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Der Glasgarten

von

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Scherben und Schokolade

~ Scherben und Schokolade ~
 


 


 

Violette Augen blinzelten verwirrt in das Tageslicht und der Körper des rothaarigen Japaners zuckte aus Reflex zurück, bevor sich andere Eindrücke in seine Sinne brannten, die ihm noch nicht ganz gehorchen wollten. Vertrauter Geruch, vertraute Worte, eine vertraute Stimme…

Schuldig.

Dieser Name schwebte in seinen Gedanken und beruhigte ihn minimal. Er hob den Blick, sah, erkannte und erinnerte sich, war doch unterschwellig unruhig und rastlos auf eine ihm nicht verständliche Art und Weise, da er fühlte, dass er keine Lust hatte. Nicht wollte…dass ihm alles egal war.

Er erinnerte sich an die Frage des anderen und bewegte seine Lippen, die trocken waren. Er öffnete sie, noch nicht wirklich in der Lage zu antworten.
 

„Komm hoch und trink etwas“, versuchte Schuldig den augescheinlich noch nicht ganz zutraulichen Ran zu locken. Er kam sich vor wie ein Raubtierdompteur. Immer schön darauf achten, dass er dich nicht anfällt.

Schuldig stippte einen Finger in das von ihm befüllte Glas und strich damit über Rans trockene Lippen.
 

Dies war eine vage vertraute Geste, sagte etwas in Aya. Nässe lockte ihn, Worte führten ihn zu Schuldig nach oben, als Aya sich aufsetzte und versuchte, seine Umgebung wahrzunehmen. Er wusste nicht wirklich, was passiert war und gleichzeitig wollte er es auch nicht wissen… er wollte zu sich finden.

Seine Augen kehrten zurück zu Schuldig und dem Glas, dem er sich jetzt mit einer Hand nährte. Er zitterte… warum?
 

Schuldig packte die Gelegenheit beim Schopf und setzte Ran das Glas kurzerhand an die Lippen. Rans Hand zitterte ihm viel zu sehr und wie er sah folgte Ran mit Verzögerung dem Glas. Er kippte ihm nach und nach den Inhalt des Glases in den ausgedörrten Mund und beobachtete mit zufriedenem Lächeln wie Ran trank.

„Gleich hast du‘s geschafft“, munterte er auf.
 

„Es tut gut“, sagte Aya schließlich und selbst seine Stimme klang ihm fremd, nicht wirklich wie das, an was er sich erinnerte. Wirklich erklären konnte er auch dieses hier nicht.

Dafür lag seine Hand nun auf Schuldigs Oberschenkel, als er dem anderen dorthin gefolgt war, während dieser das Glas abgesetzt hatte. Er schmeckte dem Wasser nach und sah auf eine Strähne seiner Haare, die sich nach vorne verirrt hatte.
 

Schuldig stellte das Glas ab und strich Ran diese Haarsträhne vom Stirnansatz aus hinters Ohr. „Wir sollten dir deine Klamotten ausziehen und dir etwas Frisches, Sauberes anziehen. Was hältst du davon, hmm? Schön warm und flauschig.“

Wie aufs Stichwort kam auch Banshee angestoben und sprang aufs Bett herauf, tappste zu Ran hin und schnurrte. Dabei rieb sie sich ganz ungeniert mit ihrem Köpfchen an Rans Knie.
 

Wieder wurde Aya überrascht von etwas Neuem und doch Vertrautem.

„Banshee…“, murmelte er und holte sie zu sich heran, lauschte ihrem Schnurren, spürte, wie sie sich an ihn schmiegte.

Doch Schuldig hatte ihn etwas gefragt… schon wieder gefragt.

„Anziehen… ist gut.“ Kleidung war immer gut, sie bedeutete Schutz… vor was auch immer. Er war gerne bekleidet. Doch er musste sich dafür ausziehen… um die Kleidung zu wechseln.

Konzentriert begann er, die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen, während er Banshee streichelte… was nicht wirklich von Erfolg gekrönt war.
 

Zu diesem Schluss gelangte auch Schuldig, der sich erhob und die beiden alleine ließ um Ran einen großen, extraweichen Schlafanzug aus dem Ankleidezimmer nebenan zu holen.

„Ich helfe dir.“

Schuldig begann die restlichen Knöpfe - denn Ran war nicht wirklich weiter gekommen - aufzuknöpfen und schob es ihm über die eine Schulter. Ran schlüpfte mit dem Arm heraus und Schuldig ging zur anderen Körperseite über, da begann Ran schon wieder in das Hemd hineinzuschlüpfen. „Ausziehen, Ran. Dann neu anziehen, ja?“

Es dauerte sein Weilchen, bis auch die Arbeitshose ausgezogen war und Ran sichtlich zitternd mit verwirrten Haaren und verwirrtem Geist vor ihm saß. Schuldig ließ die Kleidungsstücke auf den Boden fallen und half Ran seine ungeschickten Hände zu sortieren und die Schlafanzughose anzuziehen. Mit dem Oberteil verfuhren sie ebenso.

Als sie soweit fertig waren, steckte Schuldig Ran wieder unter die Decke, samt Banshee, die es sich nicht nehmen ließ, zwischen dem Aus- und Anziehen herumzuturnen. Spaßvogel.
 

„Kommst du auch?“, fragte Aya, nachdem das Zittern etwas nachgelassen hatte und er ruhiger war… ruhig genug um zu merken, dass noch jemand fehlte. Er fühlte sich einsam, sehr einsam ohne Schuldig.

Müdes Violett suchte das Blaugrün aus seinen Erinnerungen und fand es schließlich.
 

Ein vernünftiger Satz, wie Schuldigs Gehirn meldete. Er lächelte Ran zu und nickte. „Klar, komm ich auch. Ich lüfte nur noch ein bisschen.“

Er öffnete die Balkontür und ließ frische Luft herein. „Ich komme gleich wieder, bin nur schnell im Bad, schön zugedeckt bleiben.“ Schuldig bemerkte, dass ihn das sanfte Sprechen auf die Dauer anstrengte. Er kam sich schon vor wie einer der durchgeknallten Pfleger in der letzten Klinik, in der er seinen letzten ‚Kuraufenthalt’ genießen durfte.

Er verließ das Schlafzimmer und ging ins Bad um dort nach einer Bürste zu fahnden. Schnell war sie gefunden und ein Haargummi zudem auch. Zurück im Schlafzimmer setzte er sich neben Ran.

„Was hältst du davon, wenn ich dir die Haare bürste? Soll ich das tun, oder willst du deine Ruhe, Ran?“
 

„Nein, Haare bürsten ist gut“, entkam ein weiterer, sinnvoller Satz Ayas Lippen und er sah hoch zu Schuldig. Seine Hand suchte des anderen Oberschenkel und legte sich darauf, als brauche er den Hautkontakt dringend.

„Du tust mir gut…“
 

Schuldig nahm die Hand auf. Zunächst als zufällig platzierte Geste vermutet, schien eine Absicht dahinter. Ran wollte die Nähe zu ihm.

Ein sanfter Kuss erfuhr die Handinnenfläche und Schuldig legte sie wieder auf seinen Oberschenkel ab, da er nun für Rans Haare beide Hände brauchte.

„Es ist Mittag. Hast du Hunger?“

Während er die Haare Strähne für Strähne bürstete und unterteilte um sie lose zu flechten, erzählte er belanglose alltägliche Dinge über Banshee und auch, dass Yohji sie besucht hätte und wie das Wetter draußen war…
 

Hatte Aya gerade noch den Kopf geschüttelt, als Schuldig ihn gefragt hatte, ob er denn Hunger habe, lauschte er nun stumm Schuldigs Worten, die wie ein stetiges Rauschen im Hintergrund waren… und im Vordergrund die leichte Wohltat stand, die ihm hier zuteil wurde.

Leise Geräusche der ihn bürstenden Borsten lullten ihn ein, entspannten ihn.

„Was ist… passiert?“, fragte Aya schließlich und meinte seinen momentanen Zustand damit.
 

Ah… die Vernunft hielt Einzug.

Schuldig befestigte den Zopf mit einem Haargummi und ließ seine Hand auf Rans Rücken liegen.

„Du hattest einen Zusammenbruch. Dir wurde alles zuviel.“

Schuldig wartete einen Augenblick, erhob sich aber dann doch. Zuvor Rans Hand von seinem Oberschenkel nehmend. Er ließ die Jalousien wieder herab, sodass nur noch ein wenig Licht hereinschien und schloss die Tür wieder.

Dann kam er zu Ran, zog das Hemd aus, welches er nach dem Duschen übergestreift hatte und legte sich neben ihn.
 

„Wann? Wieso…?“, fragte Aya verwirrt, als er die Präsenz Schuldigs’ wieder direkt bei sich wahrnahm. Er hatte einen Zusammenbruch gehabt… vielleicht erklärte das seinen Zustand. Aber wann? Und wie?

Was hatte er getan? Warum? Ihm ging es doch gut… die letzten Wochen über.
 

„Gestern. Du hast in den letzten Jahren zu wenig verarbeitet und zu viel in dich hineingefressen. Jetzt warst du entspannt und gelöst und… es kam alles wieder zurück.“

Schuldigs Lippen suchten Rans und küssten sie, strichen über die Mundwinkel sanft zur Wange.

„Schlaf ein wenig. Ich bleib hier.“
 

„Ich möchte nicht schlafen…“

Violette Augen suchten grüne und hielten sich an ihnen fest, während Aya Schuldigs Lippen mit seinen Fingern erfühlte.

„Was habe ich… getan?“, fragte er weiter, alleine schon um das Gefühl der Rastlosigkeit auslöschen zu können.
 

„Nichts. Nur eine Flasche Wein fallen gelassen, das ist alles. Und du warst unruhig.“

Schuldig strich behutsam über Rans Rücken und seine Flanke. „Was möchtest du dann? Hast du Angst zu schlafen, Ran? Es kann nichts passieren.“
 

„Daran erinnere ich mich nicht mehr…“ Aya runzelte die Stirn, versuchte, die Ereignisse zu rekonstruieren, scheiterte jedoch. Alles war ein Wust, ein undurchdringlicher.

„Ich bin… unruhig, ich kann nicht schlafen…“, sagte er schließlich, ehrlich in Mimik und Worten, roh schier, weil er nicht ausschmücken konnte und wollte.
 

„Okay. Ich hol dir etwas. Denn du solltest schlafen. Du musst zur Ruhe kommen Ran, damit du alles verarbeiten kannst. Ist das okay?“ Schuldig streichelte Rans Halsbeuge und hob dessen Kopf vorsichtig zu sich, küsste Ran erneut.
 

Leicht zusammenzuckend, wenngleich er nicht genau wusste, warum, blinzelte Aya verwirrt. Er sollte schlafen?

Vielleicht wäre es nicht schlecht, vielleicht…

„Wann ist es vorbei?“
 

„Es wird dauern. Ein wenig Zeit musst du… müssen wir dir schon geben.“ Es war sinnlos Ran Lügenmärchen aufzutischen, auch wenn es mit der Wahrheit schwerer war. Das war es immer.

„Soll ich dich nicht küssen, Ran?“

Schuldig strich sanft über Rans Schläfe und Wange, lächelte ihm zuversichtlich entgegen. Sie waren in dämmriges Licht gehüllt.
 

„Nein… nein, du sollst nicht aufhören…“ Aya wollte nicht, dass Schuldig ging. Er wollte Schuldig in der Nähe haben.

Er zog sich langsam zu Schuldig und veränderte seine Position. Langsam fühlte er seinen Körper, konnte ihn bis zu einem gewissen Grad koordinieren.

„Wie lange…?“
 

„Shh… okay. Du zitterst wieder Ran. Ganz ruhig. Es kann nichts passieren. Du solltest nur ruhen, dann wird es bald wieder besser. Ich kann dir nicht sagen, wie lange es dauert.“

Er küsste Ran auf die Schläfe und wollte sich von ihm lösen „Ich bin gleich wieder da, ich hol dir nur die Tablette.“
 

Die schmalen Finger krallten sich zunächst an Schuldigs Körper, bevor sie ihn langsam losließen, als Aya sich bewusst wurde, dass er keinen Grund hatte, sich an Schuldig zu klammern.

„Ja… aber du bleibst hier, oder?“
 

„Ja, das bleibe ich, Ran“, sagte Schuldig fast schon feierlich. Er schalt sich selbst über so viel Rührseligkeit und erhob sich behutsam.

Er ging ins Badezimmer und öffnete dort den Schrank, holte sich eines der Pillendöschen, die noch unbenutzt waren hervor und öffnete es. Sie hatten sich nach und nach einen kleinen Vorrat an Tabletten und auch an Medikamenten, die intravenös gegeben werden konnten, angelegt.

Bisher jedoch hatten sie es nicht nötig gehabt darauf zurückgreifen zu müssen.

Zurück bei Ran gab er ihm die Kapsel und hielt ihm das Glas Wasser hin. „Hier, runter damit. Es ist nicht stark. Du wirst nur etwas ruhiger und kannst vielleicht schlafen.“
 

Aya setzte sich etwas auf und schob sich zitternd die kleine Kapsel zwischen die Lippen, trank etwas von dem Wasser und schluckte sie. Danach gab er Schuldig das Glas zurück, ließ sich auf die Matratze fallen und schloss seine Augen.

Er vertraute Schuldig. Mit seinem Leben.

Doch plötzlich öffnete er die Augen.

„Gabriele, ich muss Gabriele Bescheid sagen!“, platzte es plötzlich aus ihm heraus, panisch gar.
 

„Alles gut. Der weiß Bescheid. Du hast jetzt erst einmal Zeit um dich zu erholen. Und dann musst du wieder ran. Überstunden hat er gemeint. Aber das kriegst du schon hin. Jetzt erhol dich erst einmal.“

Schuldig stellte das Glas, während er das sagte, ab und legte sich wieder zu Ran.

„Was hältst du davon… wenn du willst, dann können wir auch ins Haus fahren…“ Stille war eingekehrt und Schuldig glaubte schon Ran hätte seinen letzten Satz nicht mitbekommen. So schnell wirkte die Kapsel nicht. Vermutlich war es das befriedigte Sicherheitsgefühl, welches Ran ruhiger machte und ihm half.
 

Während Aya schon ruhiger wurde und müder, blieb ihm Schuldigs letzter Satz in seinen Gedanken hängen.

In das Haus…

In die Ruhe…

„Ja… das ist… gut…“, erwiderte Aya träge und blinzelte. Gabriele war informiert… das war gut, er wollte seine Arbeit nicht verlieren…

Seine Augen fielen zu und er versuchte sie wieder zu öffnen, doch irgendwie wollte er nicht mehr so recht.
 

o~
 

Die letzten beiden Tage waren für Aya ein undurchdringlicher Nebel gewesen, den er nur langsam durchpflügte und sich in die Welt der Wachen begab. Langsam lernte er, aus dem Bett aufzustehen… am ersten Tag zu Schuldigs Schrecken, als er sich mitten in der Nacht ins Badezimmer begeben hatte und nicht mehr ins Bett zurückgekehrt war, weil er auf der Bank sitzen geblieben und tief in seine Gedanken versunken war.

Als er am nächsten Tag aufgewachte, hatte er langsam wie von neuem die Wohnung erkundet und sich schließlich nahe dem Fenster niedergelassen.

Alles, was in den letzten Monaten, gar Jahren passiert war, ließ er vor seinem geistigen Auge passieren, blind für die Außenwelt und seine Bedürfnisse wie essen oder trinken. Er hatte auch keinen Hunger, wurde jedoch von Schuldig dazu gedrängt, etwas zu sich zu nehmen… so entschloss Aya sich für das Minimum.

Doch daran dachte er gerade jetzt nicht. Nun saß er, beschienen von der warmen Frühlingssonne, auf der Terrasse und lauschte dem Meeresrauschen. Seine Gedanken weilten bei seiner Zeit bei Schuldig, der unfreiwilligen Zeit, bei all dem, was er aus dieser Zeit gelernt hatte, was er in dieser Zeit empfunden hatte.
 

Schuldig hatte derweilen von Ran schon länger nichts mehr gehört und nicht wirklich etwas gesehen. Der Schatten, der hier in der Wohnung herumhuschte, forderte nichts ein.
 

Deshalb hatte Schuldig heute etwas Besonderes vor und dieses Besondere war gerade fertig geworden. Er öffnete den Backofen und holte das Backblech heraus.

Ran saß auf der Terrasse, die Beine angezogen und lauschte auf das Leben um ihn herum. Die letzten Tage hatte Schuldig ihn in Ruhe gelassen, hatte ihn das machen lassen, wozu er Lust gehabt hatte. Auch wenn dies hieß, dass er keinen Hunger hatte - Schuldig ließ ihn damit in Ruhe. Bis er schließlich etwas angenommen und gegessen hatte.
 

Auf dem Blech thronte nun der selbstgemachte Apfelstrudel und Schuldig teilte zwei schmale Stücke davon ab um sie auf einen Teller zu geben. Es folgte Puderzucker auf die knusprige Oberfläche gefolgt von einem ordentlichen Sprüher Sahne. Danach goss er die heiße Schokolade in eine Tasse und stellte beides samt Besteck auf ein Tablett. So bewaffnet ging er nach draußen zu Ran
 

Es war zunächst der Geruch, der sich zu Aya trug, der ihn aus seiner stummen Beobachtung riss… oder vielmehr soweit herausholte, dass er den Kopf zur Seite drehte und sein Blick auf Schuldig traf.

Er kannte den Geruch, seine Augen erkannten auch das, was dort auf dem Tablett thronte, weil er sich in den letzten Minuten an das Gebäck erinnert hatte, das er vergebens für Schuldig gebacken hatte.

Seine Augen wanderten hoch zu Schuldigs und hielten sich stumm an ihnen fest. Sprechen wollte er noch nicht, nur dann, wenn er sich stark genug dazu fühlte.
 

„Hi.“

Guter Einstieg, beschied Schuldig sich selbst und setzte sich auf den Sessel neben Ran, stellte sein Tablett zwischen sie auf das Tischchen.

Er lächelte Ran charmant an. Nein, es war ein Herzensbrecherlächeln, dem normalerweise niemand widerstehen konnte. Man musste mitlächeln.

„Es ist Nachmittag und du hast noch nichts gegessen. Ich dachte, du hättest vielleicht Lust mit mir einen Apfelstrudel zu essen. Dazu gibt es eine heiße Schokolade mit Milchschaum.“

Er ließ seine Worte bei Ran einsickern, bevor er ihm einen Teller samt Gabel reichte.
 

Der stumme Blick schweifte über die Dinge, die nun in seiner erreichbaren Nähe standen. Tatsächlich… es war ein Apfelstrudel und er roch…

„…besser als meiner…“, veräußerte Aya seine Gedanken alleine um des Veräußerns willen, allerdings mit einem winzigen Lächeln, das unwillkürlich das des anderen spiegelte. Die rechte Hand, die bis gerade eben noch eine Strähne seiner offenen Haare festgehalten hatte, drehte sich nun zusammen mit Aya zum Tisch herum und blieb an der Tasse hängen.

„Heiße Schokolade…“, murmelte er wie eine Beschwörung, jedoch mit einem eindeutig gierigen Einschlag, auch wenn dieser sich noch sehr in Grenzen hielt und nahm die Tasse langsam, vorsichtig auf.
 

Schuldig stellte den Teller vor Ran hin.

„Probier ihn erst einmal, bevor du meine Backkünste lobst. Obwohl… ich muss zugeben, ich hab ihn schon das eine oder andere Mal gemacht.“ Schuldig teilte ein Stück seines Apfelstrudels ab und stellte ihn dann wieder auf den Tisch zurück. „Viel zu heiß… kommt frisch aus dem Ofen. Bin gleich wieder da.“

Er stand auf und ging wieder in die Küche um sich seinen Kaffee zu holen, der dort noch in der Kanne auf ihn wartete.

Sich Zeit damit lassend beobachtete er Ran durch die Distanz der offenen Wohnung. Er sah nur die Rückfront von Ran und dessen bedächtige Bewegungen.

Erst nach einem Weilchen des Trödelns ging er wieder nach draußen. „So…“, seufzend setzte er sich, zog die Beine auf die Liege und stellte seinen Kaffee ab.
 

Violette Augen wanderten von der Schokolade wieder zu Schuldig und der Telepath wurde erneut mit einem kleinen Lächeln belohnt.

Aya stellte langsam den Kakao ab, von dem er in der Zwischenzeit schon etwas getrunken hatte und nahm den vor ihm stehenden Teller auf.

Vereinzelte Dampfschwaden zogen zu ihm herauf und kündigten ihm das, was Schuldig auch schon geäußert hatte, an. Vorsichtig trennte er ein Stück ab und probierte es, aß es langsam, in Gedanken versunken.

„Du backst gut“, sagte er schließlich, gab Schuldig auch eine Rückmeldung, dass er dessen Worte vernommen hatte und auf sie reagierte.
 

Langsam reagierte. Viel zu langsam.

„Da siehst du mal! Ein Backgenie!“

Rans Stimme fehlte die Energie. Doch Schuldig war geduldig, denn er wusste um derartige Auswirkungen seelischer Überlastung. Nur zu gut.

Er erwiderte Rans Lächeln und lehnte sich faul zurück, schob die Arme über die Kopflehne, ließ sein Hemd rechts und links ganz ungeniert flattern und pfläzte sich mit einem zufriedenen Grinsen in die nachmittägliche Sonne.
 

„Er schmeckt besser als meiner. Meiner… hat… war… kalt. Er war matschig und er hat nicht geschmeckt.“

Die Stirn runzelnd sah er Schuldig an, dann den leckeren Apfelstrudel. „Aber Crawford hat ihn gegessen und nicht nur er.“

Ein weiteres Stück folgte dem ersten zwischen die Lippen und dem zweiten ein drittes. „Er hat ihn damals im Backofen aufgewärmt.“
 

Schuldig drehte seinen Kopf zu Ran hinüber und beobachtete dessen Mimik, die durchaus offener als gestern war. Mehr Mienenspiel war zu beobachten. Und das Lächeln, welches Ran ihm geschenkt hatte, lockte einen verliebten Gesichtsausdruck auf Schuldigs Gesicht. Er betrachtete sich Ran, seine Lippen, seine Wangen, die Augen, die teils noch viel zu verloren dreinblickten.

„Ich habe für die Rasselbande schon ein paar Mal einen Apfelstrudel gemacht. Und gelungen ist er mir nicht immer. Deshalb hat sich Brad wohl nicht nur bei dir so beholfen.“
 

„Oh.“

Das wusste er nicht. Das hatte Crawford ihm nicht erzählt, befand Aya für sich und löste seine Beine aus ihrer schützenden Position. Der Teller fand seinen Platz auf seinem Schoß und Aya holte sich den Kakao heran.

„Kann er denn backen? Er scheint… nicht der Typ für so etwas“, sinnierte Aya mit Blick auf Schuldig und dessen Lippen, wie sie den Strudel vertilgten. Die geliebten Lippen, wie Aya sich sagte und erstaunt war, dass es mit dem einfachen Genuss von so etwas... Leckerem viel leichter von der Hand ging, Dinge zu denken und zu veräußern.
 

Die schalkhaften Lippen, die ihr süßen Mahl wieder aufgenommen hatten und nun kauend grinsten.

Der Zusammenbruch hatte wohl bewirkt, dass Rans innere Zurückhaltung, was eine Konversation über Brad anging, reduziert war.

„Nein, er backt nicht. Aber er isst gern gute Dinge. Er lässt sich kulinarisch gerne seinen Bauch bepinseln.“
 

„Aber er hat gekocht… oft… als du nicht da warst. Und Essen bestellt. Das hat er gut gemacht…“ Aya schwieg für einen Moment, bevor er sich bewusst wurde, dass dieser Satz vielleicht etwas missverständlich war. „…das Kochen, meine ich. Er hat gut gekocht. Genauso gut wie du.“

Nicht nur Crawford war ein Thema, das Aya nun mit Ehrlichkeit bedachte und ausplauderte, wie er es meinte.

Er aß weiter, trank hin und wieder seinen Kakao und hing dem Kaffeeduft aus Schuldigs Tasse nach.
 

„Ich liebe dich, Ran.“

Schuldig hatte seinen leeren Teller auf das Tischchen zurückgestellt und lag wieder mit seinem gefährlich lässigen Lächeln auf der Liege und betrachtete sich Ran.
 

Aya spürte den Verlust der Tasse erst, als sie mit einem Scheppern auf dem Steinboden der Terrasse zerschellt war und der übrig gebliebene Kakao sich zwischen den Scherben verteilte.

Er wusste noch nicht einmal, warum Schuldig ihn mit seinen Worten so schockierte, warum seine Augen den anderen so fassungslos anstarrten… so überrumpelt und überfahren.

Warum sie mit der rohen Wahrheit und Bedeutung dieser Worte so dermaßen erschlugen.

Er blinzelte verwirrt, auch vielleicht ob der Träne, die sich aus seinen Augen gelöst hatte und der nun einige nachfolgten.
 

Shit. Zu früh.

Nachdem Schuldig die ersten Gedanken für sich verbucht hatte, erhob er sich schmunzelnd und kam zu Ran. Er umschiffte die Scherben und setzte sich von der anderen Seite zu Ran, strich ihm eine der langen Strähnen aus dem Gesicht. Ein Arm schlich sich um Rans Vorderseite, der andere wurde dazu benutzt um sich abzustützen. „Hey. Ist gut, Ran.“
 

Ein schwaches Lächeln versuchte Schuldig zuzustimmen, doch die Tränen liefen und liefen, egal wie sehr Aya sie sich auch von den Wangen wischte.

Er lehnte sich an die Nähe des anderen, suchte sie.

„Ich… freue mich…“

Er wusste, dass das nicht der momentanen Wahrheit entsprach, denn er empfand aktiv wenig… doch die Worte waren bekannt, er erinnerte sich an sie und er erinnerte sich an sein Gefühl als Reaktion auf diese Worte.
 

„Alles gut“, Schuldig beugte sich vor und küsste Ran auf die trännennasse Wange. Er nahm Ran in seine Arme und strich ihm über den Rücken.

Morgen würde er die Honigbällchen machen. Mal sehen, ob Ran schon für diese bereit war.

Immerhin entlockte er ihm einige Regungen.
 

Sich an Schuldigs Wange lehnend, ließ Aya diese Nähe zu, entspannte sich unwillkürlich und ohne feste Absicht.

„Ja… alles ist gut“, stimmte er Schuldig zu und merkte, dass die Tränen schwächer wurden, weniger auf seinen Wangen. „Ich finde es schön, dass du… das gesagt hast. So schön.“

Seine Hand kehrte zurück zu seinem Apfelstrudel, nicht wissend, was sie sonst machen sollte. Er musste doch noch den Strudel essen… wo er schon seinen Kakao verloren hatte.
 

Schuldig hielt Ran weiter im Arm während dieser sich an dem restlichen Apfelstrudel machte. Es war als bräuchte Ran diesen nahen Kontakt, selbst beim Essen.

Die letzten Nächte war Schuldig stets sehr nahe an Ran gelegen, jedoch hatte dieser sich in sich selbst abgekapselt.

„Möchtest du noch etwas von der Schokolade? Es ist noch etwas auf dem Herd.“
 

„Ja… ich möchte noch Kakao.“ Ayas Lippen streiften Schuldigs Haut, als Zeichen dafür, dass er dankbar war, es aber nicht adäquat äußern konnte. Noch nicht… noch war er zu sehr in sich selbst versunken.
 

o~
 

Das war er auch noch zwei Tage später… doch nicht mehr ganz so fern der Realität, wie noch vor kurzer Zeit. Sein momentanes Bestreben war es, Schuldig zu beobachten… Schuldig und dessen Tun, dessen Macken, die er akribisch für sich auflistete und deren Liste er stetig weiterführte.

Schuldig, wie er immer wieder angefangene Flaschen in der Wohnung verteilte, sie dann suchte und fluchte, wenn er sie nicht fand oder wenn sie schon zu alt waren, als dass er sie austrinken konnte. Schuldig, wie er fluchte, als er das Bad putzte, wie er leise vor sich hin meckerte, dass es nun seine Aufgabe war… und dass Aya es sehr schnell wieder übernehmen würde, wenn es ihm gut ginge. Aya war sich bewusst, dass Schuldig nicht wusste, dass er zuhörte… vielleicht hätte er es sonst nicht gesagt. Aber alleine die Tatsache rang Aya ein Schmunzeln ab… wie ihm vieles in der letzten Zeit ein Schmunzeln abrang… wie ihm auch vieles Tränen abrang, die überraschend kamen und ihn auch überraschend wieder verließen. Sie machten ihn traurig, doch diese Phasen waren nach Minuten schließlich wieder vorbei.

Dafür aß er mehr, hatte mehr Hunger als zuvor. Wie auch jetzt, wo er eine Paprika bei sich hatte, eine grüne, die er sich aus dem Kühlschrank genommen hatte, während Schuldig ihr Badezimmer putzte.

Die Staubmäuse unter dem Bett hatte er aber vergessen.
 

Es war ja schließlich das Badezimmer und nicht das Schlafzimmer welches Schuldig als Schauplatz seines Putzkrieges auserkoren hatte. Ein Pirat stellte ein kümmerliches modisches Püppchen gegen sein Putzoutfit dar. Die ausgefranste Jeans, das Dolce & Gabbana Unterhemd, samt leuchtend grünem Kopftuch mit weißen Totenköpfen darauf, welches pflichtschuldigst in bester Putzmanier zu einem Dreieck gefaltet im Nacken gebunden ward. Dies alles war seine Rüstung gegen den Schmutz.

Putzen musste er allerdings trotzdem noch.
 

Nach einer Stunde glänzte das Bad jedoch und Schuldig schlappte abgekämpft barfüssig in die Küche und öffnete sich eine Dose Bier, die er aus dem Kühlschrank entnommen hatte.

Blieb nur noch der Rest der Wohnung, seufzte er, die kühle Dose an seine geröteten Wangen haltend. Wo war eigentlich Ran?
 

Auf seiner Couch saß Aya und hatte somit einen guten Blick ins Bad gehabt…die Küche konnte er nicht ganz so gut einsehen. Schuldigs Couch wäre nicht so günstig gewesen…

Er knabberte an der Schote, neben sich Banshee, die sich seit langer Zeit wieder auf seinem Schoß eingerollte hatte und zufrieden schnurrte. Seine linke Hand lag auf ihrem kleinen, weichen Körper, der ihn wärmte.

Es roch frisch…nach Reinigungsmitteln.
 

Von denen Schuldig reichlich gebraucht gemacht hatte. Viel half schließlich viel!

Schuldig suchte Ran, den er auf seiner kleinen Couchinsel auf der Meerseite der Wohnung fand und er ging mit seinem Bier zu ihm. Bei ihm angekommen setzte er sich auf die Couchlehne und ächzte theatralisch.

„Alle Keime sind erledigt!“
 

„Gemeiner Pirat… hast du alle Gegner vernichtet“, lächelte Aya, nahm Schuldig leichter zur Kenntnis als vorher. Er konnte sich mittlerweile gänzlich auf ihn einstellen und mit ihm sprechen… er reagierte nicht mehr ganz so emotional auf Schuldigs Taten und Äußerungen.

Seine Hand fand samt Paprika den Weg zu Schuldig, bis Aya bewusst wurde, dass er das Gemüse erst ablegen musste, bevor er seine Hand auf Schuldigs Oberschenkel legen konnte… er brauchte manchmal noch etwas länger für solche Reaktionen. Seine Hand legte die Paprika auf den Teller und kam dann vom grünen Gemüse zurück zum leuchtend grünen… auch Schuldigs Kopftuch genannt und stupste einen der Totenschädel an.

„Beängstigend…“, meinte er, ein kleines Stück altem Humor aus seinen Worten blitzend.
 

„Gruselig, nicht wahr? Dient der Abschreckung!“ Schuldig schmunzelte über Rans Paprikaproblem, sagte jedoch wohlweislich nichts.

Ran übte sich in Humor und er wollte dieses positive Zeichen der Genesung nicht durch eine stichelnde, humoristische Erwiderung zerstören.

„Wie geht’s der Kleinen?“, fragte Schuldig und strich ihrem Katzenteenie über das weiche Fell.
 

Besagter Teenie hob verschlafen ihren Kopf und blinzelte Schuldig aus nicht ganz wachen und empörten Augen an, was Aya zu einem Lächeln brachte… aber auch Schuldigs Wort ließen ihn lächeln.

„Der böse, rothaarige Pirat…“, sinnierte er und seine Gedanken bekamen einen kleinen Schubs, dachten weiter, als sie es bisher getan hatten; sie sponnen sich Dinge zusammen, die außerhalb der Realität lagen und über die er bewusst nachdenken wollte. „Du würdest gut in diese Zeit passen…“
 

„Ja… meinst du?“ Schuldig rutschte zu Ran auf die Sitzfläche der gemütlichen Couch und legte den Kopf in den Nacken.

„Wär schon nicht schlecht. Aber ich glaube… heute ist es viel bequemer als damals. Und wenn ich daran denke, dass ich damals auch telepathische Fähigkeiten gehabt hätte…

Dann wäre ich wohl nicht Pirat sondern König geworden. Hmm… nein, zu auffällig. Vielleicht besser irgendein Graf oder Fürst. Rauschende Feste, interessante Reisen…“

Er ließ den Kopf zur Seite fallen und blickte Ran ins Gesicht. „Ich würde dann mit meinem eigenen Schiff nach Japan segeln und die Japaner ärgern! Da hätte es bestimmt einen rothaarigen Schwertträger gegeben…“
 

Aya brauchte nicht lange um zu wissen, wer damit wohl gemeint sein könnte.

Weniger als eine Sekunde.

„Ich wäre einer der Samurai gewesen, ganz sicher. Und hätte dich schon damals bekämpft...“ Das wäre sicherlich so gewesen, egal zu welcher Zeit, egal an welchem Ort… ihre verschiedenen Einstellungen und Masken, die sie trugen und lebten, hätten sie oberflächlich immer getrennt.

„Wieso haben wir nicht schon eher gemerkt, was wir füreinander empfinden?“
 

Schuldigs Hand samt fingerbewährten Komplizen ärgerten immer noch Banshee. Er hielt inne als er Rans Frage vernahm.

„Das ist eine gute Frage.“ Was konnte er darauf antworten?

„Manchmal dauert es vielleicht ein wenig, bis man das findet, was zu einem gehört und das was zu einem passt. Und oft… bekämpfen wir …“ er stockte in seinen Worten, hielt Rans Blick aber intensiv fest. „… das, was zum Teil in uns steckt und der andere uns spiegelt.“
 

Ayas freie Hand legte sich instinktiv auf seinen Brustkorb, auf das Herz, das hinter den Rippen schlug.

„Wir haben jahrelang uns selbst bekämpft, auch wenn wir uns gehasst haben?“ Sie waren einen Weg gegangen, den fast alle Menschen nicht gingen… sie wechselten vom Hass zur Liebe. Der umgekehrte Weg – schwieriger, steiniger, unmöglicher.

Und doch waren sie hier.

„Was, wenn wir uns… zu Takatoris Zeiten näher kennen gelernt hätten? Wenn du dann… mir dann Urlaub gegönnt hättest?“
 

Schuldig lächelte. Wissend. Alt. Traurig.

„Das hätte ich nicht“, wisperte er. „Das hätte ich damals nicht, Ran.“

Er schloss für einen Moment die Augen.

„Ich brauchte die Zeit um mich zu verändern. Ich machte eine Veränderung durch, lenkte meine Gedanken auf andere Dinge, auf andere Möglichkeiten und ich strebte nach… etwas anderem. Durch dieses Streben änderte sich alles. Für mich und auch… für… dich. Und für alle anderen. Ich habe alles geändert, wenn du so willst, Ran.“ Ohne seine fixe Idee wäre weder Schwarz, noch Weiß, noch Kritiker in der Position, in der sie jetzt waren.
 

Aya brauchte etwas länger, um diese Worte für sich nachzuvollziehen und zu verbuchen.

„Du hast alles zum Guten geändert…“ Auf eine Art und Weise, die schmerzhaft war, die in Aya jetzt noch schmerzhaft nachklang. Die Weiß nun auch noch schmerzhaft zu spüren bekam… doch es würde sich alles bessern. Es kam Bewegung in ihr Leben, es änderte sich.

„Ich fand… und finde nicht immer alles gut, was du getan hast… uns angetan hast, doch letzten Endes…“ Ayas Stimme verklang, als er kurz den Gedankenfaden verlor. „…letzten Endes bist du ein guter Mensch.“
 

„Oder der… Teufel.“

Ja. Oder der.

Der veränderte auch und es war ihm egal, ob zum Guten oder zum Schlechten. Dem Teufel ging es nur um die Veränderung. Um die Bewegung.
 

„Dafür tust du zuviel Gutes… du bist ein Mischwesen.“

Das war Ayas Wahrheit. „Du bist gut zu mir, hast es, seitdem wir uns… näher kennen, immer versucht. Gut zu sein. Du hast mir… Liebe gegeben. Mir.“ Ayas Blick war abwesend, als wäre es für ihn immer noch unverständlich, was es zu manchen Teilen durchaus noch war. „Du bemühst dich, nicht nur um mich…“

Seine Hand legte sich auf die des anderen und drückte sanft zu.
 

Ja, er war der heilige Sankt Martin. Schuldig besah sich Ran immer noch mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Innerlich rollte er mit den Augen und schüttelte er den Kopf.

Ran wirkte die Ehrlichkeit eines Kindes auf ihn und Schuldig erlag dieser Wirkung. „Ich mag es wenn du mir aufzählst was ich alles Gutes getan habe.“ Schuldigs Stimmlage hatte sich um eine Nuance verändert.

Diese entwaffnende Ehrlichkeit eines Jemandes, der nichts zu verlieren hatte oder nicht wusste was es zu verlieren gab. Etwas in Schuldig wusste nur zu genau, was er Ran rauben konnte.

Und doch… gerade jetzt fühlte er die perfekte Zufriedenheit in sich. Er fühlte… Ran gehörte ihm. Nur ihm.
 

Aya schwieg und sein Blick richtete sich auf seine Umgebung.

Seine Gedanken verfolgten Schuldigs Wesen, seine guten und schlechten Aspekte und Taten.

„Deine dunkle Seite…“, fing er schließlich an, völlig in seinen Gedanken versunken. „Sie gehört zu dir… und auch sie ist gut… und böse. Beides.“ Er runzelte die Stirn.
 

Geschmeidig und mit voller Absicht viel zu schnell für Rans momentane Langsamkeit kam Schuldig über Ran und drängte ihn rückseitig auf die Couch.

Dieser Vorgang ging sanft von Statten, denn Schuldig hatte Ran an den Oberarmen gehalten als er ihn in eine liegende Position geleitete. Sein Gesicht drückte Ruhe aus, allerdings waren seine Augen von bezähmtem Frieden durchtränkt. Sie senkten sich dicht über Rans Gesicht, bis in seinem Blickfeld nur mehr geheimnisvoll umrandetes mattes Violett übrig blieb. „Du gehörst mir“, wisperte er an die weichen Lippen. Kaum waren diese Worte laut geworden, nur Bruchstücke drangen an ihre Ohren. Es war mehr ein kalter Hauch mit warmen Lippen hervorgebracht.
 

Der Positionswechsel war in der Tat zu schnell für Aya gewesen, der nun auf dem Rücken lag und sich darüber wunderte, bis seine Gedanken nachzogen von Schuldigs Handlungen bis hin zu seinen Worten. Worte, die er vor allem mit jemandem verband, der mit Schuldig verbunden war.

Er blinzelte langsam ob des Hauches an seinen Lippen und sah in die grünen, schelmischen Augen. Die grünen Augen der anderen Seite.

„Nein… aber das weißt du doch auch…“ Er lächelte. Sie hatten es so oft gehabt, dieses Thema, daran erinnerte er sich. Schuldig hatte immer wieder das gleiche gesagt und er hatte immer wieder das Gleiche geantwortet.
 

In Schuldigs Augen stand die Genugtuung und vor allem war dort abzulesen, wie überlegen er sich Ran fühlte.

„Oh, doch.“

Seine Zungenspitze strich über Rans Lippen, tastete, schmeckte.

„Gerade jetzt, so hilflos, so weich, wie du jetzt bist. Keine Schranken, keine Mechanismen, die dir antrainiert wurden, weder in deiner Kindheit noch von Kritiker, stehen zwischen uns. Nur du und ich. Und du gehörst mir.“
 

Aya ließ sich schmecken, schmeckte schließlich Schuldigs Spuren auf seiner Haut, seinen Lippen, nach. Wie immer schmeckte Schuldig...vertraut und gemocht.

„Gerade jetzt… so hilflos und weich, ohne antrainierte Schutzmechanismen, weiß ich, dass ich dir nicht gehöre“, sagte er bedächtig, mit einer hundertprozentigen Ehrlichkeit in der Stimme. Seine Augen, sein ganzes Wesen war offen für Schuldig und dessen Überlegenheit, die in den grünen Augen stand, denn diese Worte, das war er, das war sein Innerstes.
 

„Du weißt… dass du mir gehörst. Ich werde immer in deinen Gedanken sein, ich werde immer in deinen Gefühlen sein, ich werde entweder der Hass oder die Liebe für dich sein. Ich war es und werde es immer sein. Ich bin in jeder Faser deines Geistes und deines Körpers. Ich fülle dich aus. Ich bin deine Stärke und ich bin deine Schwäche.“

Schuldig griff nach Rans Haaren, wickelte sich eine Strähne um die Hand, ließ seiner Zunge, seine Lippen folgen.

„Selbst wenn ich tot bin, werde ich immer in dir sein und somit gehörst du mir.“
 

Aya runzelte seine Stirn, als er die Logik dieser Worte nachvollziehen wollte. Mit deutlicher Klarheit sah er, dass Schuldig Angst hatte, dass er, Ran, irgendwann einmal Gleichgültigkeit ihm gegenüber empfinden könnte.

„Du bist… ein Teil meines Lebens, meines Geistes, meines Körpers. Doch du bist nicht in meinen Gedanken oder in meinen Gefühlen… du füllst mich nicht aus… du begleitest mich“, erwiderte er schließlich, zu dem Entschluss gekommen, dass das die Wahrheit war. Die übliche Ablehnung, die auf Schuldigs besitzanzeigende Worte folgte, gab es heute nicht.

„Ich werde dich nie vergessen… ein Schatz in mir.“
 

„Ja… ein Schatz in dir. Ein Gift… das du nie wieder los wirst.“

Schuldigs Zunge glitt in Rans Mund, drang tiefer ein und lockte Rans Zunge zu einem zärtlich innigen Spiel.
 

Ganz damit beschäftigt, diese Berührung, dieses Gefühl zu erforschen, vergaß Aya seine Antwort und reagierte auf Schuldigs Spieltrieb mit seinem eigenen, neu entdeckten, der momentan daraus bestand, von seinen Zähnen Gebrauch zu machen und Schuldig in die Zunge zu zwicken. Seltsam das Gefühl dieses feuchten Stück Fleisches zwischen seinen Lippen, das so glitschig und leicht rau war.
 

Irritiert zog Schuldig sich zurück und starrte Ran stumm an. Er sagte eine Weile nichts. Ran hatte ihn noch nie gebissen, hatte ihn noch nie in die Zunge gezwickt, während eines Kusses.

Ran wollte das nicht. Der Japaner fühlte nichts für Schuldig im Augenblick und er hatte keine Ahnung, was er mit diesem Kuss anfangen sollte.
 

„Du fühlst dich interessant an…“, sagte Aya schließlich, nun wieder Herr seiner Stimme und lächelte. Es war ein verträumtes, schwaches Lächeln, doch seine Aufmerksamkeit war definitiv auf den Lippen des anderen. „Ich habe das… noch nie getan. Fühlen, wie deine Zunge sich anfühlt…“
 

„So… nicht? Was hast du denn dann immer getan, während wir uns geküsst haben?“

Schuldig legte den Kopf fragend zur Seite und hob eine Braue.
 

„Dich nicht gebissen…“ Aya lächelte schelmisch und strich Schuldig die hochgehobene Braue nach. Er spürte den Körper des anderen nach, wie er warm und schwer auf seinem lehnte.

„Ich habe dich nur in andere Körperteile gebissen…“ Seine Hand strich dir Kehrseite hinab. „Hier. Zum Beispiel.“
 

„Tatsächlich. Das hast du", schien Schuldig darüber nachsinnen zu müssen, was er im Nachhinein noch als Strafe dafür erheben könnte.
 

Ran wurde langsam aber stetig wieder wie vor seinem Zusammenbruch. Oder. nein, er war der Gleiche, aber dennoch anders. Es besserte sich und das Warten und die Mühe hatte sich gelohnt.
 

“Wenn du schon zu solchen Experimenten fähig bist, hättest du auch das Bad putzen können“, befand er... und das durchaus im Ernst.
 

Vermutlich war es die Nähe des Anderen, die Aya dazu brachte, Schuldig necken zu wollen, eben weil es vertraut und gemocht war. Sie hatten sich schon immer geneckt… früher getriezt, also tat er das, was sein Instinkt ihm sagte.

„Nein“, erwiderte Aya durch diesen Ernst hinweg. „Ich möchte mich auf dich konzentrieren… auf dich, wie du das Bad putzt.“ Offenheit schlug Schuldig hier entgegen… Offenheit und Ehrlichkeit mit einem guten Schuss an altem, schwarzen Humor, der sich jedoch noch gut versteckte.
 

„Klar. Anderen beim Arbeiten zuzusehen ist durchaus unterhaltsam.“ Schuldigs Worte kamen ebenso ernst zurück. Allerdings stand auch ein großes Fragezeichen dahinter. Er wusste nicht, was er mit diesem Ran anfangen sollte. Etwas in ihm hatte sich diesen Mann wie jetzt gewünscht. Ihm ausgeliefert, fügsam. Doch… scheinbar wusste es jetzt nichts damit anzufangen.
 

Eine Melodie drang an sein Ohr und Schuldig wandte den Kopf irritiert. Rans Mobiltelefon auf dem Tresen der Küche verbalisierte einen Anrufer.

Schuldig blickte zu Ran zurück. Dieser schien kein Interesse an dem sonst für ihn so wichtigen Gerät zu haben.

„Ist für dich.“
 

Aya sah langsam auf, lauschte auf den Ton, der ihn sonst zum Aufstehen zwang. „Ich mag nicht“, sagte er mit Blick auf Schuldig. Denn dazu müsste er aufstehen… er müsste sich auf ein Gespräch konzentrieren, das er nicht mit Schuldig führte. Das wollte er nicht. Es war ihm unangenehm… irgendwie. Auch wenn ihm eine kleine, innere Stimme einflüsterte, dass besagtes Handy sonst doch so wichtig für ihn war. Doch diese Stimme verhallte.
 

Schuldig war wichtiger als der vermeintliche Weiß-Anrufer?

Das war neu.

Der in Rans Gunst aufgestiegene Telepath schob sich von Ran herunter und erhob sich. Er kletterte über die Lehne. Mit einem schwungvollen Satz war er auf dem Boden und auf dem Weg zum Mobiltelefon. Die weitläufige Wohnung zu durchqueren hielt den Anrufer nach verstrichener Zeit nicht davon ab es erneut klingeln zu lassen.

Schuldig hob ab.

„Ja?“ Er wandte sich zu Ran um und schlenderte einige Schritte in den großen Raum hinein.
 

Etwas irritiert, dass er anstelle von Ran nun den Deutschen am Telefon hatte, ließ Youji erst einmal zwei Sekunden verstreichen, bevor der Schuldig antwortete.

„Ich bin es… Youji“, sagte er, mit nicht zuviel Freude in der Stimme, den Telepathen zu hören. „Wie geht es Ran?“

Angesichts der Tatsache, dass Ran nicht an sein Telefon ging, ging es ihm wohl noch nicht so gut… auch wenn Youji das Gegenteil gehofft hatte, da nun schon ein paar Tage vergangen waren, seitdem es zu dem Ausbruch gekommen war.
 

„Gut.“

Schuldig war an der quadratischen Vertiefung der Wohnung angekommen, ging die zwei Stufen hinunter und lehnte sich an die Lehne der niedrigen Couch die dort stand und den Mittelpunkt des Raumes darstellte. Sein Blick ging zu Ran hinüber.

„Er ist von meinem Anblick gefesselt… könnte man sagen.“ Schuldigs Stimme hatte einen leicht aufrührerischen und kratzigen Unterton. Spielerisch, gefährlich.

Allerdings bemerkte er es selbst nicht.
 

Violette Augen beobachteten Schuldig genau, hörten auf dessen Worte ohne sie zu kommentieren. Ihm war es egal, wer dort am anderen Ende der Leitung war, doch Schuldig war ihm nicht egal. Das hatte er mittlerweile festgestellt und es war eine gute Feststellung. Ein kleines Schmunzeln lag auf seinen Lippen.
 

„Wie meinst du das?“, fragte Youji, auch wenn er nicht wirklich glaubte, dass Schuldig Ran etwas Böses antun würde… oder? Oder spielten sie gerade eines ihrer Spielchen und Ran war nicht in der Lage, zu antworten? War das denn jetzt schon günstig? Oder war Ran wieder wild geworden? Doch würde Schuldig es dann so ausdrücken?
 

Den Blick Richtung Ran gerichtet, der dort lag und ihm völlig vertraute, ihn machen ließ und… das obwohl dieser genau gehört hatte, was er gesagt hatte.

Mit diesem auf Ran gerichteten Blick begann sich um Schuldigs Mundwinkel ein durchaus lässiges, wenn auch gemeines Lächeln auszubreiten.

„Wie ich es gesagt habe. Er ist mir ganz ergeben und mein Anblick fesselt ihn. Was willst du eigentlich, Kudou?“
 

Ran war Schuldig NIE ganz ergeben… das wusste Youji aus den Gesprächen, die sie geführt hatten. Die sie zuletzt geführt hatten.

„Ich will wissen, ob es ihm gut geht“, kam es nun schon unfreundlicher von Youji und er runzelte die Stirn. „Was machst du gerade mit ihm?“ Ja, als wenn Schuldig ihm darauf eine ehrliche Antwort geben würde. Als wenn… „Ich will ihn sprechen.“
 

„Er möchte aber nicht mit dir sprechen. Oder hast du nicht bemerkt, wie lange es dauerte, bis jemand abgenommen hat? Es interessiert ihn nicht, wer ihn sprechen möchte.“

Schuldig fand Gefallen an diesem Gespräch.

„Mit ihm kann man nichts machen, Kudou. Er ist Wachs in meinen Händen und es würde keinen Spaß machen, mit ihm irgendetwas zu tun.“
 

Ran war immer noch so apathisch wie ganz zu Anfang?

„Heißt das, sein Zustand hat sich in den letzten Tagen nicht verbessert?“, fragte Youji, die beißenden Anspielungen des anderen übergehend. Zumindest in seinen Worten, denn in seinen Gedanken verfluchte der blonde Weiß Schuldig dafür umso mehr. Doch das war nichts Neues und gehörte zum alltäglichen Umgangston zwischen ihnen beiden. Youji kam sich vor wie die ungeliebte Schwiegermutter.
 

Zur gleichen Zeit begab sich jener apathische Mann, der eigentlich gar nicht mehr so apathisch war, auf die Wanderschaft zu Schuldig, getrieben von der kleinen Stimme in seinem Hinterkopf, dass dieses Gespräch vielleicht interessant war.

Er streifte eine der Pflanzen und blieb für einen Augenblick in ihrem Anblick versunken, bevor er sich neben Schuldig niederließ und so seine Neugier, von diesem Gespräch mehr mitzubekommen, nachkam.
 

Ran durchquerte das Wohnzimmer und überwand die bestimmt zehn Meter zu Schuldig.

„Doch der Zustand hat sich verändert… oder gebessert.“ Schuldig wandte sich zu Ran um, der auf der Couch saß und sah auf ihn hinunter.
 

„Wie äußert sich das?“ Auf zur Frage- und Antwortstunde, doch solange Youji seine Antworten bekam…

Sich unbewusst, dass eben jener Mann gerade auf seine Stimme lauschte, da er sich vom Polster der Couch auf die Rückenlehne gehievt hatte und nun neben Schuldig saß, die Augen interessiert auf die Lippen des Telepathen gerichtet, versuchte sich Youji vorzustellen, wie es Ran gerade ging...ob er wieder zu seiner alten Stärke zurückfinden würde. Doch das war vermutlich ein Gedanke, der ganz weit in die Zukunft gehörte.
 

Schuldig lehnte sich samt Mobiltelefon zu Ran hin und gab ihm einen ziemlich feuchten Kuss auf die Lippen. „Das äußert sich in positiven Handlungen und positiver Beteiligung an seiner Umwelt. Vorzugsweise an mir. Und… du nervst, Kudou.“ Der Unterton war alles andere als positiv zu bezeichnen und Schuldigs Gesichtsausdruck war bestenfalls mit ausdrucksloser Langweile zu bezeichnen. Kein gutes Zeichen.
 

Kudou… Kudou…

Youji…

Aya legte leicht den Kopf schief und lauschte auf die Stimme, die so fern klang. Lauschte auf die Erinnerung an Youji in seinen Gedanken und wusste, was diese kleine Stimme versucht hatte ihm zu sagen.

Seine Hand schlängelte sich zu Schuldig, in Schuldigs hinein und dirigierte das Handy zu seinem Ohr.

„Hallo Youji“, sagte er bedächtig, aber dennoch gewillt, Kontakt mit dem anderen Mann zu haben… Kontakt zu ihm und zu Schuldig, dessen Nähe er gerade suchte.
 

„Ran?!“ Etwas verdutzt nahm Youji die Stimme des rothaarigen Japaners zur Kenntnis, die so ganz gegensätzlich zu Schuldigs Worten war und ihn mehr als überraschte. Gut, er hatte schon anhand des eindeutigen Geräusch des Kusses die Nähe der beiden vermutet – und Schuldigs Provokation seiner Person – doch dass Ran sich auch zu Wort melden würde…

„Wie geht es dir?“
 

Schuldig setzte sich rittlings auf die Lehne der Couch und drehte sich zu Ran zu, hielt das Mobiltelefon immer noch in der Hand, während Ran seine Hand samt dem Gerät an sein Ohr hielt.

Schuldig wunderte dies. Es war als könnte Ran diesen Kontakt zu ihm nicht aufgeben. Es stach und schmerzte in seiner Brust und in seinem Bauch, als er diesen Gedanken begriff und ein warmes Lächeln schien durch die geschliffene Kälte seines Blickes. Es taute… das Eis unter der Oberfläche, welches so scharfe Wunden mit einem Satz schneiden konnte… es taute.
 

Wie geht es dir…

Einen Moment lang über die Frage nachdenkend und dabei an Schuldigs Körper lehnend, dessen Nähe suchend, dachte Aya schließlich daran, dass er Youji noch eine Antwort schuldig war.

„Besser“, erwiderte er und wusste, dass es die Wahrheit war. Er fühlte sich ruhiger, gelassener, wenn auch noch etwas fern von der Realität. Doch Schuldig war bei ihm und das war wichtig. „Es wird bald wieder gehen.“ Er schwieg einen Moment lang, den Duft Schuldigs aufnehmend. „Wie geht es dir?“
 

Auch diese Frage überraschte Youji, denn es zeigte ihm, dass Ran sich Gedanken um seine Umwelt machte… aber gleichzeitig zeigte es ihm auch, dass es dem anderen wirklich besser gehen musste, zumindest den Umständen entsprechend.

„Mir geht es gut, Ran. Ich mache mir nur Sorgen um dich, dass es dir auch gut geht!“

Ran blinzelte.

„Nein… mir geht es besser. Es wird wieder.“ Er wusste nicht, was er anderes sagen sollte… und wollte auch nicht mehr sagen, da er spürte, dass es reichte, um Youji zu beruhigen.

„Das freut mich Ran. Behandelt Schuldig dich auch gut?“
 

Schuldig jedoch hörte nicht auf das Gespräch, sondern hielt Ran an sich und fuhr mit seinen Lippen ablenkend über Rans Kopf, platzierte flüchtige Küsse auf die Haare.
 

„Ja… warum sollte er mich nicht gut behandeln?“, schwelgte Aya just in diesem Moment in Schuldigs Berührungen, die er wahrnahm, wenn auch nicht kommentierte.

Wenn nichts Youji beruhigen konnte, so konnte es genau das… denn was zeugte mehr von Ehrlichkeit als eben diese Worte. Und wieder musste er sich für sein Misstrauen schelten, doch Schuldig forderte es ja nahezu heraus.

„Ich freue mich, dass er dir hilft, Ran. Das beruhigt mich.“

„Ja…“

Genau spürend, dass Ran kein weitergehendes Gespräch wollte oder auch führen konnte, verabschiedete sich Youji von seinem Freund und legte mit einer letzten Versicherung, dass es ihm gut ging, auf. Seufzend ließ er sich in seinen Sessel zurückfallen. Es würde also wieder werden… irgendwann.

Währenddessen besah sich Aya das Handy, bevor er den roten Hörer drückte und das Telefon auf die Couch gleiten ließ.
 

Das Telefon glitt wie ein abgestorbener Körper auf die Sitzfläche und Ran ließ sich in Schuldigs Umarmung ziehen.

„Er ist leicht zu ärgern“, stellte Schuldig fest.
 

„Es macht dir Spaß, ihn zu ärgern…“ Das war keine Frage, sondern eine höchst wache Feststellung des rothaarigen Japaners. Ebenso wach lagen die violetten Augen auf ihren blaugrünen Gegenstücken. Aya schmunzelte leicht.

„Es hat dir schon immer Spaß gemacht.“
 

„Jeder braucht ein Hobby.“

Schuldigs Blick sagte aus, dass er dieses Hobby geradezu liebte und es genoss, diese Kunst weiter zu perfektionieren.

Er löste sich von Ran, hangelte sein Bein über die Lehne und erhob sich. „Nächste Woche bist du dran mit Putzen! Soviel ist klar…“, murmelte er und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
 

Putzen… Schuldig machte sich gut beim Putzen, befand Aya. ZU gut, als dass er es selbst übernehmen wollen würde, denn so konnte er sich den anderen Mann in aller Ruhe betrachten. In aller Stille und mit Banshee auf seinem Schoß beobachtete er Schuldig dabei, wie er seine ungeliebte Arbeit verrichtete.

Angezogen, wie Aya auffiel. Schuldig lief sonst immer nackt durch ihre Wohnung… öfter nackt. Besonders nach dem Aufstehen schien das Adamskostüm genug für Schuldig zu sein, während Aya selten nackt schlief… oder durch die Wohnung lief.

Doch in letzter Zeit hatte er nicht viel von Schuldigs Haut gesehen, war dieser doch immer bekleidet gewesen.

In den seltenen Momenten, in denen Aya Schuldig ohne Oberteil gesehen hatte, hatte er jedoch bemerkt, dass dessen Wunden zu silbrigen Fäden vernarbt waren, die sich hell von seiner Haut abhoben… fein nur, doch sichtbar. Die Tätowierung einer Folter, die Aya auch jetzt mit Wut durchzog.
 

Er ließ sich den ganzen Tag treiben von Schuldigs Geräuschen, seinem Handeln und stellte fest, dass Schuldig seine Blumen absichtlich missachtete, so wie sie die Blätter hängen ließen. Wieso standen sie dann hier? Schuldig brachte immer neue an, die meisten auf der Meeresseite… bei ihm. Also waren es seine? Sollte er sich darum kümmern? Aber Schuldig ließ sie doch verdursten…
 

Momentan beobachtete Aya jedoch fasziniert, wie Schuldig seine Playstation aufbaute. Er nannte es Macke, Schuldig Entspannung… und die dazugehörigen Motorradrennen auch, dabei verstand Aya diese Faszination nicht wirklich.

Vor allen Dingen verstand er die Konzentration nicht, mit der Schuldig zu Werke ging… wie die Zunge angestrengt durch die Lippen spitzte und Schuldig die Stirn runzelte… dabei sich selbst auch in die Kurven legte.

Doch es war interessant zu sehen.

Sehr interessant.
 

o~
 

Einige Tage später konnte Schuldig behaupten, dass es Ran besser ging. Er schlief zwar die meiste Zeit des Tages, allerdings ließ er sich nicht gehen und nahm Schuldigs Ratschläge, was das Essen anging, größtenteils an.

Auch was die Körperpflege und… das Pflegen seiner Haare anbetraf. So saß Ran nun im Badezimmer und kümmerte sich darum. Schuldig konnte das Gezeter bis in die Küche hören - die mit dem weitläufigen Wohnraum verbunden war.
 

Er selbst hatte sich daran gemacht und bereitete die Honigbällchen zu, wie er sich vorgenommen hatte. Der Duft von Honig und Mandeln verbreitete sich, während aus den Lautsprechern der Boxen die strategisch geschickt angebracht waren die aktuellen Charts trieben.
 

Als Schuldig die Schlagsahne gerührt hatte und die Bällchen samt Pfanne vom Herd genommen und diesen abgeschaltet hatte, ging er mit seiner Schürze in Richtung Badezimmer um dem jammerndem Elend dort etwas Süßes zu bringen. Seine Hand trug nämlich ein Schälchen mit süßer Sahne.
 

Ja, Aya war wieder in der richtigen Stimmung zum Meckern, besonders, wenn es darum ging, seine Haare zu entwirren, die nach Tagen der Nichtpflege ein Vogelnest nach dem anderen aufboten. Er grollte und rupfte sich das letzte Vogelnest aus den langen Zotteln, wie er hier saß… im Handtuch eingewickelt.

Zumindest hatte er eine seiner Kuren benutzt, die Schuldig ihm nach und nach – aus einem schlechten Gewissen heraus? Aya hoffte es – gekauft hatte.

Eben jener stand nun in der Tür und Aya sah auf.

„Deine Schuld!“, tönte es Schuldig entgegen, nach Tagen der Abstinenz nun indigniert.
 

„Sicher“, antwortete Schuldig nüchtern und lächelte amüsiert. Natürlich war es seine Schuld. Das war genauso als würde jemand sagen: Der Himmel ist blau.

Er ging auf den schmollenden Ran zu, der sich die Holzbank zur Fensterfront gezogen hatte und nun dort mit seinen Haaren beschäftigt saß. Eine ganze Weile schon.

Schuldig tauchte einen Finger in die weiße Süßigkeit und stippte damit sowohl Rans Nase als auch seine Lippen an, bevor er sich rittlings hinter Ran auf die Bank setzte. „Probier mal.“
 

Die Zeit der Ruhe, der Versunkenheit in sich selbst hatte Aya gut getan, sehr gut sogar. Es hatte ihn etwas zur Ruhe kommen lassen, wenngleich er auch immer noch nicht in der Lage dazu war, in die Nähe vieler Menschen zu kommen.

Er sah die Dinge um ihn herum jetzt klarer, mit mehr Bewusstsein dafür, sie nicht einfach auf sich einwirken zu lassen, sondern sie zu verarbeiten.

Es würde werden.

Das sagte er sich immer wieder. Es würde wieder werden… er würde wieder der Alte werden. Er hatte schließlich auch keine andere Wahl, oder nicht?

Mit seiner Zunge stippte er die noch unbekannte Substanz auf seiner Nase an und leckte sie sich von seinen Lippen.

Sahne… süße Sahne. Und dazu der schwache Geruch von Honig und Mandeln.

Aya ahnte etwas und es ließ ihn lächeln.

„Warst du fleißig?“, fragte er und drehte sich zu Schuldig herum.
 

„Sicher. Das fleißige Bienchen“, sagte Schuldig unbestimmt und küsste Ran auf die Nase, nahm somit den letzten Rest Sahne von dort weg.

Er erhob sich und reichte Ran das Schälchen.

„Bleib sitzen. Ich kämm sie dir durch.“ Schuldig ging und holte einen Kamm und eine Schere. Damit kam er zu Ran zurück und setzte sich wieder hinter ihn.

„Kudou hat angerufen. Er kommt später vorbei.“ Schuldig bedeutete Ran sich gerade hinzusetzen und ihm den Rücken zuzudrehen. „Willst du mit ihm ein wenig rausgehen?“
 

Aya sah die Schere… eine SCHERE… mit dieser Schere konnte man Haare schneiden…

Er war gespannt, aber nicht wirklich bereit dafür, dass Schuldig ihm die Haare kürzte, jetzt, wo er sie akzeptiert hatte, auch wenn in ihm ein kleiner, feiner Hoffnungsschimmer aufkeimte.

Er setzte sich brav mit der Schüssel mit dem Rücken zu Schuldig und stippte mit dem Finger hinein.

„Youji kommt?“ Aya erinnerte sich daran, dass er mit dem Mann gesprochen hatte und noch schwächer daran, dass er hier gewesen war. „Spazieren gehen wäre sicherlich gut… aber erst, wenn weniger los ist.“
 

„Er kommt ohnehin erst später.“ Schuldig nahm eine der langen Strähnen und kürze fünf Zentimeter weg, denn die Spitzen sahen etwas mitgenommen aus durch die ständige gemeine Behandlung, die Ran ihnen zukommen ließ.

„Aber er ließ sich nicht davon abbringen zu kommen. Möchtest du ihn denn sehen?“
 

Sein Privatfriseur war wieder im Einsatz…

„Ja, ich freue mich, ihn zu sehen. Aber du willst es nicht, oder?“ Aya wusste um Schuldigs Abneigung Youji gegenüber… ebenso wie er wusste, dass Youji dem Telepathen auch unfreundlich gegenüberstand.
 

„Er nervt.“ Das war alles was er dazu zu sagen hatte. Aber ob es Ran reichte, damit er es richtig verstand?

„Ständig diese Verdächtigungen, dir etwas anzutun, nerven. Ich mochte ihn noch nie, stimmt.“ Schuldig kürzte Rans Haare auf die gleiche Höhe während er redete und zwischendurch die Strähnen glatt kämmte.

„Außerdem sehe ich eine Gefahr momentan im Kontakt zu Weiß. Aber das wiederum ist nichts Neues. Ich gehe das Risiko ein, ihn hierher zu holen. Und… irgendwann muss ich vielleicht die Konsequenzen tragen, wenn er uns durch seine Anwesenheit verrät und dir etwas angetan wird. Oder mir.“ Aber das stand auf einem anderen Blatt.
 

Aya seufzte. Schuldig hatte damit Recht, wenngleich es Punkte gab, die ihn zweifeln ließen.

„Er ist nun einmal misstrauisch dir gegenüber. Es wird sich legen mit den Jahren. Irgendwann… davon bin ich überzeugt.“ Sehr sogar. So sehr, dass er sich Jahrzehnte gab, wenn sie überhaupt so lange lebten.

„Meinst du nicht, dass ich ein ebenso großes Sicherheitsrisiko bin? Auch ich habe keine Fähigkeiten, ich gehe arbeiten, sitze auf dem Präsentierteller, wenn ich im Laugh bin…“
 

„Ran… Weiß sitzen im Koneko nicht nur auf dem Präsentierteller. Jede Organisation im Land weiß, wo sie sind. Manx hat sie immer noch nicht abgezogen. Jeder ihrer Schritte wird beobachtet. Und sie stehen mit uns in Verbindung. Irgendwann wird irgendjemand einen Fehler machen und sie werden uns kriegen.“
 

„Und jede Organisation in Japan weiß, dass ich ein Mitglied ihres Teams war und wer es darauf anlegt, wird sicherlich verfolgt haben, wohin ich verschwunden bin. Schuldig, sie waren in deiner Wohnung, während ich schon im Smile gearbeitet habe… wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wissen, wo ich bin? Und ich bin ebenso eure Schwachstelle wie Weiß auch.“

Wer wusste es, ob sie nicht schon einen Fehler gemacht hatten… irgendwann, auch wenn alles ruhig war.
 

Schuldig legte die Schere weg.

Er umarmte Ran von hinten und bettete seine Wange an dessen Schulter. „Sicher, Ran. Aber glaube mir, so bekannt war Weiß nicht. Und ich kenne mich damit aus. Ihr wart eine Untergrundorganisation, die nur gegen Härtefälle angegangen sind und niemand wusste von euch. Diejenigen, die es wussten, sind tot oder… sind wir.

Nur… diese neuen Jungs… die haben es in sich. Wir sind vorsichtig, weil es uns selbst betrifft. Aber ob Kudou so vorsichtig ist? Es betrifft ihn selbst nicht. Auch wenn es dein Freund ist. Bei sich selbst ist man vorsichtiger.“
 

„Wir waren jahrelang ein Team, Schuldig. Wir sind es gewohnt, aufeinander aufzupassen und uns gegen äußere Gefahren zur Wehr zu setzen. Außerdem war er ein Privatdetektiv, er kennt sich in dem Metier aus. Vielleicht sogar mehr als wir. Außerdem seid nicht nur ihr betroffen… zwei Mitglieder… oder Ehemalige von Weiß wurden körperlich angegriffen, an Schwarz hingegen haben sie sich noch nicht herangetraut… alleine deswegen sind Weiß schon vorsichtig.“

Aya ließ sich zurücksinken und strich über Schuldigs rechte Hand.
 

„Okay“, lenkte Schuldig ein im Hinblick auf den Richtigkeitsgehalt von Rans Worten, aber auch auf Rücksicht auf seine emotionale Verfassung. Er schwieg ein Weilchen, genoss ihre Nähe.

„Hast du Hunger? Ich habe da zufällig etwas vorbereitet…“
 

„Ist es das, was ich meine zu riechen?“, fragte Aya mit geschlossenen Augen und schnupperte dem Duft nach. Seitdem er wieder etwas aktiver an seiner Umwelt teilnahm, hatte er Hunger. Nicht immer, aber wenn, so kam der Hunger in vernünftigen Schüben und vernünftigen Portionen, die er zu sich nahm.

Ganz unschuldig daran war Schuldig ja nicht, wie er anerkennen musste, da dieser sich in den letzten Tagen geradezu darauf spezialisiert hatte, ihm seine Lieblingsspeisen zu kochen.
 

„Tja~a, was meint der Herr Obergourmet denn zu riechen?“

Schuldig hob den Kopf von seiner gemütlichen Ablage und begann damit Rans Haare flüchtig im Nacken zu flechten und klappte dann die röhrenförmige Metallspange um das kurze Geflecht. So würden die Haare besser halten.
 

„Telepathenbällchen“, kam es prompt vom Pseudogourmet, ernst und auf den Punkt gebracht.

Aya zog sich seine Haare nach vorne und betrachtete sich das Stück Spange, das er sehen konnte. Ein schönes Stück… ein passendes Geschenk.

„Habe ich mich eigentlich schon für deine Spange bedankt?“, fragte er schließlich ab vom Thema Schuldigs Bällchen hin zum Thema, dass er sich wahrlich nicht mehr daran erinnern konnte.
 

„Ja… hast du.“ Schuldig gab Ran einen kleinen Kuss auf die Schläfe. „Du bist nackt wie der liebe Gott dich schuf in die Küche gekommen und hast gemosert und dann hast du dich bedankt.“

Schuldig lächelte breit und umschlang Ran etwas fester, zog ihn ganz nah zu sich.
 

Schuldig eine Hand sanft auf die Haare platzierend, erwiderte Aya dessen Nähegesuch. Er hauchte dem anderen einen Kuss auf die Wange.

„Genauso war es…“ Komisch, jetzt, wo Schuldig es sagte, erinnerte er sich auch wieder daran. Vielleicht war es durch den Zusammenbruch in den Hintergrund gerückt, wie so vieles. Doch mit einiger Disziplin und Konzentrationsübungen, die sie beide in den letzten Tagen praktiziert hatten, gewann Aya mehr und mehr Kontrolle über seine Gedanken und Reaktionen.

Genauso verantwortlich dafür waren sicherlich auch die Katas, die er seit einiger Zeit wieder exerzierte und die ihm Ruhe und Kraft gaben. Vor allen Dingen körperliche Kraft, die er langsam wieder aufbaute und dringend benötigte, stärkte sie doch auch seinen emotionalen Zustand.
 

„Wie fühlst du dich heute?“ Schuldig hatte Ran die letzten Tage nur für sich gehabt. Allerdings war dieser gedanklich die meiste Zeit abwesend gewesen. Nur bei den Meditationsübungen, die er ihm gezeigt hatte, genoss Schuldig die absolute Aufmerksamkeit und Konzentration auf seine Stimme, die Ran ihm in dieser Zeit ungeteilt zollte.

Es war bereits Nachmittag und Kudou würde bald mit seinem Luxuskörper hier aufschlagen.
 


 


 

Fortsetzung folgt...

Vielen Dank für's Lesen.

Bis zum nächsten Mal!
 

Coco & Gadreel
 

Diese und unsere anderen Geschichten findet ihr auch unter

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Viel Spaß beim Stöbern!



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