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Streuner

von Mia für Nic und John mit vielen freundlichen Grüßen
von

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Kapitel 2
 

„Aufstehen!“, rief meine Mutter in unser Zimmer. Lea sprang sofort auf und lief zu ihrem Klamottenhaufen. Sie war ein sehr verschrecktes Mädchen und ließ sich leicht unterdrücken. Von wem sie das hatte wussten wir nicht, aber sie war das volle Gegenteil von uns. Meliane blieb liegen und streckte sich. Dann kletterte sie von ihrem Hochbett und machte das Radio an. Als sie den Schrank öffnete, um ihre Sachen rauszuholen schrie sie auf. „Iiie!“, sagte sie und ich stand sofort auf. „Was ist?“ „Der ganze Schrankboden ist voller Dreck, als hätte da jemand drin gestanden...“, sagte Meliane, die den Putzfimmel von meiner Mutter geerbt hatte. „Ich war´s nicht!!“, jammerte Lea und fing an zu schluchzen. „Ach hör schon auf!“, sagte John, der seinen Kopf ins Zimmer steckte. „Das waren Mias neue Freunde, die Flöhe.“ Ich schmunzelte, wandte mich jedoch ab und zog mich an. Dann gingen wir alle in die Küche. Wir mussten uns morgens immer etwas drängeln, aber eingetlich passten wir alle in die Küche. Ich sagte zu meiner Mutter: „Mum, ich hab ´ne Vier in Mathe...Aber ich verbesser es wieder! Beim nächsten Kurztest. Und ich rede mit ihr und sag ihr, das ich wieder rankommen möchte.“ Meine Mutter nickte. Sie war auch nie gut in Mathe gewesen. Zu meinem Übel, hatte John alles mitgehört. Er hielt sich zurück, doch auf dem Schulweg gings los. „Ha, Fräulein Oberschlau hat wieder ´ne Vier in Mathe! Sag mal, wie blöd muss man eigentlich sein?“ Ich ließ es über mich ergehen und hörte ihm nicht richtig zu. Mein Blick schweifte durch den Wald. Ob ich Nic und Elanor einmal wiedertreffen würde? Sie hatten mir gleich erzählt, warum sie im Wald waren, obwohl ich das der Polizei hätte sagen können. Ich träumte vor mich hin und schaute auf mein Rad. „Hörst du mir eigentlich zu?“, fragte John. „Nein.“, erwiderte ich schlicht und fuhr weiter.

An der Schule angekommen ging John gleich zu Sebastian, der mir zuzwinkerte. „Danke!“, formte ich mit meinen Lippen und hob den Daumen. Elizabeth kam mir entgegen und umarmte mich. „Na du? Hast du schon mit deinen Eltern gesprochen ?“, fragte sie. Ich nickte und ging mit ihr in unser Schulhaus, ein altes Backsteingebäude an dessen Wänden Efeu rankte. Unsere erste Stunde war Deutsch und ich passte eigentlich nicht wirklich auf. Verträumt schaute ich aus dem Fenster in unseren Schulgarten. „...Mia?“, fragte die Lehrerin. Ich hatte die Frage nicht verstanden und schreckte hoch. „Mia, deine schulischen Leistungen haben sich wesentlich verschlechtert! Du musste mehr am Unterricht mitarbeiten!“ Ich nickte und riss mich zusammen. Sie hatte ja Recht, aber Elanor und Nic gingen mir nicht aus dem Kopf.

Die nächste Stunde fand im Schulgarten statt. Nicht viele Schulen unterrichteten das Fach „Pflanzenkunde“ noch in der achten Klasse, aber bei uns wurde es mit Biologie verbunden. Elizabeth und ich arbeiteten am gleichen Beet. Ich erschrak, als ich hörte wie eine Stimme neben mir sagte: „Hallo Mia, lange nicht gesehen.“ Ich drehte mich um. „Nic...olas? Was machst du denn hier?“, fragte ich laut und verwundert. Nics dunkle Augen leuchteten und er grinste. „Das selbe wie du.“ Er hatte eine einfache dreiviertel Jeans an, die aber einige Löcher aufwies und trug ein schwarzes T-shirt. Die Sonne schien auf seine gebräunten, starken Arme. Schnell wandte ich meinen Kopf ab und pflanzte meine Tulpe fein säuberlich. „Du musst mir helfen. Ich möchte das du der Lehrerin sagst ich wäre dein Cousin aus England. Dann kann ich auch am Unterricht teilnehmen.“ Ich schaute mich nach Liz um, aber sie war gegangen und arbeitete an einem anderen Beet mit Peter. Anscheinend wollte sie mir zeigen, dass sie sich auch mit Jungs verstand. „Ich weiß nicht, was ist wenn das auffliegt?“, fragte ich und Nic schüttelte den Kopf. „Dann trage ich dafür Verantwortung.“, sagte er und schaute mich flehend an. Ich weiß nicht mehr, ob ich in diesem Moment nachgedacht habe, aber ich habe genickt. Nic stand auf und ging zur Lehrerin. Ich folgte ihm. „Ähm...das ist mein Cousin Nicolas aus England. Er ist eine Zeit lang hier und ich wollte fragen, ob er am Unterricht teilnehmen darf?“ „Wenn er dich nicht vom lernen ablenkt, gerne.“ „Thanks! I hope we´ll have a good time.“, sagte Nic und ich fand das es sich gut anhörte, fast als käme er wirklich aus England. Da ich zweisprachig aufgewachsen war, konnte ich fließend Englisch sprechen. John, Lea und Meliane konnten es ebenfalls. Ich ging mit Nic wieder zurück zum Beet und fragte: „Weiß Elanor davon?“ Er nickte, schaute mich jedoch nicht an. „Wie alt ist sie eigentlich?“ „Fünfzehn.“ Ich wunderte mich immer, warum Nic sich nicht so benahm, wie andere Jungs in seinem Alter. Er war ruhig und still, aber auch lustig. Und er war nicht so ein Hip-Hop-Typ. Das gefiel mir.

Nach der Schule taten wir so, als würden wir zusammen nach Hause gehen und liefen noch ein Stück zusammen. Wir waren etwas abseits von einem Wanderweg, als wir anhielten. Nic schloss die Augen und lauschte. Eine Amsel zwitscherte irgendwo über uns eine wundervolle Melodie. „Die Amsel ist mein Lieblingsvogel.“, sagte er und ich freute mich. Er war ganz anders als die anderen. Ich stimmte ihm zu. „Naja...bis morgen dann. Ich muss nochmal zurück, ich hab mein Fahrrad vergessen.“ Er nickte und ich ging los. Unterwegs kamen mir drei Jungs aus Johns Parallelklasse entgegen. Es waren dunkle Typen, vor denen ich schreckliche Angst hatte. Mein Herz pochte mir bis zum Hals, als sie auf meiner Höhe stehenblieben und mich umkreisten. „Man sollte aber nicht alleine in den Wald gehen, Kleine...“, sagten sie und lachten. Ich versuchte selbstbewusst auszusehen und sagte: „Lasst mich durch.“ Aber meine Stimme zitterte und das hatten die drei gehört. Ich konnte ihnen nicht ins Gesicht sehen sondern starrte nur auf meine Füße. Der Größte von ihnen packte mich am Arm und hielt mich fest. Ich schrie auf, doch er drückte seine Hand auf meinen Mund. Die andern suchten nach meinem Geld und meinem Handy. Dann wanderten ihre Finger meinen Körper entlang und ich wehrte mich wild. Gerade als ich dachte der eine würde mir meine Bluse hochziehen, hörte es auf. Der Größte ließ mich los und ich fiel hin. Als ich aufschaute sah ich, dass Nic da war und sich mutig vor mich stellte. „Was ihr da macht ist kriminell. Lasst sie in Ruhe und gebt ihr das Geld wieder!“ Ich konnte mich nicht beherrschen und Tränen schossen aus meinen Augen. Nic war doch viel kleiner als die siebzehnjährigen und trotzdem, beschüzte er mich. Ich wollte aufstehen, doch ich zitterte am ganzen Leib. Die drei Typen lachten und einer rannte mit erhobener Faust auf Nic zu. Dieser wich zur Seite aus und trat ihm auf den Hinterkopf. Die anderen Beiden rannten los und versuchten Nic zu schlagen, doch er traf sie mit seinem Fuß in der Magengegend. Der erste hatte sich wieder aufgerappelt und stürzte sich nun von hinten auf Nic. Ich schrie auf, als einer der anderen aufstand und Nic schlug. Der Größte hielt Nic von hinten fest, während jetzt die anderen beiden begannen sein Gesicht und Magen zu treten. Ich stand auf und riss an dem Arm des Größten. Er versuchte mich abzuschütteln, doch ich ließ nicht locker. Ich musste Nic helfen! Das war mein einziger Gedanke und ich schlug auf den Typen ein, verdrehte seinen Arm und schaffte es ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er fiel um und ließ den arg zugerichtetn Nic los. Doch die anderen beiden ließen nicht locker und traten weiter auf Nic ein, der jetzt die Arme hob um seinen Kopf zu schützen. Der Größte hielt mich fest und ich musste zusehen, wie sie Nic bewusstlos prügelten. Ich weinte und schrie, irgendjemand musste mich doch hören! Aber niemand kam. Als Nic aufgehört hatte sie zu wehren, ließen die beiden von ihm ab und rannten weg. Der Größte gab mir eine Ohrfeige und schubste mich. Dann verschwand auch er. Ich blieb kurz so liegen, dann erhob ich mich und kroch zu Nic. Er war bewusstlos und hatte überall Beulen und Kratzer. Wäre er nicht gewesen hätten diese Typen noch schlimmeres mit mir angestellt und ich umarmte Nic. „Danke.“, sagte ich und schüttelte ihn sanft. Ich nahm meine Wasserflasche aus der Tasche und befeuchtete damit sein Gesicht. Nach einer Weile kam er wieder zu sich und setzte sich auf. „Danke Nic! Ohne dich...“, ich stockte. Doch er verstand und lächelte nur. Am liebsten hätte ich ihn noch einmal umarmt, doch ich ließ es bleiben, da er sich schmerzerfüllt an den Bauch und ins Gesicht fasste. Ich half ihm auf und dankte ihm noch einmal. „Geht´s dir gut? Soll ich dich mit zu mir nehmen? Nic?“ Doch er schien mich nicht zu hören und fragte nur: „Hast du ein Taschentuch?“ Ich gab ihm eins und er betupfte seine Lippen und seine Nase. Als er den linken Arm hob, schrie er auf. „Was ist los?“, fragte ich erschrocken. „Nichts...es tut nur so weh, wenn ich an mein Handgelenk komme.“ Ich nahm seinen Arm und drückte an die Stelle die er meinte. Er zischte. Ich fragte: „Kannst du deine Hand bewegen?“ Er versuchte es, doch sie zitterte nur. Diese Typen hatten ihm die Hand gebrochen.

Wir waren zurück zur Schule gegangen und ich saß jetzt neben Nics Bett im Krankenraum. Die Krankenschwester kam und schaute kurz auf Nic herab, dann sagte sie: „Prügelei?“ Ich wollte gerade mit „Ja“ antworten, da schüttelte Nic schon den Kopf. „Nein...das war ein Unfall. Ich glaube ich habe mir die Hand gebrochen...ähm...Ich bin geklettert und dann vom Baum gefallen.“ Ich schaute ihn verwundert an doch er starrte nur auf die Krankenschwester. Sie nickte und schob mich etwas beiseite. Dann untersuchte sie Nics Handgelenk und seine Beulen. Nach einer Weile sagte sie: „Du hast Glück, dein Handgelenk ist nur verstaucht. Ich werde einen Verband darum machen.“ Sie verschwand kurz und ich fragte Nic sofort: „Was sollte das? Die Typen haben dich verprügelt, wegen mir. Warum sagst du ihr das nicht?“ „Weil ich nicht möchte, dass sie dich noch mal so belästigen. Wenn wir das sagen, geht sie zur Polizei wegen Körperverletzung und sexuellem Missbrauchs und dann kommen die Typen erst recht wieder und die Polizei kommt zu mir. Kapiert?“ Daran hatte ich gar nicht gedacht, aber ich glaube ich wurde rot, als er meinte er wolle nicht, dass sie mich noch einmal belästigten. Die Schwester kam wieder und behandelte Nics Arm. Nebenbei fragte sie: „Gehst du auf diese Schule? Wie heißt du? Das muss ich wissen, damit ich den Krankenschein ausfüllen kann.“ Nic zuckte zusammen und zog seine Hand weg. „Können sie den Krankenschein nicht weglassen?“ Sie schaute ihn seltsam an und Nic wurde rot. „...Ich bin Mias Cousin aus England, wissen sie.“ Sie schaute noch seltsamer und ihr Blick fiel auf meine Wenigkeit. „Ja, er ist mein Cousin. Ich bin Mia.“ Endlich nickte sie und verband Nics Handgelenk weiter. „Du kannst aber schon gut Deutsch, für einen Engländer.“ Er nickte nur und sprang sofort auf, als sie fertig war. Er packte meine Hand und rannte raus. „Danke!“, rief ich noch schnell, um in einem guten Licht zu stehen. Draußen verschnauften wir erst einmal, dann sagte Nic: „Wir müssen aufpassen, damit wir diese Typen nicht noch mal treffen. Besonders du. Wenn du allein bist, und sie treffen dich, dann gibt’s keine Rettung mehr. Das sind richtige kriminelle und wer weiß, vielleicht können sie einen ja noch mehr als nur bewusstlos prügeln.“ Ich wurde rot. Wie er sich um mich sorgte! Es begann zu regnen. „Und was mach ich jetzt wegen meinem Geld? Mein Handy haben sie Einglück nicht gekriegt...vorher bist du gekommen...“ Ich kam ihm sehr nahe, doch er schob mich von sich weg. Mein Magen verkrampfte sich. Also sorgte er sich doch nicht um mich...Oder war es ihm peinlich? Ich drehte mich um und fuhr mit meinem Fahrrad nach Hause. Ich ließ ihn einfach stehen, im Regen. Warum ich das tat, weiß ich auch nicht, aber ich wusste, dass es falsch war. Als ich zu Hause war, überlegte ich mir eine Ausrede wegen dem Verschwinden meines Geldes. Es war zwar keine Gute, aber besser als nichts. Nachdem meine Eltern und Geschwister wieder da waren, beichtete ich es meiner Mutter. „Ich werde auch immer gut auf meine Sachen aufpassen und einen Zettel an das Schwarze Brett hängen. Morgen frage ich auch noch einmal im Sekretäriat. Ach ja und damit du mir glaubst...“, ich freute mich, denn ich hatte eine Gute Nachricht, „...Ich habe eine Eins in Mathe!!“ Meine Mutter jubelte und umarmte mich. Ich gab sie ihr zum Unterschreiben. Jetzt musste sie mir alles glauben. Sie nickte und ich verschwand in mein Zimmer. Ich warf mich auf mein Bett und begann zu weinen. Was war, wenn Nic mich jetzt nicht mehr leiden konnte? Hoffentlich konnte ich morgen mit ihm darüber reden.
 

Es war nicht Nic, der da am Schultor stand. Es war Elanor. Sie trug ebenfalls eine Hose und ein schwarzes T-shirt. Als sie mich sah, stürmte sie sofort zu mir. „Weist du wo Nic ist? Ich habe ihn seit Gestern nicht mehr gesehen und er sagte mir nicht, wo er hin wollte, oder was er vorhatte.“ Also hatte Nic ihr doch nichts erzählt! Und dann hatte er auch noch draußen geschlafen, im Regen. Ich schüttelte den Kopf – ich wollte Nic nicht noch mehr verärgern. „Aber er sagte mir er kommt bald wieder.“, fügte ich bei Elanors bedrückter Miene hinzu. Ich war eine schlechte Lügnerin. Sobald ich damit anfing, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Elanor schaute nun nicht mehr so bedrückt und sagte: „Wenn du mich brauchst ich bin da, wo du uns gefunden hast. Also wenn du Nic siehst, dann sag es mir bitte.“ Ich stimmte zu und Elanor verschwand.

Nic war nicht da und die Lehrerin fragte: „Wo ist denn dein Cousin aus England?“ „Der hat sich gestern im Regen erkältet, aber er kommt bald wieder.“ Jedenfalls hoffte ich das. Der Tag ging schnell zu Ende und immer hoffte ich, dass Nic wie am vorigen Tag, einfach an meiner Seite erscheinen würde, doch er kam nicht. Nach der Schule schlich ich mich durch das Gebüsch dorthin, wo wir uns „verabschiedet“ hatten. Niemand war hier, genauso wie gestern. Doch da lag etwas. In einer kleinen Pfütze lag ein Lederband. Das hatte Nic getragen, daran erinnerte ich mich noch. Ich hob es auf und trocknete es. Ein kleiner Anhänger aus Holz war an ihm befestigt. Wie hatte Nic die Kette verloren? Sie war doch fest um seinen Hals befestigt gewesen. Nachdenklich steckte ich sie in meine Jackentasche. Es war wieder etwas kälter geworden und ich machte mich auf den Weg durch den Wald zu Elanor. Vielleicht war Nic ja bei ihr.

Ich erreichte die Lichtung bei Dämmerung und spähte vorsichtig durch die Äste der jungen Linden und Buchen, die ihre neuen Blätter dem Himmel empor streckten. Elanor saß auf einem Ast einer verkrüppelten Eiche und spielte eine traurige Melodie auf einer selbst geschnitzten Flöte. Ich trat auf die Lichtung und Elanor erblickte mich. „Da bist du ja! Hast du Nic gefunden?“ Ich schüttelte den Kopf. Sie seufzte und meinte dann: „Er treibt sich bestimmt wieder irgendwo rum. Hoffentlich passiert ihm nichts. Ich habe wirklich keine Lust darauf von ihm bei der Polizei verraten zu werden. Die suchen nämlich schon Jahre nach uns. Wenn sie Nic finden ist´s aus mit unserm fröhlichen Waldleben. Obwohl ich auch gerne einmal wieder in einem normalen Bett schlafen würde...“ Ich hob meinen Kopf und sah ein Baumhaus in den Ästen der Eiche. „Darf ich da mal hoch?“, fragte ich und Elanor nickte. „Mein Zimmer ist gleich vorne, Nics ist etwas höher.“ Ich zog meine Jacke und Stiefel aus und kletterte den Baum hoch, indem ich mich an Ästen und Knoten festklammerte. Elanor fing wieder an zu spielen und ich bemerkte, wie schwierig es war, diesen Baum zu erklettern. Schnaufend erreichte ich Elanors „Zimmer“. Es war wie eine kleine Kammer, dessen Wände aus kleinen Tannen und Zweigen geflochten waren. Auf dem Boden stand ein Baumstumpf, der wohl als Tisch zu deuten war und dahinter lag eine Decke mit einem Federkissen. Über dem Lager war in der „Wand“ ein kleines Loch ausgeschnitten. Ich begab mich dorthin und schaute heraus. Man konnte auf den Waldboden und auf die gegenüberliegenden Äste und Bäume sehen. Das Dach ihres Zimmers war ebenfalls aus Tannenzweigen und großen Blättern. Der Boden war aus Ästen und Brettern. Ich machte mich auf, um in Nics „Zimmer“ zu gelangen. Es war ein Stück höher angelegt und die Abendsonne schien auf sein Dach. Sein Zimmer war genauso aufgebaut wie das von Elanor, nur etwas kleiner. Auch er hatte eine Art Fenster, welches aber etwas größer war. Wenn man aus seinem Zimmer noch ein Stück höher kletterte, erreichte man eine Art Plattform, von der man einen guten Blick nach unten und über die anderen Bäume hatte. In Nics Zimmer befanden sich auch die Essens- und Trinkvorräte. Langsam kletterte ich wieder herunter und sagte zu Elanor: „Wirklich gemütlich habt ihr´s hier. Und von hier unten sieht man das Baumhaus gar nicht richtig.“ „Das haben wir beim Bau alles eingeplant. Vielleicht kannst du morgen ja den ganzen Tag bleiben, schließlich ist Samstag.“ Ich nickte. „Und Ferienbeginn. Das ist so schön, das jetzt endlich Ferien sind. Die Schule hängt mir nämlich langsam zum Hals raus.“ Elanor stimmte mir zu. „Deswegen gehe ich auch nicht zur Schule. Wegen dem und weil sie uns sonst entdecken könnten. Weißt du, Nic hat sich komisch verhalten, seit du aufgetaucht bist. Er redete immer nur von dir und von der Schule.“ Ich wurde wieder einmal rot. Also hatte er mich doch gemocht. Warum hatte ich ihn stehen lassen? Das war so dumm von mir, vor allen Dingen, weil es ja meine Schuld war. Nic wollte nicht, dass ich ihm zu nah kam und ich hatte ihm dafür die Schuld gegeben, dass ich weggefahren war. Was war passiert? War er jetzt irgendwo im Wald, oder in der Stadt, oder hatten die Typen ihn wieder gefunden? Wo hatte ich ihn nur mit hineingezogen? Ich hätte sterben können vor Wut und Sorge. Elanor beobachtete mich und sagte dann: „Mach dir keine Sorgen, Nic war schon so manches Mal weg. Er hat auch schon drei Tage und Nächte ohne mich im Wald verbracht.“ Ich schaute sie an und fragte dann: „Kann ich heute Nacht hier bleiben?“ „Wenn du darfst.“ Ich holte mein Handy raus und wählte die Nummer meiner Eltern. „Hallo? Mum? Ich bin bei einer Freundin aus der Klasse. Darf ich hier übernachten? Ihre Eltern sagen es geht, ich komm auch morgen früh gleich wieder. Schlafzeug ist hier...und?...Danke Mum! Gute Nacht!“ Ich jubelte auf, doch Elanor machte eine Geste und ließ mich verstummen. Wir räumten die Lichtung auf und kletterten ins Baumhaus. Zuerst gingen wir zu Elanor und erzählten. Als es dunkel wurde zündete sie eine Kerze an und holte ein Kartenspiel aus einer Ecke. Wir spielten und es stand schon zwei zu drei für mich, als wir ein Geräusch von unten hörten. Wir steckten unsere Köpfe durch die Öffnung und erblickten drei große Gestalten unter uns. Ich erstarrte. Es waren die drei Typen.

„Wir finden die Kleine schon.“, sagte einer und ich wusste sofort, dass ich gemeint war. Elanor löschte die Kerze und wir hielten den Atem an. „Wenn die was der Polizei sagt und wir bekommen davon Wind, dass nach uns gesucht wird, dann ist er dran.“ Die anderen Beiden stimmten zu. Mein Herz begann wie wild zu rasen und ich lauschte weiter. „Wir suchen uns hier irgendwo ein Versteck und warten, bis wir sie haben.“ „Und dann? Bringen wir sie dann um?“ Der Größte bewegte sich kurz. „Ich muss nochmal drüber nachdenken. Es ist gefährlich, aber ich bin jetzt achtzehn und da hat man schon viel Grips im Kopf. Außerdem hat er keine Eltern und niemanden, der sich um ihn sorgen würde.“ Er lachte laut und ein paar Vögel erwachten aus ihrem Schlaf und flogen in die warme Frühlingsnacht hinaus. „Was machen wir jetzt?“, fragte einer. „Erstmal holen wir ihn. Das machst du, aber pass auf dass er nicht Alarm schlägt. Ich hab keinen Bock vors Gericht zu kommen, aber da sie uns gesehen haben, geht’s nicht anders.“ Der Typ nickte. „Was ist mit dem, was er gesagt hat, von wegen er sagt kein Wort?“, fragte der Letzte. „Darauf können wir uns nicht verlassen. Wir werden auch mit Tom über sie reden. Diese Beiden sind mir sowieso egal...also los schaff ihn in unser neues Versteck! Meinetwegen hau ihm eine rüber wenn er Schwierigkeiten macht, Hauptsache er gibt Ruhe.“, befahl der Größte und einer löste sich von der Gruppe und rannte weg. Die anderen Beiden verschwanden in die andere Richtung. Ich saß da, wie gelähmt. Elanor vestand kein Wort, aber ich wusste es. Sie hatten Nic!

Ich atmete tief durch und sagte zu Elanor: „Hör mir jetzt gut zu, OK?“ Und dann erzählte ich ihr, die Geschichte von vorne. Sie hörte mir gespannt zu und ihre Miene veränderte sich immer mehr zu einem Ausdruck des Grauens. Als ich geendet hatte fragte sie: „Und glaubst jetzt die Typen haben Nic und wollen dich auch noch, um euch dann umzubringen...Das ist doch absurd! Die sind achtzehn! Da müssen die ja schon geisteskrank sein, um so was zu tun.“ „Vielleicht sind sie es ja, so wie der gelacht hat...Außerdem wissen wir nicht wie alt dieser Tom ist, von dem er gesprochen hat. Vielleicht ist der ja geisteskrank und hat den einen Haufen Geld versprochen? Aber wenn es stimmt und sie Nic wirklich haben, dann müssen wir ihm helfen.“, sagte ich entschlossen und konnte gar nicht glauben, in was ich da hinein gestolpert war. Ich kletterte in Nics Zimmer und schlief erst sehr spät ein. Der Wind pfiff durch die Äste und ich stellte mir die schrecklichsten Dinge vor. Als wir beide schon schliefen, bemerkten wir nicht, wie zwei Gestalten die Lichtung überquerten.



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