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Der Glasgarten

von

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Virtuose Hände

~ Virtuose Hände ~
 


 


 


 

Im ersten Moment wollte er der Drohung nachgeben, Omi versichern, es nicht wieder zu tun.

„Erwartest du von mir, dass ich diese Drohung versuche zu beschwichtigen?“, wollte Nagi wissen, verunsichert durch die Dominanz, mit der der andere ihn umhüllte.

Die Stimme so nah an seinem Ohr, bewirkte ein Zittern bei ihm. „Was … willst du von mir?“ Er wusste nicht mehr, was Omi von ihm erwartete, so gegensätzlich kamen ihm dessen Worte vor. „Ich… wollte dich zu nichts zwingen… ich hatte nur Angst, dass du gehst… ich würde … ich will niemanden zu etwas zwingen…“, wurde er langsam wieder aufgewühlter.
 

„Es tut gut, das zu wissen, Nagi. Ich möchte nichts außer Respekt, Nagi. Den gleichen Respekt, den ich auch vor dir habe. Ich möchte mit dir auf einer Ebene sein, in allen Dingen. Ich will nicht über dich herrschen“, wiederholte Omi noch einmal und ergriff nun auch noch die andere Hand des Telekineten, drückte sie zuversichtlich in der eigenen. Er führte diese Hände an seine Lippen und küsste sie zärtlich.
 

Omi sprach anders mit ihm. Als würde er etwas bedeuten, als wäre er von Wert. Schon allein die Geste, der Kuss auf die Hände wirkte auf Nagi elektrisierend. Er starrte förmlich auf diese Stelle. Als wäre er etwas Besonderes.

„Ich … weiß nicht, ob ich damit zurecht komme. Hilfst du mir dabei?“ Irgendetwas erinnerte ihn an das Oberhaupt der Familie Takatori, wie sich Omi verhielt. Nichts Negatives, nein.
 

„Ja, das werde ich“, gab Omi das Versprechen, welches er Crawford auch schon in anderer Form gegenüber abgelegt hatte. Er neigte leicht den Kopf. „Ich bin mir sicher, dass du es schaffst…mit meiner Hilfe.“ Er zog den größeren Jungen an sich, zog ihn mit sich zurück ins Dunkel, noch während er die Tasche achtlos fallen ließ.

„Komm mit ins Bett“, flüsterte er leise.
 

Nagi ließ sich ziehen, er fühlte sich mit einem Mal leer und ausgebrannt, ganz so, als hätte dieses Gespräch… dieses Streitgespräch alle noch vorhandene Kraft aus ihm herausgesaugt. Extreme Müdigkeit befiel ihn, als er sich auf die Bettkante setzte und seine Stirn befühlte, sich über die müden Augen fuhr. Er gähnte verhalten.

Das strengte ihn alles zu sehr an. Erst der Sex, dann diese emotionale Auseinandersetzung…
 

Omi setzte sich ebenso auf das harte Bett. Es schien, als müssten sie es erst einliegen, bevor es auch nur den Hauch einer Chance auf Gemütlichkeit versprühen konnte. Doch wer war er, dass er eben dieser Aufgabe nicht gewachsen war?

Der blonde Weiß legte sich auf die Matratze, zog Nagi zu sich, für einen Moment fest an sich, bevor er den Griff lockerte und ihnen beiden die Decke überwarf. Damit ihnen wenigstens etwas warm wurde.

Es gab da noch etwas, das er im Hinterkopf hatte. Dieses Etwas hatte viel mit dem morgigen Tag, vielmehr den kommenden zwei Wochen zu tun.

„Die Wochen in Shanghai…bist du mit Schwarz dort?“, fragte er nach einiger Stille in den Raum hinein.
 

Nagi fand die Nähe zum anderen einerseits sehr schön, anders und trotzdem aber gewöhnungsbedürftig. Er hatte das Gefühl als würde ihm sämtliche Kraft entweichen und er ließ sich fallen, drohte jeden Moment einzuschlafen.

„Kannst du … dich ausziehen, Omi?“, fragte er anstatt die Frage zu beantworten.

Er selbst nestelte an seiner Kleidung und zog sich das Oberteil über den Kopf, brachte es fertig und zog die Hose aus.

„Unser … Gespräch hat mich ausgelaugt … der Sex auch… vielleicht gehe ich in eine Regenerationsphase über…“, erklärte er sein Tun.
 

Omi blinzelte in der Dunkelheit, geradezu fasziniert vom Verhalten des jungen Telekineten. Sicherlich hatte er Nagi gerade befriedigt…doch dass sie nun…

Omi lächelte und folgte den Lauten des Anderen, zog sich ebenso aus und robbte sich gänzlich an Nagi heran. Er bettete vorsichtig seinen Arm um dessen Hüfte, das eigentliche Thema nicht mehr anschneidend. Etwas anderes verbrauchte auch einen weit größeren Anteil an Aufmerksamkeit. Regenerationsphase? Hatte Crawford nicht gesagt…?

„Ist es das, was im Hotelzimmer passiert ist? Ist es dann in Ordnung, wenn ich so nahe bei dir bin?“
 

„Ich weiß nicht…“, murmelte Nagi rollte sich etwas zusammen, bettete seinen Kopf vertraulich in dessen Nähe.

„Ich…weiß nicht … was passiert, aber ich will es riskieren… auf deine Kosten könnte man sagen…“, sagte er selbst verwundert über diese Tatsache. „Schuldig würde sagen… ich als Schwarz sollte meinen Ruf wahren.“
 

Omi lachte leise. „Wenigstens beschönigst du nichts“, erwiderte er, wurde dann jedoch nachdenklich. „Crawford meinte damals…dass ich dir auf keinen Fall zu nahe kommen sollte in so einem Zustand. Dass es für mich tödlich wäre.“ Seine Bemerkung schwebte als stille Anmerkung zwischen ihnen beiden, ohne Vorwurf, bar jeglichen Gefühls. Sie war einfach nur da…
 

Nagi registrierte dies und öffnete die Augen, hob seine Hand und tastete vorsichtig zu Omis Gesicht, wagte es dessen Lippen, dessen noch immer leicht vorhandenes Lachen unter seinen Fingern nachzufühlen.

„Wenn du von außen … hineingreifen möchtest, könnte es für dich tödlich sein, es baut sich eine Art Spannungsfeld auf, aber es ist psychokinetischen Ursprungs, also nicht wirklich mit einem Spannungsfeld zu vergleichen. Gehe ich einen Kontakt mit dir ein … könnte es dazu führen, dass du ebenfalls in diesem Feld bist … aber ich habe es noch nicht ausprobiert.“

Wie auch? War er doch stets anderen Menschen fern geblieben.
 

Omi hatte ein verdammt ungutes Gefühl bei der Sache. Er kannte die Kräfte des jungen Telekineten und konnte sich durchaus vorstellen, dass diese in der Lage waren, ihn zu zerfetzen.

Dennoch….wozu waren ungute Gefühle da? Um durch Vertrauen vernichtet zu werden. So war das. Auch wenn Omis Vertrauen noch dünn gesät war, so entfernte er sich jetzt nicht von Nagi, sondern rückte etwas näher an ihn heran. Seine Finger hielten die des Anderen auf und bedachten sie mit einem sanften Kuss.

„Gut, dann probieren wir es….“ Selbstmörderisch war er also…
 

Ein müdes Lächeln legte sich auf die Gesichtszüge des Telekineten und er legte seinen Arm locker um die Hüfte des anderen, schloss die Augen. „Ich weiß nicht, ob ich regenerieren muss, das kommt von alleine, wenn ich langsam vor mich hindämmere. Gehst du aus dem Kreis hinaus, komm nicht wieder hinein, ja?“

Er spürte bereits ein Kribbeln in seinen Händen, dort wo seine Haut auf Omis traf und er begann, sich fallen zu lassen.

„Deine Frage wegen … Shanghai… ich werde dort mit Schwarz hingehen… deshalb… wollte ich dich heute … noch sehen…“, wisperte er müde. Er wollte noch etwas sagen… sagen, dass es Omi vielleicht warm werden könnte … wenn er regenerierte… aber er war viel zu müde…
 

Und nur langsam von ihm ausgehend legte sich ein sanfter Schimmer um sie, wie Mondschein, kaltes Licht, diffus, schimmerte um sie beide. Nagi war fast eingeschlafen und er seufzte im Halbschlaf.
 

Sein Pendant jedoch war weit davon entfernt einzuschlafen. Dafür faszinierte Omi dieser Anblick, dieses Gefühl der um sie BEIDE tanzenden Atome viel zu sehr. Die Luft um sie herum fühlte sich elektrisiert an, geladen und dennoch weich und warm. Es schien, als wäre dieses kalte Licht ein Gegenteil zu der schier angenehmen Wärme, die dadurch verbreitet wurde.

Er atmete ruhig, die Augen immer noch offen und genoss diesen Anblick, genoss die Beruhigung nach dem ersten Adrenalinstoß der aufgekommenen Angst. Er war also sicher. So schien es zumindest.

Morgen bist du also in Shanghai…, richtete er im Schlaf an den jungen Telekineten und seufzte leise. Zwei Wochen…und wie würde es danach weitergehen?
 

o~
 

Sie standen im Stau. Wie sollte es auch anders sein…, grummelte Schuldig und legte den Kopf leicht in den Nacken. Nur gut, dass er das eingeplant hatte und sie hoffentlich noch rechtzeitig zum vereinbarten Termin kommen würden. Der Wagen war unbequem. Unbequemer als sein Sportwagen, aber er hatte für solche Treffen nicht vor, allzu auffällig zu werden und sich für den unauffälligen Zweitwagen entschieden.

„Wir schlagen hier noch Wurzeln“, schimpfte er lahm und verzog den Mund.
 

„Auch nicht schlimm“, hielt Aya ebenso murrend entgegen. Er hatte kein gutes Gefühl, schon seit sie heute morgen aufgewacht waren nicht. Verdammt. Schuldig war zwei Wochen irgendwo in Thailand und er musste auf den Iren aufpassen, der zu allem Übel ein Empath war. Aya hatte das Gefühl, dass es langsam zuviel wurde, wirklich zuviel. Er war nicht so anpassungsfähig wie vielleicht Omi oder Youji. Er brauchte seine Konstante und die hieß im Moment eben Schuldig. Schuldig, den er am Liebsten gar nicht aus seinen Klauen lassen würde; schon gar nicht mit dem Amerikaner nach Thailand!

„Dann bleibst du wenigstens hier.“ Und da war er schon wieder am Meckern. Am Fluchen. Aya seufzte, sah den Telepathen ruhig von der Seite her an.
 

Der spürte den Blick und wandte bereits versöhnlich lächelnd das Gesicht Ran zu.

„Stimmt.“

Seine Hand fand ihren Weg auf Rans Oberschenkel und er öffnete die Handfläche.

„Meinst du Banshee fühlt sich wohl in ihrer Kiste?“, fragte er um das Thema auf etwas anderes zu lenken, etwas rotes Kleines, welches Ran immer aufmunterte…
 

Aya verzog unwirsch die Lippen, ließ sich durch diese Frage tatsächlich von seinen eigentlichen Sorgen wegtreiben.

„Anscheinend schon“, erwiderte er nach einem Kontrollblick auf den Rücksitz. „Sie schläft tief und friedlich, als wenn sie kein Wässerchen trüben könnte. Beneidenswert…“ Und tatsächlich, sobald sie im Auto waren, hatte die Kleine Ruhe gegeben und sich in ihre Kiste verzogen, die Aya provisorisch hergerichtet hatte.
 

Schuldig schloss zum Wagen vor ihnen auf.

„Es wundert mich etwas, dass Crawford Raubkatzen in seiner Wohnung duldet … und dann auch noch zwei von dem Kaliber… tzzz“, murmelte er, die Stirn in scharf nachdenkliche Falten gezogen. „Die teuren Kunstobjekte…“
 

Ayas Blick wurde durchaus dunkler. „Was soll das denn heißen? Dass ich nicht auf etwaige Kunstgegenstände aufpassen kann? Und aller Wahrscheinlichkeit nach, lieber Schuldig, sieht Crawford uns nicht als Raubkatzen, sondern eher als…Nahrung zum Verfüttern, oder?“ Er schnaubte, nur halb so beleidigt, wie er tat.
 

„Heey … ist gut, mein Kater“, lächelte Schuldig versöhnlich, fasste es tatsächlich so auf, als hätte er Ran auf dem falschen Fuß erwischt. Aber vielleicht ließ er seine Späße für heute besser, so angespannt wie sie beide innerlich waren.

Der Stau löste sich langsam auf und sie fuhren wieder …
 

„Das war ein Scherz, Schuldig“, merkte Aya nach einiger Zeit an und sah aus dem Fenster. Sie fuhren hinaus, zum Anwesen von Schwarz und Aya kam nicht umhin, sich zum wiederholten Male zu fragen, welcher Teufel ihn genau geritten hatte, als er dieser Idee zugestimmt hatte. Es war doch vollkommen hirnrissig, wenn man bedachte, dass der Ire vor nicht ganz drei Monaten noch darauf bedacht war, ihn zu töten. Nicht, dass es anders herum nicht genauso gewesen wäre…und nun? Nun sollte das klappen? Aya bezweifelte es.

„Gibt es außer der Empathie noch etwas anderes, das ich über Farfarello wissen muss?“ fragte er schließlich leicht misstrauisch.
 

„Nichts, wovon ich etwas weiß“, antwortete Schuldig. Doch wer wusste schon alles von Jei?

„Er hat seine Anweisungen und … deshalb mache ich mir da jetzt nicht so große Sorgen, Ran. Er ist beschäftigt, hat einige Bilder, die er noch fertig stellen wollte. Jetzt, da wir ihn für diesen Auftrag nicht brauchen, hat er Zeit sich der Kunst zu widmen“, resümierte Schuldig und begann bereits, die Umgebung etwas abzutasten.
 

„Bilder?“, hakte Aya nach. „Was meinst du damit? Malt er?“, fragte er und irgendetwas zeterte in seinem Inneren, dass das schon wieder etwas war, auf das er sich einstellen musste! Er war nicht flexibel! Ganz und gar nicht. Nun gut…bei ihren Aufträgen war er es gewesen, aber nicht so. Das hier war sein Privatleben, das war er selbst…und nur er selbst.
 

„Oh.. habe ich das nicht erwähnt?“, huschte Schuldigs Aufmerksamkeit kurz zu Ran und er drosselte die Geschwindigkeit, als sie in die Nähe des Anwesens kamen.

„Crawford arrangiert Ausstellungen seiner Bilder, er hat es vor ein oder zwei Jahren begonnen.“
 

„Nein, Schuldig, hast du nicht“, knurrte Aya und boxte Schuldig spielerisch in den Oberarm. Insgeheim fragte er sich jedoch, wie viel anderes der Telepath vergessen hatte, ihm zu sagen. Aber gut. Farfarello malte, Crawford stellte die Bilder aus. Das war eine interessante Geschäftbeziehung. Doch…

„Die Ausstellung, von der vor kurzem Youji und Farfarello gekommen sind, war das seine Ausstellung?“, fragte er aus heiterem Himmel, als er sich daran erinnerte, was Youji gesagt hatte, bevor er auf Schuldig losgegangen war.
 

„Ja, war es … denke ich. Jei wollte sich wohl die Reaktionen der Anwesenden reinziehen. Diese projiziert er dann wiederum auf die Bilder. Hat wohl was mit seiner Empathie zu tun“, entgegnete Schuldig salopp und zuckte mit den Schultern, als er auf das Grundstück fuhr.

„Seither ist er auch nicht mehr so unkontrolliert in seinen Gefühlsausbrüchen. Er verwendet seine Energie … und das, was auf ihn eindrängt, in die Arbeit an den Bildern. Aber erzähl das bloß nicht dem Schnüffler… das kann er alleine herausfinden“, lachte Schuldig gehässig und grinste breit.
 

Aya lachte mit. „Wenn er das überhaupt herausfinden will. Youji traut euch nur soweit, wie er euch werfen kann. Und wirklich weit ist das ja nicht. Aber ich werde nichts sagen, es sei denn, Farfarello vergreift sich an seinen Gefühlen.“ Was er dem Iren schwer genug nachweisen können würde, wenn überhaupt.

Aya wusste nicht, warum er gerade jetzt an seine Schwester dachte und sie im Stillen um Rat fragte, wie immer, wenn er nicht weiterwusste und dies hier war so eine Situation.

Aber vielleicht hing es auch mit Schuldig zusammen, dass dieser ihn jetzt zurückließ und er mit etwas umgehen musste, das er in dieser Form noch nie bewältigt hatte.

Sie stiegen aus und Aya nahm Banshee samt Kiste an sich, die Sporttasche über die rechte Schulter gehängt.

Er sah mit wenig Wohlwollen die Fassade des Hauses hoch und runzelte die Stirn.
 

Schuldig nahm seinen Koffer aus dem Kofferraum, beobachtete Ran unauffällig bei seinem Tun. Er unterzog Ran erneut eines prüfenden Blickes, als er die Kofferraumklappe schloss, wie dieser die Fassade hinauf blickte, als wäre es ein Geisterhaus, in dem es Gerüchten zufolge spukte.

Er trat neben ihn und ahmte diese Geste nach, sah dann Ran an.

„Wir sehen aus wie zwei Geisterjäger, als würden wir in dieses Haus zum Exorzismus einziehen“, sagte er nüchtern und legte den Kopf schief, das Haus wieder anstarrend.

Den kleinen Witz konnte er sich nicht verkneifen, bei dem skeptischen Blick den Ran an die Hauswand warf.
 

Ayas Seufzen war wenig hoffnungsvoll, als er sich zu Schuldig umdrehte und den anderen Mann kritisch maß. „Danke, lieber Schuldig, dass du mir DAS noch mal vor Augen gehalten hast“, resignierte er schließlich. Als wenn es nicht schon schlimm genug wäre, was ihm bevorstehen würde in den nächsten zwei Wochen.

Dann jedoch zogen sich seine Lippen in der Andeutung eines Lächelns nach oben, als er leise hinzufügte: „Wenn es allerdings darum gehen sollte, einen gewissen, amerikanischen Poltergeist auszutreiben, bin ich dabei.“
 

„Der ist eh nicht da“, richtete Schuldig seinen Kopf wieder gerade und wackelte mit den Augenbrauen.

Wieder ernster werdend, sah er Ran stumm an, als wollte er sich jeden Quadratzentimeter Haut genauestens einprägen. An den Lippen blieb er hängen…

„Komm wir gehen hinein, sonst kann ich nicht dafür garantieren, dass ich dich hier nicht küsse“, sagte er langsam und seine Augen krochen den Weg von den Lippen hinauf in das mysteriöse Violett, welches er so liebte.
 

„Sag bloß, du bist mit einem Mal keusch geworden? Wie schade…“, schnurrte Aya lasziv und drehte sich mit einem lüsternen Hüftschwung um. Er präsentierte Schuldig schamlos seine Kehrseite und ging ungerührt zum Haus hin, so als ob ihn kein Wässerchen trüben könnte. So als ob er Schuldig nicht gerade heiß machen würde. Nein…das tat er garantiert nicht mit Absicht, garantiert nicht. Denn Küssen reichte ihm als Abschiedsgeschenk nicht…hatte er gerade festgestellt.
 

Schuldigs Mundwinkel wanderten missmutig nach unten und wie von Ran provoziert festigte sich sein Blick auf eben dieses Hinterteil, als er ihm folgte. Zumindest teilweise, bis er das Haus betreten hatte und es sich nicht nehmen wollte, einen herzhaften Klaps auf selbiges zu setzen, den Koffer abstellend und an Ran vorbeigehend.

Nagi kam gerade die Treppe herab. „Hey Kleiner“, setzte er an und wurde mit einem Nicken begrüßt und einem zaghaften Lächeln.
 

Aya lächelte hinter Schuldigs Rücken und sah einen Moment später den jungen Telekineten. Er runzelte die Stirn. Irgendetwas war anders. Was genau das war, konnte er in diesem Moment nicht identifizieren, doch es kam ihm spanisch vor.

Er nickte wortlos, jedoch nicht unfreundlich und sah sich ein zweites Mal um. Währenddessen erwachte Banshee in ihrer weichen Lagerstätte zum Leben und streckte leise miauend den Kopf über die Box, anscheinend neugierig auf ihre neue Umgebung.

Da waren sie also…
 

Nagi trat näher aber blieb noch immer den Abstand wahrend in einiger Entfernung, den Blick knapp über Banshee werfend, bevor er sich seine Handschuhe überstreifte, dies mit Sorgfalt tat.

„Kleiner… kannst du Ran sein Zimmer zeigen?“, wandte sich Schuldig unflätig an Nagi, bevor er Ran kurz um die Hüfte strich und ihn sacht an sich zog.

„Ich geh Jei suchen und komm dann nach, ja?“, raunte er ihm zu.
 

„Unverschämter Telepath“, knurrte Aya ohne wirklichen Elan dahinter, griff jedoch – ungesehen von Nagi – fest in das attraktive Fleisch des ansprechenden Hinterns. Dann löste er sich von Schuldig und ging ohne besagte Laszivität zu dem Jüngsten von Schwarz, hielt mit einer Hand Banshee davon ab, sich aus der Box auf den Weg in unbekannte Gefilde zu machen. Ihm war nicht wohl dabei, sie hier im Haus frei herumlaufen zu lassen…wirklich nicht.
 

o~
 


 

Die infame Beleidigung mit einem kecken Augenaufschlag quittierend, erklomm Schuldig mit wenigen ausladenden Schritten das obere Stockwerk, sein Ziel die heimischen Gefilde von Farfarello.

Dieser saß fast schon lauernd im Schneidersitz auf seinem Bett und sezierte jeden, der durch seine Tür trat, mit einem schwefelgelben Auge.

„Jei, wir müssen reden“, begann Schuldig mit leiser aber eindringlicher Stimme und schloss die Tür, lehnte sich dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust, taxierte nun seinerseits den Iren.

„Rede“, forderte Jei ihn nach schier endlosem Starren auf.

„Du weißt, weshalb er hier ist?“

„Seine Sicherheit ist bei dir gefährdet, deshalb überträgst du mir die Verantwortung dafür“, sagte Jei ruhig.

„Richtig. Er dagegen glaubt, er müsse auf dich achten. Soweit die Spielregeln. Ich habe noch etwas hinzuzufügen. Was deine Forderungen an mich wegen eines Ausgleichs natürlich erhöht, falls du darauf eingehst.“

Schuldig wartete mit ernster Miene ab. Hier wurde mit harten Bandagen gekämpft. Jei war ein schwierigerer Verhandlungspartner als Brad…

Jei neigte leicht den Kopf als Zeichen, dass er dieses ‚Etwas’ in Erwägung ziehen würde.

„Dass wir zu den Spielregeln noch ‚regelmäßiges Essen’ hinzufügen, wir nehmen es in die ‚to do’ Liste auf, die Nagi angefertigt hat.“

Wieder schien Jei darüber nachzusinnen, welchen Zweck es wohl haben müsste und entschied sich dafür, als er nickte.

„Was willst du dafür?“

„Was bietest du mir?“

„Den Blonden von Weiß, den Schnüffler“, sagte Schuldig langsam.

„Das liegt nicht in deinem Ermessen.“ Jei erhob sich in einer geschmeidigen Bewegung, kam zu Schuldig.

„Das nicht. Aber du hättest vielleicht Brads Einverständnis, oder Rans Nichteinmischung, wenn ich nachhelfe“, lockte er.

Jei wandte sich um und ging zum Panoramafenster, ließ sich nieder.

„Das ist ein angemessener Bonus.“
 

o~
 

„Dein Zimmer ist hier unten. Somit kannst du jederzeit das Haus verlassen, ob durch die Tür oder das Fenster. Du kannst es absperren. Es gibt einen Türcode, den ich dir noch sagen werde, verwende ihn auch für die Fenster und den ersten Stock. Die Telefonanlage ist gesperrt. Anrufer gibt es nicht. Wenn du aus dem Haus gehst, nur über die Garagen. Jei ist eine gute Warnanlage, trotzdem …“, ließ er offen, dass Ran diese Sicherheitsmaßnahmen beherzigen sollte.

„Hast du Waffen dabei?“
 

„Mein Katana liegt im Koneko“, erwiderte Aya und runzelte die Stirn. Er trug keine Waffen bei sich. Wie denn auch? Er brauchte sie nicht…nicht, wenn er nicht auf einem Auftrag gewesen war.

Er musste sagen, dass die Sicherheitsvorkehrungen, die Schwarz trafen, die von Weiß um Längen überstiegen. Eigentlich naiv von ihnen, jedem Fremden so einfach Zutritt zu ihnen zu gewähren; alleine schon durch den Blumenladen…
 

„Ich verstehe“, nickte Nagi und er stockte kurz. Sein Blick bisher sehr unpersönlich, nicht weiter als bis zu Rans Kinn gehoben, erreichte nun dessen Augen.

„Wir … sind vorsichtiger. Wir müssen jeden Moment damit rechnen aufzufliegen. In … letzter Zeit haben wir das Gefühl, dass wir anderen Gruppierungen in die Suppe spucken, weil wir mehr Aufträge erhalten. Unter anderem bleibt Jei deshalb hier“, offenbarte er mit einem entschuldigenden Lächeln, sah allerdings sogleich wieder weg.
 

Aya runzelte die Stirn. „Warum weichst du mir aus?“, fragte er nach einigen Augenblicken des Überlegens geradeheraus. Natürlich war der Junge schüchtern, so hatte er ihn auch kennen gelernt, doch heute schien es wirklich anders zu sein.

Er setzte die Box auf dem Bett ab und schloss die Tür, sodass Banshee sich ohne Probleme auf Erkundungstour machen konnte.
 

„Tue ich das?“ fragte Nagi und hob den Blick wieder leicht an. Was sollte er antworten?

Dass Jei nur deshalb hier blieb weil er auf das Haus aufpassen sollte? Und nicht weil er unfähig war, auf sich selbst zu achten? … wie Crawford dem Weiß erzählt hatte. Und weil Schuldig Angst hatte Ran alleine zu lassen …

„Warum interessiert dich das?“, legte sich eine zarte Röte auf seine Wangen. Oder fragte ihn Fujimiya … wegen Omi dies? Sah man es ihm an, dass er mit dem anderen…
 

„Weil es so offensichtlich ist - im Gegensatz zu deinem vorherigen Verhalten. Aber wenn du es nicht sagen willst, dann ist das in Ordnung.“ Aya sah sich in dem großen Zimmer um, das ebenso lichtdurchflutet, jedoch nicht ganz so offen war, wie der Rest des Hauses. Ein großes, schlicht weißes Bett stand in den Raum hinein, gesäumt von zwei Nachtkommoden aus Kirschholz. Insgesamt war der Raum in dunklem Braun und überwiegend Weiß gehalten. Schlicht, aber elegant, ganz nach Ayas Geschmack.

„Gibt es etwas, das ich über Farfarello wissen sollte?“, fragte er den Jungen und drehte sich wieder um. Vielleicht vermittelte ihm Nagi noch etwas, das Schuldig vergessen hatte.
 

„Wie oft isst du am Tag?“ wollte Nagi plötzlich wissen.
 

Violette Augen kamen abrupt zurück zum Jüngsten von Schwarz. „Wie oft?“, fragte Aya überfahren nach. Er aß, wenn er Hunger hatte, das konnte von einmal pro Tag bis zu rechten Fressgelagen ausarten, je nach Stimmung, je nach Appetit.

„Braucht Farfarello regelmäßiges Essen?“, traf er vermutlich den Kern von Nagis Frage.
 

„Ja …und nicht nur der“, huschte sein Blick über die Statur des anderen und festigte sich auf Banshee die gerade vor dem Bett saß und hinauf blickte.

„Mindestens morgens und abends, eine Kleinigkeit zu Mittag. Eingekauft ist genügend und wenn du ihn fragst, ob er Hunger hat wird er dir antworten. Du darfst ihm nur keine offenen Fragen stellen. In der Art wie: Möchtest du etwas essen? Die wird er nicht beantworten. Seine Tabletten sind in der Küche, die nimmt er abends ein. Allerdings weiß er selbst, wann er sie braucht. Leg sie ihm zum Abendessen hin. Wenn er sie nimmt ist gut, wenn nicht … auch gut. Was seine Kleidung angeht… ist neben seinem Zimmer ein Ankleideraum. Du kannst ihm alles hinlegen, was du möchtest. Er zieht es ungefragt an. Das ist sonst meine Aufgabe.“
 

„Es liegt nicht in deiner Kompetenz, mir meine Essgewohnheiten vor Augen zu halten“, erwiderte Aya freundlich, jedoch bestimmt auf den ersten Kommentar des Telekineten, nachdem er dessen Monolog schweigend und aufmerksam zugehört hatte. Wenn er für eine Form der Kritik nicht empfänglich war, dann war es Kritik über dieses Thema. Das sensible Thema Essen…er hatte es zu oft durchgekaut, mit Youji, Omi, Ken, Schuldig und nun auch noch er?

„Was sind das für Tabletten? Wird er mich akzeptieren, wenn ich deine Rolle übernehme?“
 

Nagi deutete eine Verbeugung an und lächelte reserviert. „Ich meinte eher mich damit. Verzeihung“, sagte er und bedeutete Ran ihm zu folgen. Er führte ihn hinauf ins obere Stockwerk, zeigte ihm an dessen Ende ein Bedienfeld um die Lichtschranke zu decodieren.

„Psychopharmaka. Sie dämpfen etwas und helfen ihm beim Schlafen. Er hat seine Befehle, hier geht es nicht um Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz.“
 

Aya folgte mitsamt Banshee und berührte den Jungen schließlich am Arm. „Entschuldige, ich hatte dich missverstanden.“ Schneller, als Nagi vermutlich reagieren konnte, hatte er sich auch schon gelöst und merkte sich in Gedanken die Decodierungsnummer.

„Wie lauten seine Befehle?“
 

Doch Nagi konnte nicht reagieren, er war innerlich fast schockiert über diese Entschuldigung. Sein Puls beschleunigte sich und er zog die Stirn in Falten, den Blick fragend an Ran gerichtet ohne es selbst zu merken.

„Dich für zwei Wochen als Teammitglied zu betrachten.“ Was dies alles beinhaltete, das musste nicht erwähnt werden. Das würde Ran schon herausfinden … oder auch nicht.
 

Aya war ebenso überrascht, wie es der Jüngere vielleicht sein mochte. Er? Ein Teammitglied von Schwarz? Gut, wenn er das von der logischen Seite her betrachtete, war es nur normal.

Er nickte bedächtig, noch nicht ganz von diesem Arrangement überzeugt, jedoch schon etwas beruhigter.

„War Omi schon hier?“, fragte nun er aus heiterem Himmel, ohne wirklichen Zusammenhang.
 

Das verschlug Nagi die Sprache und er konnte die aufsteigende Hitze in seinem Gesicht nicht verhindern. Sein Mund wurde trocken, als ihm dessen Berührungen plötzlich aufdringlich in Gedanken vordergründig wurden.

„Da?“, fragte er vorsichtig nach. Wie viel wusste Fujimiya? Durfte er etwas wissen? Er fühlte sich plötzlich wie ertappt.
 

„War er nicht mit Schuldig hier gewesen?“, fragte Aya geduldig, mit soviel Freundlichkeit, wie er in seine Stimme legen konnte, ohne den anderen zu verschrecken. Zumindest mehr als er es jetzt schon war, während Banshee sich mit ihren Krallen an seinem Brustkorb hochstemmte und versuchte die Umgebung von seiner Schulter aus zu inspizieren.
 

Nagi räusperte sich und ging weiter zu Jeis Ankleidezimmer, blieb im offenen Türrahmen stehen.

„Doch… er war hier“, sagte er sparsam.
 

Aya erwiderte nichts darauf. Mehr hatte er auch gar nicht wissen wollen. Es gab Menschen, die behaupteten, dass er nicht eins und eins zusammenzählen konnte, doch entgegen der Meinung der Allgemeinheit war er dazu durchaus in der Lage.

Er warf einen Blick in den doch recht großen Raum, der über und über mit Kleidung behängt war. Es ließ sich hier auf den ersten Blick alles finden. Alles.

Es schien, als würde Aya nun zum ersten Mal klar werden, was es wirklich bedeutete, hier zu sein: Farfarello Sachen heraussuchen - zum Anziehen. Das hatte er selbst für sein Team nur in Ausnahmefällen getan. Hilfe.

Aya schloss das Thema rigoros ab und wandte sich angenehmeren Gedanken zu. Er dachte an Omi und lächelte beinahe augenblicklich vergnügt in sich hinein. Omi…der sich wirklich getraut hatte – bei Crawford vorzusprechen um für Nagis Hand anzuhalten…oder das moderne Äquivalent davon.

Er hatte sich durchaus Sorgen um ihren Jüngsten gemacht, als Omi ihm am Telefon schon auf dem Weg zum Amerikaner den in seinen Augen völlig hirnrissigen und gefährlichen Plan vorgestellt hatte. Doch was hatte er machen sollen, außer darauf zu hoffen, dass Schuldig über etwaige Katastrophen ein Auge haben würde…und: es war ja auch nichts passiert.
 

Nagi sah das Lächeln welches sich in die sonst eher kühlen Züge des früheren Anführers von Weiß geschlichen hatte und machte dicht.

Es war ungewohnt, ihn auf dieses Thema ‚Omi’ derart frech lächeln zu sehen. Er drehte sich weg, sich unwohl fühlend und ging wieder hinunter, Richtung Küche … als würde er von dem anderen fliehen. Hatte Omi … Ran etwas erzählt? Vermutlich… ! Würde er alles andere zwischen ihnen ihm auch erzählen?

Zweifel nagten an ihm.
 

„Jetzt haben wir ihn vergrault, was?“, murmelte Aya zu Banshee und fing sie wieder ein um

mit ihr durch das Haus zu streunen. Omi würde schon das Richtige machen, dessen war er sich sicher. Nachdem Nagi wieder da war, hieß das.

Aya hatte ein komisches Gefühl, nach so langen Jahren der Feindschaft, die zum Teil auch heute noch bestand, hier, in genau diesem Haus umher zu wandern. Er wusste, dass er nicht hierher gehörte und fühlte das auch.

Es sind nur zwei Wochen, sagte er sich selbst. Zwei kurze Wochen. Dann ist alles wieder so, wie es sein sollte. Hoffentlich.

Eher unwissentlich war er mit seiner Wanderung ins weitläufige Wohnzimmer gekommen.
 

Wo Schuldig gerade auch eintraf, nachdem er Ran nicht in dessen zugewiesenem Zimmer gefunden hatte. „Wir hauen in einer Stunde ab“, verkündete er und wandte sich zu Nagi um der aus Richtung Küche kam.
 

Eine Stunde? Das war zu wenig, das war…sie brauchten noch mehr Zeit, Schuldig konnte doch nicht in einer Stunde schon…

Aya verdonnerte seine wild laufenden Gedanken zum Schweigen. Was sollte das? Wieso geriet er hier in Panik? Er hatte schon WEITAUS Schlimmeres überstanden. Das war doch ein Klacks. Er war doch sonst nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen.

Nein…er war auch hier nicht aus der Ruhe zu bringen, wie er nur Augenblicke später feststellte. Wenn er sich beherrschte, wenn er sich zusammenriss, dann funktionierte es auch.
 

„Kleiner … wir sind in Rans Zimmer. Wir müssen noch über den Plan sprechen“, sagte Schuldig ernst und nahm von Nagi ein Blatt Papier entgegen.

Danach griff er sich Ran am Handgelenk und zerrte etwas daran, damit dieser ihm folgte. Im Zimmer angekommen schloss er die Tür, warf das Blatt auf einen Stuhl und zog seine Ruger aus dem Holster.
 

Plan…?, kam Aya noch dazu, sich über Schuldig zu wundern, bevor er von diesem ohne Verzögerung geradewegs in seinen Raum gezogen wurde. Bevor Schuldig seine Waffe zog, was der rothaarige Japaner misstrauisch zur Kenntnis nahm. Seine Augen ruhten auf den Händen des Telepathen, während er ruhig vor dem Bett stand.
 

Schuldig drehte die Waffe, als er sich sicher war, dass sie genügend Munition enthielt, reichte sie Ran weiter. „Hier. Allerdings ist sie nicht für Jei gedacht“, sagte er ruhig und suchte Rans Blick.
 

„Nicht, wenn es nicht nötig ist“, stimmte Aya nickend zu und nahm die Waffe an, besah sich das schwere Gewicht in seiner Hand. „Ich habe schließlich keinen Grund, ihn zu töten, insofern er mich nicht angreift.“

Seine Augen ruhten auf denen des Telepathen, als er verstummte und Schuldig mit intensivem Blick maß.
 

„Und was ist… wenn es aussieht wie ein Angriff, es aber keiner ist? Wenn er dich nur schützen will?“, fragte Schuldig. „Sie ist nicht für ihn, Ran. Kein nervöser Zeigefinger, ja?“

Schuldig war sich nicht sicher, ob er das Richtige tat, ihm war nicht wohl dabei und das sah vermutlich auch Ran.
 

„Ich bin kein Anfänger, Schuldig. Ich werde nicht gleich bei der erstbesten Bedrohung zur Waffe greifen und ihn niederstrecken. Wir haben einen Deal. Ich passe auf Farfarello auf und sorge dafür, dass er die nächsten zwei Wochen Kleidung und etwas zu essen bekommt, dass er seine Medikamente nimmt. Nichts weiter. Ich werde meine Nerven nicht verlieren. Ich denke, ich kann zwischen seinem Spiel und Ernst unterscheiden. Und ernst wird es dann, wenn er mit einem Messer oder einer anderen Waffe auf mich losgeht und ich ihn anderweitig nicht stoppen kann.“

Aya seufzte und legte die Waffe auf die Kommode, die dem Bett gegenüberstand. Er ging zu Schuldig und strich ihm mit den Fingern über die Wange.

„Keine Sorge, Schuldig, ich weiß, wie viel dir dein Team bedeutet.“
 

Schuldig lächelte entschuldigend und schmiegte sich etwas in die Berührung.

„Ich weiß, dass du kein Anfänger bist … ich mache mir nur Sorgen … um dich … und auch um Jei.“
 

„Ich weiß. Aber es wird nichts passieren. Wer weiß, vielleicht sind er und ich durchgebrannt, wenn du wiederkommst?“ Aya knuffte Schuldig spielerisch in die Seite, zwinkerte, alleine um die Stimmung zwischen ihnen aufzulockern. Er wollte nicht, dass der andere Mann traurig war. Er sollte sich keine Sorgen um ihn machen.
 

„Durch… ge…WAS?“, hakte Schuldig ungläubig nach und sein Kopf ruckte pflichtschuldigst höchst verwundert über eine derartige Vorstellung vor. „Das zeigst du mir aber erst einmal“, forderte er und hob beide Brauen Richtung Stirnansatz, bevor er dreckig grinste.
 

Wer war Aya, dass er diese Bitte nicht erfüllte? Er lächelte und versuchte sich zu entspannen…versuchte die Atemtechnik anzuwenden, die ihm schon lange Zeit zuvor gezeigt worden war. Und tatsächlich…es funktionierte nach einer Weile.

Und dieses Mal entwarf er ein Szenario, das selbst ihn in einem versteckten Winkel seiner selbst durch und durch gruselte. Farfarello und er…klassisch durchgebrannt nach Hawaii mit bunten Hemden, Longdrinks in der Hand und so schmalzend, dass es ihn schauderte. Nicht sein Fall, aber gut genug, Schuldigs Wunsch zu erfüllen.
 

Innerlich verzog sich Schuldig alles bei dieser grotesken Darstellung. „Hör auf …hör auf“, winselte er fast schon leidend und klappte seinen Kopf in den Nacken, lehnte somit an der Tür und schloss voller verzweifelter Dramatik die Augen, die Hand obligatorisch mit dem Handrücken auf der Stirn abgelegt. „Grausam“, seufzte er gequält. „Diese Hawaiihemden.“
 

„Du regst dich über die Hawaiihemden auf?“, knurrte Aya und schnaubte. „Dann sieh dir das hier an…“ Und wieder entstand ein absurdes Szenario in seinem Kopf. Farfarello und er, in Baströckchen und Blumenkränzen auf den Köpfen, wie sie sich schmachtend das Ja-Wort gaben. ‚Ja, mein irisches Bärchen, ich will.’ ‚Ja, ich will auch, du japanisches Seidenräupchen, du.’

Youji hatte Aya einmal so genannt. Einmal. Sie waren danach nicht mehr zum Sex gekommen im Blind Kiss. Ganz im Gegenteil. Das hatte ihre damalige Fickfreundschaft auf reine Freundschaft reduziert, für Wochen.
 

Schuldig gab angewiderte Geräusche von sich die sich mit ungläubigen Lauten mischten. Das Gesicht dazu selbstverständlich optimal getimed. „Ran …hör auf, mir wird schlecht“, mahnte er die Folter einzustellen. „Seidenräupchen…“, ließ er sich das Wort fast auf der Zunge zergehen und brachte ihn zum hintergründigen Lächeln. Ein neues Wort auf seiner Liste.
 

Und Aya sah den Fehler, den er begangen hatte, Schuldig erst auf dieses Wort zu bringen.

„Mein lieber Schuldig“, lächelte er sanft, liebenswürdig, und strich dem Telepathen über die weiche Haut der Kinnpartie. „Solltest du es einmal benutzen, wirst du das hier“, er griff fest in den Schritt des anderen Mannes und drückte warnend, nicht schmerzhaft zu. „Nie wieder irgendwo reinstecken, schon gar nicht hier rein.“ Er griff sich die freie Hand des Deutschen und patschte sie zusammen mit seiner eigenen auf seinen Hintern. „Und ICH werde dieses hier“, ihrer beider Hände wanderten zu seinem besten Stück und ließen Schuldig dessen Präsenz spüren. „Auch garantiert nicht mehr dort hinein stecken.“ Und schon lagen die beiden Hände auf Schuldigs Hintern.

„Das war doch deutlich, oder?“
 

„Total“, grinste Schuldig. Seidenräupchen. Seidenräupchen, schrieen seine Augen. Seidenräupchen. Seidenräupchen. Er hatte kein Wort gesagt, kein einziges zu Ran schweben lassen und doch stand es in seinen Augen.

Seine Mundwinkel freuten sich geradezu über dieses Wort.
 

Aya lächelte, jetzt zuckersüß. Und OB er die Gedanken des Telepathen lesen konnte. Alleine schon dieses fiese Grinsen sagte alles.

Er drehte sich mit einem leisen Lachen weg und suchte nach Banshee. Nahm sie schließlich wieder auf den Arm und schmuste mit ihr. „Na, wollen wir uns mal auf die Suche nach etwas Essbarem für dich begeben, hm? Schuldig hat ja keine Lust auf Sex. Für die nächsten Jahre nicht mehr…da muss ich mir wohl Ersatz suchen, was?“
 

Schuldigs Lider klappten zur Hälfte herunter und er nahm Mann samt Kätzchen in finsteren Augenschein. „Ran“, zog er drohend den Namen unnötig in die Länge. „Da verstehe ich keinen Spaß mehr“, schüttelte er ganz langsam den Kopf. Nein, nein. „Du hast mit dem…. ‚S’- Wort angefangen, nicht ich!“, verteidigte er sich mit nun leidendem Unterton, sein ganzes Repertoire aufführend.
 

Ayas Blick traf den Schuldigs, jedoch nur für einen kurzen Moment, bevor er sich wieder an Banshee wandte und sie zärtlich kraulte. „Weißt du, Banshee. Ich hätte auch keine Lust auf Sex. Stell dir mal vor… so richtig heißen Sex. Wildes Rumgestöhne, heiße Leiber, die sich aneinander reiben. Und dann…das erlösende Eindringen in den willigen Leib. Nein, darauf hätte ich auch keine Lust...vielleicht ist es also gar nicht so schlimm, abstinent zu leben. Aber wir haben ja noch Farfarello, nicht wahr? Uns wird es garantiert nicht langweilig werden“, murmelte er sanft, auch wenn er innerlich beinahe bei Schuldigs evidentem Leid dahinschmolz.
 

Dieser schloss die Augen. Irgendwie hatten diese letzten Sätze den Ernst der Lage wieder näher an Schuldig heran gerückt. Sie hatten noch vierzig Minuten Zeit. Und nur … um sich vielleicht nie wieder zu sehen. Er hob die Lider wieder an, doch seine Augen erreichten nur Banshee, wie sie sich in den kraulenden Berührungen sonnte. Schuldig schwieg und lächelte. Er versuchte, sich diese Momente einzuprägen.
 

Die darauf eingetretene Stille ließ Aya schließlich aufsehen. Das, was er in Schuldigs Augen sah, ernüchterte ihn mehr als alles andere es jemals gekonnt hatte. Das Lächeln auf seinen Lippen erstarb und er sah zur Seite. Schuldig würde bald weg sein. Und er blieb in Japan, würde sich zwei Wochen nur Sorgen machen. Brachiale Angst, dass er noch jemanden verlieren würde.

Der Tod seiner Schwester war noch zu nahe, als dass ihn das nicht schmerzen würde. Es zeigte sich in seinen Augen, die er Schuldig jedoch nach wie vor vorenthielt und sich nun auch noch zur Sicherheit an das Fenster stellte. Den Blick über die Natur hinweg in den Himmel schweifen ließ.
 

Ran wollte alleine vor sich hinleiden, brummte Schuldigs zynisches Ich und er blickte Ran nach, wie dieser sich vor ihm körperlich verschloss, wie er ihm seine Nähe entzog. Wie ein Dieb stahl er sich in seine Gedanken, schlenderte gemächlich hinein und platzierte sich in eine Ecke. ‚Das Plätzchen gefällt mir hier. Hier könnte ich mich glatt einnisten’, wehten seine Gedanken durch Rans.
 

Aya schmerzte Schuldigs Spott und seine instinktive Reaktion war, die Barrieren, die seine Gedanken schützten, hochzuziehen. Er sagte nichts, stand nur am Fenster und starrte hinaus. Schuldig gefiel es also, wenn er um seine Schwester trauerte? Wenn er mit Schmerz an sie zurückdachte? Was sollte das?

Aya schloss die Augen.
 

So langsam wie er in Rans Gedanken eingedrungen war, so schnell und sorgfältig wurde er vor die Tür gesetzt. Was schmerzte, wenn er nicht darauf vorbereitet war, wenn er sein Vertrauen einsetzte und keine Vorsichtsmaßnahmen ergriff.

Schuldigs Kopf flog nach hinten und er zischte ob des Schmerzes, der beißend durch seinen Kopf schoss und er erschauerte. Keuchend öffnete er vorsichtig die Augen. Es war noch alles dran. „Ran… was soll das? Wenn du nicht willst, dass wir eine Verbindung halten, während ich weg bin, kannst du das auch sagen“, knirschte er und seine Hand fuhr zu seinem dumpf pochenden Kopf.
 

„Verbindung halten?“, fragte Aya bitter nach und drehte sich abrupt um, fixierte Schuldig. Hatte er dem anderen Mann Schmerzen zugefügt? So wie es aussah, hatte er das. Aya tat es Leid, das wollte er nicht. Dennoch…trotz aller Sorge um Schuldig…

„Ich würde gerne diese Verbindung halten, wenn es nicht Spott wäre, den du mir entgegenbringst“, merkte er an, nicht wütend, sondern leise, ruhig.
 

„Was für Spott denn bitte?“, sagte Schuldig und presste die Lippen aufeinander. Warum stritten sie hier eigentlich? Was hatte er denn bitte getan? „Ich wollte dir damit sagen, dass ich mir ein Plätzchen aussuchen könnte … ein geheimes … von dem ich dich besuchen könnte, im Schlaf, wann auch immer. Was habe ich denn Schlimmes gesagt?“, schwankte seine Stimme zwischen Trotz und Verletztheit.

Das Letzte, was er jetzt gewollt hätte, war, sich spottend über Ran herzumachen. Sehr viel Vertrauen schien ja nicht zwischen ihnen zu herrschen. Nach wie vor nicht.

Schuldigs Blick, der zuvor auf dem Boden geweilt hatte, verschwamm.
 

Momente herrschte Stille zwischen ihnen, bevor auch Aya seinen Blick senkte und tief einatmete. Gott. Als wenn er die aufkommenden Tränen in Schuldigs Augen nicht gesehen hätte…

Er setzte Banshee schweigend ab und ging zu Schuldig hinüber. Und schon wieder hatte er etwas falsch verstanden, schon wieder war es zu unnötigen Missverständnissen gekommen. „Nichts…du hast nichts Schlimmes gesagt. Ich habe nur nicht nachgedacht“, wiegelte er ab und streichelte Schuldig durch die Haare. „Ich war wieder…völlig sozial unfähig.“ Es war schwer, das zuzugeben. Sehr schwer. Und sehr bitter.
 

Ohne hinzusehen zog Schuldig Ran fest an sich und verbarg sein Gesicht an der Schulter des anderen. „Ich würde dich nicht verspotten … habe ich das denn … seit du bei mir bist, Ran?“ Es tat ihm weh auf eine Weise, die er nicht beschreiben konnte, aber eigentlich … wollte er nicht darüber nachdenken. Und eigentlich hatte er nicht vor, im Pfuhl des Selbstmitleides zu versinken. „Egal. Wir sind sicher beide nur durch den Wind“, murmelte er schwach, gab er ihnen beiden eine praktische und bequeme Entschuldigung.
 

„Nein, das hast du nicht. Deswegen war es mein Fehler, es von dir anzunehmen. Hörst du? Ich habe überreagiert“, murmelte Aya und schloss Schuldig in seine Arme. Er schwieg auch für ein paar Minuten, wiegte Schuldig stumm hin und her.

„Ich hätte dich gerne bei mir, das weißt du.“
 

„Weiß ich das?“, fragte Schuldig etwas müde nach. Nach dem Ausschluss gerade eben war er sich da kurzzeitig nicht mehr sicher gewesen. „Es verunsichert mich… gerade war ich dir noch so nahe und … im nächsten Augenblick schleuderst du mich davon. Sag mir einfach, wenn ich gehen soll… aus deinen Gedanken, ich tue es… Ran. Du brauchst mich nicht rauszuwerfen.“

Für ihn war ein Besuch bei Ran etwas Besonderes und er hatte noch nie seit sie zusammen waren die Zeit, jeden erlaubten Winkel zu durchforschen. Ein Rauswurf schmerzte.

Seufzend rückte er sie zurecht und barg sein Gesicht in Rans Halsbeuge. „Irgendwie… sind wir doch echt …blöd“, sagte er in kindlicher Manier und seufzte wiederholt.
 

„Wir? Ich bin es. Zu blöd, dich zu verstehen. Ich wollte dich gerade nicht rauswerfen, das tut mir leid. Ich hatte nicht gedacht, dass es dir…wehtut. Ich dachte nur…ich war so sehr in Erinnerungen, dass ich…“ Aya brach ab, sagte nichts mehr. Seine Gedanken liefen durcheinander, als er nicht preisgeben wollte, was ihn so sehr geschmerzt hatte.

Ein weiteres Mal lud er Schuldig ein.

‚Ich verspreche dir, dass ich das nächste Mal Bescheid sage, wenn du gerade zu Besuch bist. In Ordnung?’, fragte er hoffnungsvoll in Gedanken.
 

‚Ich habe nur gelesen, dass du dir Sorgen um mich machst, Ran. Alles andere war zu sehr von dir verborgen, in tiefen Schichten, die du mich nicht sehen lässt. Du verbirgst ja selbst deinen Blick vor mir. Wie soll ich dich dann einschätzen?’, trat Schuldig wieder ein und formte diese Worte betont sanft, vorsichtig.
 

‚Ich dachte…du kannst mich gesamt lesen, wenn du in meinen Gedanken bist’, erwiderte Aya überrascht und sah Schuldig an. Er war sich bewusst, dass sie zum ersten Mal eine ernsthafte Diskussion auf die Gedankenebene verlegt hatte. ‚Ich…musste an Aya denken. An den möglichen Fall, dass du ebenso nicht zurückkommst und ich…’ Die bewussten Gedanken endeten hier, ließen nur Bilder übrig. Emotionen, die dunkel waren.
 

Schuldigs Hände hielten Ran, strichen beruhigend und auch versichernd über den Rücken.

‚Das könnte ich … dich gesamt lesen, aber du verbirgst es so tief… die Trauer um deine Schwester, ich benötige Zeit oder dein Einverständnis. Die Sorge … um mich lag offener und bequemer für mich … wie ein Papier oben auf dem Stapel liegt.’

Er schwieg einen Moment.

‚Du teilst dich mir nicht mit, oft sieht es so aus, als hättest du alles komplett überwunden. Was völliger Schwachsinn ist, nur du frisst es in dich hinein. Und dann …schießt es heraus, wie eine Fontäne.’
 

‚Bisher ist es immer gut gegangen’, hielt Aya dagegen und meinte alles damit. Er hatte so den Tod seiner Eltern überstanden. Die unzähligen Morde. Es funktionierte seit sieben Jahren. Er hatte nie die Notwendigkeit gesehen, es zu ändern, weil niemand…so tief gekommen war. All das projizierte er in diesem Augenblick in seine Gedanken. ‚Wenn du wieder da bist, dann nehmen wir uns Zeit. Und…dann schauen wir, wie tief wir kommen, in Ordnung?’ Es war das Intimste, was Aya Schuldig schenken konnte. Er hatte Angst davor, so durchsichtig zu werden. Doch er fühlte, dass Schuldig es wollte.
 

‚Glaubst du nicht… dass es dir gut tun würde? Die Last abzuschütteln?’

Er hätte doch Psychologe werden sollen, dachte er für sich selbst und verzog das Gesicht.
 

‚Werden wir sehen, wenn es so weit ist, Schu.’ Er zog den Telepathen mit sich zum Bett und ließ sie beide darauf fallen, die Arme immer noch umeinander geschlungen. Eng verbunden in Körper und Geist.
 

o~
 

Jeis Blick richtete sich auf den Boden. Mal ging er hierhin, mal dorthin, als verfolge er eine Spur. Die Spur eines Tieres in den Eingeweiden des Hauses. Ein Umstand, der nicht so verkehrt war.

Wieder verfolgte er den Gang quer durch sein Zimmer. Er selbst saß auf dem Bett, begutachtete den leeren Boden.
 

Aya hingegen war unruhig.

Es war bestimmt schon zwei Stunden her, dass Schwarz das Haus verlassen hatten und nach Shanghai geflogen waren. Schuldig und er waren bis zur letzten Minute verbunden geblieben. Ob sie es jetzt noch waren, wusste Aya nicht, zumindest hatte der Telepath seine Gegenwart nicht verlauten lassen.

Aya stromerte wie ein gefangener Tiger durch das Wohnzimmer und warf einen Blick auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde und er würde damit anfangen, Farfarello sein Essen zu kochen. Er rollte nervös mit den Augen. Anscheinend hatte Banshee seine Unruhe auch gespürt und sich zu ihm begeben, nur um nun mit ihm durchs Wohnzimmer gewandert zu werden.

Er ließ sich schließlich auf die Couch fallen und starrte aus dem Fenster. Es war schon dunkel.
 

Dem Treiben hatte er nun einige Zeit genügend Beachtung geschenkt. Jei erhob sich geschmeidig von seinem Beobachtungsposten und begab sich hinüber in den Teil seines Zimmers in dem sich das Sammelsurium seiner Bilderkunst befand. Doch die rechte Lust wollte nicht aufkommen. Es gab Interessanteres im Haus.

Auf barfüßigen Sohlen ging er hinunter um seinen ‚Aufpasser’ zu beäugen. Was er auch tat. Ausführlichst. So saß er erst einmal auf dem Treppenabsatz, den Kopf ans Geländer gelehnt und spähte zu Ran und dessen Tier, die in Höhe des Kamins auf der Couch saßen.

Trauer durchfloss den Mann in vielen Schichten.
 

„Sag mir, dass das ein beschissener Plan ist“, sagte Aya zu Banshee und hob sie sich vor Augen. „Sag mir, dass ich völlig unüberlegt zugestimmt habe. UND dass ich Schuldig hätte nicht gehen lassen sollen. Scheiß auf den Amerikaner.“

Ein leises Maunzen antwortete ihm.

„Ja, du hast ja Recht…“ Aya ließ sie wieder auf seinen Schoß, doch sie blieb dort nicht, sondern sprang hinunter und lief gen Flur. Der rothaarige Japaner drehte sich um und erstarrte. Farfarello. Hier. Seit wann?
 

Das rote, agile, zum Spielen aufgelegte Fellbündel auf sich zukommen sehend und ins Visier seines aufmerksamen Auges nehmend hob Jei es auf und fühlte die lebendige Weichheit nach, die Anschmiegsamkeit. Fortan eine neue Beschäftigung gefunden, spielte er mit dem Katzenkind, während sein Blick zu Ran glitt.
 

Aya besah sich die beiden stumm und musste wider Willen zugeben, dass sie zusammenpassten, so wie sie dort saßen, einträchtig. Banshee liebte Farfarello abgöttisch, das sah er. Verräterin, schmunzelte er in Gedanken. Sie holte sich das, was sie wollte und kannte keine Rücksicht.

„Hast du Hunger?“, fragte Aya vollkommen aus seinem gedanklichen Kontext gegriffen, erinnerte sich dabei an die Tipps von Schuldig und Nagi. Direkte Fragen, keine Umwege.
 

Jei lächelte wissend, ob dieser Taktik. Wissend und lobend. „Ja, habe ich“, antwortete er fügsam und widmete sich danach ausschließlich Banshee. „Magst du Farben, Katzenkind?“, fragte er und legte den Kopf schief.
 

Aya streifte vom Sofa aus langsam näher und betrachtete sich Farfarello eindringlich. In Höhe des Flures verschränkte er die Arme vor der Brust und ließ seinen Blick über die Gestalt des Iren schweifen. Er hatte wohl gesehen, dass der Ire seinen ‚Fortschritt’ bemerkt hatte.

„Warum hast du zwei Namen? Jei…Farfarello?“, fragte er, die Augen auf Banshee gerichtet, die einem weißen, vernarbten Finger hinterher huschte.
 

Doch Jei reagierte nicht darauf, er würde zu gegebener Zeit darauf antworten. Aber jetzt gab es Wichtigeres. „Schmetterlinge gibt es im Frühjahr wieder, nicht?“, sagte er zu Banshee. „Es macht Spaß sie zu jagen, nicht?“ Erst dann hob er den Blick zu Ran, bevor er aufstand, samt Banshee und die Treppe hinunter kam.
 

Violette Augen maßen ihr stechendes Gegenstück…sie waren anscheinend gleich groß, stellte Aya jetzt fest. Wie kam es, dass ihn die Gegenwart des Iren nach und nach beruhigte? Denn das war er; weitaus gelassener als zuvor. Auch als Farfarello Schuldig damals einen Besuch abgestattet hatte.

Er drehte sich um und ging ohne Kommentar in die Küche, besah sich dort den Vorrat. „Isst du gebratenen Eierreis mit Gemüse?“, rief er gen Wohnzimmer, gespannt, ob er darauf eine Antwort bekommen würde, auch wenn die Chancen darauf wohl eher schlecht standen.
 

Die jedoch ausblieb. Da Jei sich nun auf den Weg nach oben in seinen Raum gemacht hatte, sobald Ran in der Küche verschwunden war. Mit einem flachen Farbbehältnis, in dem Purpur schwappte, kam er wieder herunter, eine große Rolle Papier unter dem Arm, welche er quer im Wohnzimmer ausrollte.
 

Natürlich kam keine Antwort, aber was hatte Aya auch erwartet? Es war nur eine rein provisorische Frage gewesen und so machte er sich daran, die Zutaten aus dem Kühlschrank zu holen und das Essen zuzubereiten. Angst, Banshee bei Farfarello zu lassen, hatte er nicht…mehr.

Er schaltete das Radio an und ließ sich vom leisen Gedudel im Hintergrund beschallen, als er für sie beide das Essen zubereitete.
 

Der Künstler und sein Modell beschäftigten sich unterdessen mit sich selbst, bis Jei zur Küche kam und Banshee auf den Boden setzte, diese sogleich freudig auf ihren Pfoten zu Ran tapste, den Küchenboden mit Purpur und ihren Spuren markierte. Jei sah ihr stolz nach und verfolgte ihre Spuren auf dem glatten Boden.
 

Aya schüttete gerade den Reis ab, als er merkte, dass etwas seine Beine umstrich. Er sah lächelnd hinab und hatte im nächsten Moment das Sieb mit dem Reis schon längst vergessen, als er die roten Tapsen auf dem Boden sah. Rot wie…

„Banshee!“ Er nahm die Kleine entsetzt hoch, prüfte sie auf Verletzungen, fand jedoch nichts. Dann…

Im nächsten Moment war er schon im Eingang der Küche und prallte fast gegen Farfarello. Weit hinter dem Iren ein Farbeimer. Zufälligerweise in Purpur…und der ganze Bereich um sie voll von den Tapsen. Und dann erst mal das Papier hinter dem Iren…
 

Schwarzes Papier mit weißen Schlieren darin und nun … roten Kätzchentapsen darauf. Jei begutachtete den spontanen Einfall und irgendetwas sagte ihm, dass hier noch etwas fehlte. In seiner Grübelei blickte er auf und legte fragend den Kopf schief. Fragend und doch bereits wissend. „Hast du schon einmal … Bodypainting gemacht?“
 

Aya gefiel die Zusammenstellung nach ein paar Minuten des intensiven Hinsehens doch recht gut, vor allen Dingen die spielerische Spur der Pfötchen mitten durch das Bild.

Schlimmer war jedoch, dass es auch eines derjenigen war, die er sich durchaus in seine Wohnung hängen würde.

Er sinnierte über die Frage des anderen Mannes, der ihm in diesem Moment wie sein Sohn vorkam, welcher auf dem Teppich saß, mit seinem Farbkasten spielte und den vollkommen Unschuldigen mimte, nachdem er etwas angestellt hatte. Doch dieser Moment verflüchtigte sich sehr schnell. Sehr sehr schnell.

Ob er sich schon einmal hatte bemalen lassen. Ein Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus.

„Ja, habe ich.“ Damit drehte er sich um und verschwand wieder in der Küche, schwelgte in den Momenten der Erinnerung. Ihnen war etwas Ähnliches schon in einem der vielen SM-Clubs angeboten worden. Körperbemalung mit Geschmack versetzter, ableckbarer Farbe. Youji hatte seine helle Freude gehabt…er auch.
 

Jei lachte leise, samtig und verfolgte Rans Abgang in die Küche. Die Gefühle, die den anderen gerade durchzogen hatten eindeutigen Charakter. Er konnte sich nun eine gewisse sexuelle Nähe mit dieser Art der Körperbemalung vorstellen. Eine neue Erfahrung wäre es sicherlich…

Körper, Farben, Formen, Kurven und daraus resultierende Gefühle…
 

Aya streckte sich und ließ einen seiner aus der Façon geratenen Rückenwirbel wieder in die richtige Position knacksen. Das Essen war fertig und er richtete es an, deckte den massivholzenen Tisch in der Mitte der weitläufigen Küche. An Farfarellos Platz legte er zusätzlich noch zwei der weißen Pillen, die Nagi ihm gezeigt hatte und die dem Iren beim Schlafen helfen sollten.

Er schüttete ihnen beiden zum Schluss noch etwas zu trinken ein, bevor er wieder in Richtung Wohnzimmer ging, den mittlerweile überall verteilten, roten Tapsen folgte. Er überlegte, ob er es nicht einfach so lassen sollte. Es sah…interessant aus.

Seine Augen ruhten auf Farfarello, der immer noch vor dem großen Bild saß und ihn beobachtete. Auf Banshee, wie sie ihn umschlich und ihren Kopf an seinem Knie rieb. Aya musste lächeln. Sie hatte also ihren Besitz markiert.

„Komm essen“, richtete er neutral an den Iren und nickte. „Banshee komm…“, lockte er auch die Kleine, für die er auch gesorgt hatte.
 

Ohne viel Zeit verstreichen zu lassen erhob sich Jei und folgte dem Küchenmeister in sein Revier, setzte sich artig, mit einer abgezirkelten Bewegung an den Tisch und fing kommentarlos an zu essen. Dabei nur auf den eigentlichen Vorgang der Nahrungsaufnahme konzentriert, schwieg sich Jei aus.
 

Besagter Küchenmeister jedoch probierte erst einmal nicht von seinem Essen, sondern beobachtete ganz ungeniert den anderen Mann. Skurril, das war die ganze Situation hier. Farfarello und er saßen gemeinsam an einem Tisch, aßen von ihm gekochtes Essen. Wie selbstvergessen der Ire hier saß, seine gesamte Konzentration nur auf die Nahrungsaufnahme gerichtet, dabei jedoch nicht feindlich oder ihm abweisend gegenüber eingestellt, sondern einfach nur…für sich.

Hatte er bei Weiß nicht auch oft so am Tisch gesessen? Tief in sich versunken, distanziert von den anderen, hatte sich nicht darum geschert, was sie dachten, sie redeten oder wie sie fühlten? DAS war negativ gewesen. Doch Farfarello hier…

Banshee spürte das anscheinend schon von Anfang an, so wie sie ihn kaum aus ihren Augen ließ. Nur jetzt, wo sie sich selbst an ihrem Napf bediente, wich sie ihm von der Seite.

Aya griff zu seinem Glas Saft und nahm einen Schluck.
 

Als er sein Mal beendet hatte stand Jei auf, suchte Rans Augenkontakt und blickte ihn direkt an, das Gefühl von Geborgenheit in diesen ausstrahlend, nur einen Moment lang wie eine kleine Sommerbrise, bevor er weiterging, die Küche verließ.

Es war seine Art sich zu bedanken, auch wenn er es nicht wirklich für nötig befunden hatte, wie er auf seinem Platz vom Boden aus auf das Bild starrend resümierte.

Er wartete auf seine neue Freundin, betrachtete selbstvergessen das Bild.
 

Aya blinzelte verwirrt ob des warmen Kribbelns in ihm selbst. Seine Hand floh automatisch zu seinem Herz und legte sich darauf, während er verwirrt hinunter sah. Er wusste im gleichen Moment, dass es von Farfarello kam, dass der andere Mann das in ihm ausgelöst hatte. Nur kurz…nicht für lang. Doch es hatte gut getan. Es war…ein schönes Gefühl gewesen. Wunderschön, um genau zu sein.

Der rothaarige Japaner lächelte stumm und strich sich eine Strähne des langen Haares zurück. Er sah, wie Banshee nach einem Blick auf Farfarellos leerem Platz mit ein paar Sätzen aus der Küche war und ihm anscheinend ins Wohnzimmer hinterher trottete. Na sowas. Da war er aber ganz schnell out und sie ihm fremdgegangen...

Aya nahm einen Bissen seines lauwarmen Essens, legte jedoch nach kurzer Zeit seine Stäbchen zur Seite. Er hatte keinen Hunger, vermutlich auf Basis des Stresses der letzten Tage. Das würde sich geben. Und da er nun für zwei kochen musste und das auch noch regelmäßig…
 

o~
 

Zwei Nächte waren vergangen und es war bereits Abend, seine Hände hatten Gefühle erfasst, die sie unmöglich vergehen lassen konnten, so huschte der Pinsel über die Leinwand, vermischten sich düstere Farben mit grellbunten zu einer Kakophonie aus aggressiven, harten Pinselstrichen und wilden Strudeln.

In seiner Wahrnehmung als Hintergrund zerschmolzen, hatte er stets die Gewissheit, dass er nicht allein im Haus war.
 

Aya hätte sich auf den Bildern sehen können…sich selbst, ungeschönt und realistisch, wäre er denn zu Farfarello in dessen Räumlichkeiten gekommen. Doch das hatte er weitestgehend, bis auf den morgendlichen Ankleidungsritus, vermieden; alles, was er tat, war, an der Tür stehen zu bleiben und den anderen Mann zum Essen zu rufen, wenn er fertig gekocht hatte. Sonst hatte sich der Kontakt zwischen ihnen auf ein Minimum reduziert. Aya kochte, beschäftigte sich sonst mit sich selbst. Er wanderte durch den Garten, durch die Umgebung, sah fern, las…hielt sich davon ab, im Haus allzu neugierig zu sein.

Als du noch Gefangener bei Schuldig warst, hattest du damit kein Problem, hielt ihm seine innere Stimme schadenfroh beißend vor. Und nun stellst du dich so an.
 

Aya ignorierte das und vergrub sich wieder in seinem Buch, das er momentan las. Es war ein englisches, irgendetwas, das lange zu lesen war und mindestens doppelt so schwer. Aber wenn schon Banshee ihn im Stich gelassen hatte, dann musste er sich wenigstens so beschäftigen. Aya seufzte und bettete den Kopf auf die weiche Lehne des großen Sofas. Er schloss seine Augen. Er war müde…erschöpft geradezu. Warum auch immer.

Ohne es wirklich zu merken, glitt er in leichten, dösenden Schlaf.
 

Während Ran ruhte, schlich sich die abtrünnige Banshee wieder an, streunte um die Liegstatt herum, nur um mit einem Sprung und einem kurzen Ausfahren der Krallen auf dem Sofa zu landen. Ihre Tapsen, wieder gereinigt, traten samtig auf Rans Bauch umher und sie nistete sich in der Ellenbeuge ein.
 

Kurz öffnete Aya seine Augen um zu sehen, dass die Kleine wieder bei ihm war und sich zu ihm legte. Vermutlich war Farfarello dann auch irgendwo in der Nähe, geisterte es durch seine Gedanken, wurde jedoch zu nichts Greifbarem, als er seine Augen erneut schloss und ruhig ausatmete.
 

Was insofern stimmte, da Jei sich im Wasser des Pools treiben ließ, ein Ort, den Banshee vorerst noch mied…

Jemand anderer war jedoch auch anwesend, nicht körperlich, aber umso mehr geistig…
 

Es dauerte nicht lange, bis Ayas Schlaf so eindringlich wurde, dass er träumte. Er ging aus dem Haus hinaus in die Sonne. Es war Sommer und warm und als er an sich hinuntersah, merkte er, dass er nur eine leichte Hose trug. Sonst nichts, kein Oberteil, das den Wind davon abhalten würde, seine Haut zu streicheln. Aya schauderte, doch vor Wohlgefallen und ging durch das weiche, hohe Gras, das sich so belebend unter seinen nackten Füßen anfühlte.

Er schloss die Augen und lauschte den Geräuschen des Tages, dem Vögelzwitschern, dem Rauschen der Bäume, den fernen Geräuschen des Hauses. Farfarello malte also wieder? Es schien, als hörte er jeden Pinselstrich, der über die Leinwand fuhr, als könnte er sich die Farben dazu vorstellen, wie sie auf den Stoff aufgetragen wurden.
 

Und im nächsten Augenblick waren es nicht Pinselstriche, sondern Hände, die seinen Körper bemalten, ihn bestrichen in ihrer Virtuosität wie eine Leinwand. Unsichtbare Hände, schier überall, ein leises Lachen trug sich zu ihm heran, getragen vom Wind und bekannt in seiner Laszivität.



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