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Seelenkrank

von

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Die Pflichten als Onkel und bester Freund

Ich wollte meine Schwester überraschen und da schon wieder viel zu viel Zeit verstrichen war kam ich ihrer Bitte nach. Juka blieb noch in Tokio, wollten aber auch nachkommen.

Ich tippte schnell eine Nachricht an Jojo, dass sie Alice nicht vom Kindergarten abzuholen bräuchte.

Das Lächeln, als mich meine kleine Nichte sah, brachte mein Herz zum Schmelzen und sie kam in meine Arme gerannt und überhäufte mich mit Küsschen.

„Mama hat gar nicht erzählt, dass du kommst.“

„Sie wusste auch nichts davon, ich wollte euch überraschen.“

„Gehst du mit mir auf den Wasserspielplatz? Da sind meine Freundinnen heute auch mit ihren Mamas“, bettelte Alice und schaute mich mit ihren großen braunen Augen an, wie könnte ich da nein sagen. Sie stellte mich auch gleich ihren Freundinnen Susi und Anne vor, die beide in Begleitung ihrer recht jungen Mütter waren. Für die drei Mädchen schien das kein Problem zu sein, dass wir jetzt gemeinsam einen Ausflug auf diesen besagten Wasserspielplatz machten, doch die jungen Frauen musterten mich etwas skeptisch. Ich setzte mein charmantestes Lächeln auf und versuchte ganz freundlich zu sein.

„Ich fürchte die drei haben unsere Nachmittagsplanung für uns beschlossen. Ich bin Lukas, Alice Onkel“, stellte ich mich vor und hoffte das Eis wenig brechen zu können. Tatsächlich erwiderte die Blondine meine Geste und reichte mir die Hand.

„Freut mich, ich bin Maxi, Susis Mum. Dann nehmen wir dich Mal mit oder Helen?“, wandte sie sich der anderen Frau zu und diese nickte. Die kleinen Mädchen liefen ein Stück vor uns und ich musste ein bisschen schmunzeln. Der Spielplatz lag nur wenige Gehminuten vom Kindergarten entfernt und während die Mädels sich amüsierten, nahmen wir im Gras platz und beobachteten das kindliche Treiben.

„Darf ich dich was fragen Lukas?“, fragte mich Helen, die Brünette. Ich nickte.

„Klar.“

„Was ist eigentlich mit Alice Vater? Johanna redet nicht viel darüber und wir haben uns auch schon ein paar Mal getroffen, aber uns noch nicht getraut sie danach zu fragen.“

Ich war mir nicht sicher, ob ich das Recht dazu hatte über Jojos Privatleben zu quatschen. Und eben genau über dieses sensible Thema. Auch, wenn sie jetzt ihren Jayden hatte, würde Naoki immer ein heikles Gesprächsthema bleiben und ich hatte das Gefühl ihr Unrecht zu tun, wenn ich jetzt aus heiterem Himmel mit zwei Mädels, die ich gerade erst kennengelernt hatte, über ihr Privatleben plauderte.

„Ich denke das solltet ihr meine Schwester selbst fragen und ich glaube, dass sie es euch erzählen würde. Nur würde ich mir komisch vorkommen…wie alt seid ihr eigentlich?“, lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung und es schien okay zu sein. Maxi antwortete mir.

„Ich bin 22 und Helen 24. Du?“

„Ich werde dieses Jahr 30.“

Die jungen Frauen schauten mich etwas verdutzt an.

„Was? Krass du könntest locker als 25 durchgehen.“

Ich lachte und da die drei kleinen sehr vertieft in ihr Spiel schienen, wagte ich es eine Zigarette zu rauchen. Maxi tat es mir gleich.

„Hab mich wohl gut gehalten“, witzelte ich.

„Hast du auch Kinder?“

„Nee, Alice reicht mir.“

„Aber du bist verheiratet“, stellte Helen mehr fest als das sie fragte.

„Ja das schon, aber das heißt ja nich gleich, dass man Kinder haben muss. Außerdem isses für meinen Mann in Ordnung keine Kinder zu haben.“

Die Reaktion anderer Menschen auf meine Homosexualität war immer wieder göttlich. Ich fragte mich oft, was die Menschen in mir sahen und scheinbar erfüllte ich nicht ganz die Kriterien eines schwulen Mannes.

„Ah abgefahren, dabei hätte ich immer gedacht Schwule sehen etwas…naja eben nicht unbedingt aus wie du?“

Ich konnte mir mein Lachen nicht verkneifen.

„Weil ich nich so rede oder meine Outfits nich so tukik ausfallen? Ausnahmen bestätigen die Regeln.“

Die jungen Frauen stimmten in mein Lachen ein. Plötzlich kam meine kleine Nichte angerannt und brach bitterlich in Tränen aus. Sie hatte sich ihr Knie aufgeschlagen und blutete ein bisschen. Ich nahm sie auf meinen Schoß und tupfte ihre Wunde vorsichtig mit einem Taschentuch ab.

„Mein armer Schatz, was hast du denn angestellt?“

„Bin auf den Steinen ausgerutscht“, schluchzte Alice und ich barg sie in meinen Armen.

„Brauchst du ein Pflaster?“

„Jaaaa.“

Zum Glück hatte ich die Notfallverbandstasche für Ausflüge dabei. Manchmal überraschte es mich fast, wie vorausschauend ich dachte. Ich entließ Alice wieder. Meine Schwester schrieb mir, dass sie sich jetzt auch auf den Weg zum Wasserspielplatz machen würde.

Jojo erspähte ich schon von weitem und erhob mich, um das ältere Exemplar von Alice zu umarmen. Auch sie gab mir einen Kuss auf die Wange.

„Du hast mir fürchterlich gefehlt.“

„Ihr mir auch. Eigentlich wollte ich nach Hause, aber das kleine Monster hat mich etwas überrumpelt und jetzt hock ich hier mit den beiden reizenden Damen.“

Helen und Maxi grinsten mich an und wir gesellten uns wieder zu ihnen.

„Wie geht es Fabi eigentlich und wie läuft es mit Miyavi?“, fragte ich dann.

„Denke ganz gut, die beiden müssen jetzt erst Mal ein bisschen herausfinden, wie es weitergeht, aber ich glaube das schaffen sie.“

Dann schaute mich Jojo mit ihrem verschmitzten Blick an.

„Und du? Ganz allein? Überlebst du das überhaupt so lange ohne Juka?“

Ich boxte sie gegen den Arm.

„Er will ja bald nachkommen, das werde ich schon schaffen.“

Als Alice das zweite Mal angerannt kam und knatschig wurde, weil sie etwas essen wollte, traten wir den Heimweg an. Außerdem wollte mich Basti noch besuchen kommen.

Jayden erwartete uns schon mit dem Abendessen. Gegen neun brachte ich meine Nichte dann ins Bett und entfachte das Lagerfeuer im Garten, stellte das Bier kalt und bastelte mir einen Joint. Mit gedankenverlorenem Blick in die knisternden Flammen gerichtet schweifte ich ab. Meine Lippen formten sich zu einem traurigen Lächeln und ich biss mir auf die Unterlippe. Wie schön wäre es jetzt, wenn auch Flo hier bei uns sitzen könnte. Seinen Tod würde ich wohl niemals ganz verarbeiten können. Mein Schwesterchen brachte mir meine Klampfe und fragte, ob ich nicht etwas spielen könne. Ich kam ihrem Wunsch nach. Basti, der gerade angekommen war, zollte mir Beifall. Ich schloss meinen besten Freund in die Arme und so verweilten wir einige Augenblicke.

„Hallo mein Schatz“, begrüßte ich ihn und lächelte. Dann fuhr ich mit der Hand über seine 6 Millimeter Frisur.

„Hey.“

Jojo und Jayden verabschiedeten sich dann irgendwann ins Bett. Ich spielte noch ein bisschen und Basti hörte mir zu. Mein liebster Freund sah so verändert aus und das lag wohl nicht nur an seiner neuen Frisur.

„Wer hat dir eigentlich den Kopf verdreht? Du wirkst so anders.“

Und schon stahl sich wieder dieses verliebte Lächeln auf seine Lippen.

„Mh mal überlegen, sie ist unglaublich heiß, bekannt für ihre nicht immer ganz jugendfreien Outfits, ist ein bisschen verrückt und nein, es ist nicht Lena.“

Ich zündete mir eine Zigarette an und reichte Basti ein Bier aus dem kalten Brunnen.

„Oookay…das heißt ihr habt euch jetzt doch getrennt und du bist tatsächlich allein auf Brautschau gewesen?“

Basti wurde etwas verlegen.

„Naja nicht ganz…sagen wir es mal so, nach der Trennung war ich schon viel unterwegs, allerdings nie allein. Bin ein bisschen mit Jule um die Häuser gezogen…naja und da ist eben so einiges passiert. Aber bin selbst noch nicht ganz sicher, was das jetzt zwischen uns wird.“

„Oho hat dich unsere kleine Diva bezirzst? Schön zu hören.“

„Vielleicht ein bisschen. Lena war mega angepisst, weil sie glaub gehofft hat, dass es doch irgendwie noch ne Chance für uns gibt.“

„Naja, man kann’s nich jedem Recht machen und sie hatte ihre Chance Basti.“

„Mh, schon…und mit Jule kann ich reden…auch ab und zu wegen Flo und so. Isses für dich auch noch so schwer? Ich meine jetzt ist’s fast ein Jahr her doch es fühlt sich an als wäre es gestern gewesen und als du gerade so gespielt hast, hat mich das voll an ihn erinnert…“

Ich atmete tief ein und wieder aus. Also litt Basti auch noch darunter, sehr sogar.

„Ich glaub deshalb komm ich so selten, weil es mich fertig macht…zu wissen, dass Flo mit mir hier gewohnt hat…sein eigenes Zimmer hatte…das is so übel Basti.“

„Wem sagst du das…immerhin kannst du dem etwas Abhilfe verschaffen. In Tokio bekommst du sicher genügend Ablenkung.“

„Ja schon, aber es is ja nich so, dass ich Flo vergessen hätte. Nur hier is alles so nah und frisch…es tut mir leid, für dich muss es die Hölle sein.“

„Ich komm schon klar, bekomm genügend Abwechslung.“

Zwischen uns lag ein nicht ganz unbekümmertes Schweigen und ich sorgte mich ein bisschen um meinen Freund.

„Bist du mir auch sauer, weil ich einfach abgehauen bin? Da wärst du nich der erste.“

Unsere Blicke trafen sich.

„Nee…das isses nicht…das Thema hatten wir schon Mal ein bisschen. Damals, als es dir so mies ging wegen Juka, warum bist du da nicht zu mir gekommen? Flo hat sich voll die Sorgen gemacht und mich angerufen, doch er war ja in Tokio…manchmal denk ich, dass ich vielleicht doch nur das dritte Rad am Wagen war und jetzt das mit Jule…sie ist deine Ex und ich will nicht, dass du denkst ich…ach ich weiß auch nicht wie ich das ausdrücken soll.“

Da war er wieder, mein Basti. Gott sei Dank. Ich schnappte mir das Drehzeug und baute noch einen Joint.

„Das damals hatte nichts mit dir oder Flo zu tun…ich wollte einfach keinen um mich haben, weil mir alle sowieso wieder erzählt hätten, was gut oder schlecht für mich wäre. Das musste ich mit mir allein regeln Basti. Und wann hattest du bitte das Gefühl das dritte Rad am Wagen zu sein?“

„Keine Ahnung…manchmal, wenn ihr irgendwas genommen habt und ich mich da rausgehalten habe.“

„Quatsch…das war halt so, deshalb hab ich dich nich weniger lieb…du kannst außerdem jetzt mit mir einen drauf machen.“

Verschmitzt grinste mich Basti an und nahm mir den Joint aus der Hand.

„Willst du noch feiern gehen oder was?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Why not? Hab die letzten Wochen auch hart gearbeitet, da kommt mir das ganz gelegen.“

Das ließ sich Basti nicht zwei Mal sagen und scheinbar war auch er ganz versessen darauf mit mir um die Häuser zu ziehen. Also zog ich mich noch um, stylte mich und los ging es. Ich schrieb meinem kleinen Bruder, was er und Miyavi heute so trieben, denn vielleicht konnten wir ja was zusammen unternehmen. Fabi antwortete mit gefühlten hundert Smileys und schrieb nur Underground.

Er fiel mir um den Hals, als wir in dem Club eintrafen. Doch dann kümmerte er sich gleich wieder um Miyavi. In der Sitzecke hockten noch ein Junge und ein Mädel, die sich mir als Timo und Lisa vorstellten. Plötzlich hüpfte das Mädel hysterisch herum.

„Oh mein Gott, du bist doch Fabis Bruder und der Sänger von Nocturna oder?“

Ich lächelte und bejahte ihre Frage mit einem Nicken.

„Jepp, der bin ich. Freut mich, dass wir doch nich mehr so unbekannt sind, wie ich gedacht hab.“

„Ey ich liebe eure Musik. Darf ich euch einen Drink spendieren?“

Basti und ich tauschten Blicke aus und nickten ihr zu.

„Klar. Zwei Bier.“

Jule beehrte uns später auch noch mit ihrer Anwesenheit und ich war gefangen zwischen lauter Paaren, doch das störte mich nicht, denn Basti wich trotz alledem nicht von meiner Seite und wir machten uns wie früher über diverse Menschen auf der Tanzfläche lustig. Auch wenn ich selbst nicht den besten Tänzer abgab, ich verschonte die Clubbesucher wenigstens mit meinen unrhythmischen Bewegungen. Doch manche waren schon mutig. Bei einem Typ, der sich gerade auf dem Dancefloor verausgabte war nicht sicher, ob er wirklich tanzte oder die anderen eher mit seinem Gefuchtel verscheuchen wollte.

Der Alkohol stieg mir viel zu schnell zu Kopf, denn zwischen den Bieren schlich sich hin und wieder ein Tequila. Fabi und ich alberten herum. Er erzählte mir, wie toll es mit Miyavi lief und wie er immer mehr auftaute und sich dem anderen öffnete. Mein bester Freund hingegen war verdächtig still geworden und auf einmal sprang er auf und rannte hinaus. Ich warf meinem Bruder einen entschuldigenden Blick zu und auch Jule zuckte mit den Schultern.

„Ich hab keine Ahnung, was jetzt los war. Vielleicht sollte jemand nach Basti schauen“, flüsterte sie mir zu.

„Isses okay, wenn ich geh?“, fragte ich und sie nickte zur Antwort. Ich drängte mich durch die tanzende Menge und eilte Richtung Ausgang. Basti lehnte an der Wand und blickte auf, als er mich sah.

„Is alles gut bei dir?“

Er zuckte mit den Schultern und zog an seiner Zigarette.

„Weiß nicht. Es passiert schon wieder…mit Fabi kannst du jetzt auch deine Homowitze machen und ich? Sorry, ich steh nun Mal nicht auf Kerle.“

„Oooookay. Das also is dein scheiß Problem? Er is mein Bruder Basti und wir haben uns nur ein bissl unterhalten. Darf ich das jetzt nich mehr? Muss ich mich jetzt rund um dir Uhr um dich kümmern?“

„Müssen tust du gar nichts Lukas…und ja, du hattest Recht, ich bin sauer, dass du einfach weggegangen bist“, bluffte mich Basti jetzt an, doch mir entging auch nicht der Schmerz, der sich hinter seinen Worten verbarg.

„Na schön…ich hab keinen Bock mit dir zu streiten. Dann komm doch ein paar Wochen mit nach Tokio.“

„So einfach stellst du dir das vor? Super!“

Ich ging einen Schritt auf ihn zu und zündete mir ebenfalls eine Zigarette an. Mit einer Hand stütze ich mich an der Wand ab, weil ich etwas schwankte.

„Ja vielleicht stell ich es mir so einfach vor…hast du nen anderen Vorschlag?“

Er zuckte mit den Schultern und verzog seinen Mund zu einem Flunsch. Gerade hatte er was von einem kleinen bockigem Jungen.

„Weiß nicht…nur ob du es willst oder nicht, ich bin das dritte Rad am Wagen. Früher und jetzt auch!“

„Und vor allem sind wir gerade mega betrunken.“

„Ja umso besser. Heißt es nicht so schön, Betrunkene sagen immer die Wahrheit?“

„Komm schon, is das dein ernst? Mag ja sein, aber hör auf dir so ne gequirlte Scheiße einzureden…ja, ich versteh, wenn du sauer bist, weil ich abgehauen bin und ich verstehe, wenn ich mich in den letzten Monaten nich so oft gemeldet hab, aber du warst für mich nie das verfickte dritte Rad am Wagen Basti. Und wenn ich mit Flo, Fabi oder sonst wem meine Homowitze mach…is das echt so schlimm? Mit dir hab ich weitaus mehr Insiderwitze als mit Fabi oder sonst wem. Außerdem will er oft nur ein paar Tipps haben.“

Basti hockte mittlerweile auf dem Boden, wie ein kleines Häufchen Elend. Und dafür, dass es schon Mitte September war, kühlten die Nächte noch immer nicht so ganz ab und es hatte gefühlte 25 Grad.

„Ja, vielleicht isses egoistisch, aber ich will meine Zeit am liebsten nur mit dir verbringen, weil du sonst so verdammt weit weg bist. Und mir isses scheißegal, auf wen du stehst oder mit wem du was redest, aber ich finde ich hab gerade ein größeres Anrecht auf dich.“

Ich zog Basti hoch und schlang meine Arme um ihn.

„Natürlich hast du das Süßer…deshalb machen wir jetzt noch’n bissl Homeparty. Nur der Pool, du und ich.“

„Gibt’s bei dir noch genug zum trinken?“

Ich warf ihm einen empörten Blick zu.

„Diese Frage beantworte ich aus prinzip nich.“

Basti hackte sich bei mir ein und wir erwischten gerade so die heranfahrende S-Bahn.
 

Bei mir angekommen, entledigte ich mich meines Oberteiles, weil es einfach unerträglich schwül war. Meine Schuhe kickte ich in die nächste Ecke und holte eisgekühlten Wodka und zwei Bier. Plötzlich ergriff Basti meine Hand und wir verließen das Grundstück wieder. Nachdem wir ein paar Schritte gegangen waren, ahnte ich, was er vorhatte. Mein Magen zog sich zusammen, doch auch mir war diese Idee schon gekommen. Das Tor quietschte und die kleinen Kieselsteine piekten unter meinen nackten Füßen. Der Friedhof lag im Dunklen und doch kannten wir den Weg. FLORIAN MAY laß ich auf dem Grabstein und die beiden Flaschen fielen ins Gras. Meine Fingernägel gruben sich schmerzhaft in meine Handflächen. Ich ließ mich ins Gras vor Flo und neben Basti sinken. Seine Hand auf meinem Oberschenkel erzielte eine beruhigende Wirkung.

„Wie oft kommst du her?“, fragte ich dann mit erstickter Stimme und trank einen Schluck Wodka.

„So oft ich kann…stell ihm neue Blumen hin…manchmal reden wir auch. Das heißt ich rede, erzähl ihm was so alles passiert ist, seit er nicht mehr da ist.“

In mir kroch die Trauer empor und mir war bewusst, dass ich diesen Moment schon viel lange heraus gezögert hatte Flo mal zu besuchen, doch mir wurde auch klar weshalb. So sehr ich meine düstere Erscheinung und die Gothicszene mochte, mit dem Tod konnte ich nicht umgehen und es war nahezu unvorstellbar, dass mein einst so lebhafter, chaotischer Flo jetzt in der Erde unter uns verweste. Ich biss mir heftig auf die Unterlippe und trank noch einen kräftigen Schluck.

„Auf dich alter Freund“, prostete ich in Richtung Grabstein. Basti schien zu merken, dass mein Stimmungsbarometer gerade in den Keller wanderte und legte seinen Arm um mich. Ich sank an seine Schulter und kämpfte mit den Tränen. Dann hielt ich Basti die Flasche hin und stieg auf Bier um.

„Ich glaub das hätte Flo gefallen…mitten in der Nacht völlig dicht auf dem Friedhof rumhängen.“

Ich lächelte traurig und sank in Bastis Schoß. Griff doch noch einmal nach der Wodkaflasche und schaute zu meinem besten Freund hoch. Dann wand ich den Blick zu Flo und zündete mir eine Zigarette an.

„Ey Floschatz…Basti spinnt, weißte das? Er wollt mir vorhin erzähl’n, dass ich dich lieber hatte…sag ihm mal bitte, dass das völliger Bullshit is…aber ein bisschen Recht hat er…ich bin ein beschissener Freund, bekomm es nich Mal auf die Reihe dich zu besuchen…du fehlst uns ganz furchtbar…aber das weißt du sicher.“

Ich pustete einen Handkuss in die Richtung von Flos Grabstein und erhob mich. Dieses Mal ergriff Bastis Hand und wir traten den Heimweg an.

Etwas melancholisch hockten wir am Pool und der Wodka war bis zur Hälfte geleert. Morgen würde mich ein grauenvoller Kater erwarten.

„Geh’n wir ne Runde schwimmen?“, schlug ich vor.

„Warum nicht.“

Aufgrund der Hitze heute hatte ich auf eine Unterhose verzichtet, zog meine Hose aus und warf sie auf den Liegestuhl. Als ich in den Pool sprang umfing das kühle Wasser meinen Körper wie angenehmer Umhang. Ich tauchte auf und ließ mich auf dem Rücken treiben. Basti tat es mir nach und ich musste grinsen, als ich sah, dass er seine Unterhose noch trug. Nachdem wir ein paar Runden gedreht hatten beschlossen wir noch einen Joint zu rauchen. Oh Mann, der nächste Tag würde richtig übel werden, meldete sich mein Gewissen kurz, doch ich trank noch mehr Wodka und spülte diesen lästigen Gedanken fort. Ich schlüpfte wieder in meine Hose und baute die Wundertüte. Diese Kombination flashte richtig und ich kippte kichernd nach hinten um.

„Geht’s dir gut?“, fragte mich Basti etwas belustigt.

„Immer doch…“

Ich hatte nicht darauf geachtet, wie spät es mittlerweile war, nur die aufgehende Sonne erinnerte mich daran, dass wohl bereits der nächste Tag begann.

„Scheiße es wird schon hell“, bemerkte auch mein bester Freund.

„Willst du mir damit jetzt sagen, dass du mich verlassen musst?“, bemerkte ich gewollt theatralisch. Basti kicherte.

„Spinner…irgendwann muss ich ja mal meinen Rausch ausschlafen. Ich fürchte echt das wird übel, wenn der Alkohol nachlässt.“

„Diesen Gedanken hatte ich heut auch schon ein paar Mal. Aber vielleicht is pennen geh’n gar keine so schlechte Idee.“

Wir lagen uns lange in den Armen.

„Is bei uns wieder alles gut Süßer?“, fragte ich etwas unsicher.

„Ja alles gut…ich hab dich lieb“, erwiderte Basti, ohne sich aus der Umarmung zu lösen.

„Kommst du später noch Mal vorbei?“

„Ich will erst schlafen, aber ich meld mich okay?“

Ich nickte und löste mich endlich. Basti winkte mir noch und beseitigte noch die Spuren unseres Besäufnisses. Danach duschte ich eine halbe Ewigkeit und wollte eigentlich schlafen gehen, da sah ich jemanden die Einfahrt hinauf kommen. Mein Blick auf die Küchenuhr verriet mir, dass es bereits 9 war und diejenige, die da gerade kam entpuppte sich als meine Mum. Ich schlüpfte in meine Hose vom Abend zuvor und warum auch immer kam sie zuerst in meine Wohnung. Warum gewöhnte ich mir auch nicht endlich an abzuschließen. Sie strahlte mich erfreut an, denn seit meiner Ankunft hatten wir uns noch nicht gesehen. Ein kurze Umarmung und ein Kuss auf die Wange folgten. Ich fühlte mich noch immer echt betrunken und fürchtete, dass man meine Alkoholfahne bis 10 Meter gegen den Wind riechen konnte. Auch meiner Mum schien das nicht zu entgehen und sie musterte mich skeptisch.

„Hallo Schatz, schön dich zu sehen. Ich wusste gar nicht, dass du kommen wolltest.“

„Bin auch gestern erst gelandet.“

„Deshalb hat Johanna zum Frühstück eingeladen, sicher wollte sie mich überraschen.“

Bei dem Gedanken Frühstück rebellierte mein Magen heftig.

„Ich fürchte das müsst ihr ohne mich einnehmen…bis vor ner Stunde war Basti noch da und ich sollte bissl Schlaf nachholen.“

„Dann stehst du doch vor heute Abend nicht mehr auf. Ich dachte wir könnten heute noch was unternehmen.“

„Können wir das nich auf morgen verschieben?“

„Na schön…ich werde mich wohl nie dran gewöhnen, dass deine Freunde an erster Stelle stehen“, beschwerte sie sich. Ich verdrehte die Augen.

„Ich bin gestern angekommen okay? Wir haben noch die ganze Woche. Was bist du denn so pissig?“

Leicht erzürnt funkelte sie mich an.

„Ich bin pissig, weil es mein Sohn nicht mal für nötig hält mir zu sagen, dass er zu Besuch kommt!“

Sie betonte extra das Wort pissig, weil es mein Wortlaut war.

„Wie gesagt, ich hätte mich schon noch gemeldet und wie schon gesagt, wir haben die ganze Woche Zeit.“

Ich versuchte ruhig zu bleiben und langsam kroch mir die Müdigkeit in die Knochen, sodass es mir fast unmöglich war noch länger wach zu bleiben. Doch ihr prüfender Blick über meinen Oberkörper ließ mich innehalten.

„Willst du dir eigentlich noch mehr Tattoos stechen lassen?“, fragte meine Mum dann eher vorwurfsvoll als interessiert. Ein stechender Schmerz durchzuckte mich.

„Wage es ja nich…du hast mir damals was versprochen…wage es nich das noch einmal zu zerstören, sonst siehst mich echt nie wieder. Und wenn schon, ich lass mich soviel und sooft tätowieren wie ich Lust hab. Es is mein Körper…“

Sie schluckte ihre nächsten Worte runter und lächelte. Gut so und es machte mich ein bisschen stolz. Ich hatte das Ruder in der Hand und ich wollte um Himmels nicht, dass sie sich ein weiteres Mal von mir abwand, doch sollte sie auch merken, wenn sie dir Grenze überschritt. Naja fast zumindest. Ich gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange.

„Lass uns nen Kompromiss finden, ich schlaf jetzt ein paar Stündchen und koch heut Abend für uns, okay?“

Meine Mum nickte und ich entlockte ihr ein liebevolles Lächeln.

„Okay mein Schatz. Schlaf schön.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nachdem sich Miyavi und Fabi jetzt endlich gefunden haben, gehts noch ein bisschen mit Lukas weiter, bevor das große Finale kommt. Ja und Basti war eigentlich bisher immer der zurückhaltende, aber er hat auch mega Angst seinen Lukas zu verlieren...naja nach der Sache mit Flo verübelt ihm das wohl keiner. Viel Spaß beim lesen ;) Komplett anzeigen

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