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Der Glasgarten

von

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Fieberträume…stürmische Träume

~ Fieberträume…stürmische Träume ~
 


 


 

Aua!, wollte Schuldig lautstark, anklagend aufbegehren und streifte sich die lose Strähne, die aus seinem Zopf entkommen war sicherheitshalber hinters Ohr. Nicht, dass Ran noch einmal in Versuchung geführt wurde, ihm ein Leid anzutun.

Leider kam nur ein Murren heraus, anstatt des verbalen Protestes.

Sich eine der Birnenhälften betrachtend, stahl sich Schuldigs Hand zu eben derer und pflückte sich eine vom Teller. Er hatte keinen Hunger, aber irgendetwas musste heute noch in seinen Magen. Ein Stückchen abnagend, kaute er es und schluckte es schließlich hinunter. So schlecht schmeckte es gar nicht und es zeigte ihm, dass es gar nicht so schlimm werden würde, denn schließlich schmeckte er wenigstens noch etwas.
 

Oh je, da war aber jemand ganz krank…wirklich sehr krank, wenn er schon indigniert auf jegliche Verletzung seines Schutzkreises reagierte.

Und wie er leidend das ihm vorgesetzte Obst aß, das Aya ein paar Tage zuvor in dem kleinen Laden hatte erstehen können. Doch…wenigstens aß er etwas und stellte sich nicht so quer, wie Aya selbst es immer tat. Etwas, das besagter Japaner ihm hoch anrechnete.

„Man könnte auch versuchen, einen Birnenstrudel zu backen“, sinniert Aya schließlich, den Blick sezierend auf den Stücken, die zwischen Schuldigs Beißerchen verschwanden.
 

„Warum nicht…“, stimmte Schuldig zu. „Müsste eigentlich gehen, denke ich. Zumindest glaube ich das…aber das kannst du ja ausprobieren oder? Ich stelle mich als Tester zur Verfügung!“ Schuldig schnappte sich das nächste Stück Birne und begann es mit Mäusebissen zu vertilgen.
 

„Wenn du noch weniger isst, wird sich dein Magen bald fragen, wieso er immer die Ansage bekommt, dass etwas kommen könnte und sich beschweren, dass dann doch nichts auf dem Weg nach unten ist“, schmunzelte Aya. „Wenn du die Birnen schon nicht in ihrer Reinform isst…wie wird das dann erst mit diesem Strudel werden?“
 

„Das ist doch was ganz anderes“, winkte Schuldig ab. „Außerdem habe ich gestern viel gegessen, da habe ich heute nicht so viel Hunger, ist doch klar.“
 

„Du hast immer Hunger“, stellte Aya die Gegenthese auf und sah fachmännisch auf den Esstisch.

„Außerdem hatten wir die ganze Nacht Sex…“ Deswegen hatte ER heute Morgen auch zwei Kissen und nicht nur eins wie Schuldig.

„Danach kannst du immer essen wie drei.“
 

„Dann esse ich später, ich bin viel zu müde zum Essen.“ Dennoch griff Schuldig demonstrativ zum Gemüse und vertilgte es sogleich. Er würde etwas essen, weil er wusste, dass es nicht besser werden würde, wenn er nichts aß. Aber wenn er wirklich krank werden würde…dann würde ihm das Zeug hier ordentlich schwer im Magen liegen.
 

Youji hatte Aya einmal penetrant genannt, Omi hatte das Gleiche über ihn behauptet. Ken hatte ihn mal aus seinem Zimmer geschmissen, als er versucht hatte, sich um sein krankes Team zu kümmern. Alles undankbare Wesen, wenn sie krank waren, befand Aya und wusste, dass er es bei Schuldig nicht durchgehen lassen würde, wenn dieser sich gegen seine Pflege wehrte.

„Dann schlaf doch noch, Schu“, schlug er liebevoll vor. „Bist du wieder wach bist, habe ich dir ein leckeres Essen gekocht, das du dann essen kannst.“ Das ‚kannst’ war zwar kein richtiges Können, sondern eher ein Werden, aber das verschwieg Aya…
 

Schuldig hörte die feinen leisen Töne zwischen den Worten und die eher in Rans Blick lagen, als er aufsah und die Braue hob. „Mal sehen“, verzog Schuldig den Mund.

„Nur wenn’s was total Leckeres ist“ Und da würde auch Rans Unerbittlichkeit nichts ausrichten können. Er kannte schließlich seinen Ranchan nun doch ein wenig…
 

„Dann werde ich etwas total Leckeres kochen“, entgegnete Aya mit einem herausfordernden Lächeln, das nur so von Sicherheit strotzte. Denn er wusste, dass sein Essen lecker sein würde…und dass es Schuldig schmeckte, auch wenn dieser dann das Gegenteil behaupten mochte…doch das würde er ihm nicht durchgehen lassen. Ganz bestimmt nicht.
 

Ja, hier wurde mit harten Bandagen gekämpft. Doch Schuldig hielt sich eher an seinem Tee fest als an dem Gemüse oder dem Obst.

„Ich glaube ich geh dann mal wieder, machst du mir noch einen Tee für später?“, fragte er, während er aufstand.
 

„Gerne, Schu“, lächelte Aya, liebevoller in der Tonlage, als er es bei seinem Team gewesen war…doch Schuldig war etwas anderes. Er war subtiler zu beeinflussen…Aya war froh, dass besagter Telepath im Moment seine Gedanken nicht lesen konnte, da er schon an einem Schlachtplan arbeitete, wie er sein Ziel erreichen konnte.

„Ruh dich etwas aus und wenn du wieder aufstehst, wirst du sicherlich Hunger haben.“
 

Das ging doch alles nicht mit rechten Dingen zu, dachte Schuldig und warf einen skeptischen Blick auf den harmlosen, gut aussehenden Buddha, der dort noch am Tisch saß und vor sich hinlächelte.

Als wenn Ran nicht was im Schilde führen würde…

Doch er sparte sich jeden weiteren Gedanken an mögliche, gut gemeinte Vitaminattacken des rothaarigen Japaners und verzog sich samt seiner Tasse Tee ins Schlafzimmer zurück.

Er schlüpfte samt seines frischen Yukatas, der zum Schlafen vorgesehen war, ins Bett und spürte sogleich, wie sein Körper es ihm mit einem wohligen Gefühl dankte. Das war schon besser…viel besser.
 

Nachdem Aya das tägliche Ritual aus abwaschen, aufräumen und einen weiteren Bereich des Hauses auf Vordermann bringen hinter sich gebracht und sich schließlich um sein eigenes, leibliches Wohl in Form von einem ausgiebigem Bad gesorgt hatte, stand er wenig schlüssig im Schlafzimmer und sah Schuldig beim Schlafen zu.

Er müsste wirklich dringend ins Dorf und Kräuter besorgen, auch noch ein paar andere Lebensmittel, doch den anderen Mann nun hier alleine lassen? Er hielt es für wenig ratsam, besonders, wenn Schuldig schlief. Oder wenn er krank war. Oder wenn er selbst nicht dabei war.
 

Das alte Dilemma.
 

Aya wollte Schuldig um nichts in der Welt alleine lassen…doch er wusste, dass es wichtig war, diese Dinge zu erledigen. Vernunft oder Angst? Was wog mehr in diesem Augenblick? Es war die Angst, das wusste Aya, doch es gab da eine kleine, nagende Stimme, die ihn nach draußen treiben wollte, die Stimme des Anführers, des Rationalisten, des Killers, der Prioritäten setzte. Und was nutzte er hier Schuldig als aufmerksamer Wächter, wenn er für den anderen nicht die richtigen Kräuter oder Medikamente da hatte?
 

Sich tief in den wärmenden Yukata vergrabend, obwohl es eigentlich nicht mehr kalt war, sinnierte er über dieses Gefühl und stieß sich schließlich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte.
 

Gut, würde er also ins Dorf fahren.
 

Währenddessen schlief Schuldig tief und fest und war sich der schweren Entscheidung, die Ran wegen seiner zu treffen hatte, ganz und gar nicht bewusst. Nur selten wachte er auf um einen Schluck des mittlerweile kalten Tees zu sich zu nehmen, der ihm wie kühlendes Labsal in seiner trockenen und schmerzenden Kehle erschien.
 

o~
 

Misumi Kazukawa holte die frischen Rinden von der Trockenstange und begann sie zu schälen um sie dann zu kochen. Auf dem Herd siedete bereits das Wasser dafür. Als sie die ersten Rinden hineingab, vernahm sie, wie jemand den kleinen Laden betrat und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab.
 

Aya hörte die alte Frau im hinteren Teil des Ladens, der durch einen Vorhang halb abgetrennt war, doch er sah sie nicht. Es roch nach scharfen Kräutern, nach schwerem, leicht bitterem Tee und er schnupperte mit einem Lächeln auf den Lippen. Es faszinierte ihn immer noch, dass es solche Dinge noch gab und nicht alles von der modernen Gesellschaft verschluckt worden war.

„Guten Tag!“, rief er verspätet in die Einsamkeit hinein und sah sich mit interessiertem, neugierigem Blick um.
 

Die Stärke der Hitzezufuhr am Herd auf ein Minimum reduzierend, ging Misumi in den Verkaufsteil des Ladens und schob somit den Vorhang beiseite.

„Guten Tag“, nickte sie und ihre Augen lächelten dem jungen Mann zu. „Ah, der junge Herr! Wie geht es Ihrer Frau? Sind die Wunden schon besser?“
 

Aya deutete eine leichte Verbeugung an und erwiderte mit seinen Lippen die Geste der alten Frau. „Sehr viel besser! Die Linderung war schon am nächsten Tag zu sehen. Vielen Dank dafür noch einmal!“ Ihm wurde bewusst, dass er den Namen der Frau nicht kannte…ebenso wie sie seinen nicht.

„Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Fujimiya“, nickte er, auch wenn tief in ihm etwas darauf aufmerksam machte, dass er nicht so vertrauensselig sein sollte. Es waren schließlich Fremde hier…doch Fremde, mit denen er auf die Dauer auskommen wollte.
 

„Schön. Wie schön“, nickte die alte Misumi und ließ ihren Blick unauffällig über den jungen Mann streifen. „Dieses Haus gehört der Kazukawa Familie. Wir leben schon lange hier. Und ich bin Misumi Kazukawa. Das Geschäft im Ort gehört meiner Tochter, früher habe ich es einmal geführt.“ Misumi lächelte leicht. „Aber…wie kann ich Ihnen helfen?“
 

„Die Dame dort ist Ihre Tochter?“, fragte Aya verwundert nach. Das hätte er nicht gedacht…und das warf die Frage auf, wie alt diese Frau hier vor ihm wirklich war. Er hatte ja schon ihre Tochter als recht alt eingeschätzt.

Sich auf die zweite Frage besinnend, seufzte er vernehmlich.

„Ich bin hier, weil sich das nächste Problem einstellt, Kazukawa-san. Haben Sie ein Mittel gegen eine kommende, schwere Erkältung? Vielleicht auch Grippe?“
 

„Hmm, lassen Sie mich überlegen…“ Misumi fasste den jungen Mann wieder scharf ins Auge, bevor sie sich umwandte um in einem der schmalen Schränke zu ihrer linken Seite, etwas zu suchen. Sie fand nicht gleich was sie suchte und musste einen Schemel heranziehen, tat dies mit ihrem Fuß.

Nach wenigen Minuten in denen sie ein Päckchen heranzog und es nahe an ihre mit einer Sehhilfe unterstützten Augen hielt, stieg sie herab und kam an die Theke.

„Das hilft dem Körper, wenn das Fieber hoch ist. Alle drei bis vier Stunden eine Tasse trinken. Ich mische es mit anderen Zutaten. Einen Moment.“ Misumi verschwand mit dem Päckchen im hinteren Teil des Ladens und begann verschiedene Kräuter abzuwiegen und eine Mischung daraus zu machen.
 

Aya sah ihr lächelnd hinterher und ließ seine Gedanken zu einer ihrer ersten Fragen zurückschweifen. Er hatte nicht verneint, dass seine Frau krank war. Schuldig würde ihn dafür umbringen. Was Kazukawa-san erst denken würde, wenn sie Schuldigs ansichtig wurde, wollte er gar nicht wissen. Und das alles nur, weil er keine Aufmerksamkeit erregen wollte.

Grübelnd sah er sich in dem Laden um und fand so einiges, das er noch aus seinen Kindertagen kannte. Damals hatte er sich mit den Jungs immer zur wunderlichen Tante geschlichen, wenn sie Bonbons aus süßem Reis und Früchten gemacht hatte. Frisch natürlich, sodass sie es schon von weitem rochen. Eins für jeden von ihnen und dann konnte die Lausbubenbande wieder von dannen ziehen. So hatten sie die Alten immer genannt, auch wenn Aya es nicht recht verstanden hatte. So schlimm waren sie nicht gewesen. Oder?
 

Misumi machte sich ihre eigenen Gedanken, die eher in Richtung ihrer Tätigkeit gingen. Obwohl sie schon vermutete, dass das halbe Dorf wohl mehr als neugierig auf den jungen Mann und seine Familie war. Allen voran ihre Tochter. Sie mochte wetten, dass wenn sie heute noch zu Abend aßen und Misumi wie nebenbei verlauten ließ, dass der junge Mann bei ihr gewesen war, sie die Aufmerksamkeit der gesamten Familie hatte.

Ein berechnendes Lächeln weiter gab sie die abgewogenen Kräuter in eine Packung zusammen und verschloss sie sorgfältig. Damit ging sie langsam in den Laden zurück. „Sind es denn die Kinder? Vertragen sie das Klima nicht dort oben im Haus?“ Nicht dass der junge Mann besser einen Arzt holte.
 

„Den Großen hat es erwischt. Ein Rabauke, sage ich Ihnen. Macht den ganzen Tag nur Unsinn und wehe, wenn ich nicht da bin. Ich kann ihn eigentlich keine Sekunde aus den Augen lassen“, half sich Aya mit einer weiteren, KLEINEN Notlüge aus. Sehr klein…hoffentlich verzieh sie ihm, wenn sie des Kleinen ansichtig wurde.

„Das Klima ist wunderbar…es war nur etwas anstrengend die letzten Wochen und nun schlägt sich das natürlich nieder.“ Wenigstens war das die Wahrheit.
 

„Ah…vielleicht wäre es doch besser dann, wenn Sie zu einem Arzt fahren würden…bei Kindern kann es durchaus auch etwas anderes sein, als eine bloße Erkältung. Und in den nächsten Tagen steht schlechtes Wetter an. Ein Sturm zieht in unsere Richtung.“

Misumi holte noch zwei Tees und legte sie dazu. „Der hier…“ sie hob nacheinander die Packungen hoch. „Ist um das Fieber zu mildern und der hier ist für Umschläge und Waschungen. Damit geht das Fieber zeitweise herunter und es stärkt den Leib. Wenn es eine wirkliche Grippe ist, dann dauert es wirklich ein paar Tage bis sie vorbeigeht. Auf den Packungen stehen die Anleitungen für Tee und Umschläge oder Waschung.“ Sie klebte entsprechende Zettel auf die Packungen.
 

„Vielen Dank!“

Aya ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Ein Sturm würde aufziehen? Das bedeutete hier sicherlich etwas anderes als in Tokyo, wo sie durch die Masse der Häuser doch noch recht gut geschützt waren. Aber hier, auf dem Land und dazu dann noch oben auf dem Berg, konnten sie vermutlich froh sein, wenn ihnen das Dach über dem Kopf nicht wegflog.

Nun gut, vielleicht malte er auch etwas zu sehr schwarz, befand Aya.

Was aber blieb, war das Problem mit Schuldig. Es war gut möglich, dass er einen Arzt brauchte.

„Haben Sie die Adresse des Arztes?“, fragte er, nur um sicherzugehen, dass er einen Anlaufpunkt hatte.
 

„Ich werde sie Ihnen aufschreiben, aber er wohnt 40 Kilometer von hier weg. Wir wohnen leider etwas abseits, Fujimiya-san. Das hat seine Vorteile…“, sie lachte leise, während sie sich umwandte und aus einer Schublade einen Zettel herausfischte. „…aber auch Nachteile.“ Sie nickte wie in Gedanken versunken und reichte dem jungen Mann die Adresse.

„Wenn es stürmt und die Wege voller Wasser und Schlamm sind, wird es selbst für den Arzt eine Unmöglichkeit sein, in angemessener Zeit zu Ihnen zu gelangen.“
 

„Das ist wohl wahr…“, erwiderte Aya und musste sich eingestehen, dass ihm das ganz und gar nicht passte. Was, wenn es Schuldig bis dahin schlechter ging?

„Ich werde es erst einmal mit Ihren Kräutern versuchen. Bisher hört es sich noch nicht so schlimm an, wissen Sie?“ Auch wenn eine kleine Stimme in ihm wütend dagegenhielt, dass er maßlos untertrieb, doch diese Stimme schrieb er der Überbesorgnis zu.
 

„Ein junger Körper mag einiges wegstecken, das Fieber kann bei Kindern hoch steigen, aber das wissen Sie sicher, Fujimiya-san.“ Sie nickte lächelnd und verpackte alles mit schnellen, geübten Handgriffen in eine Papierumantelung.

„Kommen Sie in zwei, drei Tagen wieder, ich werde dann einen guten Sud zur Stärkung bereitmachen, wenn Sie wünschen.“
 

„Gerne, Kazukawa-san. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen für Ihre Hilfe danken soll“, verfiel Aya mit Leichtigkeit in die japanische Höflichkeit, die er in seinen Jahren bei und vor Weiß nach dem Tode seiner Eltern gänzlich verloren hatte. Doch hier schienen alte Kenntnis wie selbstverständlich präsent zu sein…so als würde er ewig hier leben…als wäre er nie nach Tokyo gegangen. Zumindest hatte Aya in diesem Moment das Gefühl, denn im gleichen Atemzug wusste er auch, dass er noch viel daran arbeiten musste, eben diese Kenntnisse nicht zu verlieren.
 

„Indem Ihre Familie wieder gesund wird, Fujimiya-san“, winkte Misumi lächelnd ab und verneigte sich leicht.

Ein ungewöhnlicher junger Mann, wie Misumi befand. Sie war gespannt, was ihre Tochter wieder interessieren würde – im speziellen.

Ihre wissenden, tief liegenden Augen nahm jede Einzelheit in dem rothaarigen Mann auf. Vor allem dessen ruhige, aber seltsam verborgene Aura.
 

„Das verspreche ich Ihnen gerne“, lächelte Aya in den schier inquisitorischen Blick hinein, der geradewegs bis tief in sein Innerstes zu gehen schien. So als würde gegen Kazukawa-san jegliche Möglichkeit des Versteckens oder einer Maske unnütz sein, da sie alles durchschaute.

Und das bei ihm…sein Team war jahrelang nicht zu ihm durchgedrungen und emotional offen war er erst, seitdem er Schuldig hatte. War das der Grund?

Aya bezahlte und griff sich das Päckchen, das für Schuldig gedacht war.

„Ich werde mich dann wieder auf den Weg nach oben machen, ich möchte meine Familie schließlich nicht zu lange alleine lassen“, sagte er höflich und verbeugte sich mit einem Lächeln. Er musste noch Lebensmittel besorgen, mehr als gedacht, wenn nun auch noch ein Sturm aufziehen würde. Zumal er Schuldig, sollten dessen Grippeviren es immer noch nicht vorgezogen haben, sich von alleine aus dem Staub zu machen, mit Vitamin C bombardieren musste.

Und Hühnersuppe. Die vor allen Dingen.
 

Ein Nicken und er hatte samt seiner wertvollen Beute den Laden verlassen, während er mit Selbstironie und Humor das zu überspielen versuchte, was ihm jetzt schon ernstliche Sorgen bereitete: dass Schuldigs Gesundheitszustand vielleicht doch schlimm wurde.
 

o~
 

Es war ätzend.

Wirklich ätzend.

Viel zu kalt und viel zu wenig Decken da um ihn zu wärmen. So konnte er beim besten Willen nicht schlafen.

Wieder wälzte sich Schuldig herum, raffte die beiden Decken um sich herum und rollte sich leicht zusammen. Unbequemer war es, aber vielleicht wärmer.

Er horchte auf die Geräusche, hörte seinem eigenen Atem nach und auch den Bäumen, die im Wind gegen das Dach wischten.
 

Als Aya auch die letzte Stufe erklommen hatte zum Haus, stellte er mit einem schweren Seufzen die Tüte ab und atmete tief ein. Er war nie schwach gewesen, besonders in den letzten Jahren nicht, doch die Abstinenz vom täglichen Training mit seinem Katana machte sich nun bemerkbar und ließ ihn mit dem festen Vorsatz zurück, sich in Tokyo sein Katana aus dem Koneko zu holen und das Training wieder aufzunehmen. Sowohl körperlich als auch strategisch keine schlecht Entscheidung, da er ebenso bedenken musste, dass sie womöglich angegriffen werden konnten.

Grimmig nahm Aya die Tüten wieder auf und betrat das Haus, lauschte zunächst wachsam in die Stille, in der sich langsam das Plätschern der Dusche herauskristallisierte.

Er brachte die Tüten in die Küche und machte sich dann auf die Suche nach dem anderen Bewohner. Aya fand ihn schließlich im Badezimmer, wie er auf dem Boden der Dusche saß, klatschnass und die Schwaden warmen Wassers um sich herumdampfend.

Anscheinend war Schuldig ganz in sich selbst versunken, so ließ sich Aya Zeit, sich an den Türrahmen zu lehnen und den anderen Mann einfach zu beobachten.
 

Die Wärme war gut, zumindest am Anfang war sie gut gewesen, als Schuldig zitternd darunter gestiegen war. Aber jetzt…jetzt fühlte er sich seltsam kraftlos. Er wäre am liebsten auf der Stelle eingeschlafen, aber da war noch die Sache mit dem Aufstehen, dem Abtrocknen, dem Ankleiden und ganz generell die Sache mit dem Augen aufmachen.

Am besten er blieb einfach hier sitzen, bis sein Retter in weißer Rüstung zurückkam und ihn errettete.
 

Dass diesem besagten weißen Ritter nun aber bewusst wurde, dass es nicht gut sein konnte, im geschwächten Zustand apathisch in der Dusche zu sitzen, wurde Schuldig spätestens dann bewusst, als Aya sich damit bemerkbar machte, dass er den warmen Wasserstrahl ausstellte und vor dem anderen in die Hocke ging.

„Hey, Schlafmütze“, sagte er sanft und strich Schuldig über das warme Gesicht. Zu warm. „Lange duschen ist nicht gut für den Patienten!“
 

Schon als er die Bewegung hörte und die Dusche abgestellt wurde öffnete Schuldig die Augen und folgte Ran mit selbigen, als dieser in die Hocke ging.

„Hey“, lächelte Schuldig sich nicht wirklich rührend. „Mir war kalt. Hast du alles bekommen?“ Schuldig fröstelte leicht über den sanften Windzug, den er spürte und der offenbar durch die offene Tür und das Fenster zog.
 

„Alles, was dich wieder auf die Beine bringt“, nickte Aya und platzierte einen liebevollen Kuss auf die trotz allem blasse Nase. „Wie wäre es, du trocknest dich ab und ziehst dich erst einmal wieder warm an, während ich die Sachen einräume. Danach…werde ich dann mal sehen, ob ich dich nicht warm bekomme?“
 

„Hmm“, gab Schuldig nur zurück und seine Mundwinkel hingen nach unten. „Ich fühl mich scheiße“, zog er die Brauen zusammen und verzog den Mund bedauernd.

„Und das jetzt, wo wir ausspannen wollten.“
 

„Ist doch ganz logisch. Dein Immunsystem will mit dir ausspannen“, schmunzelte Aya und erhob sich, holte zwei der großen Handtücher heran. „Es hat die letzten Wochen eben auch zuviel gearbeitet und ist nun ganz weit unten im Süden.“ Einer seiner Finger krabbelte über den allzu flachen Bauch. „…um es sich dort gut gehen zu lassen.“ Aya schlang das erste Handtuch um Schuldigs Kopf, das zweite hielt er noch innerlich diskutierend in der Hand. Sollte er, sollte er nicht?
 

Schuldigs bereits wieder kühle Hand nahm Ran das Handtuch aus den Händen und reichte ihm die Hand. „Hilfst du mir hoch?“ Er war sich nicht ganz sicher, ob diese Idee mit dem Duschen so eine gute von ihm gewesen war. „Ich muss mich hinlegen. Ich…lass das mit dem Abtrocknen…das kann ich später noch…ich will mich hinlegen.“
 

Aya nahm die ihm dargebotene Hand und platzierte einen liebevollen Kuss darauf, bevor er jedoch mit einem grimmigen Lächeln Schuldig das Handtuch wieder und schüttelte streng den Kopf.

„Du glaubst doch nicht etwa, dass ich dich hier nass aufstehen lasse, damit du dich nass ins Bett legst und dir gleich noch einen Infekt einfängst?“, grollte er und hatte sich währenddessen daran gemacht, Schuldig nun von sich aus abzutrocknen - ohne Gnade, wie sich das gehörte.
 

„Den hab ich doch schon lä~ängst“, meckerte Schuldig missmutig, während er durchgerüttelt und trocken gerubbelt wurde. „Da kommts auf einen mehr oder weniger nicht an. Was für eine grandiose Argumentation, hörte er eine weit entfernte, wenig ausdrucksstarke Stimme in sich.

„Das reicht schon…echt…“, brummte er und wehrte nach einiger Zeit die Hände ab, die ihn überforderten. Das war alles zuviel. Er wollte ins Bett.
 

„Los, aufstehen!“, befahl Aya ohne Gnade. Gequengelt wurde bei ihm nicht, zumindest dann nicht, wenn es darum ging, Schuldig möglichst schnell möglichst trocken wieder ins Bett zu bekommen.

Er warf sich das feuchte Handtuch über die Schulter und streckte Schuldig beide Hände entgegen. Zur Sicherheit…wenn dem anderen diesig werden würde.

„Das reicht erst, wenn du vollkommen trocken bist!“
 

Ran traf ein wirklich böser Blick und die Mundwinkel sanken noch um einige Stufen weiter runter. „Du bist gemein.“

Dennoch ergriff Schuldig verbissen Rans Hände und zog sich wackelig mit dessen Unterstützung in die Senkrechte. „Scheiße“, presste er zwischen den Zähnen hervor. Ihm war zwar nur leicht schwindlig, aber er fühlte sich seltsam. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte er zuviel Watte darin.
 

„Genau das“, murmelte Aya mit starrem Blick in die nahe Zukunft. Schuldig, da wo er hingehörte. „Komm leg deinen Kopf an meine Schulter, ich trockne deine Rückseite und dann schaff ich dich bösen Telepathen mit dem bösen Telepathenblick schneller als du es dir denken kannst ins Bett zurück“, schlug er vor, begann jedoch bereits mit seiner Arbeit. Eine Hand um Schuldig geschlungen, damit dieser Halt hatte, die andere arbeitete sich sacht mit dem Handtuch nach unten.
 

Schuldig sagte nichts dazu, sondern hielt sich an der Wand fest und wartete bis Ran endlich damit fertig war an ihm herumzuwerken. Er fühlte bereits, wie die Kälte zurück in ihn kroch und eine Gänsehaut ihn schaudern ließ.

Gliederschmerzen ließen ihn fühlen, als hätte er am ganzen Körper Muskelkater. Wenn jetzt jemand angriff, wäre er völlig nutzlos.
 

Ungeahnt dieser Gedanken beendete Aya sein Werk und bedachte Schuldig mit kleinen, aufmunternden Gesten.

„Na komm, jetzt geht es ins Warme“, murmelte er, als er mit seinen Händen über die zitternde Gestalt fuhr und Schuldig aus dem Bad führte.
 

Den Weg ins Schlafzimmer bekam Schuldig im Nachhinein nicht mehr wirklich mit. Er setzte sich auf die Matratze und schlotterte vor sich hin. „Mir ist so kalt. Hast du… hast du einen Schlaf…Schlafanzug da?“, hob er den Blick und sah Ran mit glasigen, fiebrigen Augen zweifelnd an. Seine Stimme hörte sich ungesund müde und rau an.
 

Schuldig tat Aya in diesem Moment wirklich leid und der rothaarige Japaner wusste, dass wenn er noch einen Augenblick länger in diese gequälten Augen gesehen hätte, er seinen Entschluss sofort umgeworfen hätte, doch er ließ die Rationalität siegen und nickte. „Gleich, Schuldig. Leg dich schon mal mit dem Bauch auf den Futon, damit ich mir deinen Rücken ansehen kann. Danach stecke ich dich sofort in einen warmen, kuscheligen Schlafanzug, in Ordnung?“
 

„Oh man“, stöhnte Schuldig als einzigen Kommentar und zog die Beine auf die Unterlage, legte sich hin, allerdings seitlich und die Beine anziehen.
 

Geschwind hatte er die Decke herangeangelt und zog sie sich über. „Mir ist kalt, lass doch den Rücken, wie er ist.“ Er wurde langsam wirklich ungehalten. Es fühlte sich beschissen und Ran wollte diese blöden Striemen da umhegen, als gäbe es nichts Schlimmeres.
 

„Richtig… und wenn es dir dann irgendwann wieder besser gehen sollte - wenn, wohlgemerkt - wird das nächste Problem in Form deines Rückens auf dich warten, das dir mit eitrigen Wunden und schlecht verheilten Verletzungen entgegenwinkt“, gab Aya gnadenlos zurück und schlug die Bettdecke gerade soweit zurück, dass er die Wunden inspizieren konnte.
 

Sie waren aufgeweicht und ein deutliches Anzeichen dafür, wie lange der Deutsche unter der Dusche verbracht hatte. Sowas…unvernünftiges.

„Halt still, es dauert nicht lange“, grimmte er und angelte sich einen der Salbentöpfe heran, tauchte seine Finger in die streng riechende Kräutermasse. Er begann, sie auf dem Rücken zu verteilen. „Es ist alles nur zu deinem Besten, Schuldig, ich sage es dir. Du wirst mir irgendwann noch einmal dankbar sein“, erzählte Aya, während er sich des Rückens annahm.

„Spätestens dann, wenn es dir umso schneller wieder besser geht und du nicht mehr jeden auffressen willst, der dir im Moment etwas Gutes tut.“
 

„Blablabla“, brachte Schuldig trotzig hervor, allerdings war seine Stimme wenig enthusiastisch, sondern müde und kaum aus dem Kissen zu hören. „Lamentier du nur gescheit daher. Du klingst… wie meine nicht vorhandene Mutter, die wäre bestimmt genauso fies gewesen. Und die Salbe is kalt… verdammt!“, wurde er nun doch etwas fauchender.
 

„Ja das ist sie und ja, wenn es sein muss, übernehme ich diese Rolle und wenn du so weitermachst, werde ich sie noch bei weitem übertreffen“, ließ sich Aya vernehmen, als würde er über das Wetter reden, während er ohne zu zögern seiner Tätigkeit nachging und es schließlich auch noch wagte, die heiß geliebten Verbände hervor zu holen.
 

Schuldig dummelte langsam ein, aber er war noch nicht eingeschlafen, sondern nur in einem Halbdämmer. Er wollte schließlich nichts verpassen!

„Du… weißt doch gar nicht wie sie gewesen wäre… woher willst du denn wissen…dass du schlimmer als sie bist…hä?“, wollte er unflätig mit rauer Stimme wissen.
 

„Richtig… das weiß ich eben nicht, also muss ich mir doppelt Mühe geben, sie zu übertreffen, was hältst du davon?“, reichte Aya Schuldig auch noch die Schaufel, um sein eigenes Grab zu schaufeln und lächelte liebevoll.

Doch dieses Lächeln wurde tatsächlich ernst, als er sich zu Schuldig hinunterbeugte und ihm einen Kuss auf das Ohrläppchen präsentierte.

„Aber du könntest mir von ihr erzählen.“
 

„Ich… war zu klein… als… sie sich in der Psychiatrie erhängte… ich stell mir sie immer nett vor, aber… warum sollte sie nett gewesen sein, wenn sie dachte ich wäre ein Kind des Teufels. Sind solche Leute nett?“

Wieder schüttelte es ihn leicht und er kuschelte sich in seiner von ihm gewählten Seitenlange in die Decken hinein.
 

„Können sie…“, erwiderte Aya nach ein paar Augenblicken der Überlegung. Partiell, um Schuldig zu beruhigen, der ihm in diesem Moment wie das kleine Kind vorkam, das damals alleine gelassen worden war, dann jedoch entsprach es auch seiner Meinung.

Niemand wusste, warum sie verrückt geworden war… vielleicht war sie auch einer der Menschen gewesen, die ein solches Wissen nicht verkraften konnten. Darüber war sie vielleicht verrückt geworden.

Aya erhob sich und holte aus dem Schrank einen der wärmeren Schlafkimonos.

„Komm, setz dich auf, dann kann ich dich darin einpacken.“
 

Schuldigs eingerollte Rückfront reagierte nicht auf diese Aufforderung. Er war für den Moment zu sehr damit abgelenkt, an seine Kindheit zu denken. Mit fiebrigem Glanz in den Augen blickte er vor sich hin und dachte daran, wie es früher war. Wen er alles schon vergessen hatte, an wen er sich noch erinnerte…

Viele waren es nicht. Wirklich nicht.

„Können Sie…“, wiederholte er leise und in Erinnerungen gefangen. „Sie fehlte mir. Eine… zeitlang hab ich mir die Schuld gegeben, dafür dass ich ihr das angetan habe… dann… dann hab ich angefangen, ihr die Schuld für meine Gefühle gegeben… und irgendwie hasste ich…und dann ging alles los.“
 

„Was ging los? Deine Fähigkeiten?“, fragte Aya, während er sich vor den anderen hinkniete und seine Hände unter Schuldig schob. Mit dem Rücken zu ihm…so eingerollt wie ein Kind hatte Schuldig mehr denn je den Beschützerinstinkt in Aya geweckt. Und waren es nur Grippeviren, vor denen Aya den anderen schützen konnte…irgendetwas musste er tun, damit es Schuldig besser ging.

Nun aber übernahm er die mühsame Aufgabe des Aufrichtens und zog Schuldig schließlich wie eine Puppe aus leblosen Gliedern und abwesendem Blick an.

„Du hast ihr vielleicht auch gefehlt…vielleicht hat sie dich so sehr geliebt, dass sie darüber verrückt geworden ist…“, mutmaßte er und hauchte einen zärtlichen Kuss auf die fiebrige Stirn.
 

Den Kopf etwas hebend, blickte Schuldig leicht nach oben zu Ran, ignorierte jedoch die letzten Worte. Er brachte nicht ganz die Kraft auf, sich wirklich aufzurichten, viel zu schwerfällig fühlte sich sein Körper an und er fror immer noch. „Nein nicht… die Fähigkeiten… die… die waren schon immer da…“
 

„Was dann?“

Aya hatte Schuldig zu Ende angezogen und wieder sicher unter der Bettdecke verstaut, als er sich aufrichtete und schnell ins Wohnzimmer verschwand, woher er zwei der dort liegenden Decken holte. Mit der einen wickelte er Schuldig nun vom Bauch abwärts ein, mit der anderen sorgte er um dessen Oberkörper für Wärme, bevor er die heizbare Decke wieder über die Gestalt legte und sie feststeckte. Zumindest sah Schuldig jetzt so aus, als ob ihm warm wäre.
 

Der Spaß am Töten…

…wisperte Schuldig in Gedanken, doch er schloss die Augen und schlief beinahe sofort ein. Jetzt war es besser… wärmer… viel besser.

Die feuchten Haare hoben sich dunkel vom Kissen ab.
 

Aya beobachtete Schuldig, wie dieser in den wohlverdienten und hoffentlich erholsamen Schlaf glitt. Er seufzte leise und schickte ein Stoßgebet an seine Schwester, dass nicht noch etwas Schlimmeres passieren mochte.

Ohne eine Antwort auf seine Frage erhalten zu haben, erhob er sich um in der Küche für Schuldig Tee zuzubereiten. In einer Stunde würde er den anderen Mann aufwecken und versuchen, ihm etwas davon einzuflößen.
 

In Gedanken versunken verließ Aya die Küche und schob die Tür zum Garten langsam auf. Es gab hier viel Arbeit, die noch zu tun war, wenn es wärmer wurde. Besonders, da der Garten so weitläufig und verwinkelt war… und die verschiedenen Pflanzen brauchten mal weniger, mal mehr intensive Pflege. Dabei hatte er es ja so mit Pflanzen…

Doch im Gegensatz zum Koneko oder Schuldigs Wohnung konnte Aya sich hier durchaus vorstellen, Tage in dieser noch wuchernden Wildnis zu verbringen um sie zu zähmen und nach seinen Vorstellungen zu formen. Alleine schon der groß angelegte Teich in der Mitte des Gartens oder der Steingarten direkt am Haus reizten ihn. So vieles… friedliches, wie er es nie in den letzten Jahren erfahren hatte - wenn Schuldig wieder gesund war, hieß das.
 

Aber natürlich wurde er das…jetzt, wo er wieder lebte.
 

Aya schloss die Augen. Er konnte die Bilder nicht vergessen, die Nagi ihm gezeigt hatte. Er konnte nicht vergessen, wie einsam und leer es die zwei Wochen gewesen war. Wie verzweifelt er selbst gewesen war. Es schien, als würde er diese Erinnerungen immer wieder zurückdrängen können, während er jedoch nicht verhindern konnte, dass sie ihn überfielen.

Es durfte nicht so weitergehen, doch wie sollte er sich damit auseinandersetzen, wenn er nicht wusste, wie, und wenn er nicht wusste, ob er es überhaupt wollte?
 

Er öffnete seine Lider wieder und atmete tief ein. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken…Schuldig war krank und es gab noch etwas anderes, das er erledigen musste.

Er ging ins Haus zurück und suchte nach seinem Handy, wählte Youjis Nummer.

„Tokyo Playboy Nummer eins?“, meldete sich eine ihm wohlbekannte Stimme und Aya verdrehte trotz aller Niedergeschlagenheit die Augen. Wunderte ihn das noch?

„Du änderst dich auch nie, Kudou“, grollte er in den Hörer und erntete ein Lachen.

„Sollte ich das denn, Fujimiya-kun?“

„Würde dir nicht schaden, Tokyo Playboy Nummer eins…“

„Du nimmst auch alles gleich zu ernst!“

Aya seufzte.
 

Schuldig dämmerte vor sich hin. Ihm war heiß und wenn er die Augen öffnete, hatte er das Gefühl die Luft flimmerte vor ihm so heiß war es im Raum.

Ran… Ran… mach die Heizung aus… es ist so warm… wollte er sagen, aber er brachte nur ein unwilliges Geräusch von sich und einige Wortfetzen, die zu leise waren um wirklich einen Wunsch zu äußern.
 

Sich Schuldigs Wunsch und Worten unbewusst, ließ sich Aya von Youji beruhigen, zumindest was den Gesundheitszustand des Telepathen anging. Nach Grippe klang es nicht und er würde wohl innerhalb von einem Tag wieder auf den Beinen sein. Das klang zu schön um wahr zu sein, befand Aya, wollte aber daran glauben.

Viel weniger wollte er jedoch über das Thema reden, wie es ihm selbst ging.

„Du klingst angespannt“, sagte Youji just in diesem Moment. Hellseherei? Aya vermutete es fast.

„Bin ich…wegen Schuldig.“

„Nicht wegen den letzten Wochen?“

„Auch.“

„Ran…“

„Es geht schon, Youji. Es wird werden…das wird es immer. Schuldig ist ja wieder da.“

„Und dennoch braucht es seine Zeit, bis du das verdaut hast, du sturer Esel.“

„Weiß ich...

Sag mir lieber, wie es euch geht. Ist alles in Ordnung im Koneko? Habt ihr viele Aufträge?“

„Momentan nicht. Eigentlich gar keine. Es scheint, als wolle Manx uns schonen. Warum auch immer. Und der Laden läuft wie immer, Ran. Viele Mädchen, viele fragen nach dir und bekommen immer die gleiche Antwort: du arbeitest jetzt woanders. Soll ich ihnen deine Adresse geben?“

„Untersteh dich, Kudou, dann setzt es was!“

„Ach komm… das würde dem Kranken auch gefallen…“

„Du redest Unsinn.“

„Ich weiß.“

„Blödmann.“

Auch wenn Aya es nicht zugab, so tat ihm dieses Herumgeplänkel mehr als gut. Es war…Normalität. Er sah in den Himmel und damit auch in die sich leicht hin und her wiegenden Bäume. Ja…es sah wirklich nach Sturm aus.
 

Es war ein Frühlingstag, alles erblühte als wäre es aus langem Schlaf erwacht, die Natur schien zu explodieren, so kraftvoll färbte sie alles grün. Und trotz des Frühlings war es heiß, viel zu heiß…für diese Zeit…

Die Vögel…sie …sie zwitscherten und obwohl die Farben so klar und deutlich und satt in ihrer Pracht sein sollten, war dennoch alles von weißem Nebel übertüncht.

Die Bauklötze fanden ihren Weg wie von selbst in die vorgesehenen Aussparungen. Die geschickten Kinderhände grabschten nach den Bauklötzen und schon war der nächste Bauklotz versenkt.

„Komm Kleiner…wir gehen zu deiner Mama. Sie wartet schon auf dich.“

„Mama! Wir ge~ehen zu~u Ma~ama!“
 

„Wie geht es Omi und Ken?“, fragte Aya und die ersten Regentropfen fielen mit leisen Geräuschen auf das kleine Vordach, auf den Teich, auf die noch vorhandenen Nadeln an den Tannen. Aya zog sich etwas ins Haus zurück und maß kritisch das aufkommende Unwetter. So dunkel, wie der Himmel im Westen wurde, konnte das ein Problem geben.

„Sie schlagen sich durch, Aya. Omi mehr als Ken, obwohl der sich vorgestern mit einem Mädchen getroffen hat. Anscheinend jemand, den er beim Fußball kennen gelernt hat. Er will uns noch nichts verraten…“

Aya hob die Augenbraue. „Ken hatte eine Verabredung?“, fragte er zur Sicherheit noch einmal nach und ein zustimmender Grunzlaut ertönte durch die Leitung.

„Omi ist mit seinem amourösen Abenteuer ebenfalls beschäftigt. Nur ich… ich bin alleine.“
 

Die Wände waren so hoch und alles war so groß und sie gingen einen langen Flur entlang. Noch immer war einer der Bauklötze in den Händen des Jungen fest zwischen den Fingern verankert. Er hatte ihm am besten gefallen, weil er so herrlich blau war. Er mochte blau.

Aber sie kamen nicht an…der Gang war lange und… sie gingen immer weiter und… langsam wurde er müde…sehr müde…
 

„Dann komm her!“, schlug Aya vor, doch das wurde mit einem ablehnenden Schnauben belohnt.

„SO einsam bin ich nun auch wieder nicht!“

„Du kannst mich mal, Kudou!“

„Wie oft?“

Aya schüttelte den Kopf. Es gab Dinge, die änderten sich nicht und auch wenn ihn das auf die Palme trieb, war das gut so.
 

Schuldig wälzte sich unruhig hin und her. Das Fieber verbrannte seinen Leib, auch wenn sich eine Gänsehaut gebildet hatte, so war seine Haut heiß und trocken.

„Mama…“, wisperte er.

Sein Traum hatte ihn fest im Griff und ließ ihn so schnell nicht los. „Ich will…wo ist…“, brabbelte er und hatte sich nach kurzer Zeit bereits die Decken weggestrampelt. Der Yukata klaffte auf und sein Atem floh schnell und tief von seinen Lippen.
 

Während Youji ihm erzählte, dass es momentan Probleme mit den Freesien gab, horchte Aya auf und kam ein paar Schritte an das Schlafzimmer heran. Er warf einen Blick hinein und sah, dass Schuldig anscheinend nicht so ruhig schlief, wie er es erst vermutet hatte.

„Youji, ich muss auflegen, Schuldig geht es gar nicht gut“, murmelte er in den Hörer und der andere Mann brummte zustimmend.

„Aber ruf wieder an, hörst du?“

„Ja!“, grimmte Aya und legte auf, kam an Schuldigs Seite.

Tastend strich er dem anderen über die Stirn, die klamm und heiß war. Der Telepath schien aufgeregt und in einem Fiebertraum gefangen.

„Ganz ruhig…ich bin hier“, sagte Aya sanft, ein wenig lauter zu Schuldig und strich ihm über die Wange.
 

„Wann…wa…ist Ma… wieder da?“ wisperte Schuldig fasrig und es dauerte etwas bis er ruhiger wurde, bis er die Kühle auf seiner Stirn fühlte und er nur noch unzusammenhängendes Zeug brabbelte, aber nicht mehr so getrieben war.
 

„Bald…bald ist sie wieder da“, erwiderte Aya, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Es dauert nur noch etwas…bis dahin musst du aber schlafen…“ Er wusste nicht, ob seine Worte Wirkung erzielen würden, doch er hoffte es. Das gab ihm mehr Zeit, den Tee und eventuell auch noch kalte Getränke heran zu schaffen.
 

„Bald…“, murmelte Schuldig und wurde ruhiger, sank auch wieder in tieferen Schlaf.
 

Aya folgte währenddessen seinem ursprünglichen Plan und macht den Tee für Schuldig. Als er schließlich durchgezogen war, suchte er sich auch noch einen kühlen, aber nicht zu kalten Saft aus dem Kühlschrank. Aya wusste, dass es ein Kampf werden würde, Schuldig beides einzuflößen…vielleicht auch nicht, doch wie der Tee roch, konnte er nicht gut schmecken. Nun gut, da mussten sie durch.

Entschlossen, das Möglichste zu tun, kam Aya wieder ins Schlafzimmer und kniete sich neben Schuldig, dessen Atem schon schwerer als zuvor zu gehen schien.

Fiebrig zitterten die Lider hin und her und gaben Aufschluss über die unruhigen Träume, denen Schuldig anheim gefallen war.
 

„Hey“, murmelte Aya und fuhr dem anderen über die Wange. „Ich habe hier etwas Leckeres für dich, Schuldig… wach auf.“
 

Doch Schuldig dachte gar nicht daran aufzuwachen. Er wäre vielleicht gerne aufgewacht, aber seine Träume und das Fieber hielten ihn zu fest im Griff. Nur entfernt hörte er eine Stimme, aber sie war ihm nicht wichtig genug, nicht dringlich genug.
 

Dass Aya eben dies beunruhigte, lag auf der Hand und so begnügte sich der andere Mann nicht nur damit, Schuldig über die Wange zu streichen. Seine Stimme wurde lauter, als er Schuldig noch einmal ansprach und dabei an dessen Schulter schüttelte.

„Du musst aufwachen, Schuldig. Komm schon!“, versuchte er den Telepathen zu ermuntern, jedoch war seine Stimme mit etwas anderem als Motivation getränkt…erinnerte es ihn doch zu sehr an einen der immer wiederkehrenden Träume.
 

„Nhh“, kam da nur von Schuldig und er drehte den Kopf leicht zur Seite und wieder zurück.
 

Als auch dies nichts half, schob Aya kurzerhand seine Arme unter den Oberkörper und hob Schuldig in eine sitzende Position. So lehnte er nun an Ayas Brust, den Kopf scheinbar willenlos an der beunruhigten Stütze, die nun umso dringlicher versuchte, ihn aufzuwecken.
 

Was er auch schaffte, da Schuldig die glasigen Augen öffnete und seine Hand ihren Weg von der Decke in Rans Kleidung fand und sich festhielt.

„Durst“, krächzte er noch halb verschluckt und fasrig. „…ich hab so Durst. Es ist so heiß…ich fühl mich scheiße…“
 

„Du bist wach…“, murmelte Aya für sich und seufzte erleichtert auf. Schuldig war wach…halbwegs lebend, etwas, das Aya sehr beruhigte. Er nahm den Tee zur Hand und strich dem anderen einige der verschwitzten, roten Strähnen aus der Stirn.

„Ich habe etwas zu trinken für dich, Schu. Du wirst dich gleich besser fühlen, garantiert“, umhegte er seinen Partner und setzte diesem den warmen Tee an die Lippen.
 

„Schu…?“, murmelte Schuldig die Lippen an der Tasse, bevor er einen Schluck nahm. Zunächst war es angenehm kühl, obwohl der Tee mit Sicherheit warm war, aber der Geschmack kam mit Verzögerung und war grausig.

„Willst…du mich vergiften?“, brummte er und hob den Kopf etwas, damit er ihn auf Rans Schulter legen konnte. „Ganz sicher sogar…willst du das…! Aber du solltest warten, bis ich den Ehevertrag aufgesetzt hab…sonst erbst du nichts…“, kicherte Schuldig fahrig.
 

Ehevertrag…?

Vergiften?

„Das ist Erkältungstee“, erwiderte Aya indigniert und raffte sich Schuldig zwecks besseren Haltes an den Oberkörper. Er versuchte, einen Blick in das fiebrige Gesicht des anderen zu werfen, scheiterte jedoch an dessen Versteck, das zugegebenermaßen sehr gut gewählt war.

„Das ist ein Liebestrank, gemischt mit etwas Aphrodisiakum, mein Lieber“, sagte er dann trocken. „Du weißt doch, so etwas schmeckt nie gut.“
 

„Du bist soo schön kühl“, seufzte Schuldig. „Hast du denn den Trank selber gemischt, mein Hexer?“ Wieder dieses leise Lachen. Schuldig fühlte sich nach dem Aufwachen, als hätte er Watte im Kopf. Weiße, fluffige Wattewölkchen, flauschig und kuschelig….
 

„Ganz im Gegensatz zu dir“, schmunzelte Aya über den heimlichen Verführer an seiner Seite. „Ich habe ihn mischen lassen, Hänsel, um dich in meine Hütte zu locken und dich anzuknabbern. Also trink…damit mein böser Plan aufgeht!“, erinnerte er sich an eines dieser deutschen, alten Märchen über zwei Kinder, die im Wald von einer Hexe gefunden wurden, damit sie sie auffressen konnte. So etwas wurde für Kinder geschrieben…sehr komisch.

Wieder hielt er die Tasse an die Lippen des Telepathen.
 

Schuldig seufzte ergeben, setzte sich etwas besser auf, obwohl er sich seltsam dabei fühlte. Es strengte ihn viel zu sehr an. „Gib her das Zeug.“ Mürrisch entzog er Ran die Tasse und setzte den Tee an um ihn in wenigen Schlucken hinunterzustürzen. Danach verzog er den Mund und würgte fast schon vor Ekel.

„Das is’ widerlich“, sah er Ran anklagend an den Mund noch verzogen.
 

Aya sah Schuldigs Ekel, konnte ihn zwar nicht nachvollziehen, aber dennoch verstehen. Ihm schmeckten manche Dinge genauso wenig, wenn er krank war. Er nahm Schuldig die nun leere Tasse und griff zu dem Glas, das noch hinter ihm stand.

„Hier…Birnensaft“, reichte er es dem Telepathen, jeden Moment darauf bedacht, diesen zu stützen. „Damit kannst du den schlechten Geschmack hinunterspülen.“ Er erinnerte sich grau daran, wie er die Suppe damals ebenso widerlich gefunden hatte und wie unbewusst dankbar er für einen Kontrast gewesen war.
 

„Bist du sicher…dass da auch das drin ist, was du ankündigst?“ Aha, sein Misstrauen war geboren und er blickte auf das Glas, als wäre es ein gemeiner Anschlag in seine Richtung.
 

„Das wirst du nur erfahren, wenn du deine Angst überwindest und einen Schluck trinkst“, orakelte Aya und sein strafender Blick traf Schuldig in der vollen, dunklen Wucht. „Es könnte dir Erlösung verschaffen…“, lockte Aya mit einem schelmischen Lächeln.
 

„Ra~an…die …“ Schuldig legte seinen Kopf wieder an Rans Schulter. „...die Jekyll und Hyde Masche zieht nicht.“ Gleichzeitig fischte er nach dem Glas und trank es in halber, seitlicher Kopflage, was die Hälfte über seinen Mundwinkel nach unten tropfen ließ.

„Fertig“, nuschelte er und drückte das Glas wieder in Rans Hand, machte jedoch keine Anstalten sich wieder hinzulegen. Es schmeckte nach nichts, aber es roch nach Birne. Und es war herrlich kühl. Hier bei Ran war es ohnehin viel schöner. Viel kühler und einfach besser.

Er konnte Rans Herzschlag unter seiner Hand fühlen, wenn er sie auf dessen Brust legte. Über dieses Gefühl drifteten seine Lider zu.
 

Ein seltsames Gefühl beschlich Aya, als er Schuldig hier halb sitzen, halb liegen sah, mit den Augen geschlossen und der Hand auf seinem Herzen. Es war, als waren ihre Rollen vertauscht, als wolle sich Schuldig unbedingt versichern, dass er noch lebte. Doch war es nicht genau andersherum? Hatte Aya nicht nahezu panische Angst, den Deutschen ein weiteres Mal zu verlieren?

In Gedanken versunken strich Aya Schuldig die Überbleibsel des verloren gegangenen Birnensaftes vom Kinn und stellte das Glas ab. Er wollte, dass Schuldig sich erholte, aber es würde sicherlich nicht schaden, wenn er ihn noch etwas im Arm hielt und leise summte.
 

o~
 

„Nein!“

Die feurigroten Haare waren dunkel vor Feuchtigkeit, klebten im Nacken an, als Schuldig in größter Not hochfuhr und die schreckgeweiteten Augen ziellos den Raum absuchten. Wonach genau sie suchten, wusste selbst Schuldig nicht. Seine Hand krampfte sich über den wenigen Stoff, der über seiner schmerzhaft pochenden Brust lag, zusammen.

Sein Atem floh über die trockenen Lippen. „Wo…?“ Wo war er?
 

Aya war aus seinem Dämmerschlaf ebenso hochgefahren wie Schuldig auch, als der andere Mann neben ihm aus dem mühsam erkämpften Schlaf fuhr. In den letzten Stunden hatte sich Aya darum bemüht, dem anderen jede Stunde entweder Saft oder Wasser einzuflößen, wenn es ging, auch Tee, doch diesen hatte Schuldig vor geraumer Zeit nicht mehr angenommen. Der leicht angewärmte, für Schuldig vermutlich jedoch kühle Lappen auf seiner Stirn war heruntergerutscht, auf Ayas Hand.

Müde blinzelte Aya, während das Adrenalin in seinem Körper mit dem Schlafentzug zu kämpfen versuchte und ihm ein wild klopfendes Herz bescherte.

„Hier bin ich…“, murmelte er und berührte Schuldig an der Stirn…heiß war sie. „Du hattest einen Alptraum…nur einen Alptraum.“
 

Schuldig drehte sich reflexartig herum, wich zurück, bis er schlussendlich wenig elegant hinüber auf den Boden rutschte. Doch noch immer starrte er Ran an.

„Wer…?“ Völliges Unverständnis stand in seinen fiebrigen Augen. Wen er vor sich sah…das konnte nicht sein…er war tot…das hatte Brad doch gesagt…dass er tot war…dieser Schatten…warum kam er immer näher…dieser undurchdringliche Schatten. Er konnte das Gesicht nicht sehen.
 

„Schu…ich bin es“, sagte Aya so beruhigend und versichernd wie möglich anhand der evidenten Panik in Schuldigs Stimme. Der andere Mann wusste nicht, wo er war. Langsam kam er zu Schuldig und strich ihm über die Schulter.

„Schu…alles in Ordnung…es kann dir nichts passieren…“
 

„…Ran.“

Es war wie eine Bestätigung, als Schuldigs Angst in sich zusammenfiel und von seinem Gesicht glitt.

Es war immer noch düster im Raum, nur eine kleine Lampe brannte. Doch Rans Stimme gab den Ausschlag.

„Ich…alles…es tut mir leid“, flüsterte er mit rauer Stimme und rappelte sich vorsichtig hoch um wieder auf den Futon zu kommen. Dort legte er sich nicht hin, sondern blieb sitzen. Er fühlte sich miserabel, verschwitzt, stinkend und einfach nur unwohl.
 

Schuldig war noch tiefer ins Fieber gesunken als noch vor ein paar Stunden. Es wurde schlimmer…Die Alternative des Arztes wurde immer und immer verlockender und dringlicher für Aya.

Der rothaarige Japaner nahm die Hand des anderen und drückte sie sacht. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, alles ist gut. Hörst du…alles ist gut.“
 

Schuldig stützte einen Ellbogen auf ein Knie und legte seine Stirn in seine Hand. Ausgelaugt schloss er die Augen.

„Denk dir nichts. Das…das ist immer so wenn ich krank bin. Dann rede ich den allergrößten Scheiß und sehe Dinge, die nicht da sind. Ich… höre Dinge die nicht…“

Aufmerksam hob er den Kopf und lauschte, dabei schlossen sich seine feuchten Finger um Rans Hand.

„Der Wind geht stark. Die Äste schlagen gegen das niedrige Dach weiter hinten.“ Ein regelrechtes Heulen war zu hören. Vermutlich hatte er das in den Traum mit eingebaut.
 

„Ein Sturm zieht auf…“, erwiderte Aya und seine Lippen fanden ihren Weg zu Schuldigs Schläfe. Jetzt, wo Ruhe eingekehrt war, hörte er es auch…anscheinend war mit Schuldigs Fieber auch das Unwetter gestiegen.

Vereinzelte Tropfen trafen schon an die geschlossenen Fenster und der Wind ließ die Tannen draußen rauschen.

„Vermutlich können wir die nächsten beiden Tage nicht mehr hier weg…nicht, dass ich dich in deinem Zustand irgendwo hingehen lassen würde, heißt das“, sagte er mit mehr Humor in der Stimme, als er eigentlich in sich fühlte, wusste er doch genau, was Schuldig sah und hörte, das nicht mehr da war.

Wen er vor allen Dingen hörte…

„Niemand anderes außer mir ist hier, Schuldig. Niemand…“

Seine Hand fuhr über die Seite und traf auf schweißnasse Kleidung…ebenso wie ein klammes Laken. Aya verzog die Lippen zu einem Grübeln.

„Wie wäre es, ich tausche die Bettwäsche aus, wasche dich und packe dich dann frisch und sauber wieder ins Bett?“, sagte er mit zusammengezogenen Augenbrauen.
 

Schuldig nickte nur und entzog sich Rans Hand. Er blickte zur Seite und auf, die Andeutung eines Lächelns auf den Lippen. „Holst du mir das Zeug her? Dann krieg…ich das …auch alleine hin, ja?“, bat er.
 

Aya kannte Schuldigs Ablehnung, wenn es darum ging, gewaschen zu werden. Auch sie konnte er nachvollziehen und er würde ihn lassen.

„Ich habe Vertrauen in dich“, versicherte er Schuldig seine Unterstützung und erhob sich. „Nicht weglaufen, bis ich wieder da bin!“

Und schon war er aus dem Schlafzimmer heraus, holte die nötigen Utensilien zusammen. Unter ihnen waren auch neue Kleidung für Schuldig und ein frisches Bettlaken, das noch nicht in den Schrank des Schlafzimmers eingeräumt war.

„Am Besten, du setzt dich auf den Boden…aber vorsichtig dieses Mal.“
 

„Nh…“

Mehr bekam Ran nicht zur Antwort.

Schuldig stand wankend auf und zwei Schritte weiter ließ er sich nieder, zog das eine Bein wie zum Schneidersitz an sich und zog das andere Bein angestellt an sich. Die Holzschüssel mit dem lauwarmem Wasser mit zitternder Hand zu sich holend ließ er zunächst nur seine Hände ermattet und wohlig in dem kühlen Wasser liegen, bevor er einen Lappen nahm und sein Gesicht wusch. Die Haare störten dabei. „Ran“, wisperte er. „Hast du einen Haargummi…oder etwas Ähnliches?“

Er schob sich die eine Seite des Yukatas von der Schulter und blickte zu Ran, der sich an das Beziehen des Bettes gemacht hatte.

Seltsam war das alles. Und doch… genoss er es. So selbstverständlich war das alles. Und doch… war es das nicht. Es war Glück. Sein Glück. Ihr Glück.
 

Aya nahm den Haargummi, den er in seinen Haaren trug und kam damit zu Schuldig. Er nahm diesem liebevoll die Haare nach hinten und band sie vorsichtig zusammen, damit sie den anderen nicht mehr störten.

„Geht es oder soll ich dir helfen, Schuldig?“, fragte er neutral, wollte er doch nicht, dass der Telepath sich durch sein Angebot in seiner Selbstständigkeit verletzt fühlte.
 

„Nur den Rücken. Das wäre gut“, nickte Schuldig und ließ seine Hände samt Lappen im kühlen Wasser verweilen. Er war zu müde, zu schlapp, aber das kühle Wasser tat gut. Er verlagerte sein Gewicht mehr auf das eine Bein und schlug es unter.
 

„Wie geht es dir?“, fragte Aya, während er sich hinter Schuldig kniete und langsam den Yukata von der anderen, noch nicht freigelegten Schulter gleiten ließ. Er war feucht vom Schweiß…ebenso wie Schuldigs Haut.

Vorsichtig löste er die Verbände auf dessen Rücken. Auch dieses Mal war die Salbe gut eingezogen und ließ nun den Rücken besser aussehen. Er griff sich den Lappen von vorne und wischte damit sanft über den Rücken.

„Wenn das Fieber weiter steigt, müssen wir einen Arzt aufsuchen.“
 

„Es wird schon gehen.“ Schuldig wandte den Kopf zur Seite. „Mach dir keine Sorgen, hmm?“ Er spürte die Anspannung in Ran, auch wenn sein Hirn noch so vernebelt vom Fieber war, aber DAS war etwas was seine Antennen sofort registrierten.
 

„Ich hoffe es…“, kam die gedankenschwere Antwort und Aya küsste eine der heilenden Striemen. Es schien, als ob ihn alles zu Schuldig hinzog, immer wieder…

„Ich mache mir keine Sorgen, versprochen…“
 

Ein leises Lachen antwortete ihm, während Schuldig still hielt und dabei eine seiner Hände noch immer im kühlen Nass liegen ließ als wäre sie ohne Leben.

„Ich kenne wirklich niemanden…der so schlecht lügt wie du, Ran. Und das, obwohl ich noch nicht einmal deine Gedanken lesen kann“, sagte Schuldig leise.

„Aber weißt du was…ich …ich mag es wenn du versuchst tapfer zu sein wenn es mir nicht gut geht. Zumindest in diesem Fall. Du…machst dir Sorgen …und auf verquere Art tut das gut. Aber…“, er zögerte.

„Aber… ich will nicht, dass du dir Sorgen machst. Es ist nur eine Grippe und… du weißt doch… ich bin unkaputtbar, weißt du noch?“ Er lächelte, als würde er etwas in der Ferne der Vergangenheit sehen.
 

Ertappt ließ Aya das Stück Stoff in seiner Hand sinken. Er seufzte leise. Es stimmte… er konnte nicht damit aufhören. Weder mit dem Sorgen machen noch mit dem tapfer sein. Es ging einfach nicht.

Unbemerkt und auf geheimer Mission schlängelten sich seine Arme unter Schuldigs hindurch und er zog den anderen in eine sanfte Umarmung. „Ja…das bist du. Unkaputtbar und unsterblich.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln und er schloss die Augen.
 

Die Finger in dem kühlen Nass zuckten kurz bei dieser sanften Umarmung. Mit seiner freien Hand hielt er sich an Rans Unterarm fest. Sie schwiegen ein Weilchen, bis Schuldig etwas einfiel.

„Ran? Ich bin momentan ziemlich waffenlos, wenn… jemand uns hier findet, sehen wir alt aus“, gab er zu bedenken.
 

Aya überdachte das für einen Moment und nickte dann ungesehen von Schuldig.

„Ich habe eine Waffe mitgenommen, als wir ins Blind Kiss gefahren sind. Ein zusätzliches Magazin noch, aber das war es auch schon. Doch hier wird uns niemand finden, Schuldig.“ Würde das tatsächlich der Fall sein? Aya bezweifelte es… denn wenn es jemand wirklich darauf anlegte, Schwarz zu vernichten, würde ihnen auch das nichts mehr helfen. Doch bisher war nichts geschehen. Was das zu bedeuten hatte, konnte sich Aya vielleicht erklären, doch eine Sicherheit hatte er trotzdem nicht.

„Und wenn…hätten sie uns schon im Blind Kiss töten können. Ich glaube nicht, dass jemand weiß, wo wir sind.“
 

„Ich will nur… dass du weißt, dass ich dir momentan nicht viel nütze, Ran. Pass auf dich auf. Verlass dich nicht auf mich.“ Die Worte kamen müde, aber auch merkwürdig tonlos heraus. Er war selten krank aber wenn, dann erwischte es ihn derart, dass er weder seine Telepathie noch sonst etwas bewirken konnte. Er lag flach.
 

Als wenn Aya Schuldig jemals zurücklassen würde, wenn der andere Mann krank war und sie angegriffen wurden…als wenn er jemals auch nur einen GEDANKEN an so etwas verschwenden würde. Denn genau das sollte Schuldigs Gesagtes ausdrücken. Wut über diesen Wunsch brandete in Aya auf und er schluckte sie mühsam hinunter. Niemals.

„Ich werde für uns beide aufpassen“, nickte er und löste sich von Schuldig.

„Und damit du schnell wieder auf die Beine kommst, sehen wir jetzt zu, dass du ins warme Bett kommst.“ Er nahm den Lappen wieder auf und machte sich daran, seine Arbeit zu vollenden.
 

Als Ran sich löste wandte sich Schuldig zu diesem, warf dabei fast die Schüssel um. „Hey…was ist?“

Als hätte er gespürt, dass Ran sich zu schnell von ihm gelöst hatte, war er intuitiv in Aktion getreten. Das Wasser tropfte noch von seiner Hand und netzte Rans Yukata, als seine Hand sich in dessen verfing, als müsste er permanent sicher gehen, dass Ran wirklich in seiner Nähe war.
 

Aya hielt die Schüssel in einer Hand, die er gerade vor Schuldig in Sicherheit gebracht hatte. Er sah dem anderen Mann für einen Moment schweigend in die Augen, bevor er ihm mit einer Hand über die Stirn strich.

„Ich lasse dich nicht alleine. Egal, was passiert“, erwiderte er bestimmt, aber ohne Bestimmung in den Raum hinein.
 

Den Kopf leicht schief legend, sah Schuldig Ran ernst an. Das Blau seiner Augen war tatsächlich durch das Fieber wässrig, als würden seine Iriden einen Blick in eine blaue Lagune bieten. „Das will ich ja schwer hoffen, Agent Red.“ Seine Finger krallten sich mehr in das Kleidungsstück.

„Dummerchen. Das meinte ich doch nicht. Verlass dich nur nicht auf mich. Das wollte ich sagen. Wenn ich weiß, dass du dich nicht auf mich verlässt…dann bin ich beruhigter. Ich vertrau schließlich deinen Fähigkeiten …“ Er flüsterte nur noch. „Abyssinian“, formten seine Lippen tonlos.
 

Aya musste trotz allem lächeln, als er seinen Assasinennamen zwar nicht aus dem Mund des anderen hören, aber von dessen Lippen ablesen konnte. Ja, er würde zu Abyssinian zurückkehren, sollten sie angegriffen werden. „Darauf kannst du vertrauen“, erwiderte er schlicht und überging, dass er aus lauter Verlustangst diese eine Sache falsch verstanden hatte. Es würde sich legen.

„Aber jetzt genug! Das Bett muss gemacht werden“, beendete er dieses Thema, das ihn nur schmerzte und er schmatzte Schuldig einen dicken Kuss auf die Lippen, während er ihm über die Augen strich…so als wolle er die Tränen dort wegstreichen.

Schnell erhob er sich und raffte die Sachen an sich, die er brauchte, um Schuldig ein frisches Bett zu bieten. Seine Haare verfingen sich dabei in dem Wust und mit einem Grollen zog er die überlangen Zotteln in ihre richtige Position.
 

Ein Seufzen später machte sich Schuldig weiter daran sich zu waschen. Er rieb sich ab und schälte sich nach und nach aus dem verschwitzten Kleidungsstück heraus, bis er nackt auf selbigem saß und sich abtrocknete, eines der Handtücher über seinen Schritt gelegt.
 

Schließlich alles, inklusive Bett und Schuldig, gerichtet, half Aya diesem hoch und zurück in die warmen, einladenden Federn. Er wollte nicht, dass Schuldig allzu lange an der kühlen Luft blieb.

„Willst du noch ein Kuscheltier für die Nacht oder schläfst du lieber alleine?“, fragte Aya mit einem schelmischen Grinsen.
 

Sich auf das frisch bezogene Futon gleiten lassend legte Schuldig berechnenderweise alles in einen mitleidheischenden, harmlosen, lieben Blick…wenn nur nicht das fiebrige Glänzen darüber gelegen hätte …ja dann hätte es vielleicht echter gewirkt. „Kuschelkatze und eine Geschichte! Und dann schlaf ich alleine…später dann.“
 

Das waren ja Ansprüche, die hier gestellt wurden…

„Soso“, hob Aya bedeutungsvoll eine Augenbraue, machte sich aber bereits daran, sich neben Schuldig gleiten zu lassen und ihn an sich zu kuscheln.

„Was denn für eine Geschichte, du verwöhnter Telepath?“, fragte er kritisch.
 

„Die Geschichte von dem jungen Mann, der einen anderen jungen, überaus hübschen und klugen jungen Mann pflegte, weil dieser Grippe bekommen hatte und dann selber krank wurde. Wobei …wie wäre es mit der Geschichte, wo das Blumenkind von der Tigerlilly bezaubert wurde und die beiden durchbrannten?“

Schuldig kuschelte sich bequem an und schloss die Augen. Sein Hals kratzte etwas, aber es war nicht wirklich schlimm. „Kann ich noch etwas zu trinken haben? Was Kühles?“, fiel ihm ein und er löste sich wieder, blickte sich um ob noch etwas neben dem Futon stand.
 

Aya angelte nach dem großen Glas Birnensaft, das noch dort stand, wo er es aus der Küche kommend abgestellt hatte und reichte es Schuldig, behielt jedoch noch eine Hand am Rand. „Er ist nicht eiskalt, aber trotzdem kühl…außerdem hätte ich da noch den Tee im Angebot, den ich Hexer gebraut habe.“ Er lächelte.

„Soso…die Geschichte der Tigerlilly soll ich dir also erzählen…“
 

Schuldig stürzte das Getränk die trockene Kehle hinunter und legte sich wieder hin. Sein Kopf fühlte sich dumpf und schwer an. Dennoch hatte ihn das Waschen gut getan und seinen Körper ein wenig belebt.



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