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Verliebt in Transsilvanien

eine Fortsetzung von Tanz der Vampire
von

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Bitter Sweet Symphony

„Nein, den Flügel viel weiter da rüber! So steht er doch mitten im Weg…“ Wenn man nicht alles selber machte. Leicht gestresst wandte ich mich den anderen Dienern zu, um sie zu instruieren.

Wenigstens waren nicht alle hier so begriffsstutzig wie dieser Neuzugang von Dienstmädchen. Ich sollte mir überlegen, sie zu entlassen – oder zu beißen! Der Vorteil von sterblichem Personal war der, dass man es früher oder später von ganz allein los wurde. So ersparte man sich das lästige Ritual, jemanden zu feuern. Obwohl gerade das gelegentlich Spaß machte.
 

Schon so spät; jetzt wurde es aber Zeit, dass auch ich mich für den Ball umzog. Zügigen Schrittes begab ich mich in mein Ankleidezimmer, nahm mit sicherem Griff meine schwarze Hose, ein Hemd und eine Weste aus dem Schrank… doch wo war mein Frack?! Ich war mir ganz sicher, es in diesen Schrank gehängt zu haben! Na ja, vielleicht war es doch in dem anderen… Auch nicht. Das konnte doch nicht sein… Dann eben erst die Schuhe suchen… Besaß ich auf einmal nur noch braune Schuhe? Wo waren meine schwarzen?!

Als die Tür sich schwungvoll öffnete, konnte ich gerade noch ausweichen, wobei ich beinahe im offen stehenden Schrank gelandet wäre. Wer wagte es, in MEIN Ankleidezimmer einzutreten, ohne dazu aufgefordert worden zu sein oder auch nur angeklopft zu haben!?!
 

„Suchst du was, Liebling?“ Wer sollte es auch sonst gewesen sein?

„Hast du meinen Frack gesehen?“ Wenn sie schon mal hier war, konnte sie mir auch gleich suchen helfen.

„Meinst du diesen hier?“ Mit zielsicherem Griff hatte sie ihn aus den Tiefen des Kleiderschrankes geholt.

„Ja, genau den. Danke.“, gab ich erstaunt zurück. Hatte der schon die ganze Zeit dort gehangen?

„Aber den willst du doch wohl nicht zu DIESEM Hemd tragen, oder?“ Was war daran nicht in Ordnung? Das hatte ich schon immer getragen.

„Eigentlich schon, warum?“

„Nun ja… Nimm lieber dieses hier.“, Sarah reichte mir ein anderes Hemd – das fast genau so aussah, wie jenes, das ich bereits trug. Aber ihr zu Liebe würde ich mich natürlich noch mal umziehen. Wahrscheinlich suchte sie nur einen guten Grund, meinen muskulösen Oberkörper zu bewundern… Tja, ich hatte sie durchschaut.

„Diese Schuhe passen wohl am besten dazu…“, sie drückte mir ein paar schwarze Schuhe in die Hand, wandte sich dann gleich wieder dem Schrank zu und wühlte darin. Wo hatte sie die auf einmal her – vorhin standen die da aber noch nicht. Egal, jedenfalls war ich jetzt endlich fertig angezogen, fehlte nur noch mein Umhang… „Sarah, kannst du mir mal bitte meinen Umhang geben?“

„…So, und hier ist ein Seidenschal… ein Einstecktuch für die Weste… und noch eine Brosche für den Schal…“ Das war ja schlimmer, als meinen Sohn dabei zu haben…

„Jetzt guck nicht so und mach schon. Ich muss mich auch noch fertig machen.“ Schon gut! Ich machte ja schon! Unverschämtheit…

„Na siehst du, ist halb so schwierig – schon fertig!“, lächelte Sarah und gab mir einen zärtlichen Kuss auf den Mund, während sie mir die Brosche am Schal befestigte. Was wollte sie den jetzt noch machen? Das Kleid trug sie doch bereits…genau wie die Schuhe, die Handschuhe und diverse Geschmeide.

„Und jetzt hilfst du mir bitte noch mit der Korsage.“, befahl sie mit dem gewohnt zuckersüßen Lächeln. Diesem Befehl würde ich jedoch gern Folge leisten.

Hatte Sarah unter diesem oben rum recht engen Kleid die Korsage etwa noch nicht geschnürt? Kaum zu glauben, wie zierlich sie war! …Vor allem, wo wollte sie mit mir hin? Sie hatte mich bei der Hand genommen und zog mich hinter sich her über den Flur in ihr eigenes Ankleidezimmer… Konnte ich die Korsage nicht auch hier schnüren?
 

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Heute Abend hatte ich das Gefühl, kaum geschlafen zu haben, was wohl auch daran gelegen haben könnte, dass ich mich den halben Tag hin und her gewälzt hatte. Bisher war mir nie aufgefallen, wie unbequem so eine Holzkiste war!
 

Gerade kam ich aus dem Badezimmer und wollte mir ein paar passende Kleidungsstücke für den Ball raussuchen, als mir Herbert fröhlich pfeifend entgegen kam. Er war bereits vollständig angezogen – zu meiner Erleichterung – und hatte sich auch schon für den Ball hergerichtet. Das entsprach in Herberts Fall einem auffallenden Outfit und einer dezenten Schicht dekorativer Kosmetik, die seine nahezu perfekt proportioniertes Gesicht und seine strahlend blauen Augen betonte.

„Guten Abend, mein Süßer!“, flötete er mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Dass ich nicht ‚sein Süßer’ war, wollte er wohl nicht verstehen?!

„Guten Abend.“, antwortete ich.

„Du solltest dich lieber schnell anziehen. Die ersten Gäste werden bald da sein… Du hast heute aber ganz schön lange geschlafen.“, bemerkte er.

„Und du solltest nicht hier rumlaufen, sondern deinen Fuß hochlegen.“, erwiderte ich.

„Geht nicht, ich muss erst noch andere Tanzschuhe finden – in diese hier komme ich nicht rein…“, er hielt mir ein paar schwarze Lackschuhe mit Schnalle unter die Nase. Als er sie wieder runter nahm, schweifte mein Blick ebenfalls an ihm herunter… Er trug tatsächlich weiße Häschenpantoffeln…

„Kein Wunder, dass dir die Schuhe nicht passen. Weil du ständig durchs Schloss läufst, anstatt deinem Knöchel Ruhe zu gönnen, ist er wieder angeschwollen.“, belehrte ich ihn.

„Das stimmt doch überhaupt nicht! Ich laufe gar nicht ständig im Schloss rum!“, widersprach Herbert in gewohnt störrischem Ton.

„Und warum passen dir die Schuhe dann nicht?“, fragte ich provokant.

„Diese hier kann ich jedenfalls nicht auf dem Ball tragen!“, versuchte er abzulenken.

„Tanzschuhe wirst du aber auch nicht brauchen…“, fügte ich hinzu.

„Klar brauch ich die! Und andere passen auch gar nicht zu meinem Outfit.“, behauptete er stur.

Es war offensichtlich, dass sein Fuß noch nicht wieder völlig in Ordnung war, so wie Herbert humpelte. Wie konnte man nur so unvernünftig sein? Anders ging es wohl nicht; ich zog Herberts Arm um meine Schultern und ging mit ihm zum Ankleidezimmer, wo er sich nur widerwillig auf einen Stuhl setzen ließ.

„So, hier stehen genug Schuhe rum. Du wirst wohl was Passendes finden, wenn du unbedingt Tanzschuhe tragen musst.“, sagte ich verständnislos.

„Und du kannst dich in der Zeit anziehen. Hier hast du ja die Auswahl…“, grinste er, wobei er an meinem Bademantel zupfte. Soweit kam es noch – ich zog mich vor ihm aus! Das hätte er wohl gern gehabt…

„Stimmt, ich sollte mich auch langsam mal anziehen.“, mit diesen Worten verließ ich das Zimmer und ging in das gegenüberliegende Ankleidezimmer… Kleiderschränke gab es hier im Übermaß. Außerdem war ich nicht so wählerisch, was das anging.
 

Kaum hatte ich mich für eine einfache dunkelblaue Samthose mit dazu passendem Gehrock entschieden, flog auch schon die Tür auf. Herbert hatte natürlich versäumt anzuklopfen, „Und? Schon was gefunden, oder muss ich dir helfen?“.

„Ja und nein. Und jetzt warte bitte draußen, bis ich mich umgezogen habe.“, sagte ich überrascht durch den plötzlichen Besuch und leicht verärgert, weil er nicht angeklopft hatte. Was, wenn ich gerade dabei gewesen wäre, mich umzuziehen…

„Na los, worauf wartest du?! Hast du schon Schuhe gefunden?“, versuchte ich ihn aus dem Zimmer zu drängen.

„Für mich nicht, aber für dich. Wie ich sehen passen sie auch hervorragend zu dem Outfit, das du dir ausgesucht hast.“, meinte Herbert, auf die Sachen über der Stuhllehne deutend.

„Ja, danke.“, ich nahm ihm die Schuhe aus der Hand, „Und jetzt raus mit dir!“.

„Schon gut, schon gut.“, lachte er, „Das muss dir nicht peinlich sein.“. Rasch schloss ich die Tür hinter ihm… zu Sicherheit drehte ich den Schlüssel im Schloss einmal herum – man konnte ja nie wissen.
 

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Eine wunderbare Nacht…

Jetzt konnten die Gäste kommen! Ich sah einfach umwerfend aus – und auch Breda war zum anbeißen… wenn man seinem Verständnis von Farblehre erstmal auf die Sprünge geholfen hatte.
 

Langsamen Schrittes begab ich mich auf die Galerie in der großen Eingangshalle. Von hier konnte man alles überblicken und genau sehen, wer hereinkam, ohne selber gesehen zu werden, denn hier oben war es zu dunkel. Lediglich ein paar Kerzen brannten hinter mir an der Wand. Die Gäste sollten mich erst sehen, wenn ich den Ballsaal über die große Treppe betrat; ein gebührender Auftritt werden.

Die ersten Gäste waren soeben eingetreten, Koukol hatte ihnen geöffnet. Eine Dame in einem langen Kleid, in Begleitung eines edel gekleideten Herrn. Und da kamen auch schon die nächsten… Diesmal eine ganze Gruppe von Vampiren in zeitgenössischen Kleidern, Männer und Frauen. Bei solchen Anlässen waren Vampire scheinbar pünktlicher als sonst – wo sie doch Zeit im Überfluss hatten. Und, oh, da war ja auch Napoleon mit noch zwei Typen…

…Was machte Herbert denn da unten?! Sollte der nicht in irgendeinem Hinterzimmer sitzen und sich langweilen, anstatt die Gäste zu empfangen und topp gestylt in seinem besten Outfit zu posieren? Bewundernde Blicke der Besucher beantwortete er mit einem charmanten Lächeln… Wenn er so weiter machte, würde er mir noch die Schau stehlen! Denn nicht nur die weiblichen, sondern auch einige der männlichen Ballgäste fanden Gefallen an ihm, wie es aussah.

Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen! Wäre doch gelacht, wenn sich das nicht ändern ließe… Wo war eigentlich Breda hin?
 

Ein Wenig hektisch begegnete Breda mir auf dem Flur, „Schatz, einen Augenblick bitte, ich hab noch einiges zu erledigen…“.

„Es dürfte dich aber interessieren, was ich eben gesehen habe…“, hielt ich ihn auf, indem ich direkt vor ihm stehen blieb.

„Was hast du denn so wichtiges gesehen?“, fragte er.

„Ach, so wichtig ist es nicht. Ich dachte nur, du würdest es wissen wollen.“, taktierte ich weiter.

„Nun sag schon, was du gesehen hast.“, bat er.

„Ich weiß ja nicht, in wieweit Herbert schon wieder fit genug für den Ball ist, aber er steht zumindest gerade in der Eingangshalle und begrüßt die Gäste.“ Das dürfte ausreichen…

„Was?“ Ja, es reichte aus…

„Ich fand ja auch, dass er sich noch etwas schonen sollte, aber wenn er meint…“, fügte ich hinzu.

„Dann habe ich mich wohl nicht klar genug ausgedrückt! Er ist keinesfalls in der Lage, heute Nacht auf dem Ball zu tanzen! Und auch sonst sollte er nicht herumlaufen, sondern sich lieber irgendwo auf einen Sessel setzten und seinen Fuß hochlegen…“, schnaubte Breda. Jetzt hatte ich erreicht, was ich wollte. Gleich würde er…

„Dem jungen Mann werde ich auf der Stelle erklären, wo er sich aufzuhalten hat!“ Mit diesen Worten ging er an mir vorbei, in die Richtung aus der ich gekommen war, zur Eingangshalle. Da würde Herbert wohl ganz schön was zu hören bekommen… Genau das konnte ich mir nicht entgehen lassen, darum ging ich gleich hinter Breda her. Von dem Schauspiel wollte ich keine Szene verpassen – und eine Szene würde Herbert garantiert daraus machen, wenn man ihm verbot, auf den Ball zu gehen oder auch nur in der Menge zu baden.
 

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Richtig süß, wie Alfred sich immer noch zierte. Dabei konnte er nicht abstreiten, dass er mich doch durchaus attraktiv fand…! Tja, beim meinem Aussehen hatte er einfach keine Chance.

Aber dieser Kerl hier war auch nicht schlecht ausgestattet… Ob Napoleon wohl auffiele, wenn einer seiner Pagen fehlte?

„Herbert von Krolock!“ Oh nein, was hatte ich denn jetzt schon wieder angestellt?

„Hallo, Paps.“ Ich hatte doch überhaupt nichts gemacht!

„Kommst du bitte mal mit hier rüber?!“, befahl er mit einem Ton, der keine Widerrede duldete, hakte mich unter und zog mich zu einer kleinen Bank am Rand der Halle, „Was hast du dir dabei gedacht?“.

„Wobei gedacht?“, fragte ich völlig verwundert.

„Tu nicht so, das weißt du ganz genau.“ Warum wurde ich das Gefühl nicht los, ich hätte etwas Verbotenes getan? …Nur was?

„Du brauchst mich gar nicht anzugucken wie ein Reh!“ Das tat ich doch auch gar nicht! …oder?

„Ich weiß wirklich nicht, was du meinst, Paps…“, versuchte ich ihn zu überzeugen.

„Ach Herbert…“, seufzte er, „Glaubst du vielleicht mir fällt es leicht, dir zu verbieten auf den Ball zu gehen?“. Also darum ging es.

„Aber ich habe nicht vor, den ganzen Abend zu tanzen… Nur ein, zwei Mal vielleicht.“, probierte ich zu verhandeln.

„Du weißt doch genau so gut wie ich, dass das nicht geht.“, entgegnete er, an meine Einsicht plädierend. Ob es ging oder nicht, würde ich dann ja sehen.

„Aber es geht wirklich schon viel besser – guck, ich kann schon wieder ganz alleine laufen.“, erklärte ich und stand auf, um ein paar Schritte zu machen.

„Setzt dich sofort wieder hin!“, donnerte er, „Das ist mein voller Ernst – du wirst heute nicht tanzen und dich auch sonst ruhig verhalten! Ist das klar?!“.

„Ja, Paps.“, versprach ich, etwas eingeschüchtert von der plötzlichen Lautstärke, wobei ich mich rasch wieder hinsetzte.

„Und überhaupt, beim Tanzen geht es um leichtfüßiges Schweben – nicht um schleifendes Hinken!“, kicherte Sarah von ein wenig weiter weg. Die schon wieder! Hatte diese Frau denn kein eigenes Leben? …Nun ja… Wie auch immer!

„Sarah hat Recht, es hat doch keinen Sinn, wenn du heute Nacht tanzen gehst und dich morgen nicht mehr rühren kannst.“, versuchte mein Vater es noch einmal. So hatte Sarah es zwar ganz sicher nicht gemeint, aber irgendwo hatte er ja Recht – so ungern ich das auch zugab. Doch heute Abend war das etwas völlig anderes, es war Ballnacht!

„Aber...-“

„Kein aber!“ Mein Vater war ja so uneinsichtig!

Was hatte Sarah denn jetzt wieder vor? Sie ging zu meinem Vater herüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Leider war es so leise, dass nicht mal ich es verstehen konnte, obwohl ich direkt neben ihm saß.

„Herbert, sollte ich dich heute Nacht auf der Tanzfläche sehen – und sei es auch nur für einen einzigen Tanz – kannst du dich für die komplette nächste Woche von deinem Stoffteddy verabschieden.“, verkündete er streng.

„Das kannst du doch nicht machen!“, flehte ich.

„Und ob ich das kann!“, bestätigte er seine Aussage mit einem noch viel strengeren Blick.

„Wenn du es nicht glaubst, kannst du es ja darauf ankommen lassen…“, grinste Sarah verstohlen zu mir rüber. Oh, Sarah war ja SO hinterhältig!

„Die Gäste sind schon da, allmählich sollte ich den Ball wohl mal eröffnen.“, stellte mein Vater fest.

„Ja, das solltest du. Dann kann ich mich auch endlich unter die Leute mischen.“, stimmte Sarah vergnügt zu.

Gerade als ich auch aufstehen und mich in den Ballsaal begeben wollte, wurde ich von meinem Vater am Arm ergriffen und ernst angesehen, „Du lässt dir gefälligst helfen, wenn du irgendwo hin gehst.“.

Gesagt, getan… Ich ließ mich von ihm stützen, bis wir an einer kleinen Sitzecke am äußersten Rand des großen Saales angekommen waren.

„Hier bleibst du vorerst sitzen… Ich werde ein Auge auf dich haben.“, war seine letzte nachdrückliche Anweisung, bevor er die Treppe betrat, um seine Eröffnungsrede zu halten.
 

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Stand ich jetzt also mal wieder auf den legendären Stufen der Wendeltreppe zum Tanzsaal… Wäre es nicht angebracht, auch heute Nacht meinem Gefolge ein Opfer präsentieren zu können? Ich wusste, ich hatte etwas Entscheidendes vergessen! Dann musste ich wohl improvisieren – wer kam dafür in Frage? Soweit ich wusste, waren die einzigen Sterblichen in meinem Schloss das Personal… Natascha! Natürlich, das ungeschickte Dienstmädchen. Dass ich noch nicht eher darauf gekommen war. Auf sie konnte ich am ehesten verzichten. Wenn ich ehrlich war, wollte ich sie ohnehin loswerden – gleich zwei Motten mit einer Klappe geschlagen.

Nun konnte ich mit meiner Rede beginnen. Vielleicht hätte ich Herbert wie gewohnt vorschicken sollen, damit er für Ruhe im Saal sorgte…

Ein vernehmliches Räuspern meinerseits hatte allerdings eine ähnliche Wirkung.
 

„Seit willkommen Brüder in diesem Saal. Als wir versammelt waren beim letzten Mal…“, spulte ich meinen Text ab, verwies die gierige Meute kurz auf das Dienstmädchen und eröffnete somit den heutigen Ball. Erstaunlich, wie zahlreich die Vampire trotz der sehr kurzfristigen Einladung erschienen waren. Sie hatten einfach niemals je genug. Und wo ich schon mal beim Thema war – da kam auch Sarah mit anmutigen Schritten die Treppe hinunter, um neben mir stehen zu bleiben.

Warum hatte sie eigentlich nicht das geringste Problem damit, dass man sie beachtete? Kaum, dass sie anwesend war, herrschte Stille unter den Gästen und bewundernde Blicke ruhten auf ihr. Zugegeben, sie war atemberaubend schön! Dieses Kleid stand ihr jetzt noch besser, als bei ihrem ersten Ball. Mit einem bezaubernden Lächeln begrüßte sie die Gäste und wandte sich dann wieder mir zu, „Breda, Liebling. Lass uns auch tanzen gehen.“. Wer konnte diesen Augen schon widerstehen…
 

Ein Wenig später fanden wir uns mitten in der Menge auf der Tanzfläche wieder, wo wir uns eng umschlungen im Takt der Musik wiegten.

Nachdem man die lästigen Pflichttänze einer solchen Veranstaltung, wie beispielsweise das Menuett, hinter sich gebracht hatte, konnte es sogar Spaß machen, zu tanzen. Vor allem mit einer so betörenden Schönheit wie Sarah sie war…

Und diesmal würden ganz gewiss keine Sterblichen wie der Professor und Konsorten dazwischen kommen und den geregelten Ablauf stören. Endlich konnte ich einmal einen ganzen Abend mit Sarah genießen – mit ihr tanzen oder sie einfach nur in einer ruhigen Minute in den Armen halten; sie küssen… Sie war nun eine von uns.

Offensichtlich war sie sich dessen bewusst, denn so schreckhaft und ängstlich sie noch vor kurzem den anderen Vampiren gegenüber gestanden hatte, so selbstsicher und stolz präsentierte sie sich jetzt. Sarah war einfach geboren, an meiner Seite zu herrschen. Ihre ganze Persönlichkeit schien in ihrer neu gewonnenen Unsterblichkeit aufzublühen; dennoch bewahrte sie sich dabei die unschuldige Art eines jungen Mädchens. Genau das machte den Reiz aus, den so viele ihrer Vorgängerinnen unmittelbar nach der Verwandlung zu einem Vampir verloren hatten und somit für mich nicht länger von Interesse waren. Sarah war die Erste, bei der ich das Gefühl hatte, sie sei meine Liebe wert und könnte mir etwas zurückgeben.
 

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Hatte ich es nun also geschafft, mich bis hierher durch die Massen zu drängeln, um noch etwas von der Rede des Grafen mitzubekommen. Auch wenn mir das Ganze irgendwie bekannt vorkam, war es doch etwas völlig Anderes. Diesmal musste ich nicht ständig darauf achten, dass unsere Tarnung nicht aufflog und sehen, wo der Professor gerade war. Warum dieses Mal ausgerechnet das Dienstmädchen dran glauben musste, blieb mir ein Rätsel. Scheinbar war sie dem Grafen komplett gleichgültig, nicht so wie Sarah… eine Art Spielzeug.
 

Gedankenverloren stand ich mitten im Gemenge und mein Blick hatte Sarah fixiert, wie sie in einiger Entfernung mit dem Grafen tanzte. Sie war wunderschön!

Noch immer konnte und wollte ich nicht verstehen, dass sie sich gegen mich entschieden hatte. Natürlich konnte der Graf ihr viel mehr bieten, als ich es je gekonnt hätte… und wahrscheinlich war ich nicht mal annähernd so attraktiv wie er… aber ich hatte Sarah geliebt! Ich hätte alles, aber auch wirklich alles in meiner Macht stehende für sie getan; hätte ihr jeden Wunsch erfüllt. Für sie hätte ich sogar mein Leben gegeben – was ich ja in gewisser Weise auch getan hatte…

Plötzlich wurde ich von einer kleinen Gruppe weiblicher Vampire mitgezogen auf die Tanzfläche und ehe ich mich versah, war ich von ihnen eingekesselt. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mit ihnen zu tanzen. Die Hoffnung, nach spätestens dem dritten Tanz zu entkommen, gab ich bald auf… Nicht nur, dass sie mich beim Tanzen immer mehr bedrängten, sie ließen mich gar nicht mehr gehen! Beinahe verzweifelt versuchte ich, zumindest zum Rand des Saales zu tanzen, damit ich mich dort aus dem Staub machen konnte, sobald die Musik einmal für kurze Zeit aussetzte, bevor der nächste Tanz begann.

Zugegeben, diese jungen Damen sahen gar nicht schlecht aus, doch als sich ihre mit prachtvollen Korsagen hoch geschnürten Brüste immer häufiger – rein zufällig – an mich drückten, wurde mir dann doch etwas mulmig. Vergebens versuchte ich, mir einen Weg aus der Menge zu bahnen. Waren diese Frauen immer so gierig, oder lag es an der unerträglichen Hitze im Saal, dass sie mich jetzt ganz offensiv festhielten, ohne sich mit unnützen Benimmregeln abzugeben?

Unendlich lange Minuten später war es mir gelungen, ihnen zu entkommen, indem ich einfach den nächst besten Vampir gepackt und an meine Stelle geschubst hatte. Ich hielt es wirklich keinen Augenblick länger hier aus. Die Luft war stickig und es war sehr heiß; meine Kehle war so trocken, dass sie bereits brannte. Das unangenehme Pochen in meinem Kopf bemerkte ich erst, als ich völlig entkräftet auf einem Sessel ganz am Rand des Saals saß. Mir war gar nicht aufgefallen, wie laut die Musik war.

Den unzähligen Vampiren auf der Tanzfläche schien das kaum erträgliche Raumklima nicht das Geringste auszumachen. Von hier aus hatte man einen guten Überblick über das gesamte Geschehen, wie ich feststellte. Wieder bewegten sich Sarah und der Graf in meinem Blickfeld…

Wo war eigentlich Herbert abgeblieben? Er würde es doch nicht gewagt haben, doch noch tanzen zu gehen? Angestrengt suchte ich ihn in der Menge… Nichts. Zu übersehen wäre er aber ganz sicher nicht, würde er sich dort aufhalten. Wo konnte er nur hin sein?

Ich beschloss, Sarah zu fragen, ob sie ihn gesehen hatte.
 

Nachdem sowohl Sarah wie auch der Graf mir versichert hatten, Herbert heute Nacht nicht mehr gesehen zu haben, seit er sich zu Beginn des Balls auf ein Sofa gesetzt hatte, machte ich noch eine große Runde durch den Saal – wohlgemerkt immer um den tanzenden Kern der Menge herum – nur um festzustellen, dass Herbert nicht mehr im Saal war. Aber wo sollte er sonst sein?

Da ich bei dieser unerträglich stickigen Hitze keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, verließ ich den Saal durch eine der Seitentüren und trat auf den Korridor. Ein angenehm kühler Luftzug umfing mich. Erleichtert atmete ich tief durch, musste jedoch gleich darauf husten.
 

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Sogar das untote Leben war unfair! Als ob es nicht schon schlimm genug gewesen wäre, dass ich dazu verdammt war, die Nacht auf einem Sofa sitzend zu verbringen, nein – alle anderen amüsierten sich vorzüglich…! Und ich wurde dann einfach weit abseits geparkt…

Deprimiert hatte ich eine ganze Weile dagesessen und mir das Spektakel angesehen. Alle hatten ihren Spaß – nur ich nicht. Doch wenn ich mich einfach unter die Leute mischen und tanzen würde, wäre ich meinen Teddy los und dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. Dabei ging es mir wirklich schon viel besser. Mein Fuß tat kaum noch weh und ich hätte ganz bestimmt den einen oder anderen Tanz durchgehalten… aber nein!

Jedes Mal, wenn mein Vater mit Sarah im Arm vorbeitanzte, warf Sarah mir ein gehässiges Grinsen zu. Sie brauchte kein Wort zu sagen, ich verstand sie auch so – sie war jetzt die Nummer Eins meines Vaters – ihr Blick sprach Bände.

Als ich dann auch noch mit ansehen musste, wie Alfred anfing, mit einer Horde billiger Flittchen rum zu machen, glaubte ich, meinen Augen nicht zu trauen. Bei näherem Hinsehen, war eine Verwechslung allerdings ausgeschlossen und meine schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt. Konnte ich mich so in ihm getäuscht haben? Er schien sich gar nicht mehr von ihnen losreißen zu können – sie tanzten immer enger. Hätte ich so etwas bei ihm versucht, hätte er schon längst die Flucht ergriffen… Ich hielt es nicht länger aus!
 

Wütend und verletzt hatte ich den Saal verlassen, war ziellos durch verschiedene Korridore gelaufen… Schließlich zwang mein erneut schmerzender Knöchel mich zu einer Pause. Ich war verzweifelt. Hatte Alfred mir damit endgültig den Laufpass gegeben? Wollte er, dass ich ihn sehe? Dabei hatte es in den letzten Nächten den Anschein, als wären wir uns endlich näher gekommen… Wie man sich irren konnte!

Langsam ließ ich mich an der Wand hinunter rutschen, an der ich lehnte. Ich war allein – es gab also keinen Grund, die Emotionen zurückzuhalten.
 

Es suchte nicht mal jemand nach mir… Wer denn auch? Alfred hatte neue Gesellschaft gefunden, die ihm offensichtlich mehr zusagte als die meine und mein Vater war mit Sarah beschäftigt. Im Ballsaal herrschte noch immer reges Treiben… Und ich saß hier – mal wieder – abseits und alleingelassen. Wenigstens hatte ich jetzt ein für alle mal verstanden, dass Alfred nicht das geringste Interesse an mir hatte. Deutlicher hätte er es mir auch nicht zu verstehen geben können… Ich war ihm egal…

Außerdem war es hier kalt und ungemütlich und der Boden hart. Wäre ich bloß im Saal auf dem Sofa geblieben…!

…Mist.
 

Waren das nicht Schritte? Hatte ich da nicht jemanden gehört? Hastig wischte ich mir die Tränen aus den Augen. Jemand hustete ziemlich laut… Was hatten Gäste in diesem Teil des Schlosses zu suchen? Mit noch tränenverschleiertem Blick sah ich, wie jemand um die Ecke kam und kurz stehen blieb. Ich dachte, wenigstens hier könnte ich für mich und mit meinem Schmerz allein sein.
 

„Herbert?!“, dieser jemand kam schnellen Schrittes auf mich zu. Wer…?

„Alfred!“, brachte ich mit tränenerstickter Stimme hervor. Was wollte der denn hier?

„Was machst du denn?!“, er kniete sich zu mir, „Ich hab nach dir gesucht… Hast du geweint?“.

Ich schluckte, „Nein.“. Ich wegen ihm geweint? Nein, diesen Triumph wollte ich ihm nicht zugestehen. Nicht nach dieser Aktion von ihm!

„Warum solltest du dich wohl schonen?“, er stand auf und reichte mir beide Hände, „Komm hoch, ich helfe dir.“.

Erst beim Aufstehen merkte ich, dass ich wirklich besser meinen Knöchel geschont hätte, anstatt sinnlos umherzulaufen. Zum Glück war ja jetzt Alfred da, der mich stützen konnte. Dies tat er offenbar auch bereitwillig, „Tut es sehr weh?“. So egal ich ihm auch sein mochte, er machte sich scheinbar dennoch Sorgen um mich. Aber ich antwortete nicht – sollte er ruhig ein schlechtes Gewissen haben.
 

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Ein Traum! Schwerelos wirbelten wir durch den Saal… Endlich hatte ich es geschafft – ich stand im Mittelpunkt! Wir waren das Paar des Abends!

Alles war noch viel besser als beim letzten Mal – heute konnte auch ich die Nacht in vollen Zügen genießen, ohne ständig eine unbestimmte Angst in mir zu spüren. Einfach herrlich, unbeschreiblich!
 

Mir schien es, als tanzten wir eine halbe Ewigkeit gemeinsam durch den Saal, ständig begleitet von unzähligen Blicken der uns umgebenden Ballgäste. Ich versank in einem Rausch von Musik, Stimmen, Lichtern und Farben…

Dann wurde es langsam dunkler im Saal, die Musik wurde ruhiger und auch die Stimmen traten in den Hintergrund. Nur Breda und ich standen noch in der Mitte der dämmrig beleuchteten Tanzfläche. Vereinzelte Lichtreflexe huschten über die Menge hinweg, von der wir nun genau beobachtet wurden. Es war wie in einem Märchen…
 

„Sarah?“, hob sich die samtige Stimme meines Geliebten von den leisen, melodischen Klängen des Flügels ab, in deren Takt wir uns noch immer wiegten.

„Ja, Liebster?“, hauchte ich mit einem Lächeln auf den Lippen.

Er sah mir lange tief in die Augen, bevor er fortfuhr. Ich erwiderte seinen Blick.
 

„Ich liebe dich.“, sagte er dann ohne den Blick zu lösen.

„Ich dich auch.“, war meine Antwort. Er lächelte, nickte bestätigend.

„Ich werde jetzt etwas tun, das ich erst einmal zuvor getan habe…“, flüsterte er. Fragend blickte ich zu ihm auf.

„Ich will dir beweisen, dass ich es ernst meine mit dir. Darum soll auch jeder hier im Saal dabei sein…“

Noch immer verstand ich nicht ganz, worauf er hinaus wollte.

„Trink von mir.“, befahl er sanft, aber bestimmt.
 

Ich war wie versteinert. War das alles hier Realität oder doch nur ein Traum? Ungläubig sah ich Breda an. Wieder lächelte er. Ich zögerte.

Ein erwartungsvoller Blick, „Tu es, wenn du mich genauso liebst, wie ich dich.“. Da war er wieder, dieser unwiderstehliche, übernatürliche, verführerische Blick…

Mich überkam ein drängendes Durstgefühl. Ja, ich liebte ihn. Genau so, wie er mich liebte, wenn er dafür bereit war, mich von ihm trinken zu lassen – hier, vor all diesen Vampiren.

Warum auch nicht? Ich hatte nichts zu verlieren! Die Gier überragte.
 

Nicht einen Laut hatte Breda von sich gegeben, als ich meine Fangzähne in seinen Hals rammte. Ich trank – gieriger, als ich es beabsichtigte. Doch er schien es zu genießen.

Köstlich! Kein lebendiges Blut, aber dafür war es umso stärker. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen! Erneut verschwand alles um uns herum in tiefem Dunkel. Nur er und ich – und das Blut!
 

Ich spürte, wie seine kräftigen Hände meine Schultern umfassten und mich behutsam von ihm weg schoben. Wir waren beide außer Atem, aber glücklich, als wir uns voneinander trennten. Ich war mehr als nur eine von Vielen für ihn. Ich war etwas ganz Besonderes! Genau das hatten wir soeben allen Anwesenden zu verstehen gegeben. Es herrschte erstauntes Schweigen um uns herum. Erst ein Blick in die Runde ließ ein respektvolles Raunen durch die Reihen gehen.

Endlich – Anerkennung! Jetzt musste nur noch Herbert einsehen, wer ab sofort hier im Schloss das Sagen hatte… also mal abgesehen von Breda natürlich.
 

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Minuten später befanden wir uns in einem kleinen Lesezimmer, wie es auf diesem Korridor viele gab. Ich saß auf dem großen Ohrensessel, meinen rechten Fuß auf den dazugehörigen Hocker abgelegt. Der Bequemlichkeit halber hatte ich mir die Schuhe ausgezogen. Mir fiel auch wieder ein, warum die Schuhe so versteckt in einem der Kleiderschränke gestanden hatten – sie waren noch nicht eingetragen.

Alfred saß mir gegenüber auf einem Stuhl, der eigentlich an den Schreibtisch gehörte, welcher sich ebenfalls im Raum befand. Schweigen. Ein besorgter Blick musterte mich fortwährend. Also ich würde bestimmt nicht mit einem Gespräch anfangen, das war ja wohl Alfreds Aufgabe.
 

„Bin ich froh, dass ich da raus bin…“, brach Alfred dann doch als Erster das Schweigen.

„So?“, gab ich kurz zurück. Dann eben Smalltalk.

„Findest du nicht auch, dass es viel zu voll und total heiß dort drin ist?“, fragte er scheinheilig.

„Eigentlich war es schön warm und die Stimmung doch recht ausgelassen… oder?!“, forderte ich Alfred auf, weiter zu sprechen.

„Nun ja…“, gab er leise seufzend zurück. Ich hatte ihn gesehen und das wusste er! Jetzt sollte er sich der Angelegenheit aber auch stellen.

„Du hast dich doch blendend amüsiert!“, behauptete ich vorwurfsvoll, woraufhin Alfred mich fragend ansah.

„Ich weiß ja nicht, wie du dich amüsierst, aber ich kann von mir nicht behaupten, dass ich auf dem Ball großartig Spaß gehabt hätte.“, erwiderte er halb fragend. Wollte er damit etwa leugnen, diese Weibsbilder angemacht zu haben?! …Und dann tat er das zu allem Überfluss in einem für ihn typischen, unschuldigen Tonfall…

„Sag mal… wie viel hast du heute schon getrunken?“, bat ich zu wissen.

„Ähm… nichts, warum fragst du?“ Natürlich, die Unschuld in Person!

„Nichts, oder weiß du nur nicht mehr so genau, wie viel es war?“, hakte ich sarkastisch nach.

„Ich habe nichts getrunken heute Nacht!“, entgegnete Alfred empört, „Wie kommst du überhaupt darauf?“.

„Komisch, deine Stimme klingt irgendwie belegt und auch sonst scheinst du nicht ganz bei der Sache zu sein. Oder war es doch Absicht, dass ich dich mit diesen Flittchen erwische?“, rückte ich nun offen mit der Sprache heraus.

„Mit wem? Was?!“ Er tat völlig verwirrt. Fast wirkte er überzeugend.

„So betrunken, dass du dich nicht mehr dran erinnern könntest, erscheinst du mir aber auch noch nicht.“, lachte ich zynisch. Alfred hatte wohl genug Ehre, um zumindest dazu zu stehen.

„Mit wem willst du mich wobei erwischt haben?“, fragte er noch einmal nach. Auch wenn ihm diese unschuldige Art durchaus gut stand – sie war gerade unpassend.

„Du hast die billigsten Schlampen angemacht, die weit und breit zu finden sind! Dabei wusstest du ganz genau, dass ich dich dort sehen MUSSTE!“, rief ich erbittert.

„…“ Warum hatte ich mit genau diesem Blick gerechnet? Okay, meine Ausdrucksweise war vielleicht nicht ganz angemessen – aber sie traf die Dinge auf den Punkt.

„Hör endlich auf so zu tun, als wärst du so unschuldig, wie du aussiehst!“, fuhr ich Alfred wütend an.

„ICH – DIE angemacht?! …Was ist hier überhaupt dein Problem? Dass ich mich für Frauen interessiere, oder dass du einfach nur nicht tanzen durftest?“, schrie Alfred zurück. Das war ja wohl die Höhe!

„Mein Problem ist, dass DU ganz absichtlich mit meinen Gefühlen spielst! Du weißt ganz genau, was ich für dich empfinde… Und nur weil du diese Gefühle nicht erwiderst, hast du noch lange nicht das Recht, meine mit Füßen zu treten!“, brüllte ich.

„Wer macht mich denn ständig an, obwohl er weiß, dass meine Interessen ganz klar woanders liegen?!“, gab Alfred zurück und stand auf. Diskussionen auf Augenhöhe waren mir lieber, daher erhob ich mich ebenso.

„Es geht hier nicht um DEINE Interessen, sondern um MEINE Gefühle!“, korrigierte ich.

„Wenn meine Interessen hier nicht relevant sind, dann kann ich ja auch gehen!“, zischte er mir entgegen, wobei er leicht noch oben schauen musste, da ich unmittelbar vor ihm stand, und verließ das Zimmer – jedoch ohne die Tür lauter hinter sich zu schließen, als nötig.
 

Ich ließ mich zurück in den Sessel fallen. Das war ja mal wieder eine echte Glanzleistung von mir… Es war doch nie meine Absicht gewesen, ihn zu verletzen!

Von draußen war wieder ein lautes Husten zu hören. Alfred stand also noch vor der Tür… Diese Sache konnte ich nicht so stehen lassen. Ich raffte mich auf und humpelte zur Tür, öffnete sie und trat auf den Korridor. Alfred stand tatsächlich noch immer da und lehnte an der Wand gegenüber. Jetzt war es an mir, mich zu entschuldigen…

„Das eben habe ich nicht so gemeint, Alfred. …Es tut mir leid.“, richtete ich das Wort an ihn.

Er sah mich lange an, bevor er sprach, „…Und was ich eigentlich sagen wollte, ist…“ – er räusperte sich – „Es war vorhin nicht ganz so, wie du es mitbekommen hast. Wahrscheinlich hört sich das für dich jetzt wie eine billige Ausrede an, aber so war es…“.

„…Wie war es denn genau?“, erkundigte ich mich. Ich war gespannt, was jetzt wohl kommen würde.

„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll… Eigentlich war es im Wesentlichen so, dass ich mich auf einmal inmitten dieser Gruppe auf der Tanzfläche wieder fand und dort nicht mehr weg kam, bis…“, startete Alfred einen Erklärungsversuch.

„Bis was?“, fragte ich nach.

„Das tut nichts zur Sache.“, wehrte er ab, „Ich habe diese Frauen definitiv nicht von mir aus angetanzt oder so…“.

„Dann interessierst du dich doch nicht für Frauen?“, rutschte mir ein hoffnungsvoller Gedanke raus.

„Also das habe ich damit nicht gemeint. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich nicht absichtlich irgendwen anflirte, nur um dir wehzutun, weil ich weiß, dass du uns siehst. Verstehst du mich?“, setzte Alfred seine Erklärung fort.

Er hatte es mal wieder geschafft – ich konnte ihm nichts länger übel nehmen. „Ja… verstehe.“ Leider änderte das nichts daran, dass ich für heute bedient war…
 

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Was für eine beschissene Nacht! Erst musste Sarah unbedingt, jetzt sofort und am besten heute noch diesen dämlichen Ball veranstalten und dann hatten die anderen den Stress mit den Vorbereitungen. So etwas Egoistisches! Letztendlich ging es ihr doch nur darum, dass SIE ihren Spaß hatte… Dann wurde ich auch noch von diesen aufdringlichen Vampiren in die Mangel genommen… Wäre ich heute Abend bloß im Sarg geblieben!

Nun stand auch noch Herbert vor mir, der mir erst einen Moment zu lange in die Augen und dann plötzlich zu Boden sah. Auch wenn er sagte, er verstünde mich, so konnte oder wollte er dennoch nicht einsehen, was ich versuchte ihm klarzumachen. Was sollte jetzt geschehen? Wir konnten nicht ewig hier stehen bleiben und uns anschweigen. Zurück in den Ballsaal wollte ich aber auch nicht…
 

„Wo willst du hin?“, fragte ich erstaunt, als Herbert sich auf einmal abwendete und davon humpelte.

„…In meinen Sarg…“, war die betrübte Antwort, wobei er sich weder umdrehte, noch stehen blieb.

„Herbert, warte!“, ich ging ihm hinterher, woraufhin er anhielt.

„Was ist denn noch? Geh wieder rein; wenigstens einer von uns sollte sich amüsieren…“ Herbert wirkte ziemlich niedergeschlagen. Das war alles meine Schuld! Ich hätte daran denken müssen, wie es ihn trifft, wenn er mich zwischen diesen aufreizend gekleideten Damen vorfindet…

„Ich bringe dich…“, entschied ich, da Herbert weiterhin beträchtlich lahmte. Wenn er sich nicht endlich mal die Zeit nahm, die Verletzung auszukurieren, würde das noch länger so weitergehen. Vermutlich war es sein Temperament, welches es ihm unmöglich machte, sich dauerhaft ruhig zu verhalten.

„…Nicht nötig.“ Ach ja, der unüberwindbare Stolz kam erschwerend hinzu.

„Macht nichts – ich werde dir trotzdem behilflich sein.“ Jeder andere Kommentar hätte zu unnötigen Diskussionen geführt.
 

Wortlos ließ Herbert sich den Weg in die Gruft geleiten. Wenn man ihn so ansah, konnte man sich wirklich Sorgen machen… Wie gerne hätte ich ihn aufgeheitert, aber ich konnte nichts dafür, dass ich seine Gefühle nicht erwiderte. Das musste er einfach einsehen.

Als wir vor seinem Sarg standen, schien er noch immer in Gedanken versunken, sodass er erst auf meine Frage hin, ob er weitere Hilfe benötige, begann, seine Kleidung bis auf Hemd und Hose abzulegen.

Auf den Stufen zum Sarg war er dann noch einmal auf meine Unterstützung angewiesen. Es machte einen wirklich fertig, wie bedrückt Herbert aussah. Vielleicht lag es auch daran, dass ich der Grund für seine Traurigkeit war… aber ich konnte es nicht ändern. Alles was ich tun konnte war seinen Fuß auf ein paar Kissen zu legen, wovon sich mehr als genug in seinem Sarg befanden, und zu hoffen, zumindest das Problem seines schmerzenden Knöchels damit zu lösen.

Mein Blick fing den tief traurigen Ausdruck seiner sonst so strahlenden Augen und ich wünschte mir, nie danach gesucht zu haben – ihn nie angesehen zu haben…
 

Kurz darauf fand ich mich allein in der Gruft stehend wieder. Was nun? Zurück auf den Ball wollte ich definitiv nicht. Gab es sonst etwas, das ich tun konnte? …Nein. Ich hatte alles erledigt, was man mir aufgetragen hatte, um den Ball vorzubereiten; Herbert hatte sich schlafen gelegt…

Eigentlich war ich sehr müde, wie mir auffiel. Es war zwar noch nicht spät, aber auch nicht zu früh, um ebenfalls schlafen zu gehen. Außerdem war mir kalt. Da die Nacht ohnehin gelaufen war lag auch ich wenig später in meinem Sarg am Rand der Gruft. Ich hoffte inständig, die kommende Nacht würde besser verlaufen als die heutige – schlimmer konnte es ja nicht mehr werden.
 

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