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An awkward guide how to love if you're slightly German

von

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Ein Ort, um Erinnerungen zu schaffen

Freitag, 14. Oktober
 

Geräuschvoll erhoben sich die Schüler zur Pause und Ludwig sammelte den Test ein, der für heute angesetzt war. Als er die gequälten Gesichter seiner Schüler studierte, seufzte er. Natürlich war Deutsch nicht jedermanns Fach, doch sie mussten sich zusammenreißen, wenn sie gute Noten wollten. Man konnte zwar nicht erwarten, dass die 6. Klässler sich ihrer Lage schon bewusst waren, aber Ludwig hielt sie immer zu Bestleistungen an.
 

Er war erfahren genug um zu sehen, dass bald die Zeit kommen würde, in der sie sich ihrer Lage sehr wohl bewusstwurden und dass sie sich mehr reinhängen würden, aber die Grundkenntnisse mussten bis dahin sitzen.
 

Während auch die letzten Schüler den Klassenraum verließen und Ludwig ebenfalls alles eingepackt hatte, stand ein glücklich grinsender Feliciano in der Tür und winkte ihm aufgeregt zu. »Luddy! Zum Glück hab ich dich noch erwischt!«
 

Ein Knoten bildete sich in Ludwigs Magen. Er war hin und her gerissen zwischen Freude den kleinen Italiener zu sehen und der Furcht, ihm nicht in die Augen sehen zu können. Sein Herz klopfte ihm in der Brust und er versuchte sich nichts davon anmerken zu lassen.
 

Feliciano hatte keine Fragen gestellt, nach seiner eigenartigen Reaktion am Montag und Ludwig hatte mit hämmerndem Herzen das Anwesenheitssystem und die Notendokumentation am Computer erklärt. Es war ihm schwergefallen, doch er hatte unglaubliche Disziplin bewiesen.
 

»Luddy~, lass uns die Mittagspause gemeinsam verbringen. Du bist immer so beschäftigt, aber du musst auch mal eine Siesta halten, sonst überarbeitest du dich noch.«
 

»Ich muss noch einige Dinge erledigen, bevor ich überhaupt an eine Pause denken kann«, widersprach Ludwig und winkte ab. Er wusste zwar, dass er Feliciano damit nicht loswurde, aber er wollte nicht sofort alle Register ziehen.
 

»Du hast doch danach auch eine Vorbereitungsstunde, oder?« Feliciano verengte die Augen zu Schlitzen und ließ sich am Pult neben Ludwig nieder. Der nicht existente Abstand zwischen sorgte dafür, dass sich Ludwig seine schweißnassen Finger an der dunklen Stoffhose abwischen musste.
 

»Feliciano, ich…« Eigentlich wollte er ihm entgegnen, dass er lieber seine Arbeit anständig verrichtete, als sich auf eine Ruhepause zu besinnen, bevor irgendetwas drohte liegen zu bleiben, aber das hätte womöglich nur darin resultiert, dass Feliciano ihn weiter angebettelt hätte.
 

Ergeben seufzte er. Vielleicht würde er endlich aufgeben, wenn er seinen Willen bekam? Ludwig bezweifelte es stark, aber einen Versuch war es wert. Er konnte keinen Streit vom Zaun brechen.
 

»Meinetwegen…«
 

Feliciano machte große Augen und ein breites Grinsen zierte sein schmales Gesicht. »Splendido! Ich hab einen schönen Ort gefunden, an dem wir unsere Pause verbringen können.«
 

Ludwig hob überrascht eine Augenbraue und taxierte den fröhlichen jungen Mann. »Wohin geht es?«
 

»Es ist ein Geheimnis«, murmelte Feliciano und lehnte seinen Zeigefinger gegen seine Lippen. »Du wirst schon sehen, wenn wir da sind.«
 

Ludwig schluckte bei dem Anblick des glücklich vor sich hin kichernden Mannes, der seine Hand nahm und ihn sanft aber bestimmt auf die Beine zerrte.
 

Nachdem er ordnungsgemäß den Klassenraum abgeschlossen hatte, folgte er Feliciano, der fröhlich vor sich hin summte in den zweiten Stock des Hauptgebäudes, bevor sie vor einer unscheinbaren Tür stehen blieben.
 

Ludwig war noch nie in diesem Teil des Gebäudes gewesen, er arbeitete schon einige Jahre hier, aber Feliciano schien sehr viel experimentierfreudiger zu sein. Ohne jeden Zweifel. Woher Feliciano den Schlüssel für diesen Raum hatte, der nicht zum Unterrichten gedacht war, wusste er selber nicht.
 

Während Feliciano mit dem Schloss beschäftigt war, ließ Ludwig seinen Blick aus dem Fenster im Flur schweifen und beobachtete einige Schüler, wie sie über den großen Schulhof schlenderten. Andere spielten auf dem Feld Basketball und wieder andere hatten es sich in der kalten Oktobersonne auf der Wiese gemütlich gemacht und starrten in den Himmel, während sie sich unterhielten.
 

»Ludwig?« Felicianos Stimme holte ihn zurück in die Realität und die Tür stand einen Spalt breit offen. »Komm mit, ich will dir was zeigen…« Mit seiner Lunchbox unter dem Arm geklemmt, ging der Italiener vor und tastete an der Wand nach einem Lichtschalter. »Ve, hier war doch…. Ah, …« Helles Licht durchflutete den Raum und Ludwig brauchte einen Moment, sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen, nachdem sie einen Augenblick im Dunkeln gestanden hatten.
 

Vor ihnen war ein kleiner Raum, der mit einem Tisch, einigen alten Holzregalen und einer Flipchart neben dem Fenster ausgestattet war. Der Raum war minimal breiter als die Flure und auch in der Länge nicht viel größer als die Klassenräume. Vor dem einzigen Fenster hing ein dicker, lichtundurchlässiger Vorhang, den Feliciano mit größter Mühe zur Seite schieben wollte. Ludwig ging ihm zur Hand und zog ihn deutlich erfolgreicher auf, sodass Sonnenlicht in das Zimmer schien.
 

Einzelne Staubflocken tanzten in der Luft und Feliciano schaltete das Licht aus. »So… da wären wir. Ein bisschen staubig, aber ansonsten ist dieser Ort perfekt. Man kann von hier aus das Schloss am Hang sehen… ich werde beim nächsten Mal die Staffelei mitbringen und hier zeichnen.«
 

Ludwig räusperte sich leise. »Dürfen wir überhaupt hier sein? Der Raum wirkt zwar unbenutzt aber…«
 

»Keine Sorge, dieser Raum war wohl einst der Raum der Streitschlichter, aber die haben ihr Revier ja nun im Nebenzimmer des Rektors im Erdgeschoss. Offenbar wollten sich die Leute nicht hier hoch schleppen, um zu streiten.« Feliciano grinste. »Er ist frei und ich habe einen ruhigen Ort zum Malen gesucht.«
 

»Ich kann mir kaum vorstellen, dass Mr. Jones davon erfreut ist…«, zweifelte Ludwig.
 

»Oh, keine Sorge. Ich habe ihn persönlich um Erlaubnis gebeten und solange keine der Clubs Anspruch anmeldet, kann ich hier schalten und walten, wie mir beliebt. Er hat mir sogar den Schlüssel überlassen.« Feliciano hob wie zum Beweis den kleinen Schlüsselring in die Höhe und ließ ihn in seiner Anzugtasche verschwinden.
 

»Oh, na dann ist ja alles in Ordnung.« Ludwig entspannte sich sichtlich und er ließ seine Finger über den Tisch gleiten. »Aber bevor wir hier essen können, müssen wir ein wenig aufräumen, meinst du nicht auch?«
 

Feliciano nickte zustimmend. »Dort im Wandschrank sind einige Utensilien und ich habe auch Tücher mitgebracht.« Erst jetzt bemerkte Ludwig die schmale Umhängetasche, die Feliciano bei sich trug und auf dem Fenstersims ablegte, aus der er einige Stofflappen hervorkramte.
 

Positiv überrascht konnte sich auch Ludwig ein Lächeln nicht verkneifen, während er einen Putzeimer, einen Besen und einen Staubwedel aus dem Schrank holte.
 

Feliciano öffnete das Fenster und ließ die frische Luft in den Raum, während Ludwig am Waschbecken hinter der Tür den Eimer füllte. Der kleine Italiener begann sogleich, mit dem Staubwedel überall entlang zu wischen, was darin endete, dass die Luft von Staub erfüllt war und er sich wie ein Nebelschleier um sie herum manifestierte.
 

Ludwig seufzte. Immer wenn er glaubte, dass sich Feliciano wie ein verantwortungsvoller Erwachsener verhielt, geschahen Dinge wie diese und er konnte nicht anders, als sich mit der flachen Hand vor die Stirn zu schlagen. Diesmal begleitet von einem nach Frischluft schnappendem Röcheln, packte er Feliciano bei den Schultern und schüttelte ihn leicht. »Du Dummkopf, was machst du denn da!«
 

»Ve«, machte der Italiener nur und starrte Ludwig aus seinen großen bernsteinfarbenen Augen an, während er ebenfalls hustete. »Tut mir leid, Luddy! Ich hätte nicht gedacht, dass es so dramatisch wird.«
 

Ludwig – zum Glück geistesgegenwärtig – schob die Tür auf und öffnete auch ein Fenster auf dem Flur, um frische Luft in den kleinen Raum zu lassen. »Du solltest wirklich darüber nachdenken, bevor du etwas tust.«
 

Feliciano nickte schuldbewusst und forderte eine Umarmung ein, dessen Grund sich Ludwig jeder Logik entzog, aber da dies die letzten Tage ohnehin gang und gäbe gewesen war, versuchte er gar nicht erst, den Italiener fortzuschieben.
 

»Bist du mir nun böse, Luddy? Ich wollte nur ein bisschen helfen, immerhin soll dieser Raum auch für dich so schön werden. Ich will, dass du gerne herkommst und mit mir zu Mittag isst und wir ganz viel Pasta essen können, wenn du magst.« Felicianos Augen waren groß und starrten an Ludwig hoch, eine Körperhaltung, die seinen Beschützerinstinkt weckte; sofort wandte er seinen Blick ab und eine verlegene Röte stahl sich auf seine Wangen.
 

»Wegen so einer Kleinigkeit werde ich dir nicht böse sein, aber du solltest wirklich nachdenken, bevor du irgendetwas tust, das andere in Schwierigkeiten bringen könnte«, tadelte Ludwig ihn und strich ihm sanft über das Haar.
 

»Ehehe«, kicherte Feliciano und vergrub sein Gesicht an Ludwigs Brust.
 

Eigentlich wollte Ludwig ihn von sich schieben, weil er Angst hatte, dass der Italiener sein pochendes Herz in der Brust klopfen hörte, was ihn und seine unberechenbaren Gefühle verraten würden, doch stattdessen legte er seinen Kopf auf dem des Italieners ab und schlang seine Arme um ihn. Der Duft, den Feliciano versprühte, machte ihn halb benommen und ließ seine Hemmungen langsam aber sicher entweichen.
 

Feliciano summte an seiner Brust und Ludwigs Herz machte einen weiteren Satz. Er konnte sein Glück kaum fassen, dass es ihm irgendwie erlaubt war, so nah am Objekt seiner Begierde zu sein, ohne dass es ansatzweise merkwürdig war. Es war Ewigkeiten her gewesen, seit er jemandem so nah gekommen war.
 

War das, was er in diesem Moment fühlte tatsächlich pures Glück? Konnte eine Umarmung etwas Derartiges bewerkstelligen? Ludwig war sich nicht sicher, aber wenn er nur ein kleines bisschen länger so fühlen durfte wie in diesem Augenblick…
 

Ein schockiertes Quieken ließ Ludwig erschrocken zusammenfahren und noch während er dabei war, die Situation zu überblicken und sich nach der Geräuschquelle umzudrehen, stieß er mit seinem linken Arm den halb gefüllten Eimer mit Wasser vom Tisch. Es gab einen lauten Knall und die lauwarme Flüssigkeit ergoss sich über ihn, Feliciano und noch viel wichtiger: über seine Arbeitstasche, in der die frisch geschriebenen Tests der Schüler auf ihre Berichtigung warteten.



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