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Seelenkrank

von

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Rettungsaktion

Als Jojo in ihrer Wohnung ankam, erwartete sie Naoki überraschenderweise. Das freute sie irgendwie.

„Ich wollte nicht gehen, ohne mich verabschiedet zu haben.“

„Wie nobel von dir.“

Sie konnte die Wut ihres Bruders verstehen, doch Naoki war so unglaublich toll. Selbst, wenn es nach ein paar Monaten nicht mehr funktionieren sollte, wollte sie das jetzt nicht so einfach aufgeben? Das schien er irgendwie zu bemerken.

„Würden wir eigentlich auch Spaß haben, wenn ich nicht mit dir schlafen würde?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Ist das nicht ein Teil davon? Mit dir ist es oft lustig Jojo…klar kommt der Sex noch dazu, was genau willst du mir sagen?“

„Lukas kann dich aufgrund deiner eher verschwenderischen Lebensverhältnisse nicht leiden, aber eventuell könnten wir dem Abhilfe verschaffen…nicht, dass du jetzt auf alles verzichten sollst, aber es ist glaub leichter, wenn wir wieder zusammen wären.“

Naoki schwieg eine Weile. Dann hatten sie den Rest des Tages Sex miteinander. Am nächsten Morgen ging sein Flug, doch Jojo fühlte sich gut. Dennoch hatten sie nichts zwischen sich geklärt.

Ein paar Tage später.

Jule war sonst nicht der Mensch, der sich in die Beziehungen anderer einmischte, doch diese Mal war es ein absoluter Notfall. Flo war zwar ganz und gar nicht dafür, aber das war ihr egal, denn langsam hatte sie wirklich Angst Lukas zu verlieren. Sein Leben bestand nur noch aus arbeiten und feiern. Naja und das eben richtig. Nicht, dass sie nicht auch ab und an was nahmen, aber nicht so. Lukas hatte die letzten Wochenenden ordentlich übertrieben und das nur, um den Schmerz der Trennung auszublenden. Es zerriss Jule innerlich ihn so zu sehen und es verletzte sie immer wieder, dass sie ihm nicht den sicheren Hafen geben konnte, den er brauchte. Auch nach ihrem Gespräch letzte Woche hatte sie noch immer Hoffnung gehabt, doch die war spätestens jetzt zunichte gemacht worden. Juka spukte noch immer in seinem Kopf herum und daran konnte wohl auch sie nichts ändern.

„Hey, lass den Kopf nicht hängen, er mag dich sehr, das weißt du doch.“

„Und doch kann er nicht über seinen Schatten springen Flo. Ich red mit Juka, vielleicht kommt er.“

Flo zog die Brauen hoch.

„Jule, du weißt, dass Lukas dich köpfen wird…er hasst sowas.“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Besser so als gar nichts. Ich kann ihn so nicht mehr sehen…es bricht mir das Herz. Hast du seine Arme gesehen, Flo? Und ich will nicht wissen, wo er sich noch verletzt hat.“

Ihr war egal, was Flo davon hielt, sie schrieb Juka und hoffte, dass er ihr antwortete. Sie hatte sich einen neutralen Ort ausgesucht, an dem sie sich treffen konnten. Lukas durfte nichts davon mitbekommen, denn sonst würde er sie höchstwahrscheinlich umbringen. Doch Jule musste es tun, vielleicht war das der einzige Weg seine Liebe doch noch zu retten.

„Bist du sicher, dass du das tun willst?“

Sie nickte.

„Ich kann Lukas nicht länger so sehen Flo und das ist der einzige Weg…die beiden wissen es nur noch nicht.“

„Das wird ihm nicht gefallen.“

„Ich weiß, aber bitte versprich mir, dass du dicht hältst.“

Flo seufzte und nickte schließlich. Jule schnappte sich ihre Tasche, setzte ihre Sonnenbrille mit dem Leomuster auf und machte sich sogleich auf den Weg. Mit jedem Schritt, den sie mehr tat, wurde sie nervöser. Ihre Begrüßung fiel recht freundlich aus und sie hoffte insgeheim, dass alles so klappte, wie sie sich das vorstellte.

Nervös klickerten ihre Fingernägel gegen die Kaffeetasse. Auch Juka sah nicht gerade so aus, als würde es ihm gut gehen. Aus seinen Augen war jeglicher Glanz gewichen und auch sonst versprühte er nicht seine ominöse gute Laune Aura.

„Du weißt, warum ich mit dir reden wollte oder?“, begann sie die Unterhaltung und er nickte kaum merklich.

„Natürlich…aber ich bin nicht sicher, ob ich hören will, was du zu sagen hast.“

Jule nippte an ihrem Kaffee und sah wieder zu Juka auf.

„Es ist ganz einfach. Würdest du euch noch eine letzte Chance geben?“

„Ich schon, aber Luki…er macht es nicht Jule.“

Sie seufzte.

„Das heißt also, du liebst ihn und du solltest dich langsam fragen, ob du es ertragen könntest, wenn er irgendwann nicht mehr unter uns weilt. Ich bin mehr als verzweifelt Juka und ich weiß, dass er es hasst, wenn man in sein Leben eingreift…aber es steht zurzeit nicht besonders gut um ihn. Ich will ihn nicht verlieren.“

Juka schaute Jule schockiert an. Jetzt packte auch ihn die Angst.

„Shit…ich hab‘s geahnt.“

Sie griff nach seiner Hand.

„Dann tue was dagegen! Du bist der einzige Mensch, der das kann…bitte“, flehte sie den schönen Japaner an.

„Jule, das ist nicht so einfach…er will mich nicht sehen.“

Das Mädchen haute mit der flachen Hand auf den Tisch und war den Tränen jetzt sehr nahe.

„Verfluchte scheiße…würde es etwas ändern, wenn ich dir sage, dass er sich wieder selbst verletzt hat?“

Jetzt stieg auch in Juka die nackte Panik herauf und Jule hatte vermutlich Recht, wenn er nicht noch einen letzten Versuch wagte, könnte es zu spät sein.

„Ja…ich hab ihn kurz darauf gesehen. Na schön…ich verspreche dir nichts Jule, weil wie gesagt…ich weiß, dass er mich gerade nicht sehen will. Aber ich versuche mein Bestes zu geben…“

Sie fiel ihm um den Hals und hoffte für die beiden Jungs, dass wieder alles gut werden würde. Jetzt schöpfte sie wieder ein bisschen Hoffnung.

Alle hatten sich versammelt, um zu überlegen, wie sie Lukas helfen konnten, denn sein derzeitiger Zustand, den er noch so sehr zu überspielen versuchte, war einfach unerträglich. Am meisten wohl für ihn selbst. Wie immer am Freitag kam er früher von der Arbeit und schien auch heute wieder seinen Gefühlen nicht gerecht zu werden. Er gesellte sich zu seinen Freunden und sie alle schauten ihn etwas betreten an. Dann ergriff Jule das Wort.

„Lukas, wir haben dich alle sehr lieb und wir wissen, wie sehr dich die letzten Monate und Jahre noch immer mitnehmen…deshalb haben wir uns etwas überlegt.“

Lukas schaute skeptisch in die Runde, dann wanderte sein Blick abwechselnd von Fabi zu Flo und wieder zurück zu Jule.

„Und was? Gibt’s ein neues wie-vergess-ich-meine-Vergangenheit-Program?“

Seine Stimme klang zynisch und noch immer hatte Jule Bedenken, dass er sie dafür hassen könnte. Sie schüttelte den Kopf.

„Geh hinauf in dein Schlafzimmer und nimm dir soviel Zeit wie du brauchst“, erklärte Flo. Lukas kniff die Augen zusammen und funkelte ihn an.

„Ich weiß nich, was ihr schon wieder ausgeheckt habt, aber ich glaub ich will es nich…“, versuchte er zu scherzen.

„Lukas, bitte, es ist wichtig für dich…vertraue uns…“, versuchte Jule ihn zu ermutigen, doch ihre Stimme nahm sie kaum mehr als ein Wispern wahr.

 

Ich hatte keinen Schimmer, was die drei schon wieder im Schilde führten, doch würden sie ja doch nicht locker lassen, also ging ich hinauf in mein Schlafzimmer. Ich versuchte mir auf dem kurzen Weg nach oben zu überlegen, was mich denn aus meiner derzeitigen Misere befreien konnte, doch mir fiel nichts ein. Naja, das stimmte nicht, natürlich fiel mir etwas ein oder eher jemand. Aber daran glaubte ich selbst nicht mehr. Ich öffnete die Tür und aus Gewohnheit drückte ich den Knopf meiner Anlage. Dann erst bemerkte ich, dass ich nicht allein war und jetzt begann der Hass in mir zu brodeln. Was hatten sich meine Freunde nur dabei gedacht?

„Ich weiß, du willst mich nicht sehen, aber vielleicht sollten wir reden.“

Es war, als hätte meine Füße plötzlich Wurzeln geschlagen und im Hintergrund erklang das Lied, das ich zuletzt für oder besser gesagt gegen Juka geschrieben hatte, wie passend. Meine Gefühle drohten mich in diesem Moment zu erdrücken.

„Was auch immer wir besprechen müssen, lass es uns bitte schnell klären…“, raunte ich mit erstickter Stimme.

„Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir zusammen gekommen sind? Nach so vielen Anläufen ist es einfach passiert.“

Das also war der grandiose Plan? Ich konnte meine Wut kaum zügeln.

„Und was bitte soll das bezwecken Juka? Glaubst du allen Ernstes das macht alles einfacher?“, fauchte ich ihn an.

„Nein tut es nicht, aber damals war so viel unkomplizierter Luki.“

„Ja und?“

„Und deine Gefühle damals…sie waren echt.“

Ich hatte wenig Lust zu reden und drehte mir einen Joint. Ungewollter Weise schweiften meine Gedanken dann doch zu diesem Tag zurück. Da war noch alles okay zwischen uns, die Liebe hatte uns noch nicht zerstört, wir waren Freunde. Sehr gute Freunde, wenn nicht sogar die besten auf der ganzen verschissenen Welt. Wir vertrauten uns blind. Fuck!

„Und?“

„Du hast gerade dran gedacht“, sagte Juka etwas erheitert. Ich warf ihm einen zornigen Blick zu.

„Hab ich nich.“

„Du kannst noch immer nicht lügen…was würdest du sagen, wenn wir an dieser Stelle nochmal ansetzen?“

Ich wiegte den Joint in meinen Händen hin und her. Das also war die Absicht hinter all dem.

„Das funktioniert nich“, blockte ich sogleich ab.

„Luki…ich weiß, dass du das nur sagst, um mich zu verletzen. Du willst mich im Glauben lassen, dass du mich nicht mehr liebst…doch du vergisst etwas Süßer…ich kenn dich wahrscheinlich besser als jeder andere. Warum kämpfst du dagegen an?“

„Erzähl du mir doch nichts von Liebe…denn außer, wie man es schreibt, scheinst du ja nicht viel davon zu verstehen“, bemerkte ich zynisch.

„Ich hatte wirklich gehofft, es wird einfacher…Du bist wahrhaftig der sturste Mensch, den ich kenne…was willst du tun? Mit einem anderen Typ zusammen sein? Oder einem Mädchen? Du weißt genau, dass dir keiner das geben kann, was du willst.“

„Juka, ich hab‘s soweit geschafft…komm irgendwie klar....“

Lügner! Ich wusste genau, dass das niemals passieren würde. Ich fühlte mich leer und wie ausgekotzt. Irgendwie hatte ich mich schon so reingesteigert, dass ich selbst nicht mehr heraus fand. Ich musste Juka doch einfach nur sagen, was ich fühlte, aber ich konnte nicht. Mir war klar, dass nur er allein mich glücklich machte, doch wurde ich blockiert. Von mir selbst und dieses Hindernis konnte ich nicht überwinden.

„Doch zu welchem Preis? Luki, ich weiß es ist schwer zu begreifen…aber verstehst du nicht, mich macht es genauso kaputt. Ne Zeit lang war auch ich fest davon überzeugt, ohne dich leben zu können, doch dann hab ich dich gesehen…den tiefen Schmerz in deinen Augen, der sich mit der süßen Sehnsucht vermischt…ich kann das nicht länger…ich ertrage es nicht mehr von dir getrennt zu sein…“

Wenn ich jetzt ging, konnte ich diesen Abend vielleicht noch halbwegs heil überstehen.

„Dann musst du wohl lernen damit zu leben“, entgegnete ich mies gekontert.

„Können wir es nicht wenigstens versuchen? Früher bist du immer zu mir gekommen, weil dich Tim so genervt hat…als das mit deiner Mum passierte, versuchte ich dich zu trösten und genau diese Situationen ist der Grund, warum du mich noch magst. Denn du wünscht dir jemanden, der dir zuhört, jemanden, der dir Halt gibt und dennoch deiner Begierde und deiner Leidenschaft gewachsen ist.“

„Ja das kann ich wohl nich abstreiten. Aber jetzt sind Flo und Basti da, wofür brauch ich dich dann?“

„Weil du mich übrigens auch nicht loslassen kannst. Uns verbindet eine gemeinsame Vergangenheit, aber wir halten uns an der falschen fest, beschuldigen uns gegenseitig den anderen kaputt zu machen…doch das führt zu nichts.“

Ich sah Juka lange an und würde ihm gerne glauben. Ich legte den Joint zur Seite und ging eine Zigarette rauchen. Vielleicht hatte Juka Recht. Mein Herz wummerte und ich war ratlos. Konnte das wirklich funktionieren und konnte ich wirklich ohne Juka leben? Ich sank an der Verandatür hinab und blinzelte die Tränen weg. Zwischen uns lag dieser Abgrund, über den ich nicht springen konnte, denn sonst würde mich dieses Ungeheuer verschlingen.

„Luki,…“, begann er. Fragend sah ich ihn an. Doch dann schüttelte ich mit dem Kopf.

„Okay…dann hör mir jetzt genau zu. Jetzt erinnere du dich an den Abend, als wir zusammengekommen sind und du zu mir sagtest, falls unsere Beziehung scheitert, könntest du mir nicht versprechen, dass wir noch Freunde sein können.“

Entsetzten spiegelte sich nun in Jukas Blick, vermutlich weil er wusste, was ich als nächstes sagen würde.

„Willst du das wirklich?“

Ich seufzte tief und winkelte meine Beine an, weil ich es kommen hörte. Es würde nicht zulassen, dass mich Juka wieder bekam.

„Ja, weil es nich anders geht…ich kann das nich Juka. Vielleicht irgendwann mal, aber nich jetzt. In einer Sache muss ich dir Recht geben, ja, wir haben uns gegenseitig zerstört, aber so richtig…und auch deshalb kann ich das noch nich. Ich will nicht so tun, als wären wir Freunde, wenn ich bei deinem Anblick jedes Mal innerlich zerbreche.“

„Du musst einfach loslassen…bitte.“

„Ich kann nich Juka…verstehst du das nicht! Es tut mir leid…es is vorbei…für immer.“

Juka erwiderte lange nichts und ich zündete mir doch Joint an. Hätte ich das gewusst, hätte ich mir was zum Trinken mitgenommen.

„Nein, bitte tue das nicht!“, flehte er mich an und wie gerne würde ich ihm verzeihen. Doch ich konnte nicht. Die Dunkelheit in mir verschlang mich regelrecht und ließ keine Gefühle zu. So langsam riss mein Geduldsfaden und wenn ich noch länger hier mit Juka sitzen musste, lief ich Gefahr Amok zu laufen. Automatisch tastete ich unter meinem Ärmel nach meiner neuesten Verletzung und ließ meine Hand darauf ruhen. Noch konnte ich dieses Monster in Schach halten.

„Hörst du mir eigentlich zu? Ich kann es nicht ertragen dich in meiner Nähe zu haben, weil das was ich will und das was mir gut tut nicht mit meinen Verstand in Einklang gebracht werden kann…es tut mir nich gut von dir getrennt zu sein, doch noch schlimmer isses, in welcher Form auch immer, mit dir zusammen zu sein“, schrie ich ihn jetzt an. Die Tränen brannten in meinen Augen. Er kam näher, doch ich erhob mich und wich aus. Hinter mir kamen die Stufen zum Pool. Blitzschnell drehte ich mich um und rannte nach unten. Natürlich folgte mir Juka, dennoch hielt ich ihn auf Abstand, als ich die letzt mögliche Waffe gegen ihn einsetzte, die ich gegen ihn hatte. Ich war mir nicht mal sicher, weshalb sich das kleine Rasiermesser in meiner Hosentasche befand, doch als ich es in meiner Hand hielt, blieb Juka stehen.

„Verdammt noch mal, fällt es dir so schwer über deinen Schatten zu springen? Du kannst mir noch so viel erzählen…dein Blick spricht Bände…ich habe noch nie einen verzweifelteren Menschen gesehen…das bringt mich gerade an meine Grenzen, weil ich dich nicht verstehe…warum Lukas?“, fuhr er mich jetzt an.

„Warum?“, fragte ich zurück und schritt weiter zurück, doch wurde ich von der Wand gestoppt. Mist. Die Klinge berührte bereits meine Haut.

„Ja, warum? Du tust dir doch selbst keinen Gefallen.“

„Keine Ahnung. Ich kann einfach nich über meinen Schatten springen“, versuchte ich zu erklären und hoffte, dass er diesen Hilferuf verstand. Juka, bitte hilf mir! Lass mich nicht in der Dunkelheit zurück, denn das überlebe ich nicht!

„Doch du weißt es, denn du bist so stur wie nachtragend. Du wünscht dir jemanden, der dich so liebt, wie du bist, mit all deinen Macken? Deinem gebrochenen Herzen, deiner zerschundenen Seele? Du verlangst von anderen, dass sie dich so akzeptieren, wie du bist, doch dafür müsstest du dich selbst erst mal akzeptieren. Ich hab meinen Dad sterben sehen und musste miterleben, wie mein bester Freund in den Tod stürzt…das ist echt übel…doch ich hab den Arsch zusammengekniffen…klar hab ich auch drüber nachgedacht den Stecker zu ziehen…aber was hätte ich davon gehabt? Ich stand jeden Morgen vor diesem beschissenen Spiegel im Bad und musste meine Visage ertragen, doch jetzt bin ich froh, dass ich nicht aufgegeben habe. Ich bin mit mir im Reinen…kannst du das auch von dir behaupten?“

Ich schüttelte den Kopf und verdeckte mit dem Handrücken meinen Mund, damit Juka nicht sah, wie meine Lippen bebten. Juka war so stark und das bewunderte ich an ihm. Ich hingegen war ein Nichts. Ja, ich hasste mich gerade mehr als jemals zuvor in meinem Leben, weil ich so nahe dran war, Juka für immer zu verlieren. Meine Hände zitterten heftig, als ich versuchte, die Klinge erneut anzusetzen. Wenn ich mir jetzt die Pulsadern aufschnitt, konnte ich all dem Übel ein Ende bereiten. Ja er hatte Recht, ich verleugnete mich selbst.

„Du kennst die Antwort auf die Frage…“, flüsterte ich und irgendetwas hielt mich davon diesen einen endgültigen Schnitt zu setzen.

„Natürlich kenne ich die Antwort, deshalb brauchst du mich ja auch Süßer…“

„Ich brauche niemanden, denn gerade hab ich alles bestens im Griff…du solltest dir auch besser nen anderen suchen…das Gespräch is vorbei.“

„Na klar, du hast alles im Griff. Deshalb stehst du auch gerade hier und überlegst, ob du dir die Pulsadern aufschneidest oder nicht. Dann tue es doch…wenn du dich traust…“

Jetzt lachte ich traurig.

„Umgekehrte Psychologie? Da musst du dir schon nen besseren Trick einfallen lassen.“

Juka sah mich traurig an und gleich war der Moment gekommen, ich spürte es. Jeden Augenblick würde er weggehen und mich verlassen, ich fühlte es. Schon beinahe durchbrach die Klinge meine Haut. Und was dann? Würde ich dann sterben? Danach würde ich wahrscheinlich nichts mehr fühlen und dieses Monster der Leere pirschte sich immer näher an mich heran. Ich konnte seine Klauen schon förmlich spüren. Kälte umfing mich nach und nach. Juka wirkte in dieser finsteren Stunde wie ein Engel, auch wenn ich nicht an diesen ganzen Quatsch glaubte. Falls Engel wirklich existieren sollten, dann war er bestimmt einer. Oder ein Elfenprinz, denn es war einfacher an magische Wesen dieser Art zu glauben, als an etwas so hochgestochenes wie Engel. Juka atmete tief ein und dann wieder aus.

„Schon klar…jetzt bekomm ich nen Arschtritt von dir, weil ich dich so mies behandelt hab…vielleicht tust du das nicht mal bewusst, aber es geschieht und es ist verdammt hart Luki…aber du lässt mir keine andere Wahl.“

Mein Herz brach und ich krümmte mich zusammen, weil der Schmerz mich beinahe zu Boden rang. Ich war mir nicht Mal sicher, ob ich es schaffte, den Schnitt zu setzen, weil mein Gehirn zuvor versagte. Naja jetzt nicht so richtig, doch es schien irgendeine Sicherung durchzubrennen. Ein leises Klirren sagte mir, dass ich meine Waffe verloren hatte und nun allen und jedem ausgeliefert war. Juka würde mich fallen lassen und dann gab es auch keine Freunde mehr, die mich aus dem Dreck ziehen konnten. Ich vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte bitterlich. Meine Beine winkelte ich an,  es hörte nicht auf und das süße Zentrum meiner Gefühle zersprang immer und immer wieder. Doch plötzlich wurde ich hochgezogen und stand wieder auf meinen zittrigen Beinen.

„Was tust du da?“, fragte ich mit erstickter betäubter Stimme.

„Glaubst du wirklich ich lasse das zu? Wenn ich dich jetzt verlasse, werde ich dich vermutlich nie wieder sehen…“

Um mich herum wurde es allmählich wieder heller und diese düstere Aura schwand. Wie hatte ich glauben können, dass er gehen würde.

„Das kann ich wohl nich bestreiten. Und was jetzt?“

Juka zog mich an sich küsste mich innig. Seine Arme lagen wie zwei Schraubstöcke um meinen Körper. In mir tobte noch immer ein Krieg, doch nun schlugen endlich die Guten zurück, um den Schmerz zu verdrängen. Wie sehr hatte ich mich nach meinem schönen Japaner gesehnt. Denn nur sein Kuss und nur seine Liebe schafften es mich von den Toten zurückzuholen. Juka hob mich hoch und trug mich wieder in mein Zimmer aufs Sofa und mein Kopf sank in seinen Schoß. Ich brach in Tränen aus und vergrub mein Gesicht im Kissen. Was war gerade passiert? Ich tat mich schwer es zu begreifen, deshalb setzte ich mich auf seine Oberschenkel mit dem Gesicht ihm zugewandt. Warum stieß mich Juka nicht von sich? Warum ließ er mich mit meinem Schicksal nicht allein? Die Antwort lag selbstverständlich auf der Hand auch ich kannte sie, doch mein malträtiertes Hirn wollte sie nicht so ganz begreifen. Ich schluchzte und vergrub mein Gesicht in Jukas Haaren. Seine warmen Hände streichelten mir über den Rücken. Sein Geruch umnebelte mich und so langsam kehrte die Geborgenheit zurück, die nur dieser wundervolle Mann mir gab. Ich erhob meinen Kopf und schaute Juka mit tränenverschmierten Gesicht an.

„Ich werde niemals aufhören für dich zu kämpfen Luki…dafür liebe ich dich zu sehr. Eigentlich hatte ich gehofft, du fängst dich irgendwann und kommst von allein zu mir, aber ich habe nicht gesehen, dass du in deinem Rapunzelturm sitzt und auf mich wartest. Es tut mir so unendlich leid…doch von nun an werde ich dich nie mehr verlassen, versprochen“, sagte mir mein schöner Japaner und erneut brach ich in Tränen aus, unfähig etwas zu erwidern. Er nahm meine Hand und begutachtete meine Arme. Scheinbar hatte ich es nicht geschafft mir den tödlichen Schnitt zu setzen. Meine neuesten Narben war noch nicht ganz verheilt und auf einmal kamen auch Juka die Tränen. Er drückte einen Kuss auf die verletzte Stelle und zog mir mein Shirt über den Kopf. Schon klar, dass ihm die andere Narbe auch nicht entgingen. Jetzt schlang er seine Arme wieder um mich und ich vernahm sein Schluchzen.

„Juka, warum weinst du?“, wisperte ich.

„Luki…ich will mit dir zusammen sein, weil ich dich nicht so sehen kann. Ich will dich nie mehr leiden sehen…ich will, dass du dir nie mehr Schmerzen zufügst.“

„Ach nein? Juka...“

„Ich lag die letzten Nächte wach und hab mir den Kopf darüber zerbrochen, was ich noch sagen könnte und dann isses mir eingefallen…damals, kurz bevor wir zusammenkamen, glaubte ich nicht an uns…doch du bist einfach nach Tokio geflogen. Das ist vielleicht nicht dasselbe aber ich will und kann dich nicht aufgeben. Nicht nach allem, was wir zusammen geschafft haben…Und ich habe meinem Dad damals ein Versprechen gegeben...“

Ich schnappte mir ein Kissen und legte es in Jukas Schoß.

„…Du darfst jetzt nicht aufgeben Luki…ich hab damals in Tokio Fehler gemacht, doch jetzt weiß ich es besser. Ich hab von dir Dinge verlangt, die nicht richtig waren. Aber manches muss wohl geschehen, damit man es ändern kann.“

„Wow…keine Ahnung, was du jetzt von mir hören willst…ich bin zerstört und das war ich schon vor dir Juka…für manche Dinge kannst du wahrscheinlich echt nichts…ich bin halt so.“

„Nein bist du nicht! Luki, ich kenn dich schon eine ganze Weile und so bist du nicht. Weißt du, was dein Problem ist? Du kannst dich nicht binden, weil du nicht in der Lage bist größere Konflikte auszufechten. Immer wirfst du vorher das Handtuch, weil du Angst hast…verletzt zu werden? Aber andere Paare schaffen es auch und ich möchte diese Hürde mit dir gemeinsam überwinden.“

„Ich bin aber nich wie andere, das solltest du langsam wissen.“

„Pass auf, ich mach dir ein Angebot…denk ein paar Tage drüber nach. Ich muss jetzt los.“

„Mo- moment Mal, du sagst mir solche Dinge und verpisst dich dann einfach? Außerdem isses Mitten in der Nacht.“

Liebevoll strich er mit seinen Fingern über meine Wange.

„Genau das ist der Punkt mein Hübscher und ich muss…naja in ein paar Stunden arbeiten.“

Ich setzte mich auf und schaute ihn an.

„Ich bin nich sicher, ob ich jetzt allein sein kann…du kannst doch auch hier schlafen.“

„Ohh, wie könnte ich nein sagen, wenn du mich so anschaust…na gut. Aber später musst du mich arbeiten gehen lassen.“

Ich nickte nur und erhob mich. Mein Körper fühlte sich völlig erschöpft an, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mir. Doch es gab nichts beruhigenderes als in Jukas Armen einzuschlafen. Er drückte mir einen Kuss auf die Wange und mein Herz drohte vor Freude zu zerspringen, aber mein Gehirn wurde nur von verwirrenden Fragen geplagt. Juka hatte Recht, vielleicht.

 

Ich erwachte genauso verwirrt wie ich am Abend zuvor eingeschlafen war. Ich trank meinen Kaffee und erst dann kam die Erleuchtung, denn ich war wahrhaftig nicht der Experte, was Beziehungen anging und wir hatten unseren Konflikt nie ausgefochten, weil ich den Schwanz eingezogen hatte. Nach einer Dusche fühlte ich mich etwas besser. Keiner hatte mitbekommen, wann Juka gegangen war und ich fühlte mich auch gerade nicht in der Lage, mit irgendwem zu reden, deshalb verzog mich in meine Kuschelecke am Pool. Erst mal alles sacken lassen. Ich vernahm nicht Mal die leisen Schritte hinter mir. Fast so lautlos wie eine Katze ließ sich Jule neben mich gleiten. Sie zündete sich eine Zigarette an, die ich ihr sogleich wegschnappte.

„Du hasst mich vermutlich Lukas…aber es ging nicht anders.“

Ich ließ meinen Kopf an Jules Schulter sinken.

„Ein bisschen vielleicht, aber ohne deine Hilfe hätte ich es wohl tatsächlich nich geschafft…dieses Mal nich…das kann ich nie wieder gut machen…“

„Bleibt einfach zusammen…mehr wünsche ich mir nicht.“

„Ich fühl mich wie erschlagen…aber irgendwie gut. Schon verrückt.“

„Tja, hab gehört, so soll sich Liebe anfühlen. Ich muss jetzt auch gehen…die Arbeit ruft. Meld dich mal okay?“

Ich nickte und zog sie in meine Arme.

„Bis ganz bald du verrückte Italienerin…und danke.“

Jule warf mir ein charmantes Lächeln zu und weg war sie.

 

Ich benötigte Zeit für mich, denn ich musste mir selbst über diverse Dinge klar werden. Im Proberaum holte ich die Gitarre um zu spielen, denn das brachte mich immer auf andere Gedanken oder lenkte mich zumindest für eine Weile ab. Ich leerte noch ein Drittel meiner Wodkaflasche und mir wurde bewusst, dass ich wirklich weniger trinken sollte. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und meine Gedanken schweiften wieder zum gestrigen Abend zurück. Juka und ich würden vielleicht einen Weg finden, wieder zueinander zu finden und das hielt mich am Leben. Nicht nur das, die Dunkelheit war jetzt fast ganz verschwunden und ich konnte wieder fühlen, also so richtig. Nicht nur Schmerz und Enttäuschung. Ich fühlte wie das Leben in mich zurückkehrte und mit ihm dieses Kribbeln, wenn man verliebt war. Der Gedanke an meinen schönen Japaner war nicht länger unerträglich, sondern wundervoll.

Langsam torkelte ich die Treppe hoch und öffnete die Tür einen Spalt breit. Fabi und Flo saßen mit dem Rücken zu mir und redeten.

„Meinst du das is ne gute Idee? Immerhin weißt…naja isses Juka.“

„Fabi…du hast ihn doch selbst erlebt…wir lieben unseren Lukas alle und ich weiß, dass gerade du ihn nich verlieren willst, weil er dein Bruder is…aber mach es ihm nich noch schwerer, als es eh schon is.“

„Ja, schon…aber ich…ach keine Ahnung.“

„Er wird schon wieder und ich bin sicher mit Juka verstehst du dich auch irgendwann…“

Ich lauschte den beiden eine Weile, um herauszuhören, in welche Richtung sich das Gespräch entwickelte.

„Ich hoffe nur, dass er glücklich wird.“

„Denk das bekommen die beiden hin…“

Ich stieß die Tür auf. Ein bisschen geschockt sah er mich an. Auch Fabi wirkte leicht panisch. Ich lächelte Flo an.

„Na ihr Süßen…darf ich mich zu euch gesellen?“

Ich kannte meinen Freund schon zu lange und wusste jeden Ausdruck in seinem Gesicht zu deuten.

„Ich ähm…klar, bist du mir nich sauer?“, stotterte er. Ich warf ihm ein beruhigendes Lächeln zu.

„Nein, ich glaub ich hab kapiert, dass mich alle mögen und nur das Beste für mich wollen. Also, alles cool…ich bin ziemlich betrunken…willst’n Schluck?“

Flo zog die Augenbrauen hoch und sah mich fragend an.

„Aber mal ehrlich, wie isses gestern gelaufen?“

Ich prostete ihm zu und musste lächeln.

„Juka liebt mich…obwohl ich echt übelst abgefuckt bin…lief also ganz gut…“

Auch Fabi strahlte mich an und trank einen Schluck.

„Na dann…aber warum sitzt du dann hier und betrinkst dich?“

„Weil das mein Gehirn grad echt fickt…das Gespräch mit Juka war echt übel und es hat mich ganz schön viel Kraft gekostet…wisst ihr, ich dachte immer, ich wär so schlau…aber Juka hat mich mit meinen eigene Waffen geschlagen…das beherrscht er ziemlich gut…naja und jetzt mal sehn.“

„Mann bin ich froh das zu hören. Hab echt schon Schiss gehabt, dass ihr zwei euch an die Gurgel geht.“

„Quatsch…“

Fabi verabschiedete sich dann ins Bett, doch Flo wollte alles wissen. Das würde wohl noch eine lange Nacht werden, in der ich jede Baustelle einzeln abarbeiten musste.

„Flo, ganz ehrlich, ich muss mich auch erst Mal sortieren…gerade ist alles noch so frisch…“

„Ich hatte echt angst, dass du mich hasst. Du bist mein bester Freund Lukas…“

Ich rief mir Jukas Worte in Erinnerung.

„Juka hat mal gesagt, dass ich zu viel Zeit mit meinen Freunden verbringe und zu wenig mit ihm…als wir noch zusammen waren, vielleicht hatte er nicht ganz unrecht…Freunde sind immer da, doch du bekommst nicht oft die Chance jemanden kennenzulernen, dem du dein Herz schenkst.“

„Habt ihr euch gestritten? Juka und du?“

Ich nickte etwas betrübt und auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob das alles nur Einbildung gewesen war.

„Ja, haben wir unter anderem, aber konnten auch ein paar Dinge klären.“

Ich versuchte gefasst zu wirken.

„Und jetzt mach es doch nich so spannend. Seht ihr euch noch mal?“

„Du weißt auch schon länger, dass er mich nie betrogen hat…“

Plötzlich bekam Flos Gesicht diesen schuldbewussten Blick.

„Sorry, ja…aber was sollte ich denn tun?“

Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Schon okay…ich werde ein paar Tage weggehen. Hier drehe ich sonst noch durch.“

Mein Freund grinste mich an.

„Ha, du gehst mit Juka nach Japan.“

„Nein, nur eben ein paar Tage weg, nen klaren Kopf bekommen und so.“

„Schatz, du bist ein miserabler Lügner…aber gut.“

„Flo…kann ich heut bei dir pennen? Ich kann grad nich allein sein…“

„Klar doch. Ich glaub du tust das Richtige…ihr beiden funktioniert nich ohneeinander. Und ganz ehrlich, ihr seid füreinander geschaffen.“

Ich zog die Stirn in Falten und musterte meinen besten Freund.

„Jetzt hör aber mal auf mit dem rumgschleime…ich hoffe es so sehr Flo. Geh’n wir schlafen?“

Flo nickte und ich konnte meine Augen kaum noch offen halten.



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