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Verliebt in Transsilvanien

eine Fortsetzung von Tanz der Vampire
von

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Natürlich Blond – Silberblond

Na endlich – da vor lag schon das Schloss.

Stundenlang waren wir querfeldein gelaufen, auf der Suche nach Alfred und Herbert. Die Suche war erfolglos geblieben und auch heute Nacht waren wir ihnen auf dem Rückweg zum Schloss nicht begegnet. Wahrscheinlich hatte Herbert mal wieder was Besseres zu tun, als uns auf der Wanderung zu folgen und war gleich wieder umgekehrt, kurz nachdem wir außer Sichtweite waren. Das war ja mal wieder so typisch. Alfred hatte er wohl gleich mit sich geschleppt. Nur wegen Herberts kindischem Verhalten waren wir sogar in Gefahr geraten, als wir von der Lawine verschüttet wurden. Den Tag in einer Höhle verbringen zu müssen war auch alles andere als luxuriös…

Obwohl ein frischer Wind wehte, fror ich nicht, im Gegenteil. Ich kochte vor Wut. Sollte er es auch nur wagen, mir heute noch unter die Augen zu treten, würde er was zu hören bekommen… Und wie es aussah, nicht nur von mir, sondern auch von Breda und Richard. Beide sahen nicht besonders gut gelaunt aus. Marie wirkte ebenfalls gereizt. Die für sie sonst so typische Gelassenheit war verflogen. Wahrscheinlich lag es daran, dass Marie und Richard hätten heute Nacht, bei Einbruch der Dunkelheit, abreisen wollen – doch da wir eine spontane Suchaktion nicht eingeplant hatten, verschob sich der Zeitplan.
 

Wir erreichten das Schlosstor. Sollte Herbert es wagen, uns vor dem Kamin sitzend zu begrüßen und dann auch noch zu fragen, wo wir so lange blieben… Ich schnaubte vor Wut. Zielstrebig ging ich über die Flure zum Kaminzimmer. Offensichtlich hatte mein Liebster das gleiche vor wie ich. Dicht gefolgt von Richard ging er neben mir her. Kurz sah ich mich um, Marie war nicht mitgekommen.

„Wo ist Marie?“, fragte ich Richard.

„Sie ist schon mal auf unser Zimmer gegangen, um die Sachen zu packen. Wir wollen noch heute Abend aufbrechen, damit wir nicht noch mehr Zeit verlieren…“, antwortete er während er uns auf den letzten Metern überholte und die Tür des Kaminzimmers aufriss. Wir traten nach ihm ein – sahen uns um – und stellten fest, dass der Raum leer war.

„Wo zur Hölle ist dieser…dieser…DEIN Sohn, Breda?!“, rief Richard wutschnaubend.

„Woher soll ich das wissen?“, zischte dieser nun zurück.

„Dann schlage ich vor, dass du ihn suchen gehst!“

„Wieso sollte ICH ihn suchen gehen?“

„Stimmt, damit haben wir schon viel zu viel kostbare Zeit verschwendet!“
 

In diesem Moment hörte man die große Eingangstür auffliegen. Das konnte nur einer sein, oder besser gesagt zwei. Alfred war allem Anschein nach auch noch nicht wieder auf dem Schloss.

„HERBERT VON KROLOCK!!!“, donnerte Breda auf einmal, noch bevor wir wieder die Eingangshalle betraten. Es wäre nicht mal mehr nötig gewesen, die Halle zu betreten. Diesen Schrei konnte man wohl noch außerhalb der Schlossmauern hören. So wütend hatte ich ihn noch nie erlebt. Tatsächlich waren es Alfred und Herbert, die soeben das Schloss betreten hatten. Ich war gespannt auf Herberts Ausrede, wenn er Breda erklären musste, warum er sich von der Gruppe abgesetzt und damit alle anderen in Gefahr gebracht hatte.

Leider machte Breda ihm unmissverständlich verständlich klar, dass er keine Ausrede gelten lassen würde. Wie er wohl versucht hätte, sich rauszureden? Ohne viele Worte machte Breda Herbert deutlich, was er von der Situation hielt und, dass er alles andere als erfreut darüber war. Er wartete nicht mal Herberts Kommentar ab, bevor er aus der Eingangshalle stürmte. Ich hingegen wollte mir dieses Spektakel nicht entgehen lassen. So blieb ich, zusammen mit Richard, der Herbert sogleich verhörte.
 

„…VERLAUFEN?!“, brüllte Richard, „Was heißt hier verlaufen? Bist du sogar zu blöd, eine Landkarte zu lesen?!“.

„…Ich hatte keine Landkarte…“, erwiderte Herbert kleinlaut. Richard konnte sogar noch Furcht einflößender sein als Breda.

„Jeder hatte eine Landkarte im Rucksack! Du auch!“

„…ich hatte auch keinen Rucksack dabei…“

Richards Gesichtsausdruck schwankte zwischen ungläubig und unglaublich zornig.

„Ich hatte also doch Recht – du bist eigentlich viel zu beschränkt, um ein Von Krolock zu sein!“

Ich musste leise lachen, als Herbert nun auch noch auf die Tränendrüse drückte. Glaubte er im Ernst, das würde Richard hindern, seine Meinung über ihn und sein Verhalten zu äußern? Mal abgesehen davon, dass das wirklich ziemlich dämlich von ihm gewesen war, nicht mal eine Karte mitzunehmen – sogar ich hatte es geschafft, einen Rucksack zu tragen.
 

„Aber warum kommt ihr erst jetzt hier an?! Wenn du dich verlaufen hast, hatte doch immer noch Alfred eine Karte – und mehr Ahnung als du!“

„Weil…weil… Ich konnte halt nicht so schnell!“, schluchzte Herbert.

„Wieso konntest du nicht so schnell?! Willst du mir jetzt auch noch erzählen, du könntest auf DIESEN Schuhen nicht laufen?!“, hakte Richard sarkastisch nach.

„Mein…mein Fuß… Ich hab mich verletzt.“, versuchte Herbert zu erklären. So eine schlechte Ausrede hätte ich nicht mal von ihm erwartet. Er war doch sonst so kreativ, was Ausreden und Entschuldigungen anging.

„Ach, du bist umgeknickt? Wohl über irgendwas gestolpert?“, fragte ich übertrieben besorgt, in mich hineingrinsend.

„Ja…“ Herbert war völlig aufgelöst und stützte sich auf Alfred. Zugegeben, er spielte seine Rolle gut – aber er hatte einfach eine Menge Übung in so was.

„Warum wundert mich das bei diesen Schuhen nur kein bisschen?!“, lachte Richard laut auf, „Mit SOWAS wandern zu gehen ist wirklich dämlich!“. Weiter vor sich hin lachend und kopfschüttelnd verschwand nun auch Richard in einem der Flure.
 

„Sarah? Hilfst du mir mal bitte?“, erhob Alfred das Wort, der bis jetzt betreten geschwiegen hatte.

„Bei was soll ich dir helfen?", fragte ich misstrauisch.

„Na dabei, Herbert in den Salon zu bringen, damit wir seinen Fuß versorgen können.“, entgegnete er, als sei dies selbstverständlich.

Herbert war in der Zwischenzeit auf dem Boden zusammengesunken und weinte.

„WIR?! - Glaubt bloß nicht, dass ich bei eurem Schmierentheater mitspiele!“, antwortete ich und ließ die beiden allein.
 

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War ich denn hier der einzige, der sah, wie schlecht es Herbert ging? Spätestens als er weinend neben mir zusammengebrochen war, hätte Sarah merken müssen, dass es Ernst war.
 

Besorgt kniete ich mich neben ihn, „Steh auf, ich bring dich nach nebenan.“.

„Ich kann nicht mehr!“, heulte er, sich in meine Arme werfend. Eine Weile hielt ich ihn so in den Armen und stich ihm tröstend über den Rücken.

„Komm schon, du kannst hier nicht ewig sitzen bleiben…“, ich hatte Mühe, ihn wieder auf die Beine zu bekommen.
 

Schließlich hatte er es bis auf ein Sofa im benachbarten Salon geschafft.

„Jetzt beruhig dich erst mal.“, ich reichte ihm ein Taschentuch, da seins bereits völlig durchnässt war, „Ich werde mir jetzt mal deinen Fuß ansehen…“.

Langsam hob ich seinen Fuß auf meinen Schoß, um ihm den Schuh ausziehen zu können. Das stellte sich bei dieser Art von Stiefeln jedoch als gar nicht so einfach heraus und wurde von Herbert mit einem gequälten Aufschrei kommentiert.
 

Der Knöchel war – wie nicht anders zu erwarten – angeschwollen. Die Außenseite zeigte eine leichte Blaufärbung. Es schien nichts gebrochen zu sein, nur verstaucht. Allerdings sah es ganz so aus, als hätten die Bänder etwas abbekommen… „Aaaauu…!“ „Oh entschuldige, ich wollte dir nicht wehtun.“

Erst als ich jetzt aufsah und somit direkt in Herberts Gesicht, bemerkte ich, wie erneut dicke Tränen über seine Wangen rollten. Seine Fingernägel hatte er in ein Kissen vergraben. Ich beschloss, meine Untersuchung nicht unnötig auszuführen, „Du hast es gleich überstanden.“.

Noch ein oder zwei prüfende Handgriffe, „Tut das weh?“. Kopfschütteln. „Und das?“ Kopfschütteln. „Und…-“ „Aaaaahhh!“.
 

„Wie es aussieht, hast du dir den Fuß verstaucht und die Bänder gezerrt.“, versuchte ich ihm die Sachlage verständlich zu machen.

„Und was heißt das?“, fragte Herbert beunruhigt.

„Das heißt, du wirst deinen Fuß eine Zeit lang schonen müssen und ihn in den nächsten Nächten nicht belasten können.“, erklärte ich.

„Wird das die ganze Zeit so wehtun?“, wollte er nun wissen.

„Ich werde dir jetzt etwas Eis zum Kühlen holen.“, ich stand auf und schob ein großes Kissen unter seinen Fuß und zwei weitere hinter seinen Rücken. „Lehn dich zurück und ruh dich aus…“, bemerkte ich im Rausgehen.
 

Herbert hatte aber auch ein seltenes Talent für so was… Irgendwie schaffte er es immer wieder, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Er konnte einem wirklich Leid tun, vor allem, weil alle gegen ihn zu sein schienen. Doch irgendwo hatten sie ja Recht – gerade mit solchen Stiefeln wandern zu gehen und dann noch nicht mal eine Karte bei sich zu haben, wenn man genau wusste, dass man den Weg nicht kannte – sehr leichtsinnig von ihm. Ich sah kein Argument, mit dem ich ihn hätte verteidigen können.

Trotzdem war es nicht fair, es ging ihm wirklich schlecht.
 

Mit einem Eisbeutel in der einen und Verbandszeug in der anderen Hand ging ich zurück in den Salon, als mir Marie begegnete, „Alfred, wären Herbert und du so nett und würdet mir helfen, unsere Koffer in die Kutsche zu laden? Allein schaffe ich das nicht und die meisten sind viel zu schwer für mich…“.

„Natürlich. Einen Moment bitte, ich werde gleich helfen.“

„Herbert kann ruhig auch mal was tun! …Wo willst du eigentlich mit dem Verbandszeug hin? Hast du dich verletzt?“, fragte Marie neugierig.

„Nein…ähm…das brauche ich für Herbert.“, versuchte ich, die Unterhaltung zu beenden.

„Dann hat er schon wieder einen Grund gefunden, sich vor der Arbeit zu drücken?“, gab Marie etwas bissig von sich.

„Ich werde gleich kommen, einen Augenblick Geduld bitte…!“

Das artete ja richtig in Stress aus, diese Nacht. Erst mal würde ich jedoch Herbert das Eis bringen.
 

Als ich zurückkam, hatte er sich wieder ein wenig beruhig und es sich auf dem Sofa bequem gemacht. Vorsichtig legte ich das Eis auf seinen Fuß, nachdem ich das Verbandszeug auf dem kleinen Beistelltisch abgelegt hatte.

„Lass das dort drauf und leg den Fuß immer schön hoch, am besten auf ein Kissen.“, wies ich Herbert an, „Brauchst du sonst noch etwas?“.

„Ähm, nein – willst du mich etwa allein lassen?“, entgegnete er verdutzt.

„Marie braucht Unterstützung mit den Koffern.“, berichtete ich.

„Aber… Du kannst mich jetzt nicht allein lassen!“, protestierte er, „Ich bin verletzt und muss betreut werden.“.

„Es wird nicht lange dauern. Wenn ich fertig bin, werde ich sofort wieder kommen und mich um dich kümmern.“, beschwichtigte ich ihn.

„…Aber beeil dich!“
 

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Das war doch wohl wirklich nicht zu fassen! Wie konnte er nur?! Ich hatte mir verdammt noch mal Sorgen um meinen Sohn gemacht! Und er - was machte ER?!

Es war zum aus - der - Haut - fahren!!!

Die Vase dort kam gerade recht! Noch eben im Regal gestanden, lag sie nun in tausend Teile zerbrochen auf dem Boden. Ich fühlte, dass es mir besser ging - aber noch immer nicht gut genug!

Runter mit den Vorhängen! Die hatten mich schon immer gestört! Ich stellte mir dabei einfach vor, ich würde den schönsten Sonntagsmantel meines Sohnes zerreißen. Und ich stellte erschrocken fest, dass es mir Genugtuung verschaffte.

Wie eine tollwütige Fledermaus fegte ich durch das Zimmer und riss dabei alles zu Boden, was nicht niet- und nagelfest war. Alles um mich herum klirrte und schepperte, riss und polterte. Ich war wie im Rausch!

Sogar vor meinen geliebten Büchern machte ich nicht Halt. Ich wusste nicht, was ich tat - was ich den Büchern und vor allem mir antat! Ich wusste nur, dass ich mich mit jedem zerbrochenen Gegenstand besser zu fühlen schien.

Doch schon bald sollte ich feststellen, dass es keine kleineren Gegenstände mehr gab, die ich wahllos durch den Raum schmettern konnte. Jedoch die großen Gegenstände blieben. Ohne Sinn und Verstand raste ich auf eines der großen Bücherregale zu und warf mich mit voller Wucht dagegen. Die dabei aufkommenden Schmerzen in meiner Schulter ignorierte ich dabei. Ich ignorierte alles!
 

Erst die Stimme Sarahs riss mich aus meinem Rausch.

„Breda! Bist du verrückt geworden?!“, schrie sie und kniete sich auf den Boden, um sich das Ausmaß meines Wutanfalls anzusehen.

Ich hatte mich scheinbar so sehr in meine Wut hineingesteigert, dass ich noch nicht einmal bemerkt hatte, wie sie ins Zimmer gekommen war.

Schwer atmend ließ ich mich auf den Boden sinken. Auch mir wurde das Ausmaß meiner Verwüstung nun bewusst – Meine Bücher! Meine Dokumente! Alles…war zerstört… Ich ließ den Kopf in meine Hände sinken und seufzte tief.
 

Plötzlich fühlte ich, wie mich jemand an der Schulter berührte – Sarah. Sie kniete sich zu mir herunter und legte mir die Arme um den Hals. „Schhh, beruhige dich, Liebster. Es ist alles in Ordnung. Herbert und uns geht es gut.“, versuchte sie mich zu beruhigen. Offenbar war sie die Einzige, die bemerkte, welche Sorgen ich mir tatsächlich um Herbert gemacht hatte.

Ich war so verdammt froh, in dem Moment, als ich ihn ins Schloss kommen sah. Aber gleichzeitig war ich auch unsagbar wütend. Und meine Wut überragte meine Erleichterung – leider.

Die zärtlichen Berührungen meines Sternkindes holten mich wieder zurück aus meinen Gedanken.

„Komm, Breda. Deine Eltern wollen abreisen. Ich sage Koukol später Bescheid, dass er hier aufräumen soll.“ Ich nickte geschlagen. Es war wohl wirklich das Beste meine Eltern so schnell wie nur möglich zu verabschieden. Somit waren schon einmal zwei „Probleme“ weniger im Schloss. Seufzend richtete ich mich wieder auf und wurde von meiner Frau noch ein wenig hergerichtet. Scheinbar waren mir ein paar Strähnen meines Haares ins Gesicht gefallen. Sie grinste, als sie sie mir wieder zurückstrich.

Mit einem leidenschaftlichen Kuss beendeten wir unsere kleine Liaison und gingen aus dem Raum in Richtung Eingangshalle, wo wir meine Eltern vermuteten.
 

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Da ließ man Breda mal fünf Minuten aus den Augen…

Er hatte aber auch wirklich alles hier zu Kleinholz verarbeitet! Unfassbar, was für ein Chaos ein einzelner Vampir in so kurzer Zeit anrichten konnte.
 

Er schien wirklich ziemlich aufgebracht. Ich war mir nicht sicher, ob ihm selber bewusst war, was er gerade getan hatte. Seine Schriftstücke bedeuteten ihm eigentlich immer sehr viel. Offensichtlich hatte er sich Sorgen um Herbert gemacht, und war nun umso wütender – ja, gerade zu außer sich. Sogar das große Massivholz-Regal hatte er umgeworfen!

Entsprechend sah er nun aus, mit zerzausten Haaren und unordentlicher Kleidung. Ursprünglich war ich hier her gekommen, um Breda nach unten zu holen, weil Richard und Marie sich von uns verabschieden und dann aufbrechen wollten; nicht um eine Furie zu zähmen… Doch auch das sollte für mich kein Problem darstellen. Im Nu war seine Garderobe wieder ansehnlich und mit ein paar Zärtlichkeiten auch Bredas Gemütszustand gesellschaftsfähig. Den Rest würde Koukol schon erledigen – wofür hatte man denn schließlich Personal?!
 

Allein meine Anwesenheit wirkte sich positiv auf seine Stimmung aus. Wir gingen etwas langsamer als vielleicht normal den Korridor entlang zur Eingangshalle, wobei Breda liebevoll einen Arm um mich gelegt hatte. Wie froh würde ich sein, wenn wir endlich wieder mehr Zeit füreinander hatten.

Richard konnte die Abreise offenbar auch nicht mehr abwarten. Ungeduldig schritt er auf und ab, während Alfred hin und wieder die große Treppe rauf, und mit schweren Koffern beladen wieder runter und durch die Eingangstür nach draußen zur Kutsche lief. Wir blieben erst einmal mitten in der Halle stehen und besahen uns das Schauspiel. Interessant, wie gehorsam Alfred Anweisungen Folge leistete – egal wer sie ihm gab. Allerdings war es wohl mehr seine Höflichkeit, die es ihm zur Pflicht machte, einer Dame – wie auch Marie eine war – jede Bitte zu erfüllen. So trug er Koffer für Koffer zur Kutsche…

Genau, Marie. Wo war sie eigentlich? Wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich sie nicht mehr gesehen, seit wir hier im Schloss angekommen waren. Alfred war bereits dabei, das Gepäck in der Kutsche zu verstauen, also konnte Marie nicht mehr damit beschäftigt sein, die Koffer zu packen – merkwürdig. Das schien auch Breda zu finden.

„Sag mal, Richard, wo ist denn Marie?“, fragte er.

„Das wüsste ich auch gern. Ich warte hier schon seit einer viertel Stunde auf sie!“, antwortete Richard genervt.

„Vielleicht wollte sie sich noch etwas frisch machen, bevor ihr die Heimreise antreten?“, warf ich ein.

„Wahrscheinlich… das wäre ja mal wieder so typisch Frau!“, raunte Richard zu Breda, woraufhin dieser nur grinste. Und DAS war dann also mal wieder typisch Mann! Da ich mich aber nicht mit Richard anlegen wollte, verkniff ich mir weitere Kommentare zu diesem Thema – auch wenn mir noch so einiges dazu eingefallen wäre!
 

Allmählich machte mich das Auf- und Ablaufen von Richard nervös, zudem die Schritte auf dem Marmorboden widerhallten. War es denn so schwer, ein paar Minuten zu warten? Für einen Mann wahrscheinlich schon…

„Wo bleibt sie denn?! Was kann sie denn machen, dass so lange dauert?“, meckerte Richard, „Wir wollten eigentlich noch heute Nacht losfahren… Warum brauchen Frauen auch immer eine halbe Ewigkeit bei allem, was sie machen?!“.

„Sie wird sicher gleich auftauchen…!“, zischte ich gereizt. Dass Männer auch immer so ungeduldig sein mussten!
 

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Wie lange war Alfred nun schon weg? Ein paar Minuten – eine halbe Stunde? Er wollte doch sofort zurückkommen… Zu dumm, dass sich die große Standuhr direkt hinter mir im Raum befand – keine Chance, die Uhrzeit von hier aus einzusehen. Vielleicht, wenn ich mich umdrehte…

Nein, ich würde doch besser bleiben wo ich war – und meinen Fuß nicht mehr bewegen! Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht vor Schmerz laut zu schreien.
 

„Herbert?“ Marie; ich hatte sie gar nicht bemerkt.

„Was ist los mit dir? Warum bist du nicht bei den anderen?“

Was sollte ich denn auch bei den anderen? Mir Vorwürfe machen lassen, weil ich so dumm und leichtsinnig gewesen war?!

Sie setzte sich in einen der Sessel, die neben dem Sofa um einen kleinen Tisch herumstanden, „Geht es dir gut? Alfred hatte vorhin Verbandszeug in der Hand und meinte, er wollte zu dir?“.

Was wollte sie hören? Das ich zu blöd war, auf meinen eigenen Schuhen zu laufen?! Das Ergebnis war ja wohl klar zu erkennen…

„Na gut, wenn du nicht mit mir darüber reden möchtest…“

Nein, das wollte ich durchaus nicht. Es waren einfach genug blöde Kommentare für heute.

„Ich wollte mich nur von dir verabschieden, Richard und ich werden gleich aufbrechen.“, sie erhob sich von dem Sessel und kam zu mir rüber, um mir einen Kuss auf die Stirn zu geben, „Auf Wiedersehen, Herbert.“.

„Wiedersehn’.“, murmelte ich.

„Ich hoffe, dein Fuß tut nicht mehr all zu sehr weh…“, mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.
 

Wieder einmal war ich allein – ganz alleine.

Wo blieb denn Alfred bloß?! Er war nun definitiv länger als ‚nicht lange’ weg gewesen. Dabei wollte er sich doch um mich kümmern… Aber wahrscheinlich war ihm etwas Wichtigeres dazwischen gekommen. Ich war ihm offenbar nicht so wichtig – sonst wäre er ja schon längst wieder hier. In dem Fall wäre es allerdings einfacher gewesen, wenn er mir gleich gesagt hätte, dass ich ihm auf die Nerven gehe.

…Das wäre ja auch nicht weiter verwunderlich, so dämlich, wie ich mich anstellte… Viel mehr war es ein Wunder, dass er es so lange mit mir ausgehalten hatte.
 

So lag ich also auf dem Sofa im Salon und betrachtete die Deckentäfelung. Erstaunlich, wie oft sich dieselben Muster wiederholten und so ein neues Ganzes bildeten, ohne dabei ihre Eigenständigkeit zu verlieren… Jedes wirkte für sich wie ein eigenes kleines Kunstwerk aus dunklem Holz geschnitzt und bis zur Perfektion poliert.

In den Ecken des Raumes sammelten sich bereits Spinnenweben – es wurde Zeit, das Koukol hier mal wieder sauber machte. Auch wenn mein Vater dieses verstaubte Flair gern um sich hatte…

Ich gähnte herzhaft. Vielleicht sollte ich die Zeit nutzen und ein wenig schlafen, denn wenn ich ehrlich war, war ich todmüde. Ich schloss die Augen, döste vor mich hin… Aber ich konnte beim besten Willen nicht einschlafen. Warum konnte der Schmerz in meinem Fuß auch nicht nachlassen?! Träge richtete ich mich wieder auf, um den Eisbeutel, den Alfred mir gebracht hatte, zurecht zu rücken.

…Alfred; so langsam wurde ich den Gedanken nicht mehr los, dass er mich einfach vergessen hatte… Es war schon mindestens eine halbe Stunde vergangen – wenn nicht sogar schon einen ganze – seitdem er weg war.

Auf einmal fühlte ich mich nur noch einsam und verlassen – und ich konnte nichts dagegen tun!
 

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War ich hier eigentlich das Hausmädchen für alle?!

Nun ja, Herbert konnte nicht wirklich etwas dafür… Und Marie eigentlich auch nicht, die Koffer waren wirklich sehr schwer gewesen…

Aber jetzt war ich nur noch froh darüber, dass bald wieder etwas Ruhe im Schloss einkehren würde, nachdem wir Marie und Richard verabschiedet und diese sich auf den Heimweg gemacht hatten. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann es das letzte Mal so lange gedauert hatte, ungebetene Gäste zu verabschieden…!

An eine Pause war jedoch nicht zu denken; ich musste ja noch zu Herbert. Er wartete sicher schon auf mich. Ein Blick auf die Uhr bestätigte es mir – eine dreiviertel Stunde hatte ich ihn bereits warten lassen. Dabei hatte ich mich schon beeilt, die Koffer vom Zimmer in die Kutsche zu schaffen…
 

Endlich erreichte ich den Salon. Leise öffnete ich die Tür – vielleicht schlief Herbert ja. Ein bisschen Ruhe würde ihm nach den Strapazen nur gut tun.

Doch empfangen wurde ich von einem vorwurfsvollen Blick, „Wo warst du so lange?“.

„Tut mir leid, dass du warten musstest. Es hat unglaublich lange gedauert, die beiden zu verabschieden, nachdem die ganzen Koffer in der Kutsche verstaut waren...“, begründete ich meine Verspätung.

„Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.“, murmelte Herbert.

„Jetzt bin ich ja da…“, gab ich kurz zurück. Ja, es gab auch noch andere Leute außer ihm auf der Welt.
 

Während Herbert weiterhin das Muster des Sofabezuges studierte, machte ich mich daran, passendes Verbandszeug herauszusuchen. Nachdem ich dies gefunden und mich zu ihm auf das Sofa gesetzt hatte, nahm ich das Eis von dem nur noch leicht geschwollen Fußgelenk, um es zu bandagieren.

„Mir war so langweilig… und ich war so alleine…“, fing er von neuem an. Für die Verspätung hatte ich mich doch bereits entschuldigt.

„Wenn ich hier einen Verband anlegen soll, musst du schon still halten…“ Er war fast so schlimm wie ein kleines Kind.

„Du hättest dich ruhig ein bisschen beeilen können.“

„Ja, das hätte ich…!“ Wie gut, dass ich von Natur aus eher ruhig und nicht aufbrausend war…

„Ich hab mindestens eine Stunde auf dich gewartet…“

Wenn er nicht still hielt, musste ich den Verband eben etwas fester anziehen… „Es war eine dreiviertel Stunde, um genau zu sein.“

„Aaau, verdammt! Pass doch auf!“, fuhr Herbert mich an.

„Ich passe auf! Du wolltest doch, dass ich mich beeile!“, fuhr ich ihn nun meinerseits an.

„Aahhh, lass das! Das tut weh…!“

„Entschuldige!“

„…“
 

Vielleicht war ich doch ein wenig zu grob zu ihm, „Es tut mir leid, Herbert. Ich wollte nicht-“.

„- Schon gut!“
 

Oh man, was für eine Nacht. Ich betete, dass er nicht auch noch anfangen würde zu weinen. Denn dann hätte mein ohnehin schon schlechtes Gewissen mir den Rest gegeben.

Vorsichtig lockerte ich den Verband etwas und fuhr fort. Nach ein paar Minuten war ich fertig mit dem Verband – und den Nerven. Herbert hatte in der ganzen Zeit nicht ein Wort verloren, mich nicht einmal angesehen. Er hatte nur stur vor sich hin gestarrt. Woher sollte ich nun wissen, ob der Verband so in Ordnung war, oder immer noch zu fest?!

„Geht das so, oder ist das zu fest?“, fragte ich ihn zögerlich.

„Ja, perfekt…!“, murmelte er wieder. Na toll, das war ja sehr aufschlussreich…

„Du musst mir schon sagen, wenn etwas nicht stimmt.“, bat ich ihn.

„Nein, es ist alles in bester Ordnung. Du kannst dich wieder wichtigen Dingen widmen.“, sagte er mit kräftiger Stimme. Was sollte das denn jetzt schon wieder heißen?
 

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Endlich waren sie weg! Nun hatten wir das Schloss wieder ganz für uns alleine. Umso mehr genoss ich die Zweisamkeit mit Sarah. Sie verstand es einfach, einen von den alltäglichen Problemen abzulenken und auf die angenehmen Dinge aufmerksam zu machen. So saßen wir gerade gemütlich im Speisesaal und ließen uns von Koukol einen kleinen Imbiss servieren, während mein Sternkind mit meinen Haaren spielte; sie um den Finger zwirbelte; mir den Nacken krauelte…

War da nicht eben jemand zur Tür herein gekommen?
 

„Hallo, Alfred! Wo hast du denn gesteckt?“, trällerte Sarah interessiert. Und aus war es mit der Ruhe und Zweisamkeit…

„Entschuldigung, ich wollte nicht stören. Ich werde wohl besser wieder gehen…“, brachte der Student hervor als er erkannte, dass er uns gerade gestört hatte und war bereits wieder auf dem Weg nach draußen, als Sarah ihn aufhielt, „Du störst nicht. Bleib doch und iss auch eine Kleinigkeit.“. Ich seufzte innerlich. Jetzt war Alfred schon mal so schlau und hatte erkannt, dass er nicht erwünscht war, da redete Sarah ihm auch noch das Gegenteil ein.

„Also, wo warst du?“, fragte sie erneut.

„Bei Herbert.“, gab Alfred kurz zurück. Sehr gesprächig war der Junge heute wohl auch nicht – na ja, umso besser. Warum sah er dabei nur ausgerechnet mich so an?

„Ach so…“, sagte ich, nur um die angespannte Stille zu durchbrechen und den Blickkontakt zu Alfred zu beenden. Sarah reichte ihm ein Glas mit Blut – er nahm einen Schluck.

Warum sagte denn keiner was? Ach ja – wir hatten auch keine Unterhaltung geführt, bevor Alfred aufgetaucht war… Zu schade aber auch! Noch immer blickte er abwechseln zu Sarah und zu mir. Was sollte das?

Dann fiel mir glücklicherweise doch noch ein Gesprächsthema ein, „Wo wir gerade bei Herbert sind – wo ist der eigentlich schon wieder?!“.

„Unten, im Salon – immer noch.“, antwortete Alfred. Also heute war er wirklich sehr kurz angebunden. Da versuchte man schon mal, eine Unterhaltung in Gang zu bringen…

„Und was macht er dort?“, versuchte ich es noch einmal.

„Er spielt Schiffe-Versenken!“ War da etwa ein Hauch von Sarkasmus rauszuhören? Gut, wenn Alfred dieses Niveau wünschte, „Warum kommt er denn dann nicht her? Wir könnten doch mitspielen.“.

„…Entschuldigt mich, Jungs, ich werde schnell noch etwas frisches Blut holen… Bin gleich wieder da!“, rief Sarah uns zu als sie aus dem Raum lief. ‚Jungs’?! Damit hatte sie ja wohl hoffentlich nicht auch mit gemeint! Noch bevor ich dazu kam, über den doch recht beträchtlichen Reifeunterschied zwischen Alfred und mir nachzudenken, meldete sich selbiger auch schon zu Wort, „…Weil es ist ihm auf Grund einer akuten Distorsion des rechten Sprunggelenks mit teilweiser Außenbandruptur nicht möglich ist, hier zu erscheinen!“.

Einen Augenblick lang wusste ich nicht, was ich dazu sagen sollte.

„Aber das scheint hier ja nicht von Interesse zu sein.“, setzte er nach. Woher sollte ich denn wissen, dass Herbert diesmal nicht nur simulierte. Es war immerhin typisch für ihn, aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen…

„…Er hätte ja auch mal was sagen können…“, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen.

„Wer hat ihn denn nicht zu Wort kommen lassen?!“ Diese Seite an Alfred kannte ich noch gar nicht – so energisch. Das war ich sonst nur von Sarah gewöhnt.

Ich entschied mich, nach dem Rechten zu sehen, „Na dann ist es jetzt wohl meine Pflicht, mal nach ihm zu sehen?!“, und stand vom Tisch auf.
 

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Und ich hatte doch Recht – ich ging Alfred auf die Nerven! Das hatte er mir eben klar zu verstehen gegeben, bevor er mich wieder sitzen gelassen hatte. Anscheinend war ich hier nur noch unerwünscht, niemand interessierte sich mehr für mich… Gut, dass Koukol so umsichtig gewesen war, mir meinen Lieblingsteddy – Alfred – vorbeizubringen. So war ich wenigstens nicht mehr ganz alleine.

Ich starrte auf meinen bandagierten Fuß. Er tat immer noch weh – aber viel mehr schmerzte der Gedanke daran, wie Alfreds zarte Finger, die so sanft hätten sein können, so grob gewesen waren… Es war für ihn nur eine lästige Pflicht, mich zu verarzten.
 

Plötzlich flog die Tür auf, „Da bist du ja!“. Sarah – was wollte ausgerechnet sie hier?

„Du fragst dich sicher, was ich hier will… Nun, hier ist die Aufmerksamkeit, die du anscheinend so dringend brauchst!“

„Wenn du dich nur über mich lustig machen willst, kannst du auch gleich wieder gehen.“, gab ich ihr missmutig zu verstehen.

„Wieso sollte ich mich denn über dich lustig machen?“, langsam ging sie um die Couch herum, auf der ich lag, „Etwa weil du bloß simulierst, damit du im Mittelpunkt stehst und sich alle nur um dich kümmern?“. Wie konnte sie etwas so gemeines auch nur denken?

„Glaubst du etwa, ich mache das hier zum Spaß?!“, erwiderte ich empört.

„Warum nicht?! Für Aufmerksamkeit tut jemand wie du doch alles!“
 

Gerade als ich zum Konter ansetzten wollte, merkte ich, dass soeben mein Vater gefolgt von Alfred das Zimmer betreten hatte.
 

„Na los, zeig uns doch mal, wie schwer du wirklich verletzt bist…!“, mit diesen Worten riss Sarah mir meinen Alfred aus den Händen und wedelte damit vor meiner Nase herum.

„Lass das, Sarah!“, versuchte ich ihn zurück zu erobern, „Gib ihn wieder her!“. Keine Chance, ihn zu fassen zu kriegen, solange ich hier auf der Couch blieb.

„Sarah, jetzt lass ihn und gib ihm den Teddy zurück! Er soll sich ausruhen.“, mischte Alfred sich ein.

„Du hast mir hier gar nichts zu sagen!“, widersprach Sarah und hüpfte ein paar Meter vor mir herum.

„Bitte, das ist doch kindisch!“, lies Alfred nicht locker.

„Was fällt dir ein, Sarah kindisch zu nennen?!“, mischte sich nun auch noch mein Vater ein, „Sie hat Recht – du hast ihr gar nichts zu sagen!“.

„Wenn sie vernünftiger wäre, bräuchte ich ihr das auch nicht sagen!“, beharrte Alfred.

„Willst du auch noch behaupten, Sarah wäre unvernünftig?!“, schnaubte mein Vater. Hoffentlich wusste Alfred, mit wem er sich da gerade anlegte…

„Komm schon, steht doch auf, wenn du deinen Teddy haben willst!“, provozierte Sarah mich weiter.

„Ich kann nicht und das weißt du auch!“, verteidigte ich mich.

„Du tust doch bloß so!“, jetzt drehte sie meinem Alfred auch noch ganz langsam den Kopf um… Es war nicht mit anzusehen! Warum tat denn niemand etwas dagegen?

…Weil Alfred gerade damit beschäftigt war, sich mit meinem Vater auseinander zu setzen…

„Na los! Oder willst du, dass dein kleiner Freund hier seinen Kopf bald unterm Arm tragen kann?“, spottete Sarah weiter. Nein, das würde sie nicht wagen… Gleich würde der Kopf wirklich abreißen…!

Gerade, als sie es am wenigsten erwartete, sprang ich auf und entriss Alfred ihren Fängen. Dass mich dabei ein reißender Schmerz in meinem Fuß unsanft zu Boden gehen ließ, war in diesem Moment nebensächlich. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass mir die Tränen in die Augen schossen.
 

„Jetzt tu nicht so – du hast deinen dämlichen Teddy doch wieder!“, Sarah konnte so grausam sein!

„Der Teddy ist nicht dämlich!!!“, brachte ich gerade noch heraus. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, nicht zu weinen. Diese Blöße würde ich mir vor Sarah nicht noch einmal geben! Außerdem würde ich es nicht ertragen, deshalb von ihr ausgelacht zu werden… Gerade würdevoll war es jedoch auch nicht, wie ich hier am Boden saß und meinen Fuß umklammert hielt – stets bemüht, nicht vollends in Tränen auszubrechen.
 

„Herbert…?“, langsam kam Sarah ein paar Schritte auf mich zu.

„Was willst du noch?!“, schrie ich sie an, um das Zittern in meiner Stimme zu überspielen.

„…Ist alles okay mit dir?“, fragte sie scheinheilig. Wofür hatte diese Frau eigentlich Augen im Kopf?!

„Nichts ist okay, das siehst du doch!“ Ich hatte es aufgegeben, gegen die Tränen ankämpfen zu wollen – sie waren einfach in der Überzahl.

Warum waren eigentlich alle hier, wenn es doch für niemanden von Bedeutung war, wie es mir ging? Da konnten sie ebenso gut wieder gehen. Warum taten sie das eigentlich nicht?! Ich spürte die Wut in mir aufsteigen…

„RAUS! Ich will keinen mehr von euch sehen…! Raus! ALLE!“, brüllte ich. Ich war so wütend – am meisten auf mich selber. Wieso war ich auch so naiv gewesen, zu glauben, ich wäre für irgendjemanden wichtig?!
 

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„Sei verdammt noch mal ruhig, Herbert! Siehst du nicht, dass ich mich hier unterhalte?!“, herrschte der Graf seinen Sohn an, welcher völlig aufgelöst auf dem Boden kauerte und seinen Fuß festhielt.

Sah er denn nicht, dass sein Sohn Hilfe brauchte – und diese sinnlose Diskussion über Autoritätsverhältnisse total unwichtig war?! Adelstitel hin oder her!

Besorgt eilte ich zu Herbert hinüber, „Kannst du aufstehen?“.

„Geh weg! Geht alle weg!“, schluchzte er, „Lasst mich einfach alle in Ruhe!“.

„Alfred! Wir waren noch nicht fertig!“, harschte der Graf jetzt mich an. Es war wirklich nicht zu glauben… Kurzerhand schob ich erst Sarah, dann ihren Eroberer wortlos zur Tür raus – nicht ohne ihnen noch einen bösen Blick zuzuwerfen – um dann die Tür ins Schloss zu knallen.

Nun war es wieder ganz still im Raum. Nur Herberts leises Wimmern war zu vernehmen. Langsam näherte ich mich ihm, wie man sich einem verletzten Rehkitz näherte, das man nicht verschrecken wollte; „Lass mich dir wenigstens bis aufs Sofa helfen…?“. Zumindest kam keine Gegenwehr, „Kannst du aufstehen?“. Ein zaghaftes Nicken. Ein erster Erfolg.

Vorsichtig half ich ihm auf das Sofa, wo ich seinen Fuß wieder auf ein Kissen legte, „Kannst du den Fuß bewegen?“.

„Ja, ist nicht so schlimm…“, murmelte er, „Aber kannst du bitte trotzdem deine Hand drauf liegen lassen?“.

Meine Hand…liegen lassen…? Warum auch nicht, wenn ich schon mal bei ihm saß…

„…Danke. Es tut schon viel weniger weh…“, sagte er leise. Ich lächelte.

Herbert schien in Gedanken versunken, wie sein Blick so auf seinem Fuß und meiner Hand ruhte. Nach den Anstrengungen der letzten Stunden und Nächte musste er müde sein, er wirkte abgespannt. Außerdem war es sowieso bald Zeit, sich zur Ruhe zu legen. In ein paar Stunden würde die Sonne aufgehen.

„Möchtest du, dass ich dich zu deinem Sarg bringe?“, bot ich an.

Nach kurzem Zögern antwortete er, „Nein. Könntest du bitte gehen? Ich möchte allein sein…“.

Einen Augenblick sah ich ihn ungläubig an, kam dann aber seiner Bitte nach und ging zur Tür.

Kaum, dass ich die Tür erreicht hatte, kam mir Sarah entgegen. Hatte sie es immer noch nicht verstanden…?! Doch ehe ich etwas sagen konnte, hielt Sarah mir einen frischen Eisbeutel vors Gesicht. „Den wollte ich Herbert nur schnell bringen, ich denke, den kann er gebrauchen.“, flüstere sie, sich an mir vorbei durch die Tür schiebend. Nachdenklich schaute ich noch einmal zurück zu Herbert, bevor ich die Tür hinter mir schloss.

Abrupt blieb ich stehen, als ein großer Schatten vor mir auftauchte, „Wo waren wir stehen geblieben?“. Nicht schon wieder… der Graf. „Entschuldigung, mir ist heute wirklich nicht mehr nach Machtspielchen.“, wehrte ich die Unterhaltung ab.

Komisch, augenscheinlich wartete er schon die ganze Zeit hier vor der Tür… Natürlich konnte er Herberts Zustand nicht einfach übergehen – immerhin handelte es hier um seinen einzigen Sohn. Ich blieb stehen und drehte mich um; tatsächlich lehnte er an der Wand und wartete darauf, dass sich die Tür wieder öffnete. Keine Ahnung, ob er bemerkt hatte, dass ich noch nicht gegangen war, sondern ihn beobachtete, aber er ließ sich nichts anmerken. Ob er wohl nur auf Sarah wartete, oder womöglich auch zu Herbert wollte…?
 

„Mit Verlaub, Exzellenz, vielleicht solltet Ihr nicht so tatenlos herumstehen, sondern Euch endlich mal um Euren Sohn kümmern.“ - War ich verrückt, oder was war plötzlich in mich gefahren, dass ich mich in so einem Ton an den Grafen wandte?!

Dies schien er ebenfalls bemerkt zu haben und schritt drohend aus dem Schatten, in dem er zuvor noch gestanden hatte.

„Sag das noch einmal…!“, flüsterte er gefährlich leise und kam einen weiteren Schritt auf mich zu. Ich schluckte. Dennoch straffte ich meine Haltung und bot ihm erneut die Stirn - versuchte es zumindest…

„Ich sagte, dass Ihr Euch endlich einmal um Euren Sohn kümmern solltet, Exzellenz!“, wiederholte ich nun etwas lauter und war, ob meines Mutes selbst überrascht! Ich ließ mich auch nicht einschüchtern, als der Graf einen weiteren Schritt auf mich zutat…
 

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Da lag er, der Arme…

Er tat mir wirklich leid, wie er so dasaß… Sich schniefend den Fuß haltend und hin und wieder mit dem Ärmel seines Hemdes über seine Augen wischend. Er zuckte fast unmerklich zusammen, als ich, ob seines Anblickes, leise aufseufzte.

„Ich hatte dich doch gebeten mich allein zulassen, Alfred…“, schniefte er mit brüchiger Stimme, der er versuchte einen festen Klang zu verleihen. Ich tat einen Schritt Richtung Sofa.

„Ich bin nicht Alfred.“

Blitzartig drehte sich Herbert auf dem Sofa um und sah mich an. Ich konnte den Blick in seinen Augen nicht lesen. Hass, Trauer, Widerwillen oder doch Hilflosigkeit?

„Was willst du?“, fragte er abwertend und musterte mich ausgiebig. Ich lächelte entschuldigend und hielt den kleinen Eisbeutel etwas weiter in die Höhe, sodass er ihn sehen konnte.

„Ich habe dir einen neuen Eisbeutel mitgebracht… dein jetziger ist bestimmt schon warm…“, murmelte ich und setzte mich zu ihm aufs Sofa. Misstrauisch musterte er mich.

„Willst du dich an meinem Leid weiden, oder bei Paps Eindruck schinden?“, fragte er und sah mich mit durchdringendem Blick an. Ich schüttelte den Kopf.

„Nein.“, antwortete ich ihm. „Herbert“, begann ich, „es tut mir ehrlich leid und ich wollte dir hiermit wenigstens ein bisschen helfen…“

Scheinbar glaubte er mir noch nicht so recht.

Ich hielt den Kopf ein wenig gesenkt. Ich hatte wirklich nicht gedacht, dass er sich verletzt hatte… sonst hatte er doch auch immer Schmierentheater gespielt, um Aufmerksamkeit zu erlangen… Nun… diesmal offensichtlich nicht.

Als er keine Anstalten machte, ein weiteres Wort an mich zu richten, erhob ich mich mit rauschenden Röcken und tauschte den Eisbeutel vorsichtig aus. Den mittlerweile erwärmten Beutel nahm ich an mich und trug ihn mit mir aus dem Raum.

Als ich die Türe öffnete, hörte ich nur ein leises „Danke“ seitens Herberts.
 

Kaum hatte ich die Türe wieder hinter mir geschlossen, drangen auch schon die Stimmen meines Mannes und Alfreds an mein Ohr. Und sie waren nicht gerade leise!

„Wie ICH meinen Sohn erziehe bleibt ja wohl ganz allein MIR überlassen!“, wetterte mein werter Liebhaber und gestikulierte wie wild mit Händen und Armen.

„Auf solch eine Erziehung könnte jedes Kind getrost verzichten! Vom eigenen Vater ignoriert! Und so was nennt Ihr dann auch noch Erziehung! Das ich nicht lache!“ - Huch! Wo hatte Alfred denn plötzlich den Mut die Stimme gegen meinen Breda zu erheben? Aber ich musste zugeben, dass er nicht Unrecht hatte…

Breda hatte Herbert in den letzten Stunden wirklich vernachlässigt. Er hätte ja wenigstens einmal nach ihm sehen können. Immerhin war er sein Vater und als ein solcher hätte er es eigentlich als Erstes merken müssen, dass etwas mit seinem Sohn nicht stimmte…

„Ich höre ja wohl nicht recht! Nunmehr seit über 200 Jahren erziehe ich meinen Sohn schon und werde als sein Vater wohl sehr gut wissen, was am Besten für ihn ist!“, schrie Breda, sodass ich schon Angst hatte, er würde Alfred im nächsten Augenblick an den Hals springen.

„Und was sollte, Ihrer Meinung nach, momentan das Beste für Ihren werten Herrn Sohn sein?“, fragte Alfred zynisch.

„Sein Vater.“, mischte auch ich mich nun in das Gespräch ein und erntete, wohl wegen meiner Aussage, verwirrte Blicke Seitens Alfreds und Bredas. Ich schritt auf meinen Liebsten zu und legte ihm beruhigen eine Hand auf den Arm.

„Geh zu ihm, Breda. Er braucht dich wirklich.“, lächelte ich. Breda ließ die Angespanntheit aus seinem Körper entweichen und nickte. Bevor ich mich wieder von ihm entfernte, um den Eisbeutel erneut zu kühlen, gab ich ihm noch einen kleinen Kuss.

Dann machte ich mich grinsend auf den Weg in die Küche. Mal sehen, ob sich für heute Abend nicht noch ein kleines Mahl für mich und meinen Mann herrichten ließ…
 

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Vielleicht hatte Alfred ja Recht gehabt? War ich wirklich so ein schlechter Vater? Sogar Sarah erschien besorgt – um Herbert! Und, dass die beiden sich noch nie sonderlich gern hatten war eine Tatsache…

Fest stand, dass es jetzt an mir lag, das zu klären!
 

Bevor ich jedoch die Tür zum Salon öffnete, drehte ich mich noch einmal um. Alfred sah mich mit einem nicht eindeutig einzuordnenden Blick an… Da wurde er schon von Sarah den Gang entlang in Richtung Küche geschoben. Dann würde ich nun also zu Herbert gehen…

Leise klopfte ich an die Tür… „NEIN!!!“

Ehrlich gesagt hatte ich nichts anderes erwartet – es war Herbert. Daher betrat ich den Raum trotzdem.

„Was willst du?!!“, fauchte Herbert, noch bevor ich ganz eingetreten war.

Ich musste mich sammeln, ehe ich antworten konnte. Sarah hatte Recht, er brauchte jemanden… Völlig aufgelöst saß er auf der Couch, in der Hand einen Eisbeutel, mit dem er seinen Fuß kühlte. Vereinzelt liefen ihm Tränen über das Gesicht…

„Ich bin hier, weil ich mich bei dir entschuldigen möchte.“, sagte ich mit ruhiger Stimme, „Es tut mir wirklich leid, dass ich so unfair zu dir war… dich nicht mal hab ausreden lassen…“. Ich stockte. Er hatte den Blick gehoben und sah mich an – der Ausdruck seiner Augen verriet mir, dass er mehr als überrascht war, das von mir zu hören. Um mich zu setzten, zog ich einen der Sessel näher an das Sofa.

„Herbert, ich wollte dir kein schlechter Vater sein – im Gegenteil. Ich habe immer versucht, alles richtig zu machen. Darum war ich auch häufig sehr streng zu dir.“, wieder hielt ich inne. Erst als ich es endlich wagte, dieses Häufchen Elend in den Arm zu nehmen – die erwartete Gegenwehr blieb aus – wurde mir klar, dass es keine langatmigen Erklärungen waren, die Herbert jetzt brauchte, sondern einfach nur Zuneigung.

„Als du auf einmal zur Eingangstür herein kamst mit Alfred… ich war so erleichtert, dich wieder zu sehen! Da wusste ich selber nicht, wie ich mich verhalten sollte…“, gestand ich, „…Es überkam mich einfach so…“. Wieder sah er mich an, „Ist schon okay, Paps… das versteh ich…“.
 

Herbert versuchte noch immer, die Tränen zurück zu halten. Das hatte er wohl von mir – bis zum Schluss alles versuchen, die Würde zu wahren…

…So ein Quatsch! Ich stand auf und setzte mich neben ihn auf den Rand des Sofas, wo ich ihn erneut in den Arm nahm, „Du kannst ruhig weinen…“.

Dass man gerade Herbert so etwas nicht zweimal sagen musste, dürfte wohl einleuchtend sein. So lehnte er sich sogleich an meine Schulter und vergrub das Gesicht daran. Ich verstärkte die Umarmung, strich ihm mit der Hand über den Rücken… Es war nur ein leises Schluchzen zu hören, doch er bebte innerlich – wie ich deutlich spürte.

Nun war ich es, der um Fassung rang. Wann hatte mein Sohn sich das letzte man an meiner Schulter ausgeheult? …Wann hatte ich ihm das letzte Mal die Möglichkeit dazu gegeben?!

Es stimmte, ich sollte meine Erziehungsmethoden dringend überdenken! Aber hatte Herbert überhaupt noch eine Erziehung nötig? Immerhin war er schon so gut wie erwachsen – meistens. Doch darüber würde ich mir später noch lange genug den Kopf zerbrechen können. Im Augenblick war es wichtiger, wie es Herbert ging.
 

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Völlig am Ende und fertig mit den Nerven lang ich meinem Vater in den Armen und weinte… und weinte. Ich konnte gar nicht mehr aufhören. Wie von selber rannen mir die Tränen in heißen Strömen über die Wangen.
 

Es tat so gut, jemanden zu haben, der einen einfach nur im Arm hielt. Nur war ich nicht wenig überrascht, als sich ausgerechnet mein Vater zum Ausheulen anbot. Normalerweise sah er es überhaupt nicht gern, wenn ich mich schwach zeigte – wie er es nannte.

Umso angenehmer war es, von ihm getröstet zu werden… Sogar entschuldigt hatte er sich bei mir. Dabei waren seine Erklärungsversuche eigentlich unnötig, denn ich wusste ja, wie schwer es für ihn war, die alleinige Verantwortung für dieses riesige Schloss und ein ganzes Gefolge zu haben und dabei noch auf einen Sohn Acht geben zu müssen.
 

Immer wieder strich er mir durchs Haar… streichelte mir über den Rücken… versuchte alles, mich zu beruhigen. Trotzdem war es mir einfach nicht möglich, mich zu beruhigen.

Ich hatte das Gefühl, es wäre alles zu viel für mich… Überflüssigerweise tat mein Fuß auch noch schrecklich weh… Es war wie ein großes schwarzes Loch, in das ich hinein fiel… immer tiefer…

„Schhhh, ganz ruhig. Ich bin ja bei dir.“, hörte ich meinen Vater flüstern. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich nicht nur leise vor mich hin weinte, sondern begonnen hatte, laut zu schluchzen.
 

An der breiten Brust meines Vaters fühlte ich mich so klein und unbedeutend… Unsere Umwelt – das Zimmer – nahm ich kaum noch wahr. Die kleine Sitzgruppe – sie war wie in einem dichten Neben verschwunden…

…Da waren nur noch er und ich… Wie ein kleines Kind hielt er mich nun in seiner Umarmung… Ich weinte kläglich. Meine Tränen benetzten bereits den weichen Stoff seines Hemdes.

Plötzlich spürte ich, wie ich vom Sofa hochgehoben wurde – von den starken Armen meines Vaters… Er hielt mich eng an sich gedrückt.

Noch immer hatte ich die Augen geschlossen, doch ich fühlte mich sicher. Ja, ich fühlte mich richtig geborgen… zum ersten mal seit… Alfred – in der Höhle…
 

Auf einmal wurde es kühler… zugiger.

Ich wurde vorsichtig abgelegt – auf etwas Weiches. Die weichen Polster meines Sarges… ich war so unendlich müde…

Gerade als ich glaubte, eingeschlafen zu sein, merkte ich, wie mein Vater mir liebevoll über die Wange strich, um die letzten Tränen wegzuwischen. Sanft hauchte er mir einen Kuss auf die Stirn…

„Ich hab dich lieb, Paps…!“, brachte ich noch über die Lippen.

„Ich dich auch… Was würde ich nur ohne dich machen?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Noyn-Sama
2006-05-28T20:08:43+00:00 28.05.2006 22:08
Wie geil @.@
Ich liebe Tanz der Vampire und besonders dann diese geilen ffs^^
Ich kann garnicht verstehen, das du noch kein Kommi hast!
Herbert und Alfred sind so ein süßes Paar^^
Und wie Breda sich immer von Sarah zähmen lässt, ist einfach nur zu niedlich^^
Schreibst du noch weiter? Du hast jetzt einen neuen Stammkommischreiber XDDD
Ich find die ff einfach nur genial^^
LG
Bye bye
Noyn^^
(Ich könnte noch mehr schreiben, lass es aber mal besser ^^)


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