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Der Glasgarten

von

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Phase 6

Phase 6
 


 


 

Morioka
 

Sakura stand an ihrem Lieblingsplatz auf der großen Terrasse, deren Aussicht in die Bergwelt des Nordens gerichtet war. Damals als sie diesen Ort - so wie er heute existierte - gegründet hatte war es ihr wichtig gewesen die Wohnhäuser möglichst an den Berg zu schmiegen.

Ihre Familie lebte schon seit Generationen in Morioka. Dieses Anwesen lag etwas außerhalb der Stadt. Als sie fortgegangen war hatte es das Haupthaus und vier Nebengebäude gegeben, heute waren es über dreißig Wohngebäude.

Die Laub- und Nadelbäume die hier mit größter Sorgfalt gepflanzt worden waren ergänzten die sehr alten größeren Gewächse, die selbst ihrem Urgroßvater schon Schatten gespendet hatten. Jede Generation hatte ihren Teil dazu beigetragen diesen Ort zu bewahren. Sie konnte sich noch genau an den Moment erinnern als sie nach langer Abwesenheit zurückgekehrt war. Es war Anfang Winter im Jahr 1964 gewesen. Nachdem sie knapp dem Tod entkommen war hatte sie hier für ein paar Monate Frieden gefunden. 22 Jahre später war hier die Idee zu Kritiker entstanden und der damit einhergehende Plan wie sie an die finanziellen Mittel dafür gelangen könnte.

Was wäre da besser geeignet gewesen als eine lukrative Hochzeit mit einem einflussreichen Mann?

Sano ihr ständiger Begleiter im Schatten hatte anfangs nur leise Kritik an ihrer Entscheidung geäußert aber sie konnte ihm damals deutlich ansehen was er davon gehalten hatte. Die Idee von Kritiker fand er zwar gut, doch einen der Clanbosse von Tokyo zu ehelichen um näher am Kern des Problems ihrer Heimat zu sein gefährlich.

Sakura musste an die Zeit damals zurückdenken als Sano beinahe einen Streit vom Zaun gebrochen hätte. Es blieb beim Beinahe-Streit. Er zog sich soweit in die Schatten zurück, dass sie ihn oft nicht zu sehen bekommen hatte. Wenn sie ihn brauchte war er da, aber sonst… machte er sich rar. Seine Art sie für ihre Entscheidung zu bestrafen und sie ließ ihn.

Sie versprach Yoshio Männer und Frauen der Kawamoris, er brachte die finanziellen Mittel für ihre Unternehmungen in die Zweckehe mit ein.

Chiyo und sie teilten sich dieses Arrangement und Yoshio bemerkte nicht wann die eine oder die andere Frau anwesend war. Er hatte kein wirkliches Interesse an ihr als Frau, ihn interessierte nur der Familienname, ihre Kontakte in politische Kreise und ihre gut ausgebildeten Attentäter. Sie war nur zwei Jahre im Clan anwesend bevor Chiyo sie vollständig ablöste und ihre Rolle als Ehefrau übernahm. Dabei war sie weniger eine Ehefrau, sondern mehr eine Ausbilderin, die Kawamoris darin unterrichtete wie sie PSI erkannten, sich schützten und sie töteten. Yoshio fand sehr großen Gefallen an dieser Idee und baute sie aus, sodass auch in den Vereinigten Staaten Jagd auf PSI der Trias stattfanden. Während er genug Geld über seine Geschäfte mit Waffen, Prostitution und Drogen mobilisierte, um sie in sein neues Hobby – der PSI Jagd – zu investieren, kümmerte sich Sakura damals darum möglichst viele Nichtkonvertierte vor den PSI der Trias zu retten.

Mit diesem Arrangement konnte sie beide Seiten abdecken – die Jagd nach PSI der Trias und den Schutz von Denjenigen die von ihnen verfolgt wurden.

Es gab also zwei Sektionen von Kawamoris. Die einen, die dem Clan überantwortet wurden und unter Chiyo dienten, die anderen die weiterhin in Morioka blieben und für den Schutz von Nichtkonvertierten in ihrer Funktion als Guards und Guardians ausgebildet wurden.

Yoshio kaufte sie in seinen Augen den Familien ab, nur strich Sakura das Geld für sie ein. Manx war eines dieser Kinder gewesen. Sie wurde von Chiyo in Morioka ausgebildet, dabei war Manx bald so gut, dass Chiyo sie Sakura eher für ihre Idee von Kritiker vorschlug, denn als Guard für einen Nichtkonvertierten. Manx war kein Runner, sie hatte keine leibliche Familie mehr und einen wirklichen starken Drang das Richtige zu tun, nachdem ihre Eltern bei einem Raubüberfall getötet worden waren. Die besten Voraussetzungen um sie für den Clan, als Guard oder für Kritiker auszubilden.
 

Mayumi kam 1989 auf die Welt. Sakura hatte weder die Zeit sich um ihre Tochter zu kümmern, um den Mann der ihr Vater war oder um sich selbst und ihre Wünsche. Masahiro war nicht ihr leiblicher Sohn gewesen, ein Kind das Yoshio mit einer seiner Geliebten gezeugt hatte. Da er damit endlich einen männlichen Nachkommen hatte erkannte er ihn als Nachfolger an. Seine Mutter lebte zwar mit im Haushalt hatte aber seither nicht viele Ansprüche zu äußern. Sie verließ bald nach seiner Geburt das Anwesen und überließ ihr Kind Yoshios Erziehung – und dieser überantwortete Masahiro einem stetig wechselnden Reigen aus Kindermädchen. Sakura hatte herausgefunden, dass sie bald darauf gestorben war, damals war ihr sofort klar gewesen, dass Yoshio die Frau töten hatte lassen. Mit ihr starb zeitgleich die Hebamme, die den Jungen zur Welt gebracht hatte. Keiner wusste, dass nicht Chiyo Sakurakawa die Mutter war. Nun, Chiyo, Sakura und Yoshio wussten es, damit war der Kreis der Wissenden aber überschaubar klein.

Dass Masahiro eine Frau ehelichte war ihnen durchaus bekannt gewesen – zumal Chiyo bei der Hochzeit anwesend gewesen war, doch wer diese Frau war hatten sie erst sehr viel später bei ihren Nachforschungen herausgefunden. Wie Yoshio und seine Handlanger, an ihr vorbei die Ehe mit Eva Villard arrangiert hatten war nur ihrem fehlenden Interesse geschuldet gewesen. Wie der Kontakt zustande gekommen war hatten sie später nicht in Erfahrung bringen können.

Chiyo war mit dem Aufbau von Kritiker beschäftigt gewesen und hatte noch die Hoffnung, dass der Clan darauf abzielte SZ aus ihrem Land zu jagen.

Sie selbst war in Europa gewesen und die Nachricht, dass Eva Villard schwanger war hatte sie nicht wirklich interessiert und das lag nur daran, dass sie nicht wusste wer sie war. Erst, als Chiyo ihr vor zwei Jahren berichtete, dass die Zwillinge deutliche PSI Fähigkeiten aufzeigten waren bei ihr alle Alarmglocken angegangen – aber es war zu spät gewesen, Chiyo bekam kaum Zugang zu ihnen, da hatte es sich bewährt, dass Kaito Sin infiltriert hatte. Yoshio setzte mehr Vertrauen in ihn als in seinen eigenen Sohn.

Einst hatte Yoshio der Gedanke gefallen, SZ aus seinem Land zu jagen, nur irgendwann war er falsch abgebogen, oder hatte SZ zu diesem Zeitpunkt den Clan schon infiltriert und ihn manipuliert?

Chiyo hielt sich teilweise in den Vereinigten Staaten auf um Kritiker dort voranzubringen. Kaito war in Japan größtenteils auf sich allein gestellt und er löste seine Probleme wie sie gesehen hatten auf seine eigene spezielle Weise.
 

Sie hatten den kleinen Gabriel nicht ausreichend untersuchen können um herauszufinden woher die PSI Gene in diesem Ausmaß kamen. Das lag vor allem daran, dass Gabriel voller Angst gewesen war.

Wer waren Eva und Katharina Villards Eltern gewesen? Katharina und sie hatten damals keine sichtbaren Fähigkeiten besäßen, oder hatte sie es einfach nicht erkannt? Sakura seufzte. Sie wusste es nicht, aber sie hatten momentan auch keine Möglichkeit nachzuforschen.
 

Sakuras Hände strichen über das Holz der Balustrade, die erst letztes Jahr erneuert worden war. Sano hatte zusammen mit Ishigo daran gearbeitet. Sie atmete die frische Morgenluft ein und versuchte die unwillkommenen Erinnerungen zurückzudrängen, was ihr nicht gelingen wollte. Vielleicht trug sie zu viel mit sich herum, dabei wäre es so leicht für sie Ereignisse komplett zu vergessen. Aber was würde das bringen? Wie konnte sie das Gesicht ihrer Tochter vergessen?

Mayumi und Aya starben und sie war nicht hier gewesen um sie zu schützen. Hätte sie damals das Angebot des Rates angenommen um ein dauerhaftes Mitglied zu werden dann… dann wäre die Trias vielleicht nie so weit gekommen. Aber wären dann auch all die Nichtkonvertierten gerettet worden, die sie durch Kritiker in Sicherheit bringen konnten? Wohl kaum, denn dann hätte es Kritiker nicht gegeben.

Woher hatten sie gewusst, was Aya war? Waren sie damals über Sano an die Liste gekommen? Sie hatte diese Möglichkeit vor Jahren ausgeschlossen, also woher hatten sie es erfahren? Bisher hatten sie das nicht in Erfahrung bringen können.
 

Sich von ihrer Familie fernzuhalten hatte nicht den gewünschten Effekt gehabt sie zu schützen. Mayumi wollte dieses Leben hinter sich lassen und in die Normalität fliehen. Die meiste Zeit war Sakura nicht in Japan gewesen, sondern in Europa und den Vereinigten Staaten. Zu dramatisch waren die Ereignisse um Sabin und SZ gewesen. Chiyo hatte die Aufgaben hier in Japan und das doppelte Spiel als Ehefrau und Kritikerboss übernommen.

In dem Jahr als Ran geboren wurde trafen Aim und sie eine der schwersten Entscheidungen ihres Lebens.

Erst 2015 kehrte sie nach Morioka zurück und blieb um Chiyo einen Teil der Arbeit hinter der größer werdenden Organisation abzunehmen. Zwei Jahre später hatte sie Sano das Angebot gemacht dauerhaft in Morioka zu bleiben. Während der Zeit in der Persha ihnen die Türen in Regierungskreise geöffnet hatte und ein Teil darüber finanziert werden konnte hatte sie tatsächlich kurz daran geglaubt Kritiker als Teil der Exekutive etablieren zu können. Doch Persha war persönlich zu sehr in seinen Kampf gegen Takatori verstrickt gewesen um noch das große Ganze zu sehen. Nie hätte sie gedacht, dass Weiß soweit zur Trias vordringen konnten um sie zu töten. Und niemand hatte nur den Hauch einer Ahnung besessen, dass Schwarz dies geplant hatte. Der Hellseher hatte alle getäuscht. Nur hatte er damals schon abschätzen können welche Konsequenzen sich daraus ergeben würden? Sie selbst hatte Rans Hartnäckigkeit unterschätzt und wohl auch seinen Hass, im Gegenteil zu Schwarz – diese hatten fest damit gerechnet.

Ran war 2015 fünf Jahre alt, Aya erst zwei gewesen. Sie hatte sie nur aus der Ferne gesehen oder auf Überwachungsfotos. Mayumi kannte in späteren Jahren lediglich Chiyo als ihre Mutter, was schwierig genug war. Mayumi hatte keine PSI Fähigkeiten, ihre Kinder jedoch schon was Sakura jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht gewusst hatte. Einen Runner in so jungen Jahren zu erkennen war schier unmöglich.

Hatte Mayumi etwas gesehen oder gehört, dass ihr Angst gemacht hatte, etwas dass sie nicht verstanden hatte? Hatte sie etwas über PSI erfahren?

Mayumi wollte von ihrer verbrecherischen Familie weg, sie hasste ihren Vater, ihren Bruder und den Clan. Ihrer Mutter hielt sie Schwäche und Unterwürfigkeit dem Clan und ihrem Mann gegenüber vor. Gefühlskälte reihte sich in die wenig schmeichelhaften Vorwürfe ein. Es hatte Chiyo ziemlich mitgenommen, das zu hören, doch sie beide hatten gewusst, dass ihre Pläne Opfer fordern würden.

Dass sie selbst so schnell nach der Hochzeit schwanger werden würde hätte sie nicht gedacht und dabei hatte sie mit dem Thema bereits abgeschlossen. Ein Kind war keiner ihrer Wünsche in ihrem Leben gewesen. Sie konnte keine Mutter sein. Sie konnte keine Gefährtin sein, schon gar keine Ehefrau. Sie war Vieles, aber all das nicht. Gefühlskälte war nur einer von vielen Vorwürfen mit dem Mayumi Recht gehabt hatte, auch wenn sie Chiyo damit meinte.

Mayumi ging.

Niemals wollte sie, dass ihre eigenen Kinder im Clan aufwuchsen, sie sagte sich los, nichtsahnend was sich hinter all dem tatsächlich verborgen hatte. Aber Mayumi war stark und wild entschlossen gewesen.

Chiyo hatte sie ohne Yoshios Wissen das Kämpfen gelehrt, schlussendlich hatte es ihr nichts genützt. Wie sollte es auch in dieser heimtückischen Welt in die sie schutzlos geboren wurde? Von ihrer gefühlskalten und manipulativen Mutter im Stich gelassen. Mayumi und ihr Mann Shin starben 2027.

Chiyo und Sakura hatten sich für ihren Tod gerächt, ihr Werkzeug war Ran gewesen, der von seiner Mutter im Schwertkampf ausgebildet worden war.
 

Sakura spürte wie sich ihre Brust verengte und sie atmete einmal tief ein und aus um den Druck loszuwerden. Doch er wich nicht, im Gegenteil er nahm zu. Sie ging einen Schritt auf die Umrandung zu und griff mit beiden Händen danach um sich festzuhalten. Keuchend blickte sie auf die Spitzen der Bäume hinab. Es roch nach Herbst. Schnee war dieses Jahr früh gefallen, doch wohl eher eine Auswirkung des Sturms gewesen. Die Blätter… sie verfärbten sich.

Sie musste sich auf den Geruch und die Farben konzentrieren…
 

„…ra“, hörte sie wie aus weiter Ferne. Noch ein Verbrechen in der langen Liste ihrer Verfehlungen das auf ihr Konto ging. Sie spürte Sano hinter sich und wollte sich umwenden doch es gelang ihr nicht, sie war wie erstarrt. Die vergangenen Taten zogen an ihr mit aller Macht, sie hatte ihnen zu viel Raum gegeben und nun hatten sie sie in ihrem Sog.

War es ihr nicht gelungen die Erinnerungen von den dazugehörigen Gefühlen zu separieren, warum kamen sie jetzt so plötzlich wieder?

War es der Gedanke an Sabin? War es die Nähe zu Ran?

Sakura spürte wie ihre Knie nachgaben und sie zu Boden sank, die Hände über sich umklammerten immer noch die Balustrade aus Holz.

Etwas zog an ihr so heftig, dass sie keuchte um sich dem Sog zu wiedersetzen. Sie durfte nicht fallen. Seit wann war diese Gefahr für sie wieder so groß geworden?

War es ihr fortgeschrittenes Alter?

Jemand zog ihre Hände von der Kälte weg und hüllte sie in menschliche Wärme. Sano war da. Er war da. Sie würde nicht fallen.

„Atme ruhiger“, sagte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Kraft mehr“, erwiderte sie mit Erstaunen in ihrer Stimme. „Etwas entzieht sie mir.“ Sie öffnete die Augen und sah in seine.

„Das bist du selbst.“

War sie das?

„Ich habe euch alle verloren.“

Er erwiderte nichts, sondern zog sie in eine feste Umarmung. Sie roch das Leder seiner Kleidung, war er für einen Auftrag unterwegs? Hatte sie ihn wieder auf eine Reise geschickt damit er nicht in ihrer Nähe war? Damit sie keine Sehnsucht bekam?

„Wie kann eine Mutter ihr Kind gehen lassen?“, fragte sie mit erstaunter Stimme zusammenhanglos.

Sie drückte sich vorsichtig von ihm weg um ihm in die Augen sehen zu können. „Wie kann ein Vater dies zulassen?“, fragte er leise.

Sie starrte ihn an, reglos. Er wusste es? Hatte er es die ganze Zeit gewusst?

Aus dem Augenwinkel erkannte sie eine Bewegung. „Sakura. Peter Stiller versucht Kontakt aufzunehmen“, hörte sie Chiyo, die auf die Terrasse getreten war. Sakura nickte ihr zu.

Dann blickte sie wieder zu Sano, der bereits aufstand und sie mit sich nach oben zog, da sie sich immer noch auf seine Arme stützte.

„Ich komme gleich“, sagte sie und Chiyo verließ sie wieder.

Sakura wusste nicht was sie zu Sano sagen sollte. „Ich…“

„Später“, unterbrach Sano sie und ließ sie los. Für einen Moment glaubte sie, dass er gehen würde um sie allein zu lassen, doch er wartete nur, dass sie vorging, um ihr zu folgen.

Sie wusste nicht ob sie die Kraft hatte um jetzt mit Peter zu sprechen, aber es war auch ungewöhnlich, so schnell von ihm erneut kontaktiert zu werden. Ging es um Katharinas Wunsch? Wollte der Rat sie sprechen?
 

Sie eilte in den Kommunikationsraum und ließ sich verbinden. Entweder beantwortete er ihre offizielle Anfrage an den Rat oder es ging wieder um Villards Bitte bezüglich Sabin. Sie hoffte es war Ersteres.

Sano, der ihr gefolgt war schloss hinter ihr die Tür, blieb aber außerhalb des Kameraradius stehen.

Sakura nickte Yùna zu und auf dem Bildschirm erschien nicht Peter, sondern eine Frau. Eine Frau die in die Vergangenheit gehörte und nur dort hin. Dabei hatte sie vor ein paar Minuten erst an sie gedacht.
 

„Fabienne, wie ich erfahren habe?“, fragte sie auf Deutsch, sie ließ sich ihre Irritation nicht anmerken.

„Sakura. Es ist schön dich zu sehen. Du... scheinst dich… kaum verändert zu haben“, sagte Katharina Villard freundlich. Ihre rostrote Lockenpracht wallte um sie herum. Keine Spur von Neid oder anderen Gefühlen die Sakura in der Vergangenheit entgegengebracht worden waren.

Sakura verlor sich für einen Moment in dem lebendigen feurigen Schein, bevor ihr Blick sich wieder fokussierte und sie in wache, aufmerksame blaue Augen sah. Sakura konnte nicht viel von Katharinas Umgebung erkennen, sie sah nur kahle Wände. Rückschlüsse auf den Ort an dem sie sich befand konnte sie nicht ziehen. Katharina trug eine hochgeschlossene dunkle Bluse oder etwas in der Art, keinen Schmuck.

„Es ist lange her“, erwiderte Sakura.

„Wie geht es dir?“ Sakura ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken, doch Katharina Villard sah um keinen Tag älter aus als zu dem Zeitpunkt da sie ihr das letzte Mal begegnet war. Was hatte Sabin mit ihr angestellt? Sie war kein PSI Talent... gewesen. Oder doch? Ein unentdeckter Runner? Oder etwas anderes? Das war... beunruhigend. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und etwas in ihr begann zu kribbeln.

„Ich gebe zu, es könnte besser gehen, denn ich mache mir um Sabin Sorgen.“

Sakura nickte um Verständnis zu bekunden.

„Ich hatte einen Anruf von Peter erwartet, Fabienne“, sagte sie.

Katharinas Gesichtsausdruck verriet Besorgnis über diesen Umstand. „Ja, diesen Plan hatten wir, allerdings ist er heute nicht zu einem Treffen erschienen. Wir wollten das weitere Vorgehen bereden, er kam jedoch nicht und ich kann ihn auch nicht erreichen.“

„Das ist bedauerlich“, gab sich Sakura höflich, auch wenn ihr gerade nach etwas anderem zumute war.

„Ist etwas vorgefallen?“, wagte sie einen Vorstoß.

„Nicht, dass ich wüsste. Es ist schwierig für mich an Informationen zu kommen, ich gelte hier immer noch als ein Außenseiter, nur geduldet durch meinen Kontakt zu Sabin.“

„Gibt es in der Anlage Mitglieder von Orden die der Trias direkt unterstehen?“ Katharina schüttelte den Kopf. „Nein, es sind nur Beauftragte des Rates hier, die sich um die Anlage kümmern.“

„Welcher Orden?“, fragte Sakura sofort. Sie befürchtete, dass es Auserwählte aus anderen Orden sein könnten vermeintlich linientreue Mitglieder. Die westliche Allianz käme dafür in Frage, sofern sie nicht Somi die alleinige Treue geschworen hatten.

„Das goldene Kreuz.“

Das beruhigte Sakura in gewisser Weise. Der Orden des goldenen Kreuzes unterstand direkt dem Rat und fungierte als Aufsichtsorgan. Ihm unterstanden die Judges.

„Ist die Anlage nach wie vor gut gesichert?“

„Ja, das ist sie. Ich... brauche dennoch ein wenig… Hilfe.“

„Peter erzählte mir davon.“

„Seit Jahren gibt es im Rat Fürsprecher und Skeptiker was das Öffnen des Gefängnisses anbelangt, sie streiten um eine Mehrheit. Peter wollte sich dafür einsetzen, dass andere Möglichkeiten der Öffnung in Erwägung gezogen werden. Somi als Stellvertreter für Sabin einzusetzen war meine Idee gewesen um Sabin milde zu stimmen.“

Katharina hatte offenbar großen Einfluss als Sprecherin von Sabin.

„Somi hat Kontakt zu Sabin?“

„In der Vergangenheit hatte er das, in den letzten Jahren lässt Sabin nur noch mich mit ihm sprechen, er verweigert die Kontaktaufnahme zu anderen.“

„Wie kann ich helfen?“, fragte Sakura.

„Ich bitte um ein Treffen, Sakura.“

„In der augenblicklichen Lage wird das nur schwer umzusetzen sein.“

Katharina Gesichtszüge drückten Bedauern aus. Es sah aufrichtig aus.

„Ja, das ist richtig, die Nachrichten sind voll von den Anschlägen in Japan und den USA. Ich würde mich dennoch freuen, wenn wir einen Weg finden würden.“

„Sobald sich die Lage beruhigt, Fabienne, bin ich offen für ein Treffen.“

„Ich verstehe. Vielen Dank, Sakura.“
 

Sie verabschiedeten sich und Sakura starrte den Bildschirm an. Stille herrschte um sie herum.

Jetzt wäre die Gelegenheit gewesen um sie nach ihrer Herkunft zu fragen, aber alle Gedanken daran waren wie weggeblasen gewesen als sie Katharinas Gesicht gesehen hatte.

Sie spürte Sanos Blick auf ihr. Etwas war faul, sie konnte nur nicht sagen was genau. „Sora, lege bitte ein Bild von ihr auf den Bildschirm.“

Auf dem großen Bildschirm, erschien Katharinas Gesicht und Sakura trat einen Schritt näher. Konnte sie ihr trauen? Warum hatte sie ihr Aussehen mit keinem Wort erwähnt? Sie waren keine Freunde in der Vergangenheit gewesen aber auch keine direkten Feinde. Dennoch schrie alles in ihr, dass dieser überraschende Anruf eine Warnung war. Sie wandte sich zu Sano um, in seinem ruhigen Blick standen Fragen, die sie nicht beantworten konnte.

Der Augenblick ging vorüber und sie verließen den Raum. In Gedanken versunken ging sie die Stufen hinunter. Im überdachten Teil des Weges zum Haupthaus blieb sie stehen.

„Vergrößere den Radius der Überwachung“, sagte sie Sano ihn hinter sich wissend.

„Weil...?“, fing Sano an und sie drehte sich zu ihm um. Er schien unsicher... das kam selten vor. Oder war es ihre eigene Unsicherheit die sie in ihm gespiegelt sah?

„Welche Teams haben wir in Europa?“, fragte sie dann, ohne ihm die Antwort zu geben die er brauchte.

Sano sah in den Garten hinaus, feiner Nieselregen fiel auf die Blätter der niederen Sträucher.

„Höllenfeuer, Fantastica, Nightmare, Krypton Brand und Bone Crusher.“

Sie nickte.

„Gut.“

„An was denkst du?“

„An etwas, dass Ethan gesagt hatte. Dass Hazel und auch Jules ihre Plätze als Sentinel eingenommen haben.“

„Willst du dich mit ihnen treffen?“

„Noch ist es zu früh, aber wir sollten zumindest die Option im Auge behalten. Wenn wir uns abstimmen, sollten wir in der Lage sein Kommendes besser einschätzen zu können.“

Sano berührte sie am Arm, eine seltene und in der Öffentlichkeit früher nie gezeigte Geste. Sie kam in der letzten Zeit häufiger vor. Spürte er etwas in ihr was sie übersah? Konnten sie sich wieder annähern und dort weitermachen wo sie einst begonnen hatten? Bevor all das geschehen war.

Sie blickt zu ihm auf.

„Das heißt du ziehst in Erwägung aktiv zu werden? Mit allen Konsequenzen die das mit sich bringen würde?“, fragte er sie und sie wusste nicht worauf seine Frage abzielte. Er gab ihr keinen Hinweis welche Antwort die klügste wäre, welche Antwort er brauchte.

„Tu ich das?“

„Ja. Das tust du. Du bist so aktiv wie seit Jahren nicht mehr.“

Sie hob den Arm und umfasste nun ihrerseits seinen Unterarm.

„Ich habe gedacht, dass es sinnlos geworden sei offen gegen die Trias anzukämpfen, dass es besser wäre sich zu verbergen. Aber das Verhalten von Straud scheint auf das Gegenteil abzuzielen. Wann war es vorgekommen, dass sie so brachial in das Leben von Menschen ohne Fähigkeiten eingegriffen haben? Nicht direkt, immer über Intrigen und politische Winkelzüge. Irgendetwas braut sich am Himmel zusammen und ich fürchte, dass wir am Anfang stehen. Ich will wissen wo die Ratsmitglieder sind. Wir brauchen Kontakt. Wenn wir wissen, ob die Struktur des Rates noch intakt ist dann können wir weitere Schritte planen.“

„Die Sentinels?“

Sie nickte. „Es gibt viele, von denen ich seit Jahrzehnten nichts mehr gehört habe. Einige pflegen noch sehr alte Bräuche und Traditionen. Vielleicht haben wir hier ein Problem, weil das Netz nicht mehr hält. Vielleicht sucht die Trias verzweifelt eine Lösung.“

„Und greift daher zu diesen Mitteln? Wie soll das helfen?“, fragte Sano und an seinem Tonfall erkannte sie bereits, dass er daran nicht recht glauben wollte.

„Ich weiß es nicht.“ Sie stöhnte frustriert auf und ließ den Arm sinken. Sano nahm seine Hand zurück und sie bedauerte diesen Umstand sofort.

„Soweit uns bekannt ist haben sie nie Unbeteiligte in ihre Konflikte mithineingezogen. Nicht in diesem Ausmaß. Es ging immer nur darum das Netz zu stabilisieren und daher neue PSI hineinzubinden.“

„Dann hat sich etwas verändert“, stimmte Sano zu.

Sie nickte.

„Sie waren vor drei Jahren auch schon in dieser verzweifelten Lage, damals fing es an. Der Sturz der Trias hat dieses Machtvakuum hinterlassen.“

„Ich glaube nicht daran, dass es nur um Machtkämpfe geht“, sagte Sano nachdenklich.

„Das halte ich auch für unwahrscheinlich“, stimmte Sakura zu.

„Ich brauche Chiyo.“

„Noch etwas?“, fragte er ruhig. Sie sah zu ihm auf und atmete innerlich tief durch.

„Hast du etwas von Ran gehört?“

„Gabriel hat vorhin angerufen. Ran erholt sich gut.“

Sie spürte wie dieser Satz ein Gefühl der Erleichterung in ihr weckte. Das war eine gute Nachricht. „Lassen wir die drei solange wie sie möchten dort. Je länger desto besser. Ich weiß nicht, ob es vernünftig wäre Gabriel das Bild seiner Mutter zu zeigen.“

„Du weißt wie schnell sich Dinge ändern können. Ist es nicht sein Recht die Informationen zu erhalten die ihn betreffen?“

„Ja.“ Sakura wandte ihren Blick ins Grüne und seufzte leise.

„Wie muss er sich wohl fühlen? Sie hat nicht einmal nachgefragt ob ich weiß wo er ist“, sagte sie.

„Dafür kann es verschiedene Gründe geben“, sagte Sano vorsichtig.

„Ja, ein Grund könnte sein, dass sie weiß wo er ist.“

„Das ist nicht der Einzige“, bemerkte Sano.

„Nein, aber der gefährlichste“, erwiderte sie und ihre Stimme nahm einen eisigen Tonfall an.

„Komm mit Chiyo in meine Räume“, sagte sie ohne ihn anzusehen.

Er machte sich auf den Weg und sie ging zunächst in die Küche um Tee zu bestellen, inklusive Sake.

Sie ging in ihre Räumlichkeiten, öffnete erneut die beiden Türen und blickte auf die bunte Landschaft, aus sich langsam verfärbenden Bäumen.

Nach einer Weile in der sie so dastand und die kühle Luft genoss hörte sie wie

Chiyo sich näherte und neben ihr stehenblieb. Sie folgte ihrem Blick, der in Richtung Aomori ging.

„Wer ist der Operator der Teams in Europa?“

„Richard Krypton.“

Sakura verzog das Gesicht als hätte sie in etwas Saures gebissen, Chiyo musste schmunzeln.

„Stimmt... Richard. Als könnte ich ihn… vergessen.“

„Soll ich Kontakt aufnehmen? Er agiert weitgehend selbstständig, das war der... Deal“, sagte Chiyo.

„Erinnere mich nicht daran.“ Sie rang scheinbar mit sich ob sie persönlich mit Richard Krypton sprechen wollte. Chiyo schüttelte innerlich den Kopf. Immer noch so stur wie früher.

„Ich brauche ein Team, dass sich dem Aufenthaltsort von Sabin nähert.“

„Ich werde mich mit Mihirogi in Verbindung setzen, ich denke, dass sein eigenes Team Krypton Brand am besten dafür geeignet wäre“, sagte Chiyo.

„Richard weiß weder etwas von Sabin noch vom Netz“, sagte Sakura.

Chiyo sah sie lediglich auf diese so typische ruhige Weise an, mit diesem mütterlichen Lächeln, das ihr so viel bedeutete. „Soll ich ihn unterrichten?“, fragte sie dann.

„Wenn du so fragst fühle ich mich verpflichtet das selbst zu tun“, meinte Sakura und seufzte. „Aber… noch nicht. Wir warten noch ein bisschen damit. Kontaktiere Mihigori und bitte sie die Trias im Auge zu behalten. Es geht mir nur darum, dass ich sicher weiß, ob wirklich das goldene Kreuz die Anlage überwacht.“

„Was ist mit Priest?“, fragte Chiyo.

„Wenn der junge De la Croix hier ist, dann ist Priest nicht weit. Aber ohne Möglichkeit der Kontaktaufnahme. Wenn Priest Kontakt wünscht, wird er ihn zu uns aufnehmen, auf die eine oder andere Art. Er ist schwer einzuschätzen, das wäre keine verlässliche Quelle.“

„Dann wird es schwierig herauszufinden sein. Uniformen werden außerhalb des Gefängnisses sicher nicht getragen und im Bereich der Forschungsanlagen besteht der Hauptteil der Menschen aus Zivilisten, die nichts über den zweiten Teil der Anlage wissen.“

„Der Rat wird dafür Sorge getragen haben, dass es nicht entdeckt wird. Richard wird sich wohl etwas einfallen lassen müssen“, meinte Sakura lapidar.

Sie sah wieder zu Chiyo, ob diese damit einverstanden war.

„Infiltration können wir als Option in Erwägung ziehen“, sagte diese.

Sakura kaute auf ihrer Unterlippe herum, eine dumme Angewohnheit, die sie vor Jahrzehnten geglaubt hatte abgelegt zu haben.

„Du meinst, wenn ich Richard gleich reinen Wein einschenke, strengt er sich mehr an?“

Chiyo neigte zustimmend den Kopf. „Ihr kennt ihn besser als ich.“

Sakura machte ein abfälliges Geräusch.

„Ja, das ist es eben, bei der Nachverfolgung des Serums hat er ganze Arbeit geleistet, das muss ich ihm lassen.“

„Er ist nicht so schlecht wie Ihr annehmt.“

Sakura zog ein skeptisches Gesicht. „Nein, das ist er nicht, er ist nur überheblich.

Mein Rückzug aus dem aktiven Geschäft erweist sich als schlechter Schachzug“, murmelte sie.

„Ihr habt Kritiker in Europa, Japan, Südamerika, den Vereinigten Staaten und Russland ins Leben gerufen.“

Sakura seufzte. „Russland zählt nicht, ist noch im Aufbau“, sagte sie verdrossen.

„Warum zweifelt Ihr an Euch?“, fragte Chiyo dann in die entstandene Stille hinein.

„Weil…“, Sakura verstummte.

„Ich habe viele Fehler gemacht. Ran ist hier. Er ist hier. Und ich habe Angst zu…“, fing sie an wusste jedoch nicht ob sie das sagen sollte.

„… zu versagen?“, beendete Chiyo den Satz verblüfft. Sie kam näher und berührte Sakura an der Schulter.

„Wie oft haben wir gezweifelt in den letzten… was… 49 Jahren? Ihr konntet nicht überall gleichzeitig sein, auch wenn Ihr euch das gewünscht habt.“

Sakura sah sie an und sie spürte wie Tränen ihre Augen brennen ließen.

„Ich habe Mayumi gar nicht gekannt.“ Ihre Stimme brach. Sie schluckte den Kloß im Hals nach unten und holte tief Luft.

„Ich habe meine eigene Tochter nicht gekannt.“

Chiyo nahm sie in den Arm und Sakura legte ihren Kopf auf die Schulter der kleineren Frau. „Ihr werdet ihren Sohn, euren Enkel kennen“, versicherte ihr Chiyo.

„Und Sano? Kannst du mir zu Sano auch etwas Tröstendes sagen?“, bat sie mit leiser Stimme.

Chiyo lachte leise. „Er liebt Euch. Reicht das nicht?“

„Nein, das schmerzt umso mehr“, behauptete sie trotzig.

„Oh, dann ist es diese Art von Schmerz? Wie lange wollt Ihr euch dieser Qual noch hingeben bevor Ihr versteht was Ihr beide braucht?“

Sakura wischte sich die Tränen weg. Dann atmete sie tief durch, straffte sich und sah Chiyo wieder in ihre warmen Augen. Es war nicht das erste Gespräch dieser Art in jüngster Vergangenheit.

„Du meinst bevor alles vor die Hunde geht, sollte ich ihn… aufklären…“

Chiyo lachte leise.

„Ich denke Ihr wolltet etwas anderes sagen, aber ja, es wird Zeit. Er wird solange warten bis es Euch und ihn nicht mehr gibt. Meint Ihr er hätte nicht daran gedacht, dass Mayumi sein Kind war?“

„Er hat vorhin etwas… ich bin mir nicht sicher, ob er...“ Sie verstummte.
 

Ein paar Minuten vergingen und sie hingen ihren Gedanken nach.

„Woran denkt Ihr?“, fragte Chiyo dann.
 

Diese Frau. Diese verdammte Frau. Erneut stellte sie sich zwischen ihre Pläne. Sie war keinen Tag älter geworden. Was hatte Sabin mit ihr gemacht... oder zu was hatte er sie gemacht?

Und wenn Katharina im Recht war? Wenn es Zeit wurde das Gefängnis zu öffnen? Niemand wusste wie sich Sabin verändert hatte oder ob er sich verändert hatte. Sie wussten gar nichts, nur dass er zu... stark war, viel zu stark war und zu unbeherrscht, zu naiv, zu... liebenswert. Was wenn sie Katharina unrecht tat und etwas vermutete was gar nicht existierte?

Kein Wort von ihrem Sohn, keine Silbe über Gabriel.
 

„Ich weiß, ich habe mich vom Rat entfernt, die Ratsmitglieder haben dies respektiert. Peter hat das respektiert.“ Sakura entfernte sich ein paar Schritte und legte ihre Hände wieder auf die Balustrade.

„Sano hat mich unterrichtet. Glaubt ihr, Peter hätte Katharina die Möglichkeit für die Kontaktaufnahme eingerichtet?“

„Ich bin mir nicht sicher und ich weiß nicht, ob das ein guter Umstand ist.“

„Wie kommt Ihr darauf?“

„Ich gehe davon aus, dass Peter tot ist.“

„Die Annahme beruht auf welcher Grundlage?“

„Katharina hat sich über diese Nummer gemeldet und um ein Treffen gebeten. Im Prinzip hat sie nichts Neues gesagt, sie hat lediglich die Bitte, die Peter geäußert hat wiederholt, als würde sie nur Hallo sagen wollen. Und, diese Frau ist um keinen Tag älter, als vor ungefähr 25 Jahren. Das war zwei Jahre nachdem Sabin sie und das Kind verlassen hat.“

„Gabriel“, warf Chiyo ein. Sakura nickte in Gedanken versunken.

„Ja...Gabriel.“

„Peter hätte ihr diese Nummer nicht verraten“, sagte Sakura.

„Nein, er wollte als Mittelsmann fungieren. Hat Peter ihr Äußeres erwähnt?“, fragte Chiyo.

„Nein, das hat er nicht“, sagte Sakura nachdenklich.

„Aber was will sie?“

„Peter sagte, dass sie Sabin befreien will.“

„Warum?“

„Er will seinen Sohn sehen.“

„Sagt sie.“

„Ja, das sagt sie“, wiederholte Sakura.

„Ihr glaubt ihr nicht.“

„Ich weiß nicht was ich glauben soll“, musste Sakura zugeben.

„Wir brauchen Aim und den Schlüssel dafür... ohne jede einzelne Komponente können wir den Mechanismus nicht aktivieren.“

„Das heißt der Reaper muss in der Nähe sein?“

„Ja, um die erste Instanz der Öffnung einzuleiten ist der Reaper von Nöten.“

Sakura drehte sich plötzlich zu Chiyo um. „Sie wollten nicht den Hellseher, sie brauchen Gabriel.“

„Sie denken, dass sie Gabriel brauchen, weil sie wissen, dass er diese Fähigkeit besitzt“, stimmte Chiyo zu.

„Das mag ja sein, aber sie verstehen offensichtlich nicht wie dieser Mechanismus funktioniert. Aim trägt die fehlende Komponente, Gabriel wird nichts tun können. Und er ist nicht ausgebildet, viel zu schwach“, sagte Sakura.

Chiyo nickte. „Gabriel ist ein Kind, der Reaper in ihm aber stark ausgeprägt.“

„Die Vergangenheit hat ihn genährt. Ich bin mir sicher, dass der Reaper in ihm stärker als der seines Vaters ist.“

Sakura konnte aus dem Augenwinkel sehen wie Chiyo ihr das Gesicht zuwandte.

„Die alte Trias ist dafür verantwortlich. Ihr meint, dass die Trias die Absicht verfolgte um sich einen gefügigen Reaper zu ziehen? Einen der gegen seinen Vater antreten konnte?“

„Es sieht für mich danach aus.“ Sakura zuckte leicht mich den Schultern.

„Im Grunde genommen weiß ich es nicht. Vielleicht stand hinter den grausamen Methoden der alten Trias lediglich eine Art Bestrafung, oder doch der perfide Plan Gabriels zerstörerischer Seite mehr Nahrung zu geben.“

„Der Hellseher hat dem eine Ende bereitet.“

Sakura lachte freudlos auf. „Und uns soweit manipuliert, dass Weiß für ihn die ganze Arbeit machte.“

„Nun, es führte zum Erfolg.“

„In gewisser Weise.“ Sie ging zu dem Paneel auf der rechten Seite und schloss die großen Panoramafenster. Sakura ging hinüber zu Tisch und Sitzkissen. Sie setzte sich auf ein bequemes Sitzkissen und schenkte Chiyo und sich Tee ein.

„Wenn ihr Ziel Gabriel war und noch immer ist dann…“, fing Chiyo besorgt an.

„Ohne ein Druckmittel würde Gabriel weder Rat noch Trias helfen. Er hat nicht die gleiche Bindung zu seinen Eltern wie ein Kind das behütet und geliebt aufgewachsen ist. Ich weiß nicht was sie ihm aktuell bedeuten, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich sofort auf eine derart weitreichende Maßnahme einlassen würde. Vor allem nicht, wenn wir nicht abschätzen können was dann passiert. Trotzdem kann es dazu kommen. Wenn er sich weigern würde…“

Sakura sah sie lange an. „Ran.“

Chiyo neigte den Kopf leicht zur Antwort.

„Oder… seine von den Toten auferstandene Mutter bittet ihn um Hilfe“, schloss Sakura.

„Ich kann ihn in diesem Punkt nicht einschätzen, aber er scheint mir nicht leichtgläubig zu sein“, sagte Chiyo.

„Das nicht, aber er sehnt sich nach der Wärme einer Familie. Das könnte durchaus problematisch werden“, gab Sakura zu Bedenken.

„Der Hellseher stand ihnen in diesem Punkt im Weg, er musste lediglich beiseite geräumt werden“, sagte Chiyo.

Sakura nickte. „Sie haben ihn sicher nicht getötet, dazu ist er zu wertvoll“, sagte sie nachdenklich.

„Aber es waren die Männer der Trias, Somis Männer die, Schwarz angegriffen haben. Im Auftrag des Rates? Oder handelt Somi auf eigene Faust wie wir vermuten?“, gab Chiyo zu Bedenken.

„Die Judges waren es nicht gewesen, ein Kampf gegen sie hätte Schuldig nicht alleine bestreiten können. Es waren Somis Anhänger gewesen.“

Sie schwiegen eine Weile und tranken ihren Tee während beide ihren Gedanken nachhingen.

„Warum sucht Katharina ausgerechnet jetzt Kontakt?“, fragte Sakura dann.

„Lässt Euch ein Gefühl oder eine Erinnerung aus der Vergangenheit keine Ruhe in diesem Punkt?“, fragte Chiyo bedächtig.

Sakura überlegte einen Moment und sah dann ihre treue Beraterin an.

„Ja...“, sagte sie bedauernd. „Das kann sein, ich mochte sie nicht, sie hat uns Sabin entrissen. Deshalb... sollte ich vorsichtig sein mit dem was ich über sie denke. Und vielleicht interpretiere ich zu viel in dieses Gesuch nach Kontakt hinein. Was macht es schon, wenn sie eine PSI ist?“

Chiyo sah auf und ihre Blicke begegneten sich. Sakura nickte.

„Viel“, antwortete Chiyo.

Sakura schnaubte. „Sie hatte definitiv keine Fähigkeiten besessen. Wir hatten damals alles mögliche veranstaltet um herauszufinden wer sie ist, aber alles war normal und wir kümmerten uns eher um Sabin und seine Gemütsverfassung.“

„Es waren schwierige Zeiten“, gab Chiyo zu bedenken.

Sakura nickte. „Irgendwie sind es immer schwierige Zeiten.“

Chiyo schenkte ihnen Sake ein.

„Wir brauchen Beweise, das sind alles nur Spekulationen. Wir haben keine verlässlichen Informationen über die Dynamik der einzelnen Parteien. Da ist der Rat, die Trias, Somi inklusive des Clans, die Judges und … Katharina Villard.“

„Und warum haben sie Aim nicht eingesetzt? Er wäre sehr nahe gewesen“, sagte Chiyo.

„Nicht einmal ich habe geahnt, dass Aim den Reaper trägt. Da sie nicht wussten was Aim für Fähigkeiten hatte sind sie wohl nie auf den Gedanken gekommen, dass Aim Sabin den Reaper wegnehmen konnte. Sie halten Aim wohl für einen außer Kontrolle geratenen PSI, wenn es denn stimmt. Firans Angaben waren sehr genau. Ich muss Aim sehen... ihm begegnen... ich...“, sie wandte sich wieder der Landschaft zu. „Ich würde ihn sehr gerne wiedersehen wollen.

Der Schlüssel jedoch ist außer Reichweite, ohne diesen ist alles andere sinnlos“, sagte Sakura.

„Damals... als Ihr das Gefängnis entworfen habt... die Wissenschaftler, wo sind sie. heute?“, fragte Chiyo nachdenklich.

„Ich kenne ihre Namen, aber wo sie sich nach so langer Zeit aufhalten weiß ich nicht.“

„CERN läuft seit Jahrzehnten weiter.“

„Ja, das Projekt läuft weiter und hat sich seit den 60er Jahren erfolgreich entwickelt. Ohne, dass sie wissen was ihr Teilchenbeschleuniger im Zaum hält. Vermutlich halten einige Telepathen ihre Hand über diesem Geheimnis.“

„Dort arbeiten sehr viele Menschen.“

„Wir hatten Angst, dass er seinem Gefängnis eines Tages entkommen könnte, deshalb fesselten wir ihn an seinen Körper und der Rat hält ihn augenscheinlich immer noch am Leben.“

„Ihr habt ihn dort versteckt wo es am Sichersten für ihn war.“

„Ja, für ihn und für alle anderen. Das war damals die Befürchtung der Trias. Die nackte Angst ging um, hinzukam, dass das Netz sich immer mehr destabilisierte. Die Trias musste handeln, er war nicht mehr das Problem Nummer Eins.“

Sakura nahm einen Schluck Sake.

„Was tun wir jetzt?“, fragte Chiyo.

Sano kam herein und sie unterrichteten ihn über ihre Vermutungen und weiteren Pläne.

„Chiyo hat einen Punkt angesprochen der mich auf eine Idee bringt. Ich gebe dir eine Liste mit Namen, schicke Aufklärer hin um den Status der Leute auf der Liste zu erfahren.“

Sano erhob sich sofort.

„Nein, trinken wir zunächst zusammen Sake, ich muss nachdenken und mich... an die Namen erinnern.“
 


 


 


 

Tokyo
 

Nagi wälzte sich unruhig in seinem Kokon aus Fell hin und her, das Gesicht verborgen vor der Außenwelt bis er es leid war und die Augen öffnete. Er hörte gedämpfte Stimmen und streckte seinen Kopf aus dem Mantel heraus in ihre Richtung. Die Tür seines Raums war zum ersten Mal offengelassen worden. Das waren bestimmt gute zwanzig Zentimeter Freiheit. Die er ohnehin nicht wollte.

Er hörte Bolder, Mia und zwei Stimmen die er noch nicht auseinanderhalten konnte und dann war da noch De la Croix unverwechselbare warme Stimme, die zwar gelassen klang, doch ein mürrischer Unterton war für Nagi deutlich herauszuhören. Über was sie genau redeten konnte Nagi nicht hören. Er rutschte etwas höher und setzte sich auf. Sein weicher Kokon rutschte herunter und er sah sich um. Vielleicht sollte er duschen und mit Sicherheit konnte er es heute auch vollständig alleine.

Mühsam arbeitete er sich aus dem Mantel heraus und setzte die bloßen Füße auf den gefliesten Steinboden. Seine Oberschenkel zitterten vor Protest als er sich erhob. Die kurze Hose, die ihm Whisper in einer Vielzahl von Farben geschneidert hatte gehörte zur Abteilung Unterwäsche. Sie passte natürlich perfekt. Passende Unterhemden gab es in der entsprechenden Farbe selbstverständlich auch. Alles was er sein Eigen nennen durfte lag fein säuberlich in einem Schrank, den Bolder gestern erst hier hereingeschleppt hatte. Woher sie ihn hatten wusste Nagi nicht, aber er sah verdächtig nach einem Aktenschrank aus.

Heute trug er ein Ensemble in blaugrau.

Nagi ging vorsichtig in Richtung Badezimmer und schloss leise die Tür hinter sich. Das Licht war automatisch angesprungen und er drehte sich zur rechten Seite hin um sich die Hände zu waschen. Den Blick in den Spiegel vermied er tunlichst, stattdessen genoss er es wie das warme Wasser über seine Hände strömte. Wie lange er so dastand und nur das Wasser betrachtete wusste er nicht, aber es musste eine geraume Zeit vergangen sein, denn als plötzlich die Tür geöffnet wurde erschrak er sich. Er zuckte zurück und wich an die Wand aus. Vorsichtig lugte er um die Ecke und erkannte nur Alexandré De la Croix der in der Tür stand und hereinkam. Er ging zum Waschbecken und drehte das Wasser zu. Nagi hielt die nassen Hände vor sich und sah ihn abwartend an.

„Ich dachte du wärst vielleicht kollabiert“, erklärte der Mann sein Hereinkommen.

Nagi schüttelte den Kopf rührte sich jedoch auch nicht von seinem Platz.

„Schwindlig ist dir nicht, oder?“

Wieder schüttelte Nagi den Kopf. Er fühlte sich befangen in der Nähe des großgewachsenen Mannes. Obwohl Brad und auch Schuldig sicher furchteinflößender sein konnten fühlte sich Nagi in der Nähe des Mannes komisch. Sein Bauch flatterte und das Gefühl als schnüre es ihm den Brustkorb ab machte es nicht besser. Sicher wäre es besser etwas zu essen.

Nagi tippte sich in die Schläfe und ließ die linke Hand sinken. Dann sah er mutig – wie er fand – auf und traf auf die zwei unterschiedlichen Iriden die ihn wie stets ruhig musterten.

Er spürte wie sanft der Mann sich in seine Gedanken vortastete, das war sehr angenehm, nicht so wie bei Schuldig oder Mia. Nagi entspannte sich dabei und ließ die Schultern sinken. Dabei bemerkte er erst wie angespannt er gewesen sein musste.

‚Vielleicht sollte ich etwas essen? Ich fühle mich seltsam. ’

‚Übelkeit? Hast du Fieber? ’

De la Croix kam näher und legte ihm eine Hand auf die Stirn. Nagi lehnte sich leicht in die Berührung.

‚Nein, du hast kein Fieber. ’

‚Schade. ’

Nagis Augen wurden größer. Er starrte den Mann an und festigte seine Schilde. Was nicht dazu führte, dass dieser körperlich beeinträchtigt schien. Schuldig hatte stets Kopfschmerzen davongetragen, wenn er ihn hinausgeworfen hatte, was in der Regel nie mit Absicht gewesen war. Alexandré zog sich lediglich zurück.

‚Hast du Angst, dass wir dich wieder zu den anderen bringen, wenn du genesen bist? ’

Automatisch nickte Nagi. Nein, das war nicht das was er gedacht hatte. Aber es war eine perfekte Begründung für seine dummen Gedanken.

„Darüber musst du dir keine Gedanken machen, Yuki. Ich werde auf dich achten, hier wird dir nichts mehr geschehen.“

Nagi nickte wieder. Er fühlte sich plötzlich befangen in der Nähe von Alexandré, warum ahnte er nur und wollte sich nicht näher beschäftigten. Alles fühlte sich fremd an, er selbst fühlte sich fremd an. Aber… er war jetzt jemand anderes und er musste sich nicht richtig oder so verhalten wie es andere von ihm erwarteten. Sie wussten nicht wie er wirklich war, er konnte Fehler machen, oder?

Hatte er nicht schon früher Rollen gespielt bei ihren Aufträgen? Wie lange hielt der Umstand an, dass er keine Fähigkeiten vorweisen konnte? War es für immer? Oder nur für bestimmte Zeit? Und wenn er so schwach war würde er bald sterben? Schuldig war nicht da um seinen Schild zu stabilisieren.

„Yuki?“ Nagi sah erschrocken auf, da er sich alleine wähnte.

„Bolder bringt dir etwas zu essen, kommst du hier alleine zurecht?“

Nagi nickte und nahm das Handtuch, dass Alexandré ihm reichte entgegen, seine Hände waren noch nass. Er machte jedoch keine Anstalten sich zu duschen. Erst als Alexandré mit einem nachdenklichen Blick das Badezimmer verließ löste sich Nagi von der Wand und sah zu, dass er aus seinen Kleidern kam, was schwieriger als gedacht erschien. Wenn er im Bett lag war alles gut und er fühlte sich gewappnet für neue Herausforderungen, sobald er aufstand sah die Sache ganz anders aus. Seine Bewegungen waren so ungelenk und alles dauerte lange.

Er duschte nur kurz, führte seine zitternde Hand über den Sensor damit das Wasser ausging und trocknete sich dann ab. Mit nur einem Handtuch um die Hüften ging er nach draußen und suchte sich im Schrank neue Kleidung. Heute entschied er sich für eine Jeans in Kombination mit einem weißen langärmligen Shirt. Nagi besah sich die ordentlich gefalteten Socken. Sie waren zweifarbig, aber sehr fein gestrickt, fast maschinell. Nagi nahm ein Paar in die Hand und konnte sehen, dass sie definitiv nicht maschinell hergestellt worden waren. Sie waren wohl auch von Whisper gefertigt worden. Er entschied sich für ein oranges Paar, welches fast dieselbe Farbe wie Schuldigs… Haare hatte.

Nagi seufzte und setzte sich aufs Bett um die Socken anzuziehen, nur um sich dann wieder hinzulegen. Er kuschelte sich in das Fell des Mantels und blickte an die Decke.

Er musste daran denken was Alexandré darüber erzählt hatte, dass er sich mit ihm – also mit Nagi verbinden wollte. Ob Brad das erlaubt hätte? Wohl kaum. Alexandré hatte keinen guten Ruf bei Brad und Schuldig. Was wohl damals vorgefallen war? Er hatte selbst gesagt, dass er viel falsch gemacht hatte, weil er zu jung gewesen war um vielleicht die Hintergründe zu verstehen. Er selbst konnte auch nicht behaupten ein Ausbund an Moral zu sein.
 

Könnte er ihm tatsächlich helfen? Würde das seine Schuld etwas mildern? Yuki hatte aber keine Schuld, Yuki war unverschuldet in diesen Schlamassel hineingeraten, er war das Liebchen von Naoe gewesen.
 

Wie er wohl ist, dieser Yuki?
 


 

o
 


 

Tokyo
 

Sie waren wieder lange mit dem Van unterwegs gewesen. Eine Nacht war sogar vergangen und der nächsten Tage hatte keine Verbesserungen für Akihito mitgebracht. Mehrmals wurde er aus dem Van gezerrt, seine Augen verbunden, dann wieder hinein, dazwischen endloses Warten an irgendwelchen heruntergekommenen Orten. Er hatte sein Zeitgefühl verloren und wusste nicht wie viele Tage vergangen waren.

Noch immer war er gefesselt, noch immer steckte er in diesen seltsamen Klamotten. Er sah aus wie ein düsterer Stricher. Seine Haare waren in der Zwischenzeit zurechtgemacht worden, ebenso sein Gesicht und sogar seine Nägel. Der verrückte Harlekin war nicht von seiner Seite gewichen.

Wieder wurde es Tag. Und seit es Tag geworden war steuerte wieder dieser andere Typ den Wagen. In bestimmten Zeitabständen stiegen sie aus und er wurde in das eine oder andere Gebäude verfrachtet. Der Typ gab ihm etwas zu Trinken und zu Essen, er durfte die Toilette benutzen. Es war ihm nicht ganz geheuer, unabhängig davon, dass diese ganze Sache schlimm für ihn war. Wo brachte er ihn hin? Und was hatte er mit ihm vor?

Irgendwann kamen sie irgendwo an und es wurde langsam wieder Abend. Und wie nicht anders zu erwarten tauchte der Harlekin wieder auf.

Er hörte draußen Musik und Gelächter.

„Sie werden dafür bezahlen“, sagte er als der Harlekin sich an seiner Fessel zu schaffen machte, sie jedoch nur von der Leiste löste, seine Hände waren immer noch gefesselt. Panik überfiel Akihito und er begann sich erneut zu wehren. Der Harlekin schnalzte nur mit der Zunge und verspasste ihm eine Ohrfeige, die seinen Kopf zur Seite schleuderte.

„Benimm dich mein Zuckerschnütchen, lächle“, sagte er und Akihito wurde es eiskalt. Tränen hatten sich in seine Augen geschlichen und er starrte in die dunklen Höhlen der Maske, dort wo Augen sein sollten, menschliche Augen, aber alles was er vorfand war gefühllose Dunkelheit und sein ängstliches Spiegelbild.

Er zog ihn aus dem Van und Akihito erkannte ein großes Anwesen. Waren sie auf einer ... Halloweenparty? Verkleidete Menschen gingen an ihnen vorbei, während sie weiter auf das Grundstück liefen. Er erkannte Wachposten an einigen Stellen, die sie beäugten und etwas in ihre Funkgeräte weitergaben. Dann gingen sie in Richtung Seiteneingang und passierten ein schmiedeeisernes Tor. Der Harlekin schloss es wieder und sie kamen an eine Tür. Er öffnete sie und sie gingen einen Flur entlang. Vor der Tür mit zwei Wachen blieben sie stehen. Der rechte Mann klopfte an die Tür. Gedämpft hörten sie ein Ja und er öffnete ihnen die Tür.

Sie kamen in einen Raum mit einem Mann der hinter einem Schreibtisch saß. Er trug ein Kostüm aus der Renaissance und wollte wohl einen Adligen darstellen. Der Harlekin zog ihm mit einem Fußtritt die Beine unter seinem Körper weg und Akihito fiel. Er konnte sich gerade noch mit seinen Händen abfangen um nicht auf seinem Gesicht zu landen.

„Du hast Wort gehalten“, sagte der Mann. Er erkannte die Stimme, die Statur und jetzt auch das Gesicht hinter der Schminke. Das war Sowa. Der Menschenhändler. Sein Herzschlag beschleunigte sich rapide.

Er richtete sich auf die Knie auf und sah zu wie der Harlekin sich formvollendet verbeugte. Erst aus seiner jetzigen Position heraus fielen ihm die beiden Dolche in dem Leder der Stiefel auf, die der Harlekin trug. Sowa erhob sich hinter seinem Schreibtisch und der Harlekin reagierte blitzschnell. Er sprang agil nach hinten. Die Glöckchen klimperten aufgeregt und er schüttelte langsam den Kopf. Dann streckte er die Hand mit der Handfläche nach oben aus.

„Du willst die Gegenleistung. So schnell schon?“

Der Harlekin nickte übertrieben und breitete die Arme aus wie, um zu zeigen, dass er selbst nichts für diesen Umstand könne. Er wiegte bedächtig den Kopf hin und her während Sowa telefonierte und dann einen Umschlag aus einer Schublade zog.

„Das sollte genügen. Es ist alles in die Wege geleitet.“

Er legte den Umschlag ans Ende des Schreibtisches und zog sich dann zurück. Der Harlekin beäugte den Umschlag aus der Ferne und sah dann zu Sowa auf.

„Die Spinne wies mich an, dass du einen gewissen Radius brauchst um dich wohlzufühlen.“

Der Harlekin wiegte den Kopf hin und her und nickte beipflichtend. Akihito konnte Sowa ansehen, dass ihm der Typ nicht ganz geheuer war. Ihm auch nicht.

„Arbeiten dieser Art liegen dir? Es gibt Zuhauf Aufträge die ich dir verschaffen könnte.“

Der Harlekin neigte abwägend den Kopf zur Seite und legte einen Zeigefinger an sein Kinn als müsse er darüber nachdenken, er blickte zu Akihito und dieser starrte in schwarze Höhlen in denen sich irgendwo zwei Pupillen im Gegenlicht spiegelten.

Er blickte wieder zu Sowa und schüttelte deutlich den Kopf.

Der Harlekin tänzelte zum Schreibtisch, öffnete mit grazilen übertriebenen Bewegungen den Umschlag und lugte ebenso übertrieben hinein. Dann verschloss er alles wieder und steckte es sich unter sein Oberteil. Er zupfte seine Kleidung sorgfältig zurecht und verneigte sich dann sehr tief vor Sowa. Danach kam er zu Akihito und tätschelte ihm den Kopf. Nur um dann durch die Tür zu verschwinden und Akihito mit einem sehr gefährlichen und herzlosen Menschen allein zu lassen.

Die Tür öffnete sich erneut und Sowa würdigte ihn keines Blickes mehr als ihn einer der Männer wegbrachte. Sie steckten ihn in einen Käfig ähnlich dem den er bei Fei Long beheimatet hatte. Er war immer noch gefesselt. Was sollte das alles?

Sowa schien kein Interesse an ihm zu besitzen. Er hatte ihn kaum angesehen.

Die Nacht über saß er in dem Käfig und keiner kam und sah nach ihm. Gegen Morgen jedoch brachte ihm jemand etwas zu Essen und ließ ihn raus. Er durfte ins Badezimmer gehen, ihm wurde eine halbe Stunde gegeben um sich frisch zu machen, dann steckten sie ihn wieder in den Käfig.

Später kam Sowa herein und befragte ihn ob er jemanden bei seiner Entführung erkannt hatte. Wahrheitsgetreu berichtete er was er wusste. Das stellte den Mann zufrieden. Warum auch immer. Akihito sah zu dem kleinen Fenster weit oben und versuchte herauszufinden was hier los war. Wollte Sowa ein Lösegeld von Asami? Würde er zahlen?

Er brachte dem Mann wirklich nur Ärger ein.

Es wurde wieder Abend und Akihito legte sich auf das Bett und schlief ein.
 


 


 

Fortsetzung folgt…
 

Vielen Dank fürs Lesen!
 

Gadreel



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