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Schwarze Wolken

von

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Der erste Traum

Schwarze Wolken, graue Wolken,

Grau der Kummer, schwarz der Kampf,

Sieh', dort unter grünen Bäumen

Steigt herauf ein weißer Dampf.
 

Blauer Himmel, goldne Sterne,

Güt'ger Allmacht Zauberlicht,

Strahlend, wachend in der Ferne,

Herr und Gott verlaß mich nicht!

(Friederike Kempner)

(Schwarze Wolken, graue Wolken)
 

Ohne sich bewusst zu sein, wie er in diese missliche Lage geraten war, sah Kuroi sich um.

Seine Umgebung versprach nichts weiter als den Tod. Ja, der Tod erreicht jeden irgendwann mal, aber Kuroi war mit seinen 25 Jahren doch noch ganz am anfang seines Lebens. Am Anfang und gleichzeitig dem Ende so nahe.

Es schien beinahe so alswenn er nur noch einen Schritt tun musste und den Nächsten nicht mehr erleben würde. Ein Schritt und dann würde alles dunkel sein.

Der keckernde Eichelhäher, über ihm in einer Baumkrone, schien den dunkelhaarigen Mann zu verspotten.

Aus der Sicht eines Vogels wäre diese Situation garantiert nicht so ernst zu nehmen. Natürlich nicht. Der Vogel hatte seine Flügel und konnte davon flattern, ohne auch nur einen Blick zurück zu werfen. Kuroi konnte es dem Vogel nicht übel nehmen. Tiere waren nicht so sehr gebunden wie Menschen, auch wenn sie sich doch nicht zu sehr voneinander unterschieden.

Und wieder bemerkte Kuroi den kalten Luftzug, der sich hinter ihm auftat, als die schwarzen Wolken am Horizont erschienen...
 

"Du verdammter Mistkerl!"

Shay riss die Augen auf.

Er lag in seinem Bett und Tatja, sein momentaner Seitensprung, schmiss eine Vase gegen die Wand, die daraufhin unter lautem Scheppern zu Bruch ging.

"Du hast mir nicht gesagt, dass du verheiratet bist!"

Nein, natürlich hatte er es nie gesagt, weil sie verdammt viel Wert auf Bindung legte. Das tat Shay auch, nur ließ er die Bindung nicht zu fest werden.

Murrend rieb er sich die Augen und erkannte nun, wo er seine Gedanken geordnet hatte, das Gesicht der jungen, blonden Frau. Sie sah wirklich wütend aus. Ihre blauen Augen, die ihn sofort auf den ersten Blick fasziniert hatten, wirkten mit diesem wutverzerrtem Gesicht irgendwie angsteinflößend. Sie erinnerten ihn an seine Frau.

Ruckartig setzte Shay sich auf. Himmel...!

"Wie kommst du da drauf, dass ich verheiratet bin?" fragte Shay und ließ sich seine plötzliche Nervosität nicht anmerken.

"Weil grad das Telefon geklingelt hat und eine Frau mit dem Namen Fredrike Brown dir schöne Grüße hinterlassen hat!"

Shay hielt sich endgeistert die Stirn und ließ den Kopf hängen.

Woher hatte Freddie diese Nummer?

Er befand sich doch in einem Hotel?!

"Ach ja, sie lässt dir aussrichten, dass sie ihre Sachen gepackt hat und mit den Kindern zu ihrer Mutter zieht. Zumindest so lange, bis du deinen schwanzgesteuerten Körper wieder unter Kontrolle gebracht hast." fügte Tatja hinzu, was Shay einen erneuten Schlag in den Magen gab.

Auch das noch.... nicht nur, dass er seine Schwiegermutter nicht leiden konnte, nein. Sie würde Freddie auch noch alle Flöhe ins Ohr setzen, die sie auftreiben konnte und wenn sie dafür ihre verdammten Katzen absuchen musste. Dephanie... das konnte ja nur der Name eines Teufels sein!

"Wie auch immer. Ich denke ich sollte auch meine Sachen packen!" keifte Tatja, hatte aber bereits ihre Sachen unter dem Arm, ehe sie aus der Suite hinausrauschte und die massive Holztür hinter sich zu schlug.

Die zerstörte Vase würde wohl an Shay hängen bleiben.

Resigniert sah er zum großzügig angelegtem Fenster raus. Es war am Regnen. New York war von einem Schleier dunkler Wolken bedeckt, die unablässig Regen herabschütteten. Shay fiel der Traum wieder ein, den er zuvor noch geträumt hatte. Aber die Wolken dort waren noch um einiges dunkler gewesen, fast schwarz.

Erst hatte er gedacht, er würde das Szenario aus seinem eigenen Blickwinkel sehen, aber dann war da auf einmal dieser, definitiv asiatische, junge Mann gewesen und Shay hatte alles aus der Vogelperspektive gesehen. Es war wie in einem Film gewesen. ein Film in welchem er die Kamera war und das Geschehen aus einer unparteiischen Sicht sah, bis dann die schwarzen Wolken aufgetaucht waren und mit ihnen das Geschrei von Tatja.

Shay musste schmunzeln. Hatte das ganze doch irgendwie eine amüsante Wirkung auf ihn. Erst die schwarzen Wolken, die sich bedrohlich vom Horizont aus aufbauten und dann Tatja, die ebenso bedrohlich gewirkt hatte. Es war ein gelungener Start in den Tag gewesen.

Wenig später kam er aus dem Hotel heraus.

Es war kein geringeres als das Plaza Hotel. Aber auch der nahe liegende Central Park war nicht besonders sehenswert, bei diesem Hundewetter.
 

Shay Brown lebte eigentlich nicht in New York City.

Der einzige Grund, warum er im Big Apple gewesen war, war dass sich ein Lichtblick ergeben hatte was seine Fähigkeiten als Künstler anging. Nach Jahren, in denen er regelrecht um Anerkennung seiner Werke kämpfen musste, hatte sich nun endlich jemand gefunden, der seine Bilder in einer Ausstellung veröffentlichte.

Zum eigenen Erstaunen waren auch wirklich einige Werke, drei um genau zu sein, verkauft worden und das zu hohen Preisen. Gestern hatte Shay noch gedacht, dass nun alles aufwärtsgehen würde. Zur Feier des Tages hatte er sich kurzfristig im Plaza einschreiben lassen, war dann in einigen Bars gewesen, hatte sich die Blondine mit den funkelnden Augen angelacht und war dann mit ihr auf das luxoriöse Zimmer gegangen. Tatja war natürlich ganz aus dem Häuschen, hatte gedacht sie wäre grad dabei mit einem Millionär am verkehren und Shay hatte in diesem kleinen Spiel natürlich nichts anbrennen lassen. Er hatte gesagt er hätte ein millionenschweres Konto in der Schweiz. Er gab an, er würde ein gefragter Künstler sein, Shay hoffte dass dies nun bald wirklich so sein würde. Tatja schien nicht besonders viel mit Kunst am Hut zu haben denn als er, leichtsinnigerweise, seinen Namen genannt hatte war sie überzeugt davon, dass die schon Bilder von ihm gesehen habe und dass sie ganz hingerissen davon war.

Unwahrscheinlich, hatte Shay noch schmunzelnd gedacht. Bisher hatte noch nie jemand aus der Öffentlichkeit wirklich Bilder von ihm zu Gesicht bekommen, ausser seine Frau und einige andere Künstler, bei denen Shay hatte werben wollen und sich konstruktive Kritik holen wollte.

Aber das war ihm an dem Abend egal gewesen. Die Frau sah gut aus; hatte es zwar auf sein Geld abgesehen, aber sie sah gut aus. Mal abgesehen davon, dass er ja noch kein millionen Konto besaß.

So konnte sich alles von einer Minute zur Anderen ändern.

Freddie war weg, seine Kinder Bob und Sarah auch. Und wieder fragte Shay sich, woher Freddie gewusst hatte dass er sich im Plaza Hotel befunden hatte, noch dazu mit einer anderen Frau. Sie wäre bestimmt nicht so durchgedreht, wenn sie gedacht hätte er sei allein gewesen.

Oh ja, Shay hatte bereits eine Vermutung. Also würde er noch eine Weile länger in New York City bleiben, ehe er zurück in das bescheidene kleine Häuschen in Utica fuhr, welches er von seinen Eltern geerbt hatte. Geerbt war wohl nicht ganz das richtige Wort. Mit Hängen und Würgen hatten seine Eltern es ihm hinterlassen und das auch nur weil er, im vergleich zu seinem Bruder, eine Familie gegründet hatte.

Michelle und Joe Brown waren nie zufrieden mit ihren beiden Söhnen gewesen. Joe Brown, ehemaliger Kriegsveteran, hatte einen Narren daran gefressen was Ordnung und Disziplin anging. Wenn etwas nicht stur nach Regel lief und man nicht sofort still stand, sobald Herr General die Küche betrat, hatte man eh verloren. Shay wusste nicht, ob er über die alten Erinnerungen lachen sollte oder ob er trauern sollte. Tragischerweise wer Joe eines Morgens, bei seinem morgentlichen Spaziergang durch Ultica auf einmal umgefallen und nie wieder aufgestanden. Die Ärzte hatten gesagt, dass sein Herz auf einmal aufgehört hatte zu schlagen.

Sehr nett, so hatte man wenigstens dann doch den Beweis gehabt, dass der Alte noch ein Herz gehabt hatte...

Es war wirklich keine lockere Kindheit gewesen die Shay mit seinem Bruder Jack durchgemacht hatte.

Seine Mutter war im Vergleich noch ziemlich in Ordnung gewesen, aber sie vertrat die Sparte von Müttern, die es am liebsten gesehen hätten wenn ihre Söhne Jura studiert hätten und Rechtsanwälte geworden wären. Ständig hatte sie ihnen ans Ohr gelegt doch endlich einen vernünftigen Job zu machen. Irgendwann hatte sie sogar gesagt, dass es ihr egal sei wenn ihre Söhne keine Rechtsanwälte werden würden, aber um Himmelswillen... "Shay, du wirst als Künstler nicht genug Geld verdienen. Du wirst es so doch nie zu etwas bringen!" Shay sah es vor sich, als wenn es gestern gewesen war.

"Taxi!"

Mit quietschenden Reifen hielt eines der gelben Autos vor Shay am Straßenrand. Ein Schwall von Wasser ergoss sich über seine neuen Schuhe. Die Straßen schienen ein einziger Fluss zu sein. Das Wasser lief und lief, alsob es stur einem Ziel folgte. Wenn es nicht bald aufhören würde zu regnen, dann würden bald wieder die Abwasserkanäle voll laufen und das würde unschön werden; Shay war wirklich froh, dass er nicht zu häufig in New York City war.

Fröstelnd stieg er auf den Rücksitz des Wagens. "Das ist wirklich eine Mistwetter..." murmelte er und der Taxifahrer, der beinahe schon so breit war dass Shay sich ernsthaft fragte ob der Wagen das aushiehlt, drehte sich zu ihm um. Zwischen seinen Lippen steckte eine qualmende Zigarrette und unter seinen buschigen Augenbrauen schimmerten zwei kleine, dennoch aufgeweckte, blaue Augen. "Wohin gehts Chef?"

Auch wenn man vielleicht vor diesem Mann Angst bekommen könnte hatte dieser Taxifahrer doch eine Stimme, die man nur sympatisch finden konnte. Dieser Mann schien freude am Leben zu haben. So wie Shay sich New York City vorstellte, wohl doch eins der seltenen Exemplare in dieser Metropole.

"Cathedral Parkway."
 

Nach der Rundfahrt, am Central Park vorbei und durch den Regen, der irgendwie immer schlimmer wurde, hielt das Taxi in der 110th West Street, von ort aus wollte Shay zufuß weiter gehen.

Er reichte dem Fahrer das Fahrgeld, gekrönt mit einem Trinkgeld was zwar nicht sonderlich hoch war aber der Mann hinterm Steuer bedankte sich wirklich höflich. Shay war überrascht. Es gab also wirklich noch Menschen, die sich auch mit dem begnügten was sie bekamen. Wärend der Fahrt hatten die beiden Männer sich ausgibig unterhalten. Im Hintergrund liefen leise einige Stücke von Frank Sinatra, unter anderem auch New York, New York welches Shay´s Stimmung gleich wieder etwas anhob.

Der Text versprach einiges, was Shay sich erhoffte. Wenn er es in New York schaffen konnte, dann würde er es überall schaffen. Ja, das war vielversprechend schließlich hatte er es in New York nun geschafft einige seiner Malereien unter den Mann zu bringen. Das würde der Anfang sein und bald würde er weit über Amerika hinaus bekannt sein. Für einen Moment hatte Shay sich wieder wie ein kleiner Junge gefühlt, der sich seinen Wunschvorstellungen hingab. Wenn ich groß bin, werde ich ein Superheld und werde alle retten die in gefahr sind!

Der Regen hatte nicht aufgehört und mit schnellen Schritten überquerte Shay die Straße, wobei er von einigen frustrierten Autofahrern, die in der Fahrt bremsen mussten, wütend ausgehupt oder ausgeschimpft. Aber das kümmerte den Künstler nicht viel, denn er wusste dass man sich hier nur mit Dreistigkeit einen Weg freikämpfen konnte.

Nach einem kurzen Fussmarsch hatte Shay das alte, unscheinbare Eckhaus gefunden und trat hinein. "Der Trümmerhaufen wird auch von mal zu mal immer runtergekommener..." murrte Shay und ignorierte die schimmelbefallenen, mit Graffitie beschmierten Wände um sich herum. Er stieg in den Aufzug, der auf der Fahrt nach oben beängstigend knarrte und befand sich kurz darauf vor einer Wohnungstür an der früher einmal etwas stand wie Wir helfen Ihnen wenn die Polizei Sie verlässt!.

Nun stand dort nur noch Fick dich du verdammter Hurensohn! oder Krepier Schnüffler! diverse, dahingeschmierte Beschimpfungen waren notdürftig entfernt worden, aber die Meisten schienen hartnäckiger als die Pest zu sein. Shay klingelte an der Tür und als nach kurzer Zeit niemand öffnete, klopfte er noch einmal energisch. Hinter der Tür ertönten polternde Geräusche und dann wurde die Tür von einem, leichtbekleideten, jungen Mann geöffnet, der Shay fragend ansah. "Bitte?"

"Ist Jack da?"

Der schwarzhaarige Junge konnte nicht älter als 20 sein und brauchte wohl einen kurzen Moment, bis er die Frage bearbeitet hatte. "Ach so. Ja. 'türlich..." nuschelte er und drehte den Kopf in Richtung der Wohnung. "Jack! Hier ist wer für dich..." aus dem Tonfall des Jungen konnte man eindeutig Missgefallen hören.

Shay´s Bruder war frische 28, hatte etwas hellere Haare als Shay und auch hellere blaue Augen. Jack kam definitiv mehr nach seiner Mutter, auch was die sexuelle Orientierung anging. Jack behauptete zwar immer und immer wieder er sei nicht schwul, lediglich bisexuell, aber irgendwie hatte er jedesmal, wenn Shay auf ihn traf einen Mann an der Seite.

"Was gibts denn... ich hab doch gesagt, dass du sagen sollst ich sei nicht da, Law..." murrte Jack und kam ebenfalls an die Tür.

Law sah Jack erwartungsvoll, aber auch bissig an. Man konnte seine Gedanken förmlich hören: Wehe dir, du hast noch nen Anderen...!

"Ach, für deinen Bruder bist du auch nicht da...?" fragte Shay und lehnte sich an den Türrahmen.

Law räusperte sich und sein Gesichtsausdruck änderte sich von einem Moment zum Anderen in Erleichterung.

Jack aber wirkte auf einmal mehr als nervös, als er den gereizten Gesichtsausdruck seines Bruders sah. "Oh... ähm... hallo Shay! Was verschafft mir die Ehre, brauchst du nen privat Detektiv...?" Jack lachte einmal nervös auf, versperrten den Weg in die Wohnung nun aber energisch.

"Willst du mich nicht rein lassen, wo sind deine Manieren geblieben?"

Der Andere sah ein, dass er nun doch verloren hatte, Shay hatte definitv mehr vom alten Herrn in den Genen. "Doch, natürlich.... komm doch rein..."

Jack´s Wohnung war eine Mischung aus Büro und Wohnung, die einfach nicht aufgeräumt war. Überall lagen Klamotten verstreut. Auf dem Boden, auf den Tischen, ja sogar an der Decke am Ventilator hingen Klamotten.

Die Ecken waren ausgefüllt mit leeren Flaschen, mal waren es Pepsi Flaschen und mal Wodka und alle möglichen anderen Flaschen die alkoholische Inhalte gehabt haben. "Jack du bist ne Schlampe." sagte Shay ungeniert und musste sich ein auflachen verkneifen, als dieser ihn angewidert ansah.

Law war derweil in der Küche und brühte Kaffee. Er wollte gar nicht wissen worüber die Brüder sich unterhalten wollten. So wie Jack geguckt hatte...

"Ja, ähm... setzt dich doch, Shay..." meinte dessen Bruder irgendwann und klang wieder ein wenig nervös.

Shay sah sich hilfesuchend um. Irgendwo musste es doch einen Platz geben, wo man sich hinsetzen konnte...? Unter einem riesigen Wäschehaufen fand er dann das weisse Sofa. Vorteilhaft... da sieht man die Wichsflecken nicht sofort... Dort setzte er sich dann hin, nachdem er die zerknitterten Klamotten von Jack herunter geschmissen hatte. Sein kleiner Bruder schien ja eine Menge von seiner Mutter zu haben, aber deren Putzfimmel besaß er wirklich nicht.

Nach einer Weile peinlichen Schweigens ergriff Shay dann das Wort. "Ich frag mich wie du es immer noch schaffst unter diesen miesen Bedingungen zu leben, Jack."

"Geht das jetzt schon wieder los? Mir geht es gut Shay, ich habe meine vier Wände und ich weiss nicht wieso du immer und immer wieder etwas an meinem Lebensstil auszusetzen hast."

Es war ein wirkliches Unterfangen mit Jack über dieses Thema zu sprechen. Aber Shay verstand es wirklich nicht, wie sein Bruder es schaffte so zu leben. Einerseits trug sein kleiner Bruder eigentlich immer teure Designer anzüge und andererseits lebte er in diesem Rattenloch. Eigentlich war nichts an dieser Wohnung auszusetzen, aber Jack ließ sie einfach runter kommen. Shay besuchte ihn nicht oft, aber er hatte das Gefühl dass es schlimmer wurde, je öfter er in diese Wohnung trat. Wenn Jack nur ein wenig Ordnung halten würde, dann würde alles schon viel besser sein. Dann könnte man vielleicht mal etwas von diesem laminierten Fussboden sehen, etwas von dem glänzenden Laminatboden. Es war garantiert nicht diesem versifftem Loch zu verdanken, dass Jack ab und an einen Auftrag bekam. Er war Privatdetektiv.

"Wie siehts im Job aus, Jack?"

Schweigen. "Hab n frisches Honorar auf meinem Konto." meinte der Jüngere kurz darauf, verriet aber nicht mehr.

"Das freut mich zu hören, weisst du: Ich habe es auch endlich geschafft einige Bilder unter die Leute zu kriegen.

"Wirklich? Herzlichen Glückwunsch und ich hoffe du hast darauf auch ordentlich gefeiert."

"Du kennst mich doch, oder?"

"Natürlich. Shay Brown, der Mann mit zehn Frauen."

"Du hast es erfasst, aber nun hab ich eine Frau weniger und dazu fehlen mir auch noch zwei Kinder..."

Jack schluckte einmal schwer. "Ist ja gut, verdammt. Ich hab dich gestern Nacht unter der Lupe gehabt. Tut mir leid, Shay aber ich war knapp bei Kasse und Freddie hat mir ein Honorar angeboten..."

"Freddie hat dich angagiert???"

"Ja, sie hatte da so ihre vermutungen, dass du ihr nicht treu seist..." Jack beugte sich nach vorne und verbarg sein Gesicht in den Händen. Anscheinend tat es ihm wirklich leid. "Ich konnte ja nicht wissen, dass es zur Konsequenz hat, dass sie dich verlässt."

Das Problem an der ganzen Sache war, dass Freddie nicht dumm war, Shay dafür aber umsomehr. Es war ja nicht zum ersten mal so gewesen, dass er noch andere Frauen gehabt hatte. Und Freddie hatte einige male auch etwas davon mitbekommen, konnte es ihm aber auch nicht nachweisen. Sie war zwar jedes mal aufs neue ungehaltener, aber sie hatte drüber hinweggesehen. Jetzt hatte Shay wohl den Bogen überspannt und ihr war der Kragen geplatzt. Ihm entfuhr ein kurzes, niedergeschlagenes, Seufzen und mit einem genauso wirkenden Blick sah der sich im Wohnzimmer um. Die Fenster waren zugezogen, das fiehl ihm erst jetzt auf und der Raum wirkte dunkel. als sein Blick wieder zu Jack wandern wollte blieb er an den aufgereihten Fotorahmen hängen, die Jack auf einem Abstellschrank hergerichtet hatte. auf einem Foto grinste Shay sich als kleiner Junge entgegen, zusammen mit Jack. Sie hatten beide eine Baseballkappe auf mit dem Schriftzug der Red Sox. Shay erinnerte sich noch daran, als sei es gestern gewesen. Jack hatte eigentlich kein intresse an Baseball. Das war schon immer so gewesen, aber irgendwann waren sie mit ihrem Dad doch einmal zusammen zu einem Spiel gegangen. Jack schien doch mehr Spass an diesem Spiel gehabt zu haben, als er eigentlich zugab. Damals war Jack sieben Jahre alt gewesen und er, Shay war 14. Oh ja... Jack war eine richtige Nervensäge gewesen, aber sie hatten auch viel Spass gehabt.

Auf den anderen Fotos waren sie bereits älter und das Foto was Shay am meisten gefiehl war das, wo Sarah getauft wurde. Jack stand da, hatte die Kleine in den Armen und Shay stand mit Freddie daneben. Shay konnte schwören, dass Jack in dem Moment, damals, daran gedacht hatte auch irgendwann mal ein Kind zu haben. Aber bis heute war ja noch nichts draus geworden.

"Es tut mir wirklich leid Shay. Ich weiss, es war verlogen und hinterhältig von mir dich auszuspionieren und deiner Frau dann auch noch darüber Bericht zu erstatten..." sagte Jack und riss seinen Bruder damit aus den Gedanken.

"Ist schon gut... nein eigentlich ist nichts gut. Jetzt muss ich zu dem alten Drachen fahren und mich unter ihrem Blick bei Freddie entschuldigen. Die alte Kuh wird es auf den Tod hinaus amüsieren. schließlich war sie eh schon immer der Meinung gewesen dass ich nichts tauge."

Die Situation war eigentlich nicht zum lachen, aber Jack tat es. "Ist schon komisch, aber irgendwie scheinen alle Mütter der Welt das selbe über uns zu denken. Wir sind nichts weiter als Taugenichts."

Shay stand auf, als Law in das Wohnzimmer kam und drei heisse Tassen Kaffee mit beinahe schon akrobatischen Fähigkeiten transportierte. Shay nahm ihm zwei Tassen ab und stellte sie auf den Tisch. "Tut mir leid, Jack aber ich werde jetzt gehen."

Law sah ihn vorwurfsvoll an und Jack brachte den passenden Satz hervor. "Jetzt? Der Kaffee ist doch grad fertig. Du kannst gerne noch bleiben, Bruder."

Shay hob abwehrend einen Arm. "Nein, ich muss mich noch dem Monster stellen und dafür sollte ich mich jetzt auf den Weg machen."

"Na, wenn du meinst..."

Jack begleitete Shay noch bis zur Tür, nahm seinen großen Bruder noch einmal verabschiedend in den Arm und schloss anschließend die Tür hinter ihm.

Die Stimme

Denk an den Tod, wenn Leiden kommen;

Sprich: Alle Trübsal eines Frommen

Ist zeitlich, und im Glauben leicht.

Ich leide; doch von allem Bösen

Wird mich der Tod bald, bald erlösen;

Er ist's, der mir die Krone reicht.

(Christian Fürchtegott Gellert)

(Beständige Erinnerung des Todes)
 

Was für eine Ironie des Schicksals es doch gewesen war zu erfahren, dass sein eigener Bruder Shay sozusagen verraten hatte.

Ja, Jack hatte so gut wie nie Geld und er griff nach jedem Strohalm, der ihm gereicht wurde, was das Geld anging. Aber, dass er nun auch noch Shay, seinen eigenen Bruder, ausspionierte traf den Künstler noch mehr. Er wünschte Jack jedes Schuldgefühl, das es gab. Für einen Moment hatte Shay daran gedacht ebenfalls eine Beleidigung an die Wohnungstür seines Bruders zu schreiben, dann verscheuchte er aber den kindischen Gedanken, denn so wie Jack sich verhalten hatte, als er bemerkt hatte dass Shay Wind von der Sache bekommen hatte, konnte er sich denken dass die Schuldgefühle durchaus vorhanden waren. Viel eher stieg nun die Wut über Freddie in Shay auf. Was dachte sie sich dabei, den Bruder ihres Mannes für so eine Aufgabe zu beordern? Sie hätte jeden anderen Schnüffler arrangieren können, aber nein, sie hatte sich für Jack entschieden.

Die Rache einer Frau, sie war herzlos und traf den Mann garantiert.

Trotzdem war es das erste Mal, dass irgendeine Frau ihn auf so eine Art bestrafte. Aber eigentlich hatte Freddie ja Recht.

Schön, jetzt fängst du auch noch an dir selbst die Schuld zu geben... sprach Shay in Gedanken mit sich selber.

Du hast ja auch Schuld. Wieso gehst du ihr auch immer wieder fremd? Sie ist eine hübsche Frau und hat dir zwei Kinder geboren.

In Shay´s Kopf begann ein beinahe schon schizophrenes Gespräch, was aber zu keinem Ergebnis kam. Immer und immer wieder drehten sich die Gedanken im Kreis. Auf seinem Weg aus dem Haus hinaus und draußen über die Gehwege, achtete er nicht auf seine Umgebung. Er ging einfach den sowieso stark begangenen Bürgersteig entlang. Jeder Schritt endete in einer Pfütze, die von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Es regnete unablässig weiter und Shay hatte keinen Schirm dabei. Warum war er auch mit dem Taxi zu seinem Bruder gefahren? Dabei hatte er doch ein eigenes Auto.

Du warst letzte Nacht zu betrunken und hast vergessen wo du geparkt hast. antwortete ihm die unscheinbare Stimme im Hinterkopf.

War es jetzt soweit? Wurde er wahnsinnig, bloß weil seine Frau ihn verlassen hatte? Dieses Selbstgespräch in seinem Kopf machte Shay nervös. Dabei stand ja noch in den Sternen, ob Freddie ihn für immer verlassen hatte. Schließlich hatte sie doch gesagt, sie würde nur zur ihrer Mutter fahren, solange bis er seinen schwanzgesteuerten Körper unter Kontrolle gebracht hatte.

Shay rempelte ab und an einige Leute an, die sich gegen den Strom bewegten. Immer wieder wurde er von jemanden beschimpft. Dann sah er auf und bemerkte, dass er es war der sich gegen den Strom bewegte.

Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom.

Shay schmunzelte und sah zur Straße. Sie war überfüllt. Der Marsch zum Plaza würde noch ziemlich lange dauern. Zumindest glaubte Shay, dass er irgendwo dort den Wagen abgestellt hatte. Er war sich sogar ziemlich sicher. Eigentlich wäre es am einfachsten, sich in eine Ecke zu setzen und zu warten bis die Rush Hour vorbei war und sich dann wieder ein Taxi zu rufen. Er wusste schon, warum er New York City nicht mochte, auch wenn es ein Sprungbrett seiner Karriere bedeuten konnte (If I can make it there...). Alles ging zu schnell und hektisch vorran. Manchmal konnte man das Gefühl haben, dass man sich schon im letzten Jahrhundert befand, sobald man auch nur für eine Sekunde stehen blieb und egal, ob man nun weiter mit oder gegen den Strom schwamm, die Zeit war sowieso schneller als man selber.

Das war überhaupt die Erklärung: Shay würde in einigen Monaten 36 Jahre alt werden und eigentlich hatte er noch nichts vom Leben gehabt, wollte noch ein wenig Spass mit den Frauen haben. Natürlich hatte er seine Frau und Kinder... (Ja, hatte trifft es sehr gut. Du hattest deine Frau und Kinder!).

Shay blieb an einer Ampel stehen und raufte sich die Haare.

Was war nur los mit ihm, heute?

Es konnte einfach nur mit Stress erklärt werden, dass er sich dieses Selbstgespräch zusammenreimte. Die letzten Tage waren einfach purer Stress gewesen. Mit jedem Tag, an dem die Ausstellung näher rückte, war er angespannter gewesen und hatte noch nicht einmal mehr den Nerv gehabt sich mit seinen Kindern zu beschäftigen.
 

"Für mich hast du ja eh keine Zeit mehr...." hatte Freddie gesagt und kümmerte sich auch nicht weiter darum, dass es für Shay kein anderes Thema mehr gegeben hatte als die Kunstausstellung. Trotzdem hatte sie sich immer geduldig angehört, wenn er sich mit ihr darüber unterhalten hatte. Immer wieder hatten ihn die Selbstzweifel geplagt.

"Ich schaff das nicht!"

"Doch, du schaffst das. Hey, kennst du nicht das Märchen von Aschenputtel?"

"Dann sieh mal zu wie du mir eine gute Fee beschaffst. Und achte bitte drauf, dass der Zauber länger als bis Mitternacht andauert. Schließlich will ich noch ne Menge Geld verdienen."

An der Stelle hatten beide immer angefangen zu lachen und Shay schöpfte wieder Mut. Manchmal hatte er das Gefühl, er sei ein übergroßes Kind, wenn er sich so anstellte.

"Nein, du bist kein Kind. Denn Kinder versuchen immer erwachsen zu sein."

Freddie hatte zu jeder Lebenssituation einen passenden Spruch zur Hand gehabt.
 

Auch als die Ampel Grün zeigte, blieb Shay am Rand des Bürgersteig stehen, wurde von Menschen angerempelt und zur Seite gedrängt, die sich murmelnd darüber beschwerten, dass er nicht endlich seinen Arsch in Bewegung setzte.

Shay kämpfte gegen die Tränen an. Das tat er wirklich. Ihm war als habe er einen riesigen Kloß im Hals, den er verzweifelt versuchte herunter zu schlucken.

Er blinzelte einmal und versuchte das Regenwasser aus seinen Augen zu bekommen, welches seinen Blick verschleierte. So ging er über sie Straße und bemerkte nicht, dass es schon längst rot gewesen war, aber das war auch eigentlich egal, der Verkehr war auch weiterhin sehr träge und zähflüssig. Zwar hupten auch diesmal wieder einige Idioten, die ihm wahrscheinlich auch noch die Schuld daran gaben, dass es nicht weiterging im Verkehr. "Halts Maul du verdammter Pisser!" gab Shay irgendwann zurück, als ein besonders junger Autofahrer - wahrscheinlich grad mal um die siebzehn - ihn als senilen alten Sack beschimpfte, der sich gefälligst in den Bus setzen sollte. Die Menschen hier in New York City waren viel zu unfreundlich. Kein Wunder bei den grauen Hochhäusern, die teilweise so hoch standen, dass sie der Sonne kaum noch Möglichkeit gaben den Boden zu bescheinen. Das war ebenfalls eine Ironie. Sie versuchten der Sonne näher zu sein, aber sie entfernten sich so immer mehr von ihr. Ganz anders als in Utica. Dort wirkte die Umgebung nicht unfreundlich und beengend. Eher genau das Gegenteil, so kam es Shay zumindest vor. Die Gegend wirkte beruhigend und manche hatten auch das Gefühl es sei das letzte Hinterweltlerkaff. Aber genau das mochte Shay an seiner Heimat.

Wenn er im Laufe des Tages seinen Wagen wiedergefunden hatte, dann würde er so schnell wie möglich von hier verschwinden und sich ersteinmal einige ruhige Stunden machen. Danach würde er seiner Schwiegermutter einen Besuch abstatten...
 

Es war früher Abend und Shay war nicht losgefahren, um Freddie zurück zu holen.

Stattdessen war er alleine durch jedes einzelne Zimmer gegangen, hatte sich alles angesehen wie jemand der das letzte Mal durch sein Zuhause wanderte. An der Hand hatte Shay eine Flasche Bier und gedankenverloren nahm er immer wieder einen leichten Schluck aus der Flasche. Für einen Moment hatte er sogar gedacht, dass diese Ruhe doch mal eine angenehme Abwechslung zu dem normalen Familientreiben war. Dass ihm dieser Gedanke unter anderen Umständen doch falsch vorkommen würde, realisierte Shay nicht und nahm eine kleine Schatulle zur Hand. Er befand sich nun im Zimmer seiner Tochter. Die Kleine war erst acht Jahre alt und genau zu diesem Alter passend, war auch das Zimmer eingerichtet. Weiße Wände mit einem leichten Stich Rosa. Stofftiere und Puppen reihten sich auf einem langen Regal und in einer Ecke war ein kleiner Tisch, mit einer Miniaturversion von einem Teeservice.

Das Bett war klein. Sarah wünschte sich schon seit langer Zeit ein großes Bett, so wie das von Mummy und Daddy hatte sie immer gesagt. Shay und Freddie hatten schon einige Zeit darüber nachgedacht ein größeres Bett zu kaufen. Zwar nicht so groß wie das Ehebett, aber eins in Jugendgröße.

Als Shay die Schatulle, auf dem kleinen Nachtschränkchen öffnete, erklang eine leise Melodie.

Er hatte dieses Stück schonmal gehört. Da war er sich ziemlich sicher, aber es wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen woher er die Melodie kannte. Damals, als er die Schatulle gekauft hatte, da hatte er sich schon gefragt woher er die Melodie kannte. Bisher war er aber zu noch keiner Lösung gekommen. Und Freddie, sie kannte die Melodie gar nicht. Irgendwann hatte sie gesagt es sei für sie nur ein sinnloses Geklimper. Nur Menschen mit besonders starker Fantasie würden da eine Melodie raushören. Was sich im ersten Moment ziemlich hart anhörte, war in Wirklichkeit das, was Shay auch sehr an Freddie schätzte. Sie hatte so gut wie immer die Füße auf dem Boden und betrachtete alles aus einer rein objektiven Perspektive. Sie war ziemlich anders als Shay, eigentlich der komplette Gegensatz. Wärend er das Leben noch im ziemlichen Saus und Braus lebte, hatte Freddie eine ausgeglichene, nüchterne Sichtweise. Wahrscheinlich hoffte sie selbst heute noch, dass er, Shay, bald ruhiger werden würde. Aber bisher hatte es sich noch nicht so ergeben. Was war den auch so schlimm daran, Abends nochmal etwas trinken zu gehen?

Schlimm daran ist, Shay Brown, dass du nach fast jeder Saufparty eine andere Frau abschleppst!

Er hielt sich den Kopf, entleerte die Bierflasche und ging aus dem Zimmer herraus.

Für einen Moment hatte er sogar geglaubt Sarah lachen zu hören, obwohl die Kleine gar nicht hier war.

Waren das also die ersten Anzeichen dafür, dass er irre wurde?

Shay beschloss, damit zu einem Arzt zu gehen. Aber erst musste er zusehen dass Freddie wieder zurück kam. Dieses Haus wirkte auf einmal nämlich gar nicht mehr so ruhig und friedlich. Die drückende Stille machte Shay sogar Angst.

Früher hatte er sehr lange alleine gelebt und er hatte keine Probleme damit gehabt. Ganz im Gegenteil: Er konnte sich noch nicht einmal vorstellen mit irgendwem zusammen zu leben, geschweigedenn Kinder zu haben. Das war jetzt mindestens zehn Jahre her. Shay erinnerte sich nicht mehr genau daran. Irgendwie erbärmlich wenn er darüber nachdachte. Letztendlich schob er es dem Alkohol in die Schuhe, dass er sich nicht daran erinnerte.

Du hast diese eine Flasche grad ausgetrunken und dann sagst du, du könntest dich deshalb nicht daran erinnern? Lass dir eine bessere Lüge einfallen, Shay Brown.

"Hör auf mit mir zu reden!!" rief Shay in den leeren Raum, aber es kam keine Antwort. Ob er sich jetzt darüber freuen sollte, oder aber nicht wusste er nicht.

Fest stand, dass er sowas noch nie erlebt hatte. Klar, jeder redet im Kopf mal mit sich selber, aber diese Stimme in seinem Kopf... das war nicht seine Stimme. Diese Stimme gehörte jemand anderem. Fast schon glaubte Shay, dass wenn er jetzt in einen Spiegel sah, dass er einem anderen Gesicht entgegen blickte, aber als er seinen Rundgang durch das Haus im Badezimmer beendete, starrten ihn die selben, müden Augen an die er schon seit einigen Jahren kannte.

Keine Veränderung.
 

Der Eichelhäher war tot.

Er hatte nicht flüchten können, trotz seiner Flügel. Aber Kuroi hatte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können.

Nicht unweit der Stelle, wo er vorher noch gestanden hatte und der Vogel ihn ausgelacht hatte, hatte er eine verlassene Bärenhöhle gefunden. Dort war Kuroi bis in den hintersten Winkel geflüchtet, bloß um den schwarzen Wolken nicht in die Fängen zu geraten.

Ja, Fänge waren das richtige Wort. Es waren zwar Wolken, aber normalerweise blieben keine zerstörten Städte und Landschaften da zurück wo Wolken weiter gezogen waren. Aber hier war es so.

Kuroi hockte sich auf den Boden und hob das zerzauste Federknäul hoch. Der Kopf des Vogels hing schlaff herunter und auch der Ansatz seiner Zunge war zu sehen, wie er aus dem Schnabel hervorragte. Wie eine gefräßige Masse hatten sich die Wolken über das Land gezogen und hatten erneut eine verwüstete Landschaft zurück gelassen. Bäume, die in ihren besten Jahren waren und vor weniger als einer halben Stunde noch gegrünt hatten, waren nun wie verdorrt und schon seit Jahren tot. Kuroi wusste, dass sich in den südlichen Ländern Heuschrecken, ähnlich wie die schwarze Wolken, durch das Land fraßen und so gut wie nur Einöde zurück ließen, aber das hier war nicht das Werk eines Schwarm von Heuschrecken.

Ein Krächzen ließ Kuroi aufschrecken.

Raben!

Raben flatterten in einem großen Schwarm über ihn hinweg und suchten Schutz vor...

Kuroi drehte sich um. Die Wolken hatten sich am Horizont zu einer riesigen Masse aufgestaut und ähneltem nun einem riesigen Monster. Gefolgtes Donnergrollen ließen den Anschein erwecken, dass das riesige Monster brüllte und Kuroi bekam es mit der Angst zu tun. Etwas traf ihn am Kopf und mit Schrecken stellte er fest, dass es ein Rabe war der tot vom Himmel gefallen war. Der Boden unter dem leblosen Wesen färbte sich blutrot, als der Körper in sich zusammensackte wie ein Hefeteig, in dem man ein Loch gestochen hatte. Wenige Sekunden später lag vor Kuroi nichts anderes als eine leere Hülle, die nur erraten ließ, dass es sich vorher um ein lebendes Wesen gehandelt hatte. Es schien als wenn sich das Knochengerippe in Luft aufgelöst hätte, mitsamt sämtlichen Eingeweiden, nur Blut kam aus nicht vorhandenen Wunden geflossen.

Die Hand des Mannes wurde warm. Dem Eichelhäher passierte das selbe. Das noch warme Blut floss an Kurois Hand herab, zwischen seinen Fingern herunter und landete mit kaum hörbarem Platschen auf dem, vom einsetzenden Blutregen, dunkelroten Boden.

Als die restlichen Raben unter dumpfen Plomp zu Boden fielen, hätte Kuroi am liebsten geschrien, aber Kuroi war stumm. Lediglich in seinen Gedanken konnte er der Panik Laute verleihen.
 

Als Shay am frühen Mittag des nächsten Tages mit dem Auto über die Landstraße fuhr, um zu seiner Schwiegermutter zu kommen, bemerkte er die ungewöhnliche Menge an Raben, wie sie auf den Bäumen saßen. Es war schönes Wetter. Die Sonne strahlte heiß auf den Asphalt und Shay hatte die Fenster des Wagens, wärend der Fahrt geöffnet.

Die schwarzen Vögel krächzten laut und wild miteinander. Shay konnte noch nicht einmal verstehen, was das Radio von sich gab. Verwundert über das merkwürdige Verhalten und darüber nachdenkend, ob es da nicht irgendeine Verbindung zu seinem Traum in der heutigen Nacht gab, kurbelte er die Fensterscheiben wieder hoch und drehte das Radio etwas lauter auf. Anscheinend befand er sich in einem Funkloch, denn der Ton kam rauschend und leise aus den Lautsprechern.

Als es keine Veränderung gab, drosselte Shay das Auto ein wenig und fuhr langsamer auf der leeren Straße entlang, um nach einem anderen Sender zu suchen. Plötzlich gab es wieder einen Ton, durchgehend und kaum zu identifizieren, aber nach kurzer Zeit merkte er dann, dass es sich nicht um das Radio handelte, welches wieder Laute von sich gab. Es waren die Raben die lauthals am Krächzen waren. Selbst im Auto klang es unerträglich.

Begleitet von einem kräftigen Windzug, der die Bäume am Straßenrand sich biegen ließ erhob sich die Masse an schwarzgefiederten Wesen in die Lüfte und flatterte davon, dem Horizont entgegen.

Das Krächzen verklang in der Ferne und nach weiteren Sekunden, in denen das Radio noch immer statisches Rauschen von sich gab, erfüllte auch wieder Musik das Auto.

Bobby

CATILINA.

Du mußt! Du mußt! so drängt mich eine Stimme

Im Innersten, und ich, ich zaudre noch!

Ein Mann, dem Kraft und Mut zu wirken eigen,

Ein Mann, dem jedes hohe Ziel bestimmt,

Verliert sein Herz an zügellose Freuden

Und meint, sie täten ihm genug! Und doch!

Du willst dich nur betäuben, nur vergessen.

Zu spät! Vorbei! Dein Tag ist ohne Ziel

(Henrik Ibsen)

(Catilina; erster Akt)
 


 

"Schau nur, Mummy! Daddy ist gekommen!" rief Sarah freudig, als sie sah wie der Wagen in der Einfahrt hielt. Überstürzt ließ sie ihren liebsten Stoffhasen Feiver fallen.

Immer wenn sie ihn so nannte, musste Shay an Watership down denken, wo eines der Kaninchen auch Feiver geheissen hatte. Auch bei Freddie war es so und damals hatte sie ihn, Shay, dafür verantwortlich gemacht, dass ihre Tochter diesen doch ziemlich brutalen Zeichentrickfilm gesehen hatte.

Shay hatte bis heute immer beteuert, dass er nicht daran Schuld war. Er habe sie nicht den Film sehen lassen; er fand zwar dass dieser Film viele Wahrheiten enthielt die man auf das menschliche Leben beziehen konnte, aber er selber fand den Film ein wenig zu brutal für ein achtjährigs kleines Mädchen, auch wenn es ein Zeichentrickfilm gewesen war.

Freddie stand bereits an der Veranda des kleinen, aber schmucken Hauses, mitten auf dem Land.

Hier hatte sie ihre Kindheit verbracht. Es war eine schöne Kindheit gewesen. Ihr Vater hatte dieses Grundstück, eine kleine Farm, von seinen Eltern übernommen.

Die Umgebung wirkte romantisch, wie das orangene Licht der Abendsonne das Haus beschien und das bereits abgeerntete Maisfeld. Freddies lange, blonde Haare wirkten ein wenig zerzaust und wiegte sich im sachten Wind. Wie schön sie auch aussah, in ihrer schlichten Kleidung und wie sehr sie auch aussah wie ein Unschuldskind vom Land, hier in diesem Szenario, so niederschmetternd war dennoch der Blick den sie ihrem Ehemann zuwarf.

Sie war anscheinend immer noch wütend, verletzt, aber dennoch stolz genug um nicht in Tränen auszubrechen. Denn danach war ihr zumute. Sie hatte sich so sehr gefreut darüber, dass ihr Mann nun vielleicht endlich anerkannt werden würde. Er hatte Talent, darin bestand kein Zweifel, auch wenn sie manchmal einfach nicht die Fantasie hatte seine Gemälde einzuordnen, zu verstehen.

Shay stieg aus dem Wagen aus, als Sarah ihm überstürzt in die Arme fiel. "Granny hat Apfelkuchen gemacht, Daddy." erzählte sie eifrig. "Wir wollten grad essen! Ich durfte auch etwas von den gezuckerten Äpfeln essen!"

Shay lächelte. Die Kleine war noch so unschuldig und schien von dem Streit ihrer Eltern gar nichts mitbekommen zu haben, oder sie überspielte es. Shay nahm die Kleine in den Arm und drückte sie an sich, ehe er sie wieder absetzte und sagte: "Dann lass Granny nicht warten und geh schonmal rein. Sonst wird der Kuchen noch kalt."

Sarah nickte freudig und lief die Einfahrt hinauf, über den kleinen Vorgarten wo sie grad noch mit Feiver gespielt hatte und hob das Stofftier hoch, rannte danach ins Haus.

Nun standen Shay und Freddie alleine da.

Wenn Freddie nicht diese aggressive Haltung hatte und genau dies auch ausstrahlte, würde die Situation harmonisch wirken. Vögel zwitscherten und flatterten in der angenehm warmen Abendluft herum. Shay ertappte sich wie er nach Raben ausschau hielt, aber weit und breit war kein einziger schwarzer Vogel zu sehen.

Raben warnen nur einmal...

Keine Raben, aber dafür die fremde Stimme.

Was sollte das heissen, Raben warnen nur einmal? Der Satz kam Shay unsinnig vor. Ach was dachte er da? Das alles hier war unsinnig! "Freddie, ich..."

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn schweigend an. Aber allein ihr Blick sagte dass sie auf eine Erklärung wartete, wohlwissend dass es für Seitensprünge keine sinngebende Erklärung gab. Gleich würde die Leier kommen, die sie bereits aus dem Fernseher kannte. »Schatz es tut mir leid. Es war ein einmaliges Versehen, es wird auch nicht wieder vorkommen. Bitte verzeih mir!« Lüge! Freddie wusste dass es nicht das erste mal gewesen war und wenn Shay mit diesem Argument kommen würde, dann konnte er gleich zur Hölle fahren.

Aber so dumm war Shay nun auch wieder nicht. Er war zwar dumm, dass er damit überhaupt angefangen hatte, wohlwissend dass es irgendwann bestimmt rauskommen würde, aber er war nicht so dumm seine Frau nun noch einmal anzulügen. "Es tut mir leid, ich habe einen Fehler gemacht. Nein, nicht einen. Sehr viele Fehler und dieser hier war der größte." sagte er und kam auf Freddie zu, die sich kein Stück bewegte.

"Würdest du das auch sagen, wenn ich Jack nicht damit beauftragt hätte dich auszuspionieren?" fragte sie und hob eine Augenbraue hoch, was nur wieder verdeutlichte wie gereizt sie war.

"Wahrscheinlich nicht."

"Hab ich mir gedacht!" sagte sie, drehte sich um und ging aufgebracht in das Haus hinein.

Da hast du es Shay Brown. Ehrlichkeit zahlt sich nicht aus.

»Wer hat dich denn gefragt...?«

Oh! Nun redest du doch ernsthaft mit mir und hälst mich nicht weiter für ein Hirngespinst?

»Da irrst du dich. Ich halte dich immernoch für eine Nebenwirkung des Stress in letzter Zeit.«

Dann würde ich mir an deiner Stelle aber ernsthafte Sorgen machen, wenn du dich mit jemanden unterhälst der nicht existiert.

Das stimmte sogar. Das war krank, was er grad tat. Er unterhielt sich mit einer Fiktion; einer Stimme die ihn seit einigen Tagen zu verfolgen schien.

Shay erwiederte gedanklich nichts mehr und ging mit langsamen, missmutigen Schritten Freddie hinterher. Wenn er jetzt den Schwanz einziehn würde, dann würde es nur noch schlimmer werden. Und Shay hatte wirklich keine Lust darauf seine Familie nun zu verlieren. Er musste Freddie nur überzeugen dass er es mit ihr und den Kindern ernst meinte. Und er meinte es wirklich ernst.

In der Küche angekommen wurde er sogleich, mehr oder weniger freundlich, von seiner Schwiegermutter begrüßt. "Hallo Shay, wie geht es deiner Geliebten?"

Freundlich wie immer, dieses alte Miststück. Shay konnte sie einfach nicht ausstehen. Aber so war es ja eigentlich immer, nur dass es eigentlich der Schwiegervater sein sollte, der den Schwiegersohn nicht mochte. In diesem Fall war es so, dass Shay sich sehr gut mit dem Familienoberhaupt verstand. Komisch, aber wenigstens ein kleiner Lichtblick.

"Wo ist Bobby?" fragte Shay, anstatt irgendwie auf die Bemerkung einzugehen.

Die Frage erübrigte sich aber, als der Junge aus dem Wohnzimmer in die Küche geschlurft kam.

Bobby befand sich momentan in einer merkwürdigen Phase, seit längerer Zeit wirkte er geistig nicht anwesend. Freddie und Shay waren auch schon mit ihm beim Arzt gewesen, aber auch dieser hatte keine Ahnung was mit dem Jungen los sein konnte. Er hatte gefragt, ob Bobby vielleicht unter Stress litt. "Nicht mehr als andere 12 Jährige auf der Welt." hatte Freddie gesagt und Shay hatte dies bestätigt.

"Beobachten Sie das Verhalten eine Zeitlang und kommen Sie in zwei Wochen wieder her!" hatte der Arzt gesagt. Diese zwei Wochen würde in zwei Tagen vorbei sein und bei Bobby hatte sich noch nichts geändert.

Doch, einmal war er aus seinem apatischen Zustand wieder erwacht gewesen. Es war, als Shay ihm gesagt hatte dass er bald nach New York fahren würde.
 

- "Hey, Bob! Hast du gehört, dein Daddy wird bald ein ganz großer Künstler werden!"

Bobby hatte seinen Vater eine Weile lang angesehen, alsob er nicht verstanden hatte was der von ihn wollte. Shay hatte sich mehr oder weniger damit abgefunden, dass der Junge nicht reagierte und wollte ihm schon durch die rotblonden Haare strubbeln, als die Reaktion plötzlich und wie aus der Kanone geschossen kam: "NEIN!"

Der Ausruf war so laut gewesen, dass Freddie aus dem Schlafzimmer, im ersten Stock, herunter ins Wohnzimmer gerannt kam.

Shay sah seinen Sohn erschrocken und verwirrt an. "Was ist denn los, Bobby?"

"Du darfst nicht nach New York fahren, Daddy!"

"Warum nicht?"

"Du darfst nicht!"

Fragend hatte Shay seine Frau angesehen, aber auch Freddie konnte es sich nicht erklären warum der Junge auf einmal so reagiert hatte.

Das war soweit auch die einzige Reaktion gewesen, die Bobby in letzter Zeit von sich gegeben hatte. Danach ignorierte er regelrecht seinen Vater und seine Mutter, wie sie vor ihm standen und ihn fragend, alsauch abwartend angesehen hatten. Irgendwann seufzte Freddie auf ung ging wieder zurück ins Schlafzimmer um Shay einige Sachen zurecht zu legen, die er bei der Ausstellung brauchen konnte.

Betretenes Schweigen herrschte nun wieder zwischen Vater und Sohn. Auch Shay hatte sich wieder aufgerichtet um aus dem Wohnzimmer heraus zu gehen.

"Geh nicht, Daddy. Die Wolken sind in New York sehr dunkel..." die Stimme war leise und klang etwas heiser.

Shay drehte sich erneut zu Bobby um, aber der Kleine spielte bereits wieder, abwesend und 'in seiner eigenen kleinen Welt', mit dem vor ihm liegenen Ball. -
 

"Hey Sportsfreund! Daddy ist aus New York zurück und es ist nichts schlimmes passiert." sagte Shay mit einer fast ansteckenden Freude in seiner Stimme.

Bobby sah nur kurz zu ihm hoch, noch immer mit dem selben, leeren, Blick in den Augen, wie als Shay ihn das letzte mal gesehen hatte.

"Es geht ihm nicht besser..." kam es von Freddie, seitlich von ihm.

Wer sagt denn, dass es ihm schlecht geht?

"Das ist doch normal, bei diesem Nichtsnutz von Vater, Freddie." kam es von Dephanie, dann hockte sie sich herunter zu ihrem Enkel, der mittlerweile an Shay vorbei gegangen war und vor dem Tisch stand, wo der Apfelkuchen betörend duftete. "Komm her Kleiner, Granny gibt dir jetzt ein Stück Apfelkuchen. Danach geht es dir wieder besser. Sieh nur, deiner Schwester schmeckt es auch sehr gut!"

Bobby ließ alles willenlos über sich ergehen, ließ sich an den Tisch setzen und aß dann schweigend ein Stück des Kuchens. Selbst Freddie quittierte die Bemerkung von Dephanie mit einem entgeisterten Blick. Es lag klar auf der Hand dass es nicht Shays Schuld sein konnte, dass der Junge nicht mehr redete und sich fast gar nicht mehr für seine Umgebung intressierte. Fragend sah Dephanie ihre Tochter an, aber diese schüttelte nur den Kopf, ging aus der Küche raus und nahm sich Shay ihm Flur zur Seite. "Hör zu, Shay." gab sie leise und etwas mitgenommen von sich. "Wenn ich ehrlich sein soll, Bobby verhält sich noch komischer, seit du in New York warst und wir aus Ultica hier her gekommen sind."

Das verwirrte Shay. Warum verhielt sich der Junge noch komischer?

Freddie schien nervlich am Ende zu sein und lehnte die Stirn an die Schulter ihres Mannes. "Ich weiss nicht was ich noch machen soll..." flüsterte sie.

Shay legte einen Arm um ihre Schultern und redete beruhigend auf sie ein. "Shilling sagt doch, das wir mit Bobby noch einmal vorbei kommen sollen, wenn wir die Sache beobachtet haben. Vielleicht ergibt sich ja noch etwas."

Freddie hob den Kopf wieder an und sah ihren Mann mit einem Blick an, der geradezu schrie, dass sie den Tränen nah war. "Ich sag dir, was sich ergeben wird, Shay," begann sie, "sie werden Bobby in eine Nervenklinik stecken, in den Trakt mit apatischen Kindern. Dann werden sie Tests mit ihm durchführen. Sie werden ihn an Käbeln befestigen und an Maschienen, die irgendwelche Hirnströhme testen."

Sie klang verbittert und es war auch verständlich. Vergessen war der Zwischenfall in New York und Shay dankte Gott dafür. Wahrscheinlich war Freddie einfach nur alles zu Kopf gestiegen und er, Shay, musste dann auch noch mit dieser gedankenlosen Aktion kommen. Der Mann verfluchte sich dafür. Wie konnte man nur so egoistisch sein? Wie konnte er sich nur so egoistisch verhalten? Sein Sohn Bobby verhielt sich merkwürdig und seine Frau war deshalb schon lange so aufgewühlt. Und was tat er? Er ging seinen egoistischen Gelüsten nach! Vergaß, dass er eine Familie hatte die sich um ihn sorgte und um die er sich sorgte. "Es tut mir leid, Freddie. Ich war egoistisch, hab nur an mich gedacht. Jetzt wo sich die ersten Bilder verkaufen ließen, ich schwör es dir beim verbleib meiner Seele..., diese Sache in New York..."

ehe er den Satz zuende sprechen konnte legte sie ihm zwei Finger auf die Lippen und brachte ihn somit zum Schweigen. "Ist schon gut..." murmelte sie, sah ihn an und diesmal waren wirklich Tränen in ihren Augen. Als sie die Hand sinken ließ, hielt er ihre Wangen mit den Händen und gab ihr einen sachten Kuss.

Wie hatte er je auch nur einen Gedanken daran verschwenden können, dass er mit anderen Frauen besser liegen können, als mit der eigenen? Stille lag nun zwischen den Beiden. Stille die viel mehr aussagte als jedes Wort es auch nur tun konnte.

Der Streit war vergessen, als die Sonne den letzten Strahl, vor Anbruch der Nacht über das Land schickte.

"Freddie-Schatz, möchtest du nicht auch ein Stück Kuchen essen?" kam es plötzlich aus der Küche, ehe Dephanie aus dieser hervorgetreten kam und diese Stille unterbach, ja regelrecht zerstörte. Was folgte war ein entgeistertes Aufseufzen und einige Worte, die verdeutlichten dass sie ziemlich ungehalten auf den erneuten Frieden reagierte. "...und du, Shay...?" fügte sie nach einigem zaudern noch hinzu.

Hatte er richtig gehört? Hatte seine Schwiegermutter, der Drache, ihm soeben ein Stück Kuchen angeboten?

Es war wahrlich ein merkwürdiger Tag, der grad zuende gegangen war. "In anbetracht dessen, dass du mir noch nie solch eine Gastfreundschaft angeboten hast, kann ich jetzt natürlich nicht nein sagen." gab er mehr als freundlich von sich.

"Hör auf zu schleimen, Brown. Damit erreichst du bei mir gar nichts." erwiederte sie missbilligend und ging wieder in die Küche.

"Man kann deiner Mutter aber auch nichts recht machen."

Freddie lachte und ging mit ihm zusammen in in die Küche.

Sarah, aufgeweckt wie sie war, hatte bereits den Boden vor sich mit Kuchenstücken vollgekrümelt und gab einen quietschenden Laut der Freude von sich, als sie ihren Daddy und ihre Mummy zusammen in die Küche kommen sah.

Da sagte noch einer Kinder seien dumm und unwissend. Sie merkten genau, wenn etwas nicht mit ihrer Umwelt stimmte und freuten sich umsomehr, wenn es wieder in die richtige Bahn gelangte.

Das Einzige was nun immer noch nicht stimmte, war Bobby. Auch der Junge war einmal ein aufgewecktes Bürschchen gewesen. Baseball war seine Leidenschaft gewesen und man musste ihn förmlich irgendwo festketten, um ihn davon abzuhalten nicht jede freie Minute draussen zu verbringen. Das hatten Shay und Freddie, weiss Gott, nie getan. Sie waren glücklich darüber gewesen dass sie zwei so vitale Kinder hatten, aber nun ging Bobby noch nicht einmal mehr zur Schule. Das Stück Kuchen hatte er auch noch nicht einmal zur Hälfte gegessen, trotzdem meinte Shay für einen kurzen Moment etwas wie ein Lächeln auf seinem ausdruckslosen Gesicht zu sehen, als er den Kopf gehoben hatte und seine Eltern sah.

Würde sich jetzt eine Besserung ergeben?

Vielleicht, auch wenn es noch nicht ganz danach aussah. Aber die Versöhnung mit Freddie brachte Shay schon ein Stück weiter und das mit Bobby würden sie auch noch hinbekommen. Ganz sicher.

"Shay hat Bilder verkaufen können, Mutter." sagte Freddie irgendwann, während sie gemeinsam am Tisch saßen und Kuchen aßen.

"Tatsächlich? Welche? Die mit den nackten Frauen, oder die mit den Hirngespinnsten einer Welt?" harte Worte, die aber die Wahrheit sprachen.

"Es waren Landschaftsbilder, Dephanie." sagte Shay gelassen. Alles schien grad gut zu laufen also wollte er sich die Laune nicht vom Drachen verderben lassen.

"Herzlichen Glückwunsch. War wohl ein Glückstreffer."

"Vielleicht, aber vielleicht auch nicht."

Zeit verging. Der Abend wurde später.
 

"Ich fahre schonmal vorraus, Freddie. Du kannst dann morgen mit den Kindern nachkommen." sagte Shay irgendwann, als die beiden im Gästezimmer auf dem Bett saßen, Rücken an Rücken, wie sie es oft getan hatten. "Ich glaube nicht, dass Mutter etwas dagegen sagt, wenn du über Nacht hier bleibst." sagte Freddie, schien nicht sonderlich begeistert darüber zu sein, dass Shay zu so einer späten Stunde noch fahren wollte.

"Ich weiss, aber ich muss noch etwas Ordnung schaffen, Zuhause." erwiederte er und lächelte verlegen als Freddie den Kopf drehte und ihn ungläubig ansah. "Ich habe ein wenig gewütet, als ich gestern alleine Zuhause war." fügte er hinzu.

"Shay Brown will aufräumen. Gibt es also doch noch etwas wie Wunder?!"

"Siehst du doch."

Sie drückte ihm noch einen Kuss auf die Wange und ließ ihn dann aufstehen. "Du weisst, dass du das nicht musst...?!"

"Natürlich."

In Wirklichkeit lag es tatsächlich daran, dass es Shay nicht behagte hier, in diesem Haus, zu schlafen. Immer wieder aufs Neue spührte er Dephanies giftige Blicke auf sich haftete, auch wenn sie sich gar nicht im selben Raum befand. Auch Freddie wusste das und deshalb ließ sie ihn gehen. Morgen würde sie hinterher kommen, allein schon wegen ihrem Sohn. Er hatte sich wirklich noch abweisender, ja fast schon ängstlich verhalten seit sie hier waren. Warum auch immer, aber in Ultica hatte er wenigstens keine Angst, so wie hier. Es war seltsam, aber eigentlich war er sonst immer gerne hier gewesen.
 

Die Straße war leer, bis auf die Lastwagen die ab und an auf der anderen Fahrspur an ihm vorbei fuhren und in der Dunkelheit konnte man auch keine Raben auf den Bäumen sehen. Das beruhigte Shay.

Die ganze Fahrt über hatte er sich Gedanken über Bobby gemacht.

Freddie hatte ihm genau erzählt, wie sich sein Zustand verschlechtert hatte. Kein Wunder dass es auch Freddie immer schlechter ging, dass sie es bald nicht mehr aushielt.

Wenn das Kind Angstzustände zu haben schien, obwohl es keinen Grund dazu gab, dann nahm es die Mutter mit. Auch Shay musste es erst verdauen, wie sie ihm erzählt hatte dass Bobby sich in seinem Zimmer eingeschlossen hatte, als sie zu ihrer Mutter fahren wollten.

Er hatte nicht geschrien, hatte sich nicht auf den Boden geschmissen und darum gekämpft zuhause zu bleiben. Er hatte sich lediglich stillschweigend in seinen Zimmer eingeschlossen, alsob es gar nicht auffallen würde, dass er nicht im Auto saß.

Freddie hatte den Jungen im ganzen Haus gesucht und erst ganz am Ende festgestellt dass die Zimmertür verschlossen war. Mit einem Ersatzschlüssel hatte sie die Tür öffnen können, da Bobby den Schlüssel nicht hatte stecken lassen.

Der Junge hatte sich unter dem Bett versteckt, aber Freddie war so aufgebracht gewesen dass sie sich auf keine Kompromisse eingelassen hatte.

Ein Auto fuhr auf der Gegenspur an Shay vorbei. Am Steuer saß eine junge Frau und Shay war für einen Augenblick abgelenkt.

Ihre Blicke schienen sich für einen Moment zu treffen. Es war eine hübsche Frau. Warum waren eigentlich alle Frauen so hübsch? Die Augenfarbe konnte Shay in dem kurzen Moment nicht erkennen, wobei es eh zu dunkel gewesen war, aber die Frau hatte einen feschen Kurzhaarschnitt, schwarze Haare.

Shay schüttelte den kopf. Er hatte sich doch grad mit seiner Frau versöhnt und nun sah er bereits der Nächsten hinterher. Ehe er wieder auf die Straße sah, erfüllte ein Ohrenbetäubender Laut die Luft und Shay bekam zu spät mit, dass es sich um das anhaltende Hupen eines Lasters handelte.

Shay war ausversehen auf die falsche Fahrbahn geraten.

Ein Versehen, das ihm den Hals kostete. Das nächste was er hörte, als er das Lenkrad hart zur Seite riss, war das Geräusch von zwerberstenden Metall, ein lautes Krachen und dann war alles still und dunkel.

Nachrichten

Du schwurst mir ja, mein Aug bezaubre dich;

Schaut ich dich an, so könntst du nimmer gehen!

Mein bist du ja! - Erst wenn mein Auge bricht,

Dann küß mich sanft und sprich: Auf Wiedersehen!

(Theodor Storm)

(Auf Wiedersehen)
 

Es klingelte.

Freddie, die sich grad erst bettfertig gemacht hatte ging zur Tür und öffnete.

"Ja Bitte...?"

"Fredrike Brown?"

"Ja das bin ich."

Der Anblick der beiden Cops, vor der Tür machte Freddie nervös, gleich von Anfang an. Irgendetwas war passiert, soviel stand fest. Ein älterer Mann und eine Frau, Asiatin, welche wesentlich Jünger war und anscheinend noch nicht lange im Dienst. "Mein Name ist Travers und meine Partnerin heisst Pang. Wir haben bereits bei Ihnen Zuhause angerufen. Der Anrufbeantworte sagte, dass man Sie hier bei Ihrern Eltern finden würde."

"Ja, meine Kinder und ich sind vorrübergehend vorbei gekommen. Stimmt irgendetwas nicht?"

"Dürfen wir reinkommen?" fragte Travers und sah Freddie mit einem festen Blick an.

"Natürlich." Freddie gab den Weg frei und die beiden Cops gingen an ihr vorbei. "Das Wohnzimmer ist am Gangende, auf der rechten Seite. Möchten Sie einen Kaffee, oder Tee...?"

Die Cops verneinten, dankend.

Als die drei dann im Wohnzimmer saßen, alleine, wünschte Freddie sich, sie wäre auf das Widerstreben von Bobby Zuhause eingegangen. Sie wünschte sich, sie wären nicht hierher, zu ihren Eltern gefahren.

Der Moment, bevor Travers anfing zu reden, zog sich in unendlich lange Sekunden. Man hörte in der Küche die Uhr ticken und im Bad das stehtige herabtropfen aus einem Wasserhahn.

"Miss Brown, es geht um ihren Mann..."
 

Für einen Moment hatten die Scheinwerfer Shay voll erfasst und blendeten ihn. Lediglich das anhaltende Dröhnen des Lasters, ließ Shay darauf schließen dass es nun vorbei war.

Das Scheinwerferlicht ließ ihn für den Bruchteil einer Sekunde aber auch den Blick auf die Bäume werfen, die den Straßenrand säumten. Wieder saßen die Raben da, sie hatten bereits die ganze Zeit dort gesessen und schienen das ganze Spektakel mit ihren schwarzen Augen zu fixieren. Noch immer kurbelte Shay das Lenkrad hart herum, hatte die Hoffnung dass der Wagen vielleicht noch im Graben landete, er aus der Sache einigermaßen ohne Schaden hervorging.

Aber dies war nun die Strafe dafür dass er erneut einer Frau nachgesehen hatte, obwohl er sich mit Freddie versöhnt hatte.

"Idiot, Idiot!" fauchte Shay, ehe der Wagen eine 360° Drehung vollführte, vom Laster hart frontal getroffen wurde und sich nach einer schier endlosen Zeit, in welcher der Laster den Wagen vor sich herschob, überschlug und anschließend im Graben liegen blieb.

Alles war wie in Zeitlupe abgelaufen und letztendlich, als der Laster sich quer auf die Straße gestellt hatte, fast ohne Schaden, erhoben sich die Raben von den Bäumen und stürzten sich auf den demolierten Wagen von Shay Brown.

Das meinte ich mit die Raben warnen nur einmal, Shay Brown. gab die Stimme von sich, bevor Shay das Bewusstsein verlor, das Auto mit einer unglaublichen Detonation in Einzelteile zerrissen wurde und die Raben mit einer heissen Druckwelle in den Tod riss.
 

"...wir schätzen dass es so abgelaufen ist..." schloss Pang ihre Erzählung; Freddie hatte mit schwacher Stimme gefragt was passiert war und Pang hatte angefangen zu erzählen da, zusammen mit der Aussage des Lastwagenfahrers, sich der Unfall leicht hatte rekonstruieren lassen.

Der Fahrer hatte immer noch unter Schock gestanden, als die Cops angekomen waren. Wie apatisch hatte der Mann, mitte fünfzig, auf der Ladefläche seines Transporter gesessen, wärend das Wrack des alten Nissan von Shay auf der Straße verteilt gelegen und an einigen Stellen noch qualmend vor sich hergeglühte hatte.

"Das merkwürdige an seiner Aussage war, dass er immer wieder Raben erwähnte. Es waren definitiv Vögel dort gewesen. Überall lagen verkohlte Körper, ob es nun ausschließlich Raben gewesen sind, steht noch nicht fest. Aber ich denke die Vögel dürften nicht weiter wichtig sein, für weitere Fragen. Wahrscheinlich hatten sie auf den Bäumen gesessen und wurden von dem Lärm aufgeschreckt." gab Travers von sich.

Freddie griff zu der Zigarrettenschachtel auf dem Wohnzimmertisch, die zwar ihrem Vater gehörten, aber das war ja nun auch egal. Genauso wie es egal war dass Freddie nicht rauchte. Sie hatte ihrem Vater sogar schon mehr als einmal versucht vom Rauchen weg zu bekommen, aber immer wenn sie gesagt hatte dass die Zigarretten ihn noch umbringen würden hatte ihr Vater gesagt, dass es doch egal wäre, denn schließlich sei er schon alt genug und so lange würde er auch nicht mehr die Welt mit seiner Anweseheit belästigen. Freddie hatte es immer unglaublich aufgeregt, wenn er soetwas sagte.

"Es... es stört Sie doch nicht...?" fragte Freddie und sah zu Travers und Pang, welche aber den Kopf schüttelten. Es war nicht das erste mal, dass sie solche Nachrichten überbringen mussten. Das war bei Gott nicht die schönste Aufgaben die sie in ihren Beruf erledigen musste. Aber sie mussten zugeben, dass Freddie bei weitem nicht so schlimm reagierte, wie es schon viele andere getan hatten, die ganze Situation war nicht so aus den Fugen geraten wie man es hätte annehmen können. Einmal, erinnerte sich Travers, da hatte er mit einem anderen Partner ebenfalls die Nachricht überbringen müssen, nur dass es damals ein Todesfall gewesen war. Die Sache war recht unschön gewesen; die junge Frau war einfach nur das Opfer unglücklicher Gegebenheiten geworden. Bandenkrieg in der Innenstadt, mit Waffen wurde nicht gegeizt. Die Anwohner hatten die Polizei gerufen, da sie hofften dass der lange Arm des Gesetzes dazwischen gehen konnte. Stattdessen war es aber die besagte Junge Frau gewesen, die dazwischengegangen war. Es war dunkle Nacht gewesen, die Straßenleuchten waren schon zu Bruch gegangen und anscheinend hatte die Frau nicht gewusst wo sie entlang gehen konnte und wo nicht. Es war zwar ein dummes Verhalten gewesen, aber dennoch nicht zu verübeln. Die Schüsse waren von überall gekommen, es war nur reine Glücksache dass nicht noch mehr passiert war. Wobei es schon schlimm genug gewesen war dass überhaupt jemand dabei umgekommen war. Zumindest hatte die Schießerei urplötzlich aufgehört als der gellende Schrei der Frau erklungen war, als sie zwei Kugeln zu Boden gerissen hatten.

Die beiden Banden hatten wohl selber nicht damit gerechnet dass irgendjemand getroffen werden konnte. Es waren keine Großstadtkriminellen gewesen, lediglich einige Rowdies die meinten sie würden cool sein. Sie waren schneller von der dunklen Bildfläche verschwunden gewesen, als sie aufgetaucht waren. Allerdings hatten sie in ihrer Hast auch genug Spuren hinterlassen, sodass Einige aus den beiden Gruppierungen gestellt werden konnten.

Auf jedenfall hatte Travers die Aufgabe gehabt die Nachricht an die Angehörigen weiter zu geben. Damals war er noch nicht lange im Dienst gewesen und hatte sich immer an seinen Partner Paul Shannon halten müssen. Das was danach kam hatte sich auf ewig in seinen Kopf gefressen: Sie waren zusammen in dieses herunter gekommene, mehrstöckige Haus gehen müssen, die Verhältnisse waren miserabel gewesen. Als sie die richtige Wohnungstür gefunden hatten, öffnete ihnen ein kleines Mädchen. Sie war noch keine acht Jahre alt gewesen. Auf die Frage hin, ob ihr Daddy zuhause war, kam keine Antwort, stattdessen ertönte aus einen der hinteren Räume die Frage einer alten und gebrechlichen Frau, wer denn an der Tür sei. Shannon war in die Wohnung hinein gegangen, Travers war gefolgt. Die Wohnung war fein säuberlich aufgeräumt gewesen. Hier und da lag vielleicht ein Spielzeug von dem Mädchen, welches die Tür hinter den beiden Männern vorsorglich wieder geschlossen hatte. Weiter hinten befand sich ein Schlafzimmer. Die alte Frau hatte sich mühsam aus dem Bett gequält. "Shirley, wer ist denn da...?" rief sie ächzend.

"Es tut uns leid, Miss. Ich bin Officer Paul Shannon und das ist mein Partner Peter Travers. Wir..." hatte Shannon begonnen, wurde von der Frau aber unterbrochen. "Was ist mit Jennifer?!" kam es urplötzlich von ihr und die glasigen, alten Augen hatten entsetzt dreingeschaut.

"Sind Sie Jennifer Drews Mutter?"

"Ja, Officer. Und die Kleine ist Jennys Tochter. Shirley Drew."

"Ist Mister Drew auch anwesend?"

"Shirley´s Vater? Nein, Officer. Der Mann hat sich aus dem Staub gemacht. Seid Jahren gibt es kein Lebenszeichen von ihm. Noch nicht einmal den Unterhalt zahlt dieses Schwein!"

Shirley hatte sich an den beiden Männern vorbei gezwängt und saß nun bei ihrer Granma, sah die beiden Cops mit großen, fragenden Augen an. Travers hatte sich hingehockt und lächelte dem Mädchen freundlich zu, die aber schüchtern, oder auch ängstlich, den Kopf zur Seite gedreht hatte und dann zu Boden sah.

Travers hatte fragend zu der Alten aufgesehen und sie schüttelte dann langsam und bedauernd den Kopf. "Shirley ist stumm."

Daraufhin war Travers wieder aufgestanden. "Aber, hören kann sie uns?"

"Ja."

"Vielleicht wäre es dann besser wenn die Kleine ein wenig spielen geht...?" hatte Shannon daraufhin gesagt, aber die Alte erwiederte daraufhin nur dass Shirley es so oder so mitbekommen würde. Ob nun früher oder später, wäre in diesem Fall wohl egal.

Travers hatte zu diesem Zeitpunkt die Ahnung beschlichen dass die Alte so oder so schon wusste was für eine Nachricht sie ihr überbringen würden. Eigentlich war es ja auch nichts weiter als logisches Denken, was man brauchte um zu erraten was zwei Cops von einer alten Frau und deren Enkelin wollten: Eine Todesnachricht überbringen. Dieser Gedanke wurde ihm auch schon bestätigt, als Shannon den Mund aufmachte um der Alten das zu sagen, wofür sie gekommen waren.

"Wie ist sie gestorben?"

Beide, Shannon und auch Travers schwiegen eine Weile, ehe Travers das Wort übernahm. "Es war eine Schießerei, vier Straßen weiter. Ihre Tochter ist unglücklicherweise zwischen die Fronten geraten..."

Die Alte nickte, was irgendwie ungewöhnlich wirkte.

In diesem Moment hatte Travers noch gedacht dass sie Glück gehabt hatten. Menschen reagierten unterschiedlich auf Todesnachrichten. Mal ruhig und mal hysterisch, Travers hatte angenommen dass sie hier auf die zweite Variante getroffen waren und war erstaunt gewesen, dass die Alte noch so ruhig reagiert hatte. "Es tut uns aufrichtig Leid..."

Shirley hatte bereits stumm angefangen zu weinen. Die bitteren Tränen der Erkenntnis, dass ihre Ma nie wieder nach Hause kommen würde, liefen der Kleinen über die Wangen wärend sie sich fester am Arm ihrer Granma zu halten schien. Plötzlich aber ließ sie, den anscheinend einzigen Menschen den sie noch hatte, entsetzt los.

Der alte Körper fiel leblos zur Seite und in dem Moment wusste Travers, das dieses merkwürdige Nicken nichts weiter gewesen war als die letzten Atemzüge, welche die Alte von sich gegeben hatte, ehe sie ihre Enkelin alleine in dieser Welt zurück ließ. Shirley hatte sich fast sofort wieder gefasst, von dem Schreck, aber anscheinend ging es trotzdem nicht in ihren jungen, unwissenden, Kopf, dass sie soeben auch ihre Granma verloren hatte. Verzweifelt rüttelte sie an dem toten Körper, der nun neben ihr lag.

"Scheisse..." war das einzige was Shannon von sich geben konnte und Travers dann einen undefinierbaren Blick zuwarf. Anscheinend wusste er nun auch nicht wie er mit der Situation umgehen sollte. Travers brauchte ebenfalls einige Sekunden, bis er verstanden hatte was vor sich gegangen war. Er ging auf die Kleine zu, die immer noch verzweifelt, in der Hoffnung dass ihre Granma nur wieder eingeschlafen war, an ihr zerrte. Sanft nahm er sie bei den Schultern und zog sie von dem Bett weg.

Wie schmerzhaft musste die Erfahrung sein, die beide letzten Menschen im Leben verloren zu haben?

Und wie grausam konnte das Leben sein, dies auch noch möglich zu machen?

Shannon hatte die Notrufzentrale angerufen, wohlwissend dass es hier niemanden zu retten mehr gab, ausser dem kleinen Mädchen.

Wenig später wurde die Leiche aus der Wohnung transportiert.

Was mit Shirley passiert war wusste Travers nicht. Man hatte sie zwar mitgenommen aber wahrscheinlich war sie in ein Heim gekommen.

Dieser Moment, in dem Travers klar geworden war dass der Tod unberechenbar war, hatte sich in sein Hirn gefressen und er hoffte dass ihm soetwas nie wieder passieren würde. Es war nicht sonderlich ekelerregend gewesen, dafür aber grausam auf einer mentalen Weise.

Aber es waren weitere Jahre ins Land gezogen, weitere Male hatte er zusammen mit Shannon den Botschafter gespielt, bis Shannon ebenfalls von ihnen gegangen war. Aber Travers hatte bereits so häufig den Tod vor Augen gehabt, wenn es ihn auch bisweil nicht selbst betroffen hatte, dass er es nur natürlich fand. Ihm waren noch nicht einmal Tränen entkommen, bei der Beerdigung seines geschätzten Partners, auch wenn es ihm klar war dass diese regelrecht unbeschwerten Zeiten nun vorbei waren. Aber das Leben ging weiter.

Nun war er Officer und hatte einen Partner. Das Leben ging weiter...

"Ist... er tot...?"

Travers wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen als Freddie die Frage gestellt hatte.
 

Etwa eine Stunde später befand sich Freddie im Wartezimmer des nahegelegenem Krankenhauses.

Dort hatte man Shay hingebracht. Wie durch ein Wunder hatte er den Unfall fast unbeschadet überstanden. Einige Knochenbrüche waren bisher das einzige was man feststellen konnte. Das einzige Problem war seine Bewusstlosigkeit gewesen, die Ärzte meinten dass er unter einer Gehirnerschütterung leide und er wahrscheinlich bald wieder erwachen würde. Nun befand Shay sich in einem Operationsaal. Unter den Knochenbrüchen fielen auch die Rippenbrüche, welche zur Folge hatten dass sie einige Organe, wie die Lunge verletzt hatten. Shay hatte innere Blutungen... seine Lage war kritisch; soviel zum Thema unbeschadet.

Nach schier endlos langer Zeit kam eine Schwester aus dem OP. "Miss Brown, sie können nun zu ihrem Mann..."

Der Anblick von Shay ließ in Freddies Augen die Tränen aufsteigen. Als sie sich zu Shay herunter beugen wollte, nachdem sie all die Kabel begutachtet hatte, die an irgendwelchen Maschienen, die sie nicht kannte, endeten stand mit einem mal, unerwartet, ein Arzt hinter ihr.

Sie drehte sich um und sah den Mann, der nicht älter als Shay zu sein schien, an. Ihre Augen waren bereits rot, von den Tränen die sich weiterhin hervorkämpfen wollten, es aber nicht konnten. "Oh... entschuldigen Sie..." sagte Freddie ein wenig neben der Spur und nahm wieder abstand zu dem Bett, in dem ihr Mann lag. Im Hintergrund piepste leise das EKG, stetig und regelmäßig.

Der Arzt sah sie kurz an, war dann der festen Überzeugung dass er es hier mit der Ehefrau des Patienten zu tun hatte.

"Er... er regt sich rein gar nicht...?"

"Miss Brown, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie."

Als Freddie nichts weiter sagte, ihn lediglich schweigend und noch immer nicht verstehend was hier überhaupt passiert war, übernahm der Arzt wieder das Wort.

"Mein Name ist Jason Smith, ich habe die Operation geleitet die wir an Ihrem Mann durchgeführt haben..."

Noch immer schwieg Freddie, wartete auf die gute und auf die schlechte Nachricht.

"Nun... die gute Nachricht ist, dass Ihr Mann die Operation soweit gut überstanden hat. Die inneren Blutungen konnten gestillt werden. Die schlechte Nachricht ist, dass Ihr Mann durch den Autounfall ein schweres SHT davon getragen hat."

Freddie legte den Kopf etwas schief und sah ihren Gegenüber fragend an. "SHT? Schädel Hirn Trauma?"

"Richtig. Ein Schädel Hirn Trauma dritten Grades. Compressio cerebri, auch genannt: Gehirnquetschung."

Oh wie Freddie das ankotzte. Die Ärzte mit ihrem verdammten Quaksalberlatain. Wen intressierte die latainische Bezeichnung einer Gehirnquetschung? Niemanden! Wollten sie einen gebildeten Eindruck machen, damit der Gedanke sie seien nicht qualifiziert genug somit im Keim erstickt wurde?

Freddie hasste es. Allein in den Tagesnachrichten, wenn Interviews geführt wurden hatte sie es schon mitbekommen: Andauernd dieses Latain, was die mindestens die Hälfte aller amerikanischen Mitbürger nicht verstand. Und anschlißend kam dann die klugscheisserische Erklärung zu diesen verdammten Worten in dieser verdammten Sprache die sowieso niemand brauchte.

Freddie ließ sich auf einen Stuhl sinken und verdeckte ihr Gesicht mit den Händen.

Es war normal dass sie so gereizt reagierte, auf das Reden eines Arztes, der lediglich seinen Job tat. Was sollte auch anderes passieren? Schließlich lag ihr Mann hier in einem Bett, anscheinend nur mit unendlich vielen Maschienen am Leben gehalten. "Und was heisst das für mich, wenn mein Mann eine Gehirnquetschung hat?"

"Anscheinend hat sich Ihr Mann bei dem Unfall eine schwere Gehirnverletzung zugezogen. In seinem Fall hat auch das Gehirn innere Blutungen aufzuweisen, welche das ganze erst so schlimm machen."

Freddie sah auf.

"Sie müssen es sich vorstellen, wie ein Luftballon der sich immer mehr mit Wasser füllt, aber sich nicht ausbreiten kann, weil er in einem zu kleinem Eimer steckt. Somit verklemmt sich der Luftballon an manchen Stellen. Miss Brown, Ihr Mann befindet sich im Koma und wie lange, dass kann niemand sagen. Die Möglichkeit, dass er gar nicht mehr erwacht ist ziemlich hoch..."
 

Es war bereits über eine halbe Stunde vergangen, in der Freddie einfach nur da gestanden hatte und auf das unnatürlich bleiche Gesicht ihres Mannes herab gesehen hatte. Dann schien die Kraft aus ihren Beinen zu weichen und sie ließ sich neben dem Bett auf die Knie sinken. Schon lange liefen ihr die Tränen über das Gesicht, schon sehr lange, aber sie hatte es noch nicht mitbekommen.

Das einzige was sie beschäftigte war die Frage: Warum?.

Warum sie?

Warum jetzt?

Warum Shay?

Jetzt, wo sie sich wieder zusammen gerafft hatten. Jetzt wo wieder alles so werden konnte wie vor einigen Monaten. Vielleicht hätte sich Bobbys Zustand nun ja auch gebessert?

Wie sollte sie das den Kindern erzählen? Schließlich gehörte sie nicht zu der Art von Frauen die ihren Kindern erzählten, dass ihr Daddy nur ein wenig schlafen würde.

Wahrscheinlich dachte sie aber auch nur so, weil sie bisher noch nie in so einer Situation gesteckt hatte?

Was solte sie denn jetzt tun?

"Du verdammter Mistkerl..." flüsterte sie leise und mit solche einer weinerlichen Stimme dass sie fast selber erschrocken gewesen war. "Du hast mir doch gesagt dass du mich nicht verlassen würdest... und jetzt hast du es schon wieder getan!"

Freddie blieb die gesamte restliche Nacht im Krankenhaus, am Bett ihres Mannes und lauschte den regelmäßigen Anschlägen des EKG.

Schwarze Wolken?

Du gehst noch einen Schritt,

du bist dir noch ganz gleich,

da geht schon jemand mit

aus einem anderen Reich.

Martin Kessel

(Das Andere)
 

Verwüstung.

Soweit man sah, nichts war als bewohnbares Land zu erkennen. Überall häufte sich Geröll und Überreste von einstigen Häusern auf, zumindest glaubte Shay dass es mal Häuser gewesen waren. Er stand mitten in dieser Einöde. In einiger Entfernung konnte Shay einen Brunnen ausmachen, oder zumindest das was davon übrig geblieben war. Er ging auf die steinernden Überreste zu, denn nichts schien jetzt verlockender zu sein als ein Schluck Wasser. Die Hitze war unerträglich, eigentlich könnte er sich auch in einer Wüste befinden; über ihn brannte die Sonne auf seine zerissene Kleidung und unter ihm brannte der Sand.

Als Shay sich über den Rand des Brunnens beugte musste er feststellen dass dieser bereits ausgetrocknet war. Nicht ein Tropfen Wasser war zu sehen und besonders tief war der Brunnen eh nicht, Shay konnte bereits den Grund sehen.

Resigniert ließ er sich auf den Boden nieder, zwischen einzelnen Gesteinsbrocken und lehnte seinen Rücken gegen den Brunnen. So starrte er in den blauen Himmel und hielt ausschau nach irgendwelchen lebenden Wesen, aber es sah so aus als wenn es hier nichts Lebendes mehr geben würde. Noch nicht einmal Geier kreisten über ihn. Wobei sich die Frage stellte ob es hier überhaupt Geier gab, in diesem Land, wo auch immer er sich befand.

Gnadenlos der Sonne ausgeliefert lief ihm der Schweiss die Stirn herab, wahrscheinlich würde es helfen wenn er sich zumindest das zerrissene Shirt auszog, aber dann lief er in Gefahr einen Sonnenbrand zu bekommen und das würde die Sache nicht besser machen. Wahrscheinlich dauerte es noch nicht einmal mehr lange bis er mit einem Hitzeschlag zu Boden fiel. Diese Wüstenhitze war wirklich nicht zu vergleichen mit einem Sommer in Amerika.

"Wie kommst du eigentlich darauf dass du nicht mehr in Amerika bist?" begann Shay mit sich selber zu reden, da er die Stille um sich herum nicht mehr ertrug.

"Ganz einfach, weil es in Amerika keine Wüste gibt." seine Stimme kam ihm unnatürlich Laut vor, obwohl er in einer normalen Lautstärke sprach.

Shay schwieg sich selber an und betrachtete seinen Schatten auf dem Boden vor sich. Irgendwie sah es so aus, alswenn sich eine dunkle Gestalt aus dem Brunnen hervorhob. Shay drehte seinen Kopf, bloss um sicher zu gehen dass dem nicht so war, obwohl er es sich ja eigentlich hätte selber beantworten können: Natürlich kam da niemand aus dem Brunnen hervor. "Spinner..."

Es dauerte nicht lange und die Hitze forderte ihren Tribut: Shay war eingeschlafen und als er die Augen wieder öffnete befand er sich in einem Krankenhaus.
 

Mittlerweile war es morgen geworden und eine Krankenschwester hatte Freddie eine Tasse Kaffee gebracht. Shay hatte sich die ganze Nacht nicht geregt und wohl oder übel musste Freddie nun langsam wieder zurück nach hause zu den Kindern. Es graute ihr davor die fragenden Gesichter der beiden zu sehen, die garantiert wissen wollten wo sie gewesen war.

Was sollte sie ihnen denn sagen? Tut mir leid Kinder, aber euer Vater ist nun in einem Zustand der ähnlich ist wie der Tod?

Freddie lachte einmal nervös auf. "Werd doch wieder wach, Shay!" flehte sie.

"Ich bin doch wach!"

Freddie drehte sich um und ging einige male durch den Raum alsob sie ihm noch eine Galgenfrist gebenwollte, bevor sie gehen musste.

"Freddie?!"

Keine Reaktion. Freddie schluchzte einmal, ehe sie zurück ging und mit ihren weichen Händen Shay´s Gesicht hielt, drauf und dran war ihm einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Sie senkte ihren Kopf, hielt aber auf halben Wege inne, alswenn eine unsichbare Mauer sich in ihren Weg gestellt hatte. "Ich muss jetzt gehen..." gab sie zögerlich von sich und drehte sich dann von Shay weg, um aus dem Zimmer zu verschwinden.

Bin ich tot? Was soll das? Warum lieg ich da im Bett, wo ich doch hier neben ihr stehe? Warum sieht sie mich nicht? Das kann doch wirklich nur heissen dass ich tot bin, oder? Aber wenn ich tot wäre, dann würd ich nicht mehr da in dem Bett liegen...?

"Freddie!" Shay lief ihr nach, als er bemerkte dass seine Schuhe kein klackendes Geräusch am Boden gaben, wie es normalerweise hätte sein sollen. Also bin ich doch tot...? Eine körperlose Seele...

Er hatte schon oft von diesem Phänomen gehört, aber wirklich dran geglaubt hatte er nicht. Nach dem tot kehrt mal als lebloser Geist zurück. Pha! Und doch konnte er es sich jetzt nicht anders erklären. Er griff nach Freddies Schulter, aber sie entfernte sich immer mehr von ihm und er schien auf einmal wie an einer Stelle festgewachsen zu sein. Der Raum verzerrte sich, schien mit einem Mal größer zu werden und zu wanken. Um ihn herum wurde es dunkel, als Freddie aus dem Zimmer verschwand und um die Ecke ging. Die Schatten um ihn herum wurden immer größer und nahmen Gestalt an. Sie sahen aus wie die schwarzen Wolken aus seinem Traum von vor ein paar Tagen. Sie griffen nach Freddie, aber diese ging einfach weiter, schien nichts von dem mitzubekommen was in Shay auf einmal eine unendliche Angst einjagte. Eiskalte Schauer liefen seinem Rücken herunter, als er beobachtete wie die schwarzen Wolken sich bewegten wie ein lebendes Geschöpf. Sie hielten inne und drehten sich zu ihm herum, schienen ihn mit einem formlosen Körper, ohne Gesicht und ohne Augen anzusehen und wölbten sich dann auf, stauten sich zu einem undefinierbarem Gebilde zusammen welches doch stark an eine Gewitterfront erinnerte, und stürzten dann auf Shay herab, der wie gelähmt war vor Grauen.
 

Er riss die Augen auf und bemerkte dass er klatschnass war.

Noch immer brannte die Sonne auf ihn herab und er hatte die ganze Zeit unter ihr gesessen. Erbarmungslos hatte sie auf ihn herabgeschienen, erbarmungslos hatte sie seine Haut aufgehitzt. Shay sah an sich herab. Die Sonne hatte ganze Arbeit geleistet, alles tat ihm weh als er sich langsam aufrichten wollte und die bestrahlte Haut sich spannte.

Er hielt inne, als er vor sich den langen Schatten des Brunnens sah. Er schien zu flackern und sich zu bewegen, wie ein Nest Schlangen. Spielten seine Augen ihm etwa einen Streich, schließlich hatte er womöglich stundenlang in der brennenden Hitze geschlafen. Wahrscheinlich war diese auch schuld daran, dass er diesen merkwürdigen Traum gehabt hatte?

Um sich selber zur Ruhe zu rufen schloss Shay noch einmal die Augen und atmete einmal tief ein.

Eigentlich gab er einen Scheiss um Meditation und all dem Kram, der so vielen Leuten half die innere Ruhe zu finden, aber in diesem Fall dachte er sich, dass es vielleicht nicht schaden konnte, wenn er doch schon solche wirren Wahnvorstellungen hatte. Und doch half es nicht, im Gegenteil: Blitzartig riss er die Augen wieder auf, als sich vor seinem inneren Auge erneut die schwarzen Gestalten sah, die erneut ihre Fangarme ausstreckten und nach ihm greifen wollten. "Du hast einen Sonnenstich, Shay..." murmelte er, als sein Blick unweigerlich wieder auf den Schatten des Brunnens fiel, der sich nun aber genau so verhielt, wie es sich für einen Schatten gehörte: Er lag still da und bewegte sich in unendlicher Langsamkeit vom Licht der Sonne weg. Kein Flackern, kein Flimmern; alles war so wie es sein sollte. Nur, dass Shay sich an einem Ort befand, an dem er nicht sein sollte. So weit konnte er noch denken, dass er an einem Ort war, wo er ncht sein durfte. Schließlich hatte er sich, bevor er das Bewusstsein verloren hatte noch in einem Auto befunden. In einem Auto, dass er in den Graben befördert hatte, als er versucht hatte dem herannahenden Lastwagen auszuweichen.

Er hatte noch versucht sich irgendwie aus dem Auto zu retten, aber die Türen hatten geklemmt. Wie versessen hatte er gegen die Fensterscheiben gehämmert und hatte versucht sie zum zerbrechen zu bringen, aber es schien als hätte er gegen eine massive Felsmauer geschlagen; die hätte genausowenig nachgegeben. Unablässig hatte sich der Geruch von auslaufendem Öl und Benzin in seine Nase gefressen, wärend seine Hände vom stetigen Glasschlagen bereits rot und angeschwollen waren. Das Hämmern klang immer noch in seinen Ohren, erst leise und dann wurde es immer lauter.

Mit jedem weiteren Schritt, den Shay in dieser Einöde von Wüste machte, je weiter er sich von dem Brunnen entfernte, desto lauter wurde das Geräusch in seinen Ohren und es folgte in gleichmäßigen Abständen, ganz im Gegensatz zu dem, an was Shay sich noch erinnerte. Als er gegen die Scheiben geschlagen hatte, war er immer langsamer geworden, je tauber seine Fäuste geworden waren. Er hatte zwar härter gegen die Scheiben geschlagen, aber dafür auch immer weniger.

Verwirrt blieb Shay stehen und lauschte dem Hämmern, welches durch die Ebene hallte und immer näher zu kommen schien.

Bamm! Es schien von vorne zu kommen, aber ganz sicher konnte Shay sich nicht sein, denn der Schein trügte ja bekanntlich, vor allem wenn man sich mitten im Nirgendwo befand. Bamm!

Verwirrt sah Shay sich um. Bamm! Er war doch alleine in dieser Wüste?! Weit und breit niemand, oder nichts, was dieses Hämmern auslösen konnte? Bamm! Bamm!

Shays Pulsschlag erhöhte sich schlagartig (Bamm! Bamm!) und er musste feststellen dass dieser in genau dem selben Rythmus schlug wie dieser schreckliche Laut. BammBamm!...BammBammBammBammBamm-

Stille.

Shay atmete schwer und wischte sich den kalten Angstschweiss von der Stirn.

Er war doch alleine. Hier gab es kein stetiges Hämmern. Kein einziger Laut, ausser seinem Herzschlag und seinem eigenen stockendem Atem. Aber er hatte es sich nicht nur eingebildet, nein das konnte nicht sein, denn als er auf seine Arme sah bemerkte er die Gänsehaut, die sich in diesen wenigen Sekunden auf seiner Haut gebildet hatte.

Dann schlug ihn etwas hart gegen den Rücken und unter einem erschrockenem Aufschrei sprang Shay nach vorne, ehe er sich blitzartig umdrehte und einen toten Raben auf dem Boden liegen sah. Einige schwarze Federn segelten langsam auf den Boden und bestätigten Shays Gedanken, dass es nur dieser Vogel gewesen sein konnte, der ihn getroffen haben konnte.

Der Vogel schlug noch mit den Flügeln, obwohl nur noch wenige Muskelfasern seinen Kopf am Körper hielten. Unter den letzten Zuckungen, die seinen Körper durchfuhren richtete der Rabe sich noch einmal auf und wollte auf Shay zurennen, wärend sein Kopf leblos gegen dessen Rumpf prallte, hin und her schwankte und schließlich ganz abfiel. Das kopflose Tier erhob sich dennoch vom Boden und flatterte auf Shay zu. Krah! kam es aufgebracht aus dem Schnabel des am Boden liegenden Kopfes, wärend die starren Augen ihn fixierten. Krah! Krah!

Shay war dermaßen geschockt über dieses Geschehen, dass er es nicht vermochte sich zu bücken, obwohl er die nadelspitzen Krallen des Vogels immer näher kommen sah. Aber nur wenige Milimeter vor ihm, fiel der Vogel, oder das was von ihm übrig geblieben war, wie von einem Stein getroffen, auf den Boden und blieb auch dort liegen; leblos.

Shay zitterte am ganzen Körper, als er den gefiederten Körper vor sich betrachtete und realisierte erst gar nicht, dass er nicht mehr alleine war, in dieser Wüste.

Erst als sich zwei Hände um den toten Vogel schlossen keuchte Shay erschrocken auf und trat einen Schritt zurück. Er hatte den kleinen Jungen nicht kommen gesehen; er schien auf einmal da gewesen zu sein. Erschienen aus dem Nichts, genauso wie es der Rabe gewesen schien.

"Was hast du getan?", fragte der Junge mit langsamer, weinerlichen Stimme.

"Wie bitte?"

"Was hast du getan?! Du hast Scrips umgebracht!", keuchte der Junge und sah auf den Vogel herab.

"Kleiner, ich habe gar nichts getan!", erwiderte Shay und hob die Hände abwehrend. Trotzdem konnte Shay nicht leugnen, dass ihm die Stimme des Jungen bekannt vorkam. Irgendwoher kannte er diese Stimme, konnte aber nicht eindeutig sagen woher. Deshalb hockte er sich zu dem Jungen hin. Mit einem freundlichen Lächeln - anscheinend war der Rabe das Haustier des Jungen gewesen - fragte Shay: "Wie heißt du, Kleiner? Und wo wohnst du?"

"DU HAST IHN UMGEBRACHT, DU VERDAMMTER MISTKERL!" schrie der Junge wutentbrannt, hob blitzartig den Kopf sah Shay mit einer wutverzerrten Grimasse an, die nur deshalb so entsetzlich abstoßend wirkte, weil sich es keine Augen waren die Shay anstarrten, sondern die blutenden, leeren Augenhöhlen.

Shay schrie auf und fiel rücklings auf den Boden, als er Abstand zu diesem... Etwas nehmen wollte, was sich augenblicklich auf ihn stürzte. "Du verdammter Mistkerl," schrie der Junge wutentbrannt, "er sollte mein Spion werden! ER SOLLTE MEIN SPION WERDEN! ICH BRING DICH UM! ICH BRINGE DICH UM!"

Eiskalt schlossen sich die kalten Finger um Shays Kehle und drückten sie zu. Dieser konnte nicht glauben was hier grad passierte und schnappte nach Luft, aber der Würgegriff des Jungen hinderte die Luft daran in seine Lunge zu kommen. Verzweifelt und ausser sich vor Panik griff Shay nach dem nächstbesten Gegenstand - ein Stein -, den der in die Finger bekommen konnte und Schlug diesen gegen den Kopf des Jungen, sodass dieser unter einem schmerzerfüllten Aufschrei von Shay heruntergeschleudert wurde.

Bamm! -da war es wieder, das schreckliche Geräusch!

Der Junge richtete sich auf und schickte sich daran, erneut über Shay her zu fallen, obwohl das Blut in Ströhmen von seiner Schläfe lief. Shay schlug dem Jungen den Stein erneut gegen den Kopf. Bamm!

Nun blieb das Kind mit verkrampfter Körperhaltung liegen, aber Shay hielt die Hand, in der er den blutverschmierten Stein hielt, weiterhin oben; jederzeit bereit ein drittes Mal auf dieses Monster einzuschlagen.

Erst nach einigen Minuten, als Shay sich sicher war, dass der Junge nicht mehr aufstand, ließ er die Hand sinken und versuchte schwer atmend wieder zur Ruhe zu kommen.

Verdammt! Was war das für in kranker Scheiss? Kopflose Raben die einen attackierten und ein augenloser Junge, der aus dem Nichts erschien, um ihn umzubringen. Hilfesuchend sah Shay sich um, in der Hoffnung irgendend jemanden zu sehen, der ihm helfen konnte. Das hämmernde Geräusch, welches wieder näher kam, nahm er nur unterbewusst wahr. Was er wirklich wahrnahm, war der Krankenwagen der in der Ferne immer näher kam; vielmehr: er sah das Blaulicht. Wahrscheinlich war der Wagen noch zu weit entfernt, alsdass man die Sirene jaulen hörte. andererseits: Warum sollte man in dieser Einöde eine Sirene anmachen? Viel Verkehr schien es hier ja nicht zu geben.

Erleichtert seufzte Shay auf. Ein Krankenwagen. Endlich Rettung aus dieser trostlosen, unheimlichen Umgebung.

Das Auto kam näher.

Bamm-BAMM; Bamm-BAMM; Bamm-BAMM... im selben Ton, wie das Jaulen einer Sirene...

Erst als der Krankenwagen nur noch wenige hundert Meter vor Shay war und erbarmungslos weiter auf ihn zugerast kam, wurde Shay klar, dass dieses Szenario genauso unrealistisch war, wie das mit dem Raben und dem Jungen. Scheisse, niemand kann diesen Krankenwagen gerufen haben! Und kein Krankenwagen hat eine Sirene, die sich anhört alswenn man gegen Glas schlägt!

Der Krankenwagen hielt nicht an, er überrollte die Leiche des Jungen und Shay ebenso. Das Ganze ging so schnell, dass der Mann noch nicht einmal sah, dass sich am Steuer keine Menschen befanden, sondern lediglich diese schwarzen, formlosen Gebilde aus dem Krankenhaus.

St. Helen

Wolken türmten sich mächtig,

Die Blätter waren verdorrt.

Es war Oktober und nächtig

An einem unseligen Ort.

Edgar Allan Poe

(Ulalume; Strophe 10)
 

"Wie macht er sich?"

Schwester Garett schüttelte den Kopf, nachdem sie einen kurzen Blick durch die Plexiglasscheibe geworfen hatte und ein Aktenblatt an sich drückte.

Doktor William Spark stand vor ihr, rückte seine Brille zurecht und betrachtete die Schwester von oben bis unten. Sie war hübsch, mehr noch als hübsch. Sie war dermaßen hübsch, dass Doktor Spark im Umkleideraum mehr als einmal das Problem gehabt hatte seine Latte zu verbergen, bevor er zur Arbeit schritt. Ihr Anblick verfolgte ihn Tag und Nacht. Ihre schwarzen Haare, und ihr schmaler Mund, die vollen Brüste und der Hintern erst... Dazu war sie auch noch jung, knappe 30 Jahre war Schwester Julia Garett alt und seit fast 10 Jahren war sie ihm unterstellt als Krankenschwester. Sie sah nach den Patienten, verabreichte ihnen Medikamente und erledigte auch sonstige Aufgaben, die gerade so anfielen.

Doktor Spark, seinerseits Chefarzt im Sanatorium St. Helen, war mit seinen 63 Jahren bald am Rentenalter angekommen und sah sich nach einem passenden Nachfolger um, aber der Gedanke seine Heilanstalt irgendwann nicht mehr zu leiten und womöglich sogar irgendwann selber in dieser zu landen schmerzte ihn. Vor allem schmerzte es ihn, wenn er die Krankenschwester sah, mit der er zu gerne einmal diverse Doktorspielchen treiben würde.

William Spark hatte noch nie Glück in der Liebe gehabt; dreimal war er bereits verheiratet gewesen, dreimal hatte er eine Scheidung hinter sich und dreimal war diese Scheidung von seiner damaligen Ehefrau ausgegangen. Er wusste nicht woran es lag; vielleicht an seinem Beruf, vielleicht war er bereits so verrückt wie all seine Patienten?

Das einzige was feststand war, dass er sein gesamtes Leben, oder zumindest fast sein gesamtes Leben, in dieser Anstalt verbracht hatte und er war froh, dass er sich zu diesem Zeitpunkt immer noch als normal bezeichnen konnte - so seine eigene Meinung.

Er fuhr sich einmal durch seine letzten, grauen Haarsträhnen, die sich auf einem Kopf befanden - mittlerweile konnte man ja nicht einmal mehr von einer Halbglatze reden - und zeigte nicht die geringste Regung, als aus irgendeinem Gang des Sanatorium ein schriller Schrei ertönte, schließlich war es nichts besonderes mehr, wenn jemand schrie. Genauso wenig war es außergewöhnlich, wenn auf einmal jemand an ihm vorbei rannte und aus vollem Hals "Ihr verhurten Schweineficker!" rief. Das war alles normal, daran hatte man sich gewöhnt, in all den Jahren. Man gewöhnte sich auch irgendwann an den ständigen Geruch von Fäkalien. Irgendwer verrichtete immer mal sein Geschäft an irgendeiner Ecke, in irgendeinem Gang. Teilweise taten Patienten es aus Trotz, teilweise konnten sie nicht anders und hatten sich bereits angeschissen, angekotzt oder angepisst, ehe sie bemerkt hatten, dass sie überhaupt auf Toilette mussten.

"Er schläft, wie eigentlich immer..." sagte die Schwester leise, als ob sie Angst hatte, dass lautes Sprechen den Patienten wecken könnte und dies eine Art Weltuntergang bewirken würde. Julia Garett hatte sich selbst heute noch, seit 10 Jahren Dienst in St. Helen, noch nicht wirklich an das gesamte Geschehen gewöhnt. Manchmal waren ihr die Situationen, die sich in den Gängen abspielten sogar dermaßen zuwider, dass diese sie noch bis in den Schlaf verfolgten. Sie war nur eine Schwester, sie verabreichte Medikamente und dergleichen und sie musste sich auch nicht mit schweren Fällen beschäftigen, aber es reichte voll und ganz, wenn auf einmal wieder ein Schrei aus einem Raum oder Gang ertönte, dass sie sich fast zu Tode erschreckte. Manchmal hatte sie sich bereits überlegt diesen Job an den Nagel zu hängen, aber andererseits gab es auch viele Patienten die auf ihre eigene hirnrissige Art und Weise liebenswert waren; ja, die sie sogar als Freunde bezeichnen konnte. Aber allein diese gierigen Blicke des Chefarztes, dieses Doktor Sparks, die veranlassten sie immer und immer wieder dazu ihre Kündigung in Gedanken zu durchlaufen. Aber je öfter sie darüber nachdachte, desto häufiger fand sie neue Pro-, und Kontrapunkte, die ihren Entschluss schwanken ließen.

William Spark ging an ihr vorbei und sah selber durch die Fensterscheibe, die ihm einen Blick in die Zelle des Patienten gewährten. Der Insasse war ein Dauerpatient, bereits seit acht Jahren befand er sich in psychiatrischer Behandlung. aber erst seit kurzem befand er sich in diesem komatösen Zustand. Jason Biggs, so der Name des knapp 40 jährigen Mannes der sich ans Bett gefesselt, unfähig sich zu bewegen wenn er denn wach werden sollte und separat in dieser Zelle befand, kam in das St. Helen durch eine juristische Entscheidung. Der Gerichtspsychologe hatte auf Schizophrenie tendiert, war sich aber nicht sicher und das war wirklich ein Sonderfall, denn wenn ein Psychologe sich nicht sicher war, dann hieß das nicht wirklich etwas Gutes; zumindest hatten die Geschworenen dies gesagt.

Jason Biggs hatte seine Familie, schwangere Ehefrau und Tochter, ermordet. Er konnte gefasst werden, als er sich auf den Weg in sein Elternhaus gemacht hatte um dort seine Mutter mit einem Küchenmesser zu erstechen.

Die Gründe für dieses Verhalten waren bis auf weiteres ungeklärt. Das einzige was über sein früheres Leben bekannt gewesen war, war die Tatsache, dass er im Alter von acht Jahren seinen einzigen Bruder verloren hatte. Die Anwälte und die Beweislage hatten aber ergeben, dass Jason damit nichts zu tun gehabt hatte; es war ein Unfall gewesen. Auch wenn dieser Unfall doch merkwürdig gewesen war; laut den Recherchen waren Jason und sein jüngerer Bruder am Spielen gewesen, als dieser von einem Raben attackiert wurde und unter enormen Blutverlust noch an Ort und Stelle verstorben war.

"Möglicherweise findet sich dort eine Antwort auf seine Psychose." hatte der zu verteidigende Anwalt zu Doktor Spark gesagt, als Jason eingewiesen worden war. Es hatte ihn auch eine Menge Arbeit gekostet die Todesstrafe abzuwenden. Nur mit Hilfe des Gerichtspsychologen und schlagenden Argumenten (dazu hatte auch das des verstorbenen Bruders gezählt) war entschieden worden, dass Jason Biggs in eine geschlossene Anstalt eingewiesen werden sollte.

Bis vor kurzem war Jason nicht sonderlich von all den anderen Patienten des St. Helen zu unterscheiden gewesen; jeder hatte so seine Macken gehabt und hatte sie auch weiterhin. Manche hatten mehrmals am Tag einen seelischen Zusammenbruch, der sich dadurch äußerte, dass sie laut anfingen zu schreien, oder in Tränen aufgelöst sich in eine Ecke der Anstalt verkrochen. Andere waren den ganzen Tag draußen und selbst wenn mal wieder ein Hurrikan über das Land zog, trieb es sie immer wieder nach draußen, sodass die Aufseher alle Hände voll zu tun hatten sie zurück zu halten. Andere waren der Ansicht, dass sie wieder geborene, wichtige, Persönlichkeiten aus der Weltgeschichte seien und wieder andere, so wie Jason Biggs, hielten sich aus all dem Geschehen heraus, weil sie davon scheinbar nichts mitbekamen und einfach nur apathisch in den Gängen standen, oder durch die Gänge schlurften.

Dann aber, irgendwann und ganz unerwartet war er wieder da gewesen; der Jason, der bereits einige Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Der Jason Biggs, der seine Chance nutzte und seinen Blutrausch an der nächstbesten Krankenschwester ausleben wollte.

Die nächstbeste Schwester war in diesem Fall Julia Garett gewesen. Es war ihr Glück , dass sich einige der Pfleger in unmittelbarer Nähe aufgehalten hatten und sofort einschreiten konnten.

Nur wenige Minuten später hatte Jason sich in einer Zelle befunden und war an ein Bett geschnürt worden. Noch eine ganze Weile hatte Jason aus vollem Hals alles zusammen gebrüllt und Julia Garett war sich ziemlich sicher dass sie gesehen hatte, wie sich Schaum vor Jasons Mund gebildet hatte. Als es irgendwann wieder ruhig geworden war und die anderen Patienten auch wieder soweit beruhigt hatten, war Schwester Garett zu der Einzelzelle gegangen, genau die, wo sie momentan vor stand. Biggs war ruhig, hatte geschlafen wie ein Baby und durch die Plexiglasscheibe konnte die Schwester auch keinen Schaum an den Mundwinkeln des Patienten ausmachen; vielleicht war ja schon jemand da gewesen und hatte ihn entfernt? Nervös hatte Julia Garett noch Tage nach diesem Vorfall ihre Haut nach Bisswunden abgesucht, und sei es noch so ein kleiner Kratzer, denn sie hatte weiß Gott keine Lust sich mit irgendeiner Krankheit zu infizieren. Aber nirgendwo hatte sie einen Kratzer gefunden, was an sich schon ein Wunder gewesen war, denn Biggs hatte um sich geschlagen und getreten, wie... ein Irrer.

Schwester Garett musste etwas schmunzeln, als ihr der Wortwitz klar wurde und Dr. Spark sah die Schwester fragend an. "Stimmt irgendetwas nicht, Schwester?"

"Nein Doktor, alles in Ordnung. Sowohl bei mir, als auch bei unserem Dauerpatienten." gab sie zuversichtlich von sich und nickte bekräftigend. Für einen Moment war sie in Gedanken versunken und das war eine Tätigkeit, die ihr hier das leben kosten könnte, auch wenn die meisten der hier anwesenden Insassen eigentlich eher liebenswerte Verrückte waren und die wirklich schweren Fälle sich bereits seit Einlieferung in einer Zelle befanden. Aber der Schein war trügerisch, Jason Biggs war das beste Beispiel dafür gewesen.

Wie dem auch sei, jetzt war wieder alles normal. So normal, wie es nun mal in einem Sanatorium sein konnte.

Dr. Spark konnte seinen Blick nur schwer von der Schwester abwenden, aber er hatte auch andere Aufgaben in dieser Nervenheilanstalt zu erledigen als den wesentlich jüngeren Frauen hinterher zu gaffen und so nickte er Schwester Garett nur einmal zu, ehe er sich dann knapp verabschiedete und den Gang entlang ging um weitere Kontrollgänge zu veranstalten.

Julia Garett war sichtlich erleichtert darüber, als der alte Sack sich endlich aus dem Staub machte.

Noch einmal warf sie einen Blick durch die Glasscheibe und schreckte zurück, als sie sah, wie Jason Biggs ihr mit einem mehr als beängstigenden Grinsen auf den Lippen langsam zuwinkte. Falscher Alarm, Schwester. Ich krieg dich früher oder später, denn ich bin nur ein armer Irrer, der bei geringfügiger Besserung des Zustands diese Zelle wieder verlassen darf. Schließlich war dieser kleine Ausfall, neulich, nur die Ausnahme, welche die Regel bestätigt...

Schwester Garett schickte sich an, Dr. Spark zurück zu rufen und ihm von dieser angst einflößenden Geste, die ganz und gar nicht Irre wirkte, Bericht zu erstatten. Sie hatte bereits den Kopf wieder in die Richtung des Chefarztes gedreht um ihm hinterher zu rufen, aber wie von Geisterhand geführt wandte sich ihr Blick erneut zu der Zelle und die junge Frau musste feststellen, dass Biggs wie gewohnt, schlafend und regelrecht festgenagelt auf seinem Bett lag. Julia Garett atmete erleichtert auf. Wie konnte sie nur auf die dumme Idee kommen, dass sich dieser Mann von seinen Fesseln hatte lösen können? Als ob sie sicher gehen wollte, dass ihre Sinne ihr nicht doch noch eine Streich spielen wollten, drückte sie fast schon ihre Nase gegen die Scheibe, als sie einen dritten und letzten Blick in die Zelle warf. "Nichts ungewöhnliches, nein wirklich nicht...", sprach sie zu sich selber und wurde von dem langsam vorbeischreitetenden Patienten nicht im geringsten beachtet. So drehte sie sich weg und wollte jetzt erst einmal nichts mehr von diesem Jason Biggs wissen. Sie wusste nicht warum, aber ihr war dieser Mann unheimlich, wobei sie dieses Gefühl nun doch verstärkt hatte, wo sie für einen kurzen Moment diese Wahnvorstellung gehabt hatte. War das normal? Führte die Arbeit in einem Sanatorium unweigerlich dazu, dass man selber irre wurde? Der Gedanke behagte Julia Garett nicht im Geringsten und sie redete sich ein, dass es einfach daran lag, dass sie in den letzten Nächten einfach nicht wirklich hatte schlafen können. aber warum konnte sie nicht schlafen? "Hör auf damit, July..." sagte sie, wohl wissend dass ihr niemand zuhören würde, und wenn dem doch so war, würde niemand drauf reagieren. schließlich war sie nicht die einzige hier, die Selbstgespräche führte.

Während sie durch den langen Gang ging und das klackende Geräusch ihrer Absätze vom Boden zu ihr hoch schallte, ging ihr aber diese - wenn auch nur eingebildete - Geste von Biggs einfach nicht aus dem Kopf und während sie in Gedanken versunken war blieb sie vor einem Fenster stehen, von wo sie in die Baumkrone einer alten Birke sehen konnte, dessen Blätter sich bereits in ein goldenes Gelb verfärbt hatten. "Hallo Joker." gab sie freundlich von sich, als sie den Raben zwischen den einzelnen Ästen ausmachen konnte, der dort schon am herumstolzieren war, seitdem sie ihre Arbeit im St. Helen verrichtete. Im laufe der Zeit hatte sie ihm den Namen gegeben, nachdem sie festgestellt hatte, dass es sich immer um den selben Vogel handelte, der ihr gelegentlich mit einem kratzigen Krächzen antwortete.

Heute antwortete er aber nicht, sondern sah sie einfach mit aus seinen pechschwarzen Augen an, ehe er mit knappen Flügelschlägen von dannen flatterte.
 

Fast zur selben Zeit war Freddie mit Bobby und mit Sarah wieder in ihrem Zuhause angekommen. Alles wirkte wie vorher, aber dennoch konnte man es nicht verleugnen, dass Shays Anwesenheit fehlte. Hatte Shay auch unter der Leere in dem Haus gelitten, als sie, Freddie und die Kinder, ausgerissen waren?

Ja, das hatte er. Freddie war sich da sehr sicher, schließlich kannte sie ihn schon viel zulange, als dass man ihr erzählen könnte, dass er gelassen über eine Trennung hinweg sah. einerseits ging er ihr immer wieder fremd und andererseits brach für ihn eine Welt zusammen, wenn Freddie mal nicht da war und die Stille so laut zu werden schien, dass man sich im wahrsten Sinne des Wortes nur noch die Ohren zuhalten konnte, um dem Nichts zu entgehen.

Schizophren; ja, das war ihr Mann. Sie war noch nie auf die Idee gekommen ihn vielleicht zu einem Psychologen zu schicken, geschweige denn, dass Freddie diese Bezeichnung, oder aber Shays Geisteszustand, als gefährlich eingestuft hätte.

- "Künstler sind nun mal Verrückte und Salvator Dalí war einer der schlimmsten."

"Einer der schlimmsten Verrückten, oder der schlimmsten Künstler?"

"Das ist relativ, denn Künstler sein ist genau so schlimm, wie verrückt sein." -

"Mummy! wo ist Daddy?", riss Sarah ihre Mutter aus den vergangenen Erinnerungen zurück in die Wirklichkeit.

Jetzt war es also soweit: Was sollte sie Sarah denn sagen? Freddie war weiß Gott keine gute Lügnerin, weil sie einfach so gut wie immer die Wahrheit sagte, weil sie kein Blatt vor dem Mund nahm.

"Tja, Sarah. Dein Daddy war leider zu dumm um Auto zu fahren und wird jetzt wahrscheinlich bald sterben, weil man ihm im Krankenhaus auch nicht mehr helfen kann. Dein Daddy ist nun mal ein verrückter Künstler gewesen. Früher oder später musste es ja mal passieren.", sprach Freddie in Gedanken und sah vor ihrem geistigen Auge, wie Sarah sie erst ungläubig ansehen würde und dann eine ganze Weile nicht mehr mit ihr reden würde. Vielleicht sogar nie mehr mehr. Man konnte einem kleinen Kind doch nicht so eine Geschichte aufbinden, auch wenn es die Wahrheit war. Das war genau das selbe wenn man seinem Kind bereits in diesem Alter erzählen würde dass es den Weihnachtsmann nicht gab, auch wenn es die Wahrheit war. "Der Weihnachtsmann ist nichts weiter als eine Werbefigur. Coca-Cola hat sich den dicken Mann mit der Schnapsnase nur ausgedacht um uns Eltern zu Weihnachten das Geld aus den Taschen zu ziehen, damit ihre Kinder einem weiteren Hirngespinst nachjagen können, welches ihnen jedes Jahr viele Geschenke beschert."

Freddie starrte Sarah eine ganze Weile schweigend an und Sarah sah genauso schweigend, aber mit einem mehr als fragendem Blick zu ihr zurück. "Daddy musste noch einmal nach New York, etwas erledigen, Kleines.", kam es dann von Freddies Lippen und es war einfacher als erwartet gewesen die eigene Tochter anzulügen. Noch einfacher schien es sogar noch gewesen zu sein, Sarah ein zwinkerndes Grinsen zu schenken, was soviel sagte wie: "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Baby. Daddy ist wieder da, wenn du morgen aus dem Kindergarten zurück bist."

Es war so einfach das eigene Kind zu belügen, und noch einfach sich selber zu belügen. Freddie ertappte sich nämlich dabei, wie sie selber an ihre eigenen Worte glaubte. Morgen würde Shay wieder vor der Tür stehen, mit dem schelmischen Grinsen auf den Lippen, als ob nie etwas passiert wäre. Und Freddie würde ihm für diesen Gesichtsausdruck hassen; sie würde ihn so sehr hassen, dass das Willkommensgeschenk zurück zu hause kein Kuss sein würde, sondern eine Ohrfeige.

"Ach so!", kam es von Sarah, "Ich geh mit Feiver spielen!"

Und schon stand Freddie alleine da, nachdem Sarah in ihr Zimmer gerannt war.

Nur Bobby war noch da, an eine Wand gelehnt und seine Mutter mit einem wissenden Blick fixierend. Freddie bemerkte ihn erst jetzt und sie tat sich schwer daran, den Gedanken auszuführen, dass dieser Blick des Jungen unheimlich wirkte. Bobby sah aus, als ob er genau wusste, dass es nicht stimmte was seine Mutter seiner Schwester da gerade erzählt hatte. Aber er sagte nichts; wortlos drehte er sich von Freddie weg und tat es Sarah nach: Er ging in sein Zimmer.

Jetzt war Freddie alleine.
 

Um drei Uhr morgens, als es draußen noch lange nicht den Anschein machte, dass es irgendwann in den nächsten Stunden wieder Tag werden würde, klingelte das Telefon im Haus der Familie Brown.

Bring-Bring!

Freddie saß sofort kerzengerade im Bett und sah sich panisch um. Er war tot! Shay war tot, genauso wie sie es Sarah noch gesagt hatte. Oder besser: Genauso wie Freddie sich Vorgestellt hatte, es Sarah erzählt zu haben.

Wie ein Fluch hatte sie dieser Gedankengang verfolgt. So war Freddie erst vor etwa einer Stunde eingeschlafen und das, obwohl sie schon um neun Uhr abends im Bett gelegen hatte. Aber anstatt einzuschlafen hatte sie sich lediglich von einer Schulter, auf die andere gedreht. Das Bett war nun mal nicht so einladend, wenn man alleine auf ihm schlief. Vor allem dann nicht, wenn es sich um ein Ehebett handelte. erschwerend kam hinzu, dass Freddie immer wieder in die Vorstellung verfiel, dass Shay gar nicht weg war, sondern neben ihr lag. Sobald sie die Augen geschlossen hatte, konnte sie sein langsames und regelmäßiges Atmen hören, so als ob er einfach neben ihr liegen würde, wie es normal gewesen wäre. Wenn sie die Augen wieder geöffnet hatte und sie mit dem Gesicht in seine Richtung lag, dann musste sie erschrocken feststellen, dass da wirklich Shay neben ihr im Bett lag und friedlich schlief. Diese Illusion hielt sich aber nur wenige Sekunden aufrecht, danach verschwand sein Bild vor ihren Augen wie eine Fatamorgana in der Wüste Gobi.

Und nun, wo sie endlich eingeschlafen war, sich endlich aus den Fängen des Dämmerschlafs entrissen hatte und in den Tiefschlaf hinab geglitten war, da musste das Telefon klingeln. Sämtliche Alarmglocken schellten mit dem Telefon. Schlechtes Omen! Geh nicht dran! Aber wenn sie nicht ans Telefon gehen würde, wären die Kinder auch gleich wach. so was ging immer schneller, als man es erwartete. So sprang Freddie regelrecht aus dem Bett, in ihrem Pyjama gekleidet und hastete zum Telefon. Dieses klingelte unablässig weiter - was für ein schrecklicher Klingelton. Gleich morgen werde ich ihn ändern! -.

Mit jedem Schritt, den Freddie dem Apparat näher kam, wurde das Geräusch unerträglicher. und dann, als sie fast im Arbeitszimmer war, da hörte es abrupt auf und die erneute Stille in dem Haus wirkte wieder so drückend, wie vor einigen Stunden, als sie angekommen waren. Freddies Herz schlug ihr bis zum Hals und auch wenn die Strecke, die sie vom Schlafzimmer bis zum Arbeitszimmer zurückgelegt hatte weniger als fünf Sekunden gedauert hatte, so hatte sie das Gefühl, als hätte sie an einem Marathon teilgenommen. Fast schon, als wünschte sie, dass das Telefon noch einmal klingelte, starrte sie in die Dunkelheit, wo das grüne Licht des Anrufbeantworters blinkte. Hatte jemand drauf gesprochen?

Mit langsamen Schritten ging sie zum Telefon, hob den Hörer ab, obwohl sie sich sicher sein konnte, dass niemand mehr auf der anderen Leitung war und gab ein atemloses "Hallo?" von sich.

"Mummy...?"

Erschrocken ließ sie den Hörer fallen. Das war Bobbys Stimme gewesen!

"Mummy, was machst du hier...?"

Ruckartig drehte Freddie ihren Kopf zur Seite und Blickte in das verschlafene Gesicht ihres Sohnes. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Warum sollte es auch Bobby gewesen sein, der mitten in der Nacht auf das Haustelefon anrief, wo er doch in seinem Bett liegen sollte? "Nichts, Schätzchen. Das Telefon hat geklingelt. Warum bist du nicht im Bett?"

Auf die Frage hin resultierte lediglich ein verständnisloser Blick von Bobby. "Das Telefon hat nicht geklingelt, Mummy."

Freddie wusste nicht wieso, sie hätte das gesamte Geschehen auf die blank liegenden Nerven schieben können, aber die Tatsache, dass Bobby sagte das Telefon habe gar nicht geklingelt, jagte Freddie einen Schauer über den Rücken. sie hatte es doch laut und deutlich gehört?! Es war doch auch immer lauter geworden, je näher sie dem Arbeitszimmer gekommen war!? "Aber wenn das Telefon nicht geklingelt hat, warum bist du denn dann hier unten, Bobby? du sollst doch schlafen!"

"Ich habe Lärm gehört und wollte wissen ob irgendetwas passiert ist. Aber als ich hier unten war, da standest nur du hier."

Freddie schwieg eine ganze Weile. Irgendwas war nicht richtig...? "Du redest ja wieder, Bobby?!"

"Ich habe doch immer geredet, Mummy, du hast mich nur nie gehört."

BRING! BRING-BRING! wieder das Telefon und diesmal so laut, dass Freddie erschrocken aufzuckte.

BRING-BRING-BRING!
 

"Wer ruft denn so spät in der Nacht noch an....?" nuschelte Freddie und richtete sich langsam vom Bett auf.

Wenige Sekunden später hatte sie den Hörer in der Hand, so wie in ihrem Traum, von gerade eben. "Fredrike Brown am Apparat..."

"Mrs. Brown? Hier spricht Doktor Jason Smith. Ihr Mann ist soeben wieder zu Bewusstsein gekommen."

Danach

When everything is may to be broken

I just want you to know who I am

Goo Goo Dolls

(Iris)
 

Aus dem strahlend blauen Himmel hatte sich ein Gemisch aus orangenem Abendrot und schmutzigen, grauen Wolken gebildet. Die einsetzende Kälte hatte Shay aus seiner Ohnmacht geweckt und sobald er die Augen aufgeschlagen hatte, fragte er sich erneut wo er gelandet war, bis ihm wieder eingefallen war, dass er sich in irgendeiner surrealen Welt, in den tiefsten Tiefen seiner Vorstellungskraft befinden musste. Er erinnerte sich an den kleinen Jungen, an den kopflosen Raben und an den Krankenwagen, der ihn über den Haufen gefahren hatte. Am stärksten erinnerte er sich aber an das BAMM-BAMM und am liebsten hätte er genau diese Erinnerung verloren, so wie man sich häufiger nicht mehr an das erinnerte, was vor einer Ohnmacht passiert war. Aber die Erinnerungen waren unweigerlich dageblieben und wahrscheinlich würde er sie auch nie wieder los werden.

Als Shay sich umsah, stellte er fest, dass er wieder alleine war. Kein augenloser Junge, der ihn umbringen wollte und auch kein kopfloser Rabe, der anscheinend genau das selbe im Sinn gehabt hatte.

Unheimlich. Als etwas anderes konnte Shay das Ganze nicht einordnen, aber wie hatte seine Frau immer gesagt?

Künstler sind Verrückte.

Wenn Künstler also Verrückte waren, dann war ihr Seelenwesen genauso verrückt. Warum sollten ihre Fantasien also nicht verrückt sein? Das Gesamtbild ergab also, dass die Fantasiewelt, in welcher er sich wohl befand, genauso verrückt war, wie Billy the kid und Michael Myers zusammen.

Die Tatsache, dass Shay seine Umgebung nun als eine Reflektion seiner Selbst und seiner Vorstellungskraft abgestempelt hatte, beruhigte ihn ungemein. Diese Erklärung klang mehr als logisch. "Wahrscheinlich bin ich nach dem Autounfall in ein Koma gefallen...", murmelte er sich leise zu, um seinen Gedankengang noch zu bestätigen. Irgendwie war es armselig, dass er sich selber noch bestätigen musste, aber hey! Er war schließlich verrückt und Verrückte durften Selbstgespräche führen.

Shay ertappte sich dabei, wie er darauf wartete, dass ihm diese unscheinbare Stimme, die ihn die letzte Zeit verfolgt hatte, irgendwie antwortete, egal ob sie ihn verspottete, oder vielleicht sogar zustimmte. Aber es kam keine Bemerkung und Shay wusste nicht ob er froh darüber sein sollte, oder aber beunruhigt. Genau das selbe Gefühl war es, was er gehabt hatte, als er sich alleine in seinem Haus in Ultica befunden hatte und dies war etwas, was ihn beunruhigte. Warum dachte er eigentlich die ganze Zeit soviel nach? Das hatte er sonst doch auch nicht getan, oder doch?

Komisch, daran erinnerte er sich nicht mehr.

Langsam richtete Shay sich vom sandigen Boden der Pseudowüste auf und merkte, wie ihm etwas flau im Magen wurde. Es kam nicht daher, weil er hunger hatte (die Tatsache bemerkte er noch nicht einmal), sondern weil ihm schlagartig bewusst wurde, dass er sich nicht mehr wirklich daran erinnerte, wie er auf gewisse Momente vor derm Autounfall reagiert hatte.

Zwar erinnerte er sich daran, dass er eine Frau und zwei Kinder hatte, aber er erinnerte sich nicht mehr daran wie seine beiden Kinder hießen. "Scheisse..."

Es wurde dunkler und die Sonne verschwand zunehmends hinter dem Horizont. Shay wusste, dass es in einer Wüste in der Nacht verdammt kalt wurde und auch diese Tatsache beunruhigte ihn. So wie seine Kleidung aussah, so würde er in dieser Nacht wohl erfrieren, wenn er sich kein Feuer machte. Aber wie sollte er sich ein Feuer machen, wenn es weit und breit nichts gab, womit man ein solches hätte anmachen können?

Vielleicht an dem leeren Brunnen? Rein logisch gesehen müsste es dort zumindest vertrocknetes Holz geben, womit er ein Feuer am Leben erhalten konnte. Geistesabwesend tastete Shay an seiner Hose entlang und griff in die Hosentasche, wo er tatsächlich sein Feuerzeug fand, was er zum öffnen von Bierflaschen gebraucht hatte. Bingo!

Aber der Brunnen war verschwunden, hatte sich in Nichts aufgelöst. Dafür wurden die Wolken, am Himmel zusehends dichter und auch dunkler. Sollte es in dieser Nacht regnen, dann würde die Wüste morgen aussehen wie ein Garten Eden.

Shay wusste nicht wie, aber irgendwie musste er eine Überdachung finden. In dieser Welt schien ja alles möglich zu sein, vor allem weil es seine Welt war. Er hatte doch hier das sagen, zumindest, wenn er mit der Annahme richtig lag, dass dies hier seine Vorstellungskraft war. Also müsste doch eigentlich, wenn er sich vorstellte, dass sich vor ihm eine sprudelnde Wasserquelle auftat, eine solche auch vor ihm erscheinen?

"...eine sprudelnde Wasserquelle..."

Aber nichts passierte. Gar nichts, noch nicht einmal ein Windstoß regte sich in der Luft.

Aber dann, ganz still und heimlich: Ein einzelner Wassertropfen, der auf Shays überhitzte und rotgebrannte Haut herunter fiel.

Danach folgten mehrere und innerhalb weniger Sekunden goss der Monsun auf ihn hernieder.
 

Das EKG schlug schneller an, von dem Moment an, als die Krankenschwester unter einem erschrockenem Aufschrei eine Schale Wasser fallen ließ und die Hälfte des Inhaltes über Shays leblosen Körper verschüttete. "Fuck, verdammtes Rabenvieh!", rief sie dem schwarzen Vogel nach, der urplötzlich gegen die Fensterscheibe des Krankenzimmers geflogen war. Es war mitten in der Nacht und die Schwester hatte lediglich vor gehabt, die schweissnasse Stirn des Patienten abzutupfen. Das dieser in seinem komatösen Zustand schwitzte konnte nichts weiter als eine Besserung bedeuten, denn in diesem Zustand hätte es nicht möglich sein dürfen, dass er schwitzte.

Alsob der Ausfruf eine einschlagende Wirkung gehabt hatte schlug Shay die Augen auf und erblickte als allererstes die schwach beleuchteten Räumlichkeiten seines Zimmers. Erschrocken keuchte er laut auf, sodass die Krankenschwester mit dem nächsten Schreck unweigerlich konfrontiert wurde. "Mr. Brown!?"

Unfähig ein Wort zu sagen fixierte Shay die junge Frau mit einem Blick, der soviel sagte wie: Was mach ich hier?

"Ich benachrichtige sofort Doktor Smith!" keuchte die Schwester und hetzte aus dem Zimmer heraus.
 

"Was macht er denn da?!" fragte Smith die Schwester perplex, als er ihr mit schnellen Schritten in das Krankenzimmer folgte. "Tut mir leid, Doktor. Ich weiss es nicht. Als er wach geworden ist, hat er noch regelrecht sprachlos gewirkt!" antwortete ihm die bereits atemlose Schwester und öffnete die Tür des Zimmers, in welchem sie Shay Brown vorfanden, der sich laut lachend aufrecht im Bett saß.

"Mr. Brown...?" Smith näherte sich vorsichtig seinem Patienten, der anscheinend bester Laune war.

"Scheisse, es war alles wahr!" lachte Shay ausgelassen und schnappte bereits nach Luft.

"Mr. Brown, bitte beruhigen Sie sich!"

Shay ließ sich noch immer lachend rücklings auf das Bett zurückfallen und brauchte noch einige Minuten, bis er nur noch ein leises glucksen von sich gab.

Die Krankenschwester gab ein erleichtertes Seufzen von sich, als Shay gänzlich verstummte und sich einige Tränen aus den Augenwinkeln wischte.

"Mr. Brown...? Wie geht es Ihnen?"

"Oh man... Doktor. Ich lag im Koma, oder?"

"Das ist richtig, Mr. Brown; trotzdem möchte ich, dass Sie meine Frage beantworten!"

"Mir geht es wunderbar, Doktor. Ich glaube mir ging es bis dato noch nie besser!"

Naja, den Fick mit der heissen Blondine vor einigen Tagen, den vergessen wir einfach mal...

Doktor Smith warf der Schwester einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder zu Shay. "Ich werde auf der Stelle Ihre Frau benachrichtigen, sie war sehr in Sorge um Sie, Mr. Brown."

"Meine Frau?"
 

Wärend der Autofahrt betrachtete Shay die vorbeirasenden Lichter, welche den Straßenrand säumten. Es war eine klare Frühherbstnacht und als Shay das Krankenhaus an der seite seiner Frau verlassen hatte, hatten die Sterne kalt auf ihn herabgeschienen.

"Ganz ruhig Shay, alles wird wieder gut. Wenn wir wieder zuhause sind, dann erinnerst du dich bestimmt wieder an alles." hatte die Frau gesagt, von welcher Doktor Smith behauptet hatte es sei seine Frau. Nun, es war nicht so, dass Shay nach kurzer Zeit nicht wieder eingefallen war, dass er verheiratet war, aber ihm fiel um Gottes Willen nicht der Name von ihr ein.

Das war auch der Grund gewesen, dass er noch einige weitere Tage hatte im Krankenhaus verbringen müssen. "Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme." hatte Doktor Smith gesagt. Schön und gut, eine Vorsichtsmaßnahme. Aber weshalb? Er hatte doch lediglich im Koma gelegen und war kein Massenmörder, auf Bewährung oder so?! Gut, Shay hatte auch keine Ahnung wo er lebte, aber hey: Zumindest lebte er!

Und jetzt saß er im Auto, neben dieser Frau... seiner Frau. Irgendwas in Shay sagte ihm, dass er keine Frau hatte, aber andererseits hatte er doch den Ehering. Und seine Frau ebenfalls. War das nicht Beweis genug?

Es gibt genug Heiratssschwindler, Shay Brown.

Jason

Mein Innerstes wollt Ihr nach außen kehren,

Betasten wollt Ihr meiner Seele Schwären,

Durchwühlen wollt Ihr branderfaßte Wunden,

Bis Ihr zum Sitz der Qual Euch durchgefunden,

(Felix Dörmann)

(Zurück; Strophe 1-2)
 

"Guten Morgen, Mr. Biggs.", sprach Schwester Garett mit ihrem gewohnt freundlichen Lächeln, was wohl lediglich dazu diente, die Patienten irgendwie auf eine medikamentlose Weise ruhig zu stellen. Das Lächeln von Julia Garett war so offen und doch überspielte es die Unsicherheit in ihrem Inneren. Sie ging an ihm vorbei.

Jason hatte es sofort gesehen, als er der hübschen Krankenschwester das erste Mal begegnet war.

Sie hatte Angst.

Nicht vor ihm, sondern vor der gesamten Situation. Aber sie durfte die Angst nicht offen zeigen, da sie wohl glaubte, dass die ganzen Irren hier, sie dann anfallen würden, wie ein verletztes Tier. Sie musste eine autorithäre Person darstellen, sie durfte keine Schwäche zeigen.

Jason stand in einem Flur und sah der Schwester mit leerem Blick nach. Erst vor kurzem hatte man ihn ins St. Helen gesteckt, wegen Unzurechnungsfähigkeit, oder irgendwie sowas. Es war Jason egal. Er würde es jederzeit wieder versuchen seine Mutter umzubringen. Oh ja. Er hasste sich dafür, dass er es nicht zuende gebracht hatte. Er hasste die verdammten Nachbarn für ihre lächerliche Neugier, dass sie jedesmal aus ihrem Garten heraus zu sehen mussten, was im Haus der Biggs passierte. Lächerlich! Lächerlich und nervend.

Jason starrte noch lange hinter Schwester Garett her, auch als sie schon längst aus seinem Blickfeld verschwunden war. Ein seichtes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Sie hatten eine Menge gemeinsam, er und die Schwester. Für sie beide gab es eine Fassade zu wahren. Sie beide durften nicht zeigen was wirklich in ihrem Innersten vorging...

Mit schlurfenden Schritten drehte Jason sich um und schritt in entgegengesetzte Richtung von Garett, zum Aufenthaltsraum. Dort wurden immer Gruppentherapien durchgeführt. Alle Irren saßen in einem Kreis und spielten Spiele, oder sie malten unersichtliche Bilder. Oder sie starrten mit leerem Blick an die Wand, benebelt von ihren Medikamenten, die sie wenige Stunden vorher noch bekommen hatten.

Es hatte Jason nicht sonderlich viel Zeit gekostet die Gangart und das wirre Gehabe all der anderen Insassen zu kopieren. Nun war er genau so ein Irrer wie alle anderen hier auch. Mit dem einzigen Unterschied: ER stand nicht unter Tabletten. Natürlich glaubten alle er würde genauso brav wie alle anderen auch seine Psychopharmaka zu sich nehmen; aber in einer stillen Ecke spuckte er die Pillen wieder aus und spühlte sie die Toilette herunter. Niemanden war es bisher aufgefallen und das war auch gut so. Wahrscheinlich würden sie ihn an ein Bett fesseln, und ihm das Zeug persönlich in den Hals schieben, wenn sie es herausfinden würden. "Soweit kommts noch, ich bin Jason Biggs!" murmelte er, wärend er den hellen Raum betrat. Niemand kümmerte sich darum, was er gesagt hatte.

Es gehörte ebenfalls zu dem Theaterspiel, dass man gelegentlich mit sich selber sprechen musste, ohne dass man Notiz von seiner Umwelt nahm.

Draussen war wunderbares Wetter. Er musste blinzeln, um aus dem Fenster zu schauen. Einige Leute liefen durch die grüne Gartenanlage und ließen sich die warme Spätsommersonne auf die unnatürlich bleichen Gesichter scheinen. Sie sahen aus wie Leichen, fand Jason. Wie lebende Leichen; und wieder stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht. Irgendwann würden sie alle tote Leichen sein und dem nachgehen, was sie schon von ihrer Geburt an hätten tun sollen: Im Grab liegen!
 

Du kommst hier wieder raus, Jason... sprach die leise Stimme zu ihm, als er mitten in er Nacht in im Schlafraum saß und aus dem Fenster starrte, in die dunkle Nacht hinaus. Ich kann dir dabei helfen...

"Halts Maul, du hast mir schon nicht dabei geholfen, als ich meine Familie niedergeschlachtet habe!", gab Jason keifend zurück.

Um ihn herum waren dutzende von Betten. Nicht alle waren belegt, aber er war umringt von Irren. Einige sprachen im Schlaf, andere schnarchten. Und andere... gaben Tierlaute von sich. Jason wurde noch verrückt in dieser Anstalt. Angespannt raufte er sich in den Haaren, die ihm über die Schulter fielen.

Aber wer sagt denn, dass ich es nicht beabsichtig habe, dass du hier landest...?

Das ließ Jason dann doch aufhorchen. "Bitte was?!"

Du hast schon richtig gehört, mein Freund. Ich habe alles vorrausgesehen. Du musstest hier landen, um deiner Bestimmung zu folgen...

"Was für eine Bestimmung?"

Das musst du Schwester Garett fragen. Sie weiß genaustens darüber bescheid. Und lass dich von ihr nicht abweisen! Glaub mir. Sie ist der Schlüssel zu allem. Und danach musst du dich auch nicht mehr mit diesen Irren hier auseinander setzen...

Jason grinste. Ein leises Schmunzeln kam über seine Lippen. Was für herrliche Aussichten... Leise lachte er vor sich hin. Sein lachen wurde lauter und wie, als wenn Gott persönlich ihm eine Botschaft hatte zukommen lassen, legte er eine Hand auf das kalte Fensterglas und starrte in den davor stehenden Baum.

Keine Raben...

Nur die Äste kratzten verheißungsvoll gegen das Glas, als ein starker Windstoß an ihnen rüttelte.

Jason erwiderte ihr Kratzen und fuhr selbst mit seinen Fingernägeln über die Scheibe.
 

"Was halten Sie von dem Neuankömmling, Julia?", fragte einer der Aufseher die junge Frau.

Diese legte das Aktenblatt von Jason Biggs zur Seite und sah den stämmig gebauten, farbigen Mann an. "Ich weiss nicht, Henry.", gab sie wahrheitsgemäß zu und blickte noch einmal kurz zur Seite, um sicher zu gehen, dass die Akte immernoch da lag wo sie diese abgelegt hatte. "Der Mann ist merkwürdig. Und, wenn ich ehrlich sein soll, macht er mir angst."

Henry, der großgebaute Schwarze, nickte nur einmal, um zu bestätigen dass er genau das befürchtet hatte. "Jason Biggs ist ein Mörder. Ich weiss nicht was sich der verdammte Richter gedacht hat, als er es für die richtige Entscheidung gehalten hat ihn zu uns zu sperren. Biggs gehört auf den Stuhl und nicht in eine Irrenanstalt.", führte Henry seine Gedanken weiter aus.

"Glaubst du, dass er wieder morden würde, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bietet?", fragte Julia und fuhr sich über einen Arm. Sie fühlte sich nicht wohl dabei, so über diesen Mann zu reden. Andauernd hatte sie das Gefühl, dass er sie beobachtete.

"Wollen Sie eine ehrliche Antwort?"

Julia nickte.

"Ja. Mörder sind und bleiben Mörder. Es gibt zwar einige Beispiele für Besserungen, aber wenn man einmal Blut geleckt hat, dann tut man es immer wieder."

Sie hatte mit dieser Antwort gerechnet, hatte aber insgeheim gehofft, dass Henry sie nicht aussprach. Julia lächelte dem großen Mann an und nahm dann wieder die Akte von Biggs in die Hand, um sie in einen Schrank einzuordnen. Noch war Biggs zu neu in dieser Anstalt, um die Akte in den Keller zu bringen. Besonders in der Anfangszeit wurde verstärkt ein Auge auf die Neuankömmlinge geworfen. Aber es beruhigte Julia, dass sich im St. Helen viele Aufseher aufhielten. Die Möglichkeit, dass ein Insasse handgreiflich einer der Ärzte, oder Schwestern wurde, wurde somit so gering wie möglich gehalten. Sie war auch froh, dass sie sich mit Henry gut verstand; allein dessen Auftreten schüchterte viele der armen Irren ein. Wenn Biggs einen Plan verfolgen würde - und dem war Schwester Garett sich sicher - dann würde er es sich dreimal überlegen, ob er ausgerechnet sie anfiel. Biggs war verrückt, keine Frage, aber er war ein verrücktes Genie. Soviel stand fest. Ihre weibliche Inuition sagte ihr, dass Biggs nur ein Theater abzog; Jason Biggs war nicht so, wie er sich im St. Helen benahm.
 

Argwöhnisch beobachtete Jason die Schwester, wie sie so gut wie immer mit diesem verdammten Nigger auftauchte.

Wie sollte er denn je an sie herankommen wenn dieses Schwarzbrot immer um sie herum war?

Jason war frustriert und angespannt. Drei Tage waren vergangen, seit die Stimme ihm gesagt hatte, dass er zu der Schwester gehen musste, um sich aus der Lage zu befreien, in welcher er sich momentan befand. Irgendwie musste dieser Hurensohn entfernt werden. Nur wie sollte Jason das anstellen?

Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete er, wie sich der Nigger an eine Wand lehnte und einen Blick in die Runde warf. Allein zehn Irre hatten sich um den kleinen Fernseher gescharrt und betrachteten fasziniert die Nachrichtensprecherin von NBC. Wahrscheinlich hatte niemand dieser Verrückten überhaupt eine Ahnung wovon die Frau in der Flimmerkiste überhaupt redete. Alles wirkte so armselig, so unwirklich...

Pass auf Jason! Sie kommt!

Er sah zu der Schwester, die langsam durch die Menge schritt und kontrollierte ob alle Irren zufrieden waren.

Allein das Wort Zufrieden ließ Jason fast schon auflachen. Diese Verrückten hatten doch gar keine Ahnung was Zufriedenheit bedeutete. Er selber war alles andere als zufrieden, denn er sah erneut, wie das Schwarzbrot ein zusätzliches Auge auf ihn warf. Der starrt dich an Jason! Der will es bestimmt richtig besorgt kriegen, dieser Abschaum.

Oh ja.... der würde es noch besorgt bekommen, so lange würde der Nigger nicht mehr warten müssen...

Jason grinste höhnisch und zwinkerte Henry zu, welcher genau einen Moment vorher den Kopf wieder zur Seite gedreht hatte, weil er gemerkt hatte, dass Jason zurück blickte.

"Alles in Ordnung mit Ihnen, Mr. Biggs?", fragte Julia und riss Jason damit aus seinen Gedanken. Warum war die so schnell hier?

Jason war darauf nicht gefasst gewesen und anstatt irgendeine Antwort zu geben, starrte er lediglich unentwegt auf ihre Oberweite. So pralle Brüste... da hätte sich seine Frau eine von abschneiden können.

Eine von abschneiden. Du bist so ein Genie Jason. Du kannst ihr die verdammten Titten abschnibbeln und sie dann deiner Frau ins Grab legen.

Welch verlockende Vorstellung... ja, so würde Jason es machen.

Julia wandte sich ab, als keine Antwort kam, sondern nur ein verheissungsvolles, fast schon bösartiges Grinsen, wärend Biggs ihr auf die Brüste starrte. Hilfesuchend sah sie sich um. Mit ihr befanden sich noch drei weitere Schwestern in diesem Raum, aber alle gingen so lieblos wie immer ihrer Aufgabe nach. Zwei der anderen gesellten sich bereits wieder zu Henry, hatten ihren Rundgang beendet.

Gleich würden sie in einen anderen Raum gehen und eine Zigarette rauchen; vielleicht auch zwei, oder drei.

Es war schrecklich jetzt musste sie sich auch noch von einem Mörder auf die Brüste starren lassen; da konnte Biggs sich ja schon mit Chefarzt Spark zusammentun. Der hatte ja auch nichts anderes zu tun als ihr nachzugaffen.

Vielleicht sollte sie den Beruf an den Nagel hängen und als Krankenschwester in einem normalen Krankenhaus arbeiten?

Was hatte sie eigentlich dazu gebracht in diesem Sanatorium eine Stelle anzunehmen?
 

"Los. Sags mir, Neunmalklug! Wie komme ich in die Aufenthaltsräume?", fragte Jason die körperlose Stimme.

Der Aufenthaltsraum der Bediensteten befindet sich ganz am Ende vom Hauptgang. Dort musst du einige Treppen erklimmen und bist schon da. Dort trinken sie ihren Kaffee, rauchen ihre Zigaretten und besorgen es sich selber.

Gut. Die nächste Frage war, wie er am besten unerkannt in diesen Raum hinein kam. In den letzten Tagen hatte Jason seine Medikamente gesammelt und betrachtete sie nun stolz. Wenn er sie alle in den Kaffee schüttete, dann würde der Nigger sehr bald umkippen, wie ein Sack in China. Die größte Gefahr bestand dain, dass Garett ebenfalls von dem Kaffe trank und dann genauso umfiel.

Und das wollen wir doch nicht, oder Jason?

"Nein, natürlich nicht! Ich bin doch nicht blöd, verdammter Wichser. Steck dir deine ach so klugen Sprüche in den Arsch!"

Jason fuhr zusammen und drehte sich um. Jemand beobachtete ihn!

Einer der Irren war nicht am schlafen!

Wie gehetzt ließ er seinen Blick durch den dunklen Raum wandern, aber alles war ruhig. Alle lagen in ihren Betten. Alle waren am schlafen. Oder?

"Hör zu du verdammter Hirnamputierter! Hör auf mich zu belauschen, sonst reiss ich dir deine Eingeweide heraus!", rief Jason in die Stille der Nacht.

Keine Reaktion.

Dann sah er wieder aus dem Fenster und fuhr erneut zusammen, als der Rabe am Fenstersims ein lautes Krächzen von sich gab.

In Rage schlug Jason mit der Hand gegen die Scheibe, sodass der Rabe erschrocken davon flatterte. Jason hasste Raben!

"Dreckiges Vieh!", fauchte er ihm nach.

Seit wann waren diese Viecher nachtaktiv?!

Gegenwart und Vergangenheit

Wahrlich, keiner ist weise,

Der nicht das Dunkel kennt,

Das unentrinnbar und leise

Von allen ihn trennt.

(Hermann Hesse)

(Im Nebel; Strophe 3)
 


 

Die Nacht war eingetreten.

Stumm und leise zog die Landschaft an Shay vorbei und ohne auch nur einen Blick zu seiner Frau zu werfen nahm er still Notiz von ihr.

Er bemerkte ihre Blicke, die ihn immer wieder besorgt musterten. Ihm kam es trotzdem vor, als wenn eine Fremde ihn betrachtete. Shay wusste dass es seine Frau Fredrike war; er wusste dass er seit vielen Jahren mit ihr verheiratet war; zumindest wenn er den Ärzten Glauben schenken konnte. Und doch... weiterhin blieb das Gefühl, dass er eigentlich keine Frau hatte.

Woher dieses Gefühl auch kam, es war unwiederruflich da.

Die Lichter der Stadt lagen so ruhig da draußen und zeigten keine weitere Anteilnahme.

Genauso wie die Dunkelheit. Alles schien auf die eigene Art und Weise unwirklich. So schenkte er dem Mann in weiß, an dem sie um Haaresbreite vorbei fuhren keine Beachtung; Freddie tat es auch nicht.

Da stand kein Mann in weißer Kleidung. Er hatte auch keine Zwangsjacke an. Als Shay den Kopf dann doch etwas drehte, um ihm nach zu sehen, war die Straße wieder leer.

Eine einfach Einbildung.

Shay kroch ein kalter Schauer über den Rücken. "Die Straße ist leer..."

"Natürlich ist sie leer, Schatz.", kam es sogleich von Freddie, die wieder zu ihm sah.

"Ich habe Gedacht, dass da jemand gestanden hat.", erwiederte er erklärend.

Freddie sagte nichts dazu; die Nacht konnte einem schon so manchen Streich spielen.

So ging die Fahrt weiter; es folgten keine weiteren Worte.
 

Nacht war es auch im St. Helen.

Die Tageszeit, in der Jason bekanntlich am aktivsten war; zumindest was seine eigenen, wahren, Gedanken anging.

Heute Nacht sollte es endlich soweit sein: Der Nigger wird es richtig besorgt bekommen...

Der Gedanke ging Jason einfach nicht mehr aus dem Kopf und wärend er sich fast lautlos aus dem Schlafsaal schlich - Sind die eigentlich völlig bescheuert die Tür nicht abzuschließen? - und seine nackten Füße über den kalten Boden platschten, schlich sich ein kaltes Lächeln auf sein Gesicht. St. Helen war zwar eine geschlossene Anstalt, aber für eine Videoüberwachung schien es nicht gereicht zu haben, Jason hatte zumindest noch keine Kameras an der Decke gesehen.

Das Ende des Hauptganges war schnell erreicht, es gab auch nichts Sehenswertes zu erblicken. Die Wände waren kahl und wirkten in der dunklen Nacht gespenstisch, denn ausser das schwache, flackernde Nachtlicht hab es keine Lichtquellen; alles wurde in ein dreckiges Grau getaucht, so wie in einem schlechten Schwarz-Weiß-Film.

Erst als Jason das Treppenhaus betrat, fröstelte es ihn ein wenig. Seit wann hast du Angst vor der Dunkelheit?

"Ich habe keine Angst vor der Dunkelheit.", gab er mit fester Stimme von sich und stieg die ersten Stufen hinauf.

Ein leises Summen trat an sein Ohr. Irgendwo, wahrscheinlich im Untergeschoß befand sich der Stromversorger, der vor sich hin brummte. In diesem Treppenhaus erklang er viel Lauter als es normal war. Es schien so, als wenn sich irgendetwas von tief unten nach oben kämpfte, unscheinbar aber zielstrebig kam das Geräusch näher und wenn Jason sagen würde, es würde ihm nichts ausmachen, dann würde er lügen. Sein Pulschlag beschleunigte sich mit jeder Sekunde, in der das Brummen näher kam. Es war zu dunkel, als dass er hinunter zum Kellergeschoss sehen konnte um sicher zu gehen, dass es lediglich Einbildung war, was er da zu hören glaubte und ohne es zu bemerken beschleunigten sich seine Schritte.

Noch bevor das Brummen das gesamte Treppenhaus eingenommen hatte, befand er sich vor der Tür des Aufenthaltsraum.

Er hatte keinen Schlüssel, aber dafür eine Büroklammer, die er in aller Sorgfalt auseinander gezogen und nach seinen Wünschen umgeformt hatte. Nervös nästelte er an dem Schloss herum.

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und als er glaubte, das brummende Monster würde direkt hinter ihm stehen, öffnete sich endlich die Tür. Gehetzt trat er ein und schlug die Tür hinter sich zu.

Stille.

Nur sein Herz schlug hart und laut in seinem Brustkorb. "Scheisse...", keuchte Jason und fuhr sich durch die schweißnassen

Haare.

Du lässt nach Jason. Was ist aus dem kaltherzigen, durch nichts zu erschreckenden Mörder geworden?

"Ach halts Maul.", knurrte Jason die Stimme an und tastete an der Wand entlang. Für den Bruchteil einer Sekunde musste er blinzeln als er den richtigen Schalter gefunden hatte und das grelle Licht ihn blendete.

Ausser einem überquellenden Aschenbecher, auf dem Tisch, einigen Stühlen, einem Kühlschrank , der Kaffeemaschine und einem kleinen Regal gab es in diesem Raum nichts sonderliches. Der Raum wirkte sogar regelrecht schäbig und unansehnlich. Klein war er auch.

Als Jason sich umsah, erblickte er an der Wand eine schief hängende Uhr, welche ihm anzeigte, dass es bereits drei Uhr morgens war. Lange hatte er keine Zeit mehr, die Aufseher tauchten meist schon gegen vier Uhr auf. Jason hörte sie morgens schon durch die Gänge streifen um nach dem Rechten zu sehen.

Hastig füllte er Wasser in die Kaffemaschine und beobachtete wenig später wie das schwarze Gesöff langsam und stehtig in den Auffangbehälter tröpfelte.
 

Unscheinbar und stumm bogen die Lichtstrahlen der Autoscheinwerfer in die Einfahrt des kleinen Hauses in Ultica ein.

Das Auto selber war bei der Dunkelheit kaum zu erkennen und auch fast nicht zu hören, erst als Freddie die Tür öffnete um auszusteigen, schaltete sich das Licht innerhalb des Wagens ein und man konnte einen Blick auf den schlafenden Shay Brown werfen, dessen Kopf an das gläserne Fenster der Beifahrerseite gelehnt war.

Freddie ging erst zur Haustür um sie so leise wie möglich auf zu schließen, um die Kinder nicht zu wecken und kam dann wieder zu dem Wagen zurück, wo sie Shay sanft weckte.

Auch die sonst so vertraute Umgebung wirkte auf Shay unwirklich. Es war fast so, als wenn sich ein Schalter in sienem Kopf umgestellt hatte. Irgendwie war alles so anders, als noch vor wenigen Tagen. Ganz davon abzusehen, dass er sich so gut wie gar nicht an die letzten Tage erinnerte. Was hatte er getan, bevor er ins Koma gefallen war?

Die Stimme in seinem Hinterkopf sagte etwas von einer blonden Frau; aber Freddie war ebenfalls blond.

War sie gemeint?

So oder so, war die Stimme das einzig Vertraute, an was er sich erinnern konnte. Dieses vertraute Gefühl war zwar nicht positiv - irgendetwas sagte Shay, dass es ganz und gar nicht positiv war -, aber an irgendetwas musste er sich doch klammern, oder nicht?

"Sei leise Shay,", kam es von seiner Frau, als er die Veranda betrat, die ein durchdringendes Knarren von sich gab, "die Kinder sind am schlafen."

Kinder. Er hatte Kinder, zwei an der Zahl. Einen Jungen und ein Mädchen. Sarah und Bobby.

Wage erinnerte Shay sich daran, aber es war so als lag ein Nebelschleier vor der Erinnerung. Nur schwer konnte er auf die Informationen zugreifen, die sich irgendwo in seinem Erinnerungsvermögen festgesetzt hatten.

Shay gab sich erhebliche Mühe so leise wie möglich durch das Haus zu gehen, was ihm so bekannt, aber auch fremd vor kam.

"Gib mir deine Jacke, Schatz.", forderte Freddie ihn mit einem freundlichen Lächeln auf und eher geistesabwesend reichte er ihr diese. Das regelrecht rustikale Ambiente erinnerte ihn an etwas, was er nicht einordnen konnte.

Vielleicht eine Errinnerung, die langsam zurück kommen wollte?

Dennoch war es nur das Ambiente, was ihm bekannt vor kam. Alles andere wirkte... falsch. Die Möbel standen nicht mehr da, wo sie hatten stehen sollen. Und auch im Großen und Ganzen war das Haus viel größer als früher.

Oder?

Kam es ihm nur so vor?

Nein, dieses Haus war nicht das, in welchem er groß geworden war! Niemals hatten sie so eine große Küche gehabt!

"Shay? Was ist denn los mit dir?", fragte Freddie, als sie ihren Mann in der Küche wieder fand.

Er drehte den Kopf zu ihr um und sagte mit monotoner Stimme: "Wo sind wir hier?!"

"Shay, dass ist unser Haus. Erinnerst du dich nicht? Das ist das Haus, was du von deinen Eltern bekommen hast."

Sein Blick wanderte von der Küche ins Wohnzimmer. Dort standen viele Fotos auf einer Ablage. Alle Fotos waren ordentlich in Rahmen gepasst und so plaziert worden, dass jeder sie sehen konnte. Auch die dahinter stehende Wand war verziehrt mit vielen Fotorahmen; Schwarz-Weiße-, aber auch farbige Lichtbilder.

Auf einigen erkannte er sich selber wieder, auf anderen befand er sich mit seinem Bruder. Dann waren wieder welche da, in denen ihm Freddie entgegenlachte, auf ihrem Arm ein kleiner Junge. Ehe Shay es sich versah trugen seine Füße ihn wie von alleine zu der Ablage, wo er eins der Fotos in die Hand nahm und es betrachtete.

Ein großer Baum war darauf abgebildet, im Vordergrund erkannte er Jack, seinen Bruder, und sich selber. Damals waren sie bestimmt nicht älter als 15 Jahre gewesen.

Ein kaum merkbares Lächeln machte sich auf Shay Gesicht breit. "Der Baum steht draußen, oder?", fragend sah er zu Freddie, die einige Meter hinter ihm stand.

Sie nickte und deutete auf die Terassentür, unweit von ihm entfernt. "Draussen im Garten. Du und Jack, ihr seid da immer drauf geklettert als ihr Kinder wart. Er ist schon alt und morsch und eigentlich wollte ich ihn abholzen lassen, aber du sagst immer, dass er zu viele Erinnerungen bindet. Deine Kindheit, und so weiter."

Shay folgte ihrem Blick. Er konnte in der Dunkelheit nichts erkennen, draussen schien alles schwarz zu sein, aber in seinen Gedanken konnte er den alten Baum sehen, wie er dort stand. "Im Herbst lässt er Äpfel fallen, nicht wahr?"

"Seit Jahren schon nicht mehr."

Das verwunderte Shay.

"Ich sagte doch, dass er alt und morsch ist. Früher hat er Äpfel getragen, aber das tut er schon seit Jahren nicht mehr. Shay du solltest ins Bett gehen."

Freddie hoffte bis auf weiteres, dass sich das merkwürdige Verhalten ihres Mannes nach einer ordentlichen Mütze voll Schlaf, im eigenen Bett, wieder ändern würde. Sie wusste nicht warum, aber er machte ihr Angst.

Genauso wie Bobby ihr Angst machte.
 

Mit viel Sorgfältigkeit hatte Jason eine Tablette nach der anderen in den Kaffebehälter fallen galassen. Nach einigen Sekunden in denen gar nichts geschah, sprudelte es unheilvoll in der schwarzen Flüssigkeit auf. Erst wenn sich die Medikamente völlig mit dem Kaffee vermischt hatten gab Jason weitere Zutaten - wie er die Pillen nannte - hinzu. dabei achtete er gut darauf, dass er keine Kapseln verwendete. Diese würde er später in einer Toilette versenken, so ie er es anfangs immer mit allen Tabletten getan hatte.

Als er wieder auf die Uhr schaute, war es bereits halb vier morgens.

Es wurde Zeit zu verschwinden. Leise vor sich hin kichernd öffnete er die Tür des Aufenthaltsraumes, rechnete damit dass das Brummen noch immer das Treppenhaus erfüllte, aber dies tat es nicht. Stattdessen war das Licht an und diese Tatsache erschreckte Jason viel mehr. Das Brummen wäre ihm jetzt lieber gewesen, so schreckte er zurück, als er Schritt hörte, die immer näher kamen.

Er hatte sich mit der Zeit vertan. Er hatte viel zu lange in diesem schäbigen Raum verbracht und auch wenn ein unglaublicher Adrenalinschub ihn durchfuhr, so schaffte er es lautlos die Tür vor sich wieder zu schließen.

"Was nun?!", fauchte er flüsternd und wartete auf eine Antwort der Stimme.

Aber diese folgte nicht. "War ja klar, jetzt wo es brenzlig wird, hältst du dich geschlossen!"

Gehetzt sah Jason sich um. Hier gab es nichts um sich zu verstecken, absolut gar nichts. Wenn er nicht so groß wäre, würde es vielleicht sogar unter dem Tisch funktionieren; schließlich bemerkte man in den seltensten Fällen die offensichtlichsten Verstecke.

Langsam öffnete sich die Tür; Jasons Herzschlag setzte für eine Sekunde aus.

Sein ganzer Plan würde im Eimer sein, wenn man ihn hier entdeckte.

Es gab nur zwei Möglichkeiten um das ganze zu verhindern; naja, eigentlich nur eine.

Jasons Hirn schien von einer Sekunde zur anderen ab zu schalten und ohne ein Geräusch von sich zu geben, schnappte er sich den Aschenbecher, verteilte dabei die gesamten Zigarettenstummel und auch deren Asche auf den Boden.

Eine ihm nur vom sehen her bekannte Krankenschwester betrat gähnend den Raum.

Für die erste Sekunde hielt sie inne, als sie bemerkte dass das Licht bereits an war. Dann entspannte sie sich aber wieder und zündete sich eine Zigarette an. "Reg dich ab...", sprach sie zu sich selber. "Es ist bestimmt schon jemand hier..."

Dann ging sie zum Tisch, um ihre Zigarette ab zu legen, stellte dann aber fest, dass der Aschenbecher nicht mehr da war. als sie noch einen Schritt machte, bemerkte sie, wie sie auf etwas drauf trat und als ihr Blick auf den Boden wanderte, sah sie wie dutzende von Zigarettenstummel und unmengen von Asche den Boden befleckten. "Ach verdammt nochmal!" keifte sie und drehte sich zur Tür, um einen Kehrbesen zu holen. Erstickt schrie sie auf, als Jason vor ihr stand und machte einige Schritte rückwärts, stieß aber gegen den Tisch. "Mr. Biggs! Was tun Sie hier?!", sprach sie erschrocken und versuchte authoritär zu klingen, was ihr aber nicht ganz gelang.

"Ich wollte Ihnen etwas sagen...", gab Jason monoton von sich.

Die Schwester entspannte sich von einer Sekunde zur anderen wieder. Was stellte sie sich denn überhaupt so an? Das war ein Irrer vor ihr, der keine Ahnung von nichts hatte. Wahrscheinlich hatte er sich nur verlaufen, oder weiß Gott was. Auch wenn er als potenzieller Mörder galt, die Gerichtsmedizin hatte ihn nicht um sonst in diese anstalt gesteckt und wenn er wirklich so gefährlich war, wie alle sagten, warum befand er sich nicht in einer Zelle? "So, was wollten Sie mir denn sagen, Mr. Biggs?"

Es amüsierte Jason, wie er sah dass sämtliche Hirnwindungen in der Schwester auf Hochtouren liefen. Sie hatte keine ahnung. Sie schätzte die gesamte Situation falsch ein. aber er würde schon dafür sorgen, dass sie sich nie wieder mit soetwas beschäftigen müsste. "...es ist Zeit für Sie zu sterben..."

ehe der Schwester klar wurde, was der Patient soeben von sich gegeben hatte wurde ihr auch schon der Aschenbecher hart gegen die Schläfe geschlagen. Vor ihren Augen explodierten viele weiße Flecken, ehe sie das Gleichgewicht verlor und hart auf dem Boden aufkam. Noch war sie aber nicht tot, stattdessen machte sie ansätze zu schreien, aber kein ton kam von ihren Lippen. Wie ein angeschossenes Tier versuchte sie sich schwerfällig wieder auf zu richten, aber ihre Beine gaben immer wieder unter ihr nach. Kalt grinsend sah Jason zu ihr herab und für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich auch ihre Blicke, dann aber holte Jason erneut auf und schlug noch mindestens vier mal auf den Kopf der Schwester ein, immer gefolgt von einem mal mehr und mal minder lauten Aufknacken, ehe sie unter einem spastischem zucken am Boden liegen blieb und sich nach wenigen weiteren Sekunden nicht mehr regte.

Jasons Blick glitt automatisch wieder zur Wanduhr; zehn nach halb... jetzt wurde es brenzlig.

Mit Mühe und Not hievte er die leblose Frau hoch und öffnete mit einer Hand die Tür des Aufenthaltsraum. "Wohin jetzt mit dir, fette Kuh...?", fragte Jason, war sich aber im klaren darüber, dass er keine Antwort mehr kriegen würde. Der Kopf der Frau war jetzt nicht viel mehr als Matsche, aber viel mehr war er ja vorher auch nicht gewesen. Jede andere Krankenschwester hätte sofort alarm gegeben, wenn sie auf einmal von Jason Biggs überrascht worden wäre. Er wusste scließlich wie die anderen über ihn dachten. Und vor allem wusste er, wie Garett und Schwarzbrot über ihn dachten. Die würden schon sehen was sie davon hatten. Erst müsste er herausfinden, was denn nun seine Bestimmung war und danach würde er Garett vögeln, bis ihr das Hirn aus der Nase rauskam.

Wenn Jason daran dachte, bekam er schon einen Ständer in der Hose.

Und das hatte schon einiges zu sagen, wenn er doch so eine hässliche Kuh auf den Schultern hatte.

Wankend machte er einige Schritte nach vorne, bis er am Treppengeländer angekommen war. Der Rest war ganz leicht, er hob die Schwester an und beförderte sie einfach hinunter, sodass sie innerhalb einer sekunde von der Dunkelheit verschluckt wurde und nach man nach wenigen Momenten den dumpfen Aufprall, im Kellergeschoss hören konnte.

Jason würde sich später darum kümmern, dass die Leiche verschwand.

nun musste er ersteinmal selber zusehen, dass er von diesem Ort verschwand. Hastig säuberte er den Boden von Ascheresten und auch die wenigen Blutspuren, die von dem Eingedresche des Aschenbechers zeugten, entfernte er schnell.

am Aschenbecher selber befanden sich ebenfalls blutige Spuren des kurzen Kampfes, aber auch diese waren schnell beseitigt.

Nachdem er alles wieder halbwegs so plaziert hatte, wie es vorher war, warf er noch einen letzten Blick auf die Kaffeemaschine, in welcher der wahrscheinlich giftigste Cocktail seit langem vor sich hin köchelte. Nun gut, sollten halt noch mehr Menschen umkippen.

Dennoch hoffte er inständig, dass Garett nicht zu denjenigen gehörte.

Mit einem knappen Schulterzucken schloss er die Tür hinter sich und befand sich bald darauf wieder im Schlafsaal.

Alles machte den Anschein, als sei nie etwas passiert...

Sarah

Entfremdet früh dem Wahn der Wirklichkeiten,

versagend sich der schnell gegebenen Welt,

ermüdet von dem Trug der Einzelheiten,

da keine sich dem tiefen Ich gesellt;

(Abschied; Strophe 2; Z.: 1-4)

(Gottfried Benn)
 


 

"Mum!", kam es plötzlich von Bobby, der sich unbemerkt aus seinem Zimmer, hinunter ins Wohnzimmer geschlichen hatte.

Freddie und auch Shay drehten ihren Kopf zu dem unscheinbar wirkenden Jungen, der sich schier verängstigt am Türrahmen des Wohnraumes fest zu klammern schien.

"Bobby?! Was ist denn los?", keuchte Freddie und ging langsam auf ihn zu. Genauso langsam hockte sie sich zu ihm hinunter und fuhr ihm dann einmal durch die Haare. "Schätzchen, du kochst ja!", stellte sie erschrocken fest, als ihr Handrücken die Stirn des Jungen berührte. Dass Bobby wieder sprach realisierte sie zwar, aber die Freude darüber hielt sich angesichts seiner hohen Temperatur in Grenzen. Kurz warf sie einen Blick zu Shay, der immer noch vor dem Schrank mit den Fotos stand.

"Ich rufe einen Arzt.", sagte er kurzerhand, wobei seine Stimme nicht fest klang, sondern eher verunsichert, als ob die ganze Situation ihm nicht klar war. Freddie bemerkte, dass er zerstreut wirkte. Als ob er sich fehl am Platz fühlte. "Schon gut Shay. Setz dich hin,", murmelte sie mit einem leichten Hauch von Verwirrung in ihrer Stimme. Warum wirkte alles so anders, als es vorher gewesen war? "Ich schätze, um diese Uhrzeit werden wir Doktor Shilling nur noch schlecht erreichen. Fürs Erste sollte Bobby einfach wieder ins Bett."

Unter einem deutlichen Ächzen, richtete Freddie sich wieder auf und hob Bobby hoch.

"Ich kann auch alleine gehen, Mum!", gab Bobby protestierend von sich und machte Anstalten sich von seiner Mutter zu befreien, aber das entlockte ihr nur ein kurzes Schmunzeln. "Keine Widerrede, junger Mann!", sagte sie sanft, aber dennoch eindringlich.

Wenig später war sie verschwunden und Shay stand alleine im Wohnzimmer. Wie nach einem harten Arbeitstag ließ er sich seufzend in den Sessel fallen und seinen Blick durch den großen Raum streifen. Nun war er also wieder Zuhause, aber das behagliche Gefühl dort zu sein, wo er hingehörte, wollte sich nicht einstellen. Nur für sich selber und um seiner Gesundheit Willen hoffte er, dass diese Amnesie bald nachließ. Denn wirklich glauben konnte er nicht, dass es sich tatsächlich um Gedächtnisverlust handelte. Sollte ihm nicht zumindest etwas bekannt vor kommen? Von dem Baum im Garten mal abgesehen, aber selbst an den erinnerte er sich ja anscheinend nicht mehr genau, denn wie hatte Freddie gesagt? Er trägt schon sein Jahren keine Äpfel mehr? Warum erinnerte er sich trotzdem daran, wie er noch letztes Jahr eine Frucht von eben diesem Baum gegessen hatte?

War es doch länger her, als ein Jahr, dass er das letzte Mal von dort Äpfel gepflückt hatte?

Shay wusste nicht was er glauben sollte und was nicht. Alles war durcheinander und er sah sich auch nicht in der Lage die Gedanken zu ordnen. War es wirklich so gut gewesen so früh schon das Krankenhaus zu verlassen?

Noch ehe er seine Gedanken zu ende führen konnte stand Shay wie von selber auf und schritt zur Terassentür.

Mit einer knappen Handbewegung öffnete er sie und schritt in den dunklen Garten hinaus, wo er nun auch schemenhaft den Baum erblicken konnte, der ihm ebenfalls anders in Erinnerung geblieben war. Früher war er viel größer gewesen.

Vielleicht war er auch einfach nur zu sentimental?

Vielleicht legte er zu viel Wert auf Dinge, die gewesen waren, anstatt die Erinnerungen zu wahren, die sich in der Gegenwart abspielten?

Leise klang das Geräusch einiger Zirpen an sein Ohr.

Als Shay sich wieder umdrehte und zum erleuchteten Wohnzimmer sah, stand Freddie an der Tür und sah mit einem hilflosen Blick zu ihm hinaus.

Irgendetwas stimmte nicht, sie machte sich wahrscheinlich sorgen um Bobby.

Mit langsamen Schritten ging Shay zu seiner Frau hinüber. "Was ist los?"

"Sarah ist verschwunden.", kam es knapp aber prägnant von von ihr.
 

Die Medikamente ließen nach.

Jason regte sich träge in seinem Bett, soweit es ihm möglich war, so wie er dort festgeschnallt war.

Hatte man vergessen ihm einen neuen Schuss zu geben? Oder welche von diesen Pillen, die er vor längerer Zeit noch permanent in die Toilettenspühlung gekippt hatte?

Es war egal, denn die Wirkung ließ nach und er schlief nicht mehr. Auch wenn seine Augenlider schwer waren, wie tonnenschwere Gewichte so sah er das schwache Licht, was von dem kleinen Fenster in den schmalen Raum eintrat.

"Ihr verdammen Hurenkinder...", kam es nuschelnd von seinen Lippen und wenige Sekunden später erblickte Jason das kleine Plexiglasfenster an der Tür, direkt gegenüber von ihm. Wie spät war es?

Wenn er von dem Licht außerhalb seines Zimmers - seiner Zelle - ausging war es wohl Nachmittag, denn nur am Nachmittag war der Lichteinfluss am größten. Wenn es nicht bewölkt war, dann schien die Sonne sogar durch das kleine Fenster.

Beinahe etwas hilflos zerrte er an den ledernen Riemen, an seinem Handgelenk, aber es half nicht; er konnte sich kaum regen. Wenn es nur eine Möglichkeit gab sich irgendwie los zu machen?

Sein starrer Nacken schmerzte, als Jason seinen Kopf leicht nach links und rechts drehte. Es war rein gar nichts in diesem Raum, was ihm irgendwie dabei helfen konnte sich aus dieser misslichen Lage zu befreien und auch wenn er versuchte seine Beine zu bewegen, bemerkte er lediglich Widerstand von den eben auch dort befindlichen Riemen.

Dumpf klangen Schritte vom Korridor an sein Ohr. Es waren klackende Schritte von Schuhen mit Absätzen. Eine der Schwestern die einen Rundgang machte?

Jason schloß die Augen, als das Geräusch näher kam um auch weiter den Schein zu wahren, dass er schlief und erst als sich die Schritte entfernten öffnete er sie wieder. Um alles in der Welt würde er verhindern, erneut in dieses Koma gesteckt zu werden, in welchem er sich wohl eine ganze Weile befunden haben musste; ansonsten wären seine Erinnerungen wohl nicht so verschwommen.

Es ist schon erstaunlich... kaum hast du die Augen geöffnet, schmiedest du wieder irgendwelche Mordgedanken.

"Ich schmiede keine Mordgedanken."

Und ob du das tust. Du vergisst dass ich in deinem Kopf sitze und alle Gedanken lesen kann, wie ein offenes Buch.

"Und du vergisst, dass es Zeit ist für dich zu verschwinden!", knurrte Jason mit leiser Stimme, schließlich sollte da draußen niemand erfahren, dass er wieder wach war. Womöglich würden sie ihm sonst sofort die doppelte Dosis verabreichen. Sie hatten eine Scheissangst vor ihm, sonst hätten sie ihn nicht an dieses Bett gefesselt. Sie hatten eine Scheissangst und waren sadistisch veranlagt. Aber da hatten sie ihre Rechnung nicht mit Jason Biggs gemacht. Es war ihr Fehler gewesen ihn in diese Zelle zu stecken und dieser Fehler würde ihnen bald teuer zu stehen kommen...

Siehst du, ich sag doch dass du Mordgedanken hegst...

Jason seufzte einmal auf, er hasste diese Stimme. Er hasste sie und ihre Art und Weise immer das letzte Wort haben zu müssen. Dabei war ihm natürlich mehr als alles andere klar, dass es wirklich an Wahnsinn grenzte, wie er sich mit einer nicht existierenden Person unterhielt, dass es in seinem Kopf eine Stimme gab die eigenständig dachte...

Während er sich in Gedanken mit seiner Lage auseinander setzte, blieb Jasons Blick an den Fußriemen hängen, wo einer der beiden anscheinend lockerer war, als der andere. durch das Gezappel hatte er sich wohl selber minimal ein wenig geholfen....

Ein unheilvolles Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit...
 

Shay glaubte sich verhört zu haben. "Wie bitte?!"

Freddie ihrerseits schien vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen und wankte gefährlich. "Sie ist weg! Sie liegt nicht in ihrem Bett und woanders im Haus ist sie auch nicht!", brachte sie von ihren Lippen und klang dabei schon fast verdächtig hysterisch. Shay ging auf sie zu und betrachtete seine Frau mit einem bedächtigen Blick, der ihm nur noch mehr verriet wie nah sie einem Zusammenbruch stand. "Jetzt beruhig dich...", murmelte er leise, war doch selber mit der plötzlichen Situation überfordert. Dabei musste er sich selber eingestehen, dass er - Schande über sein Haupt - noch nicht einmal ein Gesicht zum Namen Sarah im Kopf hatte. Der Gedanke daran, dass er sich nicht mehr an seine Tochter erinnerte ließ Shay mulmig zu mute werden. "Hast du überall im Haus nachgesehen?", fragte er mit ruhiger Stimme und sah Freddie fest an. Diese nickte, den Tränen nahe und sah sich hilflos um, in der Hoffnung das kleine Mädchen vielleicht im Garten irgendwo zu erblicken, aber ihre Hoffnung wurde schnell enttäuscht. Warum sollte Sarah sich auch verstecken, wo doch ihr Daddy endlich wieder da war?

Galant, wie Shay manchmal sein konnte geleitete er seine Frau wieder in das Haus, ließ sie sich auf den Sessel setzen und hockte sich dann vor Freddie. "Ich gehe das Haus noch einmal absuchen, vielleicht spielt sie nur verstecken mit dir. Und wenn ich sie nicht gefunden habe, rufen wir die Cops.", versuchte er sie zu beruhigen und strich ihr einmal über den Oberschenkel. Selbst diese Berührung kam ihm fremd vor.

Ein wenig schwerfällig richtete der Mann sich auf und ging aus dem Wohnzimmer raus. Freddie sah ihm nur kurz nach und versuchte selber Ruhe zu bewahren. Warum sollte Sarah weg sein? Es war doch niemand in das Haus eingebrochen? Alles sah aus, wie als sie es verlassen hatte.

Aber Freddie konnte nicht lange ruhig sitzen bleiben. Aufgekratzt sank sie vom Sessel auf und schritt nervös durch den Raum.

Es war fast schon lächerlich, aber jetzt fiel ihr erst auf wie dreckig das Wohnzimmer war: Überall hatte sich Staub abgelagert. Es war nicht sonderlich viel, aber dennoch ein dünner Film an Sporen welcher den Eindruck machte als wäre seit längerer Zeit niemand mehr in diesem Haus gewesen. Daran war eigentlich nichts ungewöhnlich, aber Freddie entsann sich, wie sie gestern noch wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Zimmer gerauscht war und geputzt hatte. etwas anderes hatte sie ja auch nicht tun können, denn wenn man alleine war, die Kinder den Tag über nicht anwesend waren, naja, was sollte man dann anderes tun, außer zu putzen, wenn man das Essen fertig hatte?

Prüfend strich Freddie mit dem Zeigefinger über ein Regal und betrachtete den grauen Fleck, der sich kurz darauf auf der Fingerkuppe befand. Regelrecht angewidert rieb sie den Finger an ihrem Daumen, um den Schmutz los zu werden.

Was tue ich hier eigentlich?, fragte sie sich und schritt mit einem erneuten Anflug von Panik ebenfalls aus dem Wohnzimmer raus. Ihre Tochter war verschwunden und sie kümmerte sich um Dreck im Wohnzimmer?! "Shay?!"
 

Shay war im Keller angekommen. Warum auch immer, er konnte sich bestens vorstellen, dass Freddie eben im Keller noch nicht nachgesehen hatte. Wahrscheinlich war sie durch das Obergeschoss gehetzt und dann durch das Erdgeschoss, bevor sie ins Wohnzimmer gekommen war. Im Eifer des Gefechts war sie bestimmt nicht im Keller gewesen.

Umringt von schwummriger Dunkelheit tastete Shay nach einem möglichen Lichtschalter. Die Luft war stickig, abgestanden; eben ein normaler Kellergeruch. Ein leichter Hauch von Feuchtigkeit lag ebenfalls in der Luft, wenn er es nicht besser wusste roch es regelrecht nach Verwesung, gammelig und unangenehm beißend. Shay hustete etwas, fand den Lichtschalter und betätigte ihn. aber das Licht blieb aus.

Eigentlich hatte er keine Angst vor der Dunkelheit, aber in Anbetracht dessen, dass ihm das ganze Haus fremd vor kam, wollte er lieber sicher gehen und etwas Licht in den dunklen Raum bringen. So schritt er wieder in den Flur, um dort das Licht an zu schalten.

Schwach kämpfte sich das Licht einige Meter in die Dunkelheit des Kellers hinein; zumindest konnte Shay nun die Treppenstufen sehen, die ein ganzes Stück herunter liefen, aber selbst die letzten Stufen konnte er kaum noch ausmachen, während er so in das dunkle Gewölbe hinab sah.

Reg dich ab, das ist nur ein Keller. Du bist kein Kleines Kind mehr, was Angst hat vor der Dunkelheit!, ermahnte er sich selber ehe er die ersten Schritte nach unten machte und die hölzernen Stufen unter ihm ein knarrendes Geräusch von sich gaben. Shay traute dem Spuk nicht. Das schlimmste was jetzt noch passieren konnte, war dass die Treppe unter ihm nachgab und die Dunkelheit des Kellers ihn verschluckte.

Aber die Treppe hielt seinem Gewicht stand, als er den ersten Schritt wieder auf festen Boden hatte, konnte er knapp die Silhouetten von herumstehenden Gerätschaften und Gegenständen ausmachen, aber sonderlich viel konnte er nicht entdecken, geschweige denn ein Kind was sich möglicherweise hier unten aufhielt.

Aber selbst diese Vorstellung war absurd; wenn er selber schon das Grausen bekam sobald er die klaffende Dunkelheit des Kellergewölbes sah, warum sollte das Mädchen dann alleine in eben diese Dunkelheit hinab steigen? Kein Kind war so dumm, selbst wenn es seinen Eltern einen Streich spielen wollte.

Die Stille unterhalb des Erdgeschosses verursachte einen unangenehmen Druck auf Shays Ohren und angespannt schluckte er einmal, um das lästige Gefühl los zu werden. Es dauerte eine Weile, dann begannen seine Augen sich endlich an die Schwärze zu gewöhnen. Gekonnt ignorierte er seinen beschleunigten Herzschlag; irgendwie fühlte Shay sich wie ein Tier was in eine Falle getappt war. Jetzt hör schon auf!, rief er sich selber erneut zur Ruhe und ließ seinen Blick durch den Keller schweifen. Es hatte keinen Sinn, auch wenn er jetzt bereits besser sehen konnte, als vor wenigen Augenblicken noch. Den dunkleren Schatten, geworfen von einigen Kartons, in einer Ecke des Kellers tat er als mögliches Versteck von Sarah ab. Er würde das Kind nicht finden, selbst wenn Sarah sich hier unten aufhielt. "Sarah?! Jetzt komm schon raus! Du hast genug Verstecken gespielt!", rief Shay ungehalten in die Dunkelheit hinein, aber es folgte keine Antwort. Dann erklang ein raschelndes Geräusch und einen Bruchteil einer Sekunde später stürzte irgendetwas zu Boden. Erschrocken drehte Shay sich in die Richtung, aus welcher das Geräusch gekommen war. Schmerzhaft stellten sich seine Nackenhaare hoch. Eine Katze wäre bei diesem Schreck wahrscheinlich an die Decke gesprungen. "Sarah, es ist gut jetzt! Ich hab dich gefunden. Komm raus!", versuchte Shay es erneut. Und so sicher seine Stimme klang, desto unsicherer waren seine Schritte die er langsam in die Richtung machte, aus welcher das Geräusch gekommen war. Aufgrund der Anspannung brach bei Shay der Schweiß aus, als ein weiterer Laut an sein Ohr klang, zwar leise aber er würde es jederzeit hören: Bamm-Bamm!

"Oh bitte lieber Gott...", murmelte Shay, nun ebenfalls einer leichten Panikattacke gar nicht weit entfernt.

Die Schläge waren leise, bei weitem nicht so laut wie in seinem Komatraum aber es ging ihm durch Mark und Bein, wahrscheinlich eben aus dem Grund weil es so leise und unscheinbar war. Shay stand an einer kalten Wand und das stetige Bamm-Bamm schien direkt aus dieser zu kommen. "Verdammte scheiße....", keuchte er als sich eine eisig kalte Gänsehaut auf seiner Haut breit machte. Unter Schweißausbrüchen und Angst - ja es war pure angst - machte Shay überstürzt einige Schritte rückwärts, bloß von der Wand weg aus Angst irgendwelche Hände könnten aus ihr hervor stoßen und nach ihm Greifen. Ein Karton - Der stand definitiv grad noch nicht dort! - brachte Shay zum stolpern und ließ ihn hart auf dem Boden landen, wobei ein starker Schmerz sich von seinem Steißbein ab breit machte. "Daddy?!"

Shay stockte der Atem, als er seinen Kopf etwas drehte und die blasse Gestalt des kleinen Mädchen neben sich sah. "Sarah!"

Ja, das war seine Tochter, wie sie da stand mit ihrem Stoffhasen -Feiver. "Sarah was machst du hier unten? Wir haben dich überall gesucht!", sagte Shay, klang aber erleichtert. Mit einem Mal war auch das Bamm-Bammverschwunden. Wahrscheinlich war es nur Einbildung gewesen und allein diese Tatsache beruhigte den Mann sichtlich. Ächzend stand er auf und ignorierte den Schmerz an seinem Hinterteil, drehte sich zu Sarah herum und schaute dann zu ihr herab. Diese lachte nur ausgelassen, als wenn für sie wirklich alles nur ein Spiel gewesen war.

Entgeistert, aber wirklich erfreut, dass er die Kleine wieder gefunden hatte, schüttelte Shay den Kopf und wollte Sarah durch die blonden Haare streichen, glitt mit der Hand aber direkt durch sie hindurch. Er hielt in der Bewegung inne und bemerkte, wie sich sein Magen umdrehte. "S-Sarah...?", kam es nun weniger sicher von ihm und betrachtete... ES wie es mit einem freundlichen Blick zu ihm hoch sah. "Hm?", fragte die Gestalt, als wäre alles normal.

Shay konnte sich keinen Millimeter rühren und - oh wie klischeehaft - kam ein eisiger Windstoß auf, der die Kellertür mit einem lauten Krachen zufallen ließ. Die Tatsache, dass es nun wieder stockdunkel im Keller war, beunruhigte Shay nicht mehr. Das was ihn beunruhigte war das bleiche, Mondlichtgleiche, fahle Licht was von Sarah auszugehen schien, welches aber den Keller nicht im geringsten erhellte. "Was... geht hier vor?!", fragte Shay sich selber.

Gib gut acht, Shay Brown... nicht nur der schwarze Rabe gilt als Unglücksbote...

Die Stimme! Shay wusste nicht was passierte. Sollte er sich über den ungebetenen Gast in seinem Kopf freuen, oder nicht?

Des weiteren ruhte sein Blick immer noch auf der Gestalt, welche aussah wie Sarah, es aber gleichzeitig nicht sein konnte. Dann realisierte er auch, dass sich seine Hand weiterhin in der Erscheinung aufhielt und erschrocken keuchend riss er die Hand zurück. Erst das knurrende Geräusch, aus einer anderen Ecke des Raumes, dort wo der dunklere Schatten war, holte Shay komplett aus seiner Starre heraus und mit entsetzen bemerkte er das rote Glühen aus dieser Ecke, was immer näher kam. Augen...

"Sarah, lauf weg!", rief Shay dem Mädchen entgegen. er wusste selber nicht weshalb er die Erscheinung auf einmal behandelte, wie ein lebendes Wesen... wie seine Tochter.

"Warum...?"

Dann ging alles sehr schnell, zumindest kam es Shay so vor. Das rote glühen stellte sich als ein Augenpaar eines schwarzen, struppigen Hund heraus, welcher mit wankenden schritten auf Shay und Sarah zu kam. Ein weiterer Blick in die Ecke zeigte Shay, dass der dunklere Schatten verschwunden war und nun dem riesigen Hund folgte, wie eine dunkle Nebelschwade. Schwarze Wolken...

Wieder erfasste Shay die Starre, je näher dieses Monster von Hund näher kam. Die roten Augen fixierten den Mann nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor sich das Tier sich mit weit aufgerissener Schnauze auf Sarah stürzte und nieder riss. "NEIN!"

Kein Laut kam von der Gestalt des Mädchens, sie sah ihn immer noch mit diesem unschuldigen lächeln an, selbst als sie am Boden aufprallte und sich zusammen mit dem Hund in Nichts auflöste.

Dann war der Spuk vorbei.

Shay blinzelte, als das Kellerlicht urplötzlich aufflammte. Paralysiert stand Shay weiter an der selben Stelle und starrte auf den Punkt, wo Sarah gestanden hatte.

"Hast du sie gefunden Shay?"

Er sah zu Freddie, die oben an der Treppe stand und ihn hilflos ansah.

"Nein...", flüsterte Shay und machte einige wankende Schritte in Richtung der Treppe. "Ruf die Polizei..."

In der selben Nacht

Es gibt keine Schuld. Es gibt nur den Ablauf der Zeit.

Solche Straßen schneiden sich in der Unendlichkeit.

Jedes trägt den andern mit sich herum -

etwas bleibt immer zurück.

(Kurt Tucholsky)

(Aus, Strophe 2)
 

Johnathan Travers saß in seinem Büro.

Es war kurz nach Beginn der Nachtschicht und eigentlich sollte er um diese Uhrzeit zuhause im Bett liegen. Dennoch hatte er sich aufgrund des Krankheitsfall eines Kollegen bereit gestellt diese heutige Schicht zu übernehmen. Er verabscheute die Arbeit Nachts, weil es in Utica so gut wie nie sonderliche Vorfälle gab, die es Nachts zu erledigen galt.

Vor einigen Tagen, die Kollision des Lasters mit dem PKW von Shay Brown, das war eine der wenigen Ausnahmen gewesen.

Aber seitdem war nichts sonderliches mehr vorgefallen. Dennoch war selbst dieser Fall nicht von sonderlicher Bedeutung gewesen, denn es gab keine Abnormalitäten, von den Raben mal abgesehen. Der Lasterfahrer schien wieder wohl auf zu sein und was diesen Shay Brown anging... nun ja. Travers hatte sich, ehrlich gesagt, nicht mehr darum gekümmert.

Wärend er in seinem Büro an seinem Schreibtisch saß und lediglich die Tischlampe den Raum erhellte, sowie das regelmäßige aufblinken des Anrufbeantworter am anderen Ende des Raumes, hatte Travers sich über einen Schmöker gebeugt.

Ganz leise tickte die Wanduhr, über der Tür als plötzlich das Klingeln des Telefons die Ruhe zerstörte.

Travers hielt inne und warf einen Blick auf den aufleuchtenden Display des Apperat. Kurzerhand nahm er den Hörer zur Hand und legte ihn ans Ohr. "Was gibt es, Neomi?"

"Du bist doch heute Nacht im Dienst, oder?", fragte Pang an der anderen Leitung und wartete anschließend auf die Antwort ab.

Travers, der seine Partnerin eigentlich nach Hause geschickt hatte, schaute etwas verwundert auf die Wanduhr und stellte fest, dass es bereits nach zwölf Uhr Nachts war. "Ja, warum? Solltest du nicht zuhause sein?"

An der anderen Leitung machte Pang eine abwinkende Handbewegung. Sie war nicht nach Hause gefahren, weil sie noch eine kleine Rundfahrt durch Utica gemacht hatte um sicher zu gehen, dass alles in Ordnung war. Als sie den Dienstwagen wieder im Department abgeliefert hatte, um anschließend sich wirklich auf den Weg machen wollte, hatte sie zwei Kollegen getroffen. "Jeff hat einen Anruf von den Browns bekommen, dass deren Tochter verschwunden ist.", sagte die junge Asiatin dann, ohne herumschweifen.

Wenn man vom Teufel sprach... oder zumindest an ihn dachte, schien er wirklich auch auf zu tauchen, dachte Travers sich dann und sah, überflüssigerweise, noch auf seine Armbanduhr, welche die selbe Uhrzeit anzeigte, wie soeben noch die Wanduhr. "Und warum rufst du mich dann an, anstatt einfach in mein Büro zu kommen?"

"Ich dachte mir, vielleicht bist du unterwegs, also ab ich es erst mit anklingeln versucht. Ich denke es wäre das Richtige, wenn wir uns um die Sache kümmern, wo wir doch schon bei dem Autounfall dabei gewesen sind.", erklärte Pang kurzerhand ihre Gedankengänge, welche Travers dann auch einleuchteten. Klare Sache. Obendrein war es auch schon komisch, dass in innerhalb so kurzer Zeit zwei Unglücke auf einmal die Familie aufsuchten. Zufälle gab es dabei bestimmt nicht und wenn doch: ...Travers wusste nicht, was wenn doch. "Gut, bist du draussen?"

"Ja, ich steh draussen vor dem Wagen."

Damit legte er auf und markierte die Seite des Buches, was er am Lesen gewesen war, mit einem Eselsohr.
 

"Gibt es irgendjemanden, der ihrer Familie Schaden will?", fragte Travers, als er sich mit Pang im geräumigen Wohnzimmer des Hauses der Browns befand.

Shay sagte nichts, schien irgendwie abwesend und in Gedanken versunken zu sein. Deshalb übernahm Freddie das Wort und meinte: "Nein, nicht dass ich wüsste. Wir wohnen hier jetzt schon seit vielen Jahren und auch mit den Nachbarn haben wir keine Probleme. Wenn ich das von uns selber sagen darf, dann würde ich uns doch als freundliche Familie bezeichnen, die keine Probleme mit irgendwelchen Leuten hat. Und ich glaube auch nicht dass irgendwelche Leute Probleme mit uns haben."

Travers nickte und Pang machte einige Notizen. Dabei ließ sie ihren Blick durch den Raum gleiten. Als sie einige Schritte machte und an dem Schrank hängen blieb, wo viele Fotos präsentierend stand, konnte sie Freddie glauben schenken. Es sah ganz danach aus, als wenn sie es hier mit einer normalen Familie zu tun hatten. Das einzige was am stören war, war die Staubschicht, die sich scheinbar überall verbreitet zu haben schien. Aber das war ja nicht Pangs Sache. Fredrike Brown hatte in den letzten Tagen wahrscheinlich genug zu tun und andere Sorgen gehabt, als wie wild putzend durch das ziemlich groß wirkende Haus zu rennen.

"Ich habe Shay aus dem Krankenhaus abgeholt, nachdem das Krankenhaus mich informiert hat, dass er wieder erwacht sei. Als wir dann wieder da waren, war unser Sohn auch noch wach. Ich habe ihn wieder in sein Zimmer gebracht, wollte nur kurz nach Sarah sehen, aber ihr Bett war leer.", erzählte Freddie und ihre Stimme zitterte etwas.

Auch das notierte Pang gewissenhaft und drehte sich dann wieder zu den anderen um. Sie wusste nicht warum, aber irgendetwas war merkwürdig an diesem Haus. Es wirkte zwar freundlich und gemütlich, aber dennoch lag etwas drückendes in der Luft. Wenn nicht drückend, dann schon... unheimlich. Dieser Staub auf den Möbeln verstärkte den Eindruck noch. Instinktiv suchte sie die Decke nach Spinnenweben ab, aber konnte soweit keine entdecken. Der Staub ließ den Eindruck erwecken, dass dieses Haus seit längerem nicht mehr geputzt, oder benutzt wurde. Merkwürdig. Und das war wirklich schon eine Leistung, wenn doch zwei Kinder mit ihren Eltern hier lebten.

Das Krächzen einiger Raben ließ Pang zusammenzucken. Als sie aus der Terrassentür hinaussah, bemerkte sie mindestens drei dieser Vögel, wie sie vor der Tür saßen und beinahe schon fixierend in das Wohnzimmer hinein starrten.

Nur mit Mühe konnte Pang den blick von den Tieren abwenden. Sie verstärkten das unheimliche Gefühl, was Pang verspürte noch mehr.

"Haben Sie mitgeschrieben, Pang?", kam es dann noch von Travers, der seine Partnerin wärend des Dienstes immer siezte und auch nur mit Nachnamen ansprach. Das waren nunmal Formalitäten, die es zu akzeptieren gab, auch wenn Pang immer das Gefühl hatte, dass Johnathan in irgendeiner Weise sauer war auf sie. "Ähm, nein. Tut mir leid. Was wurde als letztes gesagt?", gab sie verwirrt von sich und ohrfeigte sich innerlich für ihre Unachtsamkeit.
 

"Das ist ziemlich ungewöhnlich.", sagte Johnathan Travers, als er sich wenig später wieder mit seiner Kollegin im Dienstwagen befand und das Gaspedal durch drückte. Sie fuhren über die leergefegte Landstraße, zurück zur Wache. Pang saß neben ihm, auf dem Beifahrersitz und starrte in die Nacht hinaus. "Was ist daran ungewöhnlich?", fragte sie dann und wandte ihren Blick dann zu Travers. "Es gibt doch viele Entführungen, die auf dem ersten Blick ungeklärt wirken."

"Ist schon richtig, aber diese Gegend in der die Browns leben ist eine recht noble Gegend."

"Unter jedem Haus liegen Abwasserkanäle, oder nicht?"

Damit hatte Pang recht und Travers wusste das auch, aber dennoch kam ihm der gesamte Fall ein wenig aus den Fingern gezogen vor. "Diese Familie hat einen guten Eindruck gemacht, vielleicht eine der wenigen in denen keine Leiche im Keller verborgen liegt. Es mag sich komisch anhören, aber es erinnert mich an eine Art Myserieum. Ich meine, wenn diese Familie keine sogenannte Leiche im Keller hat, warum passieren gleich zwei Unglücke auf einmal und das in so kurzer Zeit?", fragte Travers und schaute kurz seiner Nachbarin ins Gesicht, und ließ die Straße ausser acht; es war eh nichts auf dieser los.

"Zufall?"

"Zufälle gibt es nicht, Noemi. Vielleicht macht es auf den ersten Blick diesen Eindruck, aber ich glaube an dieser Sache ist mehr dran, als das normale Auge sieht."

"Jetzt wirst du aber poetisch. Meiner Meinung nach ist es eine normale Vermisstenmeldung, wie man sie jeden Tag aufs neue erhält. Wer weiß, vielleicht hat das Kind sich nur gedacht, dass sie Nachts ein wenig nach draussen geht, um sich die Sterne anzusehen.", das klang zwar selbst für Pang ein wenig weit hergeholt, aber in den meisten Fällen tauchten die vermissten nach etwa einem Tag wieder auf, als sei nie etwas passiert.

"Bei einem acht-jährigem Kind?!", fragte Travers und hob eine Augenbraue.

"Ja, ich weiß, das hört sich wirklich sehr bescheuert an. Aber am besten warten wir ab, so wie wir es gesagt haben. Ein oder vielleicht sogar zwei Tage. Wenn das Mädchen bis dahin nicht wieder aufgetaucht ist, dann beordern wir einen Suchtrupp."

Travers schmunzelte. Pang war wirklich eine sehr selbstständige Frau. In manchen Dingen machte sie den Eindruck, dass sie das gesamte Department selber leiten konnte, aber in vielen Dingen war sie auch noch naiv. Aber sie war ja auch noch nicht lange im Dienst. Das Leben würde ihr die nötigen Erfahrungen noch bringen, aber in einem war Travers sich sicher: Seine Partnerin würde bald eine hervorragende Polizistin abgeben.
 

Shay hatte sich verkniffen irgendjemanden etwas von dem Vorfall im Keller zu erzählen.

Schon mal gar nicht hatte er den beiden Polizisten erzählt, dass er seine Tochter dort gesehen hatte, bevor sie von einem schwarzen Hund angefallen wurde und sich dann in Luft aufgelöst hatte. Es lag bestimmt nur an seinem Koma. Sein Hirn war immernoch ein wenig benebelt.

Als Travers und Pang das Haus verlassen hatten, saß Shay weiter auf dem Sessel und starrte in den Raum, als wolle er etwas beobachten. Verbissen schickte er sich an nicht zu den Raben zu sehen, die sich vor der Terrasse niedergelassen hatten. In dieser Gegend gab es viele dieser Vögel, aber seit dem Autounfall hatte Shay das Gefühl, dass es langsam nicht mehr mit rechten Dingen zuging und auch sein merkwürdiger Traum mit dem kopflosen Raben spielte in seiner Vermutung eine Rolle. "Geh schlafen Freddie. Ich bleibe wach. Vielleicht hatten die beiden Recht und Sarah steht gleich vor der Tür und ist sich noch nicht einmal bewusst, dass wir uns wegen ihr große Sorgen gemacht haben.", sagte er dann mit tonloser Stimme, als Freddie wieder vor ihm stand und den Eindruck machte, als wolle sie irgendetwas sagen.

"Mir ist schlecht...", kam es dann von ihr und als Shay zu ihr sah, bemerkte er, dass sie hundeelend aussah.

"Ich sag doch: Geh ins Bett. Es ist ganz klar dass es dir jetzt nicht gut geht."

"Shay, wie sieht es eigentlich mit deiner Amnesie aus?", fragte sie ihn, ohne auf das Gesagte einzugehen.

"Wie soll es damit aussehen?"

"Ich frag nur, weil... es kann doch sein dass..."

"Dass ich nicht mehr weiß, wie unsere Tochter aussieht?"

Freddie schwieg betreten, als Zeichen der Zustimmung.

"Freddie, auf fast jedem Foto in diesem Raum kann ich sie sehen. Selbst wenn ich mich nicht an sie erinner hätte, würde ich es spätestens dann wieder wissen, wie sie aussieht, wenn ich mir diese Bilder ansehe.", sagte Shay ein wenig empört und deutete auf das Regal und hielt im nächsten Moment inne, als er sah dass auf keinem der Fotos Sarah abgebildet war.

Freddie sah ebenfalls zu den Bildern, schien keine Veränderung wahr zu nehmen, deshalb schloß Shay die Augeneinmal kurz und als er die Fotos wieder betrachtete, war wirklich keine Veränderung zu sehen. Sarah war da, kein Zweifel. "Und jetzt geh schlafen..."

Freddie hatte keine Anmerkungen mehr und schien auch erleichtert zu sein. Sie rang sich ein schwaches Lächeln ab und gab Shay einen leichten Kuss auf die Stirn, ehe langsam aus dem Wohnzimmer hinaus ging und damit aus seinem Blickfeld verschwand.

Noch einige Momente abwartend, blieb Shay auf dem Sessel sitzen und sah zu der Terassentür.

Schwarz hob sie sich von ihrer Umbegung ab und wirkte wie ein großes, quadratisches Loch. Eigentlich hatte Shay keine Angst vor der dunkelheit, aber je länger er in die gähnende Schwärze starrte, deso unbehaglicher fühlte er sich. Die Dunkelheit schien immer näher zu kommen und in seiner Vorstellungskraft drohte die Shay zu verschlingen.

Er riss sich von seinen Gedanken weg und stand apruppt auf.

Wie von selber führten ihn seine Beine zurück zu der Kellertür und mit einer unglaublichen vorsicht legte sich Shays Hand auf die Klinke.

Er schnappte einmal nach Luft und rief sich zur Ruhe, ehe er ruckartig den Türgriff nach unten drückte und die Tür öffnen wollte, aber auf unerwarteten Widerstand stoß.

Der Keller war abgeschlossen!

Das alles machte Shay nicht nervös. Freddie hatte den Keller wahrschenlich verschlossen, aus Angst von irgendwo könnte ein Fremder in das Haus gelangen. Suchend blickte zu der Türklinke, aber ein Schlüssel steckte nicht dort.

Wo verwahrten sie Schlüssel auf?

Shay drehte sich um und erblickte an der Wand ein Schlüsselbrett.

Kurzerhand nahm er alle Schlüssel zur Hand, da er sich nicht entsinnen konnte, wie derjenige, der zum Keller gehörte, aussah. Gewissenhaft steckte er einen nach dem anderen in das kleine Loch und versuchte die Verriegelung zu lösen. als das Schloss dann einmal aufknackte, seufzte Shay erleichtert auf. Erneut drückte er die Klinke herunter und riss die Tür auf.

"Was zur Hölle-?"



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Kommentare zu dieser Fanfic (11)
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Von:  Jitsch
2007-12-21T19:42:25+00:00 21.12.2007 20:42
Das ist mal wieder spannend! Was mag er nun entdeckt haben??

Ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich so lange keine Kommentare geschrieben habe. Es gab einfach immer so viel zu tun...

Also, ich kann nur wiederholen, dass die Geschichte sehr düster ist. Vor allem passen deine Metaphern so gut mit dem schwarzen Loch und so weiter. Also, ich bleibe dran ;)

Jitsch*
Von:  Jitsch
2007-06-09T08:52:13+00:00 09.06.2007 10:52
Hilfe, das ist gruselig! Aber immerhin ist es beruhigend, dass die vom St. Helens den Biggs offenbar eingefangen haben und ruhiggestellt. Obwohl einem ja schon wieder Angst macht, dass sein Bein da irgendwie lose haengt...
Und was mag mit Shay los sein? Mir klang es irgendwie so, als wuerde er sich einfach an seine Zeit als Erwachsener nicht mehr erinnern, deshalb auch die Bemerkung mit dem Apfelbaum... das mit dem Staub ist auch gruselig. Wo kommt der her? Das ist alles total geheimnisvoll! Und man hat keine Ahnung, ob die Leute in der Geschichte eigentlich alle verrueckt werden oder ob da irgendeine ueberirdische Macht am Werk ist. Du hast mich total gefesselt! Bitte schreib bald weiter, aber fuehl dich nicht gehetzt ^^

Jitsch*
Von:  Jitsch
2007-06-05T00:10:23+00:00 05.06.2007 02:10
Ich sag's ja, Psychopath. Der Kerl macht auch mir Angst. Ich will unbedingt wissen, was jetzt passiert... Und Shay ist also immer noch benebelt, das hat sicher alles einen Zusammenhang... Jaaah, ich bin auf die FOrtsetzun gespannt. Schreibst du mir ne ENS wenn's weitergeht?

Jitsch*
Von:  Jitsch
2007-06-05T00:01:24+00:00 05.06.2007 02:01
Zuerst kam einem dieser Biggs ja fast normaler vor als die anderen Irren, aber man hat mehr und mehr das Gefuehl, dass er richtig irre ist... Der ist voll der psychopath. Mal sehen, was der so mit dem Rest der GEschichte zu tun hat.

Jitsch*
Von:  Jitsch
2007-06-04T23:54:13+00:00 05.06.2007 01:54
Interessante Weiterfuehrung. Jetzt hat Shay also einen Teil seines Gedaechtnisses verloren. Der interessante Teil ist ja, dass er sich an Teile der Vergangenheit erinnert (die Blondine)... Gruselig. Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht. ^^

Jitsch*

PS: Sorry, dass ich so lange nicht mehr kommentiert habe.. ^^" Viel zu tun.
Von:  Jitsch
2007-04-09T08:47:55+00:00 09.04.2007 10:47
Das ist gruselig mit dem Telefon, obwohl es nur ein Traum war... Wirklich, diese Geschichte ist irgendwie fesselnd, und sicher ergibt sie auch irgendwann noch Sinn XD
Die Geschichte mit dem Irren finde ich interessant, weil man ahnt, dass sie irgendwas mit dem Rest zu tun hat. Immer diese Raben... *schauder*
Ja, und ich finde das interessant, dass du die ganzen Geschichten der auftretenden Figuren erzaehlst, das ist so realistisch und alle sind total individuell. Erinnert mich jetzt so ein bisschen an einen Roman, den ich mal gelesen habe, und ich finde, dass deinen Geschichte da schon gut rankommt. *Daumenhoch*
Von:  Jitsch
2007-04-07T06:24:09+00:00 07.04.2007 08:24
Woah, das wird ja richtig psycho. Zuerst dachte ich, Shay waere wieder aufgewacht, als er mit seiner Frau gesprochen hat, aber sie hat ihn ja doch nicht gehoert... Gruselig. Aber ich bin gespannt, was nun passiert, Shay kann ja nicht ewig im Koma liegen.

Jitsch*
Von:  Jitsch
2007-04-07T06:14:10+00:00 07.04.2007 08:14
Boah, heftig. Diese Geschichte ist echt psychisch total heftig irgendwo, erst Shays "Wahnvorstellungen" und dann dieser Unfall. Richtig gruselig. So thrillermaessig. Irgendwie koennte man daraus glatt einen verdammt gruseligen Film machen, glaube ich u.u

Jitsch*
Von:  Jitsch
2007-04-06T02:03:27+00:00 06.04.2007 04:03
Boah, ich find dieses Kapitel toll. Das mit Bobby wirkt ja sehr geheimnisvoll, und es hat sicher was mit der Stimme und den schwarzen Wolken zu tun, er hat die Wolken ja selber einmal genannt. irgendwie gruselig.
Ich finde es gut, dass Shay sich wenigstens vernuenftig verhaelt im Hinblick auf seine Frau. Er ist ein wenig instabil, aber er benutzt seinen Verstand. Woah, und jetzt hat er einen Unfall gebaut. Mal sehen, was noch so alles kommt.

Jitsch*
Von:  Jitsch
2007-03-29T00:00:26+00:00 29.03.2007 02:00
Freut mich, dass dich mein Kommentar so begeistert. Ich weiss ja selber wie es ist, wenn man keine Kommentare bekommt, als etwas erfolgloser FF-Schreiber... Deshalb habe ich gleich mal das naechste Kapi gelesen um was dazu sagen zu koennen:

Wow. Das erste Kapitel war ja noch ziemlich in Richtung normales Leben eines Amerikanischen SChuerzenjaegers (XD), aber dieses wirkt schon langsam total geheimnisvoll. Das gefaellt mir, du baust es langsam auf. Vor allem diese komischen Traeume mit Kuroi sind seltsam und irgendwie gruselig.
Zuerst dachte ich ja, Kuroi koennte die Stimme im Shays Kopf sein, aber dann steht da Kuroi sei stumm... sehr mysterioes.
Ich kann Shay auch verstehen wenn er die Hochhaeuser einengend findet. Ich wuerde einer Grosststadt auch immer ein "Hinterweltlerkaff" vorziehen. ^^

Du hast in deiner Geschichte noch ein paar kleinere Rechschreibfehler gemacht:
"Draussen" schreibt man mit ß, weil au ein Umlaut ist.
"Wahnsinnig" ist ein Adjektiv und wird klein geschrieben
"Erwachsen zu sein" wird klein geschrieben, weil erwachsen ein Adjektiv ist.
Auch "Klos" wird anders geschrieben: Kloß
"gedankenverlohren" wird ohne h geschrieben
"Weisse" schreibt man eigentlich auch mit ß
Du hast einmal "scho" statt schon geschrieben
"bisher war er aber noch zu keiner Loesung gekommen" muesste mit einem Grossbuchstaben anfangen, da es ein Satz ist.
"War in Wirklichkeit dass,...": muss stattdessen das heissen, weil es kein Relativpronomen ist.
"Bier Flasche" wuerde ich zuammenschreiben; Bierflasche
"machte Shay sogar angst": Angst muesste gross geschrieben werden.
"herrunter": ein einfaches r genuegt
"Heuschrecken Schwarms": auch das wuerde ich in einem Wort schreiben.
"Kuroi's": normal muss man im Deutschen an so einer Stelle kein Apostroph setzen
"geschriehen" schreibt man geschrien
"heiss" wird heiß geschrieben
"wärdend" soll eigentlich während heissen, oder?
"am krächzen waren" dann schreibt man Krächzen gross

Ich hoffe, du nimmst mir meine kleinen Anmerkungen nicht uebel. ^^

Jitsch*


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