verarbeitet und dann steht sie auf einmal da, so als wäre nichts gewesen. Sie hat keine Ahnung davon, welche Qualen ich in der Zeit leiden musste. Selene, ich war siebzehn und praktisch auf mich allein gestellt. Wie oft habe ich an sie gedacht oder mir gewünscht, sie wäre noch am Leben, damit ich mich nich so alleine fühle...und dann taucht sie wie aus dem Nichts auf? Das kann ich nich."

Ich reichte ihr den Joint und unsere Blicke trafen sich. Ich war nicht sicher, ob sie mich verstand. Doch ihre nächsten Worte bauen mich wieder auf.

„Okay, das kann ich nachvollziehen...was hast du jetzt vor?"

Ich zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich nicht geschlagen gibt und nochmal hier aufkreuzt. Ich weiß, dass Jojo mein Verhalten nicht gut heißt, aber so bin ich nun mal, sehr, sehr nachtragend."

Selene nahm meine Hand und verflocht sie mit ihrer eigenen.

„Lukas, ich habe noch nie einen so faszinierenden Menschen wie dich kennengelernt...ich möchte dir auch keine Ratschläge geben, aber vielleicht ist das eine Chance für euch."

Ich küsste ihre Hand.

„Vielleicht, dennoch kann ich nicht ausblenden, was vorher passiert ist. Ich habe mit ihr nie darüber geredet und woher weiß ich, ob sie sich geändert hat? Ich habe Angst davor, dass sie noch immer so ist und mich abermals im Stich lässt. Ich könnte sowas nicht noch ein weiteres Mal ertragen...das ist der auch ein Grund, weshalb ich so reagiert habe. Sie hat gesagt, bevor sie in das Flugzeug gestiegen ist, dass ich nach außen hin immer so stark und unnahbar wirke und deshalb gut allein zurechtkommen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus...ich habe Angst, wenn ich alleine bin und ich will gar nicht alleine zurechtkommen, verstehst du? Und im Moment ist alles wieder gut, doch wenn ich mich wieder mit ihr versöhne und sie mich fallen lässt? Was passiert dann? Ich habe keine Lust mehr auf diese Hoch und Tiefs in meinem Leben. Ich möchte endlich vorausschauen können...und bisher bin ich ohne meine Mum klar gekommen, also kann ich das auch weiterhin."

„Tue einfach, was du für richtig hältst."

Selene kam auf meinen Schoß gekrochen und ich schlang meine Arme fest um sie.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück