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Les Amis Noirs

von

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Ewiger Traum

Alejandro träumte seinen Jahrhunderte dauernden Traum. Es war wie eine Todeserfahrung, ein langer schwarzer Tunnel. Aber im Gegensatz zu den Leuten im Fernsehen sah er niemals ein Licht, lief seit 400 Jahren durch absolute Schwärze. Seit dem Tag, an dem er die Stimme zum ersten Mal gehört hatte. Auch jetzt tönte sie durch den ewigen Traum. Wach auf, mein schwarzer Prinz, flüsterte sie durch die Schwärze, die Sonne ist schon untergegangen. Er versuchte sich ihr zu widersetzen. Er hasste es wenn die Stimme ihn so nannte. Er hasste es wenn die Stimme seinen Traum störte. Es schien absurd. Er lief durch ewige, mondlose Nacht und das einzige, was er hörte, war die dunkle, samtartige Stimme der Frau, die Schuld war an der Finsternis. Dabei war da nichts. Nichts außer ihm und der Dunkelheit. Wach auf, schwarzer Prinz, wach auf hallte es durch die Stille. Dann tat sich ein Spalt des Lichts vor ihm auf.

Band und Fessel

Alejandro wurde mit solcher Gewalt in die Realität gerissen, dass er einen Moment lang Schwierigkeiten hatte, sie zu fassen. Er lag in einem luxuriösen Bett, in dem zur Not auch fünf Leute Platz gehabt hätten. Die Decke erstreckte sich gute drei Meter über ihm. Sein Blick wanderte Ziellos durch das Prunkvolle Schlafzimmer bis er auf der Besitzerin des Raums und des Hauses ruhte. Beliéna lag neben ihm, gehüllt in ein seidenes Nachthemd das mehr enthüllte als es verdeckte, eng an ihn geschmiegt, und flüsterte leise in sein Ohr. Die sanften Vibrationen ihrer Stimme kitzelten seinen Gehörgang. Die Stimme und die Art, wie sie ihren perfekt proportionierten Körper bewegte oder auch nicht bewegte erzeugte normalerweise bei Männern eine ganz bestimmte Reaktion. Auf ihn hatte sie ihre Wirkung schon vor einiger Zeit verloren. Er sah in ihre fast schwarzen Augen und spürte nichts. Er ließ seinen Blick über ihren Körper wandern, ihr Gesicht, ihre Haare, und er spürte nichts bis auf eine gewisse Abscheu gegenüber dem, was sie mit ihm tat. So wie im Moment. Sie sah in seine Augen und grinste anzüglich. Sie spielte Katz und Maus mit ihm. Und dafür hasste er sie. Er schob sie mit etwas mehr als nur sanfter Gewalt fort und trat ans Fenster. Er zog die Vorhänge auf und sah, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Es war bereits Nacht. Der Mond schwebte nur ein kleines Stück über der funkelnden Skyline von Los Angeles. Er ertappte sich selbst bei der Hoffnung, die Sonne könnte noch am Himmel stehen und er würde verbrennen, und die Asche würde ihr ins Gesicht und in die Augen wehen bevor sie von dem hineinflutenden Sonnenlicht ebenfalls zu Asche verbrannt wurde. Dann meldete sich eine andere Stimme in ihm zu Wort. Allein der Gedanke grenzt schon an Ketzerei! flüsterte sie. Wie könne er so etwas überhaupt nur denken? Er liebte sie. Nein, er rief sich in Gedanken zur Ordnung. Nicht er liebte sie, die Stimme in ihm liebte sie. Diese innere Stimme, seine an Besessenheit grenzende kranke Liebe zu dieser Frau, die ihm alles genommen hatte, seine Freiheit und sein Leben, war das Blutsband. Das Blutsband war das Band, mit dem Vampire ihre Handlanger an sich banden wie Hunde an eine Leine. Er war der Hund, sie die Herrin. Sie beide waren Vampire vom Clan der Lasombra. Irgendwie hatte sie es geschafft, ihn von ihrem Blut trinken zu lassen. Wahrscheinlich während der Empfänge die sie für die anderen Lasombra gegeben hatte, als sie noch in Spanien gelebt hatten. Irgendwie hatte sie es geschafft, ihre eigene Vitae unter das dort ausgeschenkte Aristokratenblut zu mischen und so war er ihr mehr und mehr verfallen. Das war jetzt 400 Jahre her. 400 lange Jahre in denen er gelernt hatte seine teuflische Herrin mehr zu hassen als alles andere, obwohl er sie mehr liebte als alles andere. Er hatte das töten immer verabscheut, aber schon kurz nachdem er ihr ganz verfallen war, hatte sie ihn dazu gezwungen, genau das zu tun. Und sie tat es wieder und wieder. Und sie lachte, wenn sie sein Gesicht sah, den Widerstreit seines Ichs mit dem Blutsband. Und wie er den Kampf verlor.

"Ich habe etwas zu tun für dich, mein schwarzer Prinz." hauchte sie ihm ins Ohr. Er erschrak. Wann war sie hinter ihn getreten? Ihr Mund befand sich dicht neben seinem linken Ohr. Er konnte ihr selbstgefälliges Lächeln fast hören. "Ich möchte, dass du jemanden für mich beseitigst." Und einmal mehr verlor er den Kampf und die innere Stimme übernahm. Und Alejandro gehorchte.
 

Als er wieder er selbst war, stand er in der Leere eines geschlossenen Boxclubs, in der Hand eine .45er Magnum mit rauchendem Lauf. Vor ihm lag die Leiche des Besitzers des Boxclubs, unter der sich mit einiger Geschwindigkeit eine Lache süßen, schweren, roten Blutes ausbreitete. Er hatte den Mord aus dem Cockpit seines Kopfes heraus beobachtet und nichts dagegen tun können. Das Blutsband war stärker. Sowie Beliéna die Worte ausgesprochen hatte, wollte er diesen Mann töten. Er war ein Feind des Clans gewesen. Er hatte für die verfluchte Camarilla und für den widerlichen Ventrue der sich "Prinz von Los Angeles" schimpfte, nach Rekruten für dessen kleine Ghultruppe gesucht. Aber er hasste das Töten, und in seinem innersten hatte er großen Respekt vor der Camarilla und ihren Idealen. Doch das Blutsband war zu stark. Und Beliéna hielt ihn an der kurzen Leine. Er sah zu der verspiegelten Rückwand des Boxclubs. Irgendwo in der Mitte des Raums, über den Füßen des Toten, dort wo eigentlich die Mündung der .45er sein sollte, kam Rauch aus dem nichts. An das fehlen seines Spiegelbildes hatte er sich nie gewöhnen können. Er ertappte sich dabei, wie sein Blick immer wieder zu der Blutlache wanderte, und er den schweren, süßen Geruch einsog, der von ihr ausging. Dann spürte er den Hunger. Der animalische Hunger nach Blut, das Tier, was jeder Vampir in sich trug, verlangte nach dem roten Lebenssaft der durch die Adern der Sterblichen pulsierte und sich jetzt unter der Leiche des Boxclubbesitzers ausbreitete. Er musste hier raus und er musste trinken. Er kämpfte das bohrende verlangen nieder, das Blut vom Boden aufzulecken, brach schnell die Kasse des Ladens auf, nahm alles Geld heraus und verschwand in der drückenden Hitze der Sommernacht.
 

Alejandro wanderte ziellos durch die Straßen der Innenstadt von Los Angeles. Er musste trinken. Der Hunger regte sich stärker und stärker in den rudimentären Überresten seiner Gedärme. Und so, wie er sich im Moment fühlte, würden seine Verführungskünste wohl eher unbrauchbar sein. Er war bereits in drei Clubs gewesen, jedoch nur um sich auf der Toilette die Hände zu Waschen. Und immer noch fühlte er sich schmutzig. Dabei hatte er nicht einen Spritzer Blut abbekommen. Trotzdem fühlte er sich als sei seine Schuld für jeden offensichtlich, als wäre das Wort "MÖRDER" auf seine Stirn tätowiert. Er schüttelte den Gedanken nur mit Mühe ab und versuchte, sich auf die Jagd zu konzentrieren. Er sah sich um. Er befand sich in einem Viertel voller Clubs und dunkler Seitengassen, ein ideales Jagdgebiet. Und deshalb musste er hier besonders vorsichtig sein, denn neben den Camarillavampiren, die sich hier mit Sicherheit aufhielten, konnten durchaus auch Jäger in der Nähe sein, diese elenden Sterblichen, die für den Glauben oder für was auch immer Vampire schlachteten. Oder es zumindest versuchten, denn selbst für einen Sterblichen mit dem nötigen Know-how war es fast unmöglich einen Kainiten zu vernichten. Trotzdem musste er vorsichtig sein. Er konnte seine Beute zwar mit Sicherheit hier finden, würde aber nicht hier trinken können. Schon auf der Straße sah er sich nach Sterblichen um die Betrunken genug waren um seinem stark angeschlagenen Charme dennoch auf den Leim zu gehen. Aber das war nicht der einzige Grund, warum er ein alkoholisiertes Opfer suchte: Er hatte Lust sich hoffnungslos zu betrinken, was für ein Wesen, das alle Nahrungsmittel und Getränke außer Blut sofort erbrach, wenn sie den Magen erreichten, fast unmöglich war. Er steuerte das "Vexir" an, einen Club mit verwirrender Innenarchitektur und ebenso verwirrender Musik, in dem er aber mit diesem Vorhaben schon mehrmals Erfolg gehabt hatte. Der Türsteher kannte ihn bereits und winkte ihn durch, worauf er das von flackerndem Strobolicht und lauter Musik erfüllte "Vexir" betrat. Sofort stürmten alle möglichen verschiedenen Eindrücke auf seine raubtierartigen Sinne ein. Etwa fünf Meter links von ihm hörte er durch die Musik hindurch, wie jemand versuchte, einem ahnungslosen Mädchen "Fairy Dust", eine neue Designerdroge, anzudrehen. Dem Geruch nach zu urteilen hatte sich weiter vorn kürzlich jemand übergeben, und in den dunklen Ecken des Clubs war bereits jetzt einigen Paaren das Knutschen nicht mehr weit genug gegangen. Er ignorierte den Großteil dieser Eindrücke, um nicht in der schieren Flut kombiniert mit laut hämmernder Musik unterzugehen, und bahnte sich einen Weg durch das Getümmel der im Rhythmus zuckenden und sich windenden Leiber der Sterblichen auf der Tanzfläche. Sein erster Besuch galt der Toilette, aber diesmal nicht um sich die Hände zu waschen, sondern um sein Aussehen zu überprüfen. Vor dem Betreten des Clubs hatte er sich bereits daran gemacht, die Haut anzuwärmen, sich auf das Atmen zu konzentrieren und die Blässe in seinem Gesicht durch hindurchpumpendes Blut zu vertreiben. Da er den Spiegel nicht benutzen konnte, schloss er sich schnell in einer der versifften Kabinen der Toilette ein, holte eine kleine Digitalkamera hervor und Fotografierte sich selbst. Zufrieden mit dem Ergebnis begab er sich zurück in den Hauptraum der Disco, immer darauf achtend, das niemand sein fehlendes Spiegelbild bemerkte. Dann stellte er sich ein wenig abseits hin und hielt nach Opfern Ausschau. Wenn Sterbliche betrunken genug waren und sich erst einmal in Trance getanzt hatten, brauchte er ihnen eigentlich nur noch anzügliche Blicke zuzuwerfen und sie kamen zu ihm wie Fliegen zu einer Venusfliegenfalle. Das galt besonders für diesen Club. Aber dennoch musste er vorsichtig sein, denn hier mochten auch noch andere Vampire auf Jagd sein. Geduldig ließ er seinen Blick über die Tanzfläche schweifen. Hier und da ließ er ihn einige Augenblicke lang auf dem einen oder anderen viel versprechenden Opfer ruhen und konzentrierte seine Sinne ganz auf, das betreffende Sethskind abzutasten. Gerade hatte er eine Brünette von etwa 20 Jahren ins Auge gefasst, die sich wie in Ekstase zum Rhythmus der Musik wand. Sie sah aus, als wäre sie genau das richtige Opfer für ihn: Jung, hübsch, und was am wichtigsten war: betrunken. Er musste nur sicher gehen, dass sie keine Drogen nahm, denn selbst ein Vampir war vor der Sucht nach Drogen nicht gefeit. Alejandro ging zum Angriff über. Er löste sich aus der dunklen Ecke in der er gestanden und die Tanzfläche beobachtet hatte und trat ins Licht. Er bewegte sich zielstrebig auf die Tanzfläche und begann, zu der laut hämmernden Musik zu Tanzen. Dabei behielt er die Frau ständig im Auge. Langsam Tanzte er immer näher an sie heran, bis er schließlich direkt neben ihr war. Selbst in der stickigen Luft des Clubs konnte er ihr Parfum, ihren Schweiß und den Duft ihrer Haare riechen. Gegen seinen Willen musste er lächeln. Vorsichtig bewegte er sich noch ein wenig näher an die Frau heran und fing ihren Blick in dem seinen. Er bedachte sie mit einem anzüglichen Grinsen, hielt ihren Blick aber weiterhin in seinem Gefangen. Sie lächelte. Alejandro kam ihr nun so nahe, dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte und begann, seine Bewegungen den ihren Anzupassen. Sie hatte angebissen, und so wanden sie sich bald in einem ekstatischen Tanz, wie zwei sich umkreisende Schlangen. Alejandro konnte nicht genau sagen wann, aber irgendwann hatte sie begonnen, ihn zu küssen. Ihre Körper hatten sich in der Musik immer enger umwunden, bis sie schließlich die Arme hinter seinen Kopf gleiten ließ und ihre Lippen die seinen berührten. Zunächst nur Sanft, dann immer heftiger küssten sie sich und hielten sich dabei eng umschlungen. Er schmeckte ihre Lippen, ihren Atem, ihre Zunge. Sie hatte die ganze Zeit seid ihrem ersten Blickkontakt nicht einmal aufgehört ihm in die Augen zu sehen und tat es auch jetzt nicht, während ihre Küsse immer fordernder wurden. Er stellte zum wiederholten male mit einiger Zufriedenheit fest, dass sein 400 Jahre lang immer weiter ausgebildeter und oft erprobter Charme auch dieses Mal und vor allem unter diesen Umständen nicht versagte. Jetzt musste er nur noch warten, bis sie gehen wollte. In einer Pause zwischen zwei küssen nickte sie in Richtung Ausgang. Alejandro erlaubte sich ein zufriedenes Lächeln. Heute Nacht würde er seinen Hunger stillen können. Er beschloss, sie in seine Zuflucht mitzunehmen, um dort den Rest der Nacht mir ihr zu verbringen. Immer noch eng aneinandergeschmiegt verließen sie das "Vexir".

Beim Herausgehen merkte er an der Art ihrer Bewegungen, dass sie nicht so betrunken sein konnte, wie er gedacht hatte. Aber jetzt war ihm das gleichgültig, es gab nun ohnehin kein zurück mehr. Aber das war nur ein kleiner Teil von dem, was ihn bewog, diese Sterbliche mit in seine Zuflucht zu nehmen, wie er überrascht zugeben musste. Irgend etwas an der Art, wie sie ging, wie sie sich an ihn schmiegte, ja selbst in der Art, wie sie küsste, kam ihm unendlich vertraut vor. Als sie das verwirrende Stroboskoplicht des Clubs verließen und draußen in den Lichtkegel einer Straßenlaterne traten, um auf ein Taxi zu warten, sah er sie an. Der Anblick traf ihn wie ein schlag in die Magengrube und wühlte in den Überresten seiner Gedärme. Sie war wunderschön, und zugleich war ihm scheinbar jeder Quadratzentimeter ihres Gesichtes vertraut, ohne, dass er sagen konnte woher. Es war wie ein Anblick aus einer längst vergangenen Zeit. Er hatte es schon lange nicht mehr für möglich gehalten, aber offenbar war er dabei, sich unsterblich in diese Sterbliche zu verlieben.

Eine Stimme sanft wie dünnste Seide holte ihn aus seiner Überlegung. "Wie heißt du eigentlich?", fragte sie. Er stellte verzückt fest, dass die Stimme der Sterblichen genau zu ihrem äußeren passte. "Alejan... Alex", antwortete er wie in Trance. Sie lachte kurz, aber glockenhell auf. "Okay, ,Alex', wohin geht die Fahrt?" Sie hatte ihn durchschaut. Aber das schien ihr nicht im Geringsten etwas auszumachen, vielmehr wirkte sie belustigt. Alejandro verfluchte sich selbst für seine Ungeschicklichkeit. Die Situation entglitt ihm immer mehr, und das behagte ihm ganz und gar nicht. Schweigend winkte er ein Taxi heran. Er nannte dem Fahrer die Adresse seines Apartments, worauf seine Begleiterin die linke Augenbraue hochzog und leise durch die Zähne pfiff. Es war eins der besten Apartmenthäuser der Stadt, gut genug, dass die Besitzer keine Fragen stellten, wenn die Bewohner recht exzentrisch waren. Selbst dann, wenn sie Tagsüber nicht an die Tür gingen und die Vorhänge geschlossen hielten. Im Taxi wandte er sich seiner Begleiterin zu. "Entschuldige das gerade. Alex ist ein Spitzname. Ich heiße Alejandro, und du?" Sie grinste. "Warum nicht gleich so? Ich bin Julia." Zu den ohnehin schon seltsamen Gefühlen, die sich in seinen Gedärmen regten, kam nun noch die bohrende Frage, wer hier eigentlich wen verführt hatte. Sie beendete seine Grübelei, indem sie wieder begann, ihn heftig zu küssen. Sein blick fiel auf den Taxifahrer, und siedendheiß fiel ihm ein, dass er sie durch den Rückspiegel beobachten könnte. Wie würde er wohl reagieren, wenn er sah, wie Julia der Luft über ihrem Nebensitz einen Zungenkuss gab, dort wo eigentlich sein Mund war. Und was der Fahrer tun würde, wenn er sich umdrehte und Alejandro tatsächlich dasaß und einen Zungenkuss bekam. Doch er hatte Glück. Offenbar war der Taxifahrer bereits länger im Dienst und schon zu müde, um am Geschehen auf seinem Rücksitz interessiert zu sein. Beruhigt widmete er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Begleiterin. Als das Taxi vor dem Apartmenthaus hielt, stieg er schnell aus, bevor der Fahrer nun doch in den Spiegel schaute, und bezahlte die Fahrt. Dann half er Julia aus dem Wagen. In seinem Apartment angekommen fielen sie sofort auf das Breite Bett und warfen ihre Kleider von sich. Gierig fielen sie über einander her, umschlangen einander und küssten sich wie im Rausch. Und auf dem Höhepunkt ihrer beider Lust ließ er seine Fänge unendlich sanft durch die Samtene haut in das zarte Fleisch ihres Halses sinken, und die Ekstase ihrer Liebesnacht verband sich mit der des Trinkens zu etwas, das sie beide nie gespürt hatten, geschweige denn geahnt hatten, dass es existierte.

Kurze Zeit später lag sie neben ihm und schlief tief und fest. Er schätzte, dass sie bei der Menge Blut, die er getrunken hatte und bei der Wildheit, mit der sie sich geliebt hatten, nicht vor der nächsten Nacht wieder erwachen würde. Sie würde Hunger haben, aber für solche Fälle hielt er seinen Kühlschrank immer mit frischer - normaler - Nahrung gefüllt. 400 Jahre Erfahrung hatten ihn einiges gelehrt.

Bis dahin würden ihm aber noch einige Stunden zum Nachdenken bleiben. Und es gab so einiges, worüber er nachdenken musste. Wie jede Nacht galten seine Gedanken hauptsächlich Beliéna und der Leine, an der sie ihn hielt. Und wie er beides loswerden konnte. Aber in dieser Nacht wollte es ihm nicht gelingen, sich ganz auf diese Gedanken zu konzentrieren. Sie flossen wie zäher Sirup dahin und stockten wie Blut, das zu lange an der Luft gewesen war. Und sie wanderten. Sie wanderten immer wieder von dem Blutsband, der inneren Stimme, die ihn zwang Beliéna, seiner Nemesis, zu folgen, zu der schönen Frau, die nun ruhig atmend an seiner Schulter schlief. Was war so anders, so besonders an ihr? Seine Blicke wanderten von der hohen Zimmerdecke über ihren Arm, der quer über seiner Brust lag, bis hin zu ihrem Gesicht. Er betrachtete ihr vom Blutverlust bleiches und doch zufrieden und ruhig wirkendes Antlitz. Etwas daran kam ihm sonderbar vertraut vor, aber ihm wollte der entscheidende Gedankensprung nicht gelingen. Und dennoch, er schien jede Einzelheit ihres Gesichtes bereits zu kennen, noch bevor sein Blick die betreffende Stelle erreichte. Und der Anblick weckte Gefühle in ihm, die er schon lange nicht mehr gefühlt hatte: Verzehrende Sehnsucht, sengenden Zorn und unendlich tiefe, dunkle Trauer über einen unwiederbringlichen Verlust. Wie von selbst Wanderte seine Hand zu dem Medaillon, das seit er hier wohnte an einem Pfosten seines Bettes hing und schon immer am Pfosten eines jeden Bettes gehangen und auf dem Samt eines jeden Sarges gelegen hatte, in dem er jemals geschlafen hatte, in den ganzen 400 Jahren, die sein Herz nun schon nicht mehr schlug. Wie in Trance nahm er es vom Bettpfosten ab, legte es unendlich Sanft, als könne es bei einer falschen Bewegung zu Staub zerfallen, in seine Handfläche und öffnete es. Der Schock traf ihn mit einer Gewalt, die ein physischer Schlag niemals hätte erreichen können. Er schleuderte Aleandro weit zurück in die Vergangenheit, in eine unendlich ferne Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die einen winzig kleinen Teil seiner Existenz ausmachte und doch der wichtigste Teil seiner Existenz war. Er versetzte ihn in jene 20 Jahre am Anfang seiner Existenz, die 20 Jahre in denen er gelebt hatte. Und dort sah er jenes Gesicht, das er in seinem tiefsten Inneren, begraben unter all dem Tod und verschleiert von dem Band, mit dem ihn Beliéna an sich fesselte, doch niemals vergessen konnte. Und wenn er zur Seite blickte, zu jener Frau, an deren Blut er sich eben noch gelabt hatte, sah er genau dieses Gesicht vor sich. Die Welt verbarg sich hinter einem dichten Schleier und nun gab es nur noch ihn, das Medaillon, und die Frau, die der Abbildung im inneren des Medaillons wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein schien. Julia sah genau so aus wie Ana, die einzige Frau die er jemals wirklich geliebt hatte. Aleandro schluckte schwer. All die Erinnerungen kamen wieder in ihm auf. Die Erinnerungen an jene Nacht, die für sie beide eine der glücklichsten ihres Lebens hatte werden sollen und in der sie schließlich beide von der Hand derselben Frau gestorben waren. Die Nacht, in der er auf dem Empfang des edlen Don Valencio de Alba um die Hand seiner Liebsten anhalten wollte. Die Nacht, in der er Beliéna kennen lernte. Ihm schwindelte, das ganze Zimmer schien sich zu drehen und sein Bewusstsein versank in Finsternis.

Break my Bonds

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  AnimusDraconis
2007-10-24T16:53:28+00:00 24.10.2007 18:53
Guten Abend.
Hm, nachdem ich dieses Kapitel deiner Geschichte gelesen habe, kam ich nicht umhin, es auch zu kommentieren.
Kurz: Fabelhaft, im wahrsten Sinne des Wortes. Es vermittelt eine solche Deutlichkeit der Situationen, in der sich die Hauptperson befindet, dass es wirklich sehr fesselnd ist. Zu Beginn stört ein wenig, dass Groß- und Kleinschreibung bei dir dann und wann durcheinaderzugeraten scheinen, doch nach kurzer Zeit kann man es als Leser ignorieren (auch wenn du das gern ändern darfst ^.~).
Ansonsten sind die Beschreibungen sehr detailreich, einfach faszinierend! Auch, dass du genau zeigst, wie der Vampir unter normalen Menschen nicht auffällt, dass du ihn wie einen wirklichen Vampir ohne spezielle, alberne Stärken (Schutz vor Sonnenlicht oder ähnliches) darstellst macht die ganze Sache unglaublich interessant. Und das Blutsband, dem das neue Band, das er entwickelt, Konkurrenz zu machen scheint... Das macht Lust auf mehr. ;) Leider werde ich das nächste Kapitel nicht gleich lesen können, aber ich werde es nachholen!
Grüße
SanguisDraconis
PS: Irre ich mich oder sind die Clannamen und ein paar andere Dinge aus dem P&P-Spiel Vampire entliehen? (Ich spiele es nicht, habe aber etwas davon gehört). Wenn ja wäre es dazu noch hilfreich, die Eigenschaften dieser Clans zu erklären, wenn du sie erwähnst. Das würde auch deutlicher machen, warum Alejandro beispielsweise den einen Clan bevorzugt, obwohl seine Herrin einem anderen angehört...


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