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Der Glasgarten

von

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Tausche Schwarz gegen Weiß

~ Tausche Schwarz gegen Weiß ~
 


 


 


 

„Ran…“
 

Aya blinzelte und sah zu Youji.

„Ran, was hast du getan?“

Aya zuckte hilflos mit den Schultern. „Sie meinte das nicht ernst.“ Er sah auf Schuldig hinab. „Schuldig, sie meinte das nicht ernst mit Crawford, oder?“

„Ran, er wird dich umbringen, wenn er davon erfährt“, sagte Youji wenig hilfreich und griff nach seiner eigenen Tasse Kaffee. Aya schloss die Augen. Aber sie waren frei…er…er hatte doch…sie waren doch jetzt frei. Nur zu welchem Preis? Was hatte er GETAN?
 

Schuldig hatte geschwiegen, mit seiner Kehle und seinem Körper, selbst seine Gedanken waren wie festgefroren.

„Scheiße“, rief er aus und stand auf. Er hatte ihren Blick gesehen. Sie meinte es verdammt ernst. Sie hatte sie in die Falle laufen lassen. Aber das hieß noch nicht, dass Brad sich von ihnen einfangen ließ. Irgendwas stimmte hier nicht. Sein Gesicht ein einziger Ausbund an Konzentration.

Natürlich hätte er sie manipulieren können, natürlich hätte er ihr Innerstes nach außen kehren können. Aber …Ran hätte davon Wind bekommen und hätte mit Sicherheit etwas dagegen gehabt, dass er sich auf diese Art einmischte. Ran wollte das alleine regeln. Es war sein Ding …das er jetzt gedreht hatte…nur das Ergebnis…?
 

Aya fasste Schuldig am Arm, zog ihn ungeduldig zu sich herum. „Schuldig…sag mir, dass sie es nicht ernst gemeint hat.“ Seine Stimme wurde dunkler, emotionaler, mit einem Hauch an Verzweiflung. Seine Augen fixierten den Telepathen, baten um Rat. Er hatte nichts für den Amerikaner übrig, das stimmte. Doch was das für Konsequenzen nach sich ziehen würde…für SIE beide, das wollte er sich nicht ausmalen.
 

Sich ziehen lassend raufte sich Schuldig kurz durch die Haare. „Sie hat es verdammt ernst gemeint. Ihr Lachen war falsch, ihre Augen sagten die Wahrheit und ihre Gedanken sprühten nur so vor Gewissheit. Ich dachte mir anfangs schon, dass sie etwas verbirgt, irgendeine Absicht. Ich fürchte, dass sie es darauf abgezielt hatte, einen Handel zu bewirken. Es war nur Glück, dass du es ihr vorgeschlagen hattest. Wir müssen es ihm sagen….Gott… er wird ausrasten…“, überlegte Schuldig im nervösen Tonfall.

„Schon allein, dass er erfahren wird, dass ich hier war…“, unheilte er und ließ sich zurück auf den Sessel plumpsen.

„Habt ihr harte Drogen hier?!“, fragte er an Yohji gewandt mit hoffnungsvollem Blick.
 

Gott.

Ayas Freude über die Worte der Frau hatte sich völlig verflüchtigt. Er sah Schuldig, sah dessen Verzweiflung und fühlte sich abgrundtief schlecht. Und da hatte er einmal zu Crawford gesagt, dass sie nicht auf einem Basar wären und dass er kein Stück Fleisch war, das man so einfach erstehen könne. Und nun? Menschenhändler, hallte es spöttisch in ihm.

„Warum hast du dann nichts gesagt, Schuldig?“, fragte er langsam. „Du konntest doch in ihre Gedanken sehen, warum hast du keine Einwände erhoben?“ Er fuhr sich zittrig durch die Haare. „Und ich dachte, sie würde auch mal etwas…für das Team tun…“, murmelte er leise, beinahe unhörbar.
 

Youji besah sich die beiden. Gut, er konnte die Sorge nicht nachvollziehen, verband er doch mit Crawford nichts Positives.

Sein Blick kam auf Schuldig zum Ruhen, als dieser ihn ansprach und er drehte sich schweigend um, verließ das Wohnzimmer. Kehrte einen Moment später mit einer Handtellergroßen Schatulle wieder, die er schweigend vor Schuldig hinstellte und ihm Blättchen wie auch Streichhölzer daneben legte.
 

„Bedient euch“, sagte er ungezwungen.
 

Schuldig rollte mit den Augen, seufzte und beäugte die Schatulle. „Ich fass es nicht“, murmelte er als wäre er von Idioten umgeben. „Ich meinte eher etwas in flüssiger Form. Außerdem war das ein Witz. Galgenhumor. Denn wenn ich mir überlege, welch schwerer Gang mir bevorsteht…uns bevorsteht“, murmelte er mit einem kleinen Seitenblick auf Ran. „…dann könnte ich sternhagelvoll sein und es würde mir rein gar nichts einfallen, wie ich es Crawford erklären könnte.“
 

Yohjis Gedanken lagen auf der Hand und Schuldig verzog mürrisch das Gesicht. „Stell dir vor, du hättest das Leben von Aya an mich verscherbelt. Wäre sicher auch nicht angenehm, ihm das zu beichten, hmm?“, grummelte er und schoss böse Pfeile auf Yohji ab. Es war fast schon so, als wollte er Crawford im Geiste verteidigen.
 

„Er käme gar nicht dazu“, merkte Aya an und verzog seine Lippen zu einem bitteren Lächeln, während er schweigend nach der Schatulle griff und sich etwas davon herausnahm. Er legte es auf ein Blättchen und drehte es, den Blick immer noch auf den Tisch gerichtet. Verdammt, was hatte er angestellt? Warum hatte er nicht einfach ablehnen können? Wieso hatte sie ihn so über den Tisch gezogen?

Weil sie Kritiker ist, antwortete er sich selbst. Sie ist, was sie ist. Es gibt für sie kein normal mehr. Kein gänzlich menschlich mehr.

Er schob sich die versetzte Zigarette zwischen die Lippen und griff zu den Streichhölzern.
 

„Im Gegensatz zu Crawford hätte Aya aber keine Ahnung, was auf ihn zukäme“, erwiderte Youji mit einem angesäuerten Blick auf Schuldig. „Und wer weiß, so wie sie ihn angeschmachtet hat…“
 

„Ja sicher Träumer…sie will ihn um ihn flach zu legen“, schnaubte Schuldig und schüttelte den Kopf. Lauter Vollidioten. Der süßliche Geruch des Joints verteilte sich im Raum und Schuldig ließ den Kopf in den Nacken und auf die Sessellehne fallen. Er schloss die Augen und dachte nach, wie sie am Besten dieses Problem lösen sollten.

Sollte er vielleicht Crawford gleich kontaktieren und es ihm beichten? Dann könnte er sich an ihm gleich austoben. Oder er gestand ihm einiges zu, als Entschädigung.
 

„Ich werde mit Crawford reden“, mischte sich Aya nun in das Gespräch ein und nahm einen weiteren, tiefen Zug. „Ich habe es verbockt, also bin ich derjenige, der es ihm beibringt und der den Ärger kassiert.“ Er sah hoch, Schuldig direkt an und lächelte kurz. „Wir werden gleich zu ihm fahren. Wenn ich noch in einem Stück wieder rauskomme, weißt du, dass er…entweder vorhergesehen hat, dass es nicht passieren wird oder dass für ihn etwas herausspringt. Wenn nicht…“ Er verstummte, sagte nichts mehr, lachte dann jedoch schließlich. „Wie merkwürdig. Ein Zuhälter, der verscherbelt wurde…was für eine Ironie…“ Eine verdammte Ironie…eine, die er nie gewollt hatte. Er stellte sich doch nicht auf eine Stufe mit Crawford.
 

Schuldig konnte darüber nicht lachen. In gewisser Weise fühlte er sich durch diesen Satz verletzt. Warum auch immer. Weder fand er diese Situation witzig noch die Geschichte mit dem Zuhälter. „Lass uns gehen“, sagte er müde und stand auf. Alles geriet ins Wanken…außer Kontrolle. Ob Crawford das gemeint hatte, als er ihnen den Kontakt zu Weiß verboten hatte? Zweifel nagten an ihm. Ohne ein Wort zu sagen verließ er das Zimmer und das Haus.
 

Aya blieb zunächst noch am Tisch sitzen, rauchte wie in Trance auf. Er hatte ihn auch gebraucht…dringend gebraucht. Es milderte zumindest in diesem Moment die akute Panik für die kommenden Konflikte, deren Lösung er sich doch ganz anders vorgestellt hatte.

„Habe ich das Falsche getan, Youji?“, fragte er und sah hoch, begegnete grünen Augen, die die Seinen maßen. Doch der blonde Mann schüttelte den Kopf.

„Für uns hast du genau das Richtige getan, Ran. Du weißt doch, was sie gesagt hat. Wir sind frei, alle. Nicht mehr unter Beobachtung. Es wird dir besser gehen, warte es ab. Und die Sache mit Crawford…wird sich von selbst lösen. Schwarz ist viel zu mächtig, um Kritiker einen Angriffspunkt zu bieten.“

Der langhaarige Mann nickte bedächtig, wollte sich so gerne von den einlullenden Worten überzeugen lassen, wirklich so gerne...wenn es denn funktionierte.

„Ich hoffe es, Youji, wirklich. Ich hoffe es.“ Er erhob sich ächzend, nahm den Aschenbecher mit und stellte ihn in die Küche. Sein Blick blieb am Schlüsselbrett hängen und nach kurzem Zögern ergriff er den Schlüssel seines Porsches.

„Wieder bereit für deine Frauenkarre?“, lachte Youji hinter ihm und Aya drehte sich herum. Seine Augen funkelten, wieder in alter Bösewichtmanier.

„Das musst gerade du sagen…wenigstens verwechselt man meinen nicht mit einem Bobbycar“, gab er zurück und der andere Mann hob spielerisch seine Faust. Aya hielt mit seiner dagegen und kurz rangen sie um die Vormachtstellung, bevor sie beide aufgaben und Aya mit einem letzten Nicken aus der Haustür verschwand. Er warf einen Blick auf Schuldig.

„Ich fahre dir mit meinem hinterher“, merkte er an und nickte zu dem weißen Sportwagen.
 

Schuldig konnte sich beim Anblick des Porsches ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Wie gut, dass er noch Stellplätze frei hatte.

‚Brad’, kündigte er sich bei seinem Anführer an und sagte ihm, dass er und Ran vorbei kommen würden um mit ihm etwas zu besprechen. Er wirkte wenig begeistert, denn er zog gerade seine Bahnen im hauseigenen Pool.
 

Gemeinsam fuhren sie aus Tokyo heraus, in einen der grünen, abgelegenen und ruhigen Vororte. Luxus ölte hier aus allen Poren, auch wenn der nächste Nachbar beinahe Kilometer weit weg war. Jeder für sich hatte ein Grundstück, das für zehn Familien reichen würde.

Auch wenn der Anlass ernst war, genoss Aya die Fahrt in seinem eigenen, vertrauten Wagen, den er solange nicht mehr benutzt hatte. Und nun roch er es wieder. Den schwachen, jedoch immer noch existenten Geruch von Leder, der ihm so sehr ans Herz gewachsen war.

Den CD-Player jedoch ließ er aus, wusste ganz genau, welche CD er hören würde: Die, mit der er das letzte Mal zum Krankenhaus gefahren war. Er wollte sie nicht mehr hören, würde sie nachher wegwerfen.
 

Schuldig wurde langsamer und parkte schließlich seinen Wagen auf einem einfachen, jedoch stilistisch perfekt angelegten Grundstück. Es war ohne jede Frage genauso groß wie all die anderen, doch es wirkte weniger…provozierend. Normal, könnte man schon fast sagen.

Aya stieg aus und kam zu Schuldig. Er schwieg, war trotz der Droge in seinem Blut nervös und angespannt.
 

Der zweistöckige eher flach gehaltene L-förmige Bau glänzte durch seine Transparenz an einigen Seiten, vor allem aber im Bereich des Untergeschosses zur Terrasse hin. Schuldig zog seinen Schlüssel hervor und wartete auf Ran, bis dieser zu ihm trat, bevor sie das Haus stürmten…oder besser sich hineinschlichen wie zwei getaufte Mäuse…zur Katze…
 

Trotz der ganzen Situation kam Aya nicht umhin, die offene, schöne Schlichtheit der Inneneinrichtung zu bewundern. Hier war alles aufeinander abgestimmt, nichts an einem falschen Platz. Akribische Ordnung, wohin das Auge reichte.

Aya hätte das ohne je mit der Wimper zu zucken sofort Crawford zugesprochen. Das war der Amerikaner, hier also hatte er sich verewigt.

Gemeinsam streunten sie durch das Haus bis zum hauseigenen Schwimmbad und dem darin planschenden Amerikaner. Was wohl etwas untertrieben war. Crawford schwamm, von Planschen konnte hier keine Rede sein.

Vielmehr war er geschwommen, denn just in dem Moment, in dem sie eintraten, hievte er sich aus dem Wasser und Aya starrte für einen Augenblick auf die beinahe nackte Gestalt des Orakels.

Er hatte schon immer vermutet, dass Crawford Kraft besaß. Dass er Muskeln besaß. Aber dass er so wohlproportioniert war, hatte er nicht gedacht. Durchaus…fuckable.

Wie gut, dass dieses Attribut nur auf den Körper, nicht den darin steckenden Mann zutraf. Aya schauderte. Wenn es jemanden gab, mit dem er niemals ins Bett steigen würde, dann war das Bradley Crawford, Orakel von Schwarz und Zuhälter.
 

"Du brauchst ihn nicht noch auszuziehen, er ist schon halbnackt!", zischte Schuldig unterdrückt, als er Rans Starren bemerkt hatte. Während dieser noch an der Doppeltür stand, trat Schuldig an ihm vorbei uns beobachtete dabei Brad dabei, wie er sich einen Morgenmantel überwarf und mit dem Handtuch seine Haare kurz bearbeitete. Danach standen sie in alle Richtungen und fielen ihm in bester Herzensbrechermanier ins Gesicht.
 

„Was ist passiert?“, wollte dieser auch gleich wissen und Schuldig ging zunächst zur Bar, goss sich einen Scotch ein und kippte ihn hinunter. Gut. Ein guter Anfang.

„Wir hatten da ein Problem. Und zur Lösung des Problems …dachten wir uns wäre es gut…“, fing er an die Story von ganz weit hinten aufzurollen. Zwecks besserem Verständnis …und zwecks Aufschub …
 

„Ich habe dich für die Freiheit meines Teams und meine eigene an Manx verkauft“, beendete Aya den ausschweifenden Monolog ruhig in Richtung Crawford. Beide Männer wandten ihm den Rücken zu, doch er hatte laut genug gesprochen, dass sie ihn verstehen konnten. Und bevor Schuldig auch nur daran DENKEN konnte, irgendeinen Teil der Schuld auf sich zu laden, würde er die Sache wieder hinbiegen.

„Manx wollte zuerst Schuldig, dann Schwarz, dann dich. Bei letzterem habe ich dann zugestimmt.“
 

Es hatte Brad gewundert, warum die beiden ihm einen Besuch abstatten wollten und andererseits hatte er eine gewisse Gefahr im Hintergrund gewittert. Welche diese war, konnte ihm seine Hellsicht noch nicht klar darlegen, dazu schien sie noch zu weit weg. Während er den Worten zugegebenermaßen neugierig lauschte, ging er zu Schuldig und schenkte sich ein Glas Wasser ein, trank es gerade leer und blickte Schuldig dabei in die Augen.

„Du verkaufst mich?“, fragte er leise, mit gefährlichem Unterton an Schuldig gerichtet, das leere Glas abstellend. „Ich dachte, ich sei mehr wert, aber man überschätzt sich bei weitem.“
 

Schuldig konnte ihn nur anstarren, schien völlig eingenommen von dieser Ausstrahlung zu sein. „Brad…es war nicht so …wie es sich jetzt anhört. Wir dachten, diese…“

„Was dachtet ihr? Dass sie Witze macht?“, sah er Schuldigs nächste Worte und sprach sie aus.
 

Aya sagte nichts. Natürlich ignorierte Crawford ihn…business as usual. Er konnte noch nicht einmal sagen, warum es gerade in diesem Moment so schmerzte, dieses Gefühl, als wäre er nicht vorhanden, als wäre er nur…ja…ein Gegenstand. Er wartete im Türrahmen, trat keinen Schritt weiter in die Schwimmhalle hinein.

Sein Blick glitt nach draußen. Was schert es dich, was aus Crawford wird?, hielt ihm sein inneres Pendant vor Augen. Dieser Mann hasst dich und du hasst ihn mindestens genauso sehr. Was schert es dich, was mit ihm passiert?

Gar nichts. Das war die ehrliche Antwort darauf. Es scherte ihn gar nichts, doch Schuldig war da ein anderes Thema. Es scherte ihn, was Schuldig fühlte. Und dieser WAR nun mal mit dem Amerikaner verbunden. Auf verschiedene, ihm sehr wohl auch verborgene Arten..
 

„Wir werden uns jetzt ausführlich über dieses Thema unterhalten, hast du mich verstanden?“ eine rein rhetorische Frage, wie Schuldig befand.

„Ohne ihn!“, hörte Schuldig Brads Stimme, die merkwürdig laut in diesem Raum hallte. Brad ging an ihm vorbei und kam an der Tür an. Er blieb vor Ran stehen, maß ihn abschätzend.

„Das heißt, für diese Idiotie habe ich etwas gut bei dir!“, sagte er und beförderte Ran mit einem Wurf ins Wasser. „Ich bin oben“, schickte er zu dem Telepathen, bevor er den Raum verließ.
 

Crawford hatte bei ihm nichts gut, dachte Aya noch, bevor er mit einem Schwung im kalten Nass landete. Es schien, als hätte er es geahnt, als hätte er es vorher in den Augen des Amerikaners gelesen, denn er strampelte nicht oder versuchte sich an die Oberfläche zu ziehen, sondern ließ sich nach dem Fall im Wasser treiben. Die Augen nach oben gerichtet, tauchte er in dem klaren Wasser, lauschte den Geräuschen um sich herum. Warum sollte er auch schon wieder auftauchen? Es war ja nicht wichtig, was er sagte.

Der Joint war nicht gut für dich, merkte er für sich an. Er macht dich emotional und angreifbar für diesen Mistkerl.

Ich weiß…
 

Schuldigs Hemd flog im hohen Bogen davon, dicht gefolgt von den Socken. Er folgte Ran aus einem sentimentalen Impuls heraus, denn er hatte dessen abwesenden Blick gesehen als Crawford zu ihm gegangen war. Seine Arme umschlangen den Mann und dessen rotes langes Haar wogte um sie herum.
 

Aya schloss die Augen, sich nur durch die Berührung bewusst, dass Schuldig bei ihm war. Er ließ sich treiben, ohne eigenen Antrieb, durch jahrelanges Spiel darin geschult, solange wie möglich die Luft anzuhalten. Sich dieser friedvollen Welt zu ergeben. War er nicht mehr alleine? War Schuldig bei ihm? Er wusste es nicht, er fühlte sich so ausgestoßen. So…anders. So verhasst.
 

Nur war Schuldig nicht darin geschult, wie Ran derart lange die Luft anzuhalten, so ließ er sie wieder an die Oberfläche treiben, suchte die ihm bekannte Liegefläche des langen Pools auf.

„Hey...Blumenkind...“, sagte er sanft und beobachtete das ihm so schutzlos zugewandte Gesicht, die noch immer geschlossenen Lider. Das Haar, sonst weich umrahmend ließ nun, aufgrund der Nässe die Konturen des Gesichtes feiner hervortreten.

Das Problem war zwar noch nicht behoben, aber Brad schien die Sache gelassen anzugehen und wenn er gesprächsbereit war, dann war alles halb so wild.

Hauptsache, er ließ Ran außen vor. Schuldig war dies wichtig. Er wollte nicht, dass Ran Brads Zielscheibe wurde.
 

Aya öffnete die Augen, sah Schuldig direkt an.

„Warum ignoriert er mich?“, fragte er leise, zu leise, dass es jemand Außenstehender hätte hören können. „Ich habe es verbrochen, aber er nimmt mich nicht wahr. Ich kann sagen, was ich will. Und ich will nicht, dass du da mit hineingezogen wirst. Du hast damit gar nichts zu tun. Ich sollte mich mit ihm auseinandersetzen, aber ich bin es noch nicht einmal wert, dass er mit mir redet.“ Da hatte er den Salat…die Drogen begannen zu wirken und er wurde redselig.
 

„Schmollst du?“, stutzte Schuldig und lächelte seinen bekifften Ran zärtlich an. „Du gehörst nicht zu unserem Team, Ran, das ist alles. Er regelt Teamsachen immer und ausschließlich im Team. Es ist ihm in der Akutsituation egal, wer es verbrochen hat, er will alle Informationen haben, dann wird ausgewertet und überlegt, was zu tun ist. Du hast es nicht verbrochen, Honey, ich hätte sie töten können, ich hätte ihre Gedanken löschen können, ich hätte es früher bemerken müssen. Und …ich hätte nicht mitgehen sollen. Das sind seine Argumente. Ich bin also verantwortlich, nicht du.“

Er strich mit den Fingern zart über Rans Wange und danach über die Lippen. „Ich möchte dich ebenso heraushalten. Aber er ist mein Boss. Für Brad ist das, was wir haben…nichts weiter als eine Fickbeziehung.“ Er schwieg einen Moment um Rans Lippen zart zu küssen.

„Ich mache mir trotzdem Sorgen. Stell dir vor, Kritiker schnappen sich ihn tatsächlich…“

Er wusste nicht warum, aber er hasste diesen Gedanken daran abgrundtief. Er …wollte Brad nicht verlieren. Egal …was für ein Ekel er manchmal war. Aber genau dieses Ekel hatte ihn…beschützt…so viele Male schon.

Aufseufzend blickte Schuldig wieder in das helle Gesicht.
 

„Das werden sie nicht können. Er ist Schwarz, Schwarz war Kritiker noch nie unterlegen, weißt du das nicht mehr? Außerdem weiß er es doch jetzt und kann sich darauf einstellen.

Was hast du denn in ihren Gedanken gelesen, Schuldig? Was hatte sie mit ihm geplant?“, fragte Aya und schauderte. Das trocknende Wasser war kalt, zu kalt für ihn. Er schwieg nachdenklich eine Weile.

„Warum degradiert er das, was wir haben? Nur weil ICH es bin? Würde er bei…Farfarello anders reagieren?“, fragte Aya schließlich und bewegte sich leicht.
 

"Sie hat nichts über ihre Pläne gedacht, so schnell hatte ich nicht herausfinden können, was sie vorhatte. Es war, als hätte sie gleichzeitig an vieles gedacht, ihre Möglichkeiten offen gehalten. Sie hat mich fehlgeleitet, weil sie wusste, dass ein Telepath anwesend ist."
 

Schuldig glitt wieder mehr von der Liegefläche, damit sie tiefer im Wasser lagen.
 

"Farfarello…er würde ebenso handeln, nein er würde es schlicht verbieten. Er gestattet es mir nur…nur…weil...", hing er an dieses Satz fest. Er gestattete es ihm, weil er ihm etwas bedeutete? Keimte erneut dieser Verdacht in Schuldig Kopf und er starrte hilflos auf Ran.
 

"Keine Ahnung", schloss er kurz angebunden. Crawford erlaubte ihm viel, verzieh ihm viel. Warum? Wegen der Sache mit Kitamura?
 

Schuldig setzte sich auf umfing seine Beine mit den Armen und grübelte mit abgelegtem Kinn auf den Knien vor sich hin. Er hatte noch zu deutlich diese Erinnerung vor Augen…wie er von Brad gehalten wurde…wie dieser ihm Dinge zuflüsterte um ihn zu beruhigen…so sanft.
 

Aya schwieg und fixierte den anderen Mann. Er fror und ihm war komisch zumute. Sehr komisch.

Auch er setzte sich auf und strich sich seine klatschnassen Haare zurück, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht um die Nässe dort zu vertreiben. „Warum lässt du dir Dinge von ihm verbieten? Warum brauchst du seine Erlaubnis?“, fragte er nach und wrang den Ärmel seines Pullovers aus, lauschte dem ins Becken zurücktropfenden Chlorwasser.
 

Das war die Frage aller Fragen, witzelte Schuldig für sich. „Es ist keine direkte Erlaubnis…“, sagte er leise und blickte hinaus in den Nachmittag. Trübe Wolken zogen noch immer über den Himmel und färbten alles Grau in Grau.

„Vielmehr…vielleicht…weiß ich dann, dass alles gut wird, wenn er nichts dagegen hat.“

Schuldig verzog den Mund unwillig und schnaubte. „Das klingt beschissen“, murmelte er und fuhr mit der Linken in sein Haar. „Ich weiß es nicht, an was es liegt, aber … es stört mich, wenn er sauer ist. Auch wenn ich es oft mit Absicht gemacht hatte, klar. Damals.“ Er schwieg für Momente der Erinnerung.

„Weißt du… als ich noch nicht wusste…was damals mit Kitamura los war. Seither ist es anders geworden. Ich war sauer und wenn ich mir denke …dass er dabei war …so nahe dabei war…habe ich Probleme, ihm nicht ins Gesicht zu schlagen. Aber ich kann es nicht. Ich glaube…ich bin weich geworden.“ Angewidert verzog er das attraktive Gesicht und streckte die Zunge heraus.
 

„Weich wie ein Gummibärchen“, züngelte Aya und schnappte mit seinen Fingern nach dieser frechen Zunge, erwischte sie jedoch nicht. Zu schnell war sie wieder in dem vorlauten Mund verschwunden.

„Deine Weichheit hat auch angenehme Seiten“, erwiderte er und erinnerte sich an alte Zeiten, an die Seite des anderen Mannes, die er gehasst hatte wie sonst nichts. Dessen verspottendes, überhebliches Wesen, dessen Grausamkeit ihm selbst gegenüber.

Aya schwieg einen Moment. Was hatte Crawford ihm erzählt? Über die Zeit bei Kitamura? Oh ja, Schuldig hatte alle Rechte, auf den Amerikaner sauer zu sein, doch er war es nicht. Das war keine Freundschaft mehr…

„Bedeutet er dir mehr? Liebst du ihn?“, fragte Aya ruhig, getragen, um sein eigenes, wild aufbegehrendes Entsetzen über diese Frage in Schach zu halten.
 

Über so derart Abwegiges hatte er noch nicht nachgedacht. Schuldig schluckte und sein Kopf ruckte zu Ran herum. „Wie meinst du das? Ich liebe dich!“, verteidigte er sich und hatte dabei noch nicht einmal bemerkt, dass er das große L-Wort ausgesprochen hatte in seiner Entrüstung. „Ähm…“, sanfte Röte überschattete seine Wangen als er sich wieder den Wolken zuwandte und „...du weißt schon, was ich meine…“, murmelte. Irgendwie war ihm jetzt unwohl. Weil ihm das große L-Wort herausgerutscht war oder weil …Ran …so etwas von ihm behauptete.

Aber war es denn so abwegig?
 

Sein Blick verlor sich etwas als er in sich ging und über diese Worte nachdachte. Es hatte ihm damals wehgetan was Brad über ihn gesagt hatte. Dass er keine Erziehung genossen hatte. Dass er unfähig sei. Es hatte ihn geschmerzt …eben weil Brad es war, der diese Worte ausgesprochen hatte?

„Ich …“, fing er leise an. „Ich weiß nicht, Ran. Wir sind schon lange ein Team. Und bis vor kurzem habe ich ihn nie …nie in diesem Licht wie jetzt gesehen. Aber…“, er kam einfach nicht weiter. Das verwirrte ihn und er wollte nicht, dass Ran so von ihm dachte.

„Glaubst du das denn?“, fragte er und blickte Ran dabei unsicher an.
 

Schuldig schien…ein Meister darin zu sein, ihn von einem Hoch ins nächste Tief zu stürzen und dabei so unschuldig zu schauen, dass man ihm das noch nicht einmal böse nehmen konnte. Schuldig liebte ihn, das war das Eine. Das war etwas, das Aya einen ebenso warmen Schauer durch den Körper trieb wie Schuldig seinerzeit. Das war eine Tatsache, die seltsamerweise Ayas Herz wie eine dicke, warme Decke in kalten Winterabenden ummantelte.

Es war etwas, das…ihm fremd war. Er kannte es nicht, dass jemand zu ihm sagte ‚Ich liebe dich!’. Auf platonischer, familiärer Ebene, ja. Doch so? So…intim? Nein, das war das erste Mal. Auch wenn er schon mit mehr als einem Dutzend von Männern und Frauen geschlafen hatte, so war er doch nie, niemals, eine Beziehung eingegangen und somit auch diesem Satz entgangen, der wie Feuer auf ihn niederprasselte.

Und Aya sonnte sich in diesem Feuer, erwärmte sich, nur um daraufhin in tiefste Kälte zurückgestoßen zu werden.
 

Schuldig war sich nicht sicher, er konnte es ihm nicht genau sagen. Kein klares Nein. Aya schüttelte den Kopf, zuckte mit den Schultern. „Es kam mir so in den Sinn. Es schien so. Eben weil ihr euch durch eure Vergangenheit so nah seid…“
 

„Nah! Pfh“, stieß Schuldig verächtlich aus und vergrub sein Gesicht bis zur Nasenspitze hinter seinen verschränkten Armen. Darüber lugte er hinweg ins Wasser. „Dieser Arsch“, murmelte er verdrossen. „Das wäre doch zu blöd“, sinnierte er. „Nein…bestimmt ist es das nicht…“, schüttelte er dann energisch den Kopf.

„Vermutlich hänge ich an ihm, weil er mir oft geholfen hat. Weil er von Anfang an mit mir in diesem Land war. Wir haben viel erlebt, das stimmt schon…es verbindet eben“, räumte er nachdenklich ein. „Ich kann nicht mal sagen, dass es eine enge Freundschaft ist, denn wir halten einander trotz allem auf Abstand. Wir halten Regeln ein… das habe ich dir erzählt. Wir überschreiten sie nicht.“

Er schwieg eine Weile, bevor er fort fuhr.

„In letzter Zeit übertreten wir aber diese Grenzen. Das ist nicht gut. Und dann passiert so was, dass du mich fragst, ob ich für diesen arroganten Arsch mehr fühle als nur Pflichtbewusstsein… wobei ich gar nicht sicher bin, ob ich überhaupt weiß, was das ist …“, grinste er Ran schräg an und drehte den Kopf zur Seite.
 

Aya erwiderte das Lächeln. „Vielleicht ist es genau aus diesem Grund mehr als Pflichtbewusstsein. Vielleicht bist du dir nur so unsicher, weil es darüber hinausgeht.“ Er ließ seinen Blick nach draußen gleiten und schwieg nachdenklich. Wolken zogen am Fenster vorbei, tiefhängend und regenlastig.

„Würdest du denn Abstand halten, wenn er es nicht täte?“, fragte er schließlich.
 

„Ran…du bist schlimmer als die Inquisition“, murmelte Schuldig und zerfurchte sich seine Stirn über diese Frage. Es dauerte einige stille Minuten bevor er zögerlich antwortete. „Ich hätte ihn nicht gehalten, denke ich. Schon allein der Provokation wegen nicht. Und vielleicht auch manches Mal aus Langeweile nicht. Aber … ich frage mich, was daraus geworden wäre…wie es geendet hätte. Ich…ich weiß nicht…“, schloss er hilflos. Sicher schien nur eins…dass Crawford wohl gewusst zu haben schien, warum er Schuldig oft mit dieser strengen Hand führen musste. Schuldig hatte es ihm nie lange übel genommen, wenn dieser ihn in seine Schranken verwiesen hatte, wenn dieser seinem Spieltrieb nur im Rahmen bleibend nachgegeben hatte.
 

Aya seufzte. Schlimmer als die Inquisition? Ja, manchmal war er das. Er nickte bedächtig.

„Geh zu ihm…ihr habt einiges zu regeln“, sagte er leise und bewegte aufmunternd seine Schultern. Na los, bedeutete es. Geh schon. Damit wir hier schneller wieder rauskommen…aus diesem Hort für Zweifel. Doch das sollte es nicht darstellen, das dachte sich Aya nur und ein Stich an Trauer und Eifersucht durchzuckte ihn, wurde jedoch nicht nach außen hin sichtbar.
 

Schuldig hatte absolut unprofessionelle Unlust zu Brad zu gehen, wenn er ehrlich war.

„Bekomme ich einen Kuss mit auf den Weg?“, lächelte er gewinnend. „Dann bin ich schnell wieder hier und wir hauen ab!“, wisperte er an Rans Lippen und berührte sie beim Sprechen zart.
 

Aya umschlang Schuldig mit seinen Armen und schmatzte ihm einen lauten Kuss auf die Lippen, bevor er sanfter wurde und die des Deutschen beruhigend liebkoste.

„Ich warte hier.“ Er lachte leise. Als wenn er eine andere Wahl hätte. Er würde garantiert nicht durch das Haus streifen. In jedem anderen Haus…vielleicht. Aber NICHT in diesem.
 

o~
 

Zierlich schlanke Finger bewegten mit graziler Anmut Seite für Seite des Buches in dem er las. Nur hin und wieder lenkte er sich selbst damit ab, die Tür zu beobachten, die zum Bereich des Schwimmbades führte. Nach einer Weile, in der die beiden ‚Roten’ dahinter verschwunden waren, kam Brad heraus, mit versteinerter Miene und einem bitteren Zug um die Mundwinkel. Nagi enthielt sich eines Kommentars, vertiefte sich wieder in seine Lektüre. Einige Zeit darauf ging die Tür erneut auf und Nagi blickte auf, sah jedoch gerade noch wie Schuldig Brad hinterher ging. Nagi klappte das Buch zu und setzte sich auf. Er wartete einige Augenblicke, bevor er aus seiner gemütlichen abgeschirmten Ecke hervorkam und ins angrenzende Badezimmer ging. Vermutlich hatten die drei etwas zu besprechen…

Was dies wohl war?

Nun auf jeden Fall war jetzt das Schwimmbad frei. Seinen Gedanken nachhängend zog er sich um und betrat schließlich das sanft beleuchtete Schwimmbad. Er mochte es nicht sonderlich, wenn jemand anderer ihn sah, deshalb wartete er stets bis alle weg waren und er den Raum für sich hatte.
 

Draußen zog es sich dunkel zusammen und das sanfte Grün des Wassers zeichnete filigrane Muster an die Wände.
 

Aya horchte auf, als die Tür zum Schwimmbad aufging. Doch es war weder Schuldig, noch das Orakel, noch der Ire, wie er aus seinem Versteck erkennen konnte. Es war der Junge des Teams, welcher sich nun ins Wasser begab.

Naoe war dürr. Wirklich dürr, wie er es gut sehen konnte. Aya runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts, sondern zog fröstelnd das spärliche Badetuch um seine Schultern enger. Ihm war kalt…er fror und er wollte zurück. Hoffentlich war Schuldig bald wieder da.
 

Nagi ließ sich ins Wasser gleiten, drehte sich auf den Rücken und ließ sich von diesem Element tragen. Sein Blick richtete sich an die Decke als er die Augen öffnete.

Erst nach einem kleinen Weilchen der Ruhe und Entspannung hob er die Hände und ließ seine Kraft gegen die Decke wirken, sodass diese ihn nach unten drückte. Das Wasser schwappte über ihm zusammen und er konzentrierte sich diesen Druck zu halten, auch nachdem er seine Hände neben den Körper gebettet hatte. Es war anstrengend und er richtete alle Konzentration die er aufbieten konnte auf diese Übung. Er musste sich dem Aufwärtstrieb des Wassers entgegenstellen auch ohne den Gebrauch seiner Hände. Er musste…
 

Aya blinzelte, als sich die feinen Haare auf seiner Haut aufstellten und die Luft plötzlich wie elektrisiert schien. Er reckte seinen Schopf noch etwas mehr in die Richtung des Pools, konnte aber nichts erkennen. Anscheinend war der Junge untergetaucht. Wie er es auch immer tat.

Aya lachte lautlos, verzog die Lippen zu einem leichten Grinsen. Als wäre der Telekinet eine jüngere Ausgabe seiner Selbst.
 

Nur noch ein wenig, ein wenig mehr…trieb er sich an, doch es ging nicht mehr, seine Lungen schrieen nach Luft. Hustend und spuckend durchstieß Nagi die Oberfläche. Sein schweres Keuchen schlug sich von den Wänden wieder und er wischte sich das Wasser zittrig aus den Augen. Wütend pitschte er mit der Faust auf die wogende Oberfläche und atmete angestrengt.

„Warum geht das nicht…“, überlegte er leise, während er an den Rand schwamm und sich mühevoll nach oben zog. Er saß dort und starrte ins Wasser, ein Bein noch darin, das andere angezogen. Es musste doch zu schaffen sein, ohne den Einsatz seiner Hände als Führungswerkzeuge…
 

Aya war drauf und dran, sich zu erkennen zu geben, hielt jedoch Abstand davon. Das hier war doch die perfekte Gelegenheit, den Jungen in seiner ‚natürlichen Umgebung’ kennen zu lernen. Etwas mehr über ihn zu erfahren. Und wenn er Glück hatte, würde dieser ihn nicht entdecken.

Aya zog lautlos seine Nase hoch. Verdammte Kälte. Verdammtes Wasser. Verdammtes Orakel. Gespannt lauschte er auf den Jungen, auf das, was dieser gerade mit seinen Kräften zu trainieren versuchte.
 

Nagi hatte sich beruhigt, ebenso das Wasser. Er erhob sich und stellte sich an den Rand, sein stoischer Blick auf das Wasser gerichtet, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Er musste versuchen das Wasser zu greifen, einen Teil zu bewegen. Den Energiefluss zu ändern…

Seine Konzentration verstärkte sich darauf.

Er trieb sich weiter, bis er merkte dass ihm schwindelte. Ein bitterer Geschmack breitete sich auf seiner Zunge aus und er schmeckte Blut. Erst da bemerkte er, dass er zu Boden gesunken war. Er fühlte eine unangenehme Enge in seinem Brustkorb und er holte keuchend Luft, als würde er ersticken. Die Anspannung entlud er in dem er die Hände reflexartig von sich stieß und eine Fontäne im Wasser hoch spritzte, die ihn überfuhr. Schwer atmend blieb er seitlich liegen und stöhnte. Warum klappte es nicht? Enttäuschung machte sich in ihm breit. Es musste ihm doch gelingen…
 

Aya merkte erst, dass er schon aufgesprungen war, als die ruckartige Bewegung seine gesamten Abwehrkräfte mobilisierte und er gewaltig niesen musste. Was ihn herzlich wenig scherte, ebenso wenig wie das Handtuch, das nun herunterrutschte, als er zu Nagi lief und sich schweigend neben dem zu Boden gegangenen Jungen kniete. Was machte er auch für Sachen?

„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte er ruhig und war schon dabei, den Kopf des Telekineten nach Verletzungen zu untersuchen.
 

Aus seinen Grübeleien herausgerissen zuckte Nagi erschrocken zusammen, als er das Niesen vernahm und kurz darauf ihn kühle Finger berührten. Hektisch ruckte er davon, seine Augen weit aufgerissen starrten den Langhaarigen an. „Was machst du hier? Warum bist du nicht bei Schuldig?“, wollte er mit ruhiger Stimme wissen, doch es klang etwas atemlos. Ein schmales Rinnsal Blut lief ihm aus dem Mundwinkel und er setzte sich auf, wischte es sich beiläufig ab, während eine umsichtige Zunge hervorspitzte und den Rest im Mundwinkel davonstahl.
 

„Warum sollte ich?“, gab Aya zurück und wischte ein paar der nassen, braunen Strähnen des anderen zur Seite, um ihn auf eventuelle Kopfverletzungen zu untersuchen.

„Die Frage ist wohl eher, was du hier machst? Versuchst du dir den Kopf an den Fliesen aufzuschlagen?“, fragte er mit strengem, jedoch sanftem Unterton und ließ seinen Blick auf dem Blut ruhen.
 

Etwas indigniert schüttelte Nagi langsam den Kopf. „Nein, mit Sicherheit nicht. Ich habe mir nur auf die Innenseite der Lippe gebissen, es hat mich überfordert“, gab er wenig darüber Auskunft was er genau gemacht hatte.

Er entwand sich der sanften Berührung - sie war ihm peinlich - und stand einigermaßen würdevoll auf. Auch wenn er sich mehr als nur nackt und begafft vorkam. Er hasste es geradezu, so freizügig gesehen zu werden.

„Warum bist du nass? Warst du freiwillig schwimmen?“, bemerkte der Telekinet Rans nassen Kleiderzustand. Sanft wellten sich dessen feuchtnasse Haare.
 

„Sehe ich so aus?“ Aya lachte leise und sah hoch, punktgenau in die grauen Augen des über ihm stehenden Jungen. Er blieb noch einen Moment auf dem nassen Boden knien. Jetzt machte es auch nichts mehr aus.

„Nein, freiwillig war das nicht. Eher im Gegenteil.“ Er besah sich die nassen Ärmel, die kaum getrocknete Hose und seufzte ergeben.
 

Nagi tippte auf Crawford. Vermutlich hatte dieser Fujimiya in den Pool befördert. Schuldigs Späße waren manches Mal in der Vergangenheit in eine ähnliche Richtung gegangen, doch Nagi bezweifelte, dass der Telepath in seiner derzeitigen Verliebtheit seinen Freund in den Pool befördern würde – angezogen und noch dazu in Crawfords Anwesenheit. Nein, da stand der Verdacht eher an, dass Crawford nachgeholfen hatte.

„Gibt es Ärger?“ …im Paradies…fügte Nagi für sich in Gedanken hinzu.

Nur minimal ließ er sich beginnende Sorge anmerken, indem er mit der Zunge die Innenseite seiner selbst beigebrachten Verletzung befühlte. Ansonsten ließ seine Mimik wie immer keine Rückschlüsse auf seine Gedanken oder Gefühle zu.

Nagi richtete sich gen Tür, wandte jedoch nach flüchtigem Überlegen den Kopf bedächtig und fixierte Ran mit einem forschenden Blick.

Wenn Brad und Schuldig ihn brauchten, würden sie ihn rufen, scheinbar war es nicht so schlimm.
 

Zögernd stand er da und ihm huschte wieder ein Gedanke durch den Kopf. Doch er konnte ihn nicht äußern. Es wäre inakzeptabel.

„Möchtest du etwas Trockenes zum Anziehen?“, richtete er stattdessen seine Frage an Ran und die grauen Augen huschten über die leicht fröstelnde Gestalt.

Vielleicht konnte er die Frage später stellen, wenn der Andere ihm folgte.
 

Aya erhob sich nun ebenso und entlockte seiner Nase ein weiteres, frustriertes Niesen. Vielleicht dachte er gerade deshalb noch einmal intensiver über das Angebot des anderen nach und kam zu dem Schluss, dass er es vielleicht gar nicht so ablehnen würde, diese verdammten, klitschnassen Sachen auszuziehen.

„Wenn du etwas für mich hast“, entgegnete er mit einem kleinen, aber penetranten Hoffnungsschimmer in der Stimme und folgte Nagi, währenddessen dachte er über die erste Frage nach. Wie viel sollte er dem Jungen sagen? Genauso viel, wie er Omi sagen würde: Rein gar nichts.

„Nicht direkt. Crawford wollte mit Schuldig reden“, erwiderte er nahe genug an der Wahrheit, um nicht unglaubwürdig zu wirken und weit entfernt genug von ihr, um Nagi nicht auch noch mit einzuweihen.
 

Nagi nickte und ein vorsichtiges, vielleicht sogar nachsichtiges Lächeln erschien, bevor er sich wirklich umdrehte und die Tür anstrebte.

„So könnte man es wohl auch harmlos umschreiben, aber sicher nimmt Schuldig dich nicht hier her mit wenn es um eine Harmlosigkeit ginge“, sagte er leise und bedächtig, war aber nicht daran interessiert, näher in Ran zu dringen um den Grund für dessen Hiersein zu erfahren.

„Wir müssen nach oben…wegen der Kleidung“, erklärte er und ging voran. Seine Haut hatte sich mit einer Gänsehaut überzogen, die nassen Haare klebten ihm noch am Kopf als er nun die Tür öffnete.
 

Nach oben…

Alleine der Gedanke daran verursachte Aya eine Gänsehaut, die sich weit über seinen Rücken bis hin zu seinen Unterarmen erstreckte. Hätte ihm jemand vor drei Monaten gesagt, dass er jemals einen Fuß in das Anwesen von Schwarz setzen würde und das dazu dann noch…in großen Stücken freiwillig…er wäre geflüchtet. Genauso fühlte er sich jetzt, wie jeden Moment auf der Flucht. So als würde ihn etwas angreifen und nur darauf lauern, dass er einen Fehler machte.

Reichlich kindisch, diese Angst, befand Aya und schüttelte innerlich den Kopf. Was sich nicht alles ändern konnte in so kurzer Zeit.

Er folgte Nagi und stieg die Treppen hinauf, hörte mit einem säuerlichen Lächeln, wie seine Hose jedes Mal, wenn er eine Stufe höher stieg auf das Holz klatschte und ein nasses Geräusch von sich gab. Er schauderte. Danke Crawford, ätzte er in Gedanken. Vielen Dank dafür.
 

Im oberen Stockwerk angekommen gingen sie in den hinteren Bereich. Auch hier waren die Räume lichtdurchflutet, nur wenig Möbel behinderten die freie Sicht auf künstlerisch gestaltete Wände, zum Teil Kohlezeichnungen, zum Teil Ölgemälde verschönerten die großen Flächen.

Nagi ging in ein Zimmer - die Türen standen bei ihnen ohnehin offen - und richtete sich an die Kleidungsstücke in diesem Ankleidezimmer.

„Hier, dies dürfte dir passen, such dir welche aus“, wies er auf einige Hosen, Hemden und Pullover, die er für passend hielt. „Gegenüber ist ein Badezimmer, du kannst dich aber auch hier umziehen“
 

„Danke dir“, nickte Aya und nahm die Kleidung in Empfang, wandte sich jedoch ab in Richtung Badezimmer. Wenn er immer noch hinter etwas her war wie der Teufel hinter der Seele, dann war das der Schutz seiner Privatsphäre.

Er betrat den hellen, weitläufigen Raum und schloss die Tür hinter sich. Mühevoll schälte er sich aus seinen Sachen, kämpfte schließlich noch mit der Hose, bevor er sie mit einem frustrierten Knurren von sich schleuderte. Ebenso mit seiner Unterwäsche verfuhr. Er griff sich eines der Handtücher und schrubbte seinen Körper warm, bis kein Tropfen dieser verdammten Nässe übrig geblieben war.

Ohne Kommentar stieg er in die geliehene Jeans und stellte fest, dass sie wirklich gut passte. Ein wenig zu groß, aber bequem. Ebenso sehr der warme Pullover, der sich an seinen Körper schmiegte. Aya schauderte wohlig und legte seine Sachen zu einem ordentlich gefalteten Haufen zusammen, nahm sie eingewickelt in ein Handtuch wieder mit sich.
 

Wenn er ehrlich war, war er fasziniert von diesem Haus, von der Atmosphäre, die auf ihn einströmte. Auch wenn er sich fehl am Platz vorkam…und genauso deplatziert im Flur stand, den Blick halb auf Nagi gerichtet, halb auf die kleinen Accessoires, die hier und da das Ambiente ergänzten.
 

Nagi schlüpfte gerade in einen Pullover, den er zuhause oft trug, wenn Crawford ihn nicht sah. Er sah unmöglich aus, wie der Amerikaner sagte.

Dazu hatte er wohl allen Grund. Er gehörte einst ihm und war Nagi um Ellen zu groß, doch jetzt wärmte er ihn, denn er hatte während des Wartens zu zittern begonnen und er wollte sich noch nicht ankleiden, da er noch in die Wärme eines Vollbades genießen wollte. So stand er mit dem übergroßen Pullover da und kam zu Ran auf den Flur.

„Wie geht es …Omi?“, fragte er betont beiläufig, doch es wollte ihm nicht Recht gelingen, da sein Blick den des Anderen suchte.
 

Ayas Augen weiteten sich überrascht. Das war eine Frage, die er nicht erwartet hatte. Vor allen Dingen nicht mit dem Unterton, denn dass diese Frage aus gelangweilter Neugier entstanden war, bezweifelte er doch stark.

„Es geht ihm gut. Er langweilt sich, wie immer, wenn er niemanden um sich hat, der sich um ihn kümmert. Und sein Knöchel ist verheilt. Außerdem hat er Schuldig reichlich verdächtig umschwänzelt, als dieser im Koneko war.“ Aya gab bewusst gerne mehr als freizügig Informationen preis, wusste er doch, was Omi getan hatte. Und er hatte nichts dagegen. Zumal er nun…vielleicht den Beweis hatte, dass diese Überrumpelungstaktik des Blonden doch geholfen und den Telekineten nicht verschreckt hatte. „Vielleicht wollte er Informationen.“

Auch er ließ seinen Blick über die halbwegs bekleidete Gestalt schweifen. Nagi sah jünger aus in dem Pullover. Viel jünger. Gar schutzlos.
 

Nur einen Moment lang war Nagi versucht weiter zu fragen und öffnete die Lippen, doch er bremste sich und legte den Kopf schief… dann lächelte er traurig. Der Andere hatte ihn durchschaut. Wissend blickte er auf und sah Ran lange an.

„Hast du keine Sorge, dass ich ihn verletze? Er war wütend als wir uns getrennt haben. Und er versteht nicht…er versteht mich nicht“, schloss er rätselhaft und zuckte mit den Schultern.
 

„Das ist menschlich. Er hat keine Basis, um dich zu verstehen, er kennt dich nicht. Wenn du willst, dass er dich versteht, musst du ihm mehr von dir geben.“ Aya erwiderte den Blick für ein paar Momente, bevor er leicht lächelte.

„Sorge, dass du ihn verletzt…nein. Vielleicht hintergründig, ja. Aber eher im Unterbewusstsein. Und selbst wenn, was sollte ich tun? Euch beiden Steine in den Weg legen? Nein…nicht mehr. Wenn es das Richtige für euch ist, dann nur zu.“
 

„Hmmm.“

Nagis Blick senkte sich und er verfiel in eine kleine Grübelei. „Das Richtige wäre wohl, ‚es’ gar nicht zu beginnen“, wisperte er mit einem kleinen Seitenblick den Flur hinunter. Dort, wo er Brad vermutete.

Es belastete ihn plötzlich, dass er wählen sollte, dass er aber nicht wählen wollte. Ganz bestimmt nicht…

Aber er konnte diesen Gedanken der Wahl nicht abstreifen und daher zerfraß es ihn förmlich innerlich. Er konnte die Gedanken an Omi nicht abstellen. Es war, als sehnte er sich nach Schokoladenkuchen…
 

„Das Richtige wäre es, es einfach zu probieren. Mehr als schief gehen kann es nicht und es ist eine gute Erfahrung“, erwiderte Aya und sah sich unauffällig um. Er steckte die Hände in die Taschen der fremden Hose und zog die Schultern hoch. Ihm war noch kalt.

„Die Frage ist, wie viel du dir von außerhalb sagen lässt. Von Menschen, die meinen, über dich bestimmen zu können…

Er hob bedeutsam die Augenbraue.
 

So wie sich Nagis Gedanken verdüsterten, wurde dieser Effekt nun auch auf seinem Gesicht sichtbar. Scheinbar gab es niemanden, der ihn in diesem Punkt verstand. Unwillkürlich krampften sich seine Hände in den Pullover in Höhe der Oberschenkel und bildeten Fäuste. Er blickte wieder auf. „Jeder sollte dort bleiben, wo er hingehört“, lächelte er und nickte. Er hatte verstanden. Diese Lehrstunde war gut gewesen. Sie tat weh, wie alle Lehrstunden.

So wie Omi dachten wohl viele, die nicht wie sie waren. „Meine Entscheidungen treffe ich in soweit frei, wie frei ich sie treffen kann. Du kannst die Kleidung behalten oder du bringst sie zurück. Es macht sicher nichts aus, wenn du sie trägst.“ Er hatte das Thema gewechselt, weil es ihn schmerzte, über dieses Damoklesschwert ‚der Wahl’ zu sprechen.
 

Aya nickte bedächtig, dachte jedoch nicht daran, sich an den letzten, unwichtigen Worten aufzuhalten. Vielmehr interessierte ihn das, was Nagi vorher gesagt hatte.

Er nahm den Jungen noch einmal genau in Augenschein, maß ihn eindringlich. Jetzt, in diesem Pullover, schien es, als würde die äußere Erscheinung genau das bestätigen, was er sich schon seit langem gedacht hatte.

„Jeder sollte dort bleiben, wo er zuhause ist, da hast du Recht. Aber nicht jeder weiß wirklich, wo er hingehört.“ Sein Blick schweifte aus dem Fenster, betrachtete sich den dort an die Scheiben peitschenden Regen.
 

Nagi wollte nicht hier darüber sprechen. Eigentlich wollte er überhaupt nicht darüber sprechen, aber er musste ständig daran denken. Fast jede Minute des Tages belastete ihn dies, als hätte Omi ihm diese Last aufgedrückt.

Er ließ den Pullover los und machte sich auf den Weg zurück ins untere Stockwerk, weg von dem Flur…der zu Brads Besprechungszimmer führte.

„Ich will diese Wahl nicht, die ihr mir hier aufbürdet“, sagte er leise, während er sich abwandte. Sein Blick spiegelte seine Emotionen wieder, es belastete ihn, dies aufgebürdet zu bekommen.
 

Aya folgte Nagi langsam und stieg die Treppe hinunter, begab sich in den gemütlichen Wohnbereich zu einem der Sofas.

„Welche Wahl hast du?“, fragte Aya und ließ sich auf das weiche Möbelstück inmitten eines Pflanzenhains nieder. Er widerstand dem Drang, nun auch noch die Beine anzuziehen und sich hinzulegen, eine Runde zu schlafen. Der Tag war wieder zu lang und zu anstrengend gewesen, die Nacht davor zu kurz und zu verstörend.
 

„Entweder ein Zuhause oder zu Takatori Mamoru gehen“, setzte er unbewusst diesen Namen ein. Er seufzte unterdrückt und verließ den Raum, ging zur Dusche, die an den Schwimmbereich angrenzte. Hier fiel es ihm leichter über diese Dinge zu sprechen, hier in seinem…Zuhause. Fujimiya Ran …kam Nagi vor als wäre er Omi etwas näher. Auch wenn ihn das zu düsteren ungeliebten Gedanken und Gefühlen trieb. Es putschte seinen Herzschlag auf und machte ihn unruhig.

Er duschte und wärmte sich etwas auf, bevor er sich seine weiche, graue Wollhose anzog und in den unförmigen Pullover schlüpfte, der ihm halb von der Schulter rutschte, doch er brauchte dieses Stück Stoff, diesen Geruch, mit dem es behaftet war.
 

Aya grübelte, wartete in der aufgezogenen Stille. Obwohl…ihm war, als hörte er irgendwo den tiefen Bariton des Amerikaners. Er wurde unruhig, wollte Schuldig nicht dem ungerechten Zorn des Orakels aussetzen. Nicht, wo er dafür verantwortlich war.

Doch er war ja nur schmückendes Beiwerk, nicht dazu gedacht, den Mund aufzumachen. Nicht dazu gedacht, beachtet zu werden.

Er seufzte schwer und zog ein Bein zu sich, ungeachtet der Umgebung. Er bettete sein Kinn auf das Knie und starrte hinaus in den Regen.
 

Nagi betrachtete sich abschließend im Spiegel und befand, dass der Pullover genau das Richtige war um seine überschlanke Figur zu kaschieren. So war es schon besser und Schuldigs …ja…was war Ran? Ein Geliebter…? Röte schoss Nagi ins Gesicht und ihm wurde heiß.

Er verließ das Badezimmer und kehrte wieder zur Sitzecke zurück, in die es Schuldigs …Geliebter gezogen hatte.
 

Der Geliebte, der gerade seine Augen geschlossen hatte und immer noch in den Nachwirkungen des Joints gefangen vor sich hindöste, bis er jemanden kommen hörte. Nagi. Er war also zurück. Anscheinend hatte das Bad der Gesichtsfarbe des Jungen gut getan.

„Kannst du dir denn vorstellen, mit ihm zu schlafen?“, fragte er und fühlte sich mehr und mehr in die Rolle des großen Bruders versetzt, der hier die Angelegenheiten seiner kleinen Geschwister regelte, damit ihnen auch ja nichts passierte.

Und war es denn auch nicht so? Er war schließlich der Anführer von Weiß gewesen…war immer noch ihr Freund. Und Bezugsperson für Omi.
 

Innehaltend verkeilten sich Nagis Hände in den Ärmeln, die etwas überstanden, trotz der hochgekrempelten Enden. Diese Frage…so direkt gestellt…brachte ihn aus der Bahn.

„Ich…“, fing er an, sein Blick starr auf Ran gerichtet, mit trockener Kehle. Er hatte sich schon seine Gedanken gemacht, sicher. Nie so weit…doch schon so weit, aber es schien ihm so fern, so fremd…dass er es selbst kaum glaubte, sich schämte, wenn er an Sex dachte.

Gefühle kamen in ihm hoch, die er eisern vergraben hatte, seit Jahren schon.

Er schüttelte einmal den Kopf, trat einen Schritt näher an die Aussichtsfront und lehnte sich an das Glas. „Seit wir bei euch waren …denke ich ständig daran. Es macht mich verrückt, wo ich doch so lange Zeit diesen Gedanken verdrängt hatte. Es war gut, nicht mehr daran zu denken, es war befreiend…und nun…“, wisperte er mehr zu sich selbst an die Scheibe.

Es war zermürbend. Er wollte sich berühren…doch er wusste…er konnte es dann nicht mehr kontrollieren.
 

„Geht es dir nur um Sex oder um mehr?“, fragte Aya weiter und lauschte förmlich auf die leisen Worte des Jungen unweit von ihm. Das Thema schien Nagi schon zu belasten, unheimlich zu belasten.

„Was hätte Crawford dagegen, wenn du dich mit unserem Jüngsten triffst?“, fragte er und stieg in seinen Gedanken nun gleich zum Vater auf. ‚Unserem Jüngsten’…Aya seufzte lautlos gegen sein Knie und sah zur abgewandten Gestalt des Japaners.
 

Um mehr…?

„Ich weiß nicht…was dieses Mehr ist…aber der Sex ist wichtig…der Sex macht die Probleme“, sprach er in Rätseln. „Wenn ich an Mamoru denke, dann denke ich nur an Sex…nur daran…wie besessen…nur daran“, er schluckte, sein Blick verlor sich, verschwamm. Er konnte an nichts anderes denken, weil er so sehr Angst davor hatte.
 

„Wenn du ihn tatsächlich für dich gewinnen willst, dann solltest du ihn nicht zu oft daran erinnern, dass er ein Takatori ist“, merkte Aya nachdenklich an und verzog grübelnd die Stirn. Für ein paar Momente erwiderte er nichts, starrte schweigend vor sich hin und durchdachte die Problematik.

„Ich nehme jetzt mal nicht an, dass du so versessen darauf bist, mit ihm zu schlafen. Also geht es um deine Kräfte? Sind sie das Problem?“
 

Für ihn gewinnen…

Es klang so abwegig, so irreal.

Nagi wandte den Kopf und nach einer langen Minute stieß er sich ab und setzte sich auf einen der größeren Ledersessel.

„Ja, das ist das Problem. Ich kann nur daran denken, nur daran“, sagte er ungehalten darüber. Das Leder knirschte angenehm, als er die Beine hochzog.

„Es ist nichts Neues, deshalb habe ich …Angst“, huschte sein Blick zu Ran, der diesem sagen sollte, dass er nicht dumm war, nur unerfahren und naiv dadurch in einigen Dingen.
 

„Du weißt selbst am Besten, wo die Lücken in deiner Gabe liegen…und du sie austricksen kannst. Oder wo sie dir nicht gehorchen will. Wie gerade eben im Pool. Das solltest du für dich ausnutzen, anstelle sie für deinen Feind zu halten“, sagte Aya und hob eine Augenbraue.

„Wenn du nur daran denkst, dann solltest du es tun, insofern Omi auch will. Ansonsten staut sich nur Spannung auf und das ist nie gut.“
 

„Ich weiß es nicht!“, rief Nagi aus, schlug jedoch gleich die Augen nieder und blickte weg. Er durfte sich nicht gehen lassen. „Ich …weiß nicht, wie ich es ändern kann, ich übe schon so lange daran, Jahre beinahe schon. Ich habe es immerhin schon geschafft, dass mein Körper sich wehrt, wenn mir jemand zu nahe kommen möchte. Ein tolles Ergebnis, nicht?“, lächelte er traurig. Es war eine Nebenreaktion auf seine Übungen. Nähe brachte Gefühle mit sich, die, wenn sie sich entluden, zerstörerische Ergebnisse mit sich brachten. Sexuell gesehen war dies der Megagau. „Mein Kalorienverbrauch übersteigt meine Zufuhr um Längen. Je mehr ich übe, desto mehr verbrauche ich. Eine Zeitlang habe ich es aufgegeben, aber …ich verliere den Bezug zu mir selbst…zu meinem Körper.“ Nagi fröstelte, wischte sich über die Wange. Es tat gut, mit jemanden zu sprechen, der nichts davon wusste. Brad …wusste es…auch wenn sie nicht darüber sprachen. Schuldig wusste es auch, ebenso Jei. Sie akzeptierten ihn und respektieren seine Entscheidungen.
 

Aber er hielt es nicht mehr aus.
 

Aya wurde sich einmal mehr bewusst, dass eine solch starke Kraft auch Nebenwirkungen hatte, die ihren Träger durchaus zerstören konnten. Genau das sah er hier bei dem Jungen.

„Womit steuerst du deine Kraft?“, fragte er und zog die Stirn in Falten. „Bei unseren Aufträgen habe ich diese Geste hier gesehen“, er imitierte die Handhaltung des Telekineten. „Also sind es deine Hände? Was, wenn du deine Hände blockst?“
 

„Blocken?“, fragte Nagi und suchte Rans Blick.

„Meine Hände sind die Werkzeuge, ich kann damit besser die Energie auf Punkte richten. Optimal wäre es, wenn ich die Hände nicht bräuchte, aber es ist schwierig, ich bin wohl noch zu unerfahren darin. Ich kenne auch niemanden, der diese Fähigkeiten derart ausgeprägt besitzt wie ich.“
 

„Niemand, den du fragen könntest…“, wiederholte Aya nachdenklich. Herrgott noch mal. Wenn er sich schon wie der Urvater verhielt, sollte er doch auch eine Lösung parat haben, oder?

„Was wäre, wenn deine Hände fixiert sind? Durch Fesseln, welcher Art auch immer?“, fragte er und lachte sich im nächsten Moment selbst dafür aus…innerlich. Sicherlich, Fesseln. Und das schlug ausgerechnet er vor, der sich gegen jede Art von Handfesseln wehrte? Der es noch nicht einmal ertragen konnte, sie zu sehen oder in den Händen zu halten? Und er hatte es versucht, in den drei Tagen von Schuldigs Abwesenheit. Er hatte versucht, sich ihnen zu stellen.

Er hatte versagt. Noch etwas mehr, dass er ganz ganz tief unten sich begraben hatte, damit es niemand fand. Nicht Schuldig und er selbst schon gar nicht.
 

„Ich weiß nicht…es würde dann nicht auf die Person wirken, nicht zielgerichtet… aber … es ist in einer ähnlichen Situation schon vorgekommen, dass ganze Straßenzüge ohne Strom waren, Fenster zerborsten waren. Ich habe auch keine Ergebnisse, was den Fall betrifft, wenn ich nun… für jemand anderen Gefühle entwickle…ob ich dann einen gewissen Schutz für diesen bilden kann. Bei Tot…hat es geklappt. Sie konnte ich beschützen“, schloss er leise.
 

„Bei Tot…“, wiederholte Aya und musste erst einmal begreifen, dass Nagi wirklich das kleine, blauhaarige Monster von Schreiend meinte. Er enthielt sich eines Kommentars und schob es auf die Jugend des Telekineten, auf dessen Einsamkeit und Suche nach jemandem, der ihm gleich war…in einer verschrobenen Art.

„Wenn es bei ihr geklappt hat, was könnte dann bei Omi anders sein?“, fragte er nachdenklich, versuchte sich auszumalen, was passieren konnte, wenn es wirklich ernst wurde. Nichts Gutes…wirklich nicht.

„Der Strom und die paar Fenster sind zu verschmerzen, vielleicht musst du sogar lernen, damit zu leben. Solange es niemandem schadet, solltest du dir noch immer der Nächste sein.“ Da schau an, was er hier wieder sagte. Das, was er vor kurzem noch mit Youji besprochen hatte.
 

„Bei ihr…war es mehr der Wunsch sie vor anderen zu beschützen, als vor mir. Ich … es war nicht wie bei Omi. Das hier ist etwas anderes, etwas Schwieriges.“ Er musste damit leben „…zu zerstören…und ein Monster zu sein…und damit leben?“, fragte er mit einem müden Lächeln. „Das mache ich bisher schon. Aber vielleicht wird es gar nichts mit Omi…wenn er mich weiter vor die Wahl stellt“, zuckte er mit den Schultern und der Pullover rutschte ihm wieder herunter. Er lehnte sich zurück und ließ den Kopf in den Nacken gleiten.

„Brad ist Brad und daran wird sich nichts ändern. Und das ist genau das, was an ihm gut so ist“, sagte er und schloss die Augen, als er Schritte auf der Treppe vernahm. Dem Gefluche nach Schuldig.
 

Aya setzte sich wieder gerade hin, als er ebenso die Geräusche hörte.

„Gegen einen Versuch spricht nichts, meinen Segen hast du, falls du darauf Wert legen solltest.“ Er lachte. Als wenn…natürlich legte der junge Schwarz da keinen Wert drauf, er hatte schließlich nichts mit Omi in der Beziehung zu tun, dass er ihm irgendwas verbieten konnte oder gar wollte.

Sein Kopf wandte sich zur Treppe und er erwartete schon fast, Crawford dort zu sehen und ihn ein weiteres Mal in den Pool zu befördern. Doch da war zunächst nur Schuldigs Stimme.
 

Die auch sehr farbenfroh über ihren Anführer sprach. Er rieb sich den malträtierten Kiefer und kam um die Ecke, denn er hatte Rans Stimme vernommen.

Ihn fror es und die Behandlung, die Brad ihn zuteil werden ließ, bewirkte nicht, dass er sich besser fühlte. „Lass uns abhauen“, brummte er gereizt und stand mit den Händen in den nassen Hosentaschen da, wie jemand, der gleich einen Mord begehen würde. Seine Augen loderten und waren schmal.

Von wegen … er hätte was für dieses arrogante großkotzige Arschloch übrig. Er hasste diesen Wichser.

Sein Blick fiel in graue Augen, die ihn vom Sessel herauf anblickten. „Danke“, brachte er hervor und nickte zu Ran. „Jeis Sachen passen ihm wenigstens.“
 

Ayas Blick verdüsterte sich, als er Schuldigs Laune gewahr wurde. Na wunderbar, hatte Crawford seine Launen wieder an jemand anderem ausgelassen nur nicht an dem wahren Schuldigen.

Doch der nächste Satz ließ Aya jedoch sein Vorhaben, einfach mal nach oben zu gehen und sich mit Crawford zu prügeln, vorerst vergessen. Dies waren Jeis Sachen? Oh. Nun gut, sie passten wenigstens, wie Schuldig es schon so passend festgestellt hatte, auch wenn alleine bei dem Gedanken eine Gänsehaut seine Arme hinaufkroch.

Er erhob sich langsam und nickte Nagi zu. „Denk daran. Einen Versuch ist es immer wert. Ich halte dich nicht auf.“

„Und dich stecken wir erst einmal in eine heiße Wanne, wenn wir hier raus und bei dir sind“, befahl er skeptisch, als er den Zustand des Deutschen sah.
 

Nagi drehte sich im Sessel und blickte über dessen Rückenlehne den beiden nach. Die Worte hatten ihm zu denken gegeben. Einen Versuch ist es immer wert…ja natürlich, aber wenn bei diesem einen Versuch alles schief ging?

Er beschloss seine Übungen in der nächsten Zeit zu vertiefen. Es musste einen Weg geben…
 

Den Kopf auf die Lehne bettend beobachtete er, wie Ran und Schuldig mit ihren Sportwagen vom Gelände fuhren. Es regnete draußen heftig und die Bäume bogen sich im aufkommenden Sturm. Seine Augen fielen ihm zu und erst als er eine Berührung seiner Haare fühlte, blickte er auf. „Brad?“, wunderte er sich und rieb sich die Augen. Er musste in dieser Haltung kurz eingenickt sein.

„Gibt es Probleme?“

Nagi sah, wie der Amerikaner um ihn herum ging und sich setzte. Er hatte ein Weinglas in der Hand, welches er wohl abstellte nach dem Geräusch zu urteilen. Nagi blickte wieder in das Unwetter hinaus.

„Schuldigs Rotfuchs hat meine Wenigkeit an Kritiker verkauft, sie wollten mich warnen“, hörte Nagi die kühle Erklärung und diese ließ ihn sich auf dem Ledersessel umwenden.

„Was?“

„Keine Sorge, es wird nicht eintreten, sie wollten nur sichergehen, dass ich es weiß.“

Brad nippte an seinem Weinglas. „Ist dir kalt? Soll ich das Feuer anfachen? Der Kamin ist vorbereitet.“

Nagi schüttelte nur den Kopf. „Bist du sicher…?“
 

Brad erzählte dem Telekineten das Problem, das seiner Ansicht nach kein wirkliches war, dennoch schien es Nagi zu beunruhigen. Er selbst fand es lediglich amüsant, wobei es ihn auch etwas verärgert hatte, vor allem nachdem Schuldig mit diesem kleinen Arrogantling hier aufgetaucht war.
 

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