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Bonnie & Clyde

Die Story über Bonnie und Clyde
von

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Schicksalhafte Begegnung

Schicksalhafte Begegnung
 

"Hey! Ich habe vor genau zehn Minuten mein Kaffee bestellt!", rief ein sehr beschäftigt wirkender Mann im Anzug. Ab und an sah er auf die kleine goldene Taschenuhr in seinem Jackett. Er funkelte die blonde Bedienung an. Sie nickte nur stumm und ging wieder hinter die Theke. Dort belud sie ihr Tablett mit allen möglichen Sachen, aber ein Kaffee war nicht dabei. Stolz ging die kleine Gestalt an dem Geschäftsmann vorbei, der vor Wut langsam rot im Gesicht wurde. Was bildete sich die kleine Schlampe eigentlich ein? Er stand auf und packte die Blondine am Kragen. Sie blinzelte aber nicht mit der Wimper. In Dallas war es schon alltäglich, dass sie bedroht wurde. Wer nicht hart blieb, konnte sich gleich erschießen. "Ich will meinen Kaffee! Und zwar mit Milch und Zucker!", fauchte er laut durch den Laden.

"Ich bin nicht schwerhörig! Der Kaffee braucht seine Zeit um sein volles Aroma zu entwickeln!", zischte sie zurück. "Aber ich gebe Ihnen gerne einen ungenießbaren Kaffee, wenn das recht ist!"

Der Gast betrachtete das Mädchen stumm. Sie schien gerade mal zwanzig Jahre alt zu sein. Auf ihrem Schild las er den Namen "Bonnie Parker". Er ließ sie los und setzte sich wieder auf seinen Platz. Kurz darauf brachte Bonnie ihm den Kaffee, der schon kalt geworden war.

Wutentbrannt trank der Geschäftsmann den Kaffee aus und bezahlte auf den Penny genau die Schuld. Dann ging er ohne ein weiteres Wort aus "Marco's Café". Er schwor sich, nie wieder in das Geschäft einzukehren. Zu allem Überdruss fing es zu an regnen.

Hinter der Theke stand Bonnie Parker sanft lächelnd und spielte mit der goldenen Taschenuhr in ihrer kleinen Rocktasche. Sie brauchte nicht irgendwelche Trinkgelder. Der Schmuck von den Reichen reichte ihr durchaus.

Sie arbeitete noch bis zum Abend. Dann ging sie mit ihrem Boss aus dem Geschäft. Sie mochte ihn nicht wirklich, aber war auf ihn angewiesen. Wie sonst hätte sie die kleine Wohnung in Dallas für sie und ihre Mutter bestreiten können. Es war nicht viel, was Bonnie verdiente, aber die kleinen Diebstähle hielten Bonnie über Wasser.

Marco, der wohlbeleibte Besitzer, kniff Bonnie bevor sie gehen konnte in den Hintern. Bonnie konnte ihm nichts sagen. Sie war auf ihn angewiesen und konnte sich nicht dagegen wehren, dass er sie nur ausnutze und dann auch noch sexuell belästigte. Wahrscheinlich sah er sich als großer Wohltäter an.
 

Erschöpft ließ sich Bonnie auf ihre kleine Matratze fallen. Die Wände von dem Schlafzimmer, das sie sich mit ihrer Mutter teilte, waren schon grau und abgenutzt. Die Tapete war nicht mehr zu sehen. Eigentlich alles in dieser kleinen Wohnung, die nur aus einem Schlafzimmer, einem kleinen Bad und einer Wohnküche bestand, war alt und abgenutzt. Vieles war noch aus den Kindertagen von Bonnie. Aber der Rest stammte vom Sperrmüll der Nachbarn.

Angewidert verzog Bonnie ihr Gesicht. Das ganze Geld, was die Mutter verdiente, wurde in das kleine Auto von ihr gesteckt. Bonnie's Mutter musste täglich mit dem Auto nach Dallas reinfahren. Sie hatte einen Bürojob bei einem Anwalt. Auch sie musste sich die Gefälligkeiten der Herrschaften antun.

Wie sehr Bonnie ihr Leben hasste. Ihr Vater war schon gestorben, als sie vier Jahre alt war. Das war im Jahre 1914. Ihre erste Ehe mit ihrem Jugendfreund John Thornton war gescheitert. Sie hatte ihn mit sechzehn geheiratet. Bonnie vermutete, dass er entweder im Knast saß oder schon tot war. Sie empfand für ihn kein Mitleid. Sie saß selbst zu tief in der Scheiße, als dass sie auch noch für andere Mitleid haben konnte.

Bonnie konnte nicht schlafen. Irgendein Fenster war undicht. Das war ungefähr das Schlimmste, was einer armen Familie im Januar passieren konnte. Auch drang neben der Kälte laute Polizeisirenen in die Wohnung. Übermüdet suchte sich Bonnie alte Decken und legte sich schlafen. Bald musste sie wieder im Café stehen und sich die Sprüche der Gäste übergehen lassen. Diesen Moment wollte sie so lang wie möglich hinauszögern. Auch wenn sie es kaum in der schimmelverseuchten Wohnung aushielt.

Sie hörte nicht einmal wie ihre Mutter nach Hause kam und den Schrank nach Flaschen durchsuchte. Erst als eine auf dem Boden zerbrach und die Mutter laut fluchte, schreckte Bonnie auf.

"In diesem verdreckten Loch gibt's nichts mehr! Schlaf deinen Rausch aus!", brüllte Bonnie emotionslos durch die Wohnung. Sie rollte sich ein und versuchte weiterzuschlafen. Der Geruch von schwerem Alkohol nahm ihr die Luft. Wieso musste ausgerechnet ihre Mutter, die das letzte Geld versoff, die letzte Verwandte sein, die sie noch hatte? Wieso konnte sie nicht ein normales Mädchen aus gutem Hause sein, wie es ihr Vater für sie und ihre zwei Geschwister gewünscht hatte? Ihr älterer Bruder war nach Chicago gezogen und versuchte als Spekulant sein Glück an der Börse. Die jüngste Schwester war irgendwo in den Vereinigten Staaten. Von ihren Geschwistern hörte man nichts mehr. Bonnie konnte es ihnen nicht verübeln. Sie hätte wahrscheinlich auch so gehandelt. Irgendwann würde sie auch verschwinden. Einfach so weg! Als hätte es sie nie gegeben. Aber sie hatte Angst. Sie brauchte eine Person an ihrer Seite, mit der sie viele Abenteuer erlebte. Ihr Märchenprinz, der sie aus dem öden Vorstadtleben befreite. Lächelnd schlief Bonnie wieder ein.
 

Es war verdammt kalt. Bonnie schlug die Decken von sich und rannte durch die kleine Wohnung. Sie wollte endlich dieses Fenster finden und es abdichten. Wenn es sein musste, auch mit dem letzten Hemd gestopft werden musste. Während Bonnie jedes Fenster absuchte, sah sie immer wieder raus. Der Himmel war wolkenbehangen und es nieselte sanft leichte Regentropfen. Auf den Dächern der Vorstadthäuser von Dallas lag noch Schnee, doch der war vom Ruß leicht geschwärzt. In der Nähe der Vorstadt Oak Cliff war ein großes Industriegebiet. Aus den Schornsteinen dampfte schwarzer Rauch in den Himmel und mischte sich unter die weißen Wolken.

Auch auf der Straße lag geschwärzter Schnee. Es war noch ziemlich dunkel und wenige Leute liefen an auf den Straßen entlang. Ab und zu fuhr auch ein Auto dran vorbei. Meist waren es Polizeistreifen, die lautquietschend um die Ecke bogen. Aber ansonsten war nichts ungewöhnliches.

Bonnie gab die Suche nach dem verdammten Fenster auf und zog sich ihre Arbeitskleidung an. Bald war es Zeit die Wäscherei an der Ecke aufzusuchen. Die Wäsche stapelte sich mittlerweile auch in der Wohnung. Kopfschüttelnd ging Bonnie zu ihrer Mutter und weckte sie grob. "Aufstehen! Du musst die Wäsche zum Waschsalon bringen!", sagte Bonnie ihr.

Total übermüdet murrte die Mutter: "Wieso ich? Du bist alt genug!"

"Du kannst auch mal was machen! Ich mache hier schon immer alles. Du hast heute frei! Da kannst du auch mal was machen!", stöhnte Bonnie entnervt. Manchmal verhielt sich ihre Mutter wie das Kleinkind, der Nachbarin, das die meiste Zeit schrie. Aber warum sollte man einem Kind verbieten zu schreien, wenn der alkoholisierte Vater es ohne Grund schlug.

"Ich habe ab sofort immer frei!", sagte die Mutter weiter mit belegter Stimme. Sie drehte ihr Gesicht zur Wand, damit ihre Tochter sie nicht anstarren konnte. Doch Bonnie war schon aus der Wohnung und rannte die Treppen herab. Sie musste sich beeilen, damit sie nicht die Straßenbahn nach Dallas verpasste. Bestimmt wurde sie auch wieder von irgendeinem Zuhälter oder Dealer angesprochen.

Als sie gerade die Haustür hinter sich zuzog sah sie etwas, was ihr Herz stehen ließ. Ein unbekannter Mann lehnte sich an das Auto ihrer Mutter und stand da eine kurze Weile. Irgendwann gewann Bonnie genug Mut um den Mann anzusprechen. Er war viel größer als sie. Seine kurzen braunen Haare wurden von einem Hut verdeckt. Er hatte einen weiten Mantel an.

"Hey! Weg vom Auto oder ich rufe die Polizei!", rief sie ihm zu. Der Mann fuhr sofort herum und sah die junge Dame. Er lächelte ihr zu und hob ihr zum Gruß den Hut vom Kopf. "Ich will den Wagen nicht stehlen! Ich habe genug Kapital den Wagen zu kaufen! Und ich bin eben daran interessiert!", antwortete er galant.

"Der Wagen ist nicht zu verkaufen!", sagte Bonnie sofort. "Wer sind Sie überhaupt?"

"Oh verzeiht, junge Dame...", sagte der Mann, der selbst nicht viel älter als Bonnie war. "Mein Name... Jacke Taylor, Mobilienmakler!" Er gab Bonnie eine kleine Karte, die sie entgegen nahm. Interessiert las sie die Karte durch. Dann runzelte sie die Stirn. Einen Mann, der kurz darauf war, das Auto ihrer Mutter zu stehlen, mit so viel Benimm hatte sie noch nie getroffen. "Sagt mir, Mr. Taylor... wieso habt ihr mir eine Karte von Mike Brown, einem Fremdenführer, gegeben?", fragte Bonnie misstrauisch und perplex nach.

"Wa.. was?", fragte Jacke Taylor verwirrt. Er nahm die Karte zurück. "Verzeiht mir.. Das war ein Kunde von mir... Ihr seid sehr aufmerksam! Nun.. Das Auto..."

"Ihr macht nicht den Eindruck, dass ihr so viel Kapital habt, dass ihr das Auto kaufen könnt!", sagte Bonnie mit verschränkten Armen.

"Ihr macht auch nicht den Eindruck, dass Ihr ein Telefon besitzt, um die Polizei zu rufen.", entgegnete Jacke.

"Das lässt sich schnell ändern! Unsere Nachbarn haben ein Telefon!", sagte Bonnie schlagfertig.

"Mh... Das mit dem mangelnden Kapital lässt sich auch schnell ändern! Wenn ich es Ihnen kurz demonstrieren darf?", lächelte Jacke. Er ließ Bonnie nicht die Zeit zu antworten. Er zog einen kleinen Revolver und ging geradewegs in ein kleines Juweliergeschäft. Bonnie blieben die Worte im Hals stecken. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der fremde Mann, den sie noch nie getroffen hatte, wegen ihr ein Geschäft ausraubte.

Breitgrinsend spazierte der braunhaarige Mann aus dem Geschäft und zog unauffällig Bonnie am Arm weiter die Straße runter, öffnete ihr eine Tür von einem schwarzen, unauffälligen Auto und flüsterte ihr zu: "Da Sie nun an dem Raub mitbeteiligt sind, werden sie auch gesucht! Ich denke, sie haben mehr verdient, als das öde Vorstadtleben! Darum bin ich gewillt, Sie auf meine Reise durch die Vereinigten Staaten mitzunehmen! Ach übrigens! Mein richtiger Name: Clyde C. Barrow."

Tür zur Traumwelt

Tür zur Traumwelt
 

Bonnie konnte bis jetzt es noch nicht fassen. Der junge Mann, der gerade für sie das Juweliergeschäft ausraubt hatte, imponierte ihr immer mehr. Er verkörperte immer mehr für sie, die Freiheit und das Abenteuer, was sie sich immer vorgestellt hatte. Clyde und Bonnie fuhren gemeinsam den ganzen Tag durch irgendwelche Landstraßen. Die Fenster vom Auto waren offen und der Fahrtwind wehte durch Bonnies blonde Haare. Genüsslich schloss sie die Augen und ließ sich immer weiter von ihrem verhassten Alltagsleben entführen. Noch nie hatte sie sich so frei gefühlt. Eigentlich war nur das Summen des Motors vom Auto zu hören.

Bonnie war sich am Abend sicher, dass Clyde ihr Märchenprinz war. Er war ihr Fenster zu einer Welt, in der sie schon immer gehören wollte. Doch der Traum von einem Märchen wurde bald etwas getrübt. Clyde fuhr wieder zurück nach Dallas. Erschreckt sah sich Bonnie um. Er würde sie doch jetzt nicht verlassen und seines Weges gehen! Sie wollte bei ihm bleiben und jeden Tag mit ihm einfach auf den Horizont zufahren! Den Sonnenauf- und Sonnenuntergang im Auto betrachten. Sie wollte so viele Städte sehen. Aus dem Alltag ausbrechen. Jeden Tag etwas neues erleben und nicht wissen, was der Tag für einen parat hatte.

Doch Clyde fuhr nicht in ihr Viertel. Er fuhr Richtung Industriegebiet. Dort war eines der schlimmsten Wohnbezirke von Dallas. Irgendwann fuhr er an den Straßenrand und parkte dort. Bonnie blieb verwirrt sitzen. Erst, als ihr Clyde galant aus dem Auto half, fragte sie: "Wo sind wir? Was wollen wir hier? Und..."

Doch Clyde schüttelte den Kopf und führte Bonnie in ein kleines leerstehendes Haus. Es war ein Schild angebracht, dass das Haus zu Gunsten für die Industrie abgerissen wird. Aber auch der Zahn der Zeit schien an dem Gemäuer genagt zu haben. Man sah viele Risse in der Wand. Die Treppen waren total ausgebeult und knarrten lautstark.

Immer noch auf die Fragen von Bonnie nicht antwortend, ging Clyde weiter. Es schien, als ob er was suchte. Er ging jede Wohnungstür ab und versuchte sie aufzumachen. Erst im obersten Stockwerk war eine kleine Tür so morsch, dass man sie eintreten konnte.

In Bonnies Herz klopfte aufgeregt. Was hatte Clyde mit ihr vor? Er hatte den ganzen Tag nicht sehr viel über seine Pläne geredet. Was ist, wenn er sie jetzt in diesem Haus umbringen wollte?

"Hier... Setz dich... Ich schau mich in diesem - nun ja - Apartment um, was man hier finden kann!", sagte Clyde und wies auf einen kleinen Stuhl. Bonnie setzte sich unter den prüfenden Blick von Clyde auf den Stuhl. Er ging dann weiter um die heruntergekommene Wohnung zu untersuchen. Bonnie sah sich verwirrt um. Es war kalt und das Dach schien Löcher zu haben. Die Fenster waren verdreckt. Nur durch die kleinen Löcher konnte man auf die heruntergekommene Nachbarschaft sehen. Die Wände waren kahl und besaßen keine Tapete mehr. Man sah sogar nur noch die Steine, aus denen die Wände gemacht worden sind.

Auf den grauen Teppichboden waren mehrere Pfützen zu sehen. Viele schimmerten wegen des Öls bunt. Ab und zu sah Bonnie auch kleine Blutflecke auf den Boden, an den Wänden und sogar an der Decke waren Blutspritzer. Unwillkürlich kam Bonnie die Vorstellung, dass Clyde ein berechnender Massenmörder wäre und sie nun auch umbringen wolle. Sollte sie fliehen? Aber wo sollte sie hin? Bonnie wollte nicht mehr in ihren Alltag. Jetzt wo sie gesehen hat, was sie verpassen würde. Um jeden Preis wollte sie nicht zurück, also blieb sie sitzen. Solle sie doch ein Geisteskranker umbringen, aber davor wolle sie ihm danken, dass er ihr die Möglichkeit geben hatte, etwas mehr von der Welt zu sehen.

Gerade als Bonnie den Entschluss gefasst hatte, kam Clyde wieder ins das Zimmer, wo sie saß. Er hatte ein paar dünne, verdreckte Decken in einer und paar altaussehende Dosen in der anderen Hand. Er grinste Bonnie an und sagte belustigt: "Ihr seht aus, als wärt Ihr einem Massenmörder begegnet!"

"Bin ich das nicht?", fragte Bonnie leicht zögernd.

"Mh... Nein! Nur einem charmanten Entführer!", grinste Clyde.

"Ihr wollt von meiner Mutter Geld, damit sie mich wiederbekommt?", fragte Bonnie forschend, aber auch mit einem leichten Anflug von Panik nach.

Clyde stöhnte auf und wollte sich an die Stirn fassen, aber er hatte keine Hand frei. Wahrscheinlich war das nicht seine erste Entführung. Er ging sehr gelassen und geplant an die Sache. Man konnte ihm nichts anmerken, keine Emotionen, nichts. Das war, was Bonnie am meisten Angst machte. Dann aber lächelte Clyde: "Ja... So hab ich mir das eigentlich vorgestellt.. Natürlich bleibt die kleine Geschichte mit dem Juwelier unter uns."

"Wieso sollte ich einen Kleinkriminellen vor der Polizei schützen?", fragte Bonnie sofort.

"Weil der Kleinkriminelle Euch an Leben lässt?", lachte Clyde. "Und Euch mit allem versorgt, was Ihr braucht?"

"Dafür bekommt Ihr ja das Geld meiner Mutter!", konterte Bonnie sofort.

"Mh.. Da kommt aber kein Gewinn bei mir heraus! Das wäre ungünstig!", sagte Clyde fast nachdenklich.

"Man wird Euch eh wenig Geld geben! Weder meine Mutter, noch ich verfügen über ein Kapital!", sagte Bonnie leicht verbittert. Clyde schien die Bitternis aus Bonnies Stimme gehört zu haben. Sein Lächeln verschwand sofort von seinem Lippen. Seine Augen waren auf Bonnie fixiert.

Bonnie sah ihn stur an. Sie wollte nicht einfach so umgebracht werden. Sie wollte stolz von der Welt gehen. Niemals würde sie auf Knien für ihre Freiheit betteln. Vielleicht konnte sie ja den Entführer so lange nerven und entmutigen, bis er sie erschoss. Ihre Fantasien, über Abenteuer mit einem Unbekannten, waren nun endgültig verloren.

"Mh... Ihr habt Mut... Ich weiß immer noch nicht den Namen von meiner Geisel. Dürfte ich ihn erfahren?", forschte Clyde vorsichtig nach.

Bonnie zögerte kurz. Sollte sie ihm einen falschen Namen sagen, oder ehrlich bleiben?

"Mary Stuard!", antwortete Bonnie kurzatmig.

"Ich habe wohl schlechten Einfluss auf Euch, Mary. Aber wenn Ihr mir nicht euren wahren Namen sagen wollt, muss ich das wohl oder übel akzeptieren.", lächelte Clyde weiterhin. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich Bonnie gegenüber. Bonnie atmete tief durch. Woher schien Clyde so viel von ihr zu wissen? Verwirrt sah sie sich wieder um. Dann bemerkte sie, dass Clyde sie die ganze Zeit beobachtete. Es war ihr etwas unangenehm. Wollte er ihren Namen aus ihrem Kopf lesen? Konnte er überhaupt durch den Körper sehen.

"Mein Name ist Bonnie Parker!", sagte Bonnie. Sie wollte, dass er aufhörte sie anzustarren. Aber Clyde nickte abwesend. Aber dann zuckte er zusammen, als ob ihn irgendwas verschreckt hatte.

"Mir kam ein wirklich abstrakter Gedanke! Verzeiht... Auch ein Kleinkrimineller hat mal Tagträume!", entschuldigte sich Clyde sofort. Bonnie nickte nur.

"Was habt Ihr mit mir eigentlich geplant?", fragte Bonnie kurz darauf. Sie konnte die Stille nicht ertragen.

"Nun... Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich keine Ahnung. Es war nicht geplant, dass ich auch in Dallas ein Geschäft ausraube und eine Geisel nehme. Aber anscheinend kann ich es mal wieder nicht lassen!", grinste Clyde. Er überschlug seine Beine.

"Habt ihr Hunger, Ms Parker?", fragte Clyde. Bonnie sah ihn verwirrt auf.

"Wa.. Oh.. Nein... Ich bin nicht hungrig...", sagte Bonnie verwirrt.

"Mh.. dann nicht... Ich lass Euch was über, falls euch der Hunger über Nacht kommt.", sagte Clyde. Er stellte eine Dose Erbsen auf den Boden und erhob sich.

"Warte!", sagte Bonnie und stand auch auf. Clyde sah Bonnie fragend an. Sie fuhr zögernd fort: "Da wir nun wahrscheinlich eine Zeit lang aufeinander sitzen werden, sollten wir uns duzen!"

"Gerne, Bonnie!", nahm Clyde an und verbeugte sich.

"Ich habe dir meinen richtigen Namen gesagt, erfahre ich deinen?", fragte Bonnie.

"Nun... Ich fürchte, ich darf es dir nicht sagen...", sagte Clyde bedauernd.

"Warum nicht?", forschte Bonnie nach.

"Überleg doch unsere Lage, Bonnie. Wenn du wieder frei bist, dann könntest du zur nächsten Polizeistube und mich anzeigen! Das darf ich als Entführer nicht zulassen!", erklärte Clyde belustigend aber auch ernst.

"Warum bist du so sicher, dass ich über Nacht hier bleibe?", fragte Bonnie wieder.

"Mh... Vielleicht siehst du ein kleinen Hoffnungsschimmer, dass ich dich verschone und sogar dich auf meinen Reisen durch die Vereinigten Staaten mitnehme? Ich habe im Auto gesehen, wie sehr du es genossen hast!", sagte Clyde zögernd.

"Ach...", sagte Bonnie abweisend. Ihr viel nichts mehr ein, was sie dagegen sagen konnte. Woher wusste er so viel von ihr?

"Bonnie... Du bist wirklich erstaunlich! Du hast jetzt eine Entscheidung zu treffen, die dein ganzes Leben verändern könnte!", sagte Clyde nachdenklich. Dann sah er in Bonnies Augen. Bonnie sagte nichts. Sie wollte erst wissen, was Clyde ihr vorschlug.

"Also, du hast zwei Möglichkeiten! Entweder du willst in dein altes Leben zurück, dann bringe ich dich höchstpersönlich zurück zu deiner Mutter. Oder! Du gibst alles auf, woran du gearbeitet hast, geträumt hast und kommst mit mir mit! Erlebst eine neue aufregende Welt!", sagte Clyde.

Bonnie starrte Clyde fassungslos an. Sie konnte es nicht fassen. Clyde schuf nur für sie eine Tür in die Wunderwelt, von der sie schon immer geträumt hatte.

"Nun?", hakte Clyde nach. "Bedenke, diese Entscheidung ist einmalig!"

"Ich will!", sagte Bonnie sofort. "Ich will mit dir mit! Ich will raus aus den öden Alltag!"

Auf Clyde breitete sich ein Lächeln aus. Er reichte ihr die Hand. "Meinen richtigen Namen habe ich dir schon genannt. Clyde C. Barrow.", lächelte er.

Bonnie war erstaunt, dass Clyde ihr vertraute. Aber in ihr war gerade ein großes Feuerwerk gestartet. Sie ignorierte die Hand von Clyde. Bonnie sprang Clyde in die Arme und drückte sich an ihn.

Verwirrt, aber bestimmt erwiderte er die Umarmung. Es war die erste zärtliche Berührung seit langem von ihm. Diese Frau, Bonnie Parker, war für ihn etwas besonderes. Das wurde Clyde im Laufe der Nacht noch einmal mehr klar.

Von Büchsen und Blaulicht

Von Büchsen und Blaulicht
 

"Wird man dich sehr vermissen?", fragte Clyde besorgt, während er den bloßen Rücken von Bonnie küsste.

"Nein... Meine Mutter ist zu sehr auf den Alkohol fixiert... Sie wird meine Abwesenheit kaum merken!", antwortete Bonnie flüsternd. Sie genoss die Zärtlichkeit von Clyde. Schon lange hatte sie sich nach jemanden gesehnt, der sie zärtlich behandelte. Clyde schien zu spüren, was sie brauchte und verwöhnte sie. Sie fühlte sich bei ihm so wohl, dass es sie nicht einmal störte, dass sie in einem baufälligem Haus lag. Das Wichtigste im Moment war, dass Clyde neben ihr lag.

Die ersten Sonnenstrahlen kämpften sich durch die Smogwolken und den Dreck von Dallas in das kleine Kämmerchen, wo Bonnie und Clyde nackt nebeneinander unter mehreren Decken versteckt lagen.

Clyde wusste darauf hin nichts mehr zu sagen. Er drückte seine Geliebte nur an sich heran. Er wusste von den Familienproblemen aus Bonnies Familie. Er hatte mir ihr die ganze Nacht geredet. Erst etwas zögernd und dann mit mehr Leidenschaft füreinander kamen sie sich näher.

"Wir müssen bald aufstehen!", sagte Bonnie und sah sich um. Ihre Kleidungsstücke fand sie im kleinen Zimmer verstreut wieder. Darunter waren auch die Sachen von Clyde. Sie war erstaunt. So stürmisch hätte sie weder Clyde noch sie eingeschätzt. Aber ihr gefiel es.

"Du hast recht. Wir müssen heute auch weiter. Niemals dürfen wir uns mehr als zwei Tage in den Städten aufhalten.", erklärte Clyde. "Und heute ist mein dritter Tag in Dallas. Das ist nicht gut!"

Bonnie nickte. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum die Polizei so akribisch nach Clyde suchte. Er war doch nur ein Kleinkrimineller! Jeder in Dallas hatte schon mal eine Entführung gesehen oder war darin beteiligt. Ladendiebstähle waren auch an der Tagesanordnung.

"Wollen wir gleich losgehen?", fragte Bonnie und zog sich unter den Blicken von Clyde an. Sie hatte kein Problem ihren Körper zu zeigen.

"Nein. Erst wird gemütlich gefrühstückt!", lächelte Clyde. Er raffte sich dann auch endlich auf. Gemütlich zog er sich an, während Bonnie die letzten Essensreste aus dem Apartment suchte. Clyde war sichtlich überrascht, was Bonnie auf die Schnelle gezaubert hatte. Sie hatte es geschafft, das öde Dosenfutter so herzurichten, dass es wirklich schmackhaft aussah. Er ging zu Bonnie und küsste sie lange. "Es sieht wirklich sehr lecker aus. Mein größten Respekt!", lobte er sie.

Bonnie lächelte und meinte: "Ich dachte mir, das du nicht oft so eine Mahlzeit vorgesetzt bekommen hast!"

"In der Tat... In der nächsten Zeit werden wir eh kaum die Möglichkeit haben, so zu frühstücken...", antwortete Clyde.

"Wohin fahren wir?", fragte Bonnie.

"Wohin uns der Wind führt...", lachte Clyde und führte Bonnie zu Tisch. Sie musste unwillkürlich zugeben, dass Clyde viel von Benehmen wusste und es auch schätzte. Er benahm sich wie ein Edelmann und hofierte Bonnie auch wie einer.

Das Büchsenessen war sogar etwas schmackhafter, als man es dachte. Die Erbsen von Clydes verbogenen Gabel waren für Bonnie nur halb so mehlig wie erwartet.

Beide träumten einen gemeinsamen Traum. Der Traum würde sie für immer zusammenschweißen. Irgendwann hatten sie genug Geld um ihren Traum zu erfüllen. Sie wollten gemeinsam nach Europa. Die alten Städte und Ruinen ansehen. Paris, London, Lissabon und Rom wären nur wenige Zielpunkte bei ihrer Europareise.

Sie waren zu sehr in ihrem gemeinsamen Frühstück und ihren Fantasien vertieft, dass sie die fernen Signalhörner von einem Polizeikonvoi überhörten Die brüchigen Wände der Nachbarsgebäude spiegelten das Blaulicht wieder.. Erst als die Polizeiwagen in die Straße des verlassenen Hauses bogen, rissen die Sirenen Clyde aus der Traumwelt in die reale Welt.

Er war für eine Sekunde total verwirrt und wusste nicht, warum er mit Bonnie in einem verdreckten Loch saß. Dann kam ihm alles wieder in den Sinn. Im Flur waren Stimmen zu hören. Clyde sprang sofort auf und nahm seinen Revolver zur Hand. Bonnie war total verwirrt. Sie hatte nichts gehört und konnte Clydes Sinneswandel nicht verstehen.

Clyde zog Bonnie in die Schlafkammer und schlug so leise wie möglich die Scheibe ein. Aus dem Fenster konnte man mit viel Geschick auf das Flachdach des nächsten Hauses klettern. Bonnie atmete tief durch. Sie hatte den Weg freiwillig gewählt. Und nun hatte sie auch ihr Abenteuer. Sie ging schon auf das Fenster zu und wollte rausklettern, als Clyde sie für einen Kuss zurückhielt. Dann half er ihr auf das nächste Dach. Gerade als Bonnie sich aufs Nachbargebäude rettete, krachte die Wohnungstür.

"Lauf! Sie dürfen dich nicht sehen! Sonst wird man dich auch suchen! Bring dich in Sicherheit... Geh nach Hause! Ich werde dich da abholen! Versprochen!", rief ihr Clyde nach und warf ihr seinen Revolver zu. "Zum Schutz! Drück nur ab, wenn du dich bedrängt fühlst! Jetzt Lauf!"

Bevor Bonnie nur einen Mucks von sich geben konnte, war Clyde am Fenster verschwunden. Sie kam seiner Bitte nach und rannte nach Hause. Ihre Gedanken überschlugen sich. Was war mit Clyde passiert? Warum mussten sie flüchten? Ohne Zwischenfälle kam Bonnie ungeschadet zu Hause an.

Schweißüberströmt und schweratmend schleppte sich Bonnie in die Wohnung ihrer Mutter. Sie sah sich um und musste bedauernd feststellen, dass Clyde noch nicht im Wohnzimmer stand. Nur ihre Mutter lag auf dem Sofa. Eine leere Whiskeyflasche lag auf ihrem Bauch.

Bonnie sah sich um und musste feststellen, dass ihre Mutter kein einzigstes Tuch zur Wäscherei an der Ecke gebracht hatte. Sie vermutete, dass sie nicht einmal vermisst wurde. Resignierend fing Bonnie etwas aufzuräumen. Selbst für ihre Verhältnisse sah es fürchterlich aus. Bonnie freute sich auf ihr neues Leben. Für Clyde würde sie ab nun immer aufräumen wollen, aber nicht für die alkoholisierte Mutter, die nur trank, weil sie ihr Leben nicht auf die Reihe brachte. Aber das würde Bonnie nicht passieren, dafür hatte sie jetzt Clyde, der sie davor bewahrte.

Doch Clyde kam nicht. Es war kein Zeichen von ihm zu sehen. Bonnie saß die ganze Zeit am Fenster und sah auf die Straße. Doch es waren nur kleine Grüppchen von Jugendlichen unterwegs. Bonnie vermutete zu recht, dass das kleine Dealer waren oder zu der örtlichen Mafia gehörten. Sie hatte sogar ein paar Sachen zusammengepackt. Unbewusst hielt Bonnie noch Clydes Revolver in der Hand. Er gab ihr die Sicherheit, dass Clyde kommen würde. Es war für sie ein Zeichen, des Versprechens, das Clyde ihr gegeben hatte.

Die Sonne ging unter und die Straßen wurden von mehreren Straßenlaternen spärlich beleuchtet. Bonnie war sich ganz sicher, dass Clyde kommen würde. Er hatte sie bestimmt nicht vergessen. Keine Sekunde zweifelte sie an ihren Prinzen. So vergingen die Stunden und Bonnie bewegte sich keinen Millimeter. Ihre ganzen Sinne waren auf die Straße gerichtet, wo sie hoffte, dass Clyde erscheinen würde.

"Uhhhngggg!!!", stöhnte Bonnies Mutter und regte sich. Die Whiskeyflasche fiel von ihren Bauch auf den Boden.

Sofort zuckte Bonnie zusammen und erkannte, dass ihre Mutter langsam ihren Rausch ausgeschlafen hatte. Sie sah zu, wie sich ihre Mutter unbeholfen von dem Sofa rollte.

"Du wirst nie mit dem Trinken aufhören!", bemerkte Bonnie trocken. Dann sah sie wieder raus. Hoffentlich kam Clyde bald. Sie würde es nicht mehr lang aushalten. Wieso konnte er jetzt nicht sofort erscheinen und sie von ihrer quälenden Mutter befreien? Aber er kam nicht.

Bonnies Mutter rappelte sich stöhnend auf. Sie erbrach auf dem grauen Teppich und auf der Whiskeyflasche, auf der sie gefallen war. Aber Bonnie regte sich nicht, sie öffnete nur das Fenster, damit es nicht so stank.

"Mach das Fenster zu, verdammtes Miststück!", fluchte die Mutter schwach. Aber Bonnie regte nicht einmal den kleinen Finger.

"Es wird kalt! Du dumme Kuh! Wir haben kein Geld für die Heizung!", sagte die Mutter weiterhin ziemlich böse und fluchte weiterhin. Bonnie lies es kalt. Bald müsste ihre Mutter selbst mit sich klar kommen. Bis dahin dauerte es nicht mehr lange. Bald würde Clyde mit einem neuen Auto kommen und sie in die Traumwelt entführen. Sanft lächelte Bonnie aus dem Fenster. Sie bemerkte nicht, wie ihre Mutter plötzlich neben ihr stand und auf sie herabblickte.

"Du.... du verlogenes Stück Dreck! Du willst mich auch verlassen! Wie dein Bruder und deine Schwester...", kreischte sie auf einmal los.

Bonnie sah auf. Zum ersten Mal in ihrem Leben empfand sie Mitleid. Bevor sie aus dem Fenster sah, sagte sie leise: "Du tust mir leid..."

"Bonnie! Nein! Egal was dir der Kerl versprochen hat! Er wird nicht wieder kommen! Er hat dich nur für eine Nacht ausgenutzt! Warum würdest du dann wieder hier sitzen! Männer sind Dreck! Das beste Beispiel ist doch Roy Thornton!", schrie die Mutter. Sie schwankte noch etwas und hielt sich an der Lehne vom Stuhl fest, auf dem Bonnie saß. Bonnie spürte, wie der Stuhl schon protestierte und knarrte. Instinktiv, damit der Stuhl nicht unter ihr zusammenbrach, stand Bonnie auf. Der Stuhl rutschte mit der Mutter weg. Doch Bonnie kümmerte sich nicht darum. Clyde wusste nicht, in welcher Wohnung Bonnie wohnte. Darum ging sie noch einmal runter und befestigte einen kleinen Zettel mit einer Notiz für Clyde. Dann ging sie unruhig ins Bett. Sie konnte nur einschlafen, weil sie wusste, unter ihrem Kopfkissen lag Clydes Revolver. Das Geschrei vom streitenden Päärchen, das über ihr wohnte, nahm sie keine Notiz mehr.

Doch Clyde kam nicht. Auch schien er es nicht für angebracht zu halten, eine Nachricht für Bonnie zu hinterlassen. So gingen die trüben Januartage dahin. Bonnie hatte es nach einer Woche aufgegeben, an Clyde zu hoffen. Sie ging wieder wie gewohnt zu Marco's Café und arbeitete dort wieder. Marco hatte sie nicht mit ganz offenen Armen empfangen. Sie musste sich erst mal wieder die vergangenen Tage abarbeiten.

So verging die Woche. Es war wieder der graue Alltag in der grauen Stadt Dallas. Lustlosigkeit und Antriebslosigkeit erschwerten Bonnie das morgendliche Aufstehen. Zum Abend hin warf sich Bonnie nur schwererschöpft auf ihre dreckige Matratze. Sie konnte mit ansehen, wie das Geld, was sie erarbeitete, von ihrer Mutter versoffen wurde. Ihre Mutter lag nur noch auf dem Sofa und leerte eine Flasche nach der anderen. Sie schien es nicht einmal mehr für Nötig zu halten, sich frische Kleidung anzuziehen. Allmählich passte sie sich dem Stil der Wohnung an. Durch den übermäßigten Alkoholkonsum fielen ihr auch noch die Haare aus.

Eines Abends kam Bonnie total erschöpft nach Hause. Auf dem Fußboden lag ein weißer Brief. Er stach regelrecht vom verdreckten, grauen Boden ab. Bonnie hob ihn auf. Er war an sie adressiert. Doch wer würde ihr schreiben? Clyde!

Bonnies Herzschlag erhöhte sich auf einmal. Nichts war mehr von der Erschöpfung über. Clyde hatte ihr geschrieben. Wahrscheinlich wollte er ihr mitteilen, wann und wo er sie abholen würde. Bestimmt hatte er auch eine plausible Erklärung, warum er sich so lange nicht gemeldet hatte.

Langsam und mit lautpochenden Herzen öffnete Bonnie den Brief. Doch was sie lesen musste, war mehr als traurig. Nur die Erklärung, warum er sich so lange nicht gemeldet hatte, war erklärt. Clyde saß im Gefängnis. Er wusste nicht, wann er freikommen würde, aber dann, würde er sofort mit ihr das gemeinsame Leben vorbereiten und sie dann auch in ihre Traumwelt entführen.

Bonnie weinte. Trotz der traurigen Nachricht versuchte Clyde sie zu trösten. Er war wahnsinnig taktvoll. Sie hatte das Gefühl, sie würden sich schon seit Jahren kennen. War es wirklich gerade mal höchstens zwei Wochen her, als sie Clyde kennengelernt hatte? Wenn ja, dann waren es zwei verdammt lange Wochen gewesen. Welten schienen sich in diesen Wochen dazwischen geschoben haben. Aber Clyde hielt ihr immer noch die Tür offen und Bonnie war bereit über die Schwelle zu treten.

Bote von Daggis

Bote von Daggis
 

Bonnie lag den Brief zum Revolver unter ihr Kissen. Irgendwas in ihr sehnte sich so sehr nach Clyde, dass sie sofort zu ihn rennen wollte. Aber die Vernunft hielt sie zurück. Sie wusste doch gar nicht, wo Clyde gefangen war. Bestimmt nicht in der kleinen Bruchbude von Wachhaus in East-Dallas. Da konnte man sich mit einem Blechlöffel durch die Lehmwand graben.

Zitternd rollte sich Bonnie in ihre Schlafecke. Sie hatte den Brief so oft gelesen, dass sie ihn auswendig kannte.
 

"Liebste Bonnie,

es tut mir leid, dass ich mich so spät bei dir gemeldet habe. Ich kann verstehen, dass du nun auf mich sauer bist und nun nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Wie könntest du auch? Jetzt wo du herausgefunden hast, das hinter dem charmanten Mann ein gesuchter Krimineller steht. Ich hätte dich niemals täuschen sollen. Ich bereue auch meine Taten. Es war niemals richtig, die Geschäfte auszurauben!

Für dich würde ich sogar aufhören zu atmen!

Bitte, vergib mir Bonnie... Ich liebe dich... Ich habe, seit ich hier im Knast sitze, nicht mehr aufhören können, an dich zu denken. Das ist mir noch nie passiert. Ich verspreche dir, wenn ich hier raus bin, werde ich mit dir die Vereinigten Staaten erkunden. Ich möchte dein blondes Haar im Fahrtwind wehen sehn. Deine strahlend blauen Augen, wenn du dich freust. Ich will dich wieder spüren können, deinen Geruch einatmen.

Bitte gib nicht auf, an uns zu hoffen. Die Hoffnung stirbt zu letzt!
 

Clyde Barrow"
 

Bonnie kam, kurz bevor sie einschlief zum Entschluss, sie würde jede Wachstelle abklappern und erst dann ihre Ruhe haben, wenn sie wusste, wo Clyde gefangen war. Sie würde niemals den Traum aufgeben! Und wenn es das Letzte war, was sie tat. Notfalls würde sie sich auch gefangen nehmen und dann Clyde im Knast besuchen.

Am nächsten Morgen wurde Bonnie vom Klopfen an der Tür geweckt. Ihr erster Gedanke war, dass Clyde aus dem Gefängnis abgehauen war und nun mit ihr abhauen wollte. Sie rannte in ihrem Nachthemd zur Tür und riss sie auf. Doch es war nicht Clyde, der vor der Tür stand.

Der Unbekannte packte Bonnie an die Kehle und drückte sie zurück in die Wohnung. Da der schwarzhaarige Mann mindestens zwei Köpfe größer war als Bonnie, glückte auch keine ihrer Befreiungsaktionen.

"Mir ist egal, was ihr macht! Aber ich bin hier um Daggis Steuern einzufordern! Die sind schon längst überfällig!", knurrte er.

"Ich.. Ich kenne keinen Daggis!", keuchte Bonnie schwach. Sie gab nicht auf, sich zu wehren. Warum nahm sie auch nie den Revolver von Clyde mit?

"Du kleine Schlampe bist doch Bonnie Parker oder?", sagte der Fremde weiter im bedrohlichen Tonfall.

"Falsch... Ich bin Claudia Barrow!", stieß Bonnie aus. "Bonnie Parker wohnt eine Etage weiter oben!"

"Oh.. verzeiht, Miss Barrow!", sagte der Mann und ließ Bonnie augenblicklich runter. Er wandte sich zum Gehen ab. "Ich habe niemals den Namen ,Daggis' ausgesprochen. Ich war auch nie hier!", fügte er hinzu.

"Bonnie, du verdammtes Miststück! Wo bist du wieder? Warum zum Teufel hast du eine Knarre unter dem Kopfkissen? Bonnie Parker!", rief die Mutter aus der Schlafkammer. Kurz darauf kam sie ins Wohnzimmer und sah, wie Bonnie von einem fremden Mann am Kragen gepackt hatte.

"Ich hasse es, wenn man mich anlügt!", knurrte er. "Lügen haben äußerst kurze Beine... Am besten, ich schneide dir kleinen Hure gleich ein Stück Bein ab, damit du den Sinn des Satzes verinnerlichst!"

Bonnie fing an wie wild um sich zu schlagen, zu treten und zu schreien. Sie hoffte, dass irgendeiner ihrer Nachbarn die Polizei benachrichtigte. Doch bevor irgendwas weiteres geschehen konnte, gab es einen lauten Knall.

Der Griff, der Bonnie die Luft weggedrückt hatte, löste sich augenblicklich. Sie konnte sich gerade noch auffangen und lehnte sich gegen die Wand, als der Mann vor ihr zusammenbrach. Eine rote Blutlache färbte den Teppich. Was war passiert? Zitternd sah sich Bonnie um. Ihre Mutter stand ihr gegenüber. Sie hatte den Revolver erhoben und war kurz davor abzudrücken.

"Du hast ihn getötet!", flüsterte Bonnie.

"Wenn ich das nicht getan hätte, hätte er dich umgebracht!", kreischte die Mutter panisch.

"Wir müssen die Leiche wegbringen! Die Polizei wird gleich vorbeikommen!", sagte Bonnie weiterhin mit zitternden Leib.

"Ich knall die Arschlöcher ab! Alle! Diese Schweine haben mir mein Auto abgenommen! Die sollen lieber Gangster und Drogendealer gefangen nehmen, als einer Frau den Wagen klauen!", sagte die Mutter und fuchtelte mit dem Revolver herum. Sie schoss in die Decke. Eine Menge Staub und Schimmel fielen von der Decke und ließen es wie eine weißer Schauer aussehen.

"Gib mir den Revolver! Das ist ja lebensgefährlich, dir eine Waffe anzuvertrauen!", sagte Bonnie nüchtern. Sie hatte sich nur kurz erschreckt, als der zweite Schuss abgefeuert wurde.

"Es hat dir aber das Leben gerettet! Sei dankbar, du dreckiges Stück Scheiße!", fluchte die verwirrte Frau. "Ich bin deine Mutter!"

"Meine Mutter hat sich schon längst tot gesoffen! Du bist nur noch eine willenlose Hülle von ihr!", brüllte Bonnie zurück. "Ich will Clydes Revolver zurück!"

"Ah... Clyde... so heißt er also...", lachte die Mutter nervös. "Ich leg diesen Clyde um! Niemand... aber auch niemand, wird dich hier wegbringen! Du gehörst nach Dallas! Du gehörst zu mir!"

"Du bist wahnsinnig! Gib mir den Revolver! Er gehört dir nicht!", sagte Bonnie kalt. Sie ging langsam auf ihre Mutter zu. Der Staub rieselte weiterhin auf sie herab. Färbte ihre Haare grau. Bonnie bemerkte nicht einmal das erkaltende Blut von Einbrecher, das ihre Füße rot färbte. Sie war nur auf den Revolver fixiert. Er bedeutete ihr alles.

"Nein! Du haust dann mit ihm ab!", zischte die Mutter und presste den Revolver an sich, als wäre es ihr Erstgeborenes.

"Clyde ist im Knast! Ich kann nicht mit ihm abhauen! Gib mir den Revolver! Ich geb dir auch dafür eine Flasche!", schlug Bonnie vor.

Anscheinend überlegte die Mutter stark. Dann sah sie Bonnie misstrauisch an. Von fern hörte man die herankommenden Sirenen. Irgendjemand in dem Haus musste die Polizei gerufen haben. Das gab Bonnie gleich auch noch die Chance nach Clyde zu fragen. Aber davor musste sie den Revolver haben. Sie musste ihn verstecken, damit die Polizei ihn nicht in Beschlag nehmen konnte.

"Also?", drängte Bonnie ihre Mutter ungeduldig.

"Erst die Flasche, dann die Knarre!", sagte die Mutter sofort.

"Gut!", sagte Bonnie. "Ich hole die Flasche!"

Sie eilte raus aus der Wohnung und in das nächste Bad, wo die Fließen zersprungen waren. Die Wasserhähne waren verrostet und dreckig. Im Klo schwamm irgendeine stinkende Brühe. Bonnie wollte gar nicht wissen, wie lang sie schon vor sich hinvegetierte. Dort füllte sie etwas von dem dreckigen Wasser in eine leere Whiskeyflasche ihrer Mutter. Sie konnte vom Glück sprechen, dass da ein kleiner Restschluck war. Prüfend schnupperte Bonnie an dem Gemisch und musste zufrieden feststellen, dass es wirklich nach Alkohol roch.

Bonnie eilte schnell durch den dunklen Flur in die Wohnung zurück, wo ihre Mutter schon wartete. Ohne mit der Wimper zu zucken drückte Bonnie ihr das Gemisch in die Hand. "Der Revolver! Sofort!", forderte sie.

Die Mutter lies den Revolver los. Sie war ganz auf den vermeintlichen Alkohol fixiert. Prüfend roch sie daran. "Der ist gut...", kicherte sie. "Sehr gut... Braves Mädchen!" Sie nahm einen Schluck und spukte ihn augenblicklich aus. Ihr vorgealtertes Gesicht verzog sich zu einer schrecklichen Grimasse, als sie erkannte, dass es nicht Whiskey war, was sie da trank.

"Was ist das für ein Gesöff? Willst du mich vergiften? Ich habe dir gerade das Leben gerettet, du undankbares Stück! Raus!", kreischte sie sofort. Sie bewarf Bonnie mit der Flasche. Bonnie duckte sich rechtzeitig, musste aber verschreckt feststellen, dass es einen vorgeeilten Polizisten erwischt hatte.

Bonnie atmete auf. Ohne, dass es der Mutter bewusst war, hatte sie Bonnie zum zweiten Mal an dem frühen Tag gerettet. Sofort rannte Bonnie ins Schlafzimmer. Sie wurde von einem Hagel von leeren Glasflaschen, Blechbüchsen und anderen Müll verfolgt.

Sie musste sich jetzt ganz schnell ein Versteck für den Revolver von Clyde ausdenken. Niemals soll die Polizei die Knarre zu Gesicht bekommen. Niemals würde sie der Polizei das Zeichen von Clydes Versprechen aushändigen. Bevor sie das taten, musste man sie schon erschießen. Sie hielt zu Clyde.

Sie hatte schon eine Idee, wo sie den Revolver verstecken könnte. Es war doch gut, in einem sehr baufälligem Haus zu wohnen!

Information für Information

Information für Information
 

Bonnie lehnte sich total entspannt zurück und lächelte den Polizisten, der ihr gegenüber saß freundlich an. Ihr machte es Spaß, die Polizisten an der Nase herumzuführen. Obwohl Bonnies momentane Umgebung jede Fantasie ersticken ließ, fielen ihr so viele gelogene Geschichten ein.

Die Wände waren grau und kein Fenster war in dem kleinen Kämmerchen. Dafür gab es eine verdreckte Schirmlampe, die über dem kleinen quadratischen Holztischchen pendelte. Nur eine kleine Wanduhr unterbrach die monotone Stille.

"Nun... Noch einmal Miss Parker...", fing der Polizist an und seufzte auf. Er lehnte sich mit verschränkten Armen auf den Tisch.

"Mir ist kalt.... Könnten Sie die Heizung etwas mehr aufdrehen?", fiel ihm Bonnie ins Wort. Sie sah dem Polizisten in die Augen.

"Ihnen wird wärmer, wenn sie reden!", sagte der Mann knurrend.

"Hey...", sagte Bonnie und tat es dem Polizisten gleich und lehnte sich auf den Tisch. "Hör zu... Roy... Ich weiß nichts, also kann ich nichts sagen, so einfach ist die Sache! Darf ich jetzt gehen?"

"Verdammt, Miss Parker! In dem Flur Ihrer Wohnung liegt eine Leiche! Ich will wissen, woher der Schuss kam!", fluchte der Polizist. Er verlor die Nerven und haute mit aller Kraft gegen den Tisch. Als es knallte zuckte Bonnie nicht einmal mit der Wimper. Sie war es schon gewohnt, dass Gäste in "Marcos Café" auf den Tisch schlugen.

"Ich mach mit dir einen Deal! Du gibst mir die Informationen über Clyde C. Barrow und ich werde dir sagen, was in der Bruchbude passiert ist! Na? Was hältst du davon?", schlug Bonnie naiv vor.

"Ich mache keinen Deal mit Ihnen! Steht der Mann in Verbindung mit Clyde C. Barrow?", fragte der Polizist leicht hoffnungsvoll. Er hoffte endlich einen kleinen Hinweis gefunden zu haben.

"Da musst du ihn selbst fragen!", antwortet Bonnie und lehnte sich wieder zurück. Sie legte ihren Kopf in den Nacken. Es war jetzt schon der dritte Polizist, der sie verhörte. Die vorherigen zwei Beamten hatte sie in den Wahnsinn bereits getrieben. Bonnie sah sich die dunklen Schimmelflecke an der Decke näher an. In den Ecken hingen ein paar Spinnenweben. Aber von irgendwelchen Spinnen war nichts zu sehen.

"Miss Parker! Hören Sie auf, sich wie ein Kind zu benehmen! Die Sache ist sehr ernst!", sagte der Polizist und stand auf. Der Stuhl von ihm rutschte knarrend zurück. "Ich will wissen, wer der Mann war und was er von Ihnen wollte!"

"Fragen Sie ihn doch selbst!", antwortete Bonnie. "In der Wohnung neben an wohnt eine Frau, die behauptet mit Toten Kontakt aufnehmen zu können! Wenn sie nicht zu Frieden sind, brauchst du nur noch ein bisschen mehr bezahlen und sie vögelt dich in die Hölle! Dann bist du ja direkt bei deiner Familie!"

"Sind Sie gläubig, Miss Parker?", fragte der Polizist unbeirrt. Bonnie musste zugeben, er verstand seine Aufgabe.

"Sehe ich so aus?", lachte Bonnie und sah auf sich hinunter. Sie trug einen grauen Mantel mit einer breiten Schnalle. Ihre schwarze Strumpfhose hatte lauter kleine Laufmaschen.

"Also nicht.", seufzte der Polizist und kitzelte etwas auf sein Klemmbrett.

"Sieht so aus. Bist du gläubig?", fragte Bonnie.

"Ja, das bin ich!", sagte der Polizist abwesend.

"Irgendwas machst du falsch, Roy! Ich weiß jetzt mehr über dich als du über mich! Soll ich das Verhör weiter für dich führen?", grinste Bonnie.

Bevor der Polizist darauf antworten konnte, ging die eisenbeschlagene Tür auf. Das Licht vom Flur blendete Bonnie. Sie konnte nicht erkennen, was an der Tür passierte.

Aber es schien kein neuer Tausch von den Beamten sein. Langsam gewöhnten sich Bonnies Augen an das helle Licht. Sie sah einen jungen Mann, der eine Weste über sein graues Hemd trug. Anscheinend war es ein Sekretär. Bonnie fühlte sich an einen Bankangestellten erinnert. Er erklärte dem Polizisten was auf dem Blatt stand. Erst jetzt konnte Bonnie den Polizisten richtig erkennen. Es war ein alter Mann. Das erklärte seine ganze Erfahrung in den Verhören. Roy nickte und schloss wieder die knarrende Tür.

"Also Miss Parker... Wo ist der Revolver?", fragte der Polizist und sah Bonnie an. Bonnie zuckte unwillkürlich zusammen. Woher wusste die Polizei von Clydes Revolver.

"Weiß nich...", sagte Bonnie kleinlaut.

"Miss Parker! Ich habe hier gerade das Geständnis ihrer Mutter! Das würde reichen um Sie für mindestens fünf Jahre wegzusperren!", knurrte der Polizist.

"Dann möchte ich nicht in den Knast von Cement City!", sagte Bonnie sofort. "Ich habe keine Lust meinen Exmann dort anzutreffen!"

"Sie verstehen nicht den Ernst der Lage! Ich werde sie noch mal aufklären und darauf hin...", seufzte der Polizist. Aber Bonnie fiel ihm ins Wort: "Aufgeklärt bin ich schon lange! Und ich möchte sofort einen Anwalt! Das grenzt an sexueller Belästigung!" Bonnie wurde immer lauter und stand auf.

"Miss Parker!", erzürnte sich Roy. "Es reicht langsam!"

"Jetzt pass mal auf! Ich habe zwar noch nicht so viele Jahre auf dem Buckel wie du! Aber, verdammte scheiße! Ihr Dreckssäcke habt meine Zukunft versaut! Wegen euch gestörten Rammböcken ist Clyde im Knast! Ihr sagt mir sofort, wo er ist und ich sag euch was in diesem verfickten Drecksloch passiert ist!", schrie Bonnie rum. "Ich hab jetzt die Schnauze gestrichen voll!" Sie stand auf und schmiss den Stuhl hinter sich um. Ihre blonden Haare fielen ihr ins Gesicht und verdeckten etwas die vor Zorn und Ungeduld funkelnden Augen. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Sie stampfte auf den Boden.

Roy sah Bonnie an. "Ich habe einen anderen Vorschlag.", fing er an.

"Ich lehne ab! Information für Information! Das ist fair!", schrie Bonnie.

"Dann sind sie auch ehrlich?", hakte der Polizist nach.

"Ja!", knurrte Bonnie. "Einen Schwur leiste ich trotzdem nicht ab! Dir muss mein Wort genügen!"

Roy nickte. Er ging zur Tür und klopfte daran. Die Tür wurde aufgemacht und der Polizist namens Roy verschwand. Für paar Minuten hatte Bonnie für sich Zeit. Bis dahin ging Bonnie im Kreis. Sie musste unbedingt ihre Wut dämpfen, denn sonst würde sie zuviel erzählen. Kurz darauf kam Roy wieder. Er hatte einen dicken Ordner unter dem Arm.

"So Miss Parker!", sagte er geschäftig und setzte sich wieder auf seinen Platz. "Bitte setzen Sie sich."

Bonnie tat ihr wie geheißen und faltete sogar fromm die Hände auf dem Tisch. Doch innerlich kochte sie noch vor Wut.

"Information für Information... Ihre Worte...", fing er an.

"Hör auf zu quatschen! Gib mir den Haftbefehl und die Zellendaten von Clyde C. Barrow.", sagte Bonnie und streckte ihre Hand aus.

"Sie können lesen?", fragte der Polizist nach.

"Ja verdammt! Die Blätter!", sagte Bonnie und entriss ihm die Blätter die er hinhielt. Sie überflog die Zeilen und ihr Blick verdunkelte sich. "Ich will nicht wissen, was Clyde vor zwei Jahren getrieben hat! Ich will wissen wo er JETZT sitzt!", fauchte sie und warf ihm die Blätter entgegen.

"Ihr hattet Euch nicht klar genug ausgedrückt!", entschuldigte sich der Polizist. "Aber hier sind seine aktuellen Daten!"

Ungeduldig las sich Bonnie die Sachen durch. Sie erfuhr, dass Clyde in Waco saß. Der Antrag zur Versetzung auf die Baumwollplantagen wurde jedoch abgelehnt. Bonnie atmete tief durch. Clyde hatte Glück gehabt. Wenn er sich gut hielt, musste er nicht dort hin. Das war ungefähr das Schlimmste, was einem Gefangenen geschehen konnte! Die Plantagen waren mitten in der Wildnis und wurden auch streng überwacht. Ein Ausbruch war fast unmöglich. Die Arbeit war unter der warmen Sonnte äußerst anstrengend. Nicht viele sind schon daran gestorben.

Plötzlich fühlte Bonnie in sich eine leere Kälte. Sie breitete sich in ihrem Körper bis in die Fingerspitzen und Zehen aus. Was würde sie machen, wenn Clyde es auf den Plantagen nicht aushielt? Clyde, der manchmal zu zerbrechlich aussah, als dass man ihn irgendwas böses nachsagen konnte.

"Nun Miss Parker. Sie haben Ihre gewünschte Informationen, jetzt möchte ich gerne meine!", lächelte der Polizist. Er stützte sein gewaltigen Kiefer auf den gefalteten Händen ab.

Bonnie sah ihn an. Ihm gefiel es, dass sie Qualen litt. Sie konnte es aus seinen kalten, erbarmungslosen Augen lesen. Doch Deal war Deal und in der Hinsicht war Bonnie ein ehrlicher Mensch.

Sie erzählte fast alles, was er wissen wollte. Auf die Frage, woher sie den Revolver hätte, sagte sie nichts. Auch erfuhr der Polizist nicht, wo sie den Revolver versteckt hielt. Das Verhör zog sich weiter in die Länge. Bald darauf kam der Polizist auf Bonnies Mutter zu sprechen. Das löste Bonnies Zunge nun endgültig. Sie erzählte ihm vom illegalen Whiskey und von des Mutters Abhängigkeit.

Nach fünf Stunden durfte Bonnie das Wachhaus verlassen. Der Himmel schien sie für diese Befreiung belohnen und öffnete die dichte Wolkenwand. Vereinzelte Sonnenstrahlen fielen auf den Asphalt der Straßen von Dallas. Der Schnee schmolz langsam vor sich hin. Auf den Straßen fuhren schwarze Autos an Bonnie vorbei und ließen das Wasser in den Pfützen aufspritzen.

Schon bald hatte sich Bonnie unter die Menschen gemischt und verschwand in der Gesamtmasse von Dallas.

Besuch im Waca-Gefängnis

Besuch im Waca-Gefängnis
 

"Hey Kleine! Hast du dich verlaufen? Der Kindergarten ist wo anders!", brüllte ein Häftling. Seine Freunde, die sich um ihn gesammelt hatten, lachten laut auf. "Komm! Ich bring dich hin!", schlug der Anführer vor. Er offenbarte mit seinem dreckigen Lächeln seine schwarzen Zähne.

Lässig lehnte er sich gegen das Geländer. Seine Finger umschlangen den dünnen Maschendrahtzaun. Doch Bonnie ging mit erhobenen Kopf an ihm vorbei. Sie schenkte den Männern hinter dem Zaun keine Beachtung. Die zwei Beamte, die hinter Bonnie liefen und sie in das Hauptgebäude vom Waca-Gefängnis führten, schlugen mit ihren Holzkeulen gegen die Gitter und funkelten die Häftlinge an.

Sofort wichen die Männer im schwarz-weiß-gestreiften Anzügen zurück und hoben die Hände um den Wachmännern zu versichern, dass sie unschuldig waren. Doch die Polizisten achteten gar nicht weiter auf die Häftlinge.

Bonnie und ihre zwei Begleiter gingen zielstrebig weiter auf das große Backsteingebäude mit den vielen kleinen mit Gittern versehenen Fenster. Zweifelnd ob sie jemals Clyde in dem Kollos finden würde, trat sie durch die schwere Eisentür, die die zwei Polizisten aufhielten. Bonnie kannte von sich nicht diese Unsicherheit. Die eher kleine graue Eingangshalle schien sie mehr und mehr einzuschüchtern. Doch Bonnie hatte keine Zeit, sich darum zu beschäftigen. Eine großgewachsene, stämmige Frau in schwarzer Uniform empfing Bonnie. Ihre haselnussbraunen Augen blickten streng. Mit einer unbeholfenen Handbewegung wies sie Bonnie an ihr zu folgen. Ungeduldig und eilend folgte Bonnie der Beamtin. Sie wurde in einen kleinen Raum geführt. Aber der Raum war bis auf einen kleinen Raumteiler, ein Regal und einem Stuhl nichts drin. Verwirrt blieb Bonnie auf der Schwelle stehen.

"Miss Parker, ich bitte Sie sich bis auf die Haut auszuziehen. Wir müssen überprüfen, ob sie irgendwelche Waffen oder Drogen ins Gefängnis schmuggeln wollen.", sagte die Frau mit einer dröhnenden Stimme. Sie setzte sich auf den Stuhl und wartete geduldig. Ohne weiteren Kommentar sah sie auf den Raumteiler, hinter dem Bonnie sich auszog.

Danach trat Bonnie hinter der Wand hervor und verdeckte ihre Blöße. Wieso sollte sie sich einer fremden Frau nackt zeigen? Außerdem hätte jeder Zeit jemand in die Kammer reinstolpern können.

Die Durchsuchung dauerte Bonnie viel zu lang. Innerlich seufzte sie mehrmals auf. Aber sie behielt ihre Geduld. Noch war sie eine Fremde im Waca-Gefängnis. Sie durfte auf keinen Fall irgendwie negativ auffallen.

Nachdem alles gründlichst durchsucht und nichts gefunden wurde, wurde Bonnie eine Station weiter geführt. Dort musste sie einem gelangweiltem Sekretär ihre Daten abgeben. Auch hier wurde Bonnies Geduld bis auf den letzten Rest strapaziert. Es dämmerte schon, als sie endlich aus den Anmeldetrakt vom Waca-Gefängnis entlassen wurde.

Wieder musste Bonnie, begleitet von mehreren Polizisten, durch lange, dunkle Gänge gehen. Ab und an wurden eiserne Gittertüren aufgeschlossen und hinter ihr wieder abgeschlossen. Endlich kam Bonnie in einen Raum, der einer Verhörskammer der Polizeiwachstelle ähnelte, nur mit dem Unterschied, dass alles hell erleuchtet war. Man wies Bonnie an, sich auf einen der zwei hölzernen Stühle zu setzen. Mit den gepflegten Fingernägeln auf den Tisch klopfend wartete Bonnie. Ihre Haare standen leicht zu Berge, weil sie sich oft durch die Haare gefahren hatte, um ihre Ungeduld zu vertuschen oder weil sie nervös war.

Endlich klickte die zweite Tür, die ihr gegenüber lag. Quietschend fiel sie auf und Clyde kam flankiert von zwei Polizisten in den Raum. Er hatte anfangs eine sehr fragende Mine. Aber als er Bonnie erkannte, strahlte er übers Gesicht und stürmte auf sie zu.

Bonnie stand auf und lief ihm entgegen. Ohne Worte fielen sich die beiden in die Arme und küssten sich innig. Beide waren sich einig, dass sie sich viel lange nicht mehr gesehen hatten. Als die Polizisten das Pärchen trennen wollten, ließen die beiden voneinander ab und setzten sich an den Tisch.

Ihr Gespräch begann eher etwas stolpernd. Beide wollten wissen, was der andere in der Zeit gemacht hatte. Irgendwann setzte sich Bonnie durch und Clyde erzählte ihr von seinem Gefangenendasein. Sie erfuhr, dass Clyde sich keinen Anwalt leisten konnte und somit auch kein Widerspruch auf das Urteil einlegen konnte. Es sei eh jetzt schon zu spät. Doch dann wusste Clyde auch nicht mehr zu sagen. Jeder Tag war im Gefängnis gleich. Man musste wissen, wie man sich ablenken konnte, dann war es sogar einigermaßen erträglich.

"Brauchst du irgendwas? Soll ich dir irgendwas besorgen?", fragte Bonnie besorgt.

"Mh... Ich hab alles! Wirklich. Hier wird man rund um die Uhr versorgt!", lachte Clyde. "Ist fast sogar besser als das normale bürgerliche Leben!"

"Aber... Aber irgendwas muss daran eine Strafe sein!", runzelte Bonnie die Stirn.

"Jaaa... Man kann eben nicht das machen was man will. Und wenn man was machen darf, dann darf man das nicht zu jeder Zeit. Außerdem sind die Betten total hart und kalt.", berichtete Clyde. "Doch das ist für mich nicht schlimm. Die schlimmste Bestrafung ist, nicht in deiner Nähe sein zu dürfen!"

Er lächelte Bonnie unsicher an. Aber sie erwiderte sein Lächeln strahlend und strich Clyde über die Wange.

"Die Besucherzeit ist abgelaufen, Miss Parker!", sagte einer der drei Polizisten, die auch im Raum standen und das Tun von Bonnie und Clyde strengstens Beobachteten. Bonnie kniff ihre Augen zusammen und ermahnte sich innerlich zu Ruhe. Sie hatte den ganzen Tag damit verplempert irgendwelche Kontrollen zu passieren, hatte alles gemacht, was diese äußerst faulen Beamten von ihr verlangt haben und darunter hatte die Besucherzeit gelitten. Dann öffnete sie wieder ihre Augen und stand auf. Auch Clyde stand auf. Sofort stürzten zwei Polizisten an seine Seiten und packten ihn unter den Arm. Doch Bonnie hielt die beiden zurück. Sie nahm Clydes schmales Gesicht in die Hände und küsste ihn lange. Dann wurde es den zwei Beamten doch zu bunt und rissen das Paar auseinander, in dem sie Clyde rückwärts durch die Gefangenentür schleppten. Bonnie sah sein sehnsuchtsvollen Blick. Sie warf Clyde noch schnell einen Handkuss entgegen. "Ich komme wieder! Versprochen!", rief sie ihm hinterher und wendete sich zum Gehen.

Es war bereits dunkel und die Häftlinge auf dem Hof wurden reingetrieben. Sie sah sich kurz um. Doch der Macho vom Vormittag war nicht mehr da. Kopfschüttelnd zuckte Bonnie kurz mit ihren Schultern. ,Schade...', dachte Bonnie leise. ,Den Kerl hätte ich gerne noch zur Sau gemacht! Leider waren heute morgen die zwei Bullen da! Sonst hätte ich mir den gleich vorgeknöpft! Wir werden sehen. Vielleicht sehe ich ihn ja morgen wieder!'

Breit grinsend und überglücklich ging Bonnie zu der nächsten Straßenbahn und fuhr nach Hause. Dort würde sie ihre Wäsche erst mal zusammenpacken und in die Wäscherei laufen. Sie hatte schon lang nicht mehr selbst ihre Wäsche gewaschen. Aber da ihre Mutter wegen illegalen Alkoholkonsums im Knast saß, war Bonnie auf sich alleine angewiesen. Es hatte eben seine Vor- und Nachteile. Doch in den nächsten Tagen würde sie ihren ganzen Haushalt für die täglichen Besuche bei Clyde vernachlässigen. In ihrem Leben drehte sich nur noch um Clyde. Sie freute sich den ganzen Tag darüber Clyde am Abend im Waca-Gefängnis zu besuchen. Was sie aber nicht wusste, war, dass Clyde es nicht anders erging. Auch er war mit den Gedanken nur bei Bonnie und schrieb ihr viele Zeilen pro Tag, die er ihr dann am Abend überreichte.

Bald gehörte Bonnie zu eine der wenigen Stammbesuchern, die wirklich jeden Tag ihre gefangenen Angehörigen besuchten. Man vernachlässigte schon bereits nach einer Woche die Kontrollen bei ihr und ließen sie schon bald nur noch auf der Besucherliste unterschreiben. Jeder ihrer Besuche bei Clyde füllte sie mit so viel Lebensfreude und Glück, dass sie schon bald nicht mehr merkte, dass sie Clyde nun fast schon zwei Jahre täglich besuchte, egal ob es ein gewöhnlicher Werktag oder ein Feiertag war.

Nur eine Person war nicht so begeistert von Bonnies Verliebtheit: Marco. Der Besitzer von "Marco's Café" konnte es nicht mit ansehen, wie Bonnie mit einem permanenten Lächeln auf den Lippen seine Gäste bediente. Sie las in jeder freien Sekunde irgendeinen Brief von Clyde.

Ebenso gefiel es Marco nicht, einen äußerst gebildeten Konkurrenten zu haben, der auch noch das Rennen um die Gunst von Bonnie Parker beeinflusste. Immer wieder fragte er sich, was Bonnie an Clyde so faszinierte. Er war so weit, dass er sogar Bonnie einmal fragte. Doch zur Antwort erhielt er nur ein äußerst unbefriedigendes Schulterzucken.

Arbeitslos

Arbeitslos
 

Ausgiebig gähnend streckte sich Bonnie auf ihrer kleinen Matratze. Sie öffnete langsam ihre Augen und musste sofort blinzeln. Die Wintersonne strahlte durch die dicke Wolkenwand in Bonnies Schlafkämmerchen. Seufzend richtete Bonnie sich auf. Sie hatte mal wieder verschlafen. Langsam kletterte sie aus dem Bett und sah sich fröhlich lächelnd die Wände an.

Die graue, schimmelige Tapete hatte Bonnie in den vergangenen zwei Jahren von den Wänden gerissen und die kahlen Wände mit den Briefen von Clyde neu tapeziert. Die ganze Wohnung hatte sich zu positiven verändert. Der Teppich war nur noch halb so dreckig. Die kaputten Möbel wurden rausgeworfen. Nach und nach entwickelte sich die Wohnung zu dem, wie Bonnie es sich vorstellte.

Zufrieden mit sich und der Welt zog sich Bonnie an. Sie ließ sich Zeit, denn sie wusste, dass Marco niemals irgendwas gegen sie sagen würde. Es war für Bonnie schon verwunderlich gewesen, als er ihr alles erlaubte. Er sah immer wo anders hin, wenn Bonnie seine Gäste bestahl. Auch sonst durfte Bonnie ihre Launen an ihn auslassen. Das gefiel Bonnie und sie nutzte es auch aus.

Gelassen zog sich Bonnie ihren grauen Mantel an, strich ihre Haare aus dem Kragen und ging aus der Wohnung. Doch sie hatte ihren Schlüssel vergessen, also ging sie noch mal rein und suchte seelenruhig den Schlüssel. Wieso sollte sie sich auch abhetzen, wenn keine Konsequenzen hätte, wenn sie zu spät käme?

Durch die Suche nach dem Schlüssel verpasste Bonnie auch noch die nächste Straßenbahn. Aber sie ärgerte sich nicht. Wenn sie von zuhause gelaufen wäre, dann hätte sie die Bahn noch erwischt. Also wieso sich darüber ärgern?

Im Takt tippte sie mit den Schuhspitzen auf den grauen Asphalt. Dazu nickte sie auch noch mit dem Kopf. Einige Jugendliche, die anscheinend die Schule schwänzten, beobachteten Bonnie aus der Nähe. Langsam und noch leicht verunsichert schlichen sich die vier Freunde an Bonnie heran. Sie wollten gerade über Bonnie herfallen um sie zu überfallen, als der Anführer den Lauf eines Revolvers an seiner Stirn spürte. Verwirrt sah er Bonnie an. Sie blickte ihn mit kalten Augen, die keine Emotionen ausstrahlten, an.

Zitternd wich der Anführer zurück. Seine Gangmitglieder gaben sich größte Mühe sich hinter ihren Anführer zu verstecken. Total aufgeschreckt sahen sie Bonnie an, die nun kalt lächelte.

"Miss... Ihnen ist nur das Blatt rausgefallen. Wir wollten es für sie aufheben!", stotterte der Anführer, der zugleich auch der größte und stärkste von der Gang zu sein schien.

Bonnie sah zu Boden und entdeckte ein Blatt aus Clydes Brief. Sie ging in die Knie und hob den Brief mit ihrer freien Hand auf. Der Revolver war immer noch auf den Jungen gerichtet.

"Vielen Dank!", sagte Bonnie und lächelte. Doch man sah ihr an, dass sie keine Lust hatte, die Jungs nicht mehr mit dem Revolver zu bedrohen. Es machte ihr sogar Spaß die kleinen aufmüpfigen Jugendlichen in ihre Schranken zu weisen. "Aber das nächste Mal, braucht ihr mich nicht erst zehn Minuten beobachten! Einen schönen Tag noch!"

Die Straßenbahn kam und Bonnie steckte ihren Revolver zurück. Sie hatte keine Lust, in der Bahn einen Aufstand anzuzetteln, weil sie mit einer geladenen Waffe einstieg. Es war auch besser, wenn niemand von dem Revolver wusste, denn niemand würde es erwarten, dass eine junge Frau bewaffnet durch die Gegend lief.

Sie setze sich auf einen leeren Platz und zwinkerte den Jungs zu. Dann fuhr die Bahn an. Breit lächelnd sah Bonnie aus dem Zug. Es schien ein schöner Tag zu werden.
 

"Wo warst du?", brüllte Marco. Er knallte die Tür von seinem Büro zu und funkelte Bonnie zornig an.

"Ich habe verschlafen! Außerdem hab ich dann auch noch den Zug verpasst! Jetzt hör auf dich so aufzuregen! Ist nicht gut für deinen Blutdruck!", sagte Bonnie gelangweilt.

"Ich hab es langsam satt! Du kommst zu spät zur Arbeit. Du bestielst meine Kunden. Du bist frech und launisch! So jemanden kann ich in meinem Laden nicht haben!", sagte Marco und stemmte sich auf seinen klapprigen Schreibtisch, der voller Rechnungen und Briefen beschwert war. Der Tisch passte sogar fast perfekt in das kleine Büro. Überall lagen Blätter verteilt und in irgendwelchen kaputten Ordnern verstaut. Bonnie hatte sich schon immer gewundert, wie Marco sich in der Unordnung ausfand. Sie hatte kein Problem mit Unordnung, aber das Chaos musste für Bonnie nun nicht herrschen!

"Was erwartest du von mir, Marco? Soll ich rausgehen und mich bei den Kunden entschuldigen, dass ich sie bestohlen habe?", fragte Bonnie belustigt.

"Auch!", deutete Marco an.

"Was noch?", fragte Bonnie, die keine Lust auf Ratespielchen hatte.

"Du gehst da raus, entschuldigst dich, gibst ihnen ihre Sachen zurück und übernimmst für die Rechnung!", befahl Marco und haute mit der Faust auf den Tisch.

"Soll ich dazu nur in Unterwäsche noch Tabeldance machen?", fragte Bonnie belustigt.

"Wenn es den Kunden gefällt, wieso nicht!", sagte Marco.

"Vergiss es! Falsch verbunden! Abgelehnt!", sagte Bonnie sofort und stand auf. "Ich muss in die Küche, der Kaffee wird sonst schlecht!"

"Du bleibst hier!", donnerte Marco. Er hielt Bonnie am Handgelenk zurück. "Ich muss mit dir noch was klären! Aber sofort!"

"Was ist, wenn ich keinen Bock auf dein Geschwafel habe?", sagte Bonnie.

"Dann musst du es trotzdem ertragen! Ich bin dein Chef und ich zieh hier mal andere Seiten auf! Nein warte! Du bist gefeuert!", zischte Marco. Auf seiner fettigen Stirn bildeten sich die ersten Schweißtropfen. Er atmete als ob er einen halben Marathon hinter sich hatte. Sein Gesicht war glühend rot und in den Schläfen sah man die Adern pulsieren.

"Marco... Wann hast du deine Tabletten genommen?", fragte Bonnie leicht besorgt. Sie wusste, dass ihr Chef durch seinen extrem erhöhten Fettspiegel Kreislaufprobleme hatte.

"Ich habe keine mehr!", keuchte der Mann und sein Griff um Bonnies Handgelenk verkrampfte sich.

"Gib mir Geld und ich hol dir welche!", schlug Bonnie sofort vor. Sie konnte es sich nicht leisten, dass ihr Chef vor ihren Augen abkratzte. Das wäre schon der Zweite, der in ihrem Leben vor ihr gestorben war.

"Hab kein Geld...", hustete Marco raus. Er rieb sich über seine Brust. "Alles weg... alles... Geld... meine Frau... meine Kinder.... du... alles..."

Bonnie starrte ihren Chef an. Hatte sie wirklich so eine große Bedeutung in Marcos Leben? Sie hatte zwar ab und zu körperlichen Kontakt mit Marco gehabt, aber das war nur geschehen, damit er sie nicht feuerte. Dennoch hatte sie seit Clyde so einen Kontakt mit Marco unterbunden.

"Jetzt hör auf so ein Müll zu labern! Gib mir Geld und ich hol dir deine Tabletten!", sagte Bonnie und riss sich aus Marco's Griff, der lockerer wurde. Marco versuchte darauf etwas zu sagen, aber er röchelte nur irgendwas und brach zusammen.

Bonnie sprang sofort einen Schritt zurück. Sie wollte nicht, dass Marco auf sie fiel. Er hatte sie schon immer angewidert.

Marco schlug auf den Boden auf und regte sich nicht mehr. Nach wenigen Augenblicken ging Bonnie zögernd auf ihren Chef zu und stupste den Körper mit der Schuhspitze an. Doch es kam von Marco keine Reaktion. Verunsichert sah sich Bonnie um. Sollte sie einen Arzt rufen? Marco war bestimmt nicht mehr zu retten. Sollte sie die Polizei rufen? Aber dann müsste sie wieder zum Verhör. Darauf hatte sie keine Lust.

Plötzlich kam Bonnie eine glänzende Idee. Sie stieg über die Leiche von ihrem Chef und durchsuchte das Büro. Die Beschwerderufe aus dem Thekenraum überhörte sie. Ihre ganzen Sinne waren darauf aus, etwas in diesem Büro zu finden. Bonnie wusste selbst nicht, was sie suchte. Das was Bonnie wusste war, dass der Gegenstand ziemlich wertvoll war.

Aber Bonnie fand den Gegenstand nicht. Schwer atmend setzte sich Bonnie auf den Drehstuhl und sah sich genau um. Sie wusste nun, dass sie die Kasse von Marco's Café suchte. Die ganzen schweren Ordner hatte sie auf den Boden geworfen und die Blätter lagen verstreut darauf. Selbst Marco konnte sie kaum noch erkennen.

Dann stand Bonnie auf und strich gedankenverloren über die Wände. Alles war normal. Bis auf den Sicherungskasten. Den hatte sie noch nicht angesehen. Ungeduldig riss Bonnie den Kasten auf und entdeckte einen kleinen Schlüssel. Es gab also wirklich eine Kasse. Breit grinsend steckte sie den Schlüssel in die Tasche. Sollte sich doch die Polizei darum schlagen, die Kasse zu finden. Sie hatte den Schlüssel.

Sie ging in den Schankraum, wo eine Horde unzufriedener Gäste auf sie wartete. Doch sie ignorierte die Beschwerden und zog sich immer noch grinsend den Mantel an. Sie war ja nicht mehr Angestellte in Marco's Café. Soll doch der Nachfolger von ihr sich damit rumschlagen. Dann schlenderte sie aus dem Café. Heute hatte sie sogar noch mehr Zeit für Clyde. Wie würde er darauf reagieren, wenn er davon erfuhr, dass Bonnie den Schlüssel für eine Kasse hatte? Bestimmt würde das Geld ausreichen, um Clydes Kaution zu bezahlen.

Ausbruch

Ausbruch
 

"Was!?", schrie Bonnie auf. Sie sah Clyde fassungslos an. Sie hatte ihm den Schlüssel als Beweisstück gegeben.

"Ich bin mir sehr sicher, Bonnie. Der Schlüssel ist nutzlos! Es ist ein einfacher... Tagebuchschlüssel!", seufzte Clyde und gab ihr den Schlüssel zurück.

"Aber... Nein! Das... Bitte Clyde... Glaub daran! Es ist bestimmt ein Schlüssel zu einer Kasse!", stotterte Bonnie und sah den Schlüssel an. Dann sah sie verzweifelt zu Clyde. Wenn es stimmte, was Clyde gesagt hatte, dann war alles umsonst gewesen. "Kein normaler Mensch versteckt ein Tagebuchschlüssel in einen Sicherungskasten!"

"Mh... Von deinen Erzählungen über Marco schließt man schon daraus, dass er nicht normal war", grinste Clyde schelmisch. Er wusste so ziemlich alles aus Bonnies Vergangenheit. Die Beziehung zu ihren ehemaligen Chef war in den Vereinigten Staaten von Amerika normal.

Clyde strich über Bonnies blasse Wange und zog sie zu sich. Niemals würde jemals irgendjemand wieder Bonnie zu nahe treten und sie ausnutzen. Dafür würde er sorgen und wenn er dafür ins Zuchthaus müsste. Der Mittelpunkt in seinem Leben war nun mal Bonnie. Sie war die Einzigste, die ihn wirklich verstehen konnte. Auch wenn sie sich erst vor zwei Jahren kennen gelernt hatten.

Noch heute konnte Clyde es nicht fassen, dass er zwanzig Jahre in der selben Stadt wie Bonnie gelebt hatte und trotzdem sie noch nie getroffen hatte. Aber darüber dachte er nicht mehr nach.

"Ich besorg das Geld! Wirklich! Ich will keine zehn Jahre mehr warten! Du kommst hier raus! Ich verspreche es dir!", versicherte Bonnie und steckte den Schlüssel in ihre kleine Handtasche zurück. Plötzlich blitzen Clydes Augen auf. Er sprang auf und sah Bonnie geschockt an, die von seinen Sinneswandel total überrascht war.

"Was... was hast du?", fragte sie verunsichert und regte sich nicht.

"Du hast hier eine Waffe?", flüsterte Clyde leise, als hätte er Angst, dass ihn jemand hören könnte.

"Schon seit Wochen!", sagte Bonnie und nahm den Revolver raus. "Ich habe ihn ständig bei mir!"

"Ist das nicht der Revolver, den ich dir mal gegeben hatte?", fragte Clyde stirnrunzelnd und nahm den Revolver an sich.

"Ja... Er ist für mich inzwischen fast wie ein Talisman.", lachte Bonnie auf. "Er beschützt mich auf jeden meiner Wege..."

Clyde schmunzelte. Manchmal war er wirklich nicht sicher, ob er den Kontakt zu Bonnie abbrechen sollte. Er wollte nicht ein so unschuldiges Geschöpf ins Unheil bringen. Aber er konnte auch nicht mehr von ihr ab. Anscheinend schien sie sich auch nicht darüber zu beschweren, dass ihr Geliebter seit zwei Jahren im Knast saß.

"Hast du eigentlich alles für eine Weltreise gepackt?", fragte Clyde grinsend.

"Was? Nein...", antwortete Bonnie verwirrt. "Wieso sollte ich?"

"Geh... Geh nach Hause und pack das Nötigste in einen kleinen Koffer. Ich bin spätestens bei Dämmerung vor deinem Haus. Ich weiß jedoch nicht, mit welchen Wagen ich vorfahren werde, aber zur Erkennung werde ich zweimal kurz hintereinander hupen!", grinste Clyde. Er nahm Bonnie den Revolver ab.

Endlich fing auch Bonnie an zu verstehen und stand auf. Sie gab Clyde einen innigen Kuss und flüsterte ihm zu: "Pass auf dich auf! Ich warte auf dich..."

Clyde löste den Kuss und ging zu seiner Tür um die Polizisten zu rufen, damit sie ihn wieder in seine Zelle brachten. Aber dort würde er nicht ankommen. Er würde endlich mit Bonnie die Weltreise beginnen, die sie schon seit zwei Jahren planten.
 

Ungeduldig schritt Bonnie auf und ab. Sie sah immer wieder aus dem Fenster, doch es war kein einzigstes Auto vorgefahren.

Ein kleiner Koffer stand neben der Haustür. Sie war jeder Zeit bereit den Koffer zu schnappen und aus dem Haus zu eilen, in ein fremdes Auto zu steigen und mit Clyde aus Dallas abzuhauen. Doch kein Auto fuhr in die kleine Seitenstraße ein.

Bald brach auch die Nacht an und alles wurde dunkel. Bonnie gab ihre Hoffnungen nicht auf. Sie verdrängte krampfhaft die Vorstellung, dass Clyde der Ausbruch nicht gelungen war.

Gegen Mitternacht fuhr ein schwarzes Auto in die Straße. Es hielt vor dem Eingang von Bonnies Haus. Es hielt für eine kleine Weile. Als niemand ausstieg und der Fahrer zweimal hupte, wusste Bonnie, dass Clyde gekommen war.

Sie rannte zur Haustür und riss sie auf. Den kleinen Koffer in der Hand eilte sie die vielen Treppenstufen herunter. Ihr war egal, ob das Licht in der Wohnung noch brannte und sie die Tür nicht abgesperrt hatte.

Draußen war es kälter als Bonnie es erwartet hatte. Sie rutschte für den ersten Moment auf dem eisglatten Bürgersteig aus, aber konnte sich noch rechtzeitig fangen. Sie sprintete ins Auto, wo drei Männer auf sie ungeduldig warteten. Einen erkannte sie als Clyde. Die zwei anderen Männer hatte sie einmal auf dem Gefängnisgrundstück gesehen. Anscheinend war das Freunde von Clyde, die mitausgebrochen waren. Bonnie störte es nicht, dass Clyde Freunde mitgenommen hatte. Breit grinsend warf sich Bonnie auf die Hintersitze. Einer von den Freunden schloss die Tür und Clyde fuhr mit quietschenden Reifen los.

Anscheinend war die Polizei noch auf der Suche nach den drei Flüchtlingen, denn in Clydes Gesicht konnte sie eine gewisse Anspannung sehen. Er fuhr geschickt durch die kleinen Gassen von Dallas, in der Hoffnung die Polizei in den kleinen Labyrinth abzuhängen. Keiner sprach während der Flucht ein Wort.

Erst als die Sirenen verstummt waren und die Sonne langsam wieder am Horizont erwachte waren Bonnie, Clyde und die Komplizen bereits auf einem Highway in Richtung Süden.

Bonnie hatte in der Zeit genug Zeit die Mitreisenden zu beobachten. Der Rothaarige, Franzis Morpheus, kam aus Houston und hatte ein ziemlich unschuldig-kindliches Gesicht, das mit lauter Sommersprossen verziert war. Er spielte die gesamte Zeit mit einen Bleistift zwischen den Fingern um sich zu beruhigen. Bonnie staunte über so viel Geschick. Sie vermutete, dass er wegen Totschlags ins Gefängnis gekommen war.

Der zweite Mann war John McGonner. Er war ein blonder Schotte und wurde bei der Polizei auffällig, weil er einen extrem starken Akzent hatte. Ins Waca-Gefängnis kam er, weil er mit Drogen gedealt hatte.

Also reiste Bonnie mit einem Dealer, einen Mörder und ihren Geliebten durch die Staaten auf der Flucht vor der Polizei. Irgendwie gefiel ihr die Vorstellung.

"Wohin fahren wir?", fragte Bonnie leise.

"Wir wollen nach Buffalo fahren!", antwortete Clyde. "Das liegt in Staat New York, wenn's dir hilft."

"Aber New York liegt in Nordosten!", runzelte Bonnie die Stirn. "Wir fahren aber Richtung Süden!"

"Ich weiß, Darling!", grinste Clyde. "Nur die Polizei soll nicht wissen, dass wir in den Norden fahren!"

"Wir müssen eine Rast einlegen! Ich bin müde!", brummte McGonner.

"Wir sind aber noch zu nah an Dallas!", bemerkte Clyde. "Wir müssen noch mindestens zweihundert Meilen hinter uns bringen, dann können wir vielleicht rasten!"

"Bist du wahnsinnig? Ich kann nie im Leben zweihundert Meilen noch fahren!", rief der Schotte auf.

"Lasst mich fahren!", schlug Bonnie vor. "Ich kann Auto fahren und bin ausgeruht!"

"Nein! Wer sagt uns, dass du nicht wieder auf den kürzesten Weg nach Dallas fährst?", misstraute John Bonnie

"Weil ich es sage, John!", bürgte sich Clyde für Bonnie. "Sie hat uns überhaupt den Ausbruch ermöglicht!"

"Wie? Du hast die Knarre von ihr!", mischte sich jetzt Franzis ein. Er schien sowieso eine extrem ruhige Person zu sein. Bonnie konnte sich vorstellen, dass er ohne mit der Wimper zu zucken und ohne irgendeine Emotion zu spüren sie erschießen konnte.

"Ja! Ich habe sie ihr mal vor zwei Jahren gegeben! Und gestern habe ich sie eben zurück bekommen!", grinste Clyde. "Man muss sich nur gut für alles vorbereiten, nicht Darling?"

Bonnie nickte stumm, aber wusste, dass Clyde sie durch den Seitenspiegel beobachtete. Sie kam sich so dumm vor! Hatte Clyde sie nur die Jahre ausgenutzt, weil er gewusst hatte, dass er irgendwann mal ins Gefängnis kommen würde und sie ihm raushelfen würde?

"Mh... Ich weiß nicht! Wir fallen bestimmt mit einer Frau am Steuer mehr auf!", runzelte John.

"Ihr würdet eh an der nächsten Polizeistelle aufgegriffen werden, weil ihr Sträflingskleidung anhabt!", bemerkte Bonnie kalt. "Da tut es eine Frau am Steuer auch nicht mehr!"

"Bonnie hat recht! Wir fahren jetzt erst mal in das nächste Dorf und besorgen uns normale Kleidung. Dann fährt Bonnie weiter. Einer von euch beiden kann ja auf ihre Hände aufpassen! Ich werde mich ausruhen!", versuchte Clyde die Diskussion erfolgreich zu schlichten.

Wieder schwiegen alle Insassen und fuhren in ein kleines Dorf namens "Coast City". Doch von einem Strand war nichts zu sehen, was alle vier Flüchtlinge äußerst wunderte. Der schwarze Wagen hielt ordnungsgemäß in einer kleinen Seitenstraße. Bonnie stieg aus und ging in den nächst besten Kleidungsladen. Dort kaufte sie wahllos Baumwollhosen, Hemden und Jacketts in drei verschiedenen Farben. Es kostete sogar nicht einmal so viel wie es Bonnie sich vorgestellt hatte. Dallas war eben schon immer ein teures Pflaster gewesen.

Sie ging wieder mit der großen Einkaufstüte zurück in das Auto, wo Clyde, John und Franzis ungeduldig warteten. Sie zogen sich um und fuhren dann durch die Stadt weiter Richtung Süden.

Immer weiter...

Immer weiter...
 

„Wieso fährt Bonnie nicht endlich weiter? Dann würde ich wenigstens nicht euer Gejammer hören!“, murrte Clyde und lehnte seinen Kopf gegen das Fenster. Er schloss wieder die Augen und versuchte etwas zu schlafen.

„Weil John ihr misstraut!“, zischte Franzis. „Wenn es nach mir gehen würde, wäre es mir egal, wer fährt! Hauptsache weg von Waca und dessen Gefängnis!“

„Ja! Ist klar! Jetzt stellt sich jeder gegen mich! War ja klar!“, knurrte John. Er machte eine Vollbremsung und fuhr auf den rechten Seitenstreifen.

Clyde und Franzis, die den unerwarteten Stopp nicht erwartet hatten, knallten mit den Kopf gegen die Vordermannpolster. Beide rieben sich den Kopf und sahen John zornig an. Doch bevor irgendjemand etwas sagen oder tun konnte, stieg McGonner aus und lief um das Auto herum. Er zog Bonnie aus dem Auto und setzte sich auf ihren Platz.

„Jetzt fahr! Ich will hier nicht der Buh-Mann sein!“, knurrte John und knallte die Beifahrertür zu.

Verwirrt saß Bonnie noch neben den Auto. Dann richtete sie sich auf und klopfte in einer Seelenruhe ihre Kleider sauber. Sie schlenderte um das Auto und setzte sich auf den Fahrersitz. Ihr Herz klopfte vor Aufregung. Bonnie hatte seit Jahren kein Auto mehr gefahren. Aber sie glaubte nicht daran, dass sie das Autofahren verlernt hätte. Ein Blick durch den Rückspiegel lies sie erkennen, dass Clyde den Revolver an Johns Schläfe gedrückt hatte.

„Steig aus, John!“, knurrte Clyde. „Ich will nicht, dass das ganze Blut den Wagen beschmutzt!“

Mit wutverzerrten Gesicht stiegen Clyde und John aus. Clyde bedrohte John immer noch mit dem Revolver.

„Was ist passiert?“, fragte Bonnie Franzis besorgt. Dieser seufzte ausgiebig und murmelte: „Es war von John nicht richtig, wie er dich behandelt. Und Clyde war schon im Knast sehr empfindlich, was dich anging!“

„In wie fern empfindlich?“, fragte Bonnie weiter.

„Sagen wir es mal so... Clyde hat öfters ziemlich Ärger mit den Bullen gehabt, weil er sich oft mit John geprügelt hat. Nach Clydes Erzählungen, hat er dich immer irgendwie beleidigt! Na ja... Und heute scheint er zu weit gegangen zu sein!“, murmelte Franzis.

„Du unterstützt so etwas?“, rief Bonnie entsetzt auf. „Clyde kann doch nicht einfach jemanden umlegen, nur weil er mich an den Haaren aus dem Wagen gerissen hat!“

„Wieso nicht? Clyde hat auch schon gestern zwei Polizisten umgelegt, weil sie uns daran hindern wollten auszubrechen!“, berichtete Franzis schulterzuckend. „Es gilt überall das Gesetz des Stärkeren! Clyde hat den Revolver und somit auch die Macht!“

Bonnie riss die Fahrertür auf und sprang aus dem Auto. Sie rannte zu den beiden Männern, die sich nun gegenüber gestellt hatten. Gerade hob Clyde den Revolver und zielte auf die Stirn von seinen Gegenüber.

„Du weißt, warum ich das mache, John!“, rief Clyde seinen Komplizen entgegen. „Du bist heute endgültig zu weit gegangen!“

Er legte seinen Finger um den Abzug und seufzte auf. Man konnte ihm ansehen, dass er mit sich rang.

„Nein!“, rief Bonnie auf und warf sich auf Clyde. Der Schuss vom Revolver ging knapp an Johns Gesicht vorbei. Die Kugel streifte seine Wange.

„Bonnie...“, seufzte Clyde auf und sah zu der kleinen Frau, die auf ihm lag. „Was machst du da?“

„Das bist nicht du, Clyde! Bitte! Hör auf! Er hat es bestimmt nicht so gemeint! Steig bitte wieder ins Auto! Lass uns weiter fahren, bitte!“, flüsterte Bonnie in Clydes Ohr. Ihre blonden Haare fielen Clyde ins Gesicht. Er konnte ihren Duft riechen. Er war so süßlich leicht. Clyde ließ den Revolver ins Gras fallen und umarmte Bonnie zärtlich. Er spürte, dass Bonnie zitterte. Wie konnte er sie nur beruhigen?

„Bitte Clyde... Lass uns weiter fahren!“, flüsterte Bonnie weiter.

„Okay!“, antwortete Clyde und half Bonnie auf. Gemeinsam mit John ging das Pärchen zum Wagen, in dem Franzis geduldig wartete. Er nickte Bonnie anerkennend zu und lehnte sich wieder zurück.

Bonnie stieg auf der Fahrerseite wieder ein und fuhr los. Clyde und John schienen nichts mehr sich sagen zu wollen. Wenige Stunden später schliefen auch sie ein.

Bonnie wusste die ungefähre Route, die Clyde ausgerechnet hatte. Sie fuhr weiter Richtung Houston. Dann bog sie Richtung Osten ab. Die Landschaft veränderte sich kaum. Aber es war für Bonnie mehr als ein Kunstwerk den glänzenden Schnee in der Sonne zu sehen. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie sogar das Meer auf der rechten Seite sehen.

Aber nur der Anblick von einen eingemurmelten, schlafenden Clyde Barrow lies ihr Herz schneller schlagen. Sie konnte es nicht lassen und musste immer wieder in den Rückspiegel sehen.

Gegen Abend wachten Clyde und Franzis auf den Hintersitzen wieder auf. Sie streckten sich und gähnten ausgiebig. Als sie merkten, dass sie kurz vor New Orleans waren, staunten sie nicht schlecht. Wenn sie jeden Tag so weit vorankommen würden, dann wären sie schon in weniger als einer Woche in Cincinnati.

Die Gruppe fuhr in ein kleines Café und rastete dort. John schwieg weiterhin und mied jeden Blickkontakt zu Bonnie oder Clyde. Die Tatsache, dass gerade Bonnie ihn vor dem Tot bewahrt hatte, brannte in seinen Innereinen.

Franzis und Bonnie schienen sich immer besser zu verstehen. Clyde beobachtete die beiden lächelnd. Ihn freute es zwar, dass Bonnie mit Franzis gut auskam, doch er musste sich eingestehen, dass es ihn leicht eifersüchtig machte. Ihm wurde bewusst, dass er nun nicht mehr der Einzigste war, der Bonnie zum Lachen bringen konnte.

Als sie gegessen hatten, wollten John und Franzis weiterfahren, doch Clyde stoppte die beiden und meinte, er wolle sich mit Bonnie die Stadt ansehen. Franzis und John machten mit Clyde einen Treffpunkt aus. So trennten sie sich und gingen ihren eigenen Weg.

Zu zweit schlenderten Bonnie und Clyde durch die Straßen von New Orleans. Sie staunten über die großen Gebäude. Sie fingen wieder an ihre heile Welt zu spinnen. Doch bald wurde Bonnie müde und wollte nur noch zum Auto. Auch machte sie sich Sorgen um John und Franzis.

Gemeinsam gingen Clyde und Bonnie zu den vereinbarten Treffpunkt. Doch das Auto war nicht da. Verwirrt sahen sich Bonnie und Clyde um. Kurz darauf kam John, der dann düstere Vorahnungen vor sich hinmurmelte, dass Franzis alleine durchgebrannt war. Bonnie stritt die Beschuldigungen hitzig ab. Sie hatte keine Angst vor den Schotten, der fast einen Kopf größer war als sie.

„Er ist bestimmt jetzt schon auf den Weg nach Mobile oder Merdian!“, knurrte John.

„Glaub ich nicht! Franzis ist ein ehrlicher Mensch!“, zischte Bonnie zurück und stemmte ihre Hände in die Seiten.

„Ach? Und warum ist er dann ein Flüchtling? Oder überhaupt in den Knast gekommen?“, lachte John auf. „Bestimmt nicht, weil er das Vaterunser falsch gebetet hatte!“

„Schrei doch noch lauter, dass wir aus dem Gefängnis ausgebrochen sind!“, mischte sich Clyde ein. „Wir brauchen auf jeden Fall einen neuen Wagen!“

„Ich hab einen neuen!“, sagte Franzis, der gerade dazu gekommen war. Bonnie, Clyde und John wirbelten rum und erkannten Franzis, der ganz gelassen auf sie zu schlenderte.

„Wo warst du?“, zischte John und ballte seine Hände zu Fäusten.

„Ich hatte ja den Wagen. Doch die Polizei wurde aufmerksam auf den Wagen, weil er als vermisst gemeldet war. Darum hab ich den Wagen kurz darauf in einer Seitengasse abgestellt, die Spuren von uns beseitigt und uns einen neuen Wagen besorgt!“, erzählte Franzis und deutete auf den deutlich kleineren Wagen hinter ihm.

„In diese Sardinenbüchse sollen wir zu viert reinpassen?“, fragte John schnaufend.

„Es ist erst mal genug! In Meridian werden wir uns einen neuen Wagen besorgen!“, sagte Clyde sofort und nahm Franzis die Schlüssel ab. „Ich fahre!“, sagte er grinsend und stieg ein. Bonnie folgte Clyde und stieg hinter ihm ein. Franzis und John machten sich auf den übriggebliebenen Sitzen breit.

Gemeinsam fuhren sie Richtung Nordosten.

Cincinnati

Cincinnati
 

Dreimal hatten sie das Auto gewechselt. Immer wieder mussten sie den Kontrollen der Polizei ausweichen. Diese und noch einige andere Ereignisse zogen die Reise nach Nordosten in die Länge.

Bonnie versuchte ihre Beine lang zu machen, doch sie hatte kaum Platz auf der Rückbank. Sie legte ihren Kopf auf Clydes Schulter und schloss ihre Augen. Der Zauber von der schönen Landschaft langweilte Bonnie nun langsam. Sie wollte endlich raus aus dem Auto und Städte besuchen. Doch sie konnte weder Clyde, Franzis noch John einen Vorwurf machen. Die meisten Pausen wurden wegen ihr eingelegt. Keiner der Jungs beschwerte sich, wenn Bonnie eine Pause haben wollte. Sie ertrugen auch die sämtlichen Launen von ihr.

„Willst du raus, Darling?“, fragte Clyde lächelnd. Er hatte Bonnies Unruhe bemerkt, doch sie schüttelte den Kopf. „Wir sind bald in Cincinnati! Da können wir kurz eine kleine Pause einlegen!“

„Wär ganz gut... Der Sprit geht uns nämlich langsam aus!“, sagte Franzis und deutete auf eine kleine Armaturanzeige. „Wir brauchen einen neuen Wagen!“

„Können wir nicht einmal wie gewöhnliche Leute normal tanken fahren?“, fragte John entnervt. „Die suchen uns bestimmt nich bis nach Ohio!“

„Mh... ich wäre aber für einen größeren Wagen!“, meinte Clyde. Seine Knie drückten sich schon in die Lehne des Beifahrersitzes. „Ich hab hier kaum Platz.“

„Ich merk deine Knie schon seit mehreren Stunden! Aber ich beschwer mich nicht!“, murrte John. „Wir müssen langsam uns daran gewöhnen, wieder normal und zivilisiert zu leben!“

„Man lebt in Schottland normal und zivilisiert?“, gluckste Franzis.

„Ja mein Herr!“, zischte John durch seine Zahnlücken.

„Hört auf zu streiten! Wir besorgen uns ein größeres Auto und dann behalten wir das auch! John kann dann in Buffalo über die Kanadische Grenze passieren und dann über Kanada nach Schottland auswandern! Wir bleiben erst mal in Buffalo und reisen dann weiter nach New York. Dort kann man uns kaum finden!“, unterbrach Bonnie die Männerdiskussion. Sie hatte schon wieder Kopfschmerzen. Ein Zeichen, dass sie bald ihre Monatsblutungen bekam. Der Kinderwunsch von ihr und Clyde musste also noch einen Monat warten. Sie wollte es Clyde nicht sagen, denn sein trauriges und enttäuschte Gesicht wollte sie nicht sehen.

„Leute? Habt ihr Lust auf einen kleinen Spaziergang von fünfzehn Meilen?“, fragte Franzis verunsichert.

„Nein!“, antwortete John gleich für alle. „Wieso?“

Doch Franzis konnte so schnell nicht antworten. Es knallte einmal laut und weißer Dampf stieg aus der Motorhaube auf. Er vernebelte für die Insassen die Sicht auf die Straße. Franzis steuerte blind das Auto an den Seitenstreifen.

Bonnie seufzte nur entnervt und vergrub ihr Gesicht in Clydes Schulter. Sie murmelte leise und dumpfe Verwünschungen aus, während Franzis und John ausstiegen und sich den Schaden ansehen wollten. Doch beide verbrühten sich an der heißen Motorhaube die Finger. Clyde konnte nur über so viel Ungeschick lachen. Wer verbrühte sich schon im Winter an einer heißen Motorhaube die Finger?

„So! Ich glaube wir müssen laufen!“, meinte Clyde belustigt. Er stieg aus und sah sich Bonnie im Auto an. Da sie sich die ganze Zeit an Clyde gelehnt hatte, lag sie nun auf der Rückbank und murmelte weiterhin irgendwas vor sich hin.

„Darling. Aufwachen! Wir haben einen kleinen Spaziergang vor uns!“, lächelte Clyde und beobachtete, wie Bonnie sich aufrichtete und unbeholfen aus dem Wagen stieg.

Ihr Gesicht war wieder von den kurzen blonden Haaren verdeckt. Während der Fahrt hatte sie sich mit den Rasurmessern der Männer die Haare auf die gewünschte Länge geschnitten.

Sie knallte die Tür vom Auto zu. Selbst ein Blinder mit einem Krückstock hätte gemerkt, dass Bonnie sichtbar schlecht gelaunt war. Seufzend ergaben sich die Männer ihrem Schicksal und trotteten hinter Bonnie her. Sie staunten über so viel Elan der jungen Frau. Anscheinend war sie so wütend, dass sie ihren Frust in Muskelarbeit umwandeln konnte. Weder Franzis noch Clyde, die beide sehr gut mit Bonnie auskamen, wollten Bonnie bei ihrer Phase nicht stören.

So spazierte Bonnie gefolgt von John, Franzis und Clyde in Cincinnati ein. Sie ignorierte die Häuser. Ihr Blick war nur auf die Aushangsschilder gerichtet, in der Hoffnung eine Apotheke und ein Motel zu finden. Doch sie fand weder das eine noch das andere. Ihre Kopfschmerzen wanderten langsam weiter nach unten.

In der Stadtmitte ließ sich Bonnie auf einer Bank nieder und zog ihre Beine zusammen. Mittlerweile hatte sie regelrechte Unterleibskrämpfe. Schweratmend holten sie endlich ihre Männer ein. Sie ließen sich um Bonnie herum nieder und streckten alle vier von sich.

Jeder schien mit sich selbst beschäftigt zu sein. Nur Clyde bemerkte nach wenigen Minuten, dass Bonnie sich kaum rührte. Er ging zu Bonnie und nahm sie in den Arm. Leise fragte er sie: „Was hast du, Darling? Geht’s dir nicht gut?“

„Hab nur Schmerzen.“, antwortete Bonnie geknickt. Sie wollte Clyde nicht davon erzählen, dass all die Bemühen, ein Kind zu zeugen fehlgeschlagen sind. Irgendwie machte die Enttäuschung den Schmerz nur noch schlimmer.

„Wo?“, fragte Clyde besorgt und rückte etwas näher an Bonnie, die nicht antworten wollte. Endlich schien Clyde zu begreifen und seufzte auf. Er lächelte gequält und zog seine Geliebte an sich heran. „Das nächste Mal wird’s bestimmt klappen! Bestimmt ist das auch stressbedingt. Gib nicht auf, Bonnie!“

In Bonnies Gesicht breitete sich ein müdes Lächeln aus. Sie nickte und kuschelte sich an Clyde ran. Die Wärme von Clyde beruhigte sie etwas.

„Hey!“, rief Franzis plötzlich auf. „Da hinten ist ein Stundenhotel! Wie wäre es, wenn wir da erst mal über Nacht bleiben?“

„Sicher! Bestimmt mit Nutte inklusive!“, schnaubte John durch die Nase.

„Als ob du nichts gegen etwas Spaß hättest!“, entgegnete Franzis. „Also ich hab nichts gegen etwas Spaß. Clyde brauchen wir ja nich fragen, der hat seinen Spaß immer mit sich mit.“

„Franzis! Zügle deine Zunge, sonst hat sie ein Loch!“, knurrte Clyde. Er strich über sein Jackett. Jeder der Vier wusste, dass da drin der Revolver lag. Bonnie hatte Franzis Bemerkung überhört und meinte: „Keine schlechte Idee. Dann werdet ihr mir wenigstens mal ausgelastet und ich kann gleich nach einer Wärmflasche für meine Krämpfe fragen!“

Clyde und Bonnie standen von der kalten Bank auf und gingen geradewegs gefolgt von Franzis und John in das Stundenhotel. Dort begrüßte man sie mit gemischten Gefühlen. Bonnie vermutete, dass man wegen der extrem stickigen Luft schlecht gelaunt war. Man konnte bestimmt die Luft mit einer Schere zerschneiden, so dick war sie vor Rauch und Dunst.

John und Franzis bekamen ein Zimmer mit dem jeweiligen Mädchen. Bonnie und Clyde bekamen zusammen ein kleines Zimmer. Die Zimmer waren mit viel roten Samt ausgestattet. Die Luft war da auch nicht viel besser. Bonnie hätte schwören können, dass in den Gästezimmern die Luft noch dicker war. Vom Parfüm der Mädchen beschwert. Doch man merkte, dass vieles kurz vor dem Zusammenbruch stand. Das Bett hatte nur noch drei Beine und die Wände waren hellhörig.

Verwirrt ließen sich Bonnie und Clyde auf dem Bett nieder und kuschelten sich in die Decken ein. Es war extrem kalt. So entschloss Clyde, nach der Heizung zu suchen. Doch er fand nur einen kalten Heizkörper, der aber kaputt war. Enttäuscht lies sich Clyde wieder ins Bett fallen. Dort kuschelte er sich bei Bonnie ein, die langsam an Körpertemperatur zunahm.

„Geht’s dir gut?“, fragte Clyde besorgt nach.

„Ja... Es ist alles normal!“, versuchte Bonnie ihn zu beruhigen. „Das ist jeden Monat so. Musst dich dran gewöhnen!“

„Na dann. Kommt Zeit, kommt Rat.“, antwortete Clyde und schlief sofort darauf hin ein. Bonnie konnte ihn manchmal nicht verstehen. Sie konnten gerade auf der Flucht vor der Polizei sein, und er konnte einfach so einschlafen.

Lächelnd beobachtete Bonnie ihren Clyde beim Schlafen. Er sah so friedlich aus und fast schon kindlich. Niemand der Clyde nicht kannte, hätte gesagt, dass Clyde ein entflohener Häftling aus Dallas war.

Natürlich vielen besonders Franzis und Clyde durch ihre naturgebräunten Haut auf, doch man konnte sie nicht mit den Schwarzen verwechseln. Ihre Art war auch ganz anders. Sie waren eben aus Texas. Bonnie hoffte, dass die Polizei deswegen mehr auf sie aufmerksam wurde. Sonst hätten sie wirklich noch in den Süden verschwinden müssen. Doch sie kamen nicht an der Grenze vorbei, ohne ihre Papiere zu zeigen und spätestens dann, wäre Clyde mit Franzis aufgeflogen.

Bonnie war nicht vorgestraft und würde auch nicht auffallen. John hatte noch neben der amerikanischen Staatsangehörigkeit heimlich einen gültigen Schottischen Pass, der ihm jeder Zeit erlaubte, aus Amerika abzuhauen. Nur Clyde und Franzis in den Vereinigten Staaten von Amerika gefangen.

Mirrowroad 23

Mirrowroad 23
 

Bis drei Uhr konnte Bonnie Clyde beim Schlafen beobachten. Dann musste sie sich von ihm lösen, weil die Schmerzen nicht aufhören wollten. Sie kletterte aus dem Bett und kroch auf allen vieren aus dem Zimmer. Die Tür knarrte, als Bonnie sie langsam schloss. Sie wollte nicht, dass Clyde von dem Stöhnen und Lustschreien, der Mitgäste des Stundenhotels in Cincinnati geweckt wurde. Langsam kroch Bonnie die Treppen herunter. Eine der Mädchen, die zu dem Hotel gehörten, bemerkten Bonnie. Sie liefen zu Bonnie und halfen ihr ungeschickt auf. Sie brachten Bonnie in ein kleines Zimmer, das nur für die Mädchen reserviert war.

Bonnie war noch nie in so einem Zimmer gewesen. Irgendwie fühlte sie sich den Mädchen, die auf ihr Äußeres sehr achteten, unterlegen. Seit einer ganzen Woche hatte sie kaum Zeit gehabt, sich zu waschen. Wenn Bonnie genau war, war das die Zeit, seit sie mit ihren Jungs auf der Flucht war.

Sorgevoll kümmerten sich die Mädchen um Bonnie. Sie zischten leise irgendwelche bösartigen Kommentare über die Freier. Sie ließen wirklich kein gutes Haar an denen, die käufliche Liebe erwarben.

„Als ob ihnen die Sekretärin und das Eheweib nicht reichen würde! Schlimm!“, bemerkte eine Rothaarige.

„Wie sie dich nur zugerichtet haben!“, schüttelte eine Zweite den Kopf. „Wir werden wohl mit Benedikt reden müssen! Der wirft immer ein gutes Wort für uns Mädels ein! Wir müssen ja auch irgendwie zusammenhalten, nicht?“

Bonnie merkte mit der Zeit, dass hier eine gründliche Verwechslung stattfand. Sie versuchte das Missverständnis aufzuklären und entschuldigte sich vielmals bei den Mädchen, ihnen eine falsche Vorstellung gegeben zu haben. Doch sie waren keines Wegs sauer auf Bonnie. Vielmehr bedankten sie sich bei ihr, dass sie ihnen ein Alibi gaben, um nicht bei den nächsten Freiern aufzutauchen.

Bonnie bekam von den Mädchen sogar frische Einlegetücher, die jeder Zeit ausgewaschen werden konnten. Bald fand sich Bonnie in einem kleinen gemütlichen Bett wieder, eine Wärmflasche lag auf ihren Unterleib und die Schmerzen fingen langsam an zu schwinden. Bald darauf setzte auch die Monatsblutung ein.

„Es ist schon jedes mal ein Krampf!“, sagte die anscheinend Jüngste der Mädchen.

„Wie alt bist du?“, fragte Bonnie neugierig.

„Ich? Ich bin vierzehn!“, lächelte das Mädchen stolz. „Man schätzt mich eigentlich immer etwas jünger ein. Das ist gut fürs Geschäft, meinen die anderen.“

„Armes Mädchen!“, seufzte Bonnie. Auf einen Schlag wurde Bonnie klar, dass sie in Dallas gar nicht schlecht gelebt hatte. Immer hatte sie sich als den letzten Dreck gefühlt, denn sie wusste nicht, dass es wirklich solche Mädchen gab, denen es schlechter ging als ihr. Irgendwie hatte sie es sich kaum vorstellen können. Immer hatte sie nur die Reichen und Mächtigen gesehen. Doch diese Begegnung hatte Bonnie endgültig die Augen geöffnet und den Hass auf die erhobene Gesellschaft mehr angezündet. Wie konnte es sein, dass ein vierzehnjähriges Mädchen schon anschaffen musste?

Bonnies Gesicht verzog sich zu einer finsteren Grimasse. Sie empfand für die Mädchen mehr als Mitleid. Irgendwie fühlte sich Bonnie auch nicht unter ihrer Gesellschaft wohl. Sie wollte zurück zu Clyde, der sie vor so etwas bewahrte und ihr jeden erdenklichen Wunsch von den Lippen las.

Ächzend richtete Bonnie sich auf. Sie musste sich nun langsam an die Schmerzen gewöhnen. Es war eben eine harte Zeit. Wo war die Bonnie, die sich von nichts und niemanden einschüchtern lies? Sie musste hart bleiben, um für Clyde da zu sein.

Die Mädchen hielten Bonnie zurück. Anscheinend wollten sie sie nicht mehr gehen lassen. Verwirrt sah sich Bonnie um. Überall spürte sie die Hände von den Mädchen. Sie zogen Bonnie wieder zurück ins Bett.

„Bitte... Ich möchte gehen! Ich will zu Clyde!“, seufzte Bonnie und startete wieder ein Versuch sich von den Mädchen loszureißen.

„Aber nicht doch, Bonnie! Du gehörst jetzt zu unserer Familie!“, meinte die vierzehnjährige. „Du wirst auf uns aufpassen, nicht wahr?“

„Nein! Ich muss weiter! Mit Clyde und Franzis und John! Lasst mich gehen!“, sagte Bonnie verzweifelt und versuchte sich von den Mädchen zu lösen.

Aber die zarten Mädchenhände hatten einen festen Griff um Bonnie. Sie ließen sie nicht mehr los. Voller Panik schrie Bonnie los und versuchte sich zu wehren. Sie wollte nicht so enden wie die Mädchen. Sie wollte mit Clyde weiter nach New York!

Als ob man ihre Gebete zum Himmel gehört hatte, stürmten mehrere Polizisten in das kleine beschauliche Zimmer rein. Die Mädchen ließen Bonnie augenblicklich los und verteilten sich auf den engen Raum.

Bonnie stolperte und viel zu Boden, dort kroch sie durch die vielen Schritte zum Flur. Im Flur bemerkte sie, dass dort noch mehr Chaos herrschte. Überall wurden die Freier von den Polizisten aus den Zimmern gejagt. Sie verdeckten mit den weißen Stofftüchern ihre Blöße. Unter ihnen entdeckte Bonnie auch John und Franzis. Als die beiden Männer Bonnie sahen, riefen sie: „Wir gehören zu der Blonden! Bitte! Wir gehören nicht zu diesen Abschaum! Bitte! Bonnie hilf uns!“

Verwirrt blieb Bonnie stehen. Sie sah durch Franzis und John durch. Wo war Clyde? Dann bemerkte Bonnie wie Clyde von zwei Polizisten abgeführt wurde.

„Wir haben Sie gesucht, Mr. Barrow. Schön, dass wir sie endlich gefunden haben?“, sagte der eine Polizist grinsend. In Clydes Gesicht spiegelte sich die pure Abneigung.

„Clyde!“, schrie Bonnie auf. Doch ihr Ruf ging unter den allgemeinen Lärmpegel unter. Sie rief noch einmal: „Clyde!!“

Endlich schien er sie gehört zu haben. In seinem Gesicht breitete sich die Erleichterung aus. Doch er hatte sie nur gehört. Sein Blick suchte nach Bonnie. Doch die kleine Gestalt wurde von den Massen hin und hergestoßen.

„Mirrowroad 23 in Telico, Texas!!“, brüllte Clyde in die ungefähre Richtung von Bonnie. Er hoffte, sie hatte ihn verstanden. Dann wurde er nach draußen zu John und Franzis geführt. Alle drei wurden in einen kleinen Wagen geschoben und abgeführt.

Bonnie rannte so schnell wie möglich aus dem Haus, doch sie wurde immer wieder von den herumeilenden Mengen aus der Bahn geworfen. Als sie gerade auf dem Bürgersteig angekommen war, sah sie nur noch, wie der Polizeiwagen um die Ecke bog und aus ihrem Sichtfeld verschwand. Bonnie wollte gerade dem Wagen hinterher jagen, die Polizisten aus den Wagen werfen und mit ihren drei Männern abhauen, doch sie besann sich eines Besseren. Es würde nur lächerlich aussehen, wenn sie einem Wagen hinterher jagte. Erwischen würde sie ihn doch eh nicht mehr. Also ging Bonnie wieder zurück ins Stundenhotel, in der Hoffnung, jemand würde ihr sagen, was sie jetzt zu tun hätte. Sie hatte Clyde wohl verstanden, doch sie wusste nicht, was sie mit dem Straßennamen anfangen sollte. Wahrlich, er kam ihr irgendwoher bekannt vor. Irgendwo hatte sie schon mal den Straßennamen gelesen, aber wo?

Grübelnd setzte sich Bonnie in einen der wenigen Sessel, die noch heil geblieben waren.

Dann kam ein Polizist auf sie zu. Bonnie sah zu ihm auf, als sie seine schwarzen Lackschuhe vor ihren Schuhen bemerkte. Sie kannte den Polizisten nicht. Wahrscheinlich war es einer der vielen, die nicht genug Elan hatten um weiter die Karriere aufzusteigen. Sie machten eben nur das Nötigste, diese Polizisten.

„Miss...“, brummte der Polizist. „Ich nehme sie wegen illegaler Prostitution fest!“

„Bitte was?“, lachte Bonnie auf. „Ich? Wieso sollte ich eine Prostituierte sein? Sehe ich wirklich so aus?“

„Miss... Sie befinden sich in einem Stundenhotel! Man hat sie mit den anderen Prostituierten gefunden! Ich möchte Sie bitten, anstandslos mitzukommen!“, fügte der Polizist gelangweilt und monoton zu.

„Sehe ich nicht ein! Ich war mit meinem Freund hier! Leider habt ihr Bullenschweine ihn festgenommen!“, brüllte Bonnie und stand auf. Langsam hatte sie es wirklich satt, dass die verfluchten Polizisten Clydes und ihre gemeinsame Zukunft versauen mussten. „Ich wollte mit ihm einmal die Niagarafälle sehen! Dann die schönen Wolkenkratzer von New York! Und was macht ihr Arschlöcher? Ihr nehmt ihn fest!“

„Wer ist denn Ihr ‚Freund’? Das kann man ja sofort nachforschen, ob Sie die Wahrheit sagen! Und Ihren Namen hätte ich auch gerne, damit wir überprüfen können, ob wir Sie schon einmal hier aufgegriffen haben!“

„Mein Name ist Bonnie Parker, und ich schwöre bei Gott, dass ich hier noch nie in meinem Leben zuvor war, da ich aus Dallas komme! Genauso wie Clyde!“, rief Bonnie und tippte mit ihren Zeigefinger auf den Stern des Polizisten. In dem Moment wurde Bonnie einiges klar. Würde sie sagen, dass sie in Begleitung von Clyde Barrow gewesen war, dann hätte sie sich auch strafbar gemacht. Als Geisel konnte sie sich auch nicht nennen, weil Clyde dann noch mehr Ärger bekommen würde. Die Lage war extrem verzwickt.

„Clyde wer?“, hakte der Polizist nach und schrieb Bonnies Namen schon einmal auf.

„Ahm...“, stotterte Bonnie. Was sollte sie nur tun? Clyde hätte bestimmt eine passende Ausrede für sie gehabt. Aber der war nun wieder weit weg...

Zurück nach Texas

Zurück nach Texas
 

„Ich... ich... ahm... Wie war noch einmal die Frage?“, fragte Bonnie scheinbar verwirrt und sah den Polizisten verstört an.

Der Polizist seufzte: „Der Name! Der Name von Ihrem Freund! Ich will den Nachnamen ihres Freundes Clyde!“

„Welcher Freund?“, hakte sich Bonnie nach. Sie sah an den Polizisten vorbei auf einer Luftaufnahme von Paris. Sie konnte mit größter Mühe den Eifelturm erkennen. Seufzend lehnte sich Bonnie gegen die dunkelrote Tapete, die ziemlich rissig war.

„Miss Parker, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass ein Beamter Sie gerade verhört! Sie machen es sich im Moment nicht leichter!“, brummte der Polizist.

Doch Bonnie reagierte nicht auf seine Wörter. Sie sah weiterhin auf das Bild von Paris und plötzlich griff sie sich ans Herz. Ihr Blick verschleierte sich und die Hand verkrampfte sich.

Der Polizist stürmte sofort zu Bonnie, die gerade die Wand entlang glitt, und hielt sie fest. „Miss Parker?“, fragte der Polizist sichtbar geschockt. In seinen Armen brach Bonnie zusammen. Ungeschickt trug der Polizist Bonnie aus dem Haus. Er erklärte seinen Kollegen, dass er Bonnie zum Revier fahren würde. Sie würde dann dort weiter verhört werden.

Ohne weiteren Erklärungsbedarf ging der Polizist mit Bonnie auf den Arm zu einen kleinen Polizeiauto und legte Bonnie auf den Beifahrersitz. Er schnallte sie ordnungsgemäß an und konnte nicht umhin, die Oberweite, betrachten, wie sie vom Gurt herausschnitt. Er war kurz davor über Bonnie herzufallen, als er bemerkte, dass er sich mitten auf dem Marktplatz von Chincinnati stand. Er hätte im Revier mehr Zeit und mehr Intimität. So stieg er ins Auto und wollte losfahren.

Der Polizist war total auf den Straßenverkehr fixiert und merkte nicht, dass Bonnie innerhalb von wenigen Sekunden, als sie losgefahren sind, wieder wach wurde. Er bemerkte auch nicht, dass Bonnie ihm verstohlen seine Dienstwaffe abnahm. Doch anstatt sie sofort zu nutzen steckte Bonnie den kleinen Revolver ein. Sie sah im Augenwinkel, dass hinter dem Fahrer noch eine große Schrotflinte lag. Anscheinend war sie geladen.

Bonnie wusste nicht, ob sie schnell genug war, um die Schrotflinte zu schnappen und den Polizisten damit zu bedrohen. Sie wartete noch ein bisschen. Dann als gerade der Wagen durch ein kleinen Park fuhr und von niemanden mehr beobachtet werden konnte, weil die Straße total leer war, drehte sich Bonnie in sekundenschnelle um und schnappte sich die Flinte. Der Polizist war total überrascht und konnte gar nicht so schnell reagieren. Bonnie hielt ihm die Flinte an die Schläfe und sagte: „Nur eine falsche Bewegung, und dein Kopf ist voller Schrot! Fahr an die Seite und steig aus!“

Der Polizist tat wie ihm befohlen und fuhr an die Seite. Er wollte beim Aussteigen, seinen Revolver schnappen und Bonnie in die Hand schießen, doch er bemerkte, dass seine Dienstwaffe weg war.

Verwirrt sah er Bonnie an, die ihn grinsend nun mit einer Schrotflinte und einem kleinen Revolver bedrohte.

„Ich zähl bis drei! Dann bete, dass ich dich verfehle!“, lachte Bonnie und zählte laut los.

Der Polizist begriff sofort und huschte sofort ins Dickicht. Er hatte keine Lust, sein Leben an der Psychopathin, wie er in seinen Gedanken sie nannte, zu verlieren.

Doch als Bonnie bei Drei angelangt war, lachte sie los, und kletterte auf den Fahrersitz und fuhr mit quietschenden Reifen los. Sie wusste, dass innerhalb von wenigen Minuten die Polizei auf den Fersen war. Aber sie musste es versuchen, sich bis nach Telico durchzuschlagen. So viel Bonnie wusste, wurde dort Clyde geboren. Eine seiner Schwestern sollte dort noch immer wohnen. Vielleicht würde Clyde einen weiteren Ausbruch starten und sie dann in Telico aufsammeln. Aber dafür musste sie erst mal dort ankommen.

Während Bonnie den Zurückweg nach Texas über den Highway fuhr, wurde Clyde, John und Franzis stark ins Verhör genommen. Niemand der drei verriet irgendwas über Bonnie. Bald darauf wurde von der Polizei festgestellt, dass alle drei Flüchtlinge aus dem Waca-Gefängnis waren. Grinsend wurden sie in einen Transporter geführt. Dann ging es über einen starkbewachten Zug zurück nach Dallas. Auf dem Weg über die Schienen sprach niemand der drei Jungs.

John saß auf einen Heuhaufen mit dem Rücken in Fahrtrichtung. Er hatte von einem Polizisten ein kleines Messer bekommen und schnitzte aus einem Ast ein kleines Püppchen. Franzis betrachtete John bei der Arbeit und summte leise ein kurzes Lied.

Clyde saß auf der anderen Seite und lehnte sich gegen die Bretterwand. Zwei der Polizisten hielten ununterbrochen die großen Gewehre auf ihn. Als ob er jeder Zeit irgendjemand anfallen würde. Doch er unterhielt sich mit den Polizisten ziemlich freundlich. Doch niemand antwortete auf seine Fragen. Irgendwann platze John der Kragen und er brüllte durch den ganzen Wagon: „Clyde! Halt deine Fresse! Ich kann dich nicht mehr ertragen!“

Clyde sah auf und lächelte John an. Er machte eine Geste, als ob er den Hut von seinem Kopf lüften würde. „Die Haltung ist mir nicht fremd, nur leider hat mich eine warmblütige blonde Lady, deren Namen ich nicht nennen will, aufgehalten. Sonst wärst du schon längst bei deinen Angehörigen in der Hölle, John McGonner.“, grinste Clyde spitzbübisch.

Johns Gesicht wurde rot. Er wollte gerade aufstehen, als die Polizisten, die ihn bewachten, zurückhielten. Aus dem Affekt raus warf er mit dem kleinen Taschenmesser nach Clyde. Doch er verfehlte Clyde um wenige Millimeter. Clyde sah desinteressiert das Messer an, das immer noch in der Wand schwirrte. Er zog ohne irgendwelche Mühen das Messer aus der Wand und schüttelte den Kopf.

„Tztztztz! John McGonner, ich bin über deine Gewaltbereitschaft total überrascht. Aber an deiner Technik musst du noch arbeiten!“

„Du Wahnsinniger! Wärst du nicht gewesen, wär ich im Sommer frei und könnte zu meiner Familie nach Schottland! Aber nein! Du musstest mich ja ins Unheil ziehen und mich mit sofortiger Freiheit locken. Dann lässt du es auch noch zu, dass man uns erwischt! Auf so jemanden kann ich spuken!“, brüllte John, der immer noch sich auf Clyde werfen wollte.

Clyde lächelte ihn nur kalt an und meinte: „Es ist nicht meine Schuld, dass wir ins Stundenhotel gegangen sind. Es war nicht meine Idee! Du wolltest doch unbedingt irgendein Vergnügen. Wenn nach mir gegangen wär, wärst du schon längst in Kanada!“

„Deine dumme Nutte hat uns doch aufgehalten!“, schrie John und löste sich von den Polizisten. Er stürzte sich auf Clyde, der nicht damit gerechnet hatte. John griff nach dem Taschenmesser, das Clyde hatte fallen lassen. Gerade wollte er Clydes Kehle durchstechen, als die Polizisten ihn wieder zurückzerrten.

Doch diesmal war Clyde außer sich. Er rappelte sich auf und warf sich auf John. Franzis beobachtete vom Weiten die Szene. Er bemerkte, dass jeder Polizist seine Aufmerksamkeit auf die beiden Streithähne gelegt hatte. Breit grinsend stand Franzis auf und ging zu der Tür, durch der er, John und Clyde gekommen waren. Er nestelte etwas am dicken Schloss rum und knackte es nach kurzer Zeit. Dann warf er einen Blick zurück und lachte auf, weil die Polizisten immer noch mit Clyde und John beschäftigt waren.

Nur ein Polizist bemerkte, dass Franzis anfing zu lachen. Er drehte sich zu Franzis und wollte ihn gerade aufhalten. Doch der Gefangene riss die Schiebetür auf und rief: „Wenn sich Zwei streiten, freut sich der Dritte. So lebt denn wohl!“

Der Fahrtwind packte sich Franzis und schleuderte ihn unerwartet raus. Franzis, der eigentlich vom Zug springen wollte, schlug mit dem Kopf gegen die Bretter des Wagons. Sein Körper fiel auf die Gleise. Es fuhren noch drei Zuganhänger über den leblosen Körper des rothaarigen Franzis Morpheus aus Houston.

Clyde und John stritten sich immer noch weiter. Beide wälzten sich auf dem Boden und versuchten sich gegenseitig zu erwürgen. Aus reiner Notwehr packte Clyde eine Dienstwaffe von einem Polizisten und erschoss John. Das Blut des Schotten färbte nur langsam das Heu rot. Instinktiv wich Clyde zurück und sah sich verwirrt um. Er hatte gerade vor den Nasen von Polizisten einen Mann erschossen. Bestimmt würden die niemals sagen, dass er aus Notwehr gehandelt hatte. Schon immer war doch die Polizei gegen ihn. Sein Blick suchte Franzis. Es war seine einzigste Hoffnung. Doch er fand Franzis nicht. Erst jetzt bemerkte Clyde, dass der Zug angehalten wurde und die Tür geöffnet wurde. Zwei Polizisten trugen die Leiche von Franzis in den Wagon. John wurde zu Franzis gelegt. Dann ging die Reise nach Dallas weiter. Clydes Blick mied den Anblick der Leichnahmen seiner Komplizen. In ihm machte sich kalte Einsamkeit breit und schnürte ihm die Kehle zu. Noch nie hatte er sich so sehr nach Bonnie gesehnt.

Reise, Reise

Reise, Reise
 

Bonnie fluchte laut und wüst. Sie trat gegen die Fahrertür von dem Streifenwagen der Polizei. Gerade auf dem wildesten Stück der Strecke musste der Geist aufgeben. Nirgends war eine Stadt oder sogar nur ein kleines Häuschen zu sehen. Immer wieder fluchte Bonnie laut und ließ ihren ganzen Frust an dem Auto aus. Bestimmt würde gleich die Polizei sie einholen und einbuchten.

Immer noch fluchend ging Bonnie die Straße entlang. Sie würde der Polizei bestimmt nicht in die Arme fallen. Sollen sie sich doch ruhig Mühe geben, sie einzufangen. Sie würde strikt weiter Richtung Texas laufen. Irgendwo musste doch irgendein Haus mit einem Auto sein. Von Franzis hatte sie gelernt, wie man Schlösser und vor allem Autos knackt.

Die Schrotflinte hatte sie leider im Auto liegen lassen müssen, falls sich doch ein Auto auf den Highway verirrt hatte. Der Fahrer würde sie bestimmt aufnehmen und sie ein kleines Stückchen fahren. Doch nur dann, wenn er wüsste, dass weder er noch der Wagen in Gefahr sind.

Die Dienstwaffe von dem Polizisten hatte sie jedoch wie damals Clydes Revolver in der Innentasche von ihrem grauen Mantel versteckt. Bonnie zog ihren Schal höher und verdeckte auch ihre Nase damit. Bonnie konnte sich glücklich schätzen, dass es im Moment nicht schneite und der Wind ihr diese kalten Schneeflocken in die Augen wehte.

Dick vermurmelt ging Bonnie nun weiter. Sie brauchte auf jeden fall irgendwo eine Pause, wo sie sich auch noch einmal frisch machen konnte. Bonnies Körper hatte schon immer ein sehr schlechtes Timing gehabt. Aber dies übertraf alles, was Bonnie bisher erlebt hatte.
 

Clyde konnte den Gestank von John und Franzis nicht länger ertragen. Er würgte, aber er konnte nicht erbrechen. Was hätte er wohl erbrechen können? Seit Tagen hatte er nichts mehr Gegessen. Er war nur noch froh, wenn man ihn ins Gefängnis brachte.

Die Polizisten, die ihn überwachten, hatten schon ihre Tücher auf Nase und Mund gebunden, damit sie den Verwesungsgeruch nicht so stark ertragen müssen.

Nach mehreren Stunden merkte Clyde, dass der Zug langsamer wurde. Er atmete auf, aber bereute es im selben Moment noch.

Der Zug kam zum Stillstand und von Außen wurde der Wagon aufgemacht. Die Polizisten schnappten sich Clyde und führten ihn aus dem Zug. Es musste schon sehr spät in der Nacht sein. Die Wolken ließen jedoch keinen einzigsten Blick auf den Mond und dessen Sterne zu. Sie hatten sich zu dunkelgrauen Massen zusammengepresst.

Clyde konnte im spärlichen Licht erkennen, dass er an einen Güterbahnhof von Dallas war. Er wurde zu drei Männern geführt, die sehr geschäftlich aussahen. Alle drei hätten sich doubeln können, als wären sie Drillinge.

„Sir, wir haben hier Mr. Clyde C. Barrow in Cincinnati aufgegriffen!“, sagte einer der Polizisten zu den Männern in den schwarzen Roben und schwarzen Melonen.

„Sehr gut... Ich bin zufrieden! Haben Sie auch die Mitflüchtlinge John McGonner und Franzis Morpheus?“, antwortete der größte der drei Männer.

„Beide wurden festgenommen, sind aber während der Fahrt umgekommen!“, meinte der zweite Polizist.

Die drei Geschäftsmänner tauschten die Blicke. Jetzt erkannte Clyde wer diese drei Männer waren. Sie waren in der Tat Brüder. Will, Jonah und Jack Deadmen. Der Name passte zu ihren Beruf, denn niemand brachte mehr Verbrecher und Gesetzeslose zum Henker als die Deadmen-Brüder. Alle drei hatten Jura studiert und alle drei waren Staatsanwälte. Sie sollen angeblich die härtesten Staatsanwälte in ganz Texas sein. Clyde schrumpfte etwas in sich zusammen. Bestimmt waren sie hier um gegen ihn im Gericht anzutreten. Jetzt wollten sie ihn bestimmt weich klopfen.

„Schade“, meinte Jack, der jüngste der Brüder.

„Wieso schade? Sie haben uns mit den Tot eine Menge Arbeit erspart! Außerdem haben wir dann noch mehr Platz in der Zuchtanstalt!“, lächelte Will Deadmen.

„Zuchtanstalt?“, mischte sich Clyde ein und wurde blass.

„Ja, Mr. Barrow! Man erwartet sie schon dort. Wenn sie sich dort eingelebt haben, werden sie sofort weiter auf die Baumwollplantagen geschickt.“, lächelte Jonah.

„Wieso? Ich will erst mal einen Prozess!!!“, schrie Clyde auf. „Ich will vor Gericht!“

„Das braucht es nicht mehr! Sie haben sich mit dem Ausbruch das Urteil schon festgelegt! Sie können froh sein, dass sie nicht die Todesstrafe bekommen!“, lächelte Jack.

„Bringt ihn weg!“, befahl Will. „Ich will den Kerl nie wieder in Zivil sehen! Und schafft die Leichen weg! Ich glaub euch, dass McGonner und Morpheus da liegen!“

Die Deadmen-Brüder entfernten sich von Clyde und den Polizisten und stiegen in ein schwarzes Taxi und fuhren los.

Clyde wurde von den Polizisten in einen Laderaum von einen Wagen geführt. Dort setzte er sich zwischen die Kisten und seufzte auf. Nun würde sein größter Alptraum beginnen und nichts konnte das Unheil verhindern.
 

Die Sonne ging langsam wieder am östlichen Horizont auf. Der Wind wurde immer stärker und von den dichten Wolkenmassen wirbelten mehrere Schneeflocken und erschwerten die Sicht auf die Straße. Bonnie hatte sich von einem Masten zum nächsten gekämpft, damit sie nicht vom Weg abkam.

Erschöpft lehnte Bonnie sich gegen einen Strommast und atmete tief durch. Sie konnte nicht mehr weiterlaufen. Ihre Knie fühlten sich an wie Pudding. Aber sie musste weiter, damit sie nicht erfror. Mühsam kämpfte sich Bonnie weiter. Ab und zu dachte sie daran, sich den Gnadenschuss zu geben. Doch dann kam ihr Clyde in Sinn. Was würde er wohl denken, wenn sie es nicht einmal bis nach Texas schaffte.

Das gab ihr immer wieder Mut und Kraft weiterzugehen. Es war immer noch kalt und dunkel. Die Sonne hatte anscheinend größte Mühe, sich durch die dichte Wolkenmasse zu kämpfen.

Wieder hatte sie es geschafft. Bonnie umarmte den Strommasten und ließ sich daran runtergleiten. Ein paar Haarstränen fielen ihr ins Gesicht. Erst nach wenigen Minuten merkte Bonnie, dass sie weinte. Sie durfte nicht aufgeben. Aber sie konnte nicht mehr durchhalten.

Bonnie war so sehr mit ihrem Elend beschäftigt, dass sie nicht einmal merkte, wie ein Auto an ihr vorbei fuhr. Erst als sie die roten Rücklichter sah, rief Bonnie aus Verzweiflung nach.

„Heey!!! Hilfe!!!!“, schrie sie heiser. Sie hatte wenig Zuversicht, dass man sie gehört hatte. Doch sie rappelte sich auf und wedelte mit den Armen dem Auto nach. Doch die Insassen schienen sie nicht bemerkt zu haben.

Verzweifelt kniete sich Bonnie auf den Asphalt der Straße und ließ ihren ganzen Frust raus. Sie schlug mit ihren blauen Fäusten immer wieder auf die gefrorene Straße ein. Da fuhr endlich ein Auto an ihr vorbei und dann verpasste sie das verdammte Ding.

Verzweifelt öffnete Bonnie ihren Mantel und holte den Revolver raus. Sie hatte nun keine Chance mehr diese Situation zu überleben. Clyde hätte bestimmt nicht gewollt, dass sie litt. Wimmernd entsicherte sie den Revolver und hielt ihn gegen ihre Schläfe.

„Verzeih mir Clyde!“, schluchzte sie.
 

„Herzlich Willkommen im sichersten Zuchthaus von Texas!“, sagte einer der Polizisten. Er packte Clyde grob unter den Arm und schleifte ihn aus dem Wagen. Clyde konnte so schnell nicht reagieren und fiel mit den Knien auf den harten Kopfstein. Er schlug sich dabei die Knie auf, doch kein Wehlaut verließ seine Lippen. Jeder seiner Bewegungen und Laute wurden streng überwacht.

Clyde atmete tief durch und richtete sich auf. Sein Blick fiel auf ein großes Backsteingebäude, das ihn etwas an das Waca-Gefängnis erinnerte. Doch hier war es bestimmt noch schlimmer.

Die Polizisten schubsten Clyde weiter. Anscheinend waren sie nicht so geduldig wie die gewöhnlichen Polizisten aus dem Waca-Gefängnis. Doch egal was passieren wird, er würde niemals den Beamten zeigen, wie sehr man ihn kränkt. Niemals würden sie das bekommen, was sie wollen: Einen gebrochenen Clyde C. Barrow. Es reichte schon die Vorstellung von Bonnie Parker, damit er wieder die Polizisten anlächeln konnte.

Kurz vorm Ziel

Kurz vorm Ziel
 

Bonnie hörte ein ganz lautes Zischen und Pfeifen. Sie öffnete ihre Augen und sah sich verwirrt um. Der Schneesturm verwischte ihre Sicht, aber von fernen sah sie, dass etwas großes Schwarzes neben der Straße entlang fuhr.

An den seltsamen, unnatürlichen Geräuschen erkannte Bonnie, dass ein Zug gerade hier entlang fuhr. Hastig rappelte Bonnie sich auf und lief mit ihrer letzten Kraft zum fahrenden Zug. Ihre Hoffnung war, dass sie sich irgendwie unbemerkt auf einen der Wagons aufspringen konnte. Er fuhr ungefähr nach Texas.

Bonnie rannte neben den Zug entlang und suchte etwas, woran sie sich festhalten konnte. Doch sie fand nichts geeignetes. Irgendwie hatte sie auch Angst zwischen den Wagons zu geraten und dann vom Zug überfahren zu werden.

Doch nach einer Weile verlor Bonnie die Angst und nahm die letzte Chance wahr und hielt sich am letzten Wagon des Zuges fest. Sie schwang sich auf die Treppen und hielt sich fest. Der Fahrtwind riss an Bonnie und versuchte sie vom Zug zu schütteln. Aber die Verzweiflung gab Bonnie ungeahnte Kräfte.

Ein Paar Hände halfen Bonnie auf den Zug. Verwirrt fand sie sich in den Armen eines Afrikaners. Sie löste sich sofort von ihm. Doch ihre Augen konnten sich nicht von den schwarzen Menschen lösen, dessen Kleider zerrissen waren. An seinen rechten Fuß fand Bonnie eine schwere Eisenkugel.

„Da hast du noch mal Glück gehabt! Gut dass ich da war!“, lobte sich der Mann selbst. Er warf sich selbst in die Brust.

Bonnie warf ihm einen kalten Blick zu und meinte dann nur: „Ich hätte es auch selbst geschafft!“

Sie ging an den Mann vorbei und versuchte die Tür zu öffnen. Ihr war kalt und sie wollte wenigstens in einen windgeschützten Raum gelangen. Vielleicht war es dort dann etwas wärmer.

„Die Tür ist verschlossen!“, bemerkte der Afrikaner belustigt, während er Bonnie zu sah.

Schamesröte stieg in Bonnies Gesicht auf. Sie verlor endgültig die Geduld und richtete den Revolver auf das Schloss. Es hätte bestimmt noch länger gedauert, wenn sie das Schloss knacken wollte. Darauf hatte sie keine Lust.

„Ist das hier ein normaler Warentransport?“, fragte Bonnie.

„Ja...“, antwortete der Mann und starrte auf die kleine Frau.

„Gut!“, meinte Bonnie und drückte ab. Den Knall konnte man durch das Pfeifen des Windes kaum hören. Aber Bonnie war es total egal. Sie trat die Tür ein und betrat den Wagon. Darin waren lauter Kisten und Säcke.

Der Schwarze folgte Bonnie und staunte nicht schlecht. Während er sämtliche Kisten, die nicht verschlossen waren, öffnete, warf sich Bonnie auf mehrere Wäschesäcke. Ihre Augen lösten sich jedoch nicht von dem Fremden.

„Wer bist du?“, fragte Bonnie nach einer kurzen Weile.

„Ein Niemand!“, antwortete der Mann hastig.

„So so... Wir sind also illegal hier eingewandert?“, lachte Bonnie.

„Was gibt’s daran zu lachen?“, fragte der Mann leicht beleidigt.

„Weil es hier doch nichts gibt, wofür man hier einwandern könnte!“, meinte Bonnie immer noch lachend.

„Ach ja?“, fragte der Mann erstaunt. „Und warum sind hier alle so glücklich und zu frieden? Hier ist es doch tausendmal besser als in meiner alten Heimat! Hier ist man frei!“

„Freiheit? Die hast du hier nicht! Du hast hier nur tausend dumme Gesetze, die kein Mensch braucht! Du bist von der gesamten Gesellschaft gefangen! Freiheit hat man hier nicht!“, erklärte ihm Bonnie ernst. „Ich will hier weg, weil man hier nicht frei sein kann! Aber selbst das darf man nicht! Mein Freund wurde festgenommen, weil er sich befreit hat!“

„So?“, hakte der Mann nach. „Ich will trotzdem mein Glück versuchen!“

„Dann wünsche ich dir, dass du mehr Erfolg haben wirst, als Clyde es hatte!“, murmelte Bonnie. Sie schloss ihre Augen und wollte einschlafen. Doch der Mann ließ sie nicht und löcherte sie mit immer mehr Fragen. So ging die ganze Fahrt drei Tage lang bis nach Texas.
 

Clyde grinste innerlich. Es war doch nicht anders als im Knast. Man brauchte nur die größte Klappe und paar Leute, die hinter einem stehen und dann war man der King im Knast. Selbst manche Polizisten befolgten seinen Befehlen.

Dennoch vermisste Clyde Bonnie. Wie es ihr wohl ging? Er machte sich mehr Sorgen um Bonnies Wohlbefinden, als um sein Schicksal. Wäre Bonnie schon bei seiner Schwester in Telico, dann hätte er längst eine Nachricht von ihr bekommen. Doch der langersehnte Brief kam einfach nicht.

Ungeduldig wie ein Raubtier im Käfig ging Clyde an den hohen Stacheldrahtzäunen entlang. Sein Blick viel immer wieder auf die großen Eisentüren des Zuchthauses. Alles wurde streng überwacht. Selbst eine kleine Maus konnte sich nicht unbemerkt rein- oder rausschleichen. Doch Clyde interessierte sich nicht für die Mäuse. Vielmehr beobachtete er den Briefträger, der täglich die Briefe von den Angehörigen der Insassen brachte.

Es verging eine Woche nach der nächsten und noch immer kam keine Nachricht von seiner Schwester oder von Bonnie. Ob man ihn vergessen hatte? Innerlich betete Clyde, dass es nicht so war.

Irgendwann hielt es Clyde nicht mehr aus, er schrieb einen Brief an seine jüngste Schwester. Sorgfältig faltete Clyde den Brief und jubelte es unter die anderen Briefe. Er selbst durfte nur einmal im Monat einen Brief schreiben. Darum war dieser Brief seine letzte Chance irgendwas von der Welt dort draußen zu erfahren.
 

Mühsam schleppte sich Bonnie durch Texas. Sie hatte früher aus dem Zug flüchten müssen, als sie es wollte. Drei Polizisten durchsuchten den Zug und fanden viele Schwarzfahrer. Meist waren es ganze Familien, die kein Geld hatten, sich auf andere Wege fortzubewegen.

Bonnie und der Fremde hörten schon vom Vorwagon die Wehklagen der Mütter und ihren Kindern. Die Männer jedoch brüllten sich gegenseitig an. Ohne lange zu Zögern packte Bonnie so viel Sachen ein, wie sie tragen konnte. Dann zog sie den Afrikaner hinter sich her. Sie hatte Angst, dass er sie in seiner Leichtgläubigkeit verraten würde.

Dann sprang sie mit ihm in voller Fahrt vom Zug. Es war kein sanfter Aufprall. Bonnie spürte einen stechenden Schmerz im linken Arm. Wahrscheinlich war er gebrochen, denn ihre Finger konnte sie nicht mehr spüren.

Ohne weiter darauf zu achten packte sie die Sachen ein, die sie aus dem Zug mitgenommen hatte. Der Mann, der im Busch gelandet war, rührte sich nicht mehr. Er wollte auch nicht mehr wach werden, darum ließ Bonnie von dem Fremden ab und ging die Gleise entlang nach Dallas. Dort würde sie bestimmt ein Bekannter nach Telico fahren. Sie war so kurz vor dem Ziel, da konnte man sie doch nicht einfach hängen lassen.
 

Langsam verlor Clyde die Geduld. Sicher, der Brief wurde erst am vorherigen Tag losgeschickt, dennoch meldete sich noch immer keiner. Ungeduldig schritt Clyde in seiner Zelle hin und her. Es würde nicht mehr lange dauern und er würde auf die Baumwollplantagen überführt werden. Das Gericht hatte sich gegen ihn entschieden. In seiner Wut hatte Clyde durch den Gerichtsaal gebrüllt, dass das Gericht sich von den Staatsanwälten Deadmen verkauft hat und nun ein parteiisches Organ der Gerechtigkeit sei. Daraufhin verlor der Richter seine Geduld und veranlasste, dass Clyde so früh wie möglich auf die Plantagen versetzt wurde.

Noch immer brodelte das Wissen, dass ihm Unrecht widerfahren ist, in Clydes Kopf. Das waren die wenigen Augenblicke, an den er nicht an Bonnie dachte. Schon am nächsten Tag sollte er auf eine der strengbewachten Plantagen geführt werden. Für ihn gab es wohl keine Chance mehr. Er würde Bonnie nie wieder sehen.

Charles James, Clydes englischer Zellengenosse, kam zu Clyde und setzte sich auf sein Bett.

„Hey Clyde!“, sagte der hochgewachsene, rothaarige Engländer.

„Was gibt’s?“, seufzte Clyde und sah auf. Charles war ein Mensch, den man schlecht einordnen konnte. Man wusste nie ob er ein Freund oder ein Feind war.

„Scheiße mit der Plantage, was?“, grinste Charles.

„Mh“, nickte Clyde und sah wieder zu den grauen Betonboden. Er stützte seinen Kopf ab und seufzte auf.

„Einer von den Insassen hat eine Knarre... Willst du nicht versuchen, hier auszubrechen? Du hast das doch schon im Knast geschafft, wieso hier nicht?“, schlug Charles leise vor. Er setzte sich neben Clyde und flüsterte ihn alles zu, was er wusste. „Na? Was denkst du davon? Willst du es nicht ausprobieren?“

„Es wird nicht klappen... Besorg mir lieber die Knarre... Damit kannst du mir mehr helfen.“, grinste Clyde. Er hatte einen Plan, wie er den Plantagen entfliehen konnte und somit mehr Zeit schinden konnte.

Aufstand

Aufstand
 

„Danke Mario!“, lächelte Bonnie erleichtert und stieg aus den schwarzen Ford aus. Sie winkte ihrem ehemaligen Nachbarn noch einmal zu und sah sich dann um. Sie war endlich angekommen. Clyde wollte, dass Bonnie hier untertauchte, bis er wiederkommen würde. Die Gegend war ziemlich heruntergekommen. Dennoch sah man in der Nähe ein kleines Bauernhäuschen. Anscheinend war das das Haus, wo Clyde sie hinführen wollte.

Mit klopfenden Herz schritt Bonnie den Feldweg entlang und blieb auf der Veranda des Hauses stehen. Sie klopfte zaghaft paar mal an die Haustür. Das Haus sah sehr baufällig aus. Die Tür hing nur noch in einem Scharnier und die Fensterläden knarrten sehr laut. Es würde nur noch ein alter, abgestorbener Baum neben den Haus stehen und die Szene wäre perfekt für ein Horrorfilm.

Bonnie klopfte noch einmal, diesmal etwas kräftiger, an die Tür. Sie hörte eine Frau, die brüllte: „Ich komm ja gleich! Jetzt schlagen Sie mir doch nicht gleich die Tür ein, denn dann können Sie mir gleich eine Neue bezahlen!“

Bonnie fühlte sich auf einmal an ihre Mutter erinnert, obwohl die fremde Frauenstimme lange nicht so krächzte wie die ihrer Mutter. Bonnie konnte heranschreitende Schritte hören und dann wurde die Tür aufgerissen. Eine junge, dunkelhaarige Frau stand in der Tür und sah Bonnie verwirrt an.

„Ahm...“, stotterte Bonnie. Sie hatte nicht erwartet, dass die fluchenden Stimme zu so einer Frau gehörte. Bonnie hatte eigentlich schon wieder eine alte Hexe erwartet.

„Ahm...“, wiederholte Bonnie immer noch unsicher.

„Ach! Du bist bestimmt Bonnie Parker, richtig?“, lächelte die Frau plötzlich. „Ich bin Sophie Barrow, die jüngste der Barrows. Clyde hat dich schon angekündigt.“

Mit diesen Worten hielt sie Bonnie den Brief von Clyde entgegen. „Komm doch rein“, lächelte Sophie und trat zur Seite.

„Du kommst reichlich spät, würde ich sagen! Clyde hat dich schon vor drei Tagen erwartet. Oder zumindest der Brief kam vor drei Tagen an.“, plapperte Sophie weiter. Sie führte Bonnie durch den dunklen Flur in die Küche.

„Fühl dich wie zuhause!“, lächelte Sophie unentwegt.

„Wo ist Clyde?“, wollte Bonnie wissen. Sie machte sich Sorgen um Clyde. Er war anscheinend nicht selbst hier. Bestimmt saß Clyde seine restliche Strafe ab.

„Im Zuchthaus...“, seufzte Sophie. Eine große Sorgenfalte trat auf ihrer hohen Stirn auf. „Aber er wird morgen oder übermorgen auf die Plantagen versetzt!“

„Was!?“, rief Bonnie auf und ließ sich auf einen Stuhl fallen. „Das... Das kann nicht sein! Clyde hat niemanden umgebracht!“

„Doch... Drei Menschen! Zwei Beamte und einen Komplizen!“, seufzte Sophie und kochte für Bonnie erst mal einen starken Tee.

„Was für Komplizen?“, frage Bonnie nach. Sie hielt in ihrer Bewegung inne und sah die Schwester von Clyde misstrauisch an.

„Sein Name war John McGonner oder so...“, überlegte Sophie.

„Und was ist mit Franzis Morpheus?“, fragte Bonnie unsicher nach.

„Der soll auf der Reise gestorben sein. Clyde hatte nur kurz angedeutet, dass Franzis aus dem Zug springen wollte und ist dann unter die Räder des nächsten Wagons gelandet!“, seufzte Sophie. „Mehr weiß ich allerdings nicht. Clydes Brief handelte fast ausschließlich um dich!“

„Mh... Kann ich mich irgendwo hinlegen? Ich bin ziemlich erschöpft...“, murmelte Bonnie. Sie beachtete den Tee nicht mehr. Auf einmal fühlte sich Bonnie von der Reise total ausgelaugt und müde.
 

Schreie hallten durch die große Halle in der die Zellen des bestbewachten Zuchthauses von Texas lagen. Viele Gefangene rüttelten an den Gittertüren, um noch mehr Unruhe zu stiften. Verwirrt und ohne Orientierung liefen die Polizisten von einer Zelle zur der nächsten, um die Gefangenen mit Prügel zu beruhigen. Leider wurde das Ziel nicht erfüllt, denn die Gefangenen schrieen noch lauter und tollten weiterhin in den Zellen rum.

Für die Polizisten wurde schnell klar, dass sie zum Kern des Aufstandes vordringen mussten. Mühsam erkämpften sich die Polizisten den Weg zum zweiten Stock hoch. Dort erkannte man langsam den Auslöser für das Chaos. Ein strengbewachter Engländer bedrohte den aus Telico stammenden Clyde C. Barrow, der ebenfalls sehr gut bewacht wurde, mit einem schwarzen Revolver.

Gerade wollte sich einer der Beamten auf Charles James werfen und ihn entwaffnen, als dieser losschoss. Clyde ging sofort in die Knie und krümmte sich vor Schmerz. Dieser Schmerzschrei entfesselte die gestaute Kraft der Häftlinge. Alle gemeinsam brachen aus ihren Zellen aus und gingen auf die Polizisten los.

Charles James ließ den Revolver fallen und flüchtete. Wegen dem Durcheinander konnte keiner der Polizisten dem Flüchtling aufhalten.

Clyde, der in Gefahr war, von der kopflosen Menge zertrampelt zu werden, zog sich mit letzter Kraft in seine Zelle. Vorsichtig zog er seinen schweren Schuh aus und besah sich die Wunde. Wäre der Schmerz nicht so stark gewesen, hätte man in Clyde ein sanftes Lächeln gefunden. Es hatte alles nach Plan geklappt!
 

Bonnie schlief einen ganzen Tag durch, so erschöpft war sie gewesen. Irgendwann, kurz vor der Dämmerung wachte Bonnie auf. Sie hörte von unten eine alte Frau schimpfen und wehklagen.

Langsam und vorsichtig stieg Bonnie die knarrende Treppe herunter. In der Küche schien sich Sophie mit einer weiteren Frau zu unterhalten.

„Nein! Sehe ich nicht ein! Dieser Junge hat nur Flausen im Kopf! Das war schon immer gewesen! Mit sechzehn war er das erste mal eingebuchtet! Ich werde ihn nicht aus der Patsche helfen!“, knurrte die fremde, alte Frau.

„Mum! Es ist Clyde! Die Richter haben entschieden, wenn wir jetzt ihnen eine ermäßigte Kaution zahlen, dann lassen sie Clyde frei!“, seufzte Sophie.

„Woher soll ich das Geld nehmen, sag das mir, Sophie! Seit einem Monat essen wir nichts anderes als dieses Graubrot dazu noch etwas Tee! Wir können uns es nicht leisten!“, krächzte die Stimme von Mrs. Barrow.

„Ich kann vielleicht helfen...“, mischte sich Bonnie nun ein. Sie wusste zwar noch nicht wie, aber sie würde Clyde jeder Zeit aus dem Gefängnis helfen!

„Wenn du hundertfünfzig Dollar hast, nehme ich die Hilfe gerne an! Allerdings bezweifle ich, dass du in dieser Marktsituation ein einzigsten Dollar hast!“, grinste die alte Bäuerin.

„Ich werde hundertfünfzig zusammenkriegen!“, sagte Bonnie unüberlegt, woraufhin die Mutter auflachte.

„Dann viel Glück, meine Liebe... Viel Glück...“, murmelte die Frau und lehnte sich wieder gegen den warmen Kamin.

Bonnie sah Sophie fragend an. Sophie deutete mit einem Nicken, dass sie sich mit Bonnie im Flur unterhalten wollte. Gemeinsam gingen die beiden raus.

„Wie willst du so viel Geld zusammenkriegen?“, flüsterte Sophie neugierig.

„Ich weiß es noch nicht... Wer hat denn die Kaution gestellt?“, murmelte Bonnie zurück und zog sich ihren Mantel an.

„Richter Houseman! Ein Verwandter der Deadmen-Brüder... Es ist kein Zufall, dass die Deadmen-Brüder so erfolgreich sind!“, zischte Sophie durch ihre Lippen.

„Wo finde ich diesen Richter?“, hakte Bonnie nach.

„Am besten du fragst im Gerichtshof von Dallas nach... Wieso fragst du?“, misstraute Sophie.

„Nur so...“, lächelte Bonnie geheimnisvoll. Sie zog den Gürtel um ihre Taille fest und ging raus. Sie winkte Sophie noch einmal zu und ging dann die Straße entlang nach Dallas. Zu Bonnies Glück fuhr sogar noch eine Buslinie von Telico nach Dallas.

Jack Deadman

Jack Deadman
 

Irgendwie fühlte sich Bonnie unwohl. Sie saß auf einen hellerleuchteten Gang des Gerichtshofes von Dallas. Immer wieder liefen beschäftigte Sekretärinnen und Beamte an ihr vorbei. Niemand sagte Bonnie wo sie hin musste, geschweige denn wann sie zum Richter Martin Houseman vortreten darf.

Ab und an konnte man die Wehklagen der Verurteilten und dessen Verwandte hören. Aber auch die Jubelschreie der Sieger. Das Gericht war eben wie eine Kampfarena, wo die Angeklagten auf Gedeih und Verderb an die Richter ausgeliefert waren.

Unruhig nestelte Bonnie an dem Saum ihres Mantels. Sie wollte nicht länger warten und stand auf. Bestimmt würde sie das Büro schneller finden als sie aufgerufen würde.

Doch Bonnie hatte sich geirrt. Sie fand nur die vielen verschiedenen Gerichtssaale und Büros der Staatsanwälte. Jedoch von den Richtern fand sie kein Büro. Plötzlich griff jemand nach Bonnies Schulter. Verschreckt zuckte Bonnie zusammen und drehte auf ihren abgelaufenen Absätzen um.

Sie blickte in ein paar kalte, graue Augen, die leicht funkelten. Der schmale Mund zog sich zu einem Grinsen, das ebenfalls total erkaltet war.

„Miss... Kann ich Ihnen auf irgendeine weise helfen?“, fragte der Mann fast schon schleimerisch.

„Ich suche das Büro von Martin Houseman!“, antwortete Bonnie steif.

„Nun... Mr. Houseman ist leider verhindert... Vielleicht kann ich Ihnen ja helfen, Miss... Wenn Sie mir bitte folgen würden...“, sagte der Mann weiter und führte Bonnie in einem sicheren Griff in sein Büro.

Bonnie konnte gerade noch so lesen, dass es das Büro vom Staatsanwalt Jack Deadman. Sofort fühlte sich Bonnie total eingeschüchtert. Vielleicht wollte sie der Mann auch irgendein Vergehen andrehen und sie ins Gefängnis stecken. Oder er hatte mitgekriegt, was in Cincinnati mit dem gestohlenen Polizeiwagen passiert ist.

Bonnie atmete tief durch und setzte sich auf den Stuhl, den man ihr anbot.

„Nun Miss... ahm...“

„Bonnie Parker, Sir.“, antwortete Bonnie sofort. Sie konnte nicht verstehen, warum sie plötzlich so eingeschüchtert war und warum sie nicht einfach dem Mann eine Lügengeschichte auftischte.

„Nun Miss Parker... Was wollen sie von Mr. Houseman?“, forschte der junge Staatsanwalt und legte seine Fingerkuppen aufeinander.

„Es ging um eine Kaution für einen Häftling. Ich wollte nur mich erkundigen!“, murmelte Bonnie und mied den Blick zu Jack Deadman.

„Oh.. Ich verstehe... Um welchen Häftling geht es? Sie werden verstehen, dass ich Ihnen in so einer Auskunft sogar besser helfen kann, als der ehrenwerte Richter. Da die Höhe der Kaution von den Anwälten gestellt wird. Der Richter ist nur befugt, die Entscheidung der Anwälte öffentlich oder privat an die Angehörigen zu melden.“, erklärte der junge Mann.

„Ahm...“, stockte Bonnie. Sie wusste einfach nicht, ob sie dem Fremden vertrauen konnte. „Es geht um Clyde C. Barrow.“ Innerlich verfluchte sich Bonnie. Sie konnte vor diesem Mann einfach nicht lügen!

„Mr. Barrow? Ach ja... Ich hatte vor paar Wochen das Vergnügen ihn kennen zulernen! Ein recht unterhaltsamer Mann, nicht?“, lächelte Jack.

„Nun...“, fing Bonnie an. Sie wusste einfach nicht was sie dazu sagen sollte.

„Wie dem auch sei... Die Kaution beträgt hundertfünfzig Dollar...“, antwortete der Anwalt und sah Bonnie eingehend an.

Die Zahl riss Bonnie aus den Gedanken. Sie erwiderte den Blick nur fragend.

„Gibt es noch weitere Fragen, Miss Parker?“, fragte der jüngste der Deadman-Brüder.

„Nun...“, wiederholte Bonnie. „In so einer Marktlage...“

„Sie fragen sich, wie Sie das viele Geld auftreiben könnten?“, erriet Jack grinsend. „Na ja... Man könnte sicherlich noch mal mit der Kaution etwas runtergehen... Die unterste Grenze liegt für einen Zuchthausinsassen bei fünfzig Dollar.“

„Das ist immer noch mehr als genug, um diese nicht aufzutreiben!“, empörte sich Bonnie.

„Wieso wollen Sie Mr. Barrow helfen, Miss Parker? Sind Sie mit ihm verwandt?“, runzelte der Anwalt die Stirn.

„Nein... Ich bin nur eine Freundin von ihm, Sir. Dennoch... Wie soll ich fünfzig Dollar beschaffen? Das ist unmöglich!“, seufzte Bonnie verzweifelt.

Jack stand auf und ging zu einen seiner Ordner. Er zog einen dicken schwarzen Ordner heraus und las sich das Dokument durch.

„Mh... Sie sind doch Bonnie Parker, wohnhaft in der Virginiastraße 176 in einer der kleinen Vorstädte von Dallas?“, fragte Jack nach.

„Ja...“, murmelte Bonnie langsam. „Wieso?“

„Sie haben doch mal bei ‚Marco’s Cafe’ gearbeitet, stimmt das? Das Cafe ist nun geschlossen, weil der Besitzer gestorben ist. Ist das alles soweit richtig, Miss Parker?“

„Nun... Ja... Aber ich habe meinen Chef nicht umgebracht! Er ist einfach vor meinen Füßen umgefallen und in der Panik bin ich aus dem Cafe gerannt...“, schoss es aus Bonnie raus. Der Staatsanwalt schmunzelte. Er schüttelte den Kopf.

„Seien sie unbesorgt... Sie sind nicht hier, weil ich Ihnen was andrehen will. Ich möchte Ihnen viel mehr helfen. Der Besitzer hat ein Testament hinterlassen, wo Sie, Miss Parker, als Alleinerbin verzeichnet sind.“

„Das heißt?“, hakte Bonnie hoffnungsvoll nach.

„Das heißt sie sind im Besitz eines heruntergekommenen Cafes, das den Wert von ca. fünfzig Doller beträgt! Die Stadt Dallas ist auch sehr daran interessiert, dieses Cafe beziehungsweise dieses Grundstück zu kaufen.“, lächelte Jack Deadman.

Er gab Bonnie einige Unterlagen. „Hier sind die Papiere... Sie können jetzt das Cafe behalten oder zum Rathaus gehen und dort das Grundstück für fünfzig Dollar verkaufen.“

„Ist das wahr?“, fragte Bonnie noch mal nach. Sie konnte es kaum glauben. Vielleicht hatte sie ja doch noch eine Chance Clyde aus dem Gefängnis zu holen.

„Ja... So wahr ich hier sitze... Sie können jeder Zeit mich besuchen, Miss Parker. Leider habe ich jetzt eine Verhandlung und kann mich nicht weiter um Sie kümmern!“, sagte Jack mit einem bedauernden Tonfall. Er führte Bonnie noch zum Ausgang des großen Gebäudes und wünschte Bonnie viel Erfolg. Dann verschwand der junge Anwalt in der Menge der beschäftigten Beamten und Sekretärinnen.
 

Zornentbrannt las sich Clyde das neue Urteil des Richters Martin Houseman durch. Er kam nicht frei, wie man es ihm gesagt hatte. Seine Kaution wurde nur um wenige Dollar runtergesetzt und er musste nicht auf die Plantagen. Das war alles.

Clyde knüllte das Blatt zusammen und warf es in die Ecke. Die ganze Aktion hatte also nichts gebracht, außer dass Charles James auf freien Fuß war. Man hatte Clyde vergessen und feierte den gebbürtigen Engländer, der als Einzigster es geschafft hatte, aus dem Zuchthaus zu fliehen!

Die einzigste gute Nachricht in den letzten zwei Tagen kam vom Arzt. Die Prognose war, dass Clyde mehrere Tage vielleicht auch Wochen nicht richtig Laufen konnte, allerdings würden die Schäden nicht langfristig bleiben, da ihm ja nur zwei Zehen fehlten. Bis Clydes Kaution bezahlt war oder sein Bein wieder verheilt war, durfte Clyde nicht aus dem Bett.

Zu allem Überfluss bekam Clyde einen sehr aufgedrehten Zellennachbarn, der immer wieder versuchte Clyde aufzumuntern. Selbst als Clyde ihm mit einem Revolver bedrohte, hörte dieser nicht auf zu quasseln.

Wenn doch seine Familie nur genug Geld hätte, um diese beschissenen hundertfünfzig Doller zu zahlen! Doch Clyde konnte weder seiner Schwester noch seiner Mutter einen Vorwurf machen. Bestimmt kratzten diese schon die letzten Münzen aus den Ecken um die Kaution zu bezahlen. Angeblich soll Bonnie sich auch daran beteiligen, hatte Clyde im Brief seiner Schwester gelesen. Doch Clyde glaubte ihr nicht. Was könnte schon Bonnie tun?

Kaution

Kaution
 

Innerhalb von einer Woche hatte Bonnie das Café an die Stadt verkauft. Mit geröteten Wangen stieg sie die alten Marmortreppen des Gerichtshofes von Dallas hoch. In der kleinen Handtasche lag der Umschlag mit dem Erlös des verkauften Cafés. Jeder der Bonnie begegnete, galt als potentieller Taschendieb und wurde von Bonnie finster angestarrt.

Ohne weitere Zwischenfälle gelangte Bonnie in das Büro von Jack Deadman, der geschäftig telefonierte, jedoch Bonnie ein Zeichen gab, zu warten. Geduldig und darauf bedacht, das Telefonat trotz ihrer angeborenen Neugier nicht zu belauschen, sah sich Bonnie die vielen Akten der Straftäter in ganz Texas an.

„So Miss Parker... Was führt Sie zu mir?“, fragte Jack sehr freundlich und musterte Bonnie aufmerksam.

„Ich habe die Kaution zusammen und möchte mit dem Geld Clyde freikaufen!“, antwortete Bonnie fast atemlos. Sie zog den weißen Umschlag raus und legte diesen auf den Schreibtisch von Jack. Dieser lächelte nur weiter und zählte die Noten.

„Fünfzig Dollar, Miss Parker?“, bemerkte der Staatsanwalt fast fragend.

„Nun... Ihr habt gesagt, dass dieses Geld für die Freilassung von Clyde C. Barrow reichen würde!“, stotterte Bonnie verunsichert. Sie setzte sich auf den Stuhl gegenüber von Deadman.

„Oh Miss Parker! Da müssen Sie mich missverstanden haben!“, stellte Jack klar. „Die Kaution von Clyde C. Barrow beträgt nicht fünfzig sondern hundertfünfzig Dollar!“

„Aber... Aber ihr sagtet, dass die Summe von fünfzig Dollar reichen würde!“, beschwerte sich Bonnie und runzelte die Stirn.

Der Staatsanwalt lockerte seinen Kragen etwas und meinte: „Nun... Das haben Sie wohl auch falsch verstanden haben... Es liegt in meiner Möglichkeit, diese Kaution auf fünfzig Dollar runterzusetzen. Mehr habe ich Ihnen auch nicht gesagt!“

Sein Blick wanderte über die kleine Statur von Bonnie Parker. Er atmete tief durch. Schon lange hatte er das empfinden, dass sein Ehebett erkaltet wurde. Ein unbedachter Gedanke war, dass Bonnie Parker die Möglichkeit hätte, ihn etwas einzuheizen.

Bonnie bemerkte sehr wohl den Blick des jungen Staatsanwaltes. Sie verstand sofort, was die Kaution etwas herunterkurbeln könnte. Sie lehnte sich an und spielte mit einer blonden Haarsträhne. „Nun da muss ich mich wirklich getäuscht haben... Aber sagen Sie, Mr. Deadman, wie könnte ich denn dazu beitragen, dass die Kaution runtergesetzt wird?“

„Nun Miss Parker! Sie wissen, dass ich ein rechtschaffender Staatsanwalt bin.“, begann Jack Deadman.

„Sie wissen doch auch, dass ich eine rechtschaffende Frau bin!“, unterbrach Bonnie Jack, der seinen obersten Hemdknopf öffnete. Er betrachtete seine Besucherin sehr eingehend.

„Das wird unter uns bleiben?“, fragte er misstrauisch.

„Sicher... Jedoch möchte ich es schriftlich, dass durch diesen – Handel – die Kaution von Clyde C. Barrow runtergesetzt wird!“, antwortete Bonnie entschlossen.

„So einen Vertrag kann ich Ihnen leider nicht ausschreiben! Das würde das Ende meiner Karriere bedeuten!“, schnaufte Jack aufgebracht. „Ich kann Ihnen jedoch mein Wort geben, dass ich nichts davon erzählen werde, da meine Karriere daran hängt.“

„Das reicht mir nicht!“, bemerkte Bonnie fest. Sie stand auf und wollte gerade ihren Mantel anziehen. Doch dann spürte sie die warme Hand von Jack Deadman.

„Wenn es Ihnen so viel bedeutet...“, flüsterte er mit rauer Stimme. „Könnte ich Ihnen doch ein Dokument ausschreiben. Aber Sie müssen mir versprechen, dass dies niemand erfahren wird!“

Auf Bonnies Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Sie nickte dem jungen Mann zu und gab ihn sogar ihre Hand. Jack, der diese Geste falsch verstand zog Bonnie zu sich heran. Geschickt entwendete sich Bonnie aus der Umarmung. Sie hob ihren Zeigefinger und wedelte ihn vor Jacks Gesicht hin und her.

„Erst das Dokument, dann bekommen wir zu dem Vertrag!“, meinte Bonnie.

Jack stöhnte auf und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Fast ungeduldig schrieb er den „Vertrag“ auf und überreichte das Blatt samt Unterschrift Bonnie.

„Nun zum Geschäft!“, räusperte er sich und näherte sich Bonnie.

Bonnie steckte das Blatt in ihren Mantel ein und ließ die Zärtlichkeiten von Jack Deadman zu. Das Versprechen, dass sagte, dass sie niemand anderen außer Clyde an sich heranließ, brach sie fünf Mal mit Jack Deadman, bis die Kaution für Clyde C. Barrow abgezahlt hatte.

Es mag Mitleid oder Dummheit gewesen sein, dass Jack Deadman Bonnie die fünfzig Dollar nicht abnahm. Bonnie wollte nicht darüber nachdenken. Nach ihrem letzten Besuch im Gerichtshof von Dallas schleppte sich Bonnie zu Clydes Haus und viel in tiefen Schlaf. Sie konnte sich nicht mehr im Spiegel ansehen. Was würde Clyde dazu sagen, wenn er erfahren würde, welcher Preis seine Freilassung gekostet hatte? Wahrscheinlich hätte sie nicht einmal den Mut, es Clyde offen zu sagen. Die trüben Grübeleien über die Zukunft wurden nur von dem Schlaf unterbrochen. Bonnie träumte in der Zeit wenig. Was hätte sie auch träumen können? Ihr ganzes Leben hatte sich zum Alptraum entwickelt! Clyde wollte sie doch vor allem beschützen, aber er war nicht da.

Nach einer gewissen Zeit kam Bonnie zu dem Entschluss, dass Clyde an ihrer Lage schuld war. Die Gewissheit wurde zum blanken Hass. Keiner, nicht einmal Sophie wagte sich in die Nähe von der wütenden Bonnie. Erst als Bonnie erfahren hatte, dass Clyde aus dem Gefängnis freigelassen wurde, beruhigte sie sich.
 

Clyde war so überrascht, als man ihm den Entschluss vom Staatsanwalt Jack Deadman schickte. Er war frei, weil Bonnie Parker die Kaution bezahlt hatte. Clyde fragte sich in dem Moment nicht einmal, woher Bonnie das ganze Geld her hatte. Er packte nur freudig seine sieben Sachen zusammen und verabschiedete sich von seinen neuen Bekannten aus dem Knast. Viele beneideten ihn um seine Geliebte und rätselten, wie es Bonnie geschafft hatte. Einige errieten sogar die wirklichen Tatsachen, aber Clyde lehnte dies entscheidend ab. Niemals würde sich Bonnie einen so schmierigen Kerl wie Jack Deadman hingeben. Er kannte doch seine Bonnie!

Die Euphorie ließ sogar den Schmerz in seinem linken Fuß verblassen. Stolz und voller Freude auf die Freiheit schritt Clyde durch das schwere Tor des Zuchthauses. Vor dem Ausgang wartete Jack Deadman, der Clyde sehr genau musterte. Hämisch grinsend ging Clyde an ihm vorbei. Er konnte sich es gerade noch so verkneifen, dem jungen Staatsanwalt vor die Füße zu spucken.

„Grüßen Sie bitte Bonnie Parker herzlich von mir!“, rief Jack nach und verschwand dann in seinem schwarzen Auto.

Aus Clydes Gesicht verschwand augenblicklich dieses Grinsen. Ihm gefiel nicht, wie vertraut dieser Anwalt den Namen von Bonnie aussprach. Als ob er ihr jemals näher gewesen wäre, als Clyde.

Clyde vergaß den Zorn und seine Grübeleien auf dem Weg nach Hause. Als er das elterliche Haus vor sich sah, wusste er nicht einmal, welcher Staatsanwalt seine Kaution bezahlt bekommen hatte. Er wollte nur noch seine Bonnie in den Arm schließen und nie wieder loslassen.
 

„Er ist es! Er ist endlich wieder da!“, schrie Sophie aus. Sie ließ den schweren Eisentopf in den Spüleimer fallen und band sich in kürzester Eile ihre Hausfrauenschürze ab. Sie warf diese auf einen Stuhl und rannte zur Haustür, die sie ungeduldig aufriss.

„Clyde! Endlich!“, rief sich erfreut und rannte auf Clyde zu, der total überrascht von ihr umarmt wurde.

„Hey... Sophie...“, lachte Clyde und drückte seine Schwester an sich. Wie sehr hatte er sie vermisst. Fast so schlimm wie Bonnie. Er atmete den wohlbekannten Geruch von Sophie ein. Es fehlte nicht mehr viel und er fühlte sich fast wieder zu Hause.

„Oh Clyde... Ich konnte es gar nicht glauben, als man uns den Brief schickte, dass du freigelassen wurdest! Bonnie wollte uns nicht erzählen, wie das Geld zusammengerafft hatte.“, plauderte Sophie überglücklich. Sie strich durch Clydes Haare und küsste ihn auf die Wange.

Clyde Blick wanderte den kleinen Weg zur Haustür, wo er sie sah: Seine Bonnie, die fast vor Freude weinte.

Ohne Worte

Ohne Worte
 

Bonnies Verhalten war für Clyde mehr als rätselhaft. Sie erwähnte nur das alte Café, als er sie auf die Kaution ansprach. Er merkte, dass Bonnie diese Thema mehr als mied, darum wollte er nicht weiter auf sie einwirken. Doch auch bei den körperlichen Zärtlichkeiten blockte Bonnie gänzlich ab. Clyde konnte ihr es sogar ansehen, wie sie unter seinen Berührungen zusammenzuckte. Er fragte Sophie und seine Mutter um Rat, die jedoch beide mit den Schultern zuckten.

Am letzten Aprilabend erzählte Clyde seiner Bonnie, dass er sich auf den Weg durch die Staaten machen wollte. Unsicher fragte Clyde, ob sie überhaupt noch mit ihm reisen würde. Sie sah ihn mit ihren großen, traurig gewordenen Augen an.

„Wirst du noch immer irgendwo gesucht?“, fragte sie stockend.

„Nein! Ich schwöre dir Bonnie, niemals werde ich dich alleine lassen! Niemals werde ich mich wieder ins Gefängnis oder sogar ins Zuchthaus sperren! Ich will nur noch bei dir bleiben! Bitte Bonnie... Ich liebe dich und kann nicht mehr ohne dich!“, gestand Clyde. Doch anstatt das von Clydes erwartetem Lächeln spiegelte sich in Bonnies nur tiefste Bedrücktheit aus.

„Du verschweigst mir etwas!“, bemerkte Clyde stirnrunzelnd.

„Was sollte ich dir denn verschweigen?“, fragte Bonnie verwirrt.

Clyde seufzte. Es war wohl an der Zeit die gesamte Wahrheit ans Licht zu bringen. Wenn er von Bonnie erwartet, dass sie ehrlich zu ihm sein soll, dann musste er auch ehrlich zu ihr sein.

„Weil ich gerne wüsste, was Jack Deadman mit dem ‚Geschäft’ meint!“, sagte Clyde mit stockender Stimme. Er legte vor Bonnie das handgeschriebene Dokument von dem Vertrag zwischen Bonnie und Jack auf den Wohnzimmertisch. Bonnie erschrak und sah Clyde misstrauisch an.

„Woher hast du ihn?“, fragte Bonnie zischend.

„Das ist nicht wichtig.“, entgegnete Clyde nun ernster. Bonnies Verhalten war für ihn höchst allarmierend.

„Woher hast du ihn? Seit wann bespitzelst du mich?“, fragte Bonnie energischer. Sie geriet langsam in Panik, Clyde könnte doch etwas wissen und wollte nur ihre Ehrlichkeit testen.

„Ich bespitzle dich nicht! Das würde ich nie tun! Ich habe nur diesen – Vertrag – in deiner Manteltasche gefunden und mich gefragt, was das bedeuten soll!“, meinte Clyde immer noch ruhig.

„Das geht dich nichts an!“, blockte Bonnie ab.

„Das geht mich an, weil mein Name erwähnt wird. Was ist das für ein Vertrag, Bonnie?!“, knurrte Clyde langsam. Er hätte nie gedacht, dass Bonnie jemals zu ihm unehrlich war.

„Clyde! Deine Kaution betrug hundertfünfzig Dollar! Glaubst du allen Ernstes ich hätte so viel Geld in so weniger Zeit aufbringen können! Denk doch einmal logisch nach! Ich dachte du könntest es so gut!“, schrie Bonnie. Sie nahm das Blatt an sich und stürmte aus dem Haus.

Clyde blieb auf dem Sofa sitzen. Er konnte und wollte sich nicht rühren. Nie hätte er Bonnie so eingeschätzt. Wie konnte er sich nur so sehr in sie täuschen. Clyde schloss die Augen und atmete tief durch, doch er beruhigte sich nicht. Endlich fiel ihm auch die Bemerkung von Jack Deadman ein. Hätte er zu dem Zeitpunkt schon die Tatsachen gewusst, wäre dieser Mann nicht mehr am Leben. Wie konnte er nur die Situation der Armen und Schwachen so sehr ausnutzen? Clyde wurde es direkt übel.

„Du kannst manchmal echt taktlos sein, Clyde!“, bemerkte Sophie. Sie betrachtete ihren Bruder sorgenvoll. Anscheinend hatte sie das Gespräch von ihm und Bonnie gehört.

„Was? Wieso ich?“, stammelte Clyde verwirrt.

„Ich kann Bonnie verstehen! Sie ist eben eine Frau und versucht sich durch die Welt zu kämpfen. Es war auch der einzigste Weg dich so früh wie möglich aus dem Zuchthaus zu holen!“, seufzte Sophie. Sie setzte sich neben Clyde und sah ihn an.

„Aber... aber... wieso hat sie es mir nicht gesagt? Ich... Ich wusste doch nicht, dass...“, murmelte Clyde hektisch.

„Weil sie eben eine Frau ist, Clyde. Versuche niemals eine Frau zu verstehen! Es sind viele Männer daran gescheitert! Akzeptier Bonnies Handeln. Es war in gewisser Maßen ein richtiges Handeln. Ich, als Frau, kann sie verstehen. Bonnie liebt dich sehr, Clyde. Sie wollte wieder in deine Nähe. Doch sie erkannte, dass sie sich damit selbst verraten hatte. Aber du hast ihr Opfer nicht erkannt und eher das Handeln sogar kritisiert!“, erklärte Sophie langsam.

„Wieso ist sie nicht gleich zu mir gekommen?“, schüttelte Clyde den Kopf.

„Weil Bonnie eben ein stolzer Mensch ist. Sie hat sich wegen dir von diesem schmierigen Jack Deadman erniedrigen lassen. Bonnie kann eben keine Schwäche zeigen! Und jetzt lauf zu ihr und entschuldige dich! Ich koche Tee!“, sagte Sophie lächelnd. Sie wartete nicht auf die Antwort von Clyde und ging wieder zurück in die Küche.
 

Bonnie konnte sich nicht erklären, wieso sie so weinte. Sie hätte es doch wissen müssen, dass Clyde solches Verhalten verurteilte. Warum hatte sie sich überhaupt auf diesen Vertrag eingelassen? Hätte es den keinen anderen, einfacheren Weg geben können? Warum musste sie jetzt so leiden? Warum hatte sie so leiden müssen?

„Bonnie! Warte!“, schrie Clyde hinter ihr hinter her. Sie hörte ihn jedoch nur gedämpft.

Bonnie seufzte laut auf und drehte auf ihren Absätzen um. Sie sah ihren Clyde nur durch die Furchen rennen. Irgendwie wirkte er genauso verzweifelt, wie sie sich fühlte.

Es kam für Bonnie wie eine Ewigkeit vor, bis Clyde sie eingeholt hatte. Schnaufend stand er vor ihr. Sie konnte ihm seine Schulgefühle deutlich ansehen.

„Clyde...“, murmelte Bonnie. Sie weinte wieder aufs Neue los. Jedoch zierte ihr Gesicht ein Lächeln. Ohne Worte hatte sie ihm vergeben und drückte sich an ihn.

„Bonnie...“, flüsterte Clyde. „Oh meine Bonnie... wie konnte ich nur so dämlich sein? Es tut mir leid! Bitte verzeih mir! Ich konnte doch nicht wissen...“

Weiter kam er nicht. Bonnie versiegelte seine Lippen mit ihren. Durch Clyde jagte eine Glückswelle die nächste.

„Willst du mit mir weiter reisen?“, fragte Clyde stockend.

„Ja, ich will!“, seufzte Bonnie überglücklich. Diese Frage beflügelte sie fast.
 

Alles herrschte in einer gewissen Hektik. Die Mutter und Schwester von Clyde versuchten ihn zu überreden, dass er bleiben mochte und die Landarbeit seines Vaters aufnehmen würde. Jedoch ließ Clyde sich nicht beeinflussen. Und wenn Bonnie ehrlich zu sich selbst war, dann konnte sie sich Clyde beim besten Willen nicht vorstellen, wie er ein Stück Land bewirtschaftete. Für sie gehörte zu Clyde immer die dunkelbraune Lederjacke und die hätte er schlecht bei der Landarbeit tragen können. Sie war außerdem Clydes ganzer Stolz.

„Aber Clyde... So kann es doch nicht gut gehen! Du brauchst eine Zukunft! Was ist, wenn du irgendwann nicht mehr Auto fahren kannst?“, versuchte die Mutter es ein letztes Mal. Sie lief Clyde wie ein Schatten hinterher, als er das Auto packte.

Bonnie fragte ihn nicht, woher er das Auto hatte, denn irgendwas stimmte an diesem Auto nicht.

„Mutter!“, seufzte Clyde und blieb stehen. Er drehte sich um und umarmte seine Alte. „Es wird schon nichts geschehen! Ich bin kein Landmensch! Bonnie auch nicht! Wir beide brauchen Menschen um uns herum. Bitte versteh!“

„Aber...“, murmelte die Mutter nachgiebig. „pass auf dich und Bonnie auf!“

„Natürlich“, lächelte Clyde. Er sah auf und bemerkte, dass Bonnie den letzten schweren Koffer ins Auto gehievt hatte. Alles war nun für die Abreise bereit. Bonnie und Clyde verabschiedeten sich lächelnd und sogar erleichternd von den zwei Frauen.

„Ich versuche mich so oft wie möglich bei dir blicken zu lassen, Sophie.“, lächelte Clyde und drückte seine Schwester an sich.

„Du Lügner!“, lachte Sophie traurig. „Das hast du mir das letzte Mal auch versprochen!“

„Ich werde darauf achten, Sophie!“, mischte sich Bonnie ein.

„Dann glaub ich euch mal!“, seufzte Sophie und lüftete ihren schwarzen Hut. Sie setzte ihn Clyde auf. „Hier... Damit du weißt, was du mir versprochen hast!“

Clyde sah zu Sophie. Er brauchte nichts mehr sagen. Sophie wie Bonnie verstanden ihn ohne Worte.

„Jetzt geht ihr Weltenbummler!“, weinte Sophie. „Sonst werde ich noch sentimental!“

Bonnie nahm Clyde an die Hand und führte ihn zum Auto. Gemeinsam fuhren sie von dem heruntergekommenen Gehöft in die Sonne hinein. Keiner der beiden sagte etwas. Jeder war in seinen Erinnerungen und Gedanken versunken.

Polizeistreife

Polizeistreife
 

„Wie du hast noch Bewährung?“, fragte Bonnie entsetzt. „Und dann klaust du noch ein Auto? Bist du denn total bescheuert, Clyde?“

„Jetzt mach dir doch keinen Kopf, Kleines. Es ist alles in bester Ordnung! Niemand wird dieses Auto zu fassen kriegen!“, lachte Clyde unbesorgt.

„Du Trottel! Was ist, wenn man uns bei der nächsten Polizeistreife anhält! Du wanderst unverzüglich wieder in den Knast! Glaubst du wirklich, ich habe das alles nur getan, damit du wieder ins Gefängnis wanderst?“, regte sich Bonnie weiter auf.

„Bonnie! Natürlich glaube ich das nicht! Aber bitte reg dich nicht auf! Ich weiß, was ich da tue!“, grinste Clyde und deutete mit einem Kopfnicken, dass Bonnie sich den Koffer hinter dem Fahrersitz näher ansehen sollte.

Bonnie ging zum Auto und riss die Tür auf. Sie nahm den dunklen Aktenkoffer auf den Rücksitz und öffnete ihn. Was Bonnie sah, verschlag ihr den Atem. Sie drehte sich zu Clyde, der sich an einen Baum lehnte und Bonnie beobachtete.

Er hatte den schwarzen Hut seiner Schwester auf und wirkte mit seinen dunklen Sachen wie ein Ganove.

„Das ist ein halbes Waffenlager!“, meinte Bonnie und schloss den Koffer. Clydes Grinden verschwand nicht aus seinem Gesicht.

Er bemerkte nur: „Und unter dem Beifahrersitz liegt noch eine geladenen Schrotflinte!“

„Clyde... Was hast du vor?“, fragte Bonnie unsicher. Sie ging zu ihm und sah ihn besorgt an.

„Ich will nur meine Freiheit sichern, mehr nicht! Wenn die Polizisten was von mir wollen, sollen sie sicher sein, dass ich es ihnen nicht freiwillig geben werde!“, lächelte Clyde und legte seine Hände auf Bonnies schmale Hüfte.

„Aber...“, hakte Bonnie nach.

„Du hörst dich an wie meine Mutter.“, lachte Clyde. Er zog Bonnie an sich heran und küsste sie zärtlich.
 

Immer noch leicht nervös und unsicher rutschte Bonnie auf ihren Beifahrersitz entlang. Sie hätte schwören können, dass nach der Entdeckung der Waffen das Auto durchsichtig wurde und jeder, der an ihnen vorbeifuhr sehen konnte, was Bonnie und Clyde transportierten. Hin und wieder sah Bonnie zu Clyde und konnte seine Gelassenheit nicht einmal nachvollziehen. Er sang sogar das Lied, was im Autoradio lief. Anscheinend war er bester Laune. Doch die verfinsterte sich schlagartig.

Bonnie folgte seinem Blick und zuckte zusammen. Eine Polizeistreife war unterwegs und hielt jedes einzelne Auto an.

„Wir können nicht mehr drehen. Sie haben uns schon bemerkt!“, murmelte Clyde und fuhr ordnungsgemäß an die rechte Straßenseite. „Bleib sitzen und rühr dich nicht! Egal was du tust, mach es nicht unüberlegt!“, flüsterte Clyde ihr zu, als er sie auf die Wange küsste.

Dann stieg er aus und ging den Polizisten entgegen. Fast als wäre es Zufall, stellte sich Clyde vor das Nummernschild des Wagens. Die Polizisten sahen sich verwirrt an und unterhielten sich mit Clyde. Dann machten sie Bonnie klar, dass sie aussteigen sollte. Die Anspannung ließ sich nicht aus Bonnies Gesicht verbannen. Auch war sie stocksteif als sie sich vors Auto stellen musste.

Die zwei Polizisten untersuchten Bonnie und Clyde. Geduldig ließ es sich Clyde übergehen. Er ließ auch teilweise die hämischen Bemerkungen über seine Strafakte zu. Jedoch irgendwann ging es ihm zu weit und er fuhr dem Polizisten, ohne ihn zu beleidigen über den Mund.

Bonnie erging es jedoch anders. Sie war schnell reizbar und als der schmierige Bulle es auch noch erdreistete, sie zu begrabschen, verlor sie sofort die Geduld und verpasste dem Mann eine Ohrfeige.

Der Begleiter des Polizisten stürzte sich sofort auf Bonnie und warf sie zu Boden.

Clyde nutzte die Unaufmerksamkeit der Polizisten und holte die geladene Schrotflinte aus dem Auto. Er hielt sie dem Polizisten direkt an den Kopf und knurrte: „Geh sofort von ihr runter, oder ich blas dir den Schädel weg!“

Sofort und ohne Anstalten erhob sich der Beamte und legte die Hände hinter seinen Kopf. Angsterfüllt sah er Clyde an.

Bonnie rappelte sich langsam auf und ging zum Auto. Eigentlich wollte sie einsteigen, aber Clyde hielt sie zurück.

„Nimm nur den Koffer raus, Bonnie! Wir steigen um. Die netten Beamten haben uns ihr Wagen angeboten. Das Angebot sollten wir nutzen!“, grinste Clyde finster.

Bonnie nahm den Koffer raus und verfrachtete ihn auf die Rückbank des Streifenwagens. Die Polizisten konnten nichts anderes tun als zusehen und sich innerlich darüber ärgern.

Dann stieg Bonnie in das Auto und machte den Motor an. Sie winkte Clyde zu und setzte sich auf den Beifahrersitz. In diesen Moment wollte sie sich es nicht zutrauen, ein Auto zu fahren.

Langsam und immer noch die Beamten ruhig mit der Schrotflinte bedrohend stieg Clyde in das Auto. Er hatte noch nicht einmal die Fahrertür zugeschlagen, als er schon aufs Gaspedal trat. Die Reifen quietschten und der Wagen fuhr los. Die eigentlichen Besitzer des Autos liefen sofort hinterher. Einer der Beamten zog seine Dienstwaffe und schoss auf die Reifen und traf.

Mit angsterfüllten Augen sah Bonnie zu Clyde. Sie wusste, dass Clyde niemals mit seinem wunden Fuß rennen konnte. Wieso musste sich auch Clyde in den Fuß schießen lassen? Innerlich fluchte Bonnie. Clyde gab sein Bestes den Wagen weiterzufahren. Doch sein Bestes reichte nicht aus, der Wagen fuhr in den nächsten Graben und der Motor fiel aus.

„Ganz ruhig Bonnie! Wir kommen hier schon noch weg! Sei ohne Sorge...“, flüsterte Clyde und drehte sich sofort um. Er nahm den schwarzen Koffer und zog einen kleinen Revolver. „Bleib du hier drin und notfalls knall die beiden mit der Flinte ab! Ich besorg uns den Wagen!“

„Du kannst doch kaum laufen, Clyde!“, wandte Bonnie ein. Sie drückte Clyde die Schrotflinte in die Hand. „Ich gehe!“

Clyde sah seine Bonnie an. Er umarmte sie und atmete tief durch. „Ich versuch die beiden in Schach zu halten! Beeil dich! Sie sind schon fast da!“

Er ließ Bonnie los und stieg aus dem Auto. Sofort suchte er sich Schutz hinter der Fahrertür des Autos. Er legte die Schrotflinte an und zielte. Der Schuss war für Bonnie wie ein Startzeichen. Sie rannte mit den kleinen Revolver los und versuchte ihr Auto zu erwischen. Doch sie wurde von dem einen Polizisten umgerannt und zu Boden gerissen. Verzweifelt drückte Bonnie mehrmals den Abzug des Revolvers, doch es passierte nichts. Das Munitionslager des Revolvers war noch leer. Laut fluchend warf sie die Waffe gegen den Kopf des zweiten Polizisten, der sich auf Clyde stürzen wollte.

„Lauf!“, kreischte Bonnie.

Das ließ sich Clyde nicht zweimal sagen und rannte wie ein Blitz zum Auto und sprang hinein. Er suchte sich eine weitere Waffe, die noch im Wagen versteckt war und zielte auf den Polizisten, der Bonnie auf den Boden drückte und versuchte ihr Handschellen anzumachen. Clyde wagte es nicht, abzudrücken, in der Gefahr, dass er Bonnie treffen könnte. Er hatte ja nicht mal mit der Schrotflinte die Beamten aus fast nächster Nähe getroffen. Verzweifelt sah Clyde mit wie Bonnie einen Schlag auf den Hinterkopf bekam und bewusstlos wurde. Clyde schrie auf und wollte abdrücken, als er den Lauf der Dienstwaffe des zweiten Polizisten an der Stirn fühlte. Woher der Mann kam, wusste Clyde nicht sich sofort zu erklären. Ohne irgendeine Reaktion abzuwarten drehte sich Clyde zu den Mann neben ihm um und schoss diesem in den Magen. Dann trat Clyde den Mann aus dem Auto. Während dieser aus dem Auto purzelte, ließ Clyde den Motor an und fuhr los. Er streifte noch mit dem Heckspiegel den zweiten Polizisten, doch es reichte nicht um ihn umfallen zu lassen.

Vor lauter Panik überließ Clyde Bonnie ihrem eigenen Schicksal und fuhr weiter Richtung Horizont. Erst als er in der nächsten Stadt war, fiel ihm auf, dass Bonnie fehlte. Clyde war kurz davor umzudrehen, doch das war zwecklos. Bonnie war nun in den Fängen der Justiz von den Vereinigten Staaten von Amerika.

Rache

Rache
 

„Sie hat doch nichts gemacht! Sie ist unschuldig! Wie kann es Recht sein, dass sie für meine Taten büßen muss? Das ist doch nicht fair! Dieser drecksverlauste Staat!“, fluchte Clyde laut und trat gegen den Briefkasten, der empört quietschte.

„Clyde! Beruhige dich! Wir können es doch nicht ändern! Bonnie ist nun mal im Gefängnis! Sie hat die Mindeststrafe bekommen. Sechs Monate! Das ist pures Glück, Clyde!“, seufzte Sophie und lehnte sich gegen das schwarze Auto.

„Glück? Du nennst diese Lage als glücklich? Ich werde in ganz Texas gesucht, weil ich einen Polizisten erschossen habe, Bonnie sitzt im Knast, mir geht auf den nächsten hundert Kilometer das Benzin aus!“, zählte Clyde auf seinen Händen auf. Dann sah er seine Schwester an. „Ja, Sophie... Das muss wohl das pure Glück sein!“

Wieder trat Clyde aus und traf diesmal den Hinterreifen des Ford.

„Ach... Ich habe den hinteren Platten auch noch vergessen!“, ergänzte Clyde.

„Clyde! Jetzt wirst du zynisch! Was erwartest du? Bonnie wurde mit einem ganzen Koffer mit Waffen und Munition aufgegriffen! Sie hat die Beamten beleidigt und auch angegriffen!“, ermahnte Sophie etwas lauter. „Das Gericht hat ihr gerade mal sechs Monate gegeben! Das ist wirklich nicht viel!“

„Warum Sophie, glaubst du noch an den gerechten Staat? Glaubst du wirklich allen ernstes, dass man Bonnie freiwillig so wenig gegeben hat?“, lachte Clyde traurig auf.

„Wie meinst du das, Clyde?“, fragte sie verunsichert.

„Sie wird wohl noch was dafür getan haben, dass sie so wenig bekommen hat!“, murmelte Clyde betreten. „Diese perversen Schweine!“

Wieder trat Clyde gegen den Briefkasten. Doch diesmal geschah es nicht aus Wut sondern aus Trauer um den Verlust von Bonnie. Gedemütigt ließ Clyde seinen Blick über die unebene Fläche von Santa Fe, das nordöstlich von Dallas lag.

Die Berge haben ihm schon immer Schutz vor der Polizei gegeben, dennoch waren sie gefährlich, denn Clyde war nicht der einzigste Gesetzlose, der sich in den Bergen versteckte.

Sophie jedoch kümmerte sich nicht um die Berge. Traurig beobachtete Sophie ihren Bruder. Nach und nach wurde ihr immer mehr klar, dass Bonnie ihm sehr viel bedeutete. „Ich muss vor der Dämmerung zurück sein. Pass auf dich auf, Clyde!“, murmelte sie traurig.

Clyde drehte sich zu ihr und lächelte sie wehmütig an. „Ich bin nicht lebensmüde! Mache dir um mich keine Sorgen. Ich komm schon mit meinen Problemen zurecht!“, seufzte Clyde müde.

Sophie umarmte Clyde und stieg in ihr kleines, altes Auto. Dann fuhr sie mit dem „Ding mit vier Rädern und Abgasen“, wie es Clydes Mutter immer gerne nannte, los.

Auf einmal spürte Clyde wieder einen unüberwindbaren Hass. Der Staat hatte ihm das wertvollste genommen: Bonnie. Also wollte er dem Staat auch das wertvollste nehmen. In Gedanken versunken stieg Clyde in sein Auto ein und fuhr weiter nach Westen. Er achtete nicht darauf, wohin er fuhr. Wenn irgendein Verbrecher meinen zu müssen, dass er sich vors Auto werfen muss, dann hätte Clyde ihn nicht aufgehalten. Er wäre einfach kalt weitergefahren.

Seine Gedanken blieben immer noch an Bonnie heften. Seine kleine, zierliche Bonnie, die immer aussah, als ob sie jemand als Schutz brauchte, war jetzt in einem Gefängnis, wo doch nur das Gesetz des Stärkeren herrschte.
 

Jeder, egal ob Mann oder Frau, starrte Bonnie mit großen Augen an. Es war allgemein bekannt, dass sie in der Gegenwart von Clyde C. Barrow gefangen genommen war. Auch wusste man, dass die beiden ein Paar waren. Die Gerüchteküche brodelte. Niemand wagte es, ein schlechtes Haar über Bonnie zu erzählen, denn sie alle hatten Angst, dass Clyde C. Barrow auftauchte und jeden kalt machte, der Bonnie nicht passte.

Was die Häftlinge aber nicht wussten, war, dass Bonnie mittlerweile genauso kaltblütig wurde, wie ihr Partner. Sie hatte auch keine Angst vor den Polizisten, die im Gefängnis Aufsicht hatten. Pfeifend und mit einem Revolver spielend ging sie an den Beamten vorbei. Meist taten sie so, als ob sie Bonnie nicht sehen würden. Außerdem wusste jeder Beamter, dass es mehr als nur einen Revolver unter den Häftlingen gab. Jedoch niemand hatte den Mut, seinen Besitz öffentlich zu zeigen.

Bonnie wurde gleich vom Anfang akzeptiert. Selbst die Überführung in ihre Zelle, glich einem Triumphzug. Doch Bonnie ignorierte ihre Beliebtheit und blieb immer die Einzelgängerin. Ab und zu fragte sie sich, wie es wohl währe, wenn ihre Mitinsassen wüssten, dass sie mit dem Staat schlief, damit sie eine niedrigere Strafe absitzen musste. Sie tat es doch nur, damit sie so früh wie möglich wieder zu Clyde kam. Wie sehr sie ihn vermisste!

Doch dann geschah etwas, was Bonnie nicht voraussehen konnte: Sie wurde schwanger. Doch es war nicht Clyde, der der Vater war. Es musste der Staatsanwalt Jack Deadman gewesen sein. Mit Würde nahm Bonnie dies zur Erkenntnis. Bald darauf besorgte sich Bonnie eine kleine Nähnadel. Sie wollte nicht das Kind eines schmierigen Anwaltes austragen. Ihrer Meinung nach, hatte das Lebewesen, das sie unter ihrem Herzen trug, kein Recht auf ein Leben. Es war ein Parasit.

In der Nacht, als sie ungefähr im vierten Monat war, und man langsam schon Bonnie die Schwangerschaft anmerken konnte, zerstörte sie das Leben in sich. Jedoch waren die Schmerzen schlimmer, als Bonnie sich das vorgestellt hatte. Krümmend vor Krämpfe wälzte sich Bonnie von einer Seite auf die andere.

Erst am nächsten Morgen sah man eine blasse, schweißüberströmte Bonnie Parker auf einem vollgebluteten Bettlaken. Die Beamten holten sofort einen Arzt, der sofort erkannte, dass irgendwas nicht normal war. Misstrauisch betrachtete er Bonnie: „Sie wissen, dass der Mord von ungeborenen Kindern illegal ist?“

Bonnie zog unter ihrem Kopfkissen ihren Revolver und legte ihn auf die Stirn des Arztes: „Ich weiß! Aber das Töten von geborenen Kindern ist weit aus illegaler! Darum lass mich in Frieden, du Sülzkopf! Ich habe Schmerzen, also gib mir ein Schmerzmittel oder hau ab und lass mich in Ruhe!“

Der Arzt gab Bonnie eine Dosis Morphium und verließ so schnell wie möglich, ohne ein Wort über die Abtreibung zu verlieren, das Gefängnis. Ihm war schon immer die Legende um den Ausbruchkönig Clyde C. Barrow und seine Geliebte Bonnie Parker suspekt gewesen. Jedoch musste er jetzt sich eingestehen, dass man die Wahrheit etwas vertauscht hatte. Bonnie war nicht einfach so die Geliebte von Barrow. Sie war gleichsam ihm ebenbürtig.
 

Clyde war nach drei Monaten auf die Lösung seiner Frage gekommen. Öl war immer noch das wertvollste für den Staat. Ohne Benzin und den anderen Treibstoffen, würden die Fabriken lahm liegen und es wäre auch kein Autoverkehr mehr möglich. Doch davon lebten die Vereinigten Staaten. Seine Recherchen führten zur Sims Oil Company in Dallas. Sofort drehte Clyde um und fuhr zurück über die Rocky Mountains nach Dallas. Vielleicht könnte er ja Bonnie nochein letztes Mal besuchen, bevor er aus der Stadt endgültig fliehen musste. Ihm tat es nicht wirklich weh, diese verdreckte Stadt zu verlassen.

Doch man verbot Clyde, Bonnie zu besuchen. Man sagte ihm, sie sei zur Zeit sehr schwach und krank. Sie würde unter ärztlicher Behandlung stehen. Dies war die offizielle Seite. Von einer Frau, die neben Bonnies Zelle saß, erfuhr er, dass Bonnie viel mehr die Ärzte behandelte. Sie bekam ihre Schmerzmittel und niemand konnte etwas dagegen tun. Das Gerücht ging um, dass Bonnie sogar einen Arzt im Gefängnis erschossen hätte und keine weitere Strafe oder dergleichen bekommen hatte. Doch Clyde bezweifelte dieses Gerücht. Sicher es war Bonnie ähnlich, mit einem Revolver Menschen zu bedrohen. Sie liebte das Spiel mit den Gefühlen anderer Menschen, jedoch war sie noch nicht so kaltblütig geworden, dass sie einen Menschen einfach, ohne mit der Wimper zu zucken tötete.

Heimlich steckte Clyde seiner Informantin einen Brief für Bonnie zu und verschwand dann aus dem Gebäude. Er ging zu seinem Auto und fuhr es mit den letzten Tropfen Benzin zu einer Tankstelle der Sims Oil Company. Grinsend stieg er aus dem Auto und tankte dieses auf. Währenddessen bereitete er alles für seine Rache vor. Die Schrotflinte war geladen und auch der kleine Revolver hatte genug Munition. Dann während das Auto weiterhin gierig an der Zapfsäule schluckte, pumpte Clyde die Reifen des Wagens wieder auf.

Wie ein gewöhnlicher Mensch wartete dann Clyde darauf, dass das Auto gesättigt war. Dann holte er seinen Revolver raus und ging zur Kasse. Der Mann machte sich ganz klein und zahlte Clyde alles aus, was er haben wollte.

„Oh!“, sagte Clyde kalt. „Ich vergaß zu bezahlen!“

„Be-be-bezahlen, Sir?“, stotterte der junge Mann und sank in sich zusammen.

„Sicher...!“, lachte Clyde und hob seinen Revolver. Er drückte mehrmals ab, bis er sicher sein konnte, dass der Mann tot war. „Das Restgeld können Sie behalten!“

Während um ihn herum alles in Panik ausbrach, ging Clyde seelenruhig zu seinem Auto, verstaute den Revolver auf den Beifahrersitz und fuhr los.

Dann als er in sicherer Entfernung war, schoss er mit der Schrotflinte die Zapfsäule an und fuhr ungerührt weiter, während die Tankstelle in die Luft ging. Seine Rache erfolgte an zwei anderen Sims Oil Tankstellen von Dallas.

Raymond Hamilton

Raymond Hamilton
 

Es war genauso wie vor zwei Jahren. Das große Wohnhaus, in dem Clyde Bonnie ‚entführt’ hatte, hatte sich kaum verändert. Die Wände waren nur noch schwärzer und trostloser. Traurig sah sich Clyde um. Ihm fehlte seine Bonnie. Wenn sie bei ihm war, hätte er auch eine Woche in der Kanalisation überleben können. Doch jetzt wo Bonnie weg war, schien ihm alles keinen Sinn mehr zu machen.

Seufzend setzte sich Clyde auf einen kleinen Hocker. Er rieb sich übers Gesicht und seufzte schwer. Clyde kam sich so nutzlos vor. Die Tankstellen wurden in Dallas zu gut überwacht, als dass er einen Anschlag planen konnte. Seine letzte Flucht war auch schon sehr knapp gewesen. Hoffentlich würde die Polizei nicht auf den Gedanken kommen, dass sich Clyde im selben Haus wie vor zwei Jahren verstecken würde. Sophie und seine Mutter wurden auch schon wieder nach Clyde gefragt. Das wusste Clyde, weil er stetig immer noch den Briefkontakt mit seiner Schwester aufrecht hielt. Sie würden ihn niemals verraten, dass wusste er. Selbst als er noch klein war, stand seine Familie hinter ihm.

Ein lautes Knacken vom Treppenhaus ließ Clyde aus seinen Gedanken fallen. Er stand sofort auf und zog seine Waffe. Langsam und vorsichtig ging Clyde zur Wohnungstür und riss sie auf. Er konnte gerade noch ein paar Füße nach oben verschwinden sehen. Langsam und vorsichtig schlich sich Clyde zur Treppe und sah hoch, doch er konnte nur den Schatten sehen. Aus dem heimlichen Verhalten der fremden Person schloss Clyde, dass es sich nicht um einen Beamten handelte. Trotzdem lud Clyde seine Flinte und schlich der Person hinterher. Irgendwas an dieser Person machte Clyde stutzig. Dieser schwerfällige Gang, die gebückte Statue, das helle Haar und dieser unglaublich dreckige Mantel... all dies kam Clyde so bekannt vor. Aber woher?

Die Person hielt inne, als ob sie Clyde bemerken würde. Dann drehte sich die Person um und zielte mit einen kleinen Taschenrevolver auf Clyde, der sofort aus Reflex seine Flinte anlegte.

„Ich hätte früher geschossen!“, bemerkte der blonde Mann. Er grinste Clyde an, so dass der vordere Goldzahn blitzte.

„Meine Flinte hätte dir den Kopf zermalmt!“, entgegnete Clyde kühl. „Außerdem hättest du mich nicht getroffen! Du konntest doch noch nie richtig zielen, Hamilton.“

„Na, na, Clyde! Spricht man so mit einem alten Freund?“, lachte Hamilton und steckte seinen Revolver zurück. Er ging mit offenen Händen zu Clyde, der die Flinte runternahm. Die beiden Männer begrüßten sich herzlich. Wie lang hatten sie sich nicht mehr gesehen!

„Na? Biste mal wieder aus dem Knast?“, lachte Hamilton.

„Musst du grade sagen! Ich bin schon seit drei Monaten frei!“, bemerkte Clyde stolz.

„Und seit drei Monaten sind sie Bullen dir wieder auf den Fersen, stimmt’s?“, seufzte Hamilton.

„Na ja... Wenn ich ehrlich bin: Ja. Aber diese Dumpfbacken sind zu dumm um mich zu schnappen!“, grinste Clyde und begleitete seinen alten Jugendfreund in seine äußerst bescheidene Behausung.

„Wenn ich den Kerl erwische, der die Tankstellen in die Luft jagt...“, begann der Blonde knurrend. Clyde hob die Augenbraue: „dann was?“

„Dann beglückwünsche ich ihn! So ein Hund! Jagt drei Tankstellen in die Luft! Aber diese Schweine haben es ja verdient! Weißt du wer das ist? Die ganze Unterwelt stellt Gerüchte auf. Eines unglaubwürdiger als die anderen!“, lachte Hamilton.

„Ich hab die Scheiße in die Luft gejagt.“, bemerkte Clyde stolz. Er setzte sich auf den verfaulenden Teppich.

„Hör auf, so ein Stuss zu reden!“, grinste Hamilton. „Du warst doch schon als kleines Kind total verängstigt! Konntest keiner Fliege etwas zu leide tun und jetzt willst du schon knapp vier Leute auf dem Gewissen haben?“

„Mehr als vier! Zwei Polizisten habe ich bei meinem Ausbruch vor zwei Jahren getötet, dann eben vier Menschen an den Tankstellen. Das macht sechs Menschen!“, zählte Clyde.

„Ich sag ja... Ein Gauner ist unglaubwürdiger als der andere!“, lachte der blonde.

„Glaub was du willst... Aber ich muss aus Dallas raus!“, seufzte Clyde. „Jedoch darf ich nicht aus Texas! Bin noch fast knapp zwei Jahre auf Bewährung!“

„Arme Sau!“, seufzte Raymond Hamilton. „Aber ich hab zur Zeit nichts zu tun... Wir können uns ja mal wieder zusammen tun, nicht?“

„Klar! Wieso nicht? Wie in den alten Zeiten!“, lachte Clyde ironisch.

„Ich meine das ernst!“, runzelte Raymond die Stirn.

„Ich auch! Wenn wir uns zusammentun, dann habe ich doch spätestens nach einem Jahr deine Knarre an der Schläfe.“, knurrte Clyde verärgert.

„Hey! Ich wurde von dem scheiß Daggi bedroht! Was hätte ich denn machen sollen?“, versuchte sich Raymond zu erklären. „Der Kerl hätte mich umgenietet!“

„Daggi? Mh... Bonnie hatte auch mal Probleme mit einem gewissen Daggi... Sie hatte den Kerl umgenietet!“, meinte Clyde monoton.

„Und lebt diese Bonnie noch?“, fragte Hamilton gleichgültig. „Nein!“

„Ja!“, bemerkte Clyde.

„Was?“, stotterte Hamilton. „Jeder der sich gegen Daggi auflehnt, ist so gut wie tot!“

„Nun... Bonnie lebt und erfreut sich bester Verpflegung im Knast!“, grinste Clyde.
 

Bonnies Fieber ist senkte sich nur schwer. Sie war ausgelaugt und erschöpft. An einem Tag, bekam Bonnie einen Besuch, den sie ihr ganzes Leben nicht mehr vergaß. Die kleine Statue von dem Mafiaboss Daggi machte nicht sehr viel her, doch die beiden Wandschränke hinter ihm, unterstrichen die Macht von Daggi.

„So, so, so.“, raute Daggi, als er sich neben Bonnies Bett setzte. „Bonnie Parker! Schön Sie endlich mal persönlich kennen zulernen. Ich habe gehört, Sie müssen sich von einer Krankheit erholen. Also mache ich es kurz! Ihre Mutter schuldet mir noch genau hundert Dollar. Doch leider ist Ihre Frau Mutter letzten Monat verstorben. Darum haben Sie, als einzigste Tochter die Schulden geerbt.“

Bonnie stöhnte nur auf. Durch das viele Morphium konnte sie den Mann kaum folgen. Doch es reichte, was sie mitbekam.

Daggi fuhr mit einer wesentlich kälteren, dennoch geschäftlichen Stimme fort: „Ich erwarte, dass man immer seine Ehrenschulden begleichen kann! Darum lasse ich eine Visitenkarte da und wenn sie das Geld haben, dann werden Sie mich umgehend anrufen! Denken Sie erst gar nicht daran, die Polizei zu verständigen! Alles steht hinter mir. Darum denken Sie erst gar nicht daran, Miss Parker. Ich hoffe, Sie haben einen guten Freund da draußen, der Ihnen hundert Dollar beschaffen kann.“

Daggis berührte kurz die Krempe seines Hutes und ging aus Bonnies Zelle, die nur laut seufzend ihren Kopf in das harte Kissen fallen ließ. Selbst nach dem Tot, brachte ihre Mutter Bonnie nichts als ärger. Es war zum verzweifeln!

Langsam ging Bonnie alle Menschen durch, die ihr vielleicht bei den Schulden helfen könnten: Jack Deadman war reich genug. Doch sie wollte ihm nicht schon wieder um Geld bitten! Sophie, Clydes Schwester konnte ihr auch nicht helfen, da sie selbst arm wie eine Kirchmaus war. Der Einzigste war Clyde! Doch woher sollte er soviel Geld nehmen? Wie sollte sie ihn auch noch erreichen? Sie wusste doch nicht einmal, wo er war. Sophie war bestimmt die Einzigste, die wusste, wo Clyde war.
 

Clyde bekam wenige Tage später von Sophie einen Brief, in dem sie erklärte, dass Bonnie in schweren Geldnöten steckte. Ein gewisser Daggi bedrohte sie sogar. Clyde las den Brief laut vor Raymond vor, der immer größere Augen bekam.

„Sie wurde von ihm persönlich besucht?“, hauchte er. „Wir müssen sofort die Stadt verlassen! Der Kerl hat mehr Leute auf dem Gewissen, als du zählen kannst!“

„Aber dann muss ich gerade ihr helfen!“, sagte Clyde bestimmt. „Sie hat mir auch geholfen!“

„Vergiss das Mädchen, Mann! Rette lieber dein Leben!“, sagte Raymond panisch und suchte seine Sachen zusammen.

„Ich würde dich sogar für dieses Mädchen umlegen!“, knurrte Clyde. „Außerdem sind hundert Dollar nicht viel!“

„Hundert Dollar? Nicht viel? Bist du größenwahnsinnig geworden?“, schrie Raymond auf. „Das ist eine Menge Geld!“

„Wo ist denn der Raymond Hamilton geblieben, mit dem ich alles ausgeräumt habe? Wir brauchen doch nur einen Juwelier ausrauben und wir haben tausend Dollar! Und ein Zehntel lassen wir Bonnie zukommen, dass sie aus dem Schuldensumpf ihrer Mutter rauskommt!“, knurrte Clyde. „Mach was du willst! Aber ich habe mal einen Raymond Hamilton gekannt, der alles für fünfhundert Dollar gemacht hatte!“

„Der ist durch Daggi gestorben!“, seufzte Raymond.

„Schade!“, trauerte Clyde. Er packte seine Sachen. Nach dem Überfall war es höchste Zeit für Clyde die Stadt zu verlassen. Inständig hoffte Clyde, noch genug Zeit zu haben, Bonnie das Geld zu geben. Denn sonst war alles umsonst.

Verbindungen

Verbindungen
 

Clyde atmete tief durch. Er stand mit Raymond Hamilton auf einem sehr belebten Bürgersteig. Sie taten so, als ob sie alte Freunde waren und sich gerade zufällig getroffen hatten. Es war der 13. April 1932 und die Menschen in Dallas freuten sich auf den Frühling und kommenden Sommer. Diese Freude spiegelte sich in der Kauflust aus. Die Vögel zwitscherten vergnügt ihr Lied und warnten niemand auf den bevorstehenden Überfall eines Juweliergeschäfts.

Raymond, der in Dallas weniger berüchtigt war als Clyde betrat als erster das Geschäft und spielte einen sehr interessierten Kunden. Das Geschäft war sehr bekannt und hatte auch sehr viel an teuren Uhren zu bieten. Doch durch die langanhaltende Inflation waren die Preise stark geschrumpft.

Man zeigte Hamilton sehr schöne Ausstellungsstücke. Probeweise durfte er sogar die Uhren anprobieren. Als sich eine Uhr an sein linkes Handgelenkt geschmiegt hatte, hatte er sich sofort in diese Uhr verliebt. Egal was passierte, er würde das Geschäft nicht verlassen, bevor er diese Uhr bekam.

Als er gerade nach dem Preis des wertvollen Stück fragen wollte, tauchte Clyde an der Seite von Hamilton und drückte ihm seinen Revolver an die Schläfe.

„Dieser Mann ist tot, wenn ich nicht sofort Geld bekomme!“, rief er in den Verkaufsraum. „Ich werde mit jeder Minute jemanden umbringen, die ihr vergeudet!“

Der Geschäftsinhaber, John Bucher, kauerte hinter seinem Verkaufstresen und griff heimlich zum Telefon. Eigentlich wollte er die Polizei rufen. Es hätte auch vielleicht geklappt, wenn es in seinem Geschäft nicht so viele Spiegel gegeben hätte, auf die er so stolz war. Clyde bemerkte dies und wendete sich sofort zu den Inhaber und schoss ihm in den Kopf. Die Kugel durchbohrte den Schädel und das Blut spritze aus dem Mann. Es befleckte sofort die ausgelegte Ware. Der Leichnam ging in die Knie und brach zu Boden. Alle im Raum schrieen auf. Doch beruhigten sich wieder, als Clyde in die Decke schoss. Auch Hamilton ließ seine Maske fallen und beobachtete alle Leute, die sich im Laden aufhielten.

Aus Vorsicht schoss er das Telefon kaputt. Clyde nahm die Wahre dankend entgegen und verließ mit Hamilton zügig das Geschäft. Er stieg in den nächstbesten wagen und fuhr mit Hamilton davon. Im Rückspiegel sah er den aufgeregten Wagenbesitzer. Er schrie um Hilfe, doch Raymond, dessen Nerven durch den Überfall eh gereizt waren, verlor diese. Er beugte sich aus dem Auto und versuchte den Mann zu erschießen. Auch nach dem fünften Schuss traf er die Gurgel von dem armen Mann.

Clyde lachte auf und fuhr mit quietschenden Reifen um die Ecke. Das war eigentlich fast wie ein Kinderspiel gewesen. Doch sie hatten nicht mehr viel Zeit.

In einer weiteren Seitengasse, wo die Nachricht von einem Überfall noch nicht ankam, stiegen Clyde und Raymond um. Man hatte sich bestimmt die Wagennummer gemerkt, als sie losfuhren. Auf der Flucht sollte man so oft wie möglich die Wagen wechseln, hatte Clyde seinem Jugendfreund erklärt. Dieser war anfangs nicht einverstanden, aber musste sich fügen.

Im neuen Wagen, der sogar aufgetankt war, fuhren Clyde in den Hauptstrom von Dallas. Dort konnten sie sich in ruhe unterhalten.

„Also... Weißt du wo sich die Untergrund von Dallas befindet?“, fragte Clyde, während er vor einer roten Ampel stand.

„Nein!“, bemerkte Raymond. „Wieso?“

„Weil wir nicht einfach Bonnie eine blutverschmierte Uhr geben können, damit sie ihre Schulden begleicht!“, knurrte Clyde entnervt.

„Ich dachte, du kennst den Untergrund!“, seufzte Raymond.

„Nein! Ich dachte, du...“, entgegnete Clyde.

„Wieso ich? Ich war vor dir total unschuldig... Ich hatte nie irgendwas mit illegalen Sachen zu tun. Du bist mein schlechter Einfluss!“, zeterte Hamilton.

„Na ja... lass es gut sein...wir werden schon einen Hehler finden!“, murmelte Clyde verzweifelt. „Aber wenn ich jetzt der Untergrund wäre, wo würde ich mich verstecken?“

„Dort, wo sich eben Gesetzeslose treffen...“, flüsterte Raymond.

„Was?“, fragte Clyde nach. Er hatte seinen Jugendfreund schon verstanden. Dennoch wollte er es noch mal erfahren.

„Dort, wo sich eben Gesetzeslose treffen!“, schrie Raymond fast.

Clyde strahlte seinen Freund an. Auf einmal lachte er los und fuhr von der Hauptstraße ab. Sein Weg führte ihn zum Gefängnis, wo Bonnie saß. Sie hatten doch eine Verbindung zum Untergrund: Bonnie Parker.

„Willst du ihr doch solche blutverschmierten Uhren geben?“, fragte Hamilton misstrauisch.

„Nicht ich werde jetzt da rein gehen... Sondern du! Sag Bonnie einfach, dass wir die Sachen haben, jedoch es nicht in Geld umsetzen können. Sie wird dann von dem Erlös hundert Dollar behalten. Wir jedoch brauchen den Rest, damit wir uns absetzen können!“, sagte Clyde und parkte das Auto in einer Seitengasse.

„Wieso gehst du nicht zu ihr? Du kennst sie doch!“, murrte Hamilton.

„Weil ich in ganz Texas gesucht werde!“, knurrte Clyde. „Und jetzt tu auch mal was! Ich besorg uns einen neuen Wagen!“

Hamilton nahm das kleine Säckchen voller Wertsachen und ging zum Eingang des Gefängnisses. Clyde beobachtete ihn, sehr genau, damit er nicht einfach abhauen konnte. Man konnte eben keinen anderen Gauner vertrauen. Auch wenn man selbst einer war. Als Hamilton dann endlich im Gebäude war, und aus Clydes Sicht, suchte sich Clyde ein neues Auto aus. Es war schwer, ein gutes zu finden, da die Auswahl sehr gering war. Das störte Clyde jedoch nicht, weil er brauchte ein gutes, jedoch unauffälliges Auto.
 

Bonnie hörte Hamilton sehr genau zu. Erst als der Name Clyde fiel, vertraute Bonnie Raymond.

„Sicher weiß ich, wie man hier im Knast so was verkaufen kann!“, lachte Bonnie kalt und sah sich ein paar Diamantohrringe an.

„Hey! Du sollst den Kram nicht behalten, sondern verkaufen! Und zwar so schnell wie möglich, denn Clyde und ich müssen raus aus der Stadt!“, zischte Raymond leise. Er hatte keine Lust, dass die Polizisten lauschten.

„Dann gib mir wenigstens zwei Tage!“, fauchte Bonnie zurück. „Ich kann diese doch nicht einfach jemanden in die Tasche stecken und dann Geld verlangen! Das funktioniert nicht! Dazu braucht man gewisse Verbindungen. Aber in zwei Tagen habt ihr das Geld, versprochen!“

„Gut! Aber wehe du behältst die Kohle!“, murrte Raymond.

„Ich zweige mir nur legendlich hundert Dollar ab, damit ich mit Daggi keine Schwierigkeiten kriege!“, erklärte Bonnie und erhob sich. Sie ging ohne weiteren Kommentar zu der Tür, die zu den Zellen führte. Es hatte sie leicht verletzt, dass Clyde jemanden anders geschickt hatte, um mit ihr zu sprechen. Dennoch konnte sie verstehen, dass Clyde nicht einfach als Besucher ins Gefängnis spazieren durfte, obwohl er im ganzen Land gesucht wurde.
 

Raymond erzählte Clyde, was Bonnie ihm gesagt hatte. Als er dann über ihren Charakter philosophierte, schmunzelte Clyde. Raymond hatte Bonnie ganz anders kennen gelernt. Für ihn war sie eine kratzbürstige, unfreundliche Zicke. Doch Clyde kannte sie als leidenschaftliche, sanfte Katze, die immer auf ihren Füßen landete, wenn sie fiel.

„Jetzt schweifst du ab, Ray.“, lachte Clyde und fuhr wieder ins Industrieviertel. Dort konnten sie bestimmt noch ein paar Tage aushalten. Hoffentlich beeilte sich Bonnie mit dem Verkauf der Ware, denn wenn man sie damit erwischte, gäbe es reichlich Ärger für Hamilton und Bonnie. Er, Clyde, hätte zwar auch Ärger, aber an ihn konnten sie nicht ran. Also würde der Staat seinen Frust an Raymond und Bonnie auslassen. Besonders an Bonnie, da sie die Ware hat. Niemand konnte beweisen, dass Raymond ihr diese Ware gegeben hatte. Dennoch war die Vermutung nahe, dass man nachvollziehen könnte, woher Bonnie die Wertsachen herhatte.

Papierkontrolle

Papierkontrolle
 

Es war geschafft. Bonnie hatte die gestohlene Ware aus dem Juweliergeschäft weit über deren Wert verkaufen können. Sie war in gewisser weise stolz auf sich. Doch dann kam für sie der Rückschlag. Die Abtreibung, die sie vor paar Monaten begangen hatte, holte noch mal aus und Bonnie lag wieder im Bett. Total erschöpft mit hohem Fieber. Gerade noch so hatte sie das Geld dem Mafiaboss Daggi persönlich geben können. Dann schlief sie ein.

Als Bonnie wieder aufwachte, wusste sie nicht mehr wo sie war, warum sie dort war und was überhaupt geschehen sei. Ihre Zellengenossin flüsterte Bonnie leise zu, dass ein gewisser Raymond Hamilton da gewesen wäre. Doch man hatte ihn wieder weggeschickt.

„Welcher Raymond Hamilton?“, seufzte Bonnie und rieb sich über die Stirn.

„Na, der Kerl von dem du die Ware hattest!“, zischte die Schwarzhaarige, die wegen Mord am Ehemann gefangengenommen wurde.

„Welche Ware? Wovon redest du überhaupt?“, stöhnte Bonnie. Sie hasste es, wenn sie irgendwas vergessen hatte. Selbst als sie noch im Café gearbeitet hatte, verfluchte sie sich immer wieder, wenn sie etwas vergaß. Den Frust ließ sie dann an den Kunden aus. Schon damals kam Bonnie gut mit dem „Trinkgeld“ aus. Es war wenigstens ein schwacher Trost.

„Bist du dumm, oder so?“, schüttelte die Frau den Kopf.

„Nein... Ich fühle mich nicht gut... Ich will zu Clyde!“, murmelte Bonnie niedergeschlagen.

„Der ist weg!“, antwortete die Zellengenossin. „Raus aus Texas, weil die Polizei ihn schon überall sucht!“

„Du lügst! Er würde nie ohne mich gehen!“, schrie Bonnie plötzlich wütend auf. „Du elende Lügnerin!“

Niemand konnte verhindern, dass Bonnie aus dem Bett kämpfte. Niemand konnte verhindern, dass Bonnie sich auf ihre Zimmergenossin warf. Niemand konnte verhindern, dass, bevor irgendjemand kam, Bonnie die Spuren eines Mordes verwischt hatte.

Die Polizisten und Aufseher kamen in Bonnies Zelle, befragten Bonnie und gingen wieder. Später in den Akten hieß es Selbstmord aus Verzweiflung. Keiner kam auf den Verdacht, dass die geschwächte Bonnie die Kraft besaß aus dem Bett zu klettern. Denn ihr Zustand hatte sich wieder verschlimmert und Bonnie litt.
 

„Wir müssen uns irgendwo wieder niederlassen! Ich bin diese langen Autofahrten nicht gewohnt! Bitte Clyde, lass uns irgendwo ein Haus aufsuchen und von dort alles abräumen! Das ist doch viel besser, als jeden Tag auf der Flucht zu sein, oder? Ich mein wir haben jetzt schon August! Seit April sind wir im Auto eingequetscht, ich brauche Bewegung, Clyde!“, bequatschte Hamilton Clyde monoton. Doch Clyde hörte ihm nicht zu. Es tat ihm weh, dass er Bonnie verlassen musste, obwohl sie anscheinend auf der Kante zum Tot stand.

Raymond hatte ihm nicht viel gesagt, wie es Bonnie ging. Nur, dass sie zu kraftlos war, um Besuch zu empfangen. Danach hatte er sich aufgeregt und gemeint, sie würde nur tun als ob es ihr schlecht ginge, weil sie die Beute für sich behalten wollte. Doch zu dem Zeitpunkt hatte er schon Clydes Revolver an seiner Schläfe gespürt und kein weiteres Wort über Bonnie verloren. Auch hatte man im Gefängnis Verdacht geschöpft. Clyde wagte sich also nicht einmal in Verkleidung in das Gefängnis. Doch jetzt bereute er es. Lieber wäre er mit Bonnie gemeinsam im Gefängnis gewesen als jetzt auf der Flucht vor der Polizei. Wieso konnte man ihn nicht einen Besuch bei Bonnie gewähren. Ihr ging es doch nicht gut. Clyde seufzte.

„Hey Clyde! Ich rede mit dir!“, jammerte Raymond.

„Was?“, schreckte Clyde auf und achtete nun mehr auf die Straße.

„Sag bitte nicht, dass du mit den Gedanken bei dieser Bonnie bist! Vergiss sie! Sie hat uns total ausgeräumt! Die ganze Aktion war damals umsonst gewesen!“, bemerkte Hamilton.

„Nein war sie nicht!“, entgegnete Clyde sofort. „Wir haben den Juwelierladen deshalb ausgeräumt, weil Bonnie Schwierigkeiten mit dem Geld hatte! Allein aus dem Grund ist doch die ganze Aktion angelaufen! Außerdem, wenn Bonnie wieder frei ist, kommt sie wieder zurück und dann haben wir das Geld! Vertrau ihr doch einfach!“

„Mir würde es leichter fallen, ihr zu vertrauen, wenn ich meinen Anteil in der Tasche hätte!“, murmelte Raymond.

„Hol den Revolver raus, Ray!“, sagte Clyde sofort.

„Warum das denn?“, fragte dieser.

„Papierkontrolle mit Polizeistreife!“, murmelte Clyde. „Die wollen uns bestimmt nicht nur Hallo sagen!“

„Wir haben gefälschte Papiere, Clyde! Die können uns nichts!“, lachte Hamilton.

„Klar... Dann bist du der einbeinige Krüppel mit der Warze auf der Nase!“, knurrte Clyde. „Diese Papiere sind für den Arsch! Außerdem würde niemand von uns beiden als alter Mann durchkommen, der gerade erst sechzig geworden ist. ALSO HOL DEN REVOLVER RAUS!“

„Ist ja gut, ist ja gut!“, beschwichtigte Raymond Clyde. „Jetzt mal keine Panik!“

Raymond gab Clyde einen Revolver und steckte sich selbst auch einen in die Innentasche seines Jacketts.

„Was machst du da, Ray?“, fragte Clyde verwundert.

„Antäuschung... Mach mir einfach nach!“, grinste Raymond. „Und spiel erst mal den lieben netten Bürger von Texas. Sei einfach freundlich und zuvorkommend!“

Clyde hatte Raymond Hamiltons Plan verstanden. Er grinste und fuhr gelassen zu der Polizeistreife. Auch hielt er am rechten Seitenstreifen. Die zwei Polizisten gingen langsam und gemütlich auf das silberne Auto zu. Clyde und Raymond kurbelten die Fenster herunter und lächelten freundlich.

„Guten Tag. Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, treibt sich hier in der Gegend der berüchtigte Massenmörder Clyde C. Barrow rum. Darum möchten wir Sie beide bitten, aus dem Auto zu steigen und uns Ihre Papiere zu geben, damit wir alles checken können.“, sagte der übergewichtige Polizist gelangweilt.

Wie man es ihnen gesagt hatte, stiegen Clyde und Raymond, ohne mit der Wimper zu zucken aus. Sie lächelten sogar freundlich und stellten sich an den Wagen. Dann gaben die beiden ihre Papiere. Clyde hielt es für unsinnig auch noch in der letzten Minute zu lügen und gab ihnen sogar seinen richtigen Ausweis.

Der Polizist, der die Papiere überprüfte stutzte. Doch bevor er irgendwas sagen konnte, hatte er Clydes Revolver am Hinterkopf. Sofort drückte Clyde ab. Raymond derweil beseitigte den zweiten Beamten und stieg wieder ins Auto.

Seelenruhig sammelte Clyde die Dienstwaffen der Polizisten ein und nahm seine Papiere wieder an sich.

„Sehr zuvorkommend, nicht?“, lächelte Clyde breit und fuhr weiter.

„Ja.. Bis auf die grobe Handhaltung. Meiner war schon sehr grob!“, seufzte Hamilton und sah Clyde an.

Beide lachten los und fuhren weiter.
 

Kurz bevor Clyde und Raymond die Polizisten ermordet hatten, ließ man Bonnie wieder frei. Noch schwankte ihr Kreislauf, doch sie hatte das Schlimmste überstanden. Sophie nahm Bonnie auf und pflegte sie noch eine kurze Weile. Bis sie dann von Clyde besucht wurde.

Bonnie war überglücklich ihren Clyde wieder zu sehen. Sie hatten sich so viel zu erzählen. Auch gab sie Clyde das übriggebliebene Geld, von dem Raub von Juweliergeschäft wieder. Clyde nahm das Geld nur mit gezwungenem Lächeln an. Als Bonnie danach fragte, antwortete Clyde ihr bedrückt: „Raymond Hamilton wurde in Michigan gefangengenommen. Er hat eine Haftstrafe von 263 Jahren abzusitzen!“

Rückblick

Rückblick
 

Bonnie merkte Clyde an, dass es ihm schwer fiel, die Geschehnisse objektiv zu erzählen. Immer wieder schlichen sich wüste Beschimpfungen und Flüche in die Erzählung mit ein.
 

„Wir sind total pleite, falls es dir aufgefallen ist!“, murrte Hamilton. „Wir hätten das Geld damals für uns behalten sollen!“

„Und was wäre aus Bonnie geworden? Sie brauchte das Geld!“, antwortete Clyde schläfrig. Er zog seine Jacke aus und legte diese wie eine Decke über sich. Seinen Hut zog er ins Gesicht. Man konnte ihm ansehen, dass er über vierundzwanzig Stunden nicht mehr geschlafen hatte.

Raymond antwortete darauf nicht mehr. Schon zu oft hatte er die Diskussion mit Clyde geführt und immer hatte er den Kürzeren gezogen. Irgendwann hatte Hamilton eingesehen, dass Clyde in diesem Gespann das Wort hatte. Hin und wieder dachte Raymond darüber nach, Clyde einfach sitzen zu lassen. Doch das war nicht fair. Außerdem brauchte Raymond Clyde auch. Wie hätte er sich ohne Clydes geographisches Wissen in den Staaten ausgekannt?

Irgendwann fuhr Raymond auf einen Parkplatz und rastete. Er ging in das Café und bestellte sich ein Kaffee mit Gebäck. Erst nach einer Stunde kam Raymond raus und hatte auch noch eine kleine Tasche mit Geld in der Hand. Seelenruhig weckte er Clyde.

„Was ist los?“, murrte Clyde.

„Wir müssen gleich beim nächsten Rastplatz die Autos wechseln!“, flüsterte Raymond und stieg ins Auto. Er ließ den Motor anlaufen und fuhr vom Platz. Clyde sah seinen Freund verwirrt an. Erst jetzt bemerkte er die kleine Tasche mit Geld. Sein Blick wanderte wieder auf das zufriedene Gesicht von seinem Kumpel. Dann lachte er los.

„Lass uns nach Michigan fahren! Dort gibt’s wenigstens noch reiche Menschen! Nicht wie hier in dem letzten Dreck von den Staaten!“, meinte Clyde.

„Weißt du wie viel Staaten wir durchqueren müssen, um dorthin zu fahren?“, fragte Raymond entsetzt.

„Ja.. da wir jetzt in Indiana sein müssten, müssen wir nur noch nach Norden. Der Nachbarstaat ist Michigan!“, sagte Clyde lächelnd.

„Ach.. wir... wir sollten in Indiana bleiben?“, fragte Raymond Hamilton verwirrt und eingeschüchtert.

„Ja... Wieso fragst du?“, knurrte Clyde bedrohlich. „Sag jetzt nicht, dass du Trottel von einem Landstreicher Indiana verlassen hast!“

„Doch...“, murmelte Hamilton kleinlaut. „Du hast ja nicht gesagt, wo wir hinsollen!“

„In welchem Staat sind wir jetzt?“, seufzte Clyde.

„Weiß ich nicht!“ Hamilton wurde immer und immer kleiner.

„WAS?“, rief Clyde aus. Er zog die Handbremse vom Wagen und stieg aus. Er rannte auf das Feld, das neben der Straße lag. Wutschnaubend trat er gegen die Furchen. Noch nie hatte er seine Beherrschung verloren. Aber das ging wirklich zu weit. Jetzt wussten sie nicht einmal wo sie waren!

Raymond sah Clyde traurig hinterher. Er war jedoch froh, dass Clyde ihn nicht erschoss. Doch aus reiner Vorsicht machte er sich noch kleiner. Denn er wollte nicht Clydes nächstes Opfer werden. Man hatte schon gemunkelt, dass Clyde seine zwei Komplizen getötet hatte. Nur vor dieser Bonnie Parker hatte sich Clyde noch nie ausgelassen. Nicht einmal geschlagen hatte er sie! Obwohl sie wirklich ein vorlautes Mädchen war.

Nach zehn Minuten hatte sich Clyde beruhigt und schnaufte nur noch erschöpft. Er nahm seinen kleinen Koffer mit seinen Waffen aus dem Auto. Verwirrt fragte Raymond: „Was in aller Hölle machst du da?“

„Ich besorg mir ein neues Auto!“, knurrte Clyde mürrisch und schloss den Kofferraum des Autos.

„Und wie willst du das machen?“, fragte Raymond weiter.

„Ich werde so lange die Straße entlang gehen, bis ein Auto hält, diese Leute werden mich in die nächste Stadt fahren. Vielleicht, wenn mir das Auto gefällt, werde ich es auch behalten!“, murmelte Clyde geschäftig. Er ging an Raymond vorbei und lief tatsächlich die Straße entlang.

Raymond guckte nur verwirrt. Nahm seine Sachen aus dem Auto, schloss es ab und rannte Clyde hinterher. Um alles in der Welt wollte er nicht alleine auf der Straße mit einem gestohlenen Auto bleiben. Lieber lief er mit einem Mörder und Gesetzeslosen herum.

Gegen Abend kamen Clyde und Raymond, die miteinander kein einzigstes Wort miteinander geredet hatten, in ein kleines Dorf an. Sie sahen sich um und gingen auch gleich in eine Kneipe rein. Dort wurde sie sogar freundlich aufgenommen. Anscheinend wusste man von den Schwerverbrecher Clyde C. Barrow und Raymond Hamilton nichts. Noch nicht. Clyde und Raymond sorgten dafür, dass die Dorfbewohner niemals die beiden Namen vergaßen.

Jedes einzelne Geschäft räumten die beiden stillheimlich auch aus. Nur ihre Initialen hinterließen sie. Clyde konnte sich später nicht erklären, warum er das gemacht hatte.

Dann stahlen sie auch noch das nächstbeste Auto und fuhren mit quietschenden Reifen weiter. Schon am nächsten Morgen waren Clyde und Raymond in Michigan. Ausgelaugt legten sich die beiden auf einem Parkplatz schlafen. Sie waren sehr müde.

Was beide nicht wussten, war, dass man sie bereits in Michigan suchte. Durch die hinterlassenen Initialen wurden Clyde und Raymond identifiziert. Nun suchte man sie bereits in Ohio, Indiana, Michigan und Illionis.

Die Motoren der Polizeiwagen weckte Raymond. Dieser sah die Blaulichter und geriet in Panik. Sofort weckte er Clyde und befahl ihn loszufahren. Clyde, der noch nicht ganz wach war und die Lage übersehen konnte, ließ sich von Raymonds Panik mitreißen und versuchte immer wieder den Wagen zu starten. Jedoch würgte er den Motor immer wieder ab.

In der Hektik griff sich Clyde seinen Waffenkoffer. Legte den Gurt ab und sprang aus dem Auto. Raymond sah, wie Clyde sich umsah und dann in den Tannenwald floh, der am Parkplatz lag.

Raymond, der sein Diebesgut nicht liegen lassen wollte, versuchte immer wieder den Wagen zu starten. Doch die Polizei hatte den Wagen schon umzingelt und nahm Raymond gefangen, der sich nicht wehrte, sondern nur seinen Kopf hängen ließ.

Clyde, der sich auf einen Hügel gekämpft hatte, sah das traurige Schauspiel mit an. Er wollte seinen Freund nicht in Stich lassen, also zog er seinen Revolver heraus und zielte. Doch er verfehlte die Motorhaube des Polizeiwagens nur knapp. Es reichte jedoch aus, dass ein Teil der Polizei aufmerksam wurde und in den Wald rannte. Clyde packte sich seinen Revolver wieder ein und rannte weiter in den Wald hinein.

Er sah hinter jedem Baum einen Polizisten. Immer wieder musste sich Clyde umsehen, um sich zu vergewissern, dass er noch nicht verloren war. Still heimlich hoffte Clyde auch, dass Raymond die Chance nutzen würde, zu fliehen.

Ganze drei Tage lief Clyde durch den Wald. Ernährte sich nur von den Waldfrüchten. Bald darauf hatte er sogar eine giftige Beere gegessen und brach zusammen. Ein altes Ehepaar hatte Clyde im Wald gefunden und mit nach Hause genommen. Dort verpflegte man Clyde nach besten Wissen und Gewissen. Anscheinend wussten die alten Herrschaften nichts über Clydes Kriminalität.

Es war, als ob Clyde neu anfangen durfte. Er half den Alten den Hof zu bewirtschaften, da sie beide keine Kinder hatten. Doch schon bald, trieb es Clyde wieder in die Stadt. Er sollte eigentlich einen Einkauf auf dem Markt machen. Doch Clyde erreichte nicht einmal den Markt. Als er in einer Zeitung gelesen hatte, dass Raymond Hamilton nach Texas überführt wurde, erinnerte er sich an seine Bonnie, die wohl bald entlassen wurde.

Das nächstbeste Auto nahm sich Clyde und fuhr sofort wieder zurück Richtung Süden. Er nutzte jeden abgelegenen Weg um einer Polizeistreife zu umgehen. Den kleinen Waffenkoffer hatte er im Gutshof liegengelassen. Doch er wusste, dass niemals jemand an den Koffer gehen würde. Selbst die beiden Herrschaften würden sich daran nicht vergreifen. Was hätten sie denn auch tun sollen?
 

Bedrückt murmelte Clyde: „Ich habe gestern eine Zeitung zwischen den Fingern gekriegt... Darin stand, dass ein altes Ehepaar gemeinsam Selbstmord begangen hatten, als sie einen Koffer voller Waffen in ihrem Haus entdeckten.“

„Also haben sie ihn doch angesehen?“, seufzte Bonnie. „Und die schönen Waffen sind jetzt konfisziert worden?“

„Bonnie!“, rügte sich Clyde. Wir reden hier von zwei Menschenleben!“

„Nein Clyde! Wir reden hier von unseren letzten Waffen! Woher sollen wir jetzt Waffen bekommen? Niemand würde uns Waffen verkaufen, weil sie angst hätten, dass wir sie gleich töten würden!“, knurrte Bonnie. „Ich kenne diese Alten nicht! Und ich habe auch nichts mit denen zu tun! Nur, dass diese Alten, es geschafft haben, unsere Waffen zu missbrauchen!“

Clyde sah seine Bonnie an. Er erkannte sie kaum wieder. Sie war so kalt geworden. Irgendwas war mit ihr geschehen. Doch er kümmerte sich nicht darum, da sie ihm immer noch gefiel. Bald vergaß er auch seine letzten Skrupel und brannte mit Bonnie wieder durch. Endlich war ihre gemeinsame Zeit gekommen.

Der Dieb von Topeka

Der Dieb von Topeka
 

Gestresst rieb sich Bonnie über die Schläfe. Sie mussten tausend Umwege fahren, damit die Polizei sie nicht erwischte. All diese Vorsichtsmaßnahmen von Clyde zerrten an ihren Nerven. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie das Auto einfach durch die ganzen Polizeistreifen gefahren und so viele Polizisten wie möglich angefahren. Doch Clyde hielt nichts von dieser Gewalt. Er wollte eher, endlich den Traum von Europa erfüllen! Dafür brauchten sie Geld. Wer sollte sonst die lange Schifffahrt bezahlen? Und einfach an Bord schmuggeln wäre auch unmöglich, da man mindestens einen Monat auf See ist. Außerdem wollte Clyde in Europa ein neues Leben mit Bonnie beginnen. Nichts soll sie daran erinnern, wie sie in den Vereinigten Staaten von Amerika gelitten haben.

„Clyde! Wir haben nichts mehr zu essen und das Auto wird gleich leer laufen, weil es kein Benzin mehr hat! Also lass uns verdammt noch mal endlich in eine Stadt fahren! Wo sind wir überhaupt?“, meckerte Bonnie und hörte wie ihr Partner seufzte.

„Wir fahren gerade Richtung Indiana! Ich will meinen Koffer abholen, den die Polizei verwahrt hat! Wir müssten jetzt ungefähr an Topeka in Kansas vorbeifahren!“, erklärte Clyde gelassen. Er kannte seine Bonnie. Sie war nur so aufgedreht, weil sie gesucht wurden, ohne Waffen durch die Staaten fuhren und sie keine Ahnung von nichts hatte. Es war sicherlich schwer für sie, ihm einfach blind zu vertrauen. Aber irgendwo schmerzte es ihm, dass sie es nicht konnte. Allerdings hing ja auch ihr ganzes Leben davon ab.

„Gut... Dann werden wir nach Topeka fahren und einkaufen!“, bestimmte Bonnie. „Weil ich werde nichts von dem verschimmelten Brot anfassen! Clyde, wir haben noch mehr als fünfhundert Dollar in den Taschen! Da können wir wohl auf son altes Brot verzichten?“

„Sicher...“, murmelte Clyde.

„Sag mal Clyde... Fünfhundert Dollar! Reicht das nicht, bis nach Europa??“, runzelte Bonnie die Stirn.

„Würde grad mal für die Schifffahrt reichen! Aber wir müssen ja auch noch Geld bezahlen, wenn wir über die Grenze nach Kanada wollen und in Europa brauchen wir doch auch ein Startkapital! Also reicht es beim besten Willen nicht!“, seufzte Clyde bedrückt.

„Und was für eine Summe schwebt dir so vor?“, hakte Bonnie nach. Sie wollte endlich, dass sie in Clydes Plan eingeweiht wurde. Es konnte doch nicht angehen, dass sie wie blind ihm einfach hinterher dackelte! Wieso vertraut sich Clyde ihr nicht an. Irgendwie war das sehr verletzend.

„Mh... Mindestens tausend Dollar!“, sagte Clyde monoton und ohne mit einer Wimper zu zucken. Bonnie richtete sich auf. „Wie viel?“, schrie sie ihn schon fast an. „Das ist eine Menge Geld! So viel werden wir nicht in zehn Jahren zusammenkriegen!“

„Aber in elf! Und in zwölf Jahren können wir durch die Straßen von Paris gehen!“, lächelte Clyde. Er hatte einen Spleen mit Paris. Sein wohl größter Traum. Bonnie dagegen wollte lieber in Rom leben! Dort war es immer schön warm! Fast wie in Dallas.
 

Es schien als wäre das Glück endlich mit Bonnie und Clyde. Es war Markt in der Stadt und niemand würde in den Trubel die beiden erkennen und schon gar nicht zu fassen kriegen. Sie konnten mit aller Ruhe paar neue Lebensmittel zu günstigen Preis ersteigern. Gemächlich gingen die beiden Gesetzeslosen durch den Markt und betrachteten die ausgestellte Ware. Von nicht ganz fern, schrie eine Frau auf. Ein junger Mann lief hastig durch die Menge, rempelte die schmächtige Bonnie um und wollte durch die Menge verschwinden. Aber Clyde hielt ihn sofort auf und schleppte ihn in die nächste Seitengasse. Er hatte schon oft solche Diebe getroffen und keiner war erfolgreich, wenn Clyde C. Barrow unterwegs war. Besonders wenn er ein totaler Frischling war.

„Das Geld!“, brummte Clyde.

„Was für ein Geld?“, keuchte der rothaarige mit den vielen Sommersprossen. Er versuchte so unschuldig wie möglich auszusehen. Clyde seufzte genervt.

„Junge! Du hast meiner Freundin gerade eine Geldbörse aus dem Mantel genommen! Darin sind viel Geld drin. So viel, dass es wert ist, dich abzuknallen!“, meinte Clyde schlicht, als würde er übers Wetter reden. Im Augenwinkel sah er wie Bonnie zu ihm trat. „Es tut mir leid, Darling, dass ich dir nicht aufgeholfen habe, aber ich wollte nicht zusehen, wie sich unsere fünfhundert Dollar einfach so aus dem Staub machen!“

Bonnie erstarrte und sah in ihrer Manteltasche nach. Tatsächlich war ihr Geld nicht mehr in der Tasche. Sie funkelte den Jungen an, den Clyde festhielt. Sofort trat sie an den Jungen ran, holte ihren Revolver raus und presste den an die Schläfe.

Der Dieb leugnete nun nicht mehr und rückte sofort mit dem gestohlenen Geld raus. Immer wieder flehte er, dass man ihn doch bitte verschonen sollte.

Bonnie verstaute das Geld nun in ihre Mantelinnentasche und zog den Revolver zurück in den Mantel. Nervös sah sie sich um und atmete erleichtert auf, als sie feststellte, dass niemand die Waffe gesehen hat.

„Lass uns weiter, Clyde!“, sagte Bonnie. „Wir wollen dem Kleinen sein Geschäft nicht ruinieren!“

Clyde sah den Dieb noch mal eingehend an und wendete sich ab. Er nahm Bonnies Arm und führte sie wieder auf den Markt. Beide bemerkten schnell, dass der Dieb sie die ganze zeit verfolgte. Hin und wieder warfen Bonnie und Clyde einen Blick auf sich, der nur eines bedeutete.
 

Gemächlich schlenderten Bonnie und Clyde zurück zu ihrem neuen Auto und packten ihre gekauften Sachen ein. Noch immer verfolgte sie ihr Schatten. Clyde schloss den Kofferraum und half Bonnie beim Einsteigen. Dann ging er um die Motorhaube herum und griff zum Henkel der Fahrertür. Genau in dem Moment stürzte der Dieb vom Markt aus dem Gebüsch und stürmte auf Clyde, der schon darauf vorbereitet war. Er wich dem Jüngling geschickt aus und knallte dem die Autotür gegen die Stirn.

Dann packte Clyde den Dieb auf die Hinterbank des Autos und stieg selbst ein. Gemütlich sah sich Clyde noch mal um und zündete den Motor.

Hin und wieder sah Bonnie zurück auf den Jungen. „Wie alt wird er wohl sein?“, fragte Bonnie neugierig.

„Schau doch in seine Papiere!“, lächelte Clyde und konzentrierte sich auf den Straßenverkehr.

„Diebe besitzen keine Papiere, Clyde!“, korrigierte Bonnie ihn. „Und wenn, dann sind sie seltendämlich!“

„Aber Bonnie! Er WAR seltendämlich!“, lachte Clyde. „Wollte uns wirklich beklauen! So ein Trottel!“

Bonnie drehte sich wieder zu den Jungen. Er sah irgendwie tot aus. „Meinst du er sit schon tot?“

„Nein... das glaub ich nicht!“, sagte Clyde. „Nicht wegen so einem banalen Kopfstoß!“

„Er regt sich schon...“, verkündete Bonnie. „Was sollen wir tun?“

„Kletter nach hinten, tu so, als würdest du dich um ein Baby kümmern und schließ alle Hintertüren ab. So kann er uns nicht entwischen!“

Bonnie tat wie ihr geheißen und als sie gerade wieder zum Beifahrersitz klettern wollte, ertönte eine seufzende Stimme: „Ihr seid Bonnie Parker und Clyde Barrow! Hab ich recht???“

Beiden blieb das Herz stehen. Clyde machte eine Vollbremsung mitten auf der Hauptstraße von Topeka. Bonnie zückte ihren Revolver und zielte auf den Kopf des Jungen.

The Barrow-Gang

The Barrow-Gang
 

„Wer bist du, und woher weißt du, wer wir sind?“, zischte Bonnie gefährlich. Clyde fuhr sofort in eine Nebengasse. Es sollte niemand merken, was jetzt mit dem Jungen geschehen soll. Später würde man ihn einfach nur als vermisst melden und dann seinen Leichnam finden. In den hintersten Winkel von Topeka in einer Mülltonne.

„Ey! Jetzt mal ganz locker!“, lachte der Junge nervös. „Man nennt mich in den Straßen von Topeka W. D. Jones! Geiler Name zu einen geilen Typen!“

Bonnie und Clyde sahen sich an. Beide seufzten. Sie wurden tatsächlich von einen Frischling von Dieb enttarnt. Bonnie fing an zu grinsen und flüsterte: „Du hältst dich für einen ganz tollen, was?“

„JA sicher! Ich bin icecool!“, grinste Jones. Clyde fügte nur hinzu: „Gassenkalt reicht auch schon! Mach ihn platt Bonnie!“ Er hielt den Wagen in einer Sackgasse an und stieg aus dem Auto. Er öffnete den Kofferraum und nahm eine kleine Reisetasche heraus, während Bonnie den Revolver entsicherte.

Bei den kleinen leisen Klicken im Auto, das sich wie ein Knall anhörte, geriet der Junge in Panik und schrie auf. Er stürzte auf die Türen des Autos, aber die waren verschlossen. „Hey! Ich kann euch nützlich werden! Wirklich! Bitte... nicht schießen!“, schrie er aus.

Clyde runzelte die Stirn. Er wartete geduldig neben einer Feuerleiter und lehnte sich an die kühle Wand. Eigentlich wartete er auf den Schuss des Revolvers, aber nichts dergleichen drang in sein Ohr. Stattdessen hörte er zwei Autotüren zuschlagen. Verwirrt sah Clyde auf. Neben Bonnie stand dieser kleine vorlaute Junge. Fragend blickte er Bonnie an.

„Der Junge kann uns Waffen besorgen, Clyde!“, bemerkte Bonnie.

„Wir haben Waffen, Bonnie!“

„Nein haben wir nicht! Wo denn? In dieser Reisetruhe sind nur dreckige Kleider! Das einzige was wir haben, ist dieser Revolver mit drei Schuss! Mehr nicht!“

„Aber bei den alten Paar...“, begann Clyde.

„Den Koffer haben sie mitgenommen! Glaubst du wirklich, die lassen einfach den Koffer voller Waffen dort rumliegen, so das Mister Clyde Barrow seine Sachen abholen kann? Sei doch nicht so naiv, Clyde!“

„Dann holen wir den Koffer aus dem Polizeigebäude!“, bemerkte Clyde.

„Ach sicher, du, als gesuchter Schwerverbrecher, kannst da so einfach reinspazieren und dir alles nehmen, was dir gefällt? Aus einem Polizeipräsidium? Hör auf zu träumen, Clyde!“, schrie Bonnie erzürnt auf.

„Aber...“, begann Clyde. Er vertraute dem unschuldigen Gesicht des Siebzehnjährigen. „Also gut... wenn er jedoch nur einen Fehlschritt macht...“

„Dann werde ich ihn höchstpersönlich umlegen!“, beendete Bonnie den Satz lächelnd. Sie ging zu Clyde und küsste ihn zärtlich. Taktvoll sah W. D. Jones zur Seite und ließ den beiden ihre Privatsphäre.
 

Nach einen halben Tag hatten Bonnie und Clyde eine ganze Sammlung von Waffen. Sie versteckten die vielen Koffer in einer kleinen Fabrikhalle. Doch zu Clydes Bedauern war keine Schrotflinte dabei. Die mussten sie auf jeden Fall noch besorgen. Bonnie lud ihren Revolver nach und polierte das Schießeisen auf Hochglanz. Sie war sehr stolz auf die Waffe, die man einfach mal im Ärmel verschwinden lassen konnte.

W. D. Jones plauderte ununterbrochen, wie toll er doch war und was für eine hohe Qualität die Waffen hätten und was für tolle Beziehungen er hätte und dass er doch eine reine Bereicherung für die Gruppe war.

Clyde, der ruhigste von allen dreien, sah aus dem Fenster und betrachtete den Nachthimmel. Er war so unglaublich müde. Es kam ihm vor, dass er bei dem Jungen, der wie eine Quasselstrippe war, niemals schlafen könnte. Bonnie jedoch schien ihm angeregt zuzuhören. Clyde spürte einen kleinen Stich im Herzen. Sie schienen viel gemeinsam zu haben.

Irgendwann hielt es Clyde nicht mehr aus, er stand auf und nahm Bonnie in den Arm. Er führte sie in einen kleinen Nebenraum und zog seinen Mantel aus und lüftete den Hut vom Kopf. Alles hing er auf den alten, hölzernen Mantelständer.

Bonnie war verwirrt und betrachtete ihren Clyde. Sie konnte nicht anders und strich ihm über die Wange. Ihr blick verfing sich jedoch in Clyde tiefen Augen. Sie konnte einfach nicht von ihm ab und ließ es zu, dass er sie auf das lederne Sofa legte.
 

Am nächsten Morgen wachte Bonnie neben Clyde auf. Sie lag auf den Boden, aber in Clydes Armen. Gemütlich schmiegte sie sich wieder an ihren Lebensgefährten. W. D. Jones hatte sie vollkommen vergessen. Doch er rief sich selbständig wieder in ihre Erinnerungen, als er in das ehemalige Firmenleiterbüro platzte und rumschrie, dass die Polizei in Anmarsch war.

Clyde schreckte auf und zog sich an. Dabei versuchte er den Blick von Jones auf die nackte Bonnie zu verdecken. Doch sie rannte im ganzen Raum rum und sammelte alles ein, was auf sie deuten könnte. Zu dritt rannten sie aus dem Hinterausgang des Gebäudes und knackten ein Auto. Dort warfen sie sämtliche Waffenkoffer auf den Rücksitzt. Clyde kletterte zum Fahrer durch und zündete den Motor. Bonnie stieg hinten in den Wagen ein und W. D. Jones beim Beifahrer. Dieser ignorierte auch den betröbelten Blick von Clyde, der sofort losfuhr.

Als die Sirenen leiser wurden und dann ganz im Berufsverkehr von Topeka, lachten alle drei auf und lehnten sich zurück.

Clyde sah im Rückspiegel, wie Bonnie ihre Kleider neu sortierte und richtete. Dann verstaute sie die Koffer so, dass sie kaum auffielen. W. D. Jones plauderte unbeschwert über sein größtes Abenteuer überhaupt, erzählte, wie er die Sirenen erkannt hat und sie dann gewarnt hat. Später erzählte Jones dem Pärchen, wie er darauf gekommen war, dass er im Auto von Bonnie und Clyde saß.

„Ich hab eine Idee!“, strahlte W. D. Jones.

„Wir haben keine Interesse!“, blockte Clyde sofort ab. Eigentlich wollte er den Jungen augenblicklich wieder loswerden. Wahrscheinlich war die Polizei auf das Gebäude gestoßen, weil der neue Gefährte von ihnen zu ungeschickt war.

„Clyde!“, warf Bonnie ein. Doch sie hatte eigentlich auch keine Lust sich irgendwelche waghalsigen Geschichten anzuhören. Am liebsten wär sie noch in den Armen von Clyde und würde auf den kalten Teppichboden schlafen. Vielleicht sogar noch mal mit ihm. Ihr größer Traum, den teilte sie mit Clyde, war, dass sie eine Familie gründen konnten, irgendwo abgeschirmt von dem Rest der Welt.

„Aber die Idee ist voll genial! Okay.. Es ist alles genial, was von mir kommt, aber das ist hammer!“, rief W. D. Jones euphorisch.

„Ich habe NEIN gesagt!“, brummte Clyde. „Wahrscheinlich waren die Bullen hinter uns, heute morgen, weil du Trottel so kurzsichtig bist!“

„Hey!“, murmelte der Junge. Er drehte sich zu Bonnie um, um Unterstützung zu bekommen, doch Bonnie saß hinter Clyde und umarmte ihn. Ihr Gesicht war nach außen gewand und betrachtete die Gebäude, die immer schlichter wurden. Endlich waren sie wieder auf der Flucht. Das war die einzigste Zeit, in der sich Bonnie richtig frei fühlte.

„Was ich dir noch sagen muss, Bonnie...“, begann Clyde. Er bedachte absichtlich Bonnie in dem Satz, da er mit diesen Jungen an seiner Seite nicht warm wurde.

„Was denn?“, murmelte Bonnie verschlafen. Sie hatte ihre Augen geschlossen und tastete nach Clydes Herzschlag.

„Mein Bruder, Marvin, wird in wenigen Monaten aus dem Knast entlassen. Er soll sich schon mit Sophie in Kontakt gesetzt haben. Blanche, seine Frau, würde sich zu Tode langweilen, wenn er ein geruhsames Leben anstreben würde. Darum fragt er, ob er bei uns einsteigen kann.“, berichtete Clyde lächelnd. Irgendwie wünschte er sich, dass Bonnie zustimmen würde.

„Kenn ich ihn?“, fragte Bonnie.

„Nein. Aber er ist ein total netter Kerl. Als Kinder haben wir ihn immer Buck genannt! Seine zweite Frau, Blanche, wirst du lieben! Sie ist absolut genial! Vertrau mir.“, lachte Clyde erfreut.

„Okay... Wo holen wir die beiden ab?“, fragte Bonnie.

„Nun... Buck hat ein kleines Haus gebaut. Dort können wir uns auch eine zeitlang verstecken!“, meinte Clyde zärtlich. Er stich über die kleinen, zierlichen Finger von Bonnie.

„Das ist doch prima! Das würde sogar ncoh viel besser zu meinen Konzept passen! Ihr müsstet nur noch heiraten und mich adoptieren!“, strahlte W. D. Jones.

Bonnie und Clyde mussten sich nicht ansehen, um zu wissen, was sie von dem Vorschlag hielten. Beide riefen gleichzeitig: „NEIN!“

„Aber... mein Konzept... Die Barrow-Gang?“, hauchte W. D. Jones unsterblich traurig.

Bonnie und Clyde sahen sich verwirrt an, und hakten nach: „Die Barrow-Gang??“



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Kommentare zu dieser Fanfic (12)
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Von: abgemeldet
2006-08-26T00:27:57+00:00 26.08.2006 02:27
Kyaaaaaaaaaa!
cooooool
>.>"
*voll kuhl*
*nick biddä beachten*
ich hab den film geschaut,die bio gelesen und jezz den ff entdeckt
subbiii!
x333~
Von: abgemeldet
2006-07-10T17:25:31+00:00 10.07.2006 19:25
Heißt es nicht Kampf?
"„Es ist schon jedes mal ein Krampf!“, sagte die anscheinend Jüngste der Mädchen."

"Bonnie stolperte und viel zu Boden" -> fiel (fallen)


Schon krass, dass du Mädchen Bonnie so behandeln. Und die Razia war genau im falschen Moment, aye?
Aber sonst ganz okay.

War es nciht ein bisschen auffällig die Adresse zu schreien?
ich meine, die Polizisten, die ihn festgehalten haben, werde es sicherlich auch gehört haben...oder?

LG, ajanee
Von: abgemeldet
2006-07-10T17:23:29+00:00 10.07.2006 19:23
Sie hatte schon wieder Kopfschmerzen. Ein Zeichen, dass sie bald ihre Monatsblutungen bekam. Der Kinderwunsch von ihr und Clyde musste also noch einen Monat warten. Sie wollte es Clyde nicht sagen, denn sein trauriges und enttäuschte Gesicht wollte sie nicht sehen.

Oh... wie dramatisch... :-(

"Man konnte bestimmt die Luft mit einer Schere zerschneiden, so dick war sie vor Rauch und Dunst."

Eine sehr sehr schöne Formulierung

Gutes Kapitel und ich leide mit Bonnie mit.
ich denke auch, dass man es mit drei Männern gleichzeitig nicht gerade einfach hat, wenn man seine Periode hat... ~.~
mein vollstes Mitgefühl.

LG, deine ajanee
Von: abgemeldet
2006-07-10T17:22:02+00:00 10.07.2006 19:22
„Was ist passiert?“, fragte Bonnie Franzis besorgt. Dieser seufzte ausgiebig und murmelte: „Es war von John nicht richtig, wie er dich behandelt. Und Clyde war schon im Knast sehr empfindlich, was dich anging!“
„In wie fern empfindlich?“, fragte Bonnie weiter.
„Sagen wir es mal so... Clyde hat öfters ziemlich Ärger mit den Bullen gehabt, weil er sich oft mit John geprügelt hat. Nach Clydes Erzählungen, hat er dich immer irgendwie beleidigt! Na ja... Und heute scheint er zu weit gegangen zu sein!“, murmelte Franzis.
„Du unterstützt so etwas?“, rief Bonnie entsetzt auf. „Clyde kann doch nicht einfach jemanden umlegen, nur weil er mich an den Haaren aus dem Wagen gerissen hat!“
„Wieso nicht? Clyde hat auch schon gestern zwei Polizisten umgelegt, weil sie uns daran hindern wollten auszubrechen!“, berichtete Franzis schulterzuckend. „Es gilt überall das Gesetz des Stärkeren! Clyde hat den Revolver und somit auch die Macht!“

Heiße Szene!

„Nein!“, rief Bonnie auf und warf sich auf Clyde. Der Schuss vom Revolver ging knapp an Johns Gesicht vorbei. Die Kugel streifte seine Wange.
„Bonnie...“, seufzte Clyde auf und sah zu der kleinen Frau, die auf ihm lag. „Was machst du da?“
„Das bist nicht du, Clyde! Bitte! Hör auf! Er hat es bestimmt nicht so gemeint! Steig bitte wieder ins Auto! Lass uns weiter fahren, bitte!“, flüsterte Bonnie in Clydes Ohr. Ihre blonden Haare fielen Clyde ins Gesicht. Er konnte ihren Duft riechen. Er war so süßlich leicht. Clyde ließ den Revolver ins Gras fallen und umarmte Bonnie zärtlich. Er spürte, dass Bonnie zitterte. Wie konnte er sie nur beruhigen?
„Bitte Clyde... Lass uns weiter fahren!“, flüsterte Bonnie weiter.
„Okay!“, antwortete Clyde und half Bonnie auf.

Die auch! Ich finde es sehr gut, dass Bonnie dazwischen gegangen ist. Obwohl ich erwartet habe, dass Clyde ihn einfach tötet.
Aber wieso reagiert John so aggressiv auf Bonnie?
Das verstehe ich nicht ganz.

"Gemeinsam gingen Clyde und Bonnie zu den vereinbarten Treffpunkt." Hier wäre es schöner gewesen, wenn du erst Bonnie und dann Clyde genannt hättest.

LG, Mrs. Banana
Von: abgemeldet
2006-07-10T17:21:27+00:00 10.07.2006 19:21
"Mh... Ich weiß nicht! Wir fallen bestimmt mit einer Frau am Steuer mehr auf!", runzelte John.
"Ihr würdet eh an der nächsten Polizeistelle aufgegriffen werden, weil ihr Sträflingskleidung anhabt!", bemerkte Bonnie kalt. "Da tut es eine Frau am Steuer auch nicht mehr!"

Yeah!
Ich musst so lachen, als ich das gelesen habe.
Das war wirklich gut. Ich hab mir nochmal deine Geschichte angeguckt.
^______^
FRAUENPOWER, Bonnie!
Von:  badehaubendealer
2006-05-14T16:41:24+00:00 14.05.2006 18:41
ich bin mir nicht sicher, ob ich noch alles nachvollziehen kann. Clyde ist ein gesuchter Schwerverbrecher, aber er fragt die Justiz, ob er Bonnie im Gefängnis besuchen darf? Mal abgesehen davon, dass das schon ziemlich blöd von ihm ist: Wieso wird er nicht festgenommen?
Außerdem dachte ich immer, es sei ein Gerücht, dass Tankstellen explodieren, wenn man auf sie schießt...
Von:  badehaubendealer
2006-05-14T16:24:51+00:00 14.05.2006 18:24
"Sie hätte schwören können, dass nach der Entdeckung der Waffen das Auto durchsichtig wurde und jeder, der an ihnen vorbeifuhr sehen konnte, was Bonnie und Clyde transportierten." *Daumen-hoch* für diese Beschreibung :)

ansonsten... joa. Konstant hohes Niveau, wie aus einem Guss, gefällt mir auch weiterhin. Gut, ich fand die Stelle etwas unrealistisch, als ein Polizist Clyde eine Waffe an die Schläfe hält (wenn ich mich richtig erinnere), Clyde sich umdreht und ihn erschießt, ohne dass der Polizist sich wehrt... ich meine, hallo, Clyde hat mit einer Shotgun Polizisten bedroht, und jetzt zögert der eine? Unrealistisch, aber klar, man kann Clye ja noch nicht einfach so sterben lassen...
Von:  badehaubendealer
2006-04-27T20:03:42+00:00 27.04.2006 22:03
ja, gefällt mir alles, nach wie vor :)

viel mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen, dein Stil hat sich nicht geändert, die Story ist nach wie vor gut, hat sich weder verbessert noch verschlechtert... alles beim alten :)
Von:  badehaubendealer
2006-04-26T10:32:38+00:00 26.04.2006 12:32
ich bilde mir ein, einen kleinen Fehler gefunden zu haben: Du sagst, sie fahren von Dallas nach Houston, also nach Süden. Dann biegen sie nach Westen Richtung New Orleans ab, aber New Orleans liegt doch östlich von Texas...? Jaja, Haarspalterei, ich weiß :)

und davon abgesehen kann ich mir Texas nicht eingeschneit vorstellen, aber das liegt an meiner beschränkten Fantasie :)
Von:  badehaubendealer
2006-04-24T16:45:48+00:00 24.04.2006 18:45
*Daumen-hoch*

Ich weiß, normalerweise gehört die Bewertung erst ans Ende eines Kommentares, aber irgendwie fiel mir kein passender Anfang ein, also habe ich das mal vorgezogen. Ja, was soll ich sagen? Dein Stil gefällt mir sehr gut. Die Geschichte gefällt mir sehr gut. Eigentlich gefällt mir das alles sehr gut :).
Mal sehen, wenn mir mal langweilig ist, kommentiere ich die Kapitel einzeln und detaillierter, verdient hätte die Geschichte es auf jeden Fall :)


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