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Seelenkrank

von

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Wer einmal lügt dem glaubt man nicht...

Mein Wecker holte mich aus dem erholsamen süßen Schlaf und noch immer fühlte ich mich ziemlich mitgenommen. Doch ich freute mich auch auf Jojo und meine Nichte. Draußen herrschten noch immer sommerliche Temperaturen, obwohl es schon September war. Ich schlüpfte in ein T-shirt und meine schwarze Hippiehose und kochte mir einen Kaffee. Juka war schon weg und Fabi schien auch nicht zu Hause zu sein. Ich hockte mich auf die Terrasse und genoss die Sonne auf meinem Gesicht. Im Hintergrund lief Pink Floyd und dann ertönte auch schon die Klingel. Etwas schwermütig erhob ich mich und schlurfte zur Tür, um den Summer zu betätigen. Alice rannte mir in die Arme und ich war ein bisschen überwältigt. Ich umarmte meine Schwester und Naoki begrüßte ich mit einem freundschaftlichen Handschlag.

„Lukas, weißt du, ich hab hunger“, überfiel mich Alice sogleich und Jojo verdrehte die Augen.

„Ist ja nicht so, als ob du vorhin nicht schon was bekommen hast. Jetzt lass uns erst Mal ankommen.“

Ich nahm meine Nichte auf den Arm.

„Was hättest du denn gern?“

Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Kindergesicht aus.

„Nudeln mit Tomatensoße.“

„Okay, aber nur wenn du mir beim Kochen hilfst.“

Ich zeigte Jojo und Naoki noch kurz das Gästezimmer und bereitete anschließend das Mittag mit Alice zu. Mit ihren dreieinhalb Jahren konnte ich ihr schon zumuten Tomaten zu schneiden.

„Hast du deine Hände gewaschen?“

Ich lachte.

„Natürlich und du?“

Sie nickte und begann mit ihrer Arbeit. Tatsächlich waren ihre kleinen Hände sehr flink und dennoch vorsichtig. Ich hackte die Zwiebeln und den Knoblauch klein und fasziniert schaute mich Alice an.

„Wenn ich groß bin, will ich auch so schnell Zwiebeln schneiden.“

Jojo und Naoki tauchten gar nicht wieder auf, wer weiß was die beiden trieben. Wahrscheinlich waren sie auch mal froh ihre Ruhe zu haben.

„Das kannst du sicher. Tust du die Tomaten in den Topf?“

„Ja. Wo ist Juka?“

„Noch arbeiten, aber er kommt heute auch nicht so spät.“

Komischerweise achtete ich gerade auf meine Aussprache, wenn ich mit Alice redete. Sonst war mir das eher egal und ich verschluckte mal einen Buchstaben, doch mir lag viel daran, dass meine kleine Nichte richtig sprechen lernte.

Ich setzte Nudelwasser auf und kochte mir noch einen Kaffee. Irgendwie würde ich jetzt gern eine rauchen, aber in Alice Anwesenheit fühlte ich mich dabei immer so schlecht. Deshalb ließ ich es bleiben. Sie sprang von ihrem Stuhl herunter, den ich ihr hingestellt hatte, damit sie an die Arbeitsfläche kam.

„Lukas weißt du, ich hab keine Windel mehr.“

„Wow das ist ja toll. Musst du auf’s Klo?“

„Nein, aber ich sag Bescheid okay. Das hab ich mit Mama und Papa geübt.“

Alice rannte auf die Terrasse zum Pool und hängte ihre Füße ins Wasser, zog sie jedoch blitzschnell wieder zurück und kicherte.

„Willst du später baden gehen?“, fragte ich.

„Das Wasser ist aber so kalt.“

„Wenn du drin bist, wird’s besser. Komm wir schauen nach unseren Nudeln.“

Ich hob sie hoch, damit in den Topf spickeln konnte. Vorsichtig fischte ich eine Nudel heraus, pustete und gab sie Alice.

„Ist fertig.“

Nach dem Essen wollten Naoki und Jojo in die Stadt und sich eventuell mit Naokis Eltern treffen.

„Wollt ihr Alice mitnehmen?“

„Mhh, ich bin nicht sicher, ich glaube sie ist echt müde. Wäre es okay, wenn wir sie bei dir lassen?“, fragte mich Naoki. Ich zuckte mit den Schultern.

„Klar, vielleicht bekomm ich sie ja dazu Mittagsschlaf zu machen.“

„Hast du zu viel gefeiert oder was?“

„Naja mehr oder weniger, die letzten beiden Tage waren einfach nur etwas stressig. Juka hat es endlich geschafft die Agentur zu übernehmen und das is halt mit viel Arbeit verbunden.“

„Ah cool, freut mich für ihn. Wurde ja auch langsam Zeit.“

Ich nickte. Jojo räumte ab, obwohl ich ihr sagte, sie müsse das nicht tun. Dann machten sie beiden Turteltäubchen auf den Weg in die Stadt. Alice schien kein Problem damit zu haben allein bei mir zu bleiben. Sie wollte unbedingt einen Film schauen.

„Arielle ist mein Lieblingsfilm, hast du den?“

Wir lümmelten uns auf das riesige Sofa im Wohnzimmer und ich durchsuchte meine Onlinevideothek. Und tada, Arielle war auch dabei.

„Solltest du nicht Mittagsschlaf machen?“

Sie schüttelte heftig mit dem Kopf und schaute mich an, als würde ich nicht genau wissen, was ich da gerade gesagt hätte. Fernsehen war jetzt tödlich, denn ich befürchtete, ich würde dabei einschlafen. Ich lag längs auf dem Sofa und auf einmal kam Alice angekuschelt und ihr kleiner Körper lag auf mir. Ihr Köpfchen schmiegte sich an meine Brust. Ich lächelte zufrieden und legte meine Arme um sie. Tatsächlich fielen mir die Augen schon beim ersten Drittel des Filmes zu und die kleine rothaarige Meerjungfrau sang mich in den Schlaf.
 

Naokis Eltern waren noch unterwegs und deshalb verabredeten sie sich für später zum Abendessen mit ihnen. Vielleicht war Alice da auch wieder fit. Jojos Bruder hatte ihr den Schlüssel zur Wohnung mitgeben und als die beiden eintraten lag er auf der Couch, ihr Töchterchen halb auf ihm und beide schliefen friedlich. Jojo wies Naoki an, leise zu sein. Juka war mittlerweile auch da und sie setzten sich raus in die Sonne. Jojo umarmte ihren Schwager.

„Die beiden da drin sind ja zuckersüß.“

„Ja das sind sie und ich glaube Luki muss Schlaf nachholen.“

„Was habt ihr denn gemacht? Er hat nur erzählt, dass du jetzt die Firma leitest.“

Juka nickte.

„Genau, das war nicht so einfach und ohne die Hilfe deines Bruders wäre mir das nicht gelungen. Mein Exchef ist ein ziemlicher Widerling und wir mussten ihn ein bisschen überlisten, aber alles gut. Jetzt hab ich Nocturna unter Vertrag genommen und wir haben gestern auch schon die ersten Aufnahmen gemacht. Naja und eben die Party am Abend zuvor…das schlaucht ganz schön.“

„Naja, er sah ein bisschen so aus, als hätte er zwei Nächte durchgesoffen…manchmal mache ich mir Sorgen um Lukas.“

Juka warf Jojo einen entwarnenden Blick zu.

„Süße, deinem Bruder geht’s gut und glaub mir, ich pass auf ihn auf.“

Naoki verabschiedete sich auch, weil er sich noch ein bisschen auf’s Ohr hauen wollte.

„Das hoffe ich.“

„Jojo…er bedeutet mir genauso viel wie dir und ich hab manchmal das Gefühl, dass du mir die Fehler der Vergangenheit noch immer nicht ganz verziehen hast.“

Verdammt, jetzt hatte er sie ertappt. Jojo lächelte etwas verlegen.

„Tut mir leid…eigentlich nicht, weil ich sehe, was für einen Einfluss du jetzt auf ihn hast. Er ist eben meine Familie…und er hat soviel für mich getan.“

Juka seufzte.

„Es ist nicht allein mein Einfluss, sondern auch Lukis Wille…ich tue kaum etwas und ich weiß, dass ihn nicht verändern muss Jojo. Das macht er von ganz allein, weil er merkt, was ihm gut tut. Dein Bruder ist auch nur ein Mensch, der irgendwann Mal genug vom ständigen Feiern hat und sesshaft werden möchte. Er ist weit aus nicht so kompliziert, wie er sich immer gern hinstellt.“

„Wow…es klingt schön, wie du das sagst. Lukas kann sich wirklich glücklich schätzen dich zu haben.“

„Glaub mir das weiß er, aber ich könnte mir auch keine Minute mehr ohne ihn vorstellen.“

„Ich geh mich auch noch ein bisschen ausruhen. Kannst ja Bescheid sagen, wenn die beiden munter sind.“

„Mach ich.“
 

Später bei Naokis Eltern.

Irgendwie war es immer wieder befremdlich auf Naokis Eltern zu treffen, da sie ja die meiste Zeit unterwegs waren und Jojo das Haus nur ohne sie kannte. Alice ließen sie ein bisschen im Schwimmbecken plantschen. Jojo hatte auch nicht das Gefühl, dass sie ihrer Tochter viel Beachtung schenkten. Beide wirkten sehr reserviert und kühl und Jojo stellte sich die Frage, wie die beiden Spaß miteinander haben konnten. Naoki redete mit seinem Vater irgendwas, wovon sie nicht alles verstand, weil ihr Japanisch ganz schön eingerostet war. Sie blieben noch zum Abendessen und da Alice wieder ein bisschen quengelig wurde, traten sie auch recht zeitig den Heimweg an. Doch plötzlich hielt Naoki inne.

„Wollen wir nicht hier übernachten?“

„Mhh, ich glaube ich würde lieber zurück, weil ich auch nicht alle Sachen von Alice dabei habe. Ein anderes Mal gerne.“

„Du fühlst dich nicht wohl hier oder?“

Jojo seufzte und hielt ihre Tochter an der Hand.

„Nein, das ist es nicht…ich bin nur kaputt und würde Lukas auch gern noch Mal sehen.“

Naoki schaute leicht säuerlich und verzog das Gesicht.

„Meinst du er hat seinen Rausch ausgeschlafen?“

In seiner Stimme schwang ein sehr sarkastischer Unterton mit.

„Du hast es doch gehört, er hat die letzten Tage viel gearbeitet…solltest du vielleicht auch mal wieder tun.“

Wütend funkelte sie ihr Freund an.

„Ach jetzt bin ich nicht mehr gut genug oder was? Ich bin da für Alice und dich, reicht das nicht?“

Jojo sog die Luft ein und hasste es in Alice Gegenwart mit ihm zu streiten.

„Nein, ich habe lediglich gesagt, dass es dir auch gut tun würde wieder zu arbeiten. Es ist schön, dass du für uns da bist, aber denk auch mal wieder an dich. Vorher hab ich es auch allein hinbekommen!“

Naoki zündete sich eine Zigarette an, noch eine Angewohnheit, die Jojo nervte, zumindest im Beisein ihrer Tochter.

„Stimmt, da hattest du ja deinen tollen Bruder, der von jedem angehimmelt wird, weil er so unwiderstehlich ist.“

Sie warf Naoki einen verachtenden Blick zu.

„Ernsthaft? Du bist eifersüchtig auf Lukas?“

Alice zog an ihrer Hand und sie gingen weiter. Dann fing sie an zu meckern und Jojo setzte sie in ihren Baggie.

„Ja bin ich. Hast du ihn heute mit Alice gesehen? So lag sie mit mir noch nie auf dem Sofa…selbst die Kleine vergöttert deinen Bruder und ich bin ihr Vater, eigentlich wäre ich derjenige, den sie so verehren sollte oder nicht?“

Jojo war kurz davor auszuflippen.

„Ja und? Lukas war auch in den ersten Jahren für Alice da, was erwartest du denn?“

Die Leute auf der Straße starrten schon komisch und die Kleine weinte.

„Ja, ja, nur weil du mir nichts von Alice erzählt hast!“

„Ach jetzt bin ich wieder Schuld, klar.“

Die drei stiegen aus der Bahn aus und hatten fast Lukas und Jukas Wohnung erreicht. Naoki wurde langsamer und blieb auf einmal ganz stehen.

„Weißt du was…geh doch zu deinem tollen Bruder…ich geh mich jetzt betrinken.“

„Ist das dein scheiß ernst?“, fuhr Jojo ihn an. Er nickte.

„Viel Spaß euch. Falls du mich sehen willst, ich penn in meiner Wohnung.“

Und mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Nicht mal ein Kuss, nichts. Das war heute nicht ihr erster Streit gewesen, aber dafür der schlimmste, denn noch nie hatte Naoki Jojo so zurückgelassen. Sie kämpfte mit den Tränen und klingelte. Fast schweigend gab sie Alice was zum Essen und legte sie danach schlafen.

„Mami, ist Papa böse auf mich?“

Diese unschuldigen Kinderworte brachten sie dann doch zum Heulen.

„Nein Süße. Weißt du, erwachsene streiten sich eben manchmal. Papa kommt bald wieder. Schlaf jetzt mein Schatz.“

Jojo streichelte sie noch eine Weile und als ihr die Augen zufielen, stahl sie sich leise davon, ließ die Tür jedoch einen Spalt breit offen. Draußen hatte es begonnen zu regnen und ihre beiden Brüder warteten mit Juka im Wohnzimmer auf sie. Jojo setzte sich zwischen Lukas und Fabi.

„Na kleine Schwester, wo hast du Naoki gelassen?“, fragte der jüngere von beiden. Sie biss sich heftig auf die Unterlippe.

„Der ist in die nächste Bar gegangen, um sich abzuschießen.“

„Gut so, ich kann ihn ohnehin nich ausstehen.“

Lukas gab Fabi einen Klaps auf den Hinterkopf.

„Wir haben uns gestritten und er wollte mit mir bei seinen Eltern bleiben, wozu ich keine Lust hatte. Außerdem ist er extrem eifersüchtig auf dich Lukas.“

Lukas sah sie ein wenig irritiert an und zog die Schultern hoch, als wäre er sich keiner Schuld bewusst.

„Was hab ich denn getan?“

„Es ist wegen Alice…er glaubt, dass sie dich mehr mag als ihn und macht mich dafür verantwortlich, weil ich ihm erst so spät von ihr erzählt habe.“

„Der soll sich mal nich so haben…er hätte doch auch mal eher zu dir kommen können. Ich glaub er is nur wegen Alice geblieben“, mischte sich Fabi wieder ein.

„Ich hab keine Ahnung…nur bin ich gerade echt ratlos…toll, erst betrinkt er sich und dann vögelt er mit der nächstbesten Tussi rum, die seinen Weg kreuzt…“

Juka hatte sich bisher zurückgehalten, doch auch ihm schien das Gespräch irgendwie nahe zu gehen, denn er sah sehr besorgt aus.

„Jojo…Naoki war schon immer ein Draufgänger und ich habe gehofft, dass du ihn bekehren kannst. Ich habe ihn vor einem Jahr aus der Band geworfen, deshalb ist er zu dir gekommen, allerdings war ihm nicht bewusst, dass ich wieder mit Lukas zusammen bin. Er hat versucht neu anzufangen, weil die Band sein Leben war. Doch hat er ein paar unschöne Dinge über Kami gesagt, die ich jetzt nicht wiederholen möchte…naja und er war echt angepisst…doch sicher bedeutest du ihm auch etwas, sonst wäre er nicht so lange bei dir geblieben…nur hier holt ihn eben seine Vergangenheit wieder ein.“

Jukas Worte trafen das junge Mädchen sehr und jetzt hasste sie Naoki erst recht. Und sie konnte ihre Tränen kaum noch zurückhalten. Plötzlich klingelte ihr Handy. Natürlich rief Naoki an. Mit zittrigen Händen nahm sie den Anruf entgegen.

„Hey.“

„Hey. Verzeihst du mir?“

„Ich weiß nicht…vielleicht, wenn du jetzt herkommen würdest.“

„Ja klar, ich mach immer was du willst. Dann nicht, ich hab auch ohne dich Spaß.“

„Bitte tue das nicht Naoki. Komm einfach her und lass uns reden.“

„Keine Lust. Hier sind gerade zu viele hübsche Mädels.“

Die Wut schnürte ihr die Kehle zu und ihre Hand zitterte heftig.

„Wenn du das tust, wirst du Alice und mich nie wiedersehen.“

„Dann bye bye Baby.“

Frust und Enttäuschung überrannten Jojo und jetzt musste sie wirklich heulen. Dieser widerliche Bastard. Jetzt konnte sie wenigstens ein bisschen nachvollziehen, wie sich ihr liebster Bruder gefühlt haben musste. Auch spürte sie auf einmal den Drang sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken zu müssen. Lukas und ihr Blick trafen sich. Wieder musste sie heulen und er zog sie in seine schützenden Arme.

„Jojo…was kann ich dir Gutes tun?“

„Ich weiß es nicht…hast du irgendwelche Drogen da?“

Lukas zog die Stirn in Falten.

„Das lässt du mal schön bleiben. Komm mal mit.“

Er schwang sich elegant über die Sofalehne während Jojo etwas unbeholfen darüber kletterte. Draußen hatte es aufgehört zu regnen, doch es war kühl. Lukas schnappte sich eine Decke und führte seine Schwester zu einem versteckten Plätzchen, der ihr zuvor gar nicht aufgefallen war. Der überdachte Teil der Terrasse und dort stapelten sich haufenweise Kissen, die als Sitzmöglichkeiten dienten. Als Lukas einen Schalter betätigte, leuchteten rote, gelbe und violette Lampions, die an einer Lichterkette befestigt waren. Sie kuschelten sich in die Decke und er bot ihr eine Zigarette an, die sie dankend annahm.

„Das sind die einzigen Drogen, die du von mir bekommst. Willst du drüber reden?“

„Naja, was soll ich sagen, Naoki ist ein Arsch. Ich wünschte es wäre anders gelaufen…jetzt werde ich wohl allein wieder nach Hause fliegen.“

„Es tut mir leid…ich kann dir nich Mal nen vernünftigen Ratschlag geben Süße…Liebe kann echt weh tun…aber Jojo, du hast Alice und für sie musst du stark sein…es war falsch von mir mich damals so hängen zu lassen und du hattest ein Recht wütend auf mich zu sein…ich hab versagt, weil ich nich für dich da sein konnte…wenn ich die Zeit noch Mal zurückdrehen könnte, würde ich es anders machen, egal wie beschissen ich mich fühle.“

„Aber ich hab‘s verkraftet oder? Ich weiß, Alice ist noch klein und sie braucht mich…bei ihr kannst du es ja wieder gut machen…sie liebt dich Lukas, sehr sogar.“

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Das hab ich heut auch gemerkt…sie erinnert mich an dich, als du noch so klein warst. Oft hast du dich mitten in der Nacht zu mir geschlichen oder wolltest auf mich warten. Du hast mich immer wieder zurückgeholt Jojo, du warst der Grund, warum ich allen Scheiß zu Hause ertragen habe…ich wollte dich niemals enttäuschen und doch habe ich es so oft getan. Manchmal glaube ich, dass mein Verhalten genau so selbstsüchtig war wie das unserer Eltern.“

Jojo atmete tief ein und wieder aus und die Worte ihres Bruders machten sie wahnsinnig traurig.

„Denk doch sowas nicht. Du bist und bleibst mein Held und in den letzten Jahren warst du mehr für mich da, als jeder andere. Ich hab vorhin gedacht, dass ich dich schon verstehe, denn es ist echt heftig, wenn einem das Herz gebrochen wird, aber ich schaff das. Es tut gut zu wissen, dass dir all das leid tut, aber das muss es nicht.“

„Das sagst du jetzt…aber durch Alice hast du jetzt erfahren, wie wundervoll es sein kann einen so kleinen Menschen heranwachsen zu sehen. Du versuchst ihr eine gute Mutter zu sein und doch hast du heute beschlossen nicht mehr mit Naoki zusammen zu sein, weil du glaubst, es is gut für sie. Doch was wirst du tun, wenn sie irgendwann zu ihrem Vater möchte? Kinder können manchmal unberechenbar sein und das solltest darauf gefasst sein.“

„Dann muss ich sie wohl oder übel gewähren lassen. Doch jetzt kann ich sie von ihm fernhalten, denn vermutlich ist es ihm ohnehin egal. Willst du eigentlich echt keine Kinder?“

Lukas lachte und zündete sich noch eine Zigarette an.

„Nee, das brauch ich nich auch noch. Ich glaub ich hab ein bisschen dazu beitragen können, dass aus dir ein anständiges Mädchen wird und ich werde auch immer für Alice da sein, aber eigene Kinder? Niemals.“

Jojo schaute ihren Bruder eine Weile an und noch immer war sein Gesicht von Müdigkeit gezeichnet. Doch in seinem Blick lag dieser kämpferische liebevolle Ausdruck, der ihr soviel Kraft gab. Irgendwas an ihm war anders als sonst, doch sie konnte nicht genau ausmachen, was es war.

„Liebst du Juka eigentlich noch genauso wie am ersten Tag?“

Das Lächeln, was ihn jetzt umgab war unbeschreiblich, so zärtlich und voller Glück.

„Nicht genauso, aber meine Gefühle ihm gegenüber sind stärker geworden. Manchmal frage ich mich noch immer, warum er mit mir zusammen is…aber eigentlich spielt das auch keine Rolle.“

„Und naja…ich hoffe die Frage kommt jetzt nicht blöd…hat sich in der Zeit, in der ihr zusammen seid, was an eurem Liebesleben verändert?“

Lukas lachte und zog genüsslich an seiner Zigarette.

„Reden wir jetzt über Sex?“, fragte er amüsiert und Jojo nickte.

„Irgendwie schon. Und das obwohl wir nüchtern sind.“

„Das is doch egal…Jojo, je mehr du einen Menschen liebst, desto intensiver kann dein Sexleben sein. Manchmal glaube ich Fabi ignoriert uns in dieser Beziehung oder ihm isses einfach egal.“

„Also wird es bei euch nicht weniger?“

„Nein, zum Glück…das wäre furchtbar. Aber mit Juka isses auch was ganz anderes…früher dachte ich immer, dass es schnell vorbei sein muss, aber es is einfach der Wahnsinn, wenn sich der Sex über mehrere Stunden zieht. Oder der Ort kann auch eine reizende Rolle spielen.“

Sie bewunderte ihren Bruder für seine Offenheit und wahrscheinlich würde es ihn auch nicht stören beim Sex irgendwo erwischt zu werden. Jojo hingegen wäre das schrecklich peinlich und war sie da eher ein bisschen verklemmt.

„Naja, ich glaub ich muss da noch einiges lernen. Mit Naoki war‘s zwar gut, aber ich weiß auch nicht. Wie schaffst du es so offen mit dem Thema umzugehen?“

Er erhob sich.

„Okay…ich geh uns mal was zum Trinken holen. Dann können wir weiterreden.“

Wenige Minuten später kehrte Lukas zwei Bier zurück.

„Weil es mir egal is, was andere von mir denken Süße. Wenn es nach mir ginge würde ich den ganzen Tag nackt herumlaufen und Juka hätte sicher auch nichts dagegen…ich liebe Sex, wobei ich manchmal glaube ich bin leicht extrem in dieser Hinsicht…willst du das echt hören?“

Jojo nickte und sie stießen an.

„Ja auf jeden Fall. Extrem also?“

Ihr Bruder trank einen Schluck.

„Naja…es kann man schon mal etwas härter sein…ich mag dieses ewige gekuschel vorher nich….ich steh lieber auf Fesselspielchen oder anzügliches Sexgelaber. Ich will dabei etwa spüren und dennoch seine Zärtlichkeit und Begierde fühlen. Außerdem mag ich es für Juka gut auszusehen.“

„Das stimmt, überzeugt von dir warst du schon immer. Aber ich dachte, du stehst auf voll tätowierte Mädels oder eben Jungs…was fasziniert dich an Juka so?“

„Oh Mann, wo soll ich da anfangen…klar an erster Stelle steht seine unvergleichliche Art und wie er mit mir umgeht, so liebevoll und fürsorglich, doch wie sagt man so schön, stille Wasser sind tief? Juka braucht keine Tattoos, es sei denn er will sich unbedingt eins stechen lassen, aber es is sein Style, wie er sich kleidet und eben diese Tiefe seines Charakters. Ich kann‘s nich beschreiben, aber achte Mal drauf. Aber mal ehrlich kleine Schwester, es gibt bessere Typen als Naoki.“

Sie trank einen Schluck und schaute Lukas traurig an.

„Mhh…aber er ist so toll. Zumindest kann er das sein.“

„Aber toll sein is nich alles. Denk lieber daran, was dich an ihm nervt und wenn diese Argumente überwiegen, hat er eh verloren.“

Wieder stiegen ihr dir Tränen in die Augen.

„Das hab ich bereit getan…und er hat verloren. Aber ich hab mir so sehr gewünscht, dass Alice mit beiden Elternteilen aufwächst.“

„Sie hat ne tolle Mum. Was brauch sie also mehr? Jojo, lass dich nich von dem Gedanken leiten. Sie is dein kleines Mädchen und das wichtigste ihn ihrem Leben bist du.“

„Aber wie soll ich das alleine schaffen Lukas? Ich hab ein riesen Haus, du bist in Tokio und ich das Gefühl das wird alles zu viel! Es würde mir schon helfen, wenn du nicht so weit weg wärst.“

Lukas sah jetzt ernst und sehr nachdenklich aus. Sie wusste, dass sie Unmögliches von ihm verlangte und sie glaubte fast nicht daran, dass er sie begleiten würde, denn sein Leben war jetzt hier. Zusammen mit Juka.

„Jojo…wir sollten jetzt schlafen gehen.“

Sie hatte es geahnt und ihre Augen spiegelten mit Sicherheit diese verzweifelte Enttäuschung wieder. Lukas nahm sie in seine Arme und küsste sie auf den Scheitel.

„Wir finden eine Lösung, versprochen. Jetzt geh ins Bett.“

„Alles klar…ich glaub das war genügend Ablenkung, danke Bruderherz.“
 

Ich stellte die Flaschen noch in die Küche und dachte eigentlich die anderen beiden wären schon im Bett. Da spürte ich eine Hand, die mir unters T-shirt glitt. Ein süßer Schmerz schnürte mir fast die Kehle zu und Juka ließ von mir ab. Ich hielt eine Sekunden den Atem an, als mir bewusst wurde, dass Juka keine Klamotten trug.

„Kommst du mit ins Bett?“, fragte er, doch ich presste ihn an die Wand und ließ meine Hände über seinen nackten Körper gleiten. Meine Lippen suchten begierig seinen Mund und ich biss ihm leicht in die Unterlippe.

„Ich fürchte ich schaff‘s nich bis ins Bett.“

Sein Körper vibrierte leicht, als er lachte.

„Du bist wirklich unmöglich.“

Ich war hin und hergerissen, weil ich Angst hatte Juka zu enttäuschen, aber auch für Jojo da sein wollte. Nachdem ich Juka in der Küche förmlich überfallen hatte, rauchte ich noch eine letzte Zigarette. Mein Liebster folgte mir in einer Decke eingekuschelt. Ich war nicht in der Lage ihm in die Augen zu sehen, doch er nahm mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, sodass ich ihn unweigerlich anschauen musste. Ich ertrug schon allein den Gedanken nicht, wieder längere Zeit von ihm getrennt zu sein.

In dieser Nacht schlief ich sehr unruhig. Die nächsten Tage waren Studio angesagt und ich hatte noch immer keine Entscheidung gefällt, die Zeit lief mir davon. Juka war irgendwie mehr beschäftigt als sonst und es ergab sich auch kein geeigneter Moment, in dem ich hätte mit ihm reden können. Mir blieben nur noch zwei Tage. Als ich am Nachmittag nach Hause kam, waren Jukas Mum und seine Schwester zum Essen zu Besuch. Die Stimmung war ausgelassen und freudig. Auch meine Schwester schien wieder etwas entspannter zu sein. Ich umarmte Juka und gab ihm einen Kuss.

„Hast du kurz Zeit zum Reden?“, fragte ich endlich und er willigte ein. Ich war so nervös wie schon lange nicht mehr.

„Was gibt’s mein Hübscher?“

Ich räusperte mich.

„Juka…ich weiß nich wie anfangen soll, aber ich glaub ich muss weg aus Tokio…nich deinetwegen oder so…ich kann Jojo nich im Stich lassen. Und es ist egoistisch von mir so zu handeln, denn so musst du wieder drunter leiden, aber es muss ja nich für lange sein. Nur, bis sich alles ein bisschen eingepegelt hat.“

Juka zog mich zu sich und küsste mich.

„Soll ich dir mal was verraten mein liebster Schatz? Das weiß ich längst und ich habe deiner Schwester schon versprochen, dass wir mit ihr kommen werden. Die Agentur hab ich Kim überschrieben…ich habe andere Pläne, aber das erzähl ich dir wann anders. Yoshi ist weg und sie wird das schaffen. Und was dich betrifft, du musst dir keine Vorwürfe machen, weil es das Richtige ist. Jojo braucht dich oder bessergesagt uns. Deshalb wird meine Mum in unser Haus ziehen und dein Visum läuft in zwei Monaten ohnehin ab. Ich hab mit den Behörden telefoniert und es wäre viel Stress und noch mehr Papierkram, um die japanische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Also geht’s morgen zurück nach Deutschland.“

Ich schüttelte ungläubig mit dem Kopf und war einfach sprachlos, doch mir fiel ein Stein vom Herzen. Dann musste ich anfangen zu lachen. So wie es aussah, hatte ich mir ohne Grund solche Sorgen gemacht.

„Und wie lange weißt du das alles schon?“

„Seit drei Tagen“, gab er unschuldig zur Antwort. Ich funkelte ihn böse an.

„Und du hältst es nich für nötig mich in deine Pläne einzuweihen?“

„Ich hab‘s dir jetzt gesagt…außerdem wollte ich dich überraschen und dein dummes Gesicht sehen.“

Ich legte meine Arme um seinen Hals und sah ihm tief in die Augen.

„Juka…ich weiß nich, was ich sagen soll…du bist einfach der Beste…ich liebe dich.“

„Naja ich hatte die Wahl hier ohne dich oder in Deutschland mit dir zu sein…ich will nie mehr ohne dich sein Luki. Das haben wir schon viel zu oft hinter uns.“



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