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Grauzone

Was sonst noch passiert ist
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Zwiespalt

Kapitel 22
 

Zwiespalt
 

Die Tage vergingen und langsam wurde es kälter. Da ich weder von Monro noch von sonst jemandem etwas hörte, beschäftigte ich mich hauptsächlich mit dem Durchstöbern der restlichen Nebengebäude und kleineren Reparaturen. Auch trainierte ich häufiger als sonst an den Strohpuppen oder aber übte mich im Klettern.

Oftmals hatte ich das Gefühl, dabei beobachtet zu werden und einmal, als ich rasch über die Schulter blickte, entdeckte ich Selena an einem Fenster, wie sie mir beim Klettern zusah. Abends sprach ich sie darauf an und sie wurde ein wenig rot. „Ich bewundere es nur. Es gehört einiges dazu, sich an einer Wand hochziehen zu können.“ Dann sah sie zu Boden und ich lächelte.

„Hauptsächlich ist es Kraft, aber ihr habt schon recht. Man muss sehen können, wo die Hände und Füße Halt finden. Wollt ihr es versuchen?“ Ich wusste selber nicht, warum ich es ihr anbot, doch nun hatte ich es getan und sie nahm das Angebot an.

Schon am nächsten Tag versuchte ich ihr das Klettern beizubringen. Schnell zeigte sich, dass sie durchaus die nötige Kraft besaß. Ihr mangelte es nur an Selbstvertrauen. Auch erkannte sie die Spalten oftmals nicht, in die man die Finger schieben konnte, um Halt zu finden. Sicherheitshalber ließ ich sie nicht hoch klettern. Sie sollte sich lieber nur an der Mauer entlang tasten. Ich blieb dicht bei ihr und beobachtete genau ihre Bewegungen, um sie verbessern zu können. So verging der November und sie lernte rasch dazu.

Als es auf den Dezember zuging und die Steine oftmals nass und rutschig waren, brach ich die Kletterübungen ab. Unser Kampftraining verlegte ich auf einen Raum im Erdgeschoss, der leer stand. Es stellten sich leichte Verbesserungen ein. Vor allem, da ich das Hauptaugenmerk auf Verteidigung und nicht auf Angriff legte. Ich bezweifelte, dass sie, außer in einer wirklichen Notsituation, je einen anderen Menschen töten würde. Das auf der Morrigan war ein Unfall gewesen, der sie völlig aus der Bahn geworfen hatte.

Obwohl ich das Gefühl hatte, dass es ihr hier in meiner Nähe gefiel, entging mir nicht die leichte Veränderung in ihrer Miene, je näher wir dem Ende des Jahres kamen. Nur selten verließ sie das Haus und wenn sie zurückkehrte, lag dieser besorgte Ausdruck auf ihren Zügen, den ich schon vor ein paar Monaten bemerkt hatte. Kurz vor ihrem Verschwinden. Ich ahnte, dass sie bald erneut aufbrechen würde.

Wir saßen nun häufiger abends beisammen. Immerhin war es in meinen Räumen warm, im Gegensatz zu ihrer Kammer. Ab und an schrieb sie in ihre Notizbücher oder blätterte darin. Dann wieder saß sie am Kamin und machte sich mit Nadel und Faden über meine Kleider her. Nähte ausbessern, Risse flicken, Löcher stopfen. Dafür hatte sie wirklich ein Talent.

Mitte Dezember bestätigte sich dann meine Vermutung. Sie saß erneut am Kamin, dieses Mal mit ihren Stricknadeln, als sie sich mit ruhiger Stimme an mich wandte. „Ich werde morgen abreisen.“ Sie sagte es, als handle es sich um eine Nebensächlichkeit, doch in meinem Innern zog es sich zusammen. Ich wollte nicht, dass sie ging.

„Ihr wollt gehen?“ Es ließ sich nicht verhindern, dass meine Stimme zeigte, wie sehr mich diese Worte trafen.

„Es lässt sich leider nicht länger aufschieben.“ Das verstand ich nicht. Warum sollte es nicht warten können? Sie hatte keinerlei Briefe bekommen, weder von Monro noch von sonst irgend wem. Zumindest hatte ich nichts davon mitbekommen.

„Wohin werdet ihr gehen?“ Denn wenn es wieder nach Philadelphia ging, würde ich sie begleiten. Diese Tante von ihr wollte ich mir ansehen und Selena auf dem Weg ein wenig Begleitschutz geben. Zu dieser Jahreszeit war es auf den Straßen gefährlich. Nicht nur Banditen trieben sich hier herum. Auch Wölfe und andere Raubtiere gab es dort draußen und eine einzelne Person, die zu Fuß unterwegs war, war für sie eine leichte Beute.

„Nach Hause“, war alles was sie sagte und ich starrte sie an. Hatte sie nicht gesagt, dass sie nicht zurück in die Heimat wollte? Warum dann ausgerechnet jetzt ein solcher Sinneswandel? Dabei hatte ich gedacht, dass sie sich hier wirklich wohl fühlte und bleiben wollte.

„Ihr wollt zurück nach Europa?“ fragte ich, nur um sicher zu gehen, sie nicht falsch verstanden zu haben.

Sie nickte und senkte den Blick. „Ich muss wissen, ob es der Familie gut geht.“

„Dann schreibt einen Brief und fragt.“ Es wäre um so vieles einfacher und auch sicherer für sie. Auf einer so langen Fahrt konnte viel passieren.

„Es ist besser, wenn ich für ein paar Tage dorthin zurück gehe.“

„Es ist gefährlich dort draußen. Besonders zu dieser Jahreszeit.“ Stürme, Eis und was am Schlimmsten war: Aus den kleinen Kämpfen zwischen Briten und Franzosen, war ein handfester Krieg geworden. Krieg machte auch vor Handelsschiffen nicht halt. „Wartet bis zum Frühjahr.“ Denn vielleicht überlegte sie es sich dann noch einmal und blieb.

„Das kann ich nicht. Ich bin schon viel zu lange hier, auch wenn es mir hier besser gefällt als dort.“ Sie sah auf und ich erkannte, dass es sinnlos war. Sie hatte ihre Entscheidung längst getroffen und nichts, dass ich sagte, würde sie hier halten können. „Es ist meine Familie.“

Eine Familie über die sie nicht sprach und von der ich nicht mehr wusste, als ein paar Kleinigkeiten. Nur bei unserer ersten Fahrt hatte sie mir ein paar Informationen gegeben. Danach hatte sie eisern geschwiegen. „Wie lange werdet ihr fort sein?“ Denn je nach Wetterlage konnte eine Fahrt vier bis sechs Wochen dauern, auch abhängig vom Schiffstyp.

Kurz schwieg sie. „Ein paar Monate wird es wohl in Anspruch nehmen.“ Natürlich. Hin und zurück. Wenn sie dann noch für ein paar Wochen blieb... Ich legte das Buch zur Seite, in dem ich gelesen hatte, und ging zu ihr.

„Mir gefällt der Gedanke nicht, dass ihr nach Europa fahrt. Es sind schwere Zeiten.“ Versuchte ich es noch einmal und ließ mich in dem Sessel, ihr gegenüber, nieder. „Geht nicht. Bitte.“ Ich wusste nicht warum, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie so schnell nicht zurück kommen würde.

„Es tut mir leid, aber es muss sein.“ Vorsichtig legte sie mir eine Hand auf den Arm. Obwohl sie mich schon häufiger berührt hatte, immerhin hatte sie mich oft genug verbunden, löste die Hand nun einen wohligen Schauer in mir aus. „Aber ich verspreche euch, dass ich wieder kommen werde. Und ich werde auf mich aufpassen, mich nicht in Gefahr begeben und meine Zunge hüten.“

Als ob sie das könnte. Ich sah auf die Hand, die auf meinem Arm lag und verspürte den Drang meine auf die ihre zu legen. Es war seltsam, doch seit sie hier wohnte, waren meine Gefühle für sie stärker geworden. Sie war schon lange kein einfaches Dienstmädchen mehr, falls sie es denn je gewesen war. Ich begann sie zu vermissen, wenn ich mit Gist unterwegs war und sie hier blieb.

Gerade als ich meine Hand hob um ihre zu nehmen, zog sie sie zurück. Ein Hauch von Enttäuschung keimte in mir auf, verschwand aber rasch wieder. Zwischen uns gab es wohl doch keine Romantik, auch wenn es schade war.

Früh am nächsten Morgen brach sie auf. Ich hatte sie ein Stück begleiten wollen, doch sie lehnte ab. „Ihr habt anderes zu tun, als mir Begleitschutz zu geben“, war alles was sie dazu sagte und zog das Band ihres Rucksacks zu. Einen Moment wirkte sie so, als wollte sie mir noch etwas sagen und ihre Hand zuckte leicht in meine Richtung. Doch schon senkte sie den Blick und warf sich die Tasche über die Schulter.

Es wurde gerade hell als sie das Haus verließ und ich sah ihr hinterher. Am Torbogen wandte sie sich noch einmal zu mir um und hob die Hand. Dann verschwand sie aus meinem Blickfeld. Ob sie wirklich zurückkehrte? Nun, sie hatte es versprochen, doch was hieß das schon? Es konnte so viel passieren auf ihrer Reise. Ich wusste nicht einmal von wo genau sie aufbrechen wollte. Aus irgend einem Grund hatte ich vergessen, sie danach zu fragen.

Seltsam, dass ich sie nicht einmal bis zum Hafen oder einem der Ställe begleiten sollte. Verließ sie wirklich New York oder war das alles nur eine Ausrede? Wie von selbst setzen sich meine Füße in Bewegung. Nein, sie sollte nicht gehen. Sie sollte mich nicht hier alleine lassen, doch als ich den Durchgang erreichte und den Blick von einer Seite zur anderen wandte, in der Hoffnung sie zu entdecken, war von ihr nichts mehr zu sehen.

Kutschen, Fußgänger, Reiter... Die Stadt war schon lange wach und selbst hier, so dicht am alten Fort, waren zu dieser Stunde Menschen unterwegs. Um Selena jetzt noch ausfindig zu machen müsste ich mir einen Aussichtspunkt suchen. Kalter Wind blies mir entgegen und ich fröstelte. Ich hatte vergessen, mir eine Jacke überzuziehen. Wenn ich hier noch lange stand, würde ich nur krank werden und es war niemand da, der sich dann um mich kümmerte. Selena war fort.

Drei Tage später saß ich mit Monro, Gist und Johnson in einem Pub und starrte auf den Krug vor mir. „Sie ist also erneut abgereist?“ fragte Monro und sah mich forschend an. Dass ich sie erneut aus den Augen verloren hatte schien ihn wirklich zu stören.

„Ich habe versucht sie zum Bleiben zu überreden, aber sie wollte nicht. Sie meinte, sie müsse zurück in ihre Heimat.“ So hatte sie es zwar nicht ausgedrückt, aber im Grunde war es das Selbe. Ob nun Heimat, oder zu Hause, wo war da schon der Unterschied? „Und sie hat mir versichert in ein paar Monaten wieder zurück zu kommen.“ Woher sie das nötige Geld dafür nehmen wollte wusste ich allerdings nicht.

„Hat sie euch gesagt was sie dort will?“ fragte Johnson und nahm einen Schluck Alé. Auch er schien wirklich daran interessiert zu sein, wohin sie verschwand, wenn sie nicht hier war.

„Sie möchte ihre Familie besuchen und sehen, ob alles in Ordnung ist.“

„Und dafür reicht es nicht aus, einen Brief zu schreiben?“ mischte sich Gist ein und wiederholte damit, was mir selbst durch den Kopf gegangen war. Er hatte schon etwas mehr getrunken und seine Stimme war etwas lauter geworden, weswegen ich meine eigene dämpfte. Wir waren hier nicht unter uns. Es konnten genügend Leute zuhören und bei seinen Worten hatte am Nachbartisch ein junger Mann den Kopf gehoben.

„Anscheinend nicht. Vielleicht wollte sie nicht, dass ich erfahre wo genau ihre Eltern leben. Oder aber, sie möchte nicht, dass irgend jemand erfährt wo sie hier wohnt. Zu dem hat ihre Abwesenheit auch etwas Gutes.“ Und ich zog eines ihrer Notizbücher aus meiner Jackentasche. Sie hatte es zurückgelassen und es konnte nicht schaden, es sich erneut anzusehen. „Das hier gehört ihr.“

Ich schob das Buch Monro zu, der es mit einem Stirnrunzeln in die Hand nahm. „Woher habt ihr das?“

„Aus ihrem Zimmer. Sie hat einiges hier gelassen, was dafür spricht, dass sie zurückkommen wird. Leider bin ich nicht in der Lage es zu lesen.“ Ich deutete auf das Buch und er schlug es wahllos auf.

Seine Augen verengten sich ein wenig und mir entging nicht, wie Johnson behutsam den Krug abstellte und Monro aufmerksam ansah. Der blätterte ein paar Seiten weiter und hielt inne. „Das hat sie geschrieben? Ein sehr eigenwillige Schreibweise.“

„Soweit ich weiß, ja. Warum?“ War der Colonel etwa in der Lage zu verstehen was dort geschrieben stand?

Er warf Johnson einen Blick zu der deutlich zeigte, dass sich gerade eine Vermutung bestätigt hatte. Mich ließ man an diesem Wissen nicht teilhaben. Dennoch antwortete Monro: „Sie weiß mehr, als sie uns verrät.“ Wieder blätterte er ein paar Seiten weiter und ein leichtes Lächeln umspielte seine Augen. „Und ihr scheint Eindruck auf sie gemacht zu haben.“

Schon klappte er das Buch zu und schob es mir wieder hin. „Es ist gut, dass sie nun bei euch wohnt. Sorgt dafür, dass diese Bücher, falls es noch mehr davon gibt, nicht in falsche Hände geraten. Wenn möglich schließt ihr Zimmer ab. - Und wenn sie zurück kommt, möchte ich mit ihr sprechen.“

Als Monro mir etwas später, ganz im Vertrauen, sagte, um was für eine Sprache es sich handelte, legte sich mir ein Stein in den Magen. Ich wusste, dass es unter den Assassinen jemanden gab, der diese Sprache beherrschte. Und diese Person hatte eine Wohnung, hier in New York. Hope.

„Ihr wirkt besorgt, Master Cormac.“ Der Colonel hatte mich ein Stück meines Weges begleitet und blieb nun stehen.

„Es ist nur - Ich hatte die Hoffnung, langsam das eine oder andere zu verstehen. Leider kommen nur immer mehr Fragen und Probleme auf. Und ja, ich fange an, mir Sorgen zu machen.“ Noch immer hatte ich keine Ahnung, was in diesem Notizbuch stand, dass sich wieder in meiner Jackentasche befand.

„Berechtigt“, begann er und ging langsam weiter. „Auch ich sorge mich in letzter Zeit, aber aus anderen Gründen. Eine friedliche Einigung mit den Einheimischen scheint nicht mehr möglich zu sein. Die Franzosen sind uns derzeit einen Schritt voraus und in vielen Fällen bedeutet es, dass das Volk zu leiden hat. Es ist Krieg ausgebrochen. Etwas, dass ich gerne vermieden hätte. Noch sind die Städte einigermaßen sicher, doch wie lange es noch so ist...“

Er brach ab und wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, bis ich das Wort ergriff. „Wenn es etwas gibt, dass ich tun kann, dann bin ich bereit. Ich bin kein Soldat, aber ich habe ein Schiff und wenn ich kann, werde ich euch unterstützen.“
 

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Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, mit dem neuen Kapitel und es wird auch noch dauern, bis das nächste online kommt. Wird aber auf alle Fälle weiter gehen und dann vermutlich auch wieder regelmäßiger ^^'



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