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Inflagranti

von

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Ein schwieriger Patient

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Michiru wußte, daß es unhöflich war, ihre beste Freundin einfach so abzuspeisen, aber sie hatte jetzt weder Zeit, noch Lust, mit dieser über ein Pro oder Kontra ihres Handelns zu diskutieren.

Zielstrebig ging sie ins Bad und warf die erste Ladung Wäsche in die Maschine. Danach machte sie sich daran, die Abstellkammer aufzuräumen. Dabei fand sie gleich alles, was sie zum Putzen der restlichen Wohnung benötigte.

Nachdem sie das Parkett in der Diele gewischt hatte stellte sie fest, daß es bereits nach zwanzig Uhr war.

Ihre Eltern waren nun sicherlich beide daheim.

Ein guter Zeitpunkt also, um sie anzurufen und ihnen zu sagen, daß sie die nächsten Tage bei Haruka bleiben würde.

Zu ihrer Erleichterung ging ihre Mutter ans Telefon.

"Mum? Ich wollte euch nur sagen, daß ich die nächsten Tage bei Haruka bleibe. Sie ist krank und muß das Bett hüten", überfiel Michiru ihre Mutter regelrecht.

"Ja...aber...", stotterte diese,

"Ist denn ihre Mutter nicht da?"

"Sie hat keine Mutter", erklärte Michiru,

"Sie hat Niemanden hier in Tokyo. Darum will ich mich ja auch um sie kümmern. Direktor Tomoe sagt, das ginge in Ordnung und Elza bringt uns jeden Tag die Unterlagen vom Unterricht."

"Was gibt es denn?" hörte Michiru ihren Vater im Hintergrung fragen.

"Sie will ein paar Tage bei Haruka bleiben", klärte ihre Mutter ihn auf.

"Das kommt gar nicht in Frage", meinte Mr. Kaioh gleich darauf,

"Sie ist gerade mal 17! Wenn sie uns den jungen Mann mal richtig vorgestellt hat und lange genug mit ihm zusammen ist, dann können wir über soetwas vielleicht einmal reden. Vorher sicher nicht!"

"Du mißverstehst da etwas, Schatz", beruhigte Michiru´s Mutter ihn,

"Haruka ist nicht Michi´s Freund. Diese Haruka ist ein Mädchen. Außerdem ist sie krank und hat hier keine Verwandten."

"Ein Mädchen?" war Mr. Kaioh überrascht,

"Sachen gibts. Dieses Mädchen sieht aus wie ein junger Mann. Irgendwie fallen Michi´s Freundinnen immer etwas aus der Rolle! Erst dieser amerikanische Wirbelwind und dann ein Mädchen, daß wie ein Mann rumläuft. Naja, solange Michi mit ihnen klarkommt..."

"Also geht es in Ordnung?" fragte Michiru.

Nach kurzem Zögern antwortete ihre Mutter:

"Ja. Es ist ok. Aber melde dich zwischendurch bitte."

"Geht klar", lachte Michiru,

"Bis dann Mum. Gib Dad einen Kuss von mir."

"Mach ich. Ach...und Michi?"

"Was gibts noch?" fragte diese, wobei sie schon hatte auflegen wollen.

"Sei nett zu ihr", konnte sie ihre Mutter beinahe Grinsen hören,

"Ein liebendes Herz ist schnell gebrochen!"

"Mum!!!" pfiff Michiru in den Hörer, doch ihre Mutter lachte nur und legte auf.

Grummelnd legte Michiru das Telefon auf die Station zurück.

"Warum glauben Mütter immer, alles besser zu wissen? Haruka und ich ein Paar? Eher lernen Elefanten fliegen!"

Vor sich hin murmelnd machte sie sich wieder ans Putzen.
 

Nach weiteren zweieinhalb Stunden war Michiru fast zufrieden mit dem Ergebnis. Es gab zwar sicher noch die eine oder andere Kleinigkeit zu tun, aber für heute wollte sie es gut sein lassen.

Immerhin war es auch bereits fast 23 Uhr und so langsam bemerkte sie, wie geschafft und müde sie war.

Sie beschloss, nocheinmal nach Haruka zu sehen und sich dann schlafen zu legen.

Leise öffnete sie die Schlafzimmertür. Haruka schien zu schlafen. Alles war dunkel und Michiru konnte ihre ruhigen Atemzüge hören.

Das türkishaarige Mädchen überlegte, ob sie überhaupt Licht machen sollte. Schließlich wollte sie Haruka nicht wecken.

Da bemerkte sie aber, daß der Schalter einen Dimmer hatte.

In Anbetracht dieser Tatsache konnte Michiru nicht verhindern, daß wieder ein wenig Sarkasmus in ihr aufstieg.

»War klar, daß sie sowas im Schlafzimmer hat. Man muß ja schließlich `Atmosphäre´ schaffen, wenn man punkten will.«

Sie schüttelte mißbilligend den Kopf.

Als sie das Licht soweit aufgedreht hatte, daß sie zwar halbwegs sehen konnte, aber dennoch alles in einem difusem Halbdunkel lag, schritt sie auf das große Bett zu.

Und wieder dieser Sarkasmus.

»Wenn dieses Bett nur halb so groß wäre, hätten immernoch bequem zwei Leute darin Platz. Sie überlässt aber auch nichts dem Zufall!«

Im nächsten Moment jedoch war jeglicher Zynismus wie weggeblasen und ein warmes Gefühl um ihr Herz machte sich bemerkbar.

Haruka sah einfach zu niedlich aus.

Wie sie so da lag, völlig in ihre Decke verdreht, die Beine angezogen und den Schlaf der Gerechten schlummernd. Ihr Pyjamaoberteil war etwas hochgerutscht und gab ein Stückchen des Blutegusses und des Verbandes preis. Der Verband um ihre Stirn war ebenfalls ein wenig verrutscht und hatte ihren Pony so weit zurückgeschoben, daß nicht eine Strähne in ihr hübsches Gesicht fiel. Die Platzwunde an der Lippe, das Pflaster auf der Nase, das Feilchen am rechten Auge und - nicht zuletzt - das Pflaster über ihrer linken Augenbraue ließen sie wirken, wie einen kleinen Lausbuben, welcher den Kampf um die Förmchen gegen den Nachbarsjungen eindeutig verloren hatte.

Michiru´s Blick wanderte auf das kleine Tablett auf dem Nachttischt.

Haruka hatte den Tee getrunken und auch die Tabletten genommen, welche Mitamura da gelassen hatte. Das Obst jedoch, welches Michiru ihr dazu gelegt hatte, war vollkommen unberührt.

Wieder sah sie Haruka an.

»Selbst mit all diesen Schrammen und Pflastern im Gesicht sieht sie noch hübsch aus... Ich frage mich, warum sie ihre Weiblichkeit immer so versteckt. Mit etwas Zurechtmachen und in einem schicken Kleid wäre sie bestimmt die Königin auf jedem Ball...«

Ein Lächeln huschte über Michiru´s Lippen.

Haruka war ein Rohdiamant, welcher wahrscheinlich in Nichts zu übertreffen war...wenn er nur den richigen Schliff bekäme.

Aber alles zu seiner Zeit.

Jetzt brauchte Michiru ersteinmal etwas, daß sie zur Nacht anziehen konnte. Schließlich konnte sie ja nicht in ihrer Schuluniform schlafen.

Kurzerhand ging sie zum Kleiderschrank und öffnete ihn leise.

Dem riesigen Wäscheberg - an welchem sie wohl noch bis morgen Abend zu waschen haben würde - nach zu urteilen, war sie überrascht, überhaupt noch Kleidungsstücke im Schrank vorzufinden. Und noch überraschter war sie, als sie gleich bei ihrem ersten Griff einen marineblauen Seidenpyjama hervorholte.

"Na wer sagst denn?" murmelte sie zufrieden.

In diesem Moment regte Haruka sich mit einem leisen Seufzer.

Offensichtlich hatte sie selbst im Schlaf Schmerzen, wenn sie sich bewegte. Michiru wartete noch einen Moment ab, ob Haruka auch wirklich nicht aufgewacht war und verschloss dann leise wieder den Schrank.

Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür und löschte das Licht. Und wie aufs Stichwort begann Haruka leise zu schnarchen.

Ungläubig starrte Michiru ins dunkle Zimmer.

"Sie ist wirklich wie ein kleiner Straßenrowdie", schmunzelte sie, ließ die Schlafzimmertür einen Spalt breit geöffnet und ging zurück ins Wohnzimmer.

Schnell hatte sie sich ihrer Schuluniform entledigt und griff nach dem Oberteil des Pyjamas. Als sie es angezogen hatte und an sich herunter sah, mußte sie erneut schmunzeln.

»Oh man! Die Hose brauch ich wohl gar nicht erst anzuprobieren...«

Als sie es dennoch tat, sah sie ihre Vermutung bestätigt.

Zwar hätte sie die Hosenbeine umkrempeln können, aber das wäre sicher nicht sehr modisch gewesen und abgesehen davon war es auch hinderlich beim schlafen.

Also zog sie sie wieder aus und begnügte sich mit dem Oberteil. Nachdem sie die Ärmel etwas umgekrempelt hatte, saß es fast perfekt. Abgesehen davon, daß es ihr fast bis zu den Knien reichte.

Müde und völlig geschafft ließ Michiru sich auf die Couch sinken und war auch sehr schnell eingeschlafen.
 

Michiru´s Mutter kramte in deren Kleiderschrank herum.

Sie wollte ihrer Tochter ein paar Sachen packen - die brauchte sie schließlich, wenn sie einige Tage bei Haruka blieb.

Sollte Michiru sich morgen nicht melden, würde sie einfach in der Schule anrufen und dort nach Haruka´s Adresse fragen.

Als die Frau ihrer Meinung nach genug eingepackt hatte, überlegte sie kurz. Ein Grinsen befiel sie und sie nahm die kleine Reisetasche mit in ihr Schlafzimmer.

Nachdem sie ein wenig in ihrem Schrank gekramt hatte, fand sie, wonach sie suchte.

Es war noch in Folie eingepackt und bei einem Blick darauf mußte die Frau schmunzeln.

»Zwar sind die Umstände etwas anders, als ich es mir gedacht hatte...aber seinen Zweck wird es sicherlich dennoch erfüllen.«

Schnell ließ sie es ebenfalls in der Reisetasche verschwinden.

In diesem Moment betrat ihr Mann das Zimmer.

"Was machst du?" fragte er.

"Ich packe nur ein paar Sachen für Michi. Sie braucht doch schließlich etwas zum anziehen", entgegnete sie ihm.

"Aus deinem Schrank?"

Die Frage klang skeptisch.

"Ich hatte ihr ein neues Nachthemd gekauft und es ihr noch nicht gegeben", klärte Michiru´s Mutter auf.

Ihr Mann nickte.

"Ist noch etwas?" fragte sie.

Er seufzte.

Dann sah er sie an und fragte:

"Michiru ist doch ein sehr liebes Mädchen, nicht wahr?"

Sie blickte ihn irritiert an.

"Wie meinst du das? Natürlich ist sie ein liebes Mädchen!"

"So meine ich das nicht", wehrte er ab,

"Sie ist jung, sie ist hübsch, liebenswert und hat ein gutes Herz. Wie also kommt es, daß sie überhaupt keine Freunde hat außer dieser Elza und jetzt diesem sonderbaren Mädchen? Einen Freund hat sie auch nicht. Sie war bisher noch nichteinmal verliebt. Wieso ist sie so anders, als andere Mädchen in ihrem Alter?"

Nun seufzte Michiru´s Mutter.

"Vielleicht ist sie anders, als andere Mädchen, aber sie ist gesund und munter und nur das ist wichtig! Sie wird immer unser kleiner Engel sein, egal was kommt."

Mr. Kaioh nickte.

"Du hast recht. Und so sehr aus der Rolle wie der rothaarige Wirbelwind und dieser weibliche Sunnyboy fällt sie ja nun auch wieder nicht."

Er schien zufrieden und verließ das Schlafzimmer.

"Vielleicht hat sie mehr von diesem `weiblichen Sunnyboy´ -wie du sie nennst-, als du dir jemals vorstellen könntest", murmelte Michiru´s Mutter.
 

Langsam schlug Haruka die Augen auf.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, daß es bereits 8:15 Uhr war.

»Scheiße! Schon wieder verschlafen«, schoss es ihr durch den Kopf und schnell sprang sie auf.

Das heißt - sie wollte es, aber bereits bei der ersten Bewegung zuckte ein Schmerz durch ihren Oberkörper, welcher ihr sämtliche Luft aus den Lungen drückte und sie ins Bett zurückfallen ließ.

Schlagartig fiel es ihr ein.

Yutaka, die Prügelei und...

"Michiru!"

Haruka fasste sich an den Kopf.

Unter ihren Fingern fühlte sie den Verband.

»Wieso war sie aufeinmal so nett zu mir? Wenn ich an die Worte denke, die sie mir kurz vorher noch an den Kopf geschmissen hat...«

Doch daran zu denken hatte sie gar keine Lust.

Überhaupt fand sie die gegebene Situation absolut inakzeptabel.

Seit gestern Nachmittag schon lag sie sinnlos im Bett herum.

Das mußte geändert werden.

Sie beschloss, zuersteinmal ins Bad zu gehen, danach schön zu frühstücken und dann irgendetwas sinnvolles mit ihrem Tag anzufangen.

Das Mitamura ihr mindestens vier Tage Bettruhe verordnet hatte, interessierte sie herzlich wenig.

Vorsichtig arbeitete sie sich aus dem Bett hoch.

Und es war wirklich harte Arbeit.

Bei jeder Bewegung tat irgendetwas höllisch weh und zweimal sah sie schon fast Sternchen vor ihren Augen tanzen. Als sie endlich halbwegs stand, atmete sie tief durch.

"Man! So hat es mich noch nie erwischt", pustete sie geschafft.

Sie blickte zur Tür.

"Zu weit", murmelte sie nur und schlich langsam ums Bett herum.

Zum ersten Mal war sie froh, ein zweites Bad direkt an ihr Zimmer angrenzend zu besitzen.

Nur noch einen Schritt...

Ein wenig unbeholfen tastete sie nach der Klinke, während sie sich mit einer Hand noch immer am Bett abstützte. Freihändig stehen hätte wohl nicht eine Sekunde funftioniert. Leider erwies der Abstand vom Bett zur Tür doch als ein wenig größer, als Haruka ihn in Erinnerung hatte.

"Mensch Haruka! Stell dich nicht so an. Die zwei Schritte wirst du wohl noch schaffen ohne dich irgendwo abzustützen. Du bist schließlich noch keine Rentnerin!" schimpfte sie sich selbst und holte nochmals tief Luft.

Währendessen ließ sie das Bettgestell los und steuerte die Badezimmertür an. Leider war bereits der tiefe Atemzug mit einem Mal so schmerzhaft, daß sie heftig zusammenzuckte.

Dieses Zucken rief weitere, stechende Schmerzen hervor und sie verfehlte die Klinke. Hart knallte sie gegen die Tür. Schmerzlich schrie sie auf und fiel zu Boden.

"Verfluchte Rippen", presste sie gequält hervor und krümmte sich zusammen.

In diesem Moment flog die Schlafzimmertür auf und jemand stürzte herein.

"Haruka! Was tust du?"

Ein Mädchen fiel neben ihr auf die Knie.

"Michiru?" fragte Haruka schmerzlich.

"Natürlich", antwortete diese und versuchte, Haruka sanft wieder auf die Beine zu bringen.

Diese war völlig mit ihren Schmerzen beschäftigt, bis sie endlich wieder auf ihrem Bett saß.

Erst da hob sie den Kopf und sah Michiru an.

"Was machst du morgens um halb neun in meiner Wohnung?"

Ihr Blick verfinsterte sich.

"Ist das mein Pyjamaoberteil?"

Michiru wurde leicht rot und senkte etwas den Kopf.

Sie zupfte verlegen an der blauen Seide herum und sagte leise:

"Naja...ich hatte doch keine Sachen dabei und schließlich konnte ich ja nicht in meiner Schuluniform schlafen..."

"Niemand hat gesagt, daß du hier übernachten sollst", entgegnete Haruka kühl,

"Warum bist du nicht Heim gegangen?"

"Aber...", wollte Michiru einwenden, doch die Blondine ließ sie gar nicht ausreden.

"Bleib mir weg mit deinen Argumenten und geh endlich nach Hause. Ich brauche deine Hilfe nicht!"

Jetzt gewann Michiru ihre Selbstsicherheit zurück.

Sie verschrenkte die Arme vor der Brust und fragte:

"Ach nein? Und wieso mußte ich dich dann gerade vom Boden aufkratzen?"

"Das war ein Unfall", verkündete Haruka im Brustton der Überzeugung.

"Soso, ein Unfall", wiederholte Michiru,

"Genauso ein Unfall, wie die Verteidigung meiner Ehre es war, was?"

"DAS war kein Unfall", brauste das blonde Mädchen direkt auf,

"Ich konnte doch nicht zulassen, daß..."

Sie verstummte.

Offenbar war ihr erst jetzt klar geworden, daß sie gerade im Begriff war zuzugeben, daß Michiru ihr wohl doch nicht so egal war und das sie sehrwohl in der Lage war, etwas mal nicht nur für sich selbst zu tun.

Schippisch drehte sie den Kopf weg und sagte gelassen:

"Außerdem hat er mich nackt gesehen. Das ist viel schlimmer!"

"Ja ja und Elefanten können fliegen", winkte Michiru amüsiert ab,

"Du hast für mich gekämpft. Und auch wenn ich der Meinung bin, daß es immer eine andere Lösung als Gewalt gibt, so hast du es dennoch für mich getan. Also ist es nur Recht und Billig, wenn ich mich jetzt um dich kümmere, bis es dir wieder besser geht."

"Ich will deine Hilfe nicht", beharrte Haruka,

"Ich bin es gewohnt allein zu sein und auf Niemanden Rücksicht nehmen zu müssen."

"Auf mich mußt du keine Rücksicht nehmen", meinte Michiru keck,

"Ich komm hier schon klar."

"Wieso bist du so verdammt hartnäckig?" war Haruka sichtlich genervt.

"Bin ich das?" grinste die Türkishaarige unschuldig,

"Liegt wohl in meiner Natur. Und jetzt leg dich wieder hin!"

"Ich will mich aber nicht hinlegen. Ich muß, verdammt nochmal, aufs Klo!"

Michiru stutzte.

"Ach deswegen bist du aufgestanden?!"

"Nee", grummelte Haruka ironisch,

"Ich wollte für die Olympiade trainieren!"

Michiru zögerte einen Moment, dann trat sie vor Haruka und sagte:

"Na dann komm."

Haruka sah zu ihr auf.

"Wie jetzt?"

"Na ich helfe dir ins Bad", lächelte Michiru und griff nach Haruka´s Arm.

"Verflucht, lass das", meckerte diese,

"Ich kann das allein! Ich bin schließlich kein Krüppel!"

"Das habe ich ja gerade gesehen - wie du das allein kannst", blieb Michiru hart,

"Und jetzt hör auf, es mir unnötig schwer zu machen!"

"Das war ein Unfall, verdammt", stieß Haruka sie zurück,

"Es geht mir gut!"

Sie stand auf und klopfte sich demonstrativ gegen die Rippen.

"Siehst du? Ich bin in Ordnung!"

Michiru sah sie skeptisch an.

"Na gut", murmelte sie schließlich,

"Ich glaube dir ja. Dann gehe ich derweil etwas zu Essen machen, während du dich frisch machst."

Haruka nickte nur und Michiru ging.

Im Türrahmen blieb sie nochmals stehen und sah zu Haruka.

"Sonst noch was?" fragte diese gereizt.

"Und du bist dir sicher, daß es dir gut geht?" fragte das Mädchen zaghaft.

Haruka klopfte sich ein weiteres Mal gegen die Rippen und grinste:

"Geist über Materie!"

Michiru nickte und schloss die Tür.

Augenblicklich fiel Haruka zusammengekrümmt aufs Bett und stöhnte schmerzlich in die Kissen.

"Scheiß Materie", wimmerte sie.
 

Michiru schloss die Augen.

»Warum ist sie nur so dumm?«

Sie lehnte an der Schlafzimmertür und hörte Haruka´s gedämpftes Wimmern.

»Ihr blöder Stolz wird ihr irgendwann noch das Genick brechen. Was ist so schlimm daran zuzugeben, daß man Schmerzen hat? Warum will sie immer stark sein? Vor mir kann sie doch ruhig ehrlich sein.«

Sie öffnete die Augen wieder und strich mit der Hand sanft über die glatte Oberfläche der Tür.

»Sie muß schreckliche Schmerzen haben...«

Doch es half nichts.

Haruka war zu stolz um Michiru´s Hilfe anzunehmen und diese konnte sie schließlich nicht dazu zwingen.

Überzeugt, daß Haruka es auch irgendwie allein schaffen würde ins Bad zu kommen, steuerte Michiru die Küche an und wollte ein Frühstück vorbereiten.

Was sie in der Küche fand, war jedoch mehr als dürftig.

Es gab ein wenig Obst, im Kühlschrank lag eine halbe Pizza, eine Dose Pilze, ein paar Schokoriegel, ein Glas Erdnussbutter, zwei Dosen Cola und Milch.

In einem Schrank fand sie eine halbleere Jumbopackung Schokoflakes und ein unberührtes Päkchen Müsli.

Das war alles.

Also griff Michiru nach dem Müsli und holte die Milch aus dem Kühlschrank. Sie hantierte eine ganze Weile in der Küche herum und war so beschäftigt, daß sie gar nicht mitbekam, wie Haruka langsam hereinkam.

Als diese sich endlich auf einen Stuhl niedergelassen hatte fragte sie:

"Was soll das werden?"

Michiru fuhr herum.

"Du bist schon fertig?" war sie überrascht und lächelte dann,

"Frühstück! Du hast bestimmt Hunger."

Haruka wollte zwar wieder leugnen, allerdings war ihr Magen damit gar nicht einverstanden und knurrte demonstrativ.

Dies war ihr ziemlich peinlich und sie wollte sich rechtfertigen, doch Michiru kam ihr zuvor.

"Das war dann wohl ein `ja´. Hier, iß das."

Sie stellte der Blondine ein Schälchen vor die Nase und gab ihr einen Löffel.

Während Michiru auch den Tee auf den Tisch stellte und sich schließlich selbst mit einem Schälchen an den Tisch begab, beäugte Haruka mißtrauisch, was Michiru ihr da aufgetischt hatte.

"Was ist?" fragte diese, als sie sah, daß Haruka nicht aß,

"Ist etwas nicht in Ordnung?"

"Was soll das sein?" fragte Haruka skeptisch.

"Wonach sieht es denn aus?" stellte Michiru eine Gegenfrage.

"Meine Schokoflakes sind es nicht", stellte Haruka sofort klar,

"Auch wenn es ähnlich aussieht. Könnte dieses komische Müsli sein, daß da schon ewig im Schrank lag, aber...was ist denn das rote Zeug da drin? Gibt es rotes Müsli?"

Michiru lachte hell auf.

Haruka zuckte zusammen.

Dieses Lachen ging durch und durch und verursachte eine wohlige Gänsehaut. Verwirrt blickte sie Michiru an.

"Probier doch einfach", lächelte diese.

Zögerlich schob Haruka sich eine Löffel in den Mund.

Michiru sah sie abwartend an.

Haruka aß einen zweiten - und einen dritten Löffel voll.

Schließlich hellte ihr Gesicht sich ein wenig auf und sie sagte:

"Das schmeckt gar nichtmal so schlecht. Was ist da alles drin?"

"Das ist dieses `komische´ Müsli", antwortete Michiru betont,

"Ich habe kleine Bananen - und Erdbeerstückchen hineingeschnitten. Mehr nicht."

Haruka´s Augen wurden ganz groß.

"Bananen? Ich wußte gar nicht, daß die so gut schmecken."

Und schon schaufelte sie das Müsli weiter in sich hinein.

Michiru lächelte zufrieden und aß ebenfalls.

Als sie zwischenzeitlich einen Schluck Tee nahm, bemerkte sie wie beiläufig:

"Ach übrigens... Ich habe festgestellt, daß du keinen grünen Tee hast, darum mußte ich Schwarzen machen. Wir müssen unbedingt grünen Tee kaufen."

Haruka verschluckte sich und hustete.

"Wir?" fragte sie fassungslos,

"Was heißt hier `wir´? Und überhaupt - wieso `müssen´? Ich trinke sehr gerne schwarzen Tee. Deshalb habe ich ihn ja auch im Haus. Grünen Tee kann ich nicht ausstehen!"

"Ich trinke ihn aber am liebsten", widersprach Michiru,

"Und darum müssen wir welchen haben!"

Haruka ließ den Löffel fallen.

"Was soll das alles?" wollte sie aufgebracht wissen,

"Du tust ja gerade so, als würden wir zusammen wohnen. Ich habe nicht gesagt, daß du hierbleiben kannst!"

"NOCH nicht", flötete Michiru und brachte ihre Schüssel weg,

Aber du wirst es noch. Du weißt nämlich sehr gut, wie gehandycapt du bist."

"Ach, mach doch, was du willst", zischte Haruka und sprang auf.

Schnurstracks verließ sie die Küche.

Als sie außer Sichtweite war, griff sie an ihre linke Seite und verzog schmerzlich das Gesicht.

"Verdammt, keine hektischen Bewegungen", formten ihre Lippen fast lautlos.

Als der Schmerz endlich nachließ schaute sie nochmal zurück zur Küche.

Michiru hatte wohl nichts bemerkt.

Sie wand sich Richtung Schlafzimmer.

Dabei fiel ihr Blick auf den Sessel. Ordentlich gefaltet lag da ihr blauer Pyjama. Und erst jetzt fiel ihr auf, daß überhaupt alles ordentlich war.

Die Zeitschriften lagen fein säuberlich gestapelt auf dem Fernsehtisch, nicht ein Wäschestück war zu sehen, die Überreste der letzten Fast Food Party waren verschwunden und sogar Staub war gewischt.

In diesem Moment zog ein Geräusch aus der Küche ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Michiru spülte das gerade benutzte Geschirr.

Wieder fiel ihr Blick auf den Pyjama.

»Warum tut sie das alles? Sie wollte mich pflegen, aber hier die Putzfrau zu spielen gehört doch nicht dazu!«

Sie machte einen Schritt auf den Sessel zu und griff langsam nach dem Pyjamaoberteil.

Vor ihrem geistigen Auge sah sie Michiru wieder wie vorhin vor sich stehen. Mit zerzausten Haaren und diesem erschrockenen Ausdruck im Gesicht.

Die blaue Seide umhüllte ihre weiße Haut, welche genau so zart und weich wirkte, wie das seidene Schlafgewand selbst.

Die Ärmel hatte sie hochgekrempelt, aber immernoch ertrank sie fast in dem Oberteil. Es war ein komisches Gefühl gewesen, Michiru in diesem Pyjama zu sehen.

»Er steht ihr viel besser als mir...«

Sie lächelte kurz.

Ihre Finger spielten mit dem seidenen Stoff. Langsam strich sie damit über ihre Wange und schloss die Augen.

»Ihre Haut ist sicher genau weich...«

In der nächsten Sekunde riss sie die Augen auf.

Ungläubig starrte sie auf das Oberteil in ihrer Hand.

»Was denke ich denn da? Sie ist auch nicht besser als die Anderen. Nur ihre Schuldgefühle halten sie hier!«

Sie wollte das Kleidungsstück gerade zurücklegen, als Michiru ins Wohnzimmer kam.

Erschrocken sah Haruka sie an.

Michiru sah, was die Blondine da in der Hand hielt und sagte:

"Ach ja, dein Pyjama. Du kannst ihn mit in die Wäsche werfen. Wenn ich heute einkaufen gehe, dann geh ich auch schnell zu Hause vorbei und hole ein paar Sachen."

Haruka reagierte nicht.

Sie stand wie versteinert da und starrte auf den Pyjama.

Es war wirklich ein sonderbares Gefühl gewesen, Michiru darin zu sehen. Aber noch seltsamer war das Gefühl, Michiru die nächste Zeit bei sich zu wissen und sie beim nächsten Mal statt in einem von Haruka´s Pyjamas vielleicht in einem sexy Nachthemd zu sehen.

Haruka schluckte.

Ihre Knie wurden weich.

»Meint das Schicksal es nun gut mit mir, oder will es nur wieder gnadenlos zuschlagen?« dachte sie.

Zögerlich hob sie den Blick und sah Michiru an.

"Warum tust du das Alles?" fragte sie.

Michiru zog die Augenbrauen hoch.

"Du kannst vielleicht Fragen stellen", seufzte sie,

"Das weiß ich selbst nicht so genau. Vielleicht, weil du mir einfach nicht egal bist und ich irgendwo in mir hoffe, daß wir doch noch Freunde werden können."

Haruka schien kurz zu überlegen, doch dann wurden ihre Gesichtszüge wieder hart.

"So? Meinst du?" fragte sie lauernd,

"Und das du eben einfach nur zu wohlerzogen bist und dir dein schlechtes Gewissen deswegen auferlegt, hier bei mir zu bleiben, auf die Idee kommst du nicht?"

"Ich habe kein schlechtes Gewissen", gab Michiru leicht gereizt zurück,

"Dazu habe ich überhaupt keinen Grund!"

"Wer redet von einem Grund?" lachte Haruka bitter,

"Ich sagte, daß deine gute Erziehung es dir auferlegt. Zuerst sagst du mir, daß ich gefühlskalt und egoistisch bin, daß die Welt ohne Menschen wie mich besser dran wäre und dann spielst du plötzlich die besorgte `Was-weiß-ich-nicht-was´ und faselst was von Freundschaft. Und alles nur, weil dieser dämliche Yutaka sein Maul nicht halten konnte. Hätte der nix gesagt, hättest du mich für diese Prügelei nur noch mehr verachtet!"

Michiru zuckte zusammen.

"Hast du wirklich so wenig Vertrauen in die Menschen, daß du in allem immer etwas Böses siehst? Du hast doch gerade selbst mehr oder weniger zugegeben, daß du dich für mich geprügelt hast. Kannst du dir nicht vorstellen, daß ich dir dafür ernsthaft dankbar bin? Das mein Handeln absolut nichts mit Gewissen, sondern einfach nur mit Menschlichkeit zu tun hat?"

"Menschlichkeit", murmelte Haruka,

"So ein Schwachsinn! Jede noch so primitive Tiergattung besitzt mehr Menschlichkeit - wie du es so schön nennst - als die gesamte Menschheit.

Und du bist auch nicht besser als alle Anderen!"

Michiru wollte es nicht, aber sie konnte nicht verhindern, daß ihr Tränen in die Augen stiegen.

Um Haruka ihren Schmerz nicht zu zeigen, lief sie zurück in die Küche und schmiss die Tür zu.

"Michiru, ich wollte nicht...", rief Haruka ihr nach, doch die Tür war bereits zu.

Natürlich war ihr nicht entgangen, daß Michiru geweint hatte.

"Du bist so ein Trottel, Ten´ou", schalt sie sich leise,

"Du wolltest doch nur genügend Abstand zwischen euch wahren. Ihr wehzutun war vollkommen unnötig!"

Wütend warf sie das Pyjamaoberteil auf den Sessel zurück und ging langsam ins Schlafzimmer. Mit ein paar bösen Flüchen in Richtung ihrer schmerzenden Rippen, lag sie endlich wieder im Bett und schloss die Augen.

»Sie ist doch selbst schuld. Wenn sie sich nicht so aufgedrängt hätte, wäre ich nie so ausfallend geworden!«

Das sie gerade selbst mit aller Gewalt ihr schlechtes Gewissen ignorierte, verdrängte sie.
 

Michiru saß schluchzend in der Küche.

Warum war Haruka wieder so gemein geworden?

Sie hatte doch nur nett sein wollen.

Vielleicht war es wirklich keine so gute Idee gewesen, hierzubleiben.

Warum war sie überhaupt hier geblieben?

In einem hatte Haruka nämlich Recht gehabt:

Michiru hasste jede Art von Gewalt.

Menschen, welche ihre Differenzen mit Prügel klärten, waren ihr zuwider. Selbst dann, wenn es für einen `guten´ Zweck war. Wenn Michiru es recht bedachte, wäre sie wegen dem, was gestern war auf jeden anderen Menschen furchtbar böse gewesen. Anfänglich war sie es ja gewesen, aber nach Yutaka´s Worten...?

Nein, sie war nicht wegen ihres Gewissens hier. Ganz sicher nicht.

Sie war Haruka auch nicht einfach nur dankbar. Neben der Dankbarkeit war da auch noch ein anderes Gefühl.

Und zwar Sorge.

Doch nicht nur wegen der Verletzungen, welche die Blondine erlitten hatte, sorgte sie sich. In dem Moment als Haruka ihr befohlen hatte, die Schlägerei nicht dem Direktor zu melden, war ihr klar geworden, daß diese immer versuchte, alles allein zu tragen.

Aber kein Mensch konnte immer allein sein und Michiru wollte ihr zeigen, wie schön es sein konnte, wenn man Jemandem vertraute.

Mittlerweile war Michiru sich sicher, daß allein Haruka´s Einsamkeit sie zu dem gemacht hatte, was sie war. Das androgyne Mädchen tat ihr schrecklich leid und sie fühlte sich dazu verpflichtet, ihr etwas Gutes zu tun.

Michiru zuckte zusammen.

»Mitleid«, schoss es ihr durch den Kopf,

»Bin ich tatsächlich nur wegen meines Gewissens hier?«
 

Elza saß gelangweilt im Unterricht.

Ohne Michiru war die Schule nicht dasselbe. Und zu allem Überfluß hatte sie in den letzten beiden Stunden auch noch Mathematik.

Das rothaarige Mädchen seufzte innerlich bei dem Gedanken an Sensei Okudera. In diesem Moment zupfte jemand an ihrem Ärmel.

Es war Kimiko, welche rechts neben ihr saß.

"Wo ist denn Michiru heute? Ist sie krank?" flüsterte sie dem rothaarigen Mädchen zu.

Elza verdrehte die Augen.

Kimiko war soetwas wie eine wandelnde Tageszeitung. Wenn man den neuesten Klatsch und Tratsch erfahren wollte, dann war man bei ihr immer genau an der richtigen Adresse.

Obendrein war sie eine Intrigantin sondergleichen.

"Keine Ahnung", gab die Läuferin deswegen leise zur Antwort und konzentrierte sich wieder auf die Lehrerin.

"Du bist doch ihre beste Freundin", gab Kimiko jedoch nicht auf,

"Und da weißt du nicht, ob sie krank ist?"

"Kimiko", presste Elza durch die Zähne,

"Nerv mich nicht! Ich habe keine Lust wegen dir vor die Tür zu müssen!"

Das wirkte.

Kimiko gab Ruhe.

»Warum interessiert dieses Waschweib sich plötzlich für Michi? Bis jetzt hat sie Michiru nichteinmal eines Blickes gewürdigt...«

Es klingelte zur Pause und Elza wurde für den Augenblick aus ihren Gedanken gerissen.

Sehr schnell jedoch wurden ihre Gedanken wieder auf das Thema gelenkt. Kimiko sprach sie erneut an.

"Komm schon. Du mußt doch wissen, was mit Michiru los ist."

"Ich weiß es aber nicht", gab Elza brüsk zurück,

"Und überhaupt - seit wann interssiert es dich, was mit Michiru ist?"

"Ich frag doch nur", tat Kimiko unschuldig,

"Weil Haruka auch nicht da ist und die Beiden sich doch gestern so gestritten haben..."

"Du hast gelauscht?" fuhr Elza sie an.

Kimiko wich einen Schritt zurück.

"Ich habe nicht gelauscht", verteidigte sie sich,

"Was kann ich dafür, wenn ich den Materialienraum aufräumen muß und ihr euch im Bioraum so lautstark anzofft?"

"Zum einen haben `wir´ uns überhaupt nicht angezofft und zum anderen Hättest du dich ja bemerkbar machen können. Schon allein aus reiner Höflichkeit!" war die Läuferin sichtlich erbost.

"Höflichkeit", lachte Kimiko,

"Die beiden sind auch alles Andere als höflich miteinander umgegangen. War wohl der erste Ehekrach, wie? Und letzte Nacht gab es dann die Versöhnung. Wahrscheinlich liegen die Beiden jetzt noch im Bett!"

"Michiru und Haruka sind kein Paar", war Elza nun richtig wütend,

"Sie sind beide Mädchen!"

"Bla bla bla...", machte Kimiko genervt,

"Die Paradelesbe hat doch eh schon die halbe Stufe durch. Ist längst kein Geheimnis mehr, daß unser Läuferas mit Mädchen vögelt. Nur Pech für Michiru, daß Haru ihr nie treu sein wird!"

Sie lachte dreckig.

Elza sprang auf sie zu und packte sie am Kragen.

"Jetzt hör mir mal zu, du kleine Schlange", knurrte sie böse,

"Michiru hat nichts mit Haruka! Das sie heute Beide fehlen ist purer Zufall. Und wenn du auch nur einer Menschenseele deine Lügen auftischst und Michiru-chan in deine dummen Gerüchte verstrickst, dann lernst du mich kennen!"

Sie stieß das Mädchen von sich.

Kimiko funkelte sie einen Moment böse an und drehte dann schnippisch den Kopf beiseite.

"Als ob diese eingebildete Ziege mich interessieren würde", sagte sie geschwollen,

"Mich interessiert einzig und allein Haruka!"

Ein erneutes Klingelzeichen wies den Anfang der nächsten Doppelstunde.

»Na toll«, seufzte Elza innerlich,

»Jetzt hab ich wegen der die ganze Pause vergeudet. Und jetzt auch noch der Okudera. Das Schicksal kann ja so grausam sein...«

Bereits in diesem Augenblick betrat der Lehrer das Kassenzimmer.

Nach der Begrüßung - welche bei Sensei Okudera immer etwas genervt, wenn nicht gar lustlos vonstatten ging - blickte dieser einen Moment schweigend auf die leeren Plätze von Haruka und Michiru.

Alle Schüler folgten seinem Blick.

Über Kimiko´s Gesicht huschte ein hinterhältiges Grinsen. Sie erhob sich und verneigte sich höflich.

"Wenn sie jemanden suchen, der Haruka das Lehrmaterial bringt, würde ich diese Aufgabe gerne übernehmen", sagte sie an den Lehrer gerichtet.

Einige Sekunden starrte der Lehrer sie an, als hätte er nicht verstanden.

Dann jedoch hob er abwehrend die Hand und entgegnete:

"Das ist sehr nett von ihnen, Miss Kimiko. Aber Miss Elza wird das übernehmen."

»Mußte der das jetzt unbedingt rausposaunen?« dachte die Läuferin grimmig.

Als sie sich verstohlen umsah bekam sie die Bestätigung für die, von ihr erwartete Reaktion.

Einige Schüler tuschelten miteinander und Kimiko warf ihr einen kalten Blick zu.

»Was tust du mir nur an, Michi«, fragte sie sich,

»Da wird noch so einiges auf uns zukommen.«
 

Michiru saß am Küchentisch und studierte den, von ihr zusammengestellten, Einkaufszettel.

Ob sie nun aus Mitleid, falschem Schuldgefühl oder noch einem anderen Grund hiergeblieben war, hatte sie aufgegeben sich zu fragen.

Tatsache war, daß Haruka verletzt war und Michiru angeboten hatte, ihr zu helfen, solange es nötig war. Und genau das würde sie auch tun - egal wie unfreundlich die Blondine auch immer sein mochte.

Was Michiru einmal angefangen hatte, das würde sie auch beenden. In dieser Hinsicht war sie genauso dickköpfig, wie Haruka.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, daß es bereits nach zwölf war.

"Zeit für ihre Medikamente", murmelte sie.

Sie holte die Tabletten und füllte ein großes Glas mit Wasser.

Ein wenig mulmig war ihr schon bei dem Gedanken, Haruka jetzt wieder gegenüber zu treten.

Aber es half nichts. Da mußte sie jetzt durch.

Sie holte nocheinmal tief Luft und ging dann entschlossenen Schrittes Richtung Schlafzimmer. Vor der Tür jedoch, gewann die Unsicherheit wieder Oberhand und sie hielt inne.

»Was, wenn sie wirklich sauer auf mich ist?« fragte sie sich,

»Oder wenn sie wieder Streit anfängt? Was, wenn ich ihr lästig bin?«

Dann jedoch schüttelte sie den Kopf.

»Nein! Vielleicht mag sie mich nicht besonders, aber sie hasst mich auch nicht. Und auch wenn sie vorhin so gemein war - wirklich rausgeworfen hat sie mich nicht.«

Sie zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen und betrat ohne weiteres Zögern das Schlafzimmer.

Und schon Bruchteile einer Sekunde später traf sie fast der Schlag.

Haruka hatte wohl nach etwas anderem zum anziehen gesucht und dabei fast die Hälfte der noch im Schrank vorhandenen Kleidung auf dem Fußboden verteilt. Auch die Zeitschriften waren größtenteils wieder im gesamten Raum verteilt.

Haruka saß, in einem grauen Jogginganzug gekleidet, Play Station-spielenderweise, mitten auf ihrem Bett, umgeben von Unmengen Süßigkeiten, Chipstüten und mindestens einer halben Millarde Krümel.

Aus den Kopfhörern, welche sie trug, schlug Michiru - ihrer Meinung nach noch immer unerhört laut - eine derart grausame Musik entgegen, daß ihr dazu nur noch der Begriff `jedes bißchen Verstand beleidigender Krach´ einfiel.

Natürlich bemerkte die Blondine sie nicht.

Also stellte Michiru das Glas Wasser auf den Nachttisch und zog Haruka dann kurzerhand die Kopfhörer weg.

"Heee", protestierte diese sofort, aber als sie Michiru sah, verstummte sie gleich wieder.

Michiru stand da, mit vor der Brust verschrenkten Armen, tippte immer wieder mit dem Zeigefinger auf ihren Oberarm und sah Haruka strafend an. Irgendwie erinnerte sie Haruka an ihre Mutter, immer, wenn sie - als der kleine Rabaucke, der sie ja schon immer gewesen war - mal wieder etwas ausgefressen hatte.

Haruka konnte nicht verhindern, daß Michiru´s Ausstrahlung ihr im Moment eine gehörige Portion Respekt einflößte, was sie natürlich total verunsicherte.

"Was ist?" war alles, was sie - ein wenig patzig - hervorbrachte.

Michiru sah sie weiterhin strafend an.

"Was glaubst du eigentlich, was du da machst?" fragte sie schließlich lauernd.

Haruka sah auf das Pad in ihrer Hand und dann auf die Reste ihrer Süßigkeitenorgie.

Ihr Blick wanderte über Schokoladenflecke auf der Bettwäsche, Unzen von Krümeln und eine umgefallene Colaflasche, aus welcher es noch fleißig auf den Boden tropfte.

Sie sah Michiru wieder an.

"Und?" fragte sie ahnungslos.

Jetzt verlor Michiru die Geduld.

"Das fragst du noch?", war sie fast fassungslos,

"Du weißt allen Ernstes nicht, was los ist? Sieh dich doch mal um!"

"Hab ich doch gerade", gab Haruka unwissend zurück.

Michiru gab einen undefinierbaren Laut von sich.

Dann holte sie tief Luft und stellte sich erhobenen Hauptes vor die Blondine.

"Ten´ou Haruka", sagte sie in einem Tonfall, welcher Haruka schwer an den einer Lehrerin ihrer letzten Schule erinnerte,

"Du bist absolut unmöglich! Der Arzt hat dir Bettruhe und Schonung verordnet und was machst du? Du feierst eine Ein-Mann-Party und verwandelst das Zimmer in weniger als drei Stunden zu einem absoluten Saustall! Schau dir die Schweinerei auf dem Bett an. Willst du darin etwa schlafen?"

Haruka sah erneut auf die Krümelberge in ihrem Bett.

"Das sind doch nur Krümel", sagte sie unschuldig,

"Die sind schnell beseitigt."

Dabei wischte sie mit der Hand eine große Ladung Krümel vom Bett.

"Siehst du? Kein Problem!" grinste sie Michiru an.

"Denkst du?" schimpfte diese und zog mit viel Schwung die Decke vom Bett.

Die Krümel wirbelten durch die Luft und segelten in einem knusprigen Niederschlag auf Haruka herab.

"Iiih", protestierte selbige,

"Was für eine Sauerei!"

"Ach nee", grinste Michiru ironisch,

"Meine Worte!"

Haruka sah sie an.

Eigentlich war sie wütend.

Michiru hatte sie, ihrer Meinung nach, in ihrer Privatphäre gestört, aber wie das türkishaarige Mädchen so dastand und sie vorwurfsvoll anblickte, konnte sie sich ein Grinsen nur schwer verkneifen.

»Sie ist so süß«, schoss es ihr durch den Kopf.

Dieser Gedanke jedoch schaffte es, den Drang nach einem Grinsen zu verdrängen.

Und da sie sich nun absolut nicht sicher war, wie sie reagieren sollte, entschied sie sich für den neutralen Mittelweg.

"Ich hab da wohl ein ganz schönes Chaos veranstaltet, was?" fragte sie schuldbewußt.

Michiru zögerte.

Eigentlich hatte sie jetzt ein heftiges Wortgefecht erwartet, vonwegen `das ist meine Wohnung. Hier mach ich, was ich will. Du kannst ja gehen, wenn es dir nicht passt´. Nun mußte sie erst einmal einen Moment überlegen.

Dann jedoch lächelte sie und sagte:

"Hast du wirklich. Aber es gibt nichts, was sich nicht wieder in Ordnung bringen lässt."

Haruka verstand und versuchte langsam aufzustehen.

Michiru griff ihr sofort unter die Arme und half ihr langsam ins Wohnzimmer.

"Geht schon", befreite die Blondine sich vorsichtig, aber bestimmt von Michiru,

"Ich muß nur langsam gehen."

Diese sah ihr einen Moment etwas enttäuscht nach, dann jedoch holte sie das Wasserglas und die Tabletten und folgte der Blondine.

Haruka saß mittlerweile auf der Couch.

Michiru stellte ihr das Glas vor die Nase und hielt ihr die Medikamente hin.

"Hier. Da sind starke Schmerzmittel bei. Trink also genügend Wasser."

Haruka nahm beides - die Tabletten und das Glas Wasser - und konnte sich ein `ja Mama´ nicht verkneifen, bevor sie das Glas an ihre Lippen setzte.

Michiru sah sie fassungslos an.

Haruka jedoch zeigte keinerlei Regung.

Auch nicht, als sie das Glas wieder auf den Tisch stellte.

»Hoffnungslos«, dachte sie, schüttelte den Kopf und sagte:

"Ich geh dein Bett neu beziehen. Du kannst dich bestimmt allein beschäftigen."

"Immer", kam es in einem seltsam, neckischen Tonfall zurück.

Michiru reagierte gar nicht mehr darauf und ging ins Schlafzimmer.

Haruka griff sich eine Zeitschrift und versuchte, es sich so bequem wie möglich zu machen. Erfreut stellte sie dabei fest, daß die Schmerzmittel eine sehr gute, schnelle Wirkung zeigten.

Nach einer kleinen Weile kam Michiru zurück und nahm ihr gegenüber in einem Sessel Platz.

"So. Alles wieder sauber. Hast du irgendwelche bestimmten Wünsche, was das Essen angeht?"

"Meine Salzstangen sind alle. Da bräuchte ich neue. Und neue Erdnusslocken wären auch fein", kam es direkt zurück.

"Dummkopf", sagte Michiru streng,

"Ich rede von richtigem Essen. Reis oder Fisch. Von mir aus auch Suppe oder Pizza. Eben etwas, daß auch Nährwerte besitzt und nicht nur leere Kalorien."

Haruka zog die Augenbrauen hoch.

Michiru sah ihr an der Nasenspitze an, daß Haruka sich anscheinend überwiegend von Süßigkeiten und Fast Food ernährte.

"Lass nur", seufzte sie,

"Ich mach das schon. Sag mir einfach, was du absolut nicht magst und danach kann ich mich dann richten."

"Bohnen und Käse", kam es wie aus der Pistole geschossen.

Michiru war richtig überrascht wegen der klaren, schnellen Antwort.

"Na, da mußtest du ja nicht lange überlegen", lachte sie.

"Das muß ich nie", sagte Haruka wie beiläufig und konzentrierte sich wieder auf ihre Zeitschrift,

"Egal, in welcher Lage!"

Michiru hatte die kleine Stichelei zwar genau bemerkt, reagierte jedoch gar nicht darauf.

"Impulsiv wie ein kleines Kind", grinste sie stattdessen.

Empört sah Haruka von ihrer Zeitschrift auf, doch ein einziger Augenaufschlag Seitens Michiru, nahm ihr jeglichen Wind aus den Segeln.

Ein wenig zerknirscht sah sie wieder auf ihren Artikel.

Michiru erhob sich und brachte das Glas in die Küche.

Als sie wiederkam, fing sie an Staub zu wischen und zwischenzeitlich eine neue Ladung Wäsche in die Maschine zu werfen. Haruka schenkte diesem Anfall von Putzwahn keinerlei Beachtung und für Michiru schien die ganze Situation selbstverständlich zu sein.

So, als wäre es immer schon so gewesen.

Irgendwann, nachdem sie den Fernseher von einer Zentimeter dicken Staubschicht befreit hatte, bemerkte sie fast beiläufig:

"Ich werde Elza bitten hierzubleiben, solange ich einkaufen bin."

Haruka sah sie an.

Das schien ihr dann doch nicht zu gefallen.

"Ich brauche keinen Babysitter", sagte sie säuerlich,

"Bis gestern war ich auch immer allein!"

"Bis gestern warst du auch gesund", widersprach Michiru,

"Aber im Moment brauchst du jemanden, der zur Not für dich da ist. Und zwar rund um die Uhr!"

"Ich brauche niemanden", wurde Haruka laut,

"Hör endlich auf mich zu bemuttern!"

"Jetzt halt aber mal endlich die Füße still", fuhr Michiru sie scharf an,

"Jeder andere würde mit deinen Verletzungen wahrscheinlich den ganzen Tag jammernd im Bett liegen und froh sein, wenn sich jemand um ihn kümmert. Du beißt stattdessen die Zähne zusammen und zeigst vor meinen Augen nicht das geringste bißchen Schwäche. Aber auch, wenn du sie nicht zeigst - du hast Schmerzen und brauchst Pflege! Wenn du weiterhin so unvernünftig sein willst... Bitte! Ich werde dich nicht daran hindern, aber verlange nicht von mir, daß ich genauso unvernünftig bin. Ich lasse dich nicht allein und damit Basta!"

"Du bist echt nicht auszuhalten, weißt du das?", gab die Blondine ein wenig gereizt von sich und stand umständlich auf,

"Mach doch, was du willst. Ich jedenfalls werd mich in mein Bett verziehen und Musik hören."

Sie hinkte Richtung Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.

"Das ist doch schonmal ein kleiner Anfang", murmelte Michiru und machte sich zufrieden wieder an ihre Arbeit.
 

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Fortsetzung folgt...



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Kommentare zu diesem Kapitel (9)

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Von: Tidus17
2007-02-24T23:44:05+00:00 25.02.2007 00:44
echt ein schwieriger patient ><
..aber was man im kopf hat lässt man nicht locker XDD

ich stauen über michis hartnäckigkeit..bin mal auf das nächste kapitel gespannt ><
Von: abgemeldet
2006-12-15T19:43:35+00:00 15.12.2006 20:43
Hallo Ruka!

Kriegen wir vor Weihnachten noch eine Fortsetzung dieser genialen Story? Ich bin schon ganz hippelig, wie es wohl weitergeht.

LG Sno-opy
Von:  K-A-E-D-E
2006-10-31T16:05:38+00:00 31.10.2006 17:05
Super endlich ist ein neues Kappi on *freu*. und schon wieder befällt mich die Sehnsucht nach einen weiteren.
Von:  K-A-E-D-E
2006-10-31T16:05:11+00:00 31.10.2006 17:05
Super endlich ist ein neues Kappi on *freu*. und schon wieder befällt mich die Sehnsucht nach einen weiteren.
Von:  K-A-E-D-E
2006-10-31T15:51:42+00:00 31.10.2006 16:51
Super endlich ist ein neues Kappi on *freu*. und schon wieder befällt mich die Sehnsucht nach einen weiteren.
Von:  GoldenTenshi
2006-10-28T10:13:12+00:00 28.10.2006 12:13
Du kennst ja bereits meine Meinung dazu ^^
Für mich is und bleibt dein FF ein Augenschmauß
Freue mich wie jeder andere hier auf die Fortsetzung
Von:  HarukalovesMichi
2006-10-27T16:52:37+00:00 27.10.2006 18:52
Ist richitg gut geworden. Hab deine Geschichte schon vermisst *freu*
LG HLM
Von:  -Fuu-
2006-10-27T16:46:50+00:00 27.10.2006 18:46
Hey Ruka ;)
Schön dass es nun bei Mexx wieder weitergeht! Ich hoffe Du findest bald wieder Zeit und Muse zum Schreiben. Du weißt doch wie sehr ich deine Fics liebe *.*
Dieses Kapi gehört zu einen meiner liebsten in dieser Fic, zumindest von denen die bisher online sind. Die Dialoge sind einfach göttlich. Flüssig und lebendig, kein bissel aufgesetzt oder gestellt.
Zu Lesen was die beiden Dickköpfe anstellen macht einfach Spaß!
Lass von Dir hören *knuff*
Biggi ^^v
Von: abgemeldet
2006-10-27T16:08:29+00:00 27.10.2006 18:08
Schön...arme Michi..auf was die sich da eingelassen hat :D
Das andere Mädel (ich weiß ihren namen nicht mehr, die Schulzeitung), die sich mit Elza unterhalten hat..is ja auch fies...bin mal gespannt wie es weitergeht...
LG Ray


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