8. Türchen
“Scheiße, scheiße…“
*~* Scarf *~*
*~* Star *~*
*~* Cookie *~*
~ *~ Holy Night ~*~
Erschüttert betrachte ich den Inhalt des kleinen Stoffbeutels, der mir heute von meinem vorübergehenden Arbeitgeber in die Hand gedrückt wurde. Das Wort Geschmacksverirrung hat in diesem Augenblick eine vollkommen neue Bedeutung für mich bekommen. „Ich bring ihn um…“, murmle ich angesäuert und lasse den Beutel achtlos auf den Boden plumpsen. Mit einem resignierten Seufzen lasse ich mich auf mein schon recht lädiertes Sofa fallen und starre geknickt an die schmutzige Decke meiner Rumpelkammer, oder besser gesagt meiner echt unterkühlten Einzimmerwohnung.
Meine zurzeit bescheidene Laune verdanke ich unter anderem meinen angeblichen Kumpel Lukas, der mir mit seiner so genannten Hilfe, das letzte bisschen meiner Selbstachtung, die sich in einem kümmerlichen 1.69 Meter großem Körper verkrochen hat, platt gewalzt hat. Wenn ich nicht so dringend Geld bräuchte, hätte ich ihn hier für zum Teufel gejagt. „Scheiße.“ Fluchend fahre ich mir durch die Haare und schließe die Augen.
Alles war so gut geplant, diese Woche wollte ich für meinen Traummann ein Weihnachtsgeschenk besorgen, für das ich mir die letzten Wochen mühsam mein eh schon knappes Einkommen beiseite gelegt habe – und was passiert?
Ein paar scheinbar gelangweilte Jugendliche hatten nichts Besseres zu tun, als einem bereits am Hungertuch nagenden Studenten die Scheibe mit Steinen einzuwerfen. Somit ging mein schönes Geld für die Reparatur drauf, denn bei diesen unmenschlichen Temperaturen nachts mit Durchzug zu schlafen wäre weniger gut für meine Gesundheit gewesen.
Tja, was tut Mensch in einer solchen Notsituation? Er greift verzweifelt nach dem letzten sich ihm hingehaltenen Strohhalm, selbst wenn dieser noch so zerknickt ist. Der so genannte Strohhalm entpuppte sich hinterher als eine Einwöchige Anstellung als Weihnachtself in der Kaufhauspassage. Die Bezahlung war zwar nicht so pralle aber wenigstens steh ich dann Heiligabend nicht mit leeren Händen vor Benny, denn das wäre echt das Letzte was ich will.
Zumal er einen gewissen Lebensstandard gewöhnt ist, seine Eltern sind immerhin schon recht vermögend. Manchmal ist es mir echt unangenehm, wenn er mich hier in dieser Bruchbude besuchen kommt, da will ich mich wenigstens nicht auch noch Weihnachten blamieren, reicht ja wenn ich das den Rest des Jahres tue.
Mein Blick wandert auf den Boden wo der beigefarbene Beutel liegt, aus dem eine grüne Mütze rauslugt. Das kleine silberne Glöckchen am Zipfel funkelt mich direkt spöttisch an. Gott bewahre, ich hoffe, dass mich morgen niemand in diesem Aufzug sieht, sonst springe ich freiwillig vom nächsten Hochhaus. Sollte ich die Woche ohne bleibende psychische Schäden überstehen, werde ich Lukas lynchen…
Das Klingeln des Telefons lässt mich zusammenzucken und ich erhebe mich widerwillig. Im Vorbeigehen trete ich noch einmal wütend gegen den Beutel und nehme verstimmt den Hörer ab.
„Was willst du?“, knurre ich in den Hörer, denn wer sonst außer Lukas sollte es sein, der sich erkundigen will, ob es mit der Jobvermittlung geklappt hat.
Für einen kurzen Moment ist es still am anderen Ende der Leitung, ehe ich ein leises Räuspern vernehme. „Soll ich später noch mal anrufen…“, höre ich Bennys Stimme und ich könnt mir selbst in den Arsch treten. Florian, du Rinznilpe! Du trittst auch wirklich in jedes Fettnäpfchen das sich dir anbietet.
Mit einem Schlag bin ich knallrot im Gesicht und meine Wangen glühen. Gott verdammt, wieso muss Benny sich am Telefon nur so anbetungswürdig anhören?
„Nein! Ich… sorry, ich dacht es wäre jemand anders… also… am Telefon…“, stottere ich mir eine halbwegs verständliche Entschuldigung zusammen und könnt mir selbst eine Ohrfeige verpassen. Gott sei dank kann Benny mich nicht sehen, der würde mich wieder aufziehen, aufgrund meiner gesunden Gesichtsdurchblutung.
Ein warmer Schauer läuft mir über den Rücken, als ich sein warmes angenehmes Lachen höre und wenn ich nicht so angematscht wäre, würde mir wohl gleich die Hand in die Shorts kriechen. Innerlich noch Verwünschungen auf Lukas wettern, gehe ich mit dem Hörer zu meinem Bett und höre mir Bennys Pläne bezüglich Weihnachten an.
Es steht schon länger fest, dass wir zusammen feiern und ich freu mich schon seit Oktober wie ein kleines Kind darauf, da es das erste Weihnachten seit 2 Jahren ist, an dem ich nicht alleine hier herum gammle und mich mit langweiligen Filmen und ner Tüte Chips am Leben erhalte. Dass er mir soeben eröffnet, dass seine Eltern uns zum Essen eingeladen haben lässt mich hart schlucken… jetzt muss ich auch noch ein weiteres Geschenk besorgen – fuck!
*~*~*~*~*
Unmenschlich, anders kann ich diesen Zustand in dem ich mich hier gerade befinde nicht beschreiben. Während aus zig Lautsprechern in ständiger Wiederholungsschleife ein und dieselbe CD abgespielt wird, drängelt sich ein gutes Dutzend halbwüchsiger kleiner Landplagen um einen herum, die unbedingt auf den Schoß von Herrn Wiesman wollen, der mit diesem Weihnachtsmannkostüm noch aufgedunsener aussieht als ohne.
Wenn ich mir so anhören, was Kinder zwischen 4 und 9 Jahren sich so wünschen, falle ich echt vom Glauben ab.
Meine Güte als ich in dem Alter war, da hab ich mir nur ein paar Spielzeugautos oder Bauklötze gewünscht – aber heutzutage scheinen Handys und Play Station der Renner zu sein.
Kopfschüttelnd hüpfe ich mit einem schon recht gezwungenen Lächeln um den Schauplatz herum, wobei die silbernen Glöckchen, die sowohl an meiner Mütze, als auch an dem komischen Mantelrock oder was auch immer das hier darstellen sollen befestigt sind.
Und noch dazu alles in grün! Ich trage normalerweise nur dunkle Farben, aber dieses knallige Blattgrün schlägt einem ja direkt aufs Gemüt, abgesehen davon sind diese falschen Elfenohren gewaltig unbequem und ich würde mir die Dinger am liebsten abreißen.
Der Kunstschnee der auf der Erhöhung verteilt wurde kotzt mich auch an. Richtiger Schnee ist dieses Jahr bestimmt nicht zu erwarten, aber dieses Kunstzeug regt mich irgendwie auf.
Resigniert lehne ich mich kurz gegen eine der Rentierattrappen, sorry Rudolf, und atme einmal tief durch. Ganz ruhig Flo… nur noch 6 Tage…
Erschrocken zucke ich zusammen, als etwas an meinem Ärmel zupft. Irritiert blicke ich nach unten, wo ein 5… vielleicht auch schon 6 Jahre alter Junge steht und mich mit großen Augen anguckt. „Bist du ne Fee?“, fragt er und wischt sich mit seinem Arm den Schnoddern unter der Nase weg.
Okay, ganz ruhig bleiben, jetzt bloß nicht in Panik geraten und verhindere körperlichen Kontakt mit diesem Wesen. „Nein, ich bin ein Weihnachtself“, entgegne ich und versuche so freundlich wie nur möglich zu sein und bücke mich ein Stückchen hinunter. Ich sollte Schauspieler werden, was ich hier leiste ist wirklich überdurchschnittlich für einen Muffelkopf wie mich.
„Sehen die alle so komisch aus?“, redet das Balg weiter und ich würde jetzt am liebsten schreien. Da muss man sich hier schon von einem Bettnässer anhören, dass man komisch aussieht, na herzlichen dank auch! Ich will Mittagspause – jetzt sofort!
Irgendwie schaffe ich es nicht darauf etwas halbwegs Nettes zu erwidern, nur mein Lächeln ziert weiterhin wie eine Maske mein Gesicht und ich hoffe, ich trage keine dauerhafte Lähmung davon.
Per Zufall wandert mein Blick auf die andere Seite der Passage… nein… Gott, bitte nicht!
Was um alles in der Welt macht denn Benny hier? Wieso kauft er nicht woanders ein, muss er denn ausgerechnet hierher kommen?
Panik breitet sich in mir aus und ich blicke mich gehetzt um. Wenn er mich in diesem Aufzug sieht, dann ist garantiert Schluss. Niemand gibt sich freiwillig mit so einer Witzfigur ab, nicht einmal aus Mitleid, diese Schande erträgt doch keiner. Reflexartig knie ich mich hin und starre den kleinen Jungen vor mir unruhig an. Einen guten Schutzschild bietet er mir zwar nicht, aber die Hauptsache ist, man sieht mein Gesicht nicht. Verdattert blicken mich die großen Kinderaugen an, scheinbar kann er sich keinen Reim auf mein Handeln bilden, aber solang er da stehen bleibt soll er meinetwegen denken was er will.
Bitte geh weiter, guck bloß nicht hierher. Nervös umklammere ich die Schultern des Jungen und schiele vorsichtig an ihm vorbei. Ist er weiter gegangen, oder hab ich ihn aus den Augen verloren? Ich schlucke hart und kaue auf meiner Unterlippe herum. Einige dunkelbraune Strähnen fallen mir ins Gesicht und ich versuche ungeduldig einen schwarzen Haarschopf in der Menge ausfindig zu machen. Nichts – keine Spur von Benny.
Erleichtert atme ich aus. „Gott sei dank…“, murmle ich und entspanne mich wieder. Ich blicke auf und habe das Gefühl, dass ich gerade dabei bin ein kleines Kind gewaltig zu schädigen.
Schnell lasse ich den Jungen los und räuspere mich laut. Mein erster Tag als Weihnachtself und ich hab jetzt schon das Verlangen mich in die nächste Klinik einweisen zu lassen.
*~*~*~*~*
Hohn – Spott – Gesellschaftlich am Boden… das ist zumindest das Gefühl das Lukas mir gerade vermittelt, der mich nach meinem ersten Arbeitstag in der Kaufhauspassage abgeholt hat. Klar, ich würde es auch lustig finden, wenn der beste Freund in knallengen grünen Hosen und einem mehr als nur beknackten Hut neben mir herlaufen würde. „Halt’s Gesicht“, fauche ich ihn an und steige in seine Schrottkarosse von Auto.
Wenigstens muss ich so nicht mit der Straßenbahn fahren wie heute Morgen. Eines steht fest, morgen werde ich eine halbe Stunde früher fahren, damit ich mich im Kaufhaus umziehen kann und nicht wie heute in aller Eile im Kostüm in die Bahn hüpfe und dort von allen Seiten angestarrt werde wie ein Gestörter.
Man, ich bin jetzt schon froh, wenn dieser Wahnsinn ein Ende hat. Ich hoffe Benny weiß zu schätzen, was ich hier für ihn durchmache.
„Also ich finde grün steht dir hervorragend“, stichelt Lukas und zündet sich eine Zigarette an. Alles was er von mir daraufhin erhält ist ein mörderischer Blick mit einem dazugehörigen Schlag auf den Hinterkopf.
„Hey… Kampfküken laufen zu Fuß“, lacht Lukas und hebt schützend die Arme. Der sollte mal besser aufpassen, dass das Kampküken ihm nicht gleich gegen den Kopf fliegt. Schmollend schnalle ich mich an und zwacke die falschen Elfenohren ab. Gott, was für eine Erleichterung, wenn ich noch diese enge Hose loswerde, dann mach ich drei Kreuze.
„Benny war heut in der Passage…“, murmle ich und sehe Lukas mitleidig an, der nun den Motor startet und mich seltsam grinsend mustert.
Was? Ich hab schon wieder das Gefühl etwas entschieden Wichtiges verpasst zu haben. Nervös rutsche ich im Sitz herum und beobachte den vorbeirauschenden Verkehr. Wie ich diese Hetzerei vor den Feiertagen doch hasse, ich bin wirklich froh, wenn der Trubel vorbei ist und die Leute wieder normal werden.
„Und hast du dich geoutet?“, erkundigt Lukas sich interessiert und mir fällt dazu wirklich nichts mehr ein.
„Ja sicher, er will sich demnächst auch eins schneidern lassen, dann treten wir zusammen auf“, gifte ich zurück und schließe genervt die Augen. Das belustigte Lachen neben mir überhöre ich jetzt mal, ich habe keine Kraft mich nun auch noch verbal mit Lukas auseinander zu setzen.
Schlafen, mehr will ich heute nicht. Raus aus den Klamotten, rein in die Dusche und die Kinderbakterien abwaschen und vor dem zu Bett gehen noch ein kurzes Telefonat mit Benny halten.
*~*~*~*~*
Die folgenden Tage verliefen ähnlich wie der erste, nur dass ich das Gefühl habe, dass mich irgendwer beobachtet. Aber wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein, ich meine – welcher erwachsene Mensch würde nicht gucken, wenn ein männlicher Weihnachtself mit einem ungesunden Lächeln auf den Lippen zwischen Kleinkindern und Rentieren umher springen würde?
Aber einen Trost hat das ganze, denn heute ist mein letzter Tag!
Morgen gehe ich das Geschenk für Benny kaufen, denn das wird wirklich höchste zeit, schließlich haben wir übermorgen Heiligabend und normalerweise hasse ich es auf den letzten Drücker noch einzukaufen.
Die Menschen sind dann wie ein Rudel hungriger Wölfe, das sich auf die Restposten stürzt, da sie ihre Besorgungen bis zur letzten Minute vor sich her geschoben haben. Na das wird ein Spaß.
Seufzend begleite ich ein weiteres wartendes Kind nach oben zu dem unnormal kitschigen Thron auf dem der angebliche Weihnachtsmann sitzt und in seinem dicken Kostüm sehbar schwitzt. Na ich würde als Kind ja nicht da sitzen wollen, bäh!
Immer wieder wandert mein Blick auf die große Uhr. Noch knapp eine Stunde, dann heißt es – Tschüss Ohren, tschüss Unterleib abquetschende Hose und tschüss Herr Wiesman!
Hoffentlich komme ich schnell hier raus, Benny wollte heute Abend noch mit mir ins Kino und vorher muss ich unbedingt noch unter die Dusche. Ein Ausruf aus den Lautsprechern reißt mich aus meinen Gedanken. „Der Mitarbeiter Florian Hennings möchte sich bitte beim Geschäftsleiter melden... Der Mitarbeiter-“
Häh? Was ist denn nun los?
Nervös blicke ich mich um und auf ein kurzes Nicken vom Weihnachtsmann husche ich hinten die Erhöhung runter und laufe in Richtung Büro. Großer Gott, was ist denn nun passiert? Ich hab doch nichts falsch gemacht, oder was will der Geschäftsleiter nun von mir?
Unruhig laufe ich die Rolltreppe hoch in die 3. Etage in der sich die Geschäftsleitung befindet.
Mein Herz schlägt unruhig in meinem Brustkorb und ich kann nur hoffen, dass ich nichts verbockt habe. Ich klopfe zweimal an die Tür ehe ich hibbelig den Raum betrete.
*~*~*~*~*
Gott verdammte scheiße!
Wie von der Tarantel gestochen hetze ich durch die Straßen. Ich hasse ihn! Ich wünsche ihm eine Grippe oder einen hässlich juckenden Ausschlag an den Hals! Was fällt diesem Anzugträger überhaupt ein, mich mit zwei Bastkörbchen durch die ganze Passage zu scheuchen um in den einzelnen Geschäften eine Schachtel Weihnachtskekse abzugeben?!
Schön, ich hab mein Geld bar auf die Hand gekriegt, aber dafür bin ich auch eine Stunde später raus gekommen. Und in 15 Minuten wollte Benny mich abholen – scheiße!
Aufgekratzt hüpfe ich von einem Bein auf das andere, als die Fußgängerampel auf rot überspringt. Irgendwie scheint sich die gesamte Welt gegen mich verschworen zu haben, noch nicht einmal umziehen konnte ich mich und friere mir nun den Arsch in dem Kostüm ab. Die belustigten Blicke der Passanten kratzen mich nicht wirklich, ich will nur schnellstmöglich nach Hause, mich umziehen und diesen Tag aus meinem Gedächtnis streichen.
„Nun komm schon“, rufe ich genervt aus und eine ältere Dame neben mir zuckt erschrocken zusammen.
Entschuldigend blicke ich zu ihr hinüber, als das Licht auf grün springt und ich loslaufe. Mein Blut rauscht in den Ohren und mein Hals schmerzt von der kalten Luft. Keuchend biege ich in eine Seitenstraße und sehe den großen Wohnblock vor mir.
Keine zeit, ich muss mich beeilen.
Aus meinem Rucksack krame ich nach meinem Hausschlüssel der sich selbstverständlich ganz unten befindet.
Meine Güte, was für ein Stress und das alles nur weil meine Scheibe zu Bruch ging. Ich hätte mir so eine schöne ruhige Woche machen können, aber nein. Angesäuert stecke ich den Schlüssel in die Eingangstür und sprinte den Flur in Richtung Treppe. Zwei Stufen auf einmal nehmend haste ich hoch in die nächste Etage.
Sollte ich jemals umziehen, werde ich mir ganz oben eine Wohnung nehmen, da besteht wenigstens nicht die Gefahr, dass irgendetwas zu Bruch geht.
Keuchend verlangsame ich mein Tempo und bleibe erschöpft vor meiner Haustür stehen. Hilfe, ich krieg gleich einen Herzkasper. Ein dünner Schweißfilm hat sich auf meiner Stirn gebildet und ich bin überrascht, dass meine Mütze noch da sitzt wo sie ist.
Mit zitternder Hand stecke ich den Schlüssel ins Schloss und hoffe, dass keiner meiner Nachbarn mich jetzt so gesehen hat. Das hätte mir zu meinem Glück auch noch gefehlt.
„Endlich“, stöhne ich erleichtert auf und schließe die Tür hinter mir.
Das erste was mir auffällt ist, dass im Wohnzimmer noch Licht brennt. Hab ich heute Morgen etwa das Licht angelassen? Meine Herrn, ich werde alt, meine Stromrechnung will ich wirklich nicht sehen, da wird mir jetzt schon ganz flau im Magen.
Erschöpft tapse ich meinen schmalen Flur entlang in Richtung Wohnzimmer. Erstmal raus aus den Sachen, duschen werde ich wahrscheinlich doch noch müssen, nach dem Sprint will ich nicht wissen, welchen Geruch mein Körper nun verströmt.
Mit einem dumpfen Plumpsgeräusch landet mein Rucksack auf dem Boden. Nein!
Ich hab Hallus, oh mein Gott, das ist ein schlechter Traum.
„Endlich sieht man dich mal aus der Nähe“, kommt es von Benny der grinsend auf meinem Sofa sitzt und eine angefangene Flasche Fanta vor sich stehen hat. Alles was ich zustande bringe ist ein undefinierbares Piepsgeräusch als mir die Situation immer klarer wird.
Benny… hier, in meinem Wohnzimmer… und ICH im Elfenkostüm. Herr, bitte erschieß mich!
Rot wie eine Tomate starre ich ihn an, unfähig mich zu bewegen. Ich könnte heulen, das darf doch nicht wahr sein, wieso hab ich Elch ihm auch vor einigen Wochen einen Zweitschlüssel gegeben? Wieso habe ich diesen Job angenommen und wieso krieg ich jetzt keinen Ton mehr heraus?
Eine Weile sieht er mich an, als warte er darauf, dass ich etwas sage oder zumindest irgendein Lebenszeichen von mir gebe, bis er dann schließlich aufsteht und auf mich zukommt.
Oh nein, er macht Schluss, natürlich macht er Schluss. Ich mach ihn ja zum Gespött seines Bekanntenkreises wenn das rauskommt.
„Du bist echt süß“, sagt er schließlich und nimmt mich grinsend in den Arm. Okay, Film zurück, was hat er da gerade gesagt? Süß? Will er mich verarschen, oder ist das sein ernst. Entweder muss ich nun an seinem Verstand zweifeln oder aber an meinem. Verdattert blicke ich ihn an, als er mich wieder loslässt. Scheinbar guck ich ziemlich bedeppert, sonst würde er jetzt nicht wieder lachen.
„Ich… kann’s erklären…“, murmle ich beschämt und beiße mir auf die Unterlippe. Okay, nun lass dir etwas Gutes einfallen, wenn du ihm nicht stecken willst, dass du diesen Schwachsinn mitgemacht hast, weil du knapp bei Kasse bist und ihm trotzdem ein Geschenk kaufen willst.
Benny schüttelt den Kopf entfernt mit einem belustigen Grinsen die falschen Ohren, ehe er sich zu mir herunterbeugt und anfängt mich fordernd zu küssen.
Im ersten Moment bin ich zu keiner Gegenreaktion fähig, dazu bin ich noch zu schockiert über sein Handeln, trotz meiner lächerlichen Erscheinung. Wenig später fliegt mein Hut auf den Boden und eine seiner Hände beginnt damit mir den Nacken zu kraulen.
Langsam entspanne ich mich und gehe auf die Berührungen ein. Nach einigen Minuten lässt er von mir ab und stupst mit seiner Nase gegen meine. „Ich liebe dich“, wispert er und küsst meine Nasenspitze.
Die Schamesröte kriecht mir bis hinauf zu den Ohrenspitzen. Gott, diesen Menschen hab ich nicht verdient, ich könnte heulen.
Ein komisches Bild muss es bestimmt abgeben, wie ein gut aussehender 1.85 Meter großer Traummann wie Benny einen mickrigen Weihnachtselfen wie mir eine Liebeserklärung macht.
Ins Kino sind wir heute nicht mehr gekommen, aber so schlimm finde ich es im Nachhinein nun doch nicht mehr, ich wurde immerhin großzügig dafür entschädigt. Nur diesen einen Satz kriege ich nicht aus meinem Kopf. Was meinte Benny mit /Endlich sieht man dich mal aus der Nähe/…
Ich richte mich halbwegs im Bett auf und taste im Dunkeln nach meiner Nachttischlampe. Ein leises Murmeln hinter mir ist das einzige was ich höre, ehe zwei Arme mich packen und zurückziehen. Kapitulierend lasse ich ihn gewähren und kuschle mich an den warmen Körper.
Dies ist die erste Nacht in der ich mal nicht friere.
„Benny…“, beginne ich zögernd und tippe ihn gegen die Wange.
„Hm?“
„Was meintest du eigentlich vorhin… mit dem endlich aus der Nähe sehen…?“, fahre ich leise fort und hab ein etwas mulmiges Gefühl was die Antwort anbelangt.
Warmer Atem streift mein Gesicht, als er leise lacht und sich ebenfalls an mich kuschelt.
„Lukas meinte ich sollte mir mal einen gewissen Elfen näher ansehen…“, flüstert er mir ins Ohr und haucht mir einen Kuss auf die Wange.
Wenn das Licht jetzt an gewesen wäre, dann wäre Benny garantiert zurückgeschreckt. Mein Augenlid zuckt verräterisch und ich beiße mir angepisst auf die Unterlippe.
Ich bring ihn um!
~*~ Ende ~*~