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Tanabata 七夕

Das Tagebuch einer Zeitreisenden.
von

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Zweiter Anfang

„Rin?" Ich drehte meinen Kopf zu der männlichen Stimme. „Hallo, Thomas", lächelte ich. Thomas war ein Filialleiter aus Deutschland, der für Sony arbeitete wie ich. „Ich weiß, du hast nach der Arbeit bestimmt viel zu tun. Aber ich habe mich gefragt, ob wir heute Abend zusammen einen Sake trinken gehen?" Thomas nahm kein Blatt vor den Mund, das gefiel mir. „Und nenn' mich doch bitte einfach nur Tom", bot er lächelnd an. „In Ordnung, Tom", antwortete ich ebenfalls mit einem Lächeln. „Also, was sagst du?" Ich blinzelte mehrmals, was deutlich hieß, dass ich verwirrt war. „Dass wir zusammen einen Sake trinken gehen", erinnerte er mich daran und ich wurde rot, dass ich schon nach wenigen Sekunden vergessen hatte, welche Frage er mir doch gestellt hatte. Peinlich! „Ich ... ehm ..." Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, der nur schwer zu schlucken war. Es fühlte sich vielmehr wie ein Felsbrocken an, trocken und staubig, der meine Kehle entlang aufriss. Mein Mund stand halb offen, ich starrte ihn an und versuchte, krampfhaft nach einem Wort zu suchen. Nach welchem wusste ich nicht. Irgendeins, Hauptsache, ich hörte endlich auf, mich so dämlich anzustellen.
 

馬鹿も一芸。

Sogar ein Narr hat eine Fähigkeit.

Japanisches Sprichwort
 

Tom lächelte weiterhin charmant und sah kurz zu Boden, verbeugte sich dabei leicht und sah mir wieder in die Augen. „Ich verstehe. Man hat mir bereits gesagt, dass es sehr schwer sein wird, dir ein Date abzuringen." Plötzlich hörte ich nur noch das Blut in meinen Ohren rauschen. Ich wurde bestimmt hochrot wie eine Chilischote, mein Gesicht glühte förmlich! Noch immer brachte ich keinen einzigen Ton heraus. „Aber ich bin hartnäckig", sagte Tom mit einem ernsten Unterton. Selbst wenn er noch sein charmantes Lächeln auf den Lippen behielt, blitzte etwas in seinen Augen auf. Es jagte mir einen Schauer über den Rücken. Seine ernsten Gesichtszüge und das Blitzen in den Augen kam mir bekannt vor, was mir partout nicht einfallen wollte woher. Ich widmete mich meiner Aufgabe wieder zu und behob einige Fehler aus der Webseite. Ich habe den Bachelor in Web Development mit Summa Cum Laude abgeschlossen. Meine Pflegeeltern sagten, dass das doch keine Zukunft hätte.
 

“Was tust du, wenn Krieg ausbricht? Rin, das ist … das ist doch kein Job mit Zukunft. Studiere was Vernünftiges. Du hast zwar kein perfektes Abitur, aber wir bezahlen dir auch eine private Universität für Medizin oder Jura oder … such dir doch was Vernünftiges!“

Meine Mutter war unglaublich. Stiefmutter. Dachte sie, Jura brachte mir in Kriegszeiten etwas? Selbst Medizin nicht einmal. Der Gegner tötete immer zuerst die Ärzte oder Sanitäter in einem Krieg.

„Oka-san, selbst das wird nichts bringen. Stimmt, ich habe kein gutes Abitur, aber ich will euer Geld nicht rauswerfen für etwas, das mich nicht interessiert. Ich kippe ja schon fast um, wenn ich mein eigenes Blut sehe. Erinnerst du dich noch, als ich mir fast die Fingerkuppe abgeschnitten habe? Wie blass ich war und dass ich meine Beine hochlegen musste, damit ich nicht umkippe?“ Oto-san, mein Stiefvater, lachte. „Lass das Kind doch, Oka-san. Wenn Rin damit glücklich ist, sind wir es auch.“
 

Meine Mutter fürchtete sich davor, mir könne was passieren wie Arbeitslosigkeit. Das ist in unserer japanischen Gesellschaft schlimm. Jedes Jahr begehen viele Selbstmord deshalb. Den Job zu verlieren kommt einer persönlichen Schande gleich. Man hat versagt, man war nicht gut genug, ersetzbar und hat die Familie enttäuscht. Das Gefühl der Ehre hier in Japan ist groß. Wir sind ein stolzes Volk, helfen uns selbst wieder auf die Beine und arbeiten viel für die Zukunft unserer Erben. Es ist schwer, sowas zu beschreiben. Tatsache ist, es ist in keinem Land der Welt leicht, seinen Job zu verlieren. Aus dem Grund tat ich alles, um zumindest einen guten Abschluss an der Uni zu bekommen. Summa Cum Laude ist Latein und bedeutet soviel wie ein Abschluss mit höchster Auszeichnung. Ich war dazu Jahrgangsbeste. Kurz danach bekam ich einen Anruf von Sony: Es war ein Jobangebot von deren Manager. Mein Abschluss wurde in der Zeitung publiziert und bekam daher eine Menge an Aufmerksamkeit. Ich bekam nicht nur ein Jobangebot. Wie auch immer, ich plante sogar, meine Dissertation, also meine Doktorarbeit, zu machen, aber nach meinem Bachelor hätte ich noch zwei weitere Jahre studieren müssen und mir erschien das Angebot von Sony doch so gut, dass ich direkt in das Berufsleben einstieg.

Nun arbeite ich seit gut einem Jahr bei Sony und bislang lief alles hervorragend. Es hatte nämlich zwei Jahre gedauert, damit ich als Kind eingeschult werden konnte. Zwar übersprang ich zwei Klassen, aber alles nachzuholen, nach dem Trauma und meiner Flucht in die Fantasie.
 

„Rin?“, hörte ich meinen Namen leise flüstern. „Sakura.“ Ich lächelte. Sakura war meine Arbeitskollegin mit der ich mich am besten verstand. Eigentlich, so könnte man es auch sagen, war sie meine Freundin. „Warum hast du Thomas nicht geantwortet?“, wollte sie neugierig wissen. Ein Seufzen entglitt meinen Lippen. „Er ist Europäer!“

„Na und?“

„Wie ‚Na und‘? Wenn er zurück nach Deutschland geht, was soll ich dann machen? Mir das Herz brechen lassen?“

„Bist du in ihn verliebt?“

„Nein!“

„Wieso redest du dann vom Brechen deines Herzens?“ Sie kicherte.

„Ach, das war nur so ein Geredet. Falls sich was daraus ergeben würde.“

„Ja, ja, das sagen sie doch alle!“ Sakura lachte leise, indem sie sich die Hand vor den Mund hielt.

„Du kannst doch mit ihm nach Deutschland gehen, Rin.“

Dieser Satz machte mich für einen Augenblick sprachlos. „Ist das wirklich ernstgemeint? Was ist mit meinen Eltern?“

„Die sind alt und bestimmt froh, wenn du einen Mann endlich mal gefunden hast.“

„Soll das heißen, dass ich sonst keinen finde?“

„Oh, doch! Du bist attraktiv, aber du bist blind. Sogar Toshi aus der Abteilungsleitung wirft immer ein Auge zu dir rüber.“

Man sollte sich das nicht bildlich vorstellen. Leider bin ich jemand, der sich genau das bildlich vorstellt. Ich schürzte meine Lippen, um ein Grinsen zu unterdrücken. Sakura kannte mich zu gut und verdrehte die Augen. „Sehr witzig, Rin, wirklich!“

„Glaub mir, wenn er das wirklich tut, laufe ich schreiend weg!“ Ich lachte, konnte es nicht aushalten.

Sakura seufzte. Ihr ernster Gesichtsausdruck verriet, dass sie nicht zum Scherzen aufgelegt war. „Schon gut. Wenn ich ihn nachher sehe, sage ich zu. Was soll schon passieren? Kann ja kaum schaden, Kontakte zu knüpfen.“

Das beruhigte Sakura, die schon seit drei Jahren verheiratet war. Glückspilz! Ich wollte auch schon immer heiraten. Als Teenager mit 13 Jahren erinnerte ich mich nahezu täglich an diesen Mann mit den langen, weißen Haaren, den zwei Streifen auf dem Gesicht, seinem ernsten Gesichtsausdruck und war gar nicht sicher, ob er nicht auch irgendein Tattoo auf der Stirn hatte. Das sah in meiner Erinnerung ganz cool aus. Und ich war sowas von unsterblich in ihn verliebt. Aber so jemanden gab es nicht. Also schlug ich mir diesen Typ einige Jahre später aus dem Kopf. Denn in meiner Fantasie hatte er mich indirekt immer vor allem beschützt und mir sogar das Leben gerettet. Mit einer Halskette. Kindischerweise trug ich diese noch immer. Ich hatte sie nicht einmal abgelegt. Es erschien mir falsch, warum auch immer. Ich wusste nicht, woher ich diese Halskette hatte. Vermutlich ein Erbstück meiner Familie, meiner leiblichen Familie. Das war wohl auch der Grund, warum ich sie nicht ablegen wollte. Nicht während der Dusche, nicht davor und danach, nicht im Schwimmbad, nicht beim Arzt, nirgends. Sakura hatte sich darüber einmal lustig gemacht.
 

17 Uhr. Feierabend. Sony besaß ein riesiges Gebäude. Hier gab es nicht nur einen Umkleideraum, sondern eine ganze Fitness-Etage mit Schwimmbad. Kaum vorzustellen, aber Sony kümmerte sich sehr gut um uns. Kostenlose Snacks, Obst, Getränke, eine günstige Fitnessmitgliedschaft, die wir von Montags bis Sonntags bis 22 Uhr nutzen konnten, dazu tolle und gute Fitnesstrainer. Oh, eine Sauna gab es auch und eine firmeneigene Bar. Kein Wunder, warum kaum einer vor 22 Uhr nach Hause ging, der keine Familie hatte. So jemand wie ich. Es gab auch einen Ruhe-Raum, einen Spieleraum mit Billard und Sony-Konsolen. Diese Art, sich um seine Mitarbeiter zu bemühen, wurde ganz populär, aber noch nicht überall vertreten, außer bei Großfirmen, die sich das leisten konnten und um die besten Mitarbeiter buhlten. Trotzdem war es schön, hier zu arbeiten und auch länger zu bleiben. So machten Überstunden wirklich Spaß! Und wenn ich mich um die Bearbeitung der Social Media Kanäle kümmerte und das Webdesign verbessern und eigene Ideen einbringen sollte und mir fiel nichts ein, konnte ich eine Pause machen, nachdenken, was anderes tun und arbeitete weiter, sobald mir was einfiel, das Problem zu lösen. Alles bezahlt. Unglaublich? Nun, dafür musste ich aber auch eine super Arbeit leisten. Dafür arbeiteten hier nur die Besten. Das war der Nachteil. Nun, eigentlich kein Nachteil, denn es motivierte und spornte an.
 

Da ich Feierabend hatte, entschied ich mich für ein wenig Fitness. Ich wusste, dass Thomas auch hier jeden Tag Fitness betrieb und ich hatte Sakura vorhin gesagt, dass ich mich auf den Sake einlassen würde. In der Umkleide spürte ich, dass mein Herz begann schneller zu klopfen. Ich wurde nervös, nein, ich WAR es schon. Ich hatte bisher noch nie ein Date, auch wenn ich wusste, dass einige Männer an mir interessiert waren. Es fühlte sich nicht richtig an. Noch immer geisterte in meiner Fantasie der Typ rum, den es gar nicht gab.

Es fühlte sich an, als ließe ich alles hinter mir, als verbanne ich ihn aus meiner Erinnerung, sobald ich mich auf ein Date einlassen würde.

Kaum betraten meine Füße den Trainingsbereich, legte mir jemand seine Hand auf die Schulter. „Hey, schön dich zu sehen.“ Thomas. Er war Ausländer, noch nicht ganz vertraut mit den hiesigen Floskeln. Sofort ging ich einen Schritt zur Seite. Es passierte automatisch, ohne, dass ich dagegen etwas hätte tun können. „Verzeih, ich vergaß“, entschuldigte er sich ohne Umschweife und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Unwirrsch winkte ich ab und schüttelte kurz meinen Kopf, sodass meine dunklen Haare zur Seite flogen. „Schon gut. Es dauert, bis man sich an etwas Neues gewöhnt.“ Damit meinte ich auch mich selbst. Nähe war neu für mich. Zumindest in dieser Art. Und die Nähe zu meinem besten Fantasiefreund, in den ich mich später verliebt hatte, zählte nicht.

„Das vorhin sollte keine Drohung gewesen sein“, erklärte er sich. „Also, dass ich hartnäckig bin. Denn ich würde gerne mit dir …“

„Ja, ich will“, sagte ich wie aus der Pistole geschossen. Kaum wurde mir mein Satz bewusst, kniff ich meine Augen schuldbewusst zusammen und verzog den Mund. „Ich meine … ich bin einverstanden, mit dir Sake trinken zu gehen“, korrigierte ich meinen Fehler. Und schon wieder fingen meine Wangen an zu glühen. Meine Ohren pochten, so sehr schoss das Blut durch meine Adern.

Tom lachte. Das machte die Sache nicht angenehmer, schlimmer aber auch nicht.

„Das freut mich, ehrlich. Ich schlage vor, dass wir uns nach dem Training oben in der Bar treffen?“

Ein vortrefflicher Vorschlag, den ich nickend annahm.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Da die persönliche Erzählform neu für mich ist, kommen mir manchmal die Zeiten abhanden. Bitte einfach kurz drauf aufmerksam machen, danke. :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hotepneith
2018-06-19T03:56:35+00:00 19.06.2018 05:56
Eine recht interessante Idee zu einer AU.
 
Soweit ich bemerkt habe, hast du die Ich-Form konsequent durchgehalten, also auch nichts erwähnt, was Rin in idesem Fall, gar nicht wissen kann, ja eine der beliebtesten Fallen  dieses Schreibstils. (Den ich schon darum praktisch nie verwende, übrigens.)
 
Ich würde dich nur bitten zu überlegen, ob nicht der Untertitel schon zuviel von deiner Geschichte verrät und du den entweder weglässt oder umformulierst. Zwei Mal sieben Jahre - da Rin jetzt mit der Schule fertig ist, arbeitet etc. kann es sich also nicht um die sieben Jahre in der Jetzt-Zeit handeln, ist die logische Schlussfolgerung.
 
hotep
Antwort von:  Haraldsdaughter
22.07.2018 15:41
Sorry für meine späte Antwort. Es sind ja insgesamt 14 Jahre ins Land gezogen, wo Rin nun in der Neuzeit lebt und in der Vergangenheit ebenfalls seit 14 Jahren nicht mehr aufgetaucht ist. Die "Zwei mal sieben Jahre" sind aber eine Anspielung auf das Fest, das in Japan jedes Jahr am 7.7 gefeiert wird. Der Hintergrund zu der Feier war der Ansporn des Titels und auch des Untertitels (und mir fiel auch leider kein anderer ein |D).
Falls du Ideen hast, bin ich gern ganz Ohr. :)


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