Nar'thos der Garalianer
„Das geht nicht, nein! Das ist unfassbar! Wir sollen hier rumsitzen und nichts tun? Während sich die Prinzessin in Lebensgefahr befindet? Während die Krone in Gefahr ist? Das kann ich nicht akzeptieren, NEIN!“
Schon in der Eingangshalle des Palastes tönte Marcus und Kent die laute und äußerst aufgebrachte Stimme von draußen entgegen.
„Nein, sag ich euch! Sollen wir einfach nur rumsitzen und abwarten, zusehen wie vielleicht noch mehr geschieht?“
Immer aufgebrachter kam es ihnen entgegen. Es war dieselbe Stimme, die auch schon König Lahus unterbrochen hatte, doch jetzt war sie noch ungehaltener und selbst gutes Zureden brachte sie nicht wieder zur Ruhe.
„Na wieder in deinem Element, Nar’thos?"
Kent konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er die Treppe des Palastes herab schritt und den jungen Greifenreiter wild gestikulierend im Hof vorfand. Als Antwort bekam er jedoch nur ein Grummeln und schon fuhr der Argritianer fort.
„Hast du das gehört? Hast du? Wir sollen einfach zusehen, einfach nichts tun! Oh nein, nicht mit mir, ich werde nicht einfach klein beigeben!“
Ein entschlossener und zugleich wilder Ausdruck machte sich auf Nar’thos’ Gesicht breit, während seine Hände zu Fäusten geballt waren und er dreinblickte, als wolle er sich sogleich in den Kampf stürzen, den nächst Besten, der auf irgendeine Weise bedrohlich aussah, nieder prügeln. Marcus brachte dieses Verhalten nur zum Lachen. Wenn es jemanden gab der ungestümer war als er selbst, dann war es wohl Nar’thos. Es mochte zwar auch daran liegen, dass er ein Garalianer war, ein Angehöriger des Volkes von Argritia und diese für ihr sehr feuriges Temperament ohnehin bekannt waren, jedoch war Nar’thos wirklich schon ein Fall für sich.
„Ganz ruhig mein Freund!" Marcus klopfte dem jungen Garalianer auf die Schulter und grinste ihn breit an. „Wir werden schon früh genug erfahren was zu tun ist!"
Das jedoch war nicht wirklich zufrieden stellend für Nar’thos.
„Früh genug? Und wann soll dieses 'früh genug' bitte sein? Wir müssen JETZT handeln, wenn wir das Schlimmste verhindern wollen, nicht irgendwann, nicht wenn wir ganz genau wissen, was hier vor sich geht, dann könnte es schon längst zu spät sein!“
Missmutig und grimmig blickte er in die Runde und gab ein Schnaufen von sich. Niemand von den anderen Anwesenden wagte sich noch etwas zu sagen, einerseits wegen Nar’thos’ leicht aggressiver Ader, andererseits da die Gestalt eines Garalianers doch ziemlich respekteinfößend war.
Nar’thos war schon einen Kopf größer als fast jeder von ihnen und dabei zählte er noch zu dem kleineren Vertretern seiner Art. Zwar waren die Garalianer nicht wirklich von breiter Statur, doch ihre klauenartigen Hände und die krallenbesetzten, bloßen Füße, die eher den Pranken eines Löwen glichen, sahen schon gefährlich genug aus. Nicht zu sprechen von den Spitzen Eckzähnen, die bei jedem vom Nar’thos Worten aufblitzen. Und so blickten alle nur schweigend zu Boden, gegen diesen Dickkopf würde ohnehin keiner von ihnen ankommen.
„Aber was willst du denn nun tun?", versuchte es Kent, der mit dem Argritianer Freundschaft geschlossen hatte, doch noch ein weiteres Mal zu ihm durchzudringen.
Es war sicherlich nicht gut Nar’thos einfach in solch einer Rage zurück zu lassen, sicherlich würde er noch auf dumme Ideen kommen.
„IRGENDETWAS! Hauptsache nicht faul hier herumsitzen und darauf warten, dass sich der Feind auf uns stürzt!" Das Feuer funkelte nur so in Nar’thos’ dunkelroten Augen und seine eher einer Löwenmähne gleichenden, orangefarbenen Haare hingen ihm zerzaust ins Gesicht. „Und wenn wir nur ausziehen und die Sache untersuchen, wenn wir lediglich umherstreifen und darauf hoffen irgendwelche Spuren von diesen Bastarden zu finden, immerhin sitzen wir nicht tatenlos herum, immerhin zeigen wir so, dass wir präsent sind, dass wir nichts fürchten!“
Jeder wusste, dass er auf eine gewisse Art und Weise Recht hatte, jedoch wagte sich keiner dem zuzustimmen und sich somit den Anordnungen des Königs zu widersetzen. Oder sie waren alle einfach nicht mutig genug, was zumindest Nar’thos dachte. Aber davon würde er sich nicht abhalten lassen, nein er nicht! Und wenn er allein würde ausziehen müssen, wenn er alleine diese dunkle Bedrohung suchen musste, er würde etwas tun, mit oder ohne Unterstützung!
Als niemand mehr dem Garalianer etwas entgegenzubringen wusste und alle nur mehr oder weniger betrübt den Kopf gesenkt hatten, wandte er sich schließlich grummelnd um und ließ einen lauten und schrillen Pfiff ab. Sogleich hörte man als Antwort darauf einen lauten Schrei, dem eines Adlers gleich, auch wenn es in diesem Fall ein sehr großer und mächtiger Adler hätte sein müssen und nur wenige Augenblicke später hörte man das Schlagen von großen Schwingen. Schnell wichen die Anwesenden in alle Richtungen aus, keinem sinnte es danach dem großen Tier, welches gerade im Hof des Palastes gelandet war, zunahe zu kommen. Nar’thos hingegen ging sogleich auf es zu, strich über den riesigen Adlerkopf und schwang sich dann auf dessen Rücken, der dem eines mächtigen Löwen glich.
„Los Darún! Wenn uns hier niemand helfen will, dann nehmen wir die Sache eben selbst in die Hand!“
Mit einem lauten Schrei erhob sich der große Greif, sogleich wie Nar’thos auf dessen Rücken gelandet war, in die Luft. Das Letzte, was die Anwesenden von Nar’thos noch vernahmen, war ein lauter, anspornender Ruf, der seinem Greif galt, ehe er in der Dunkelheit verschwand.
Kent konnte nur noch den Kopf schütteln. Das würde mit Sicherheit kein gutes Ende nehmen…
