Zum Inhalt der Seite

Seelenkrank

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Brothers in Arms

Fabi mied es noch immer richtig mit mir zu reden, denn er wich nicht von seiner Meinung ab, dass Juka mir nicht gut tat. Ich jedoch hoffte, dass er sich irgendwann fing. Er schien in den letzten Monaten viel zu arbeiten, denn es gab auch Wochen, da bekam ich ihn gar nicht zu Gesicht und das wiederum bereitete mir große Sorgen. Auch Jojo konnte mir nicht sagen, was er in letzter Zeit so trieb und mich beschlich eine böse Vermutung. Immer, wenn ich versuchte ihn anzurufen, ging er entweder nicht ran oder drückte mich weg. Sein Zimmer schloss er meist ab. Juka beruhigte mich dahingehend, dass er vielleicht Zeit bräuchte mit der Situation klar zu kommen. Doch es ließ mir keine Ruhe. Und leider bestätigte sich meine Sorge, denn schon bald erhielt ich einen Anruf vom Krankenhaus und sofort machte ich mich auf den Weg.

„Sind sie der Erziehungsberechtigte?“, fragte mich der Arzt. Ich nickte.

„Ja ich bin sein Bruder und er wohnt bei mir. Was ist passiert?“

Der Arzt wurde sehr ernst und wies mich an ihm zu folgen. Wir ließen uns in einer Art Besprechungszimmer nieder.

„Eine Passantin rief den Rettungsdienst an, weil ihr Bruder nahe des Hauptbahnhofes gefunden wurde, bewusstlos. Er hat sich eine Überdosis verpasst, doch wir konnten ihn retten. Ich weiß nicht, was sie für ein Verhältnis zueinander haben, aber wenn sie mich fragen, gehört er in eine Entzugsklinik oder müsste zumindest eine Therapie machen.“

Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und atmete tief ein und wieder aus.

„Eigentlich war immer alles gut zwischen uns…danke, ich kümmere mich darum. Kann ich zu ihm?“

Fabi schlief und ich setzte mich an sein Bett. Was sollte ich nur tun? Ich schrieb Juka, dass alles soweit im grünen Bereich sei und ich wahrscheinlich die Nacht bei meinem Bruder verbringen würde. Ich nickte auf dem Stuhl ein wurde von den Sonnenstrahlen geweckt. Fabi sah mich an, sagte jedoch nichts. Nach zwei Tagen durfte er nach Hause, doch auch da redete er mit allen nur nicht mit mir. Ich schob ihm das Prospekt der Klinik hin, doch er warf mir einen verächtlichen Blick zu. Irgendwann bekam ich mit, dass er sich wieder einigelte und ich ließ es nicht noch einmal so weit kommen, deshalb arbeitete ich von zu Hause, hockte mich mit meinem Laptop vor sein Zimmertür und wartete. Fast wäre er über mich gestolpert.

„Was wird das denn, werde ich jetzt überwacht?“

„Wenn es für dich so aussieht, dann ja.“

Er kam vom Badezimmer zurück und drängte sich an mir vorbei in sein Zimmer, ich folgte ihm, schloss die Tür und hockte mich davor. Fabi tat so, als würde es ihn nicht stören. Später baute er sich einen Joint, das ließ ich noch durchgehen, aber was ich dann sah, verschlug mir die Sprache und meine Alarmglocken läuteten. Mein kleiner Bruder wollte ernsthaft Crystal Meth nehmen. Ich sprang auf und hinderte ihn daran.

„Bist du völlig bescheuert Fabi? Das also ist gerade deine Lieblingsdroge? Willst du dich umbringen?“

„Was interessiert dich das…jetzt wo du deinen tollen Lover wieder hast.“

„Warum lässt du es nich gut sein…Juka is meine Sache Fabi und falls du es nich mitbekommen hast, ich hab auch ne Menge Mist gebaut…egal, warum tust du dir sone Scheiße an?“

„Weil die Leute mit denen ich zusammen bin weitaus besser sind als meine tolle Familie hier. Sie versteh‘n mich.“

„Ach ja? Deshalb hat es sie auch interessiert, dass du halbtot warst und irgendeine Fremde den Notarzt gerufen hat. Fabi, das sind keine Freunde sondern Junkies, die so tun, als wären sie deine Freunde.“

„Sie waren ja selbst drauf und außerdem wäre ich wieder aufgewacht.“

Ich sah ihn verständnislos an.

„Du hattest eine Überdosis…verdammt da wacht man nich so einfach auf. Wenn die dir im Krankenhaus nich geholfen hätten, wärst du tot!“, fuhr ich ihn jetzt an.

„Na und? Mein Leben is eh beschissen. Außerdem hab ich bisher immer nur irgendwelche Pillen genommen, wollte Crystal halt mal ausprobieren.“

„Oh nein, das denkst du vielleicht…Fabi tue sowas nicht…ich wollte dich in der Klinik anmelden, weil ich nich weiter weiß.“

„Und wenn geh ich eh nich hin.“
 

Na schön, dann musste ich andere Geschütze auffahren. Ich telefonierte mit der Klinik und holte mir Rat. Dann versuchte ich mich um Fabi zu kümmern, verbrachte Zeit mit ihm in seinem Zimmer, damit er nicht auf dumme Gedanken kam. Ich spannte auch alle anderen mit ein, weil ich das Gefühl hatte, allein konnte ich das unmöglich schaffen. Flo meinte, dass ich mit ihm irgendwohin gehen sollte.

„Wir könnten zum Beispiel nach Tokio fliegen und Tatsuro besuchen.“

Ich besprach das mit Juka und er fand die Idee gar nicht so schlecht. Also sagte ich Fabi, dass er ein paar Sachen packen sollte und wir machten uns auf die Reise. Mit meinem Chef hatte ich alles klären können und arbeitete zwar für meine Agentur, allerdings nur vom Laptop aus und Konferenzen hielten wir über Skype ab, da lobte ich mir die moderne Technik. Fabi schien froh zu sein, dass es doch nicht in die Entzugsklinik ging. Er redete noch immer nicht mit mir. Wie auch beim letzten Mal übermannte mich dieses wundervolle Gefühl, dass ich mich in Tokio irgendwie zu Hause fühlte. Die Wohnung, die Stadt, die Menschen, einfach alles. Mein kleiner Bruder wohnte in unserem Gästezimmer, das wir durch den Durchbruch in der Wand noch hatten einrichten können. Juka war meist außer Haus und Fabi und ich alleine und wenn er nicht mit mir redete, tat ich auch nicht dergleichen. Ich würde sogar sagen, dass ich dieses Anschweigen länger durchhielt als er. Manchmal, in einer ruhigen Minute dachte ich über seine Worte nach, dass seine vermeintlichen Freunde besser als seine Familie wären. Das wollte mir jedoch nicht einleuchten oder war ich wirklich so streng und auf Regeln bedacht? In manchen Dingen konnte ich das Handeln meiner Eltern sogar ein Stück weit nachvollziehen, nämlich, wenn es um die Sicherheit von einem Menschen ging, den man liebt. Nur leider nahm dieses Gefühl, jemanden in Sicherheit zu wissen bei meinen Eltern ab und es stand nur noch im Fokus mich in irgendeiner Art und Weise fertig zu machen. Warum auch immer. Doch war ich auch so? Klar stritt ich mit Fabi, aber doch nur, weil er mir wichtig war, dass es ihm gut geht. So funktionierte das nicht. Meine Konzentration war bei Null. Ich erhob mich und wollte zu Fabi gehen, um mit ihm zu reden, da er scheinbar dasselbe vorhatte, wären wir fast zusammengestoßen. Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht. Ich kochte uns Tee.

„Lukas, können wir reden?“, begann er. Ich nickte und goss das heiße Wasser in die Kanne.

„Weißt du, ich war vor ein paar Wochen bei meiner Mum…wollte sie sehen und so…sie hat sich auch mega gefreut,…aber weißt du…sie hatte gerade irgend nen Typen da…trinkt dauernd und…und das hab ich nich ertragen…es is anders als bei dir…du kommst aus anderen Gründen nich mit deiner Family klar. Aber es war so erniedrigend sie so zu sehen und ich hab mich ein bisschen geschämt…hab keine Ahnung was ich tun soll.“

„Naja…vielleicht nich gerade den nächstbesten Dealer suchen.“

Fabi zuckte mit den Schultern.

„Schon, aber dann war da noch das mit Juka und dir…ich mein ich hab dich doch gesehen, als du so gelitten hast…deshalb versteh ich es nich ganz…auch wenn es nich alles seine Schuld war…ich check echt nich, was da bei euch los is.“

„Okay, erst mal zu dir. Das tut mir leid und du hättest jeder Zeit zu mir kommen können.“

„Ich weiß und es war dumm von mir, das nich zu tun…ich war glaub einfach nur echt angepisst…wegen Juka und so.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Na schön…jetzt sind wir ja hier und reden…Fabi ich weiß, dass es nich schön war mich so am Boden zu sehen, doch Juka ist wundervoll. Wir haben uns einige Dinge damals zu einfach gemacht und das war der Fehler. Passiert halt, aber wir haben uns gerafft und ich kann und will mit keinem anderem zusammen sein.“

Fabi schwieg eine Weile und nippte an seinem Tee.

„Vielleicht verstehe ich das auch irgendwann mal. Lukas, es tut mir leid…alles. Ich hab nur manchmal solche Selbstzweifel oder Zweifel an anderen…irgendwie hab ich mir immer nen großen Bruder gewünscht, aber ich hab‘s dir nie wirklich gesagt. Außerdem, was hab ich in meinem Leben schon erreicht? Nich mal nen guten Schulabschluss hab ich…ich bin ein wahrer Versager. Bei den Mädels lande ich auch mehr schlecht als recht…es is alles gerade echt deprimierend.“

„Das klingt nach echten Problemen, aber keine Sorge, das bekommen wir hin.“

Fabi sah mich erwartungsvoll an.

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“

„Weil ich bisher alles hinbekommen hab…selbst Dinge, an die ich nich glaubte.“

Ich beschloss was zum Essen zu kochen, weil Juka bald nach Hause kommen würde und Fabi half mir.

„Wann hast du eigentlich gemerkt, dass du auf Männer stehst?“

Ich musste lächeln.

„Als ich Juka kennenlernte…erst dachte ich immer, dass er nur ein guter Freund wäre, aber irgendwann…ich war echt ziemlich betrunken…hatten wir was miteinander und da wusste ich es irgendwie…hat dann allerdings noch ne Weile gedauert, bis ich es wirklich gerafft hab.“

„Ich find‘s irgendwie cool…ich mein…naja…so kannst du mir zumindest kein Mädel ausspannen“, witzelte mein kleiner Bruder.

„Nimmst du mir das mit Nina etwa immer noch übel? Und außerdem, was is mit dir und ihr? War dann wohl doch nich so schlimm was.“

„Ach weiß nich…haben uns ja noch ein paar Mal getroffen, aber ich glaub ich steh doch nich so auf sie.“

„Auf was für Mädchen stehst du denn so?“

„Keine Ahnung…es muss halt irgendwie passen…ich bin da glaub echt ein bisschen schüchtern.“

In dem Moment hörte ich, wie der Schlüssel in der Tür herumgedreht wurde und ich lächelte automatisch. Ich lehnte mich im Flur an die Wand und wartete. Juka trug sein Businessoutfit und die Brille. Er wirkte so anders, aber irgendwie süß. Als er mich erblickte, streckte er seine Arme aus, zog mich an sich und küsste mich. Nein, ich konnte und wollte niemals einen anderen Mann lieben.

„Hallo mein Hübscher…hast du gekocht? Ich bin am Verhungern.“

„Ja, hab ich…zusammen mit Fabi.“

„Heißt das ihr redet wieder miteinander?“

Ich nickte. Nach dem Essen ließ uns Fabi allein und zog sich in seinem Zimmer zurück. Er war Juka gegenüber sehr nett gewesen und das beruhigte mich etwas.

„Juka…es tut mir leid, dass unsere Beziehung schon wieder von so vielen Dingen beeinflusst wird…sicher hast du dir das auch anders vorgestellt, wegen Fabi und so…aber er is mein kleiner Bruder und ich kann ihn nich einfach im Stich lassen.“

Juka lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

„Das ist doch in Ordnung Süßer. Ich weiß worauf du anspielst…aber ich muss wohl auch lernen, dass das zu dir gehört und ich würde es nicht gut heißen, wenn du deinen Bruder sich selbst überlässt. Er kann froh sein dich zu haben.“

Ich lächelte.

„Danke. Flo fragt ob wir am Wochenende was machen oder musst du arbeiten?“

„Nee, muss ich nicht. Hab eh die letzten Tage schon wieder viel zu viel gemacht. Halt mich mal davon ab“, scherzte er. Ich setzte mich auf seinen Schoß.

„Das kann ich gut. Nur leider hab ich morgen auch noch ein bisschen zu tun.“

„Dann müssen wir uns was anderes überlegen…Luki, geht’s dir eigentlich gut?“

„Denk schon…da is immer noch diese eine Sache, aber ich komm damit klar…ich hab ja dich.“

„Meinst du deine Mum?“

Ich nickte.

„Aber ich hab das Gefühl hier isses nich ganz so schlimm…ich liebe Tokio und würde sehr gern länger hierbleiben. Mein Chef meinte, ich könnte auch von zu Hause aus arbeiten, müsste mich halt alle paar Monate mal blicken lassen…aber hier das sind irgendwie wir…woanders fühle ich mich nich mehr heimisch.“

Juka sah mich lange an.

„Das haben wir schon einmal versucht und es ist gewaltig nach hinten losgegangen…aber vielleicht hast du Recht. Wir könnten uns auch ein Haus kaufen oder eine große Wohnung…was sagst du dazu?“

Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich war gar nicht so abgeneigt von diesem Gedanken.

„Das wäre schon cool…mit mehreren Schlafzimmern…vielleicht zusammen mit Fabi?“

Juka lächelte.

„Wenn das dein Wunsch ist und ich glaub in Tokio finden wir was, wo man sich getrost auch mal aus dem Weg gehen kann…meinst du Fabi will das auch?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Weiß ich nich…er braucht glaub schon Beständigkeit in seinem Leben. Ich rede morgen Mal mit ihm.“

Doch das hatte sich erledigt, denn scheinbar hatte er uns ein bisschen belauscht und kam wieder zu uns geschlichen. Er wirkte wie ein kleiner Junge, so unsicher und unbeholfen.

„Sorry, ich wollte euch nich stören, kann nur nich pennen…was hab ich da gerade von Wohnung und Haus gehört?“, fragte er neugierig. Juka kam mir zuvor.

„Dein Bruder und ich haben überlegt, ob es nicht schöner wäre eine größere Wohnung zu haben. Was meinst du dazu?“

Fabi sah uns abwechselnd an und ich wusste seine Miene nicht so recht zu deuten.

„Heißt das ihr wollt hierbleiben?“

„Mich hat es schon immer mehr hier her gezogen Fabi, aber ich kann nichts für dich entscheiden…ich könnt verstehen, wenn du wieder nach Deutschland willst. Nur Juka und ich werden wahrscheinlich hierbleiben.“

Mein kleiner Bruder sah mich lange und etwas nachdenklich an, dann lächelte er.

„Was hab ich denn dort schon? Vielleicht sollte ich auch irgendwo neu anfangen Lukas…ich will nur nich, dass ich euch zur Last falle oder so.“

„Nein tust du sicher nich…ich fände es schön dich hier zu haben, wir könnten auch zusammen Musik machen und so…naja und wenn das mit Flo und Tatsuro hält, lässt der sich bestimmt auch öfter hier blicken…und das mit der Band wird schon irgendwie klappen. Ich kann und will dich nur zu nichts drängen, nur denke ich auch, dass dir nen Tapetenwechsel mal gut tut.“

„Damit du auf mich aufpassen kannst?“

„Ich will nich auf dich aufpassen Fabi, du bist alt genug. Ich möchte dir nur eine Möglichkeit geben Beständigkeit in dein Leben zu bringen. Das so viel passieren musste, is auch meine Schuld. Ich glaub manchmal, dass ich dich zu oft dir selbst überlassen habe, dir zu viel zugetraut habe…dabei wollte ich nur der coole große Bruder sein.“

Fabi lachte.

„So klein bin ich ja auch nich mehr, aber es ist schön, dass du das sagst und ich könnte mir das echt vorstellen…Deutschland kotzt mich irgendwie an…nichts klappt da und ich fühl mich so verloren dort. Kann unser Haus dann aber nen Pool und Sauna haben?“

Ich lachte.

„Mal schauen. Wir können uns ja die nächsten Wochen ein paar Objekte anschauen.“

Juka küsste mich und verschwand im Badezimmer. Fabi verabschiedete sich ins Bett und auch ich wurde langsam müde und machte mich bettfertig.

„Luki…willst du das wirklich? Ich meine, es ist ein großer Schritt…und naja, was wird aus Jojo?“

„Jojo hat Naoki und sie kann uns ja jederzeit besuchen kommen. Weißt du Juka, ich war jahrelang für andere da…was ja auch schön ist, aber ich wünsche mir eine Zukunft mit dir. Fabi wird vielleicht auch irgendwann seinen eigenen Weg gehen…ich muss weg aus meiner Heimatstadt…einerseits liebe ich es dort, aber andererseits hab ich das Gefühl, dort werde ich verrückt. Ich weiß, dass alles hast du so ähnlich schon mal gehört, aber jetzt ist es anders…ich sehne mich nach einem Leben mit dir…all meine negativen Gefühle scheinen hier und auch in deiner Nähe wie weggeblasen…und ein bisschen Recht hast du, als du damals sagtest, ich sollte vielleicht mehr in unsere Beziehung stecken…meine Freunde liegen mir noch immer sehr am Herzen, aber das tust du auch Juka.“

Er ließ sich der Länge nach zu mir ins Bett fallen.

„Ich glaube dir.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück