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Was sonst noch passiert ist
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Eine böse Überraschung

Kapitel 20
 

Eine böse Überraschung
 

Es vergingen Tage, dann Wochen, ohne dass Selena zurückkehrte. Erst dachte ich mir nichts dabei, doch als sie selbst nach drei Wochen nicht auftauchte, begann ich mir Sorgen zu machen. Sie hatte von Tagen gesprochen. Hätte ich sie nur nicht gehen lassen. Ich wusste nicht einmal, wohin sie hatte gehen wollen.

Nach einer weiteren Woche, der September war angebrochen, ging ich zu ihrer Unterkunft, doch sie öffnete nicht. Der Mann, der die Wohnung vermietete, hatte sie seit ihrer Abreise nicht mehr gesehen. Und er ärgerte sich, da sie mit der Miete im Rückstand war. Er sagte mir auch, dass bis vor kurzem noch jemand für sie gezahlt hatte, doch die letzte Zahlung war ausgeblieben.

Wieder ein Rätsel, sie betreffend. Wer sollte für sie die Miete zahlen? In der Hoffnung, Monro habe sie auf Reisen geschickt, ging ich zu ihm. Er war bei seinem Stützpunkt und wie üblich fühlte ich mich hier alles andere als wohl. Bis vor ein paar Monaten, hatte ich die britischen Soldaten noch als Feinde angesehen. Nun konnte ich hier ungehindert ein und ausgehen.

Auch der Colonel hatte keine Ahnung, wohin Selena verschwunden war. Schlimmer noch. Seine Miene zeigte leichte Enttäuschung. „Ich hatte die Hoffnung, ihr würdet dafür sorgen, dass sie nicht noch einmal geht.“

„Es klang so, als habe sie einen Auftrag erhalten. Daher dachte ich, ihr wüsstet davon.“ Ich bekam ein leicht schlechtes Gewissen. Er hatte mir aufgetragen sie zu beobachten und ich verlor sie aus den Augen.

„Wie es aussieht, hat sie euch getäuscht. Wie lange ist sie nun schon fort?“

Kurz dachte ich nach. „Seit etwas mehr als einem Monat. Erst dachte ich, sie würde sich nur verspäten. Jetzt glaube ich eher, ihr ist etwas zugestoßen.“

„Davon würde ich nicht ausgehen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah in die Ferne. „Vor einiger Zeit ist sie für mehr als ein Jahr spurlos verschwunden. Damals hielt ich sie für tot. Aus gutem Grund, denn es gab Gerüchte darüber.“

Ich nickte, denn auch ich hatte sie für tot gehalten. Bis sie an meinem Krankenbett wieder aufgetaucht war. „Und sie hat euch nicht gesagt wo sie in dieser Zeit gewesen ist?“

„Nein. Ich weiß nur, dass sie nach jemanden suchen wollte und um dies ungestört erledigen zu können, ließ sie das Gerücht von ihrem Ableben verbreiten.“ Dann hatte sie ihn also ebenfalls getäuscht, oder täuschen lassen. Für mich bedeutete es, dass ich mich nicht darauf verlassen konnte, dass sie mir die Wahrheit erzählte. Als ob ich es je gekonnt hätte.

Da ich noch immer nicht wusste, wohin sie verschwunden sein konnte, blieb mir nur noch eine Möglichkeit. Ihre Unterkunft. Vielleicht gab es dort Hinweise auf ihren Verbleib. Natürlich konnte ich nicht einfach so dort hinein. Außer natürlich ihr Vermieter ließ mich in die Wohnung. Hatte der einen Zweitschlüssel? Wie sollte ich erklären, dass ich in die Wohnung musste?

Abends versuchte ich mir einen Plan zurecht zu legen, doch es wollte sich einfach keine vernünftige Lösung finden. Selbst Gist hatte keinen Vorschlag zu machen, als er vorbeikam und ich ihm davon erzählte.

„Was erhofft ihr euch von einer Durchsuchung ihrer Sachen?“ Er nahm die kleine Schachtel in die Hand, die wir aus dem Grab mitgenommen hatten und ließ die Finger darüber gleiten. „Glaubt ihr wirklich, sie lässt etwas liegen, dass sie verraten könnte?“ Fragend sah er mich an und legte die Schachtel zurück.

„Einen Versuch ist es wert. Außerdem klingt es so, als würde der Hausbesitzer sie in den nächsten Tagen aus der Wohnung werfen. Sie ist mit der Miete im Rückstand. Irgendwer hat bis vor kurzem für sie gezahlt. Ihr wisst nicht vielleicht wer?“

„Nein“, gab er trocken zurück. „Aber es ist seltsam. Warum sollte jemand für sie Geld ausgeben?“ Genau das hatte ich mich auch gefragt. Und auch, warum diese Person es nun nicht mehr tat. War es wegen ihrer Abwesenheit oder war etwas Unvorhergesehenes passiert?

Am nächsten Tag ging ich noch einmal zu der Wohnung und sah an der Fassade hoch. Die Fensterläden waren geschlossen und kein Einsteigen möglich. Das Türschloss würde mich vor ein Problem stellen, zumal die Tür direkt an die Straße grenzte. Es war einfach unwahrscheinlich, dass es niemand bemerkte, wenn ich versuchte, es aufzubrechen. Tagsüber würde ich nicht unbemerkt einsteigen können. Außer ich legte es darauf an gesehen zu werden. Gerade wollte ich Anlauf nehmen, um die Tür einzutreten, da kam der Hausbesitzer um die Ecke. „Ihr schon wieder.“ Er wirkte ein wenig genervt. „Sie ist noch immer nicht zurück.“

„Sie ist im Mietrückstand?“ fragte ich, nur um wirklich sicher zu gehen, dass sich an dieser Situation nichts geändert hatte.

„Das ist sie. Seit einer Woche.“

„Würdet ihr lieber jemand anderen hier wohnen lassen? Jemanden, der pünktlich zahlt?“

„Wer würde das nicht? Es gibt genug Leute, die her wohnen wollen. Aber es lässt sich nicht ändern. Ich kann sie schlecht auf die Straße setzen, wenn sie nicht da ist. Dadurch bekomme ich mein Geld auch nicht.“

„Habt ihr einen Schlüssel für die Wohnung?“ Denn dann musste ich nicht zu drastischen Maßnahmen greifen.

„Natürlich nicht. Den habe ich Miss Berg gegeben. Ich habe keinen Ersatzschlüssel.“

„Ich komme für den Schaden auf“, sagte ich und trat die Tür ein. Das Material gab erstaunlich leicht nach und die Tür krachte an die Wand.

„Was zum...“ doch ich ließ den Mann stehen und betrat den schmalen Hausflur, der zu einer ebenso schmalen und recht steilen Treppe führte. Bei jedem zweiten Schritt fürchtete ich, sie könnte zusammenbrechen, so sehr knarrte sie unter meinen Füßen. „Das ist Einbruch,“ rief mir der Besitzer nach, doch noch immer achtete ich nicht auf ihn.

Oben angelangt, sah ich mich um. Durch die geschlossenen Fensterläden kam kaum Licht herein und so ging ich durch das Zimmer, um das Fenster und dann die Läden zu öffnen. Was ich dann sah, überraschte mich. Die Wohnung, oder eher das Zimmer, war wirklich klein. Ein schmaler Schrank, ein kleiner Ofen und ein ungemachtes Bett. Dazu eine Waschecke und eine Leine, die sich durchs halbe Zimmer spannte, auf der man Kleider trocknen konnte. Nahe am Fenster stand ein Tisch mit Stuhl und dort lagen Blätter, Bücher, Briefe und Schreibutensilien, sowie Nähmaterial. Auf dem Boden, um den Tisch herum, lagen zerknüllte Blätter. Über der Stuhllehne hing ein Rock, an der Leine Socken und eine Bluse. Es wirkte so, als wäre hier vor kurzem noch jemand gewesen und es war unordentlich.

Ich hob eines der Blätter auf und strich es glatt. Was auch immer darauf stand, ich konnte es nicht lesen. Nicht nur die Sprache kannte ich nicht, auch die Schrift war in meinen Augen unleserlich. Hatte Liam, der damals in ihr Notizbuch gesehen hatte, nicht das selbe Problem gehabt und nicht lesen können, was dort geschrieben stand?

„Ich rufe die Wachen, wenn ihr nicht augenblicklich verschwindet“, begann der Mann von neuem und ich wandte mich ihm zu.

„Das ist nicht nötig. Ich sagte schon, ich komme für den Schaden auf. Und ich zahle den Mietrückstand.“ Den würde ich ihr vom Lohn abziehen. „Ihr könnt euch nach einem neuen Mieter umsehen. Miss Berg zieht heute aus. Sollte sie in den nächsten Tagen hier auftauchen, könnt ihr ihr mitteilen, dass ihre Habe bei mir ist.“ Im Fort konnte ich mir in aller Ruhe ansehen, was sie hier zurückgelassen hatte.

Der Mann begann vor sich ihn zu stammeln und ich trat einen Schritt auf ihn zu. „Macht euch keine Sorgen. Ich werde gut auf all das hier aufpassen“, und ich machte eine Geste ihre Dinge umfassend.

Noch einmal sah er mich unsicher an, doch als ich ihm ein paar Münzen in die Hand drückte, hellte sich seine Miene auf. Ich schickte einen Boten zu Gist und nutzte die Zeit, bis zu seinem Eintreffen, um mich weiter umzusehen und schon die ersten Dinge zusammenzuräumen. Ich begann damit die zerknüllten Blätter vom Boden aufzulesen und strich sie nacheinander glatt. Auch wenn sie die hatte wegwerfen wollen, für mich konnten sich dort Informationen befinden. Jedenfalls, wenn ich herausfand, welche Sprache es war.

Es waren allerdings nicht nur beschriebene Blätter, sondern auch durchgestrichene Zeichnungen. Waren die wirklich von ihr? Einige sahen so aus, als wären sie aus einem Buch heraus gerissen worden und ich sah zu dem kleinen Stapel an Büchern auf dem Tisch. Darum würde ich mich später kümmern, wenn ihre Sachen bei mir untergebracht waren. Nun schob ich nur alles zusammen, was noch auf dem Tisch war, und nahm die Wäsche von der Leine.

Gerade als ich den Kleiderschrank öffnete, hörte ich Schritte auf der Treppe. Am schweren Gang erkannte ich Gist und sah nicht auf. Mich beschäftigte etwas ganz Anderes. Im Schrank befand sich eine überschaubare Anzahl an Kleidungsstücken. An einem Kleiderbügel hing der Waffengurt samt Rapier. Dann hatte sie es also nicht verkauft. Doch da war noch etwas und ich griff danach, gerade als Gist den Raum betrat.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ihr wirklich hier einbrecht“, sagte er und kam zu mir rüber. Ich sah ihn nicht an, sondern starrte auf die Jacke, die ich gerade aus dem Schrank geholt hatte. Die Jacke eines Assassinen.

„Was ist das?“ fragte Gist und ich strich über den groben, grauen Stoff. Es gab keinen Zweifel. Das hier war meine alte Jacke. Wie kam die hier her? Warum hatte Selena meine Jacke in ihrem Schrank hängen? Hatten die Finnegans mir nicht gesagt, sie wäre nicht mehr zu retten gewesen? Ich erkannte die Stelle, an der Liams Kugel eingeschlagen war. Sorgsam war das Blut ausgewaschen und das Loch zugenäht worden. Auch andere Flecken, von früher, waren verschwunden. Gut, sie war nicht wie neu, aber doch tragbar.

„Ich glaube, da ist mir jemand eine Erklärung schuldig“, sagte ich leise, nahm die Jacke vom Bügel und warf sie aufs Bett. Dann sah ich zu Gist. „Die gehört mir. Ich wüsste zu gerne, wie sie hier her gekommen ist. Aber das wird sie mir sicher erzählen, wenn sie zurück kommt.“

„Glaubt ihr?“ Er klang ungläubig, doch ich nickte.

„Sie wird keine andere Wahl haben.“ Denn ich würde ihr keine Wahl lassen. Ihre kleinen persönlichen Geheimnisse konnte sie gerne behalten. Auch was ihre seltsame Vergangenheit anging, über die sie nicht sprechen wollte. Das hier war etwas, was mich persönlich betraf und ich hatte ein recht auf die Wahrheit.

Dann räumte ich den Schrank aus und legte alles weitere aufs Bett. „Die Sachen nehmen wir mit. Zu zweit dürfte es gehen, alles zu tragen.“ Denn so viel hatte sie wirklich nicht hier gelassen. Ihre Bücher und die beschriebenen Blätter wickelte ich in einen Rock ein, damit nichts wegwehen konnte. Gist drückte ich ein paar Kleidungsstücke in die Hände, den Rest nahm ich an mich.

Bevor wir gingen, sah ich mich noch nach möglichen Verstecken um, hob Kissen und Matratze an und sah auf den Schrank. Nichts. „Gehen wir. Hier sind wir fertig.“



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