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Schrei nach Liebe

Sie hat den qualvollen Tod ihrer Schwester miterlebt, und doch ignorieren sie ihre Eltern. Verzweifelt beschließt sie ihr altes Leben zurück zu lassen, und flieht von zu Hause
von

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Ohne Titel

Schrei nach Liebe
 

V

ielleicht wart ihr auch schon Mal in einer Situation, in der einem alles egal ist, wo man einfach nur noch in Ruhe gelassen werden will. In der man Wut und Trauer nicht unterscheiden kann. Ich war es jedenfalls und das Schlimme daran war, dass ich gerade mal zehn war, als mir das passierte. Meine große Schwester starb zu dieser Zeit an einer schweren Krankheit.

Sie war ein Monster. Nicht nur von ihrem späteren Aussehen am Ende der Krankheit. Nein. Sie war gemein, hinterlistig und fies. Besonders zu mir. Sie hasste mich und ich sie. Und trotzdem musste ich mich um sie kümmern. Das war schlimm für mich, denn ich hatte Angst vor ihr. Ihre Hände verkrüppelten mit der Zeit und sahen dann aus wie Vogelklauen. Einmal brachte ich ihr das Essen und da berührte sie mich mit ihnen im Gesicht. Ich ließ das Tablett erschrocken fallen und lief schreiend aus dem Zimmer. Ich hörte ihr schadenfrohes Lachen noch den ganzen Flur entlang. Ihr machte es großen Spaß mich zu quälen und oft wachte ich schweißgebadet aus einem Alptraum auf, in dem meine Schwester mich mit ihren Klauen umbringen wollte. Immer und immer wieder der gleiche Traum und jedes Mal hatte ich mehr Angst. Meine Eltern ließen mich die ganze Arbeit erledigen. Ihr ihre Medizin geben, um ihre Schmerzen zu lindern. Oder ihr Bett zu machen, wenn sie mal wieder aus Spaß ins Bett gemacht hatte, obwohl ich sie kurz zuvor noch gefragt hatte, ob sie aufs Klo müsse und sie wie immer verneinte.

Am Schluss wirkte die Medizin nicht mehr gegen ihre Schmerzen und sie schrie die Ganze Zeit nur noch. Man konnte sich nicht mehr normal unterhalten. Man musste schreien, so laut war sie. Aber an einem Tag wurde alles still. Meine Eltern waren ausgegangen um zu Essen, weil es war Thanksgiving. Und mich ließen sie mit der vielen Verantwortung für meine drei Jahre ältere Schwester, die im Sterben lag zurück. Das war unfassbar für mich, aber ich konnte nichts dagegen machen.

Ich blätterte gerade in einer Zeitschrift, denn lesen konnte ich sie ja nicht, weil Trudy ständig schrie, da hörte ich auf einmal nichts mehr. Ich stand auf, um nachzusehen was passiert sei. Also ging ich in das Hinterzimmer am Ende des Flurs und da lag meine Schwester auf dem Bett, zappelte, schlug um sich und war ganz blau im Gesicht. Irgendetwas fleischiges quoll aus ihrem Mund und erst bei genauem Hinsehen konnte man erkennen, was es war. Ich schrie: „Oh Gott, sie erstickt an ihrer eigenen Zunge!“ ,lief zu ihr hin und versuchte sie auf den Bauch zu drehen, hörte einen Riss und bemerkte, dass mein Kleid gerissen war. Sie wehrte sich so sehr, dass sie mir mit ihren Händen ins Gesicht schlug und meine Brille zu Boden warf, die dabei auch zerbrach. Als ich es trotzdem geschafft hatte, klopfte ich ihr auf den Rücken, denn ich wusste ja nicht, was ich sonst machen sollte. Aber nach ca. einer Minute, rührte sie sich nicht mehr. Ich stürzte in Panik aus dem Haus und schrie wie am Spieß: „So helft mir doch, meine Schwester ist tot!!“ Immer und immer wieder wiederholte ich diesen Satz, bis ich erschöpft zusammenbrach.

Ich wachte einige Stunden später in einem fremden Zimmer auf. Als ich mich aufrichtete, taten meine Hände furchtbar weh und ich hatte Angst, dass ich jetzt auch so Krallen bekomme wie meine Schwester. Ich fing an zu weinen und auf einmal öffnete sich die Zimmertür und unsere Nachbarin trat herein: „Hör auf zu weinen. Es ist vorbei. Deine Eltern kommen ja gleich.“ Sie gab mir zur Beruhigung ein Glas Wasser und dazu eine Aspirintablette. Danach weiß ich nur noch, dass ein paar Leute ins Zimmer kamen, etwas murmelten und wieder gingen. Aber schon kurze Zeit darauf, war ich eingeschlafen.

Am nächsten Tag wachte ich mit Schmerzen in Händen und Rücken auf. Ich schrie, weil ich dachte, jetzt bin ich ganz sicher auch so krank und muss sterben. Ich konnte mich nicht mehr beruhigen und verlangte einen Arzt, der aber nur Zerrungen, durch die große Anstrengung feststellte. Aber ich konnte ihm nicht glauben. Erst, als nach einigen Tagen die Schmerzen verklungen waren, konnte ich es. Aber die Angst blieb. Selbst in der Nacht blieb ich vor ihr nicht verschont. Jede Nacht derselbe Traum, in dem meine Schwester mich mit ihren Krallen packte und mitschleifte, lachte und dabei sagte: „Jetzt bist du an der Reihe.“
 

E

inige Wochen nach den Tod von Trudy waren meine Eltern dabei ihre Sachen in Kisten einzupacken und in den Dachboden zu bringen. Dabei war nicht einmal ein Monat vergangen. Aber ich war irgendwie froh darüber, dass alles vorüber war. Vorbei mit dem ewigen Geschrei und mit der Angst von ihr berührt zu werden. Einfach mit allem was mit ihr zu tun hatte. Nur die schrecklichen Träume blieben. In der Schule konnte ich mich nicht mehr konzentrieren und musste die Klasse wiederholen. Es war eine schwere Zeit für mich und meine Eltern kümmerten sich nur um sich selbst. Nicht gerade nett von ihnen.

Mir wurde die ganze Hausarbeit auferlegt. Putzen, kochen, bügeln u.s.w. ich hatte mit zehn Jahren schon so viel Verantwortung wie eine Person mit 17 Jahren. Sie aber amüsierten sich in Clubs oder gingen fein Essen. Ich musste immer zu Hause bleiben.

Zu Hause war ich sehr einsam, denn ich hatte keine Freunde. Sie hatten mich wegen Trudy’s Krankheit im Stich gelassen. Vielleicht hatten sie Angst, dass sie ansteckend sei und mieden mich deshalb? Ich wusste es einfach nicht.

Oft lag ich wach im Bett und musste weinen. Aber das merkten meine Eltern nicht. Auch als zwei Jahre später eines Abends meine Mutter weinend im Wohnzimmer saß und meinte, dass es ihr ja so leid tue, aber sie sei wieder schwanger geworden. Mein Vater rastete völlig aus und ich wurde rausgeschickt. Doch mit der Zeit gewöhnte er sich an die neue Situation und als der kleine Josh da war, war ich noch unwichtiger geworden als ich es zuvor je war. Er war zum Mittelpunkt der Familie geworden und ich war nur noch die arme, kleine Emily. Aber Mitleid hatten sie für mich nicht übrig. Nein. Das Leben ging weiter wie zuvor. Ich machte die Hausarbeit und musste auf Josh aufpassen. Ihn wickeln, füttern und mit ihm spielen, während meine Eltern sich zu amüsieren verstanden. Ich schaffte nur mit Müh und Not die nächsten Klassen, denn ich konnte wegen der vielen Arbeit kaum lernen. Besonders, weil mein Bruder zu laufen angefangen hatte und alles zu entdecken versuchte. Egal ob es Tiere, Gegenstände oder Pflanzen waren. Da musste ich ganz schön aufpassen, damit er nichts Giftiges verschluckte oder auf die Straße lief. Aber irgendwann wurde mir das einfach zuviel. Ich packte, als ich Josh ins Bett gebracht hatte und meine Eltern wieder einmal auf einer Party waren meine Sachen, schrieb einen kurzen Abschiedsbrief und packte noch einige Kleidungsstücke, mein ganzes Erspartes und noch ein paar Dollar, die meine Eltern in der Schublade neben ihrem Bett verstaut hatten ein und verließ das Haus. Ich weinte nicht und war auch kein bisschen traurig. Nur noch froh von hier wegzukommen. Ich hatte noch keine Ahnung, wo ich mit meinen vierzehn Jahren hinsollte, aber ich konnte es in diesem Haus nicht mehr aushalten und musste fort. Sollten sie doch sehen, was sie mit dem Kleinen anfangen sollten. Ich würde nicht mehr auf ihn aufpassen oder für sie putzen. Das war eigentlich die Aufgabe von meinen Eltern und nicht meine. Das alles war so ungerecht. Während ich so in meine Gedanken vertieft war, machte ich mich auf dem Weg zum Spielplatz. Keine Ahnung warum ich ausgerechnet hier her gegangen war. Ich setzte mich auf eine Schaukel, die nicht kaputt war und dachte über meine Eltern nach. Warum liebten sie mich nicht? Was hatte ich ihnen denn getan? Bei diesen Fragen rollten mir doch ein paar Tränen die Wange hinunter.
 

A

m nächsten Morgen wachte ich mit schmerzendem Rücken auf, denn ich hatte die Nacht auf dem Boden verbracht, und musste mir erst einmal klar werden wo ich war. Kurzentschlossen machte ich mich auf den Weg nach Hause um nachzusehen ob meine Eltern bemerkt hatten, dass ich nicht mehr da war. Da hielt plötzlich ein Polizeiauto neben mir auf der Straße und die Insassen fragten mich, ob ich Emily Baker sei und was mir einfalle einfach wegzulaufen. Aber als sie mich ins Auto setzten wollten, schrie ich entsetzt: „NEIN! Ich will nicht mehr zu denen. Die sind doch nur traurig, weil jetzt niemand mehr da ist, der ihnen die ganze Hausarbeit macht. Und sonst nichts. Lieber würde ich ins Heim gehen, als wieder zu denen.“ Entgeistert starrten mich die Polizisten an und schienen noch nicht zu begreifen, was ich da gesagt hatte. Trotzdem mussten sie mich wohl oder übel zu meinen Eltern bringen, die mich erleichtert in die Arme schlossen. Aber ich schlug um mich, so dass sie mich loslassen mussten. Enttäuscht fragte meine Mutter, was denn mit mir los sei. „Ja habt ihr denn den Brief, den ich geschrieben habe, nicht gelesen?“ „Welchen Brief?“ Ich rannte in die Küche, schnappte mir den Brief, der immer noch auf dem Esstisch lag und ging wieder in den Flur. Wütend reichte ich ihn meinen Eltern. Zuerst las ihn mein Vater, wurde aber käsebleich, als er ihn fertig gelesen hatte und reichte ihn meiner Mutter. Ich stand währenddessen in der Ecke und wartete die Reaktion meiner Mutter ab.

Die Polizisten standen immer noch im Zimmer und verlangten anschließend den Brief von meiner Mutter. Als auch sie ihn gelesen hatten, schauten sie meine Eltern entsetzt an schrieen beinahe, wie sie das einer Vierzehnjährigen zumuten konnten. Ich sei doch noch ein halbes Kind. Meine Mutter lehnte sich weinend an die Schulter meines Vaters der sagte, dass er es zutiefst bereue was er mir angetan hatte und ihm erst jetzt klar werde, wie sehr er seine Tochter vernachlässigt und unter Druck gesetzt habe. „Zu spät!“, rief ich. „Ich will von hier weg. Egal wohin. Einfach nur weg.“ Den letzten Satz brachte ich nur noch schluchzend heraus. Ich ging zu den Polizisten und fragte, ob sie mich denn nicht mitnehmen könnten. Ich würde einfach alles tun. Sie blickten sich einander fragend an und sagten dann: „In Anbetracht der Umstände müssen wir Emily leider mitnehmen.“ Bei diesem Satz fiel meine Mutter auf die Knie und bettelte mich an: „Nein, bitte geh nicht. Wir werden uns ganz sicher bessern. Bitte bleib doch.“ Aber mir fiel nur die Antwort: „Sucht euch doch ein Kindermädchen. Dann werdet ihr auch glücklich und braucht mich nicht mehr.“ Dieser Satz war die reine Wahrheit, denn ich konnte nicht glauben, dass meine Eltern ausgerechnet jetzt Liebe für mich empfinden würden. Es war einfach zu spät, als dass ich ihnen alles was sie mir angetan hatten verzeihen könnte. Angewidert, denn ich verspürte nur noch Hass und Abscheu meinen Eltern gegenüber, drehte ich mich um und hoffte inständig, dieses Haus nie wieder betreten zu müssen.
 

M

eine restliche Kindheit verbrachte ich in einem Heim, in dem ich viel glücklicher war, als ich es zu Hause jemals gewesen bin. Ich vergaß die schlimmen Träume, ich hatte Freunde, gute Noten und Justin. Er war auch im Heim, jedoch von Anfang an, weil seine Eltern bei einem Unfall gestorben waren. Ich mochte ihn auf Anhieb und er war auch bloß zwei Jahre älter als ich.

Ich glaube, dass er mich auch sehr mochte. Denn oft kam er nach der Schule zu mir, um mit mir in die Stadt zu gehen. Es war eine lustige und unbeschwerte Zeit. Meine Freundinnen beneideten mich alle um ihn und ich war stolz. Er war nicht so ein Typ, der alle Mädchen um den Finger wickelte. Nein. Justin war sehr schüchtern. Er hatte sich anfangs gar nicht getraut mit mir zu reden. Geschweige denn sich mit mir zu treffen. Da musste ich schon nachhelfen. Aber in den Jahren, die wir uns kannten, blieb er immer der schüchterne kleine Junge. Obwohl das jedes Mädchen wusste, versuchten es alle immer und immer wieder, denn er sah einfach umwerfend aus. Er hatte viele Freunde (größtenteils jedoch Jungs), war klug, hilfsbereit und hatte ein gutes Herz. Gleich von Anfang an, war mir klar: „Der oder keiner.“ Mir war auch klar, dass es schwierig werden würde, aber nachdem, was ich schon alles durchgemacht hatte, sollte das nicht allzu schwer werden. Und nach einigem Betteln, ließ er sich breit schlagen und ging mit mir ins Kino. Der Film war toll, leider redete Justin nach dem Film, als wir im Cafe` saßen, kaum mit mir.

Doch als die Kellnerin kam, um das Eis zu bringen, stolperte sie über eine Tasche und fiel mit dem Eis bäuchlings hin. Das flog genau aus auf uns zu und traf genau unseren Tisch. Das ganze Eis spritze nach allen Seiten und traf jeden, der sich einen Meter von unserem Tisch entfernt befand. Und das waren eben nur Justin und ich. Wir mussten alle beide vor Lachen weinen, denn wir sahen einfach zu komisch aus. Wir bekamen auch als Entschädigung einen Eisbecher spendiert. Und Während wir es aßen redeten Justin und ich über einfach alles was uns einfiel. Für uns war der Abend gerettet, obwohl wir kurz darauf nach Hause gehen mussten, weil wir überall klebten. Aber in frischen Kleidern holten wir dann den versäumten Spaß nach.

Danach trafen wir uns öfter und er vergaß mir gegenüber seine Schüchternheit. Zwischen uns herrschte die Ruhe vor dem Sturm, denn nach fast einem Jahr merkten wir beide, dass mehr zwischen uns war. Viel mehr als bloß Freundschaft. Es knisterte regelrecht und wir konnten uns kaum beherrschen. Aber an einem Freitag war es mit unserer Selbstbeherrschung am Ende. Wir waren mal wieder im Kino und vertraten uns danach noch die Beine im Park. Diesmal war Stille zwischen uns, denn wir wussten beide nicht was wir sagen sollten. Da packte er mich plötzlich am Arm und noch bevor ich etwas sagen konnte küsste er mich. Doch Sekunden später machte er einen Schritt zurück stammelte noch eine leise Entschuldigung und machte die Anstalten sich umzudrehen und zu gehen. Doch ich hielt ihn zurück und sah ihm tief in die Augen. „Du Dummer. Ich wollte es doch.“ Fragend sah er mich an, als ich ihm meine Lippen anbot. Ein kleines erleichtertes Lächeln huschte über sein Gesicht, bevor unsere Lippen zu einem längeren und zärtlicheren Kuss verschmolzen. Lange standen wir so in enger Umarmung da, als er sagte: „Ich liebe dich so sehr. Vom ersten Augenblick an.“ Erst einige Stundenspäter kehrten wir zurück. Wir gaben uns zu zum Abschied noch einen langen Kuss, bevor wir uns umdrehten und getrennt in unsere Schlafräume gingen.
 

G

leich, als Justin 18 wurde, zog er in das Haus, das seine Eltern ihm hinterlassen hatten und ich ging mit ihm. Zwei weitere Jahre gingen ins Land und an Weinachten machte mir Justin einen Antrag, den ich halb weinend, halb lachend annahm. Zu dieser Zeit wurde ich auch schwanger. Und als ich ihm das erzählte, war er überglücklich. Aber ich wusste trotzdem nicht was ich machen sollte. Sollte ich meinen Eltern sagen bescheid sagen, dass ich heiraten würde und ein Kind bekomme? Ich wand mich hilfesuchend an Justin und fragte ihn was ich machen sollte. Der aber meinte nur, ich sollte es ihnen sagen. Schließlich seien sie ja meine Eltern Es würde ja nicht heißen, dass wir sie zu Hochzeit oder zur Taufe einladen müssen. Seufzend gab ich ihm recht. Aber eigentlich wollte ich meinen Eltern nichts sagen, aber als mir der Gedanke kam ihnen dadurch ein schlechtes Gewissen zu bereiten, schließlich geht es mir seit sie nicht mehr in meinem Leben sind viel besser. Das alles machte mir Mut sie anzurufen. Und gleich am nächsten Morgen, als Justin bei der Arbeit war, stand ich mit klopfendem Herzen vor dem Telefon. Ich war erst im vierten Monat und die Hochzeit würde erst nach der Geburt stattfinden, aber trotzdem hatte ich Angst vor der Reaktion meiner Eltern. Ich hatte mich schließlich die ganzen Jahre nicht gemeldet.

Zitternd wählte ich ihre Nummer und nach ein paar mal läuten meldete sich ein Junge. Ich vermutete, dass es Josh war.

„Hallo, Josh am Apparat. Mit wem spreche ich?“„Hallo Josh. Hier ist Emily. Gibst du mir bitte deine Mutter?“„Oh. Natürlich.“ Ein kurzes Klicken war zu hören, bis gleich darauf eine fast hysterische Stimme ertönte:

„Emily? Bist du es wirklich? Sag, wie geht es dir? Was hast du die ganze Zeit gemacht? Wo bist du gerade?“ „Halt! Ich habe nicht angerufen um dir über mein jetziges Leben zu reden. Aber ja, mir geht es gut. Sehr gut sogar. Ich möchte euch nur sagen, dass ich bei meinem Verlobten lebe und...“ „Du bist verlobt?“, fragte meine Mutter, bevor ich den Satz überhaupt zu Ende sprechen konnte. „Ja Mutter. Ich bin verlobt und ich erwarte ein Kind. Ich finde, das solltest du auch wissen. Aber ich habe nicht die Absicht, mich wieder mit euch zu versöhnen. Ich fand nur, ihr solltet wissen, dass es mir ausgezeichnet geht.“ Ein Schluchzen am anderen Apparat. „Wirklich? Gehr es dir, seit wir nicht mehr in deinem Leben sind so gut?“ „Ja.“ „Möchtest du vielleicht noch mit deinem Vater sprechen?“ Ich überlegte kurze Zeit, was ich darauf sagen sollte, aber ich entschied mich, dass es das beste sei, mit ihm zu reden. „Wenn’s sein muss.“ Wieder ein Klicken. „Hallo Kleines.“ „Hallo Vater.“ „Stimmt es, dass du schwanger bist?“ „Ja. Es stimmt.“ „Und hast du vielleicht auch vor uns einzuladen? Doch bevor du etwas darauf sagst, sollst du wissen, dass es uns so schrecklich leid tut, was wir dir angetan haben und wir das ganze zutiefst bereuen.“ „Das weiß ich noch nicht. Aber ich rufe euch noch mal an, wenn ich mir sicher bin.“ Mit diesen Worten legte ich einfach auf. Ich atmete noch einmal tief durch und ging in die Küche.
 

„W

ie ist es gelaufen?“ „Geht so. Sie haben gefragt, ob wir sie einladen. Aber ich konnte ihnen nichts darauf erwidern. Es tat einfach noch zu weh. Ich hatte auch Angst sie dann wieder zu sehen. Wann hört dieses Gefühl denn auf, das ich ständig habe, wenn ich an sie denken muss? Ich kann ihnen einfach noch nicht verzeihen.“ Während ich das sagte, lehnte ich schluchzend an Justin’s Schulter. Aber genau in diesem Moment gab mir mein noch ungeborenes Kind einen Tritt, als würde es sagen: „Sei nicht so traurig.“ Das heiterte mich tatsächlich ein wenig auf. Aber dieses flaue Gefühl in der Magengegend blieb.

Einen halben Monat vor dem errechneten Geburtstermin, musste ich endlich einen Entscheidung treffen. Ich hatte die Gedanken daran immer vor mich her geschoben. Aber nun wurde es Zeit ihnen mitzuteilen, dass ich sie nicht einladen wollte. Und wieder stand ich vor dem Telefon und wusste nicht, ob ich es schaffen würde. Zitternd wählte ich die Nummer, aber diesmal ging nicht mein Bruder ans Telefon, sondern mein Vater.

„Hallo. George Baker am Apparat. Wer ist da?“ „Hallo Vater. Ich bin’s, Emily.“ „Hallo Liebes. Wie geht es dir?“ „Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Aber ich habe nur angerufen, um euch meine Entscheidung mitzuteilen. Ich habe auch nicht vor, lange um den heißen Brei herumzureden. Mir wäre es lieber, wenn ihr weder zur Taufe, noch zur Hochzeit kommen würdet.“ Ein langes Schweigen am anderen Ende. „Ich verstehe dich vollkommen, aber willst du es dir nicht noch einmal überlegen? Oder ist deine Entscheidung endgültig?“ „Ja. Ist sie. Und ich bin mir sicher, dass du die Gründe weißt. Oder liege ich da falsch? Autsch!“ Genau in dem Moment hatte mir mein Kind einen so heftigen Tritt verpasst, dass ich mir die Tränen verkneifen musste. „Ist mit dir alles in Ordnung?“ „Ja, ja. Mir geht es gut. Mein Baby hat mir nur einen sehr schmerzhaften Tritt verpasst.“ „Wann soll denn das Kleine kommen?“ „Anfang nächsten Monats. Warum?“ „Nur so. Wisst ihr denn schon was es wird?“ Ich zögerte erst, bevor ich weitersprach. „Ja. Ein Junge.“ „Das ist schön.“„Wie geht es Josh eigentlich?“ „Ach. Wie soll es ihm schon gehen? Gut. Er ist ein aufgeweckter Junge. Er hält uns ganz schön auf Trab. Habt ihr eigentlich schon einen Namen für das Baby?“ „Ja. Aber ich will ihn euch nicht sagen. Schließlich werdet ihr ihn sowieso nicht zu Gesicht bekommen. Das hört sich zwar jetzt herzlos an, aber nach meiner Ansicht ist das hier auch das letzte Gespräch zwischen uns und daran wird sich auch nichts ändern.“ „Wir haben uns doch schon Entschuldigt. Was sollen wir denn noch machen? Oder kannst du uns wirklich nicht verzeihen? Es tut uns doch so leid. Wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten, würden wir es tun und alles Rückgängig machen. Bitte glaub uns. Oder lass uns dann wenigstens unseren Enkel nur ein einziges Mal sehen. Bitte.“ Er flehte mich direkt an und plötzlich fiel es mir schwer hart zu bleiben. „Vielleicht. Dann aber nur einmal. Mehr nicht. Ich könnte es nämlich nicht ertragen, euch noch öfter zu sehen. Das müsst ihr akzeptieren. Und jetzt würde ich gerne mit Josh reden.“ „Ist gut.“ Ein Klicken und im Hintergrund Stimmengemurmel. „Hallo Schwester. Wie geht es dir. Stimmt es, dass ich bald Onkel werde?“ „Das hat dir bestimmt Vater gesagt, oder?“ „Ja. Hat er. Ich finde es gemein von dir, dass wir dein Kind dann nicht sehen dürfen.“ „Das versteh ich ja, aber ich kann es nicht ertragen euch zu sehen. Und das gilt leider auch für dich. Du fragst dich jetzt bestimmt warum? Ich kann es dir auch sagen. Ich will mit meinem früheren Leben nichts mehr zu tun haben. Ich lebe im hier und jetzt und du, du gehörst meiner Vergangenheit an. Daran kann niemand etwas ändern. Du warst einer von vielen Gründen, weshalb ich weg wollte.“ „Aber ich konnte doch nichts dafür, dass dich unsere Eltern so ausgenutzt haben. Das lag damals nur bei ihnen. Ich war doch noch ein kleines Kind.“ „Ich versteh dich ja und vielleicht kann ich mich noch durchringen, dass du mich und mein Baby sehen kannst. Ich kann aber noch nichts versprechen.“ Mit diesen Worten legte ich seufzend auf. Warum war mein Leben nur so kompliziert? Nach diesem Gespräch musste ich mich erst einmal hinlegen, denn ich war fix und fertig. Außerdem war es schon spät. Schnell zog ich mich um und schlief auch gleich ein. Am nächsten Morgen weckten mich starke Wehen. Ich rief unter Schmerzen nach Justin, der sofort ins Zimmer stürzte und mich erschrocken fragte, was passiert sei. Ich erklärte ihm mit zusammengebissenen Zähnen die Situation. Er konnte aber vorerst nichts tun, denn die Schmerzen waren so stark, dass ich mich zuerst gar nicht bewegen konnte. Erst nach einigen Minuten ließen die Wehen ein wenig nach und gemeinsam gingen wir zum Wagen. So schnell es ging fuhren wir in die Klinik. Es waren lange Stunden bis zur Geburt, die so kräftezerrend und schmerzhaft waren, dass ich beinahe verzweifelte, aber da kam das Baby zur Welt. Nach fast zehn Stunden Wehen, war ein kleiner Junge geboren. Überglücklich schlossen wir Gage in die Arme. Erleichtert ließ ich mich in die Kissen fallen, während Gage gebadet und mit der Flasche gefüttert wurde.

In der Nacht, musste ich wieder an Josh, Mutter und Vater denken. War es richtig ihnen Gage vorzuenthalten? Oder sollte ich mit ihnen von Angesicht zu Angesicht reden? Die Antwort auf diese Fragen fand ich nicht mehr, denn ich war vor Erschöpfung eingeschlafen.

Ich hatte Gage gerade gefüttert und ihn schlafen gelegt, als es klopfte. Verwundert, denn Justin konnte es nicht sein, denn der war in der Arbeit sagte ich, ohne nachzudenken „herein.“ Aber als mein Vater die Türe öffnete und hinter ihm Josh und meine Mutter ins Zimmer kamen, hielt ich erschrocken die Luft an. „W- was macht ihr denn hier? ,fragte ich sie verwundert. Doch schon kurz darauf hatte ich mich wieder gefasst und rief wütend: „Raus hier. Alle drei. Ich will euch nicht sehen.“ „Aber Justin hat uns angerufen und gesagt, dass du hier bist und wir dich und den Kleinen besuchen können.“ „Hat er das? Aber ich wollte das doch gar nicht. Ich will euch nicht sehen.“ Ich drehte mich von der Tür weg, damit sie meine Tränen nicht sehen konnten. Tränen der Wut, Verzweiflung und des Schmerzes, sie nach so langer Zeit wiederzusehen. Aber es war Josh der als erster auf mich zukam, mich umarmte und sagte: „Schön dich endlich wiederzusehen Schwester. Du hast mir so gefehlt.“ Da konnte ich mich nicht mehr halten und fing lauthals an zu weinen. Erschrocken wachte Gage aus seinem Schlaf auf und fing auch an zu brüllen. Meine Mutter nutzte die Situation, nahm Gage auf den Arm und summte leise ein Schlaflied um ihn zu beruhigen. Mein Vater stand immer noch unschlüssig da und wusste nicht was er machen sollte. Sekunden später machte er es seinem Sohn gleich und umarmte mich ebenfalls und sagte: „Schön dich wiederzusehen mein kleiner Engel. Du hast uns allen so gefehlt.“
 

Nachwort:

Langsam aber sicher sind meine Familie und ich auf dem Weg uns wieder gut zu verstehen. Es wird aber nie wieder so sein wie früher, vor dem Tod meiner Schwester. Mein Mann hat zugegeben, meine Eltern in meinem Namen angerufen zu haben. Aber wie sich herausstellte, war es dann doch eine seiner besten Ideen die er je gehabt hatte. Gage bekommt in ein paar Monaten ein kleines Schwesterchen. Und was danach passieren wird, steht noch in den Sternen. Aber ich hoffe, es wird nur Gutes sein.
 

Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2008-05-03T19:01:14+00:00 03.05.2008 21:01
richtig gut geschrieben meine hochachtung
Von:  desertdevil6
2007-04-01T03:54:31+00:00 01.04.2007 05:54
Oh, das ist wirklich ein sehr interessanter One Shot. Ich weiß nicht warum, aber ich hatte bereits Bilder dazu im Kopf, zu Trudy, zu Emily ... mir kam es alles irgendwo bekannt vor, beinahe so als ob ich es schon einmal gelesen hätte.
Es ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass du besonders zu Beginn sehr beklemmend klar gemacht hast, was für eine Überforderung die Zehnjährige zu tragen hatte und ja, die Schwester war trotz ihrer Krankheit wirklich entstellt und beängstigend auf ihre Weise. Es wundert mich nicht, wenn ein junges Mädchen da Albträume bekommt, immerhin hatte sie die volle Verantwortung aber niemanden zum Austauschen.
Selbst die Polizisten haben seltsam reagiert (es war ja auch erstaunlich, dass sie überhaupt zurückging) - aber glücklicherweise richtig gehandelt letzten Endes.
Justin an sich war wirkliches Glück, mir gefiel der Abschnitt mit Beiden außerordentlich.
Wenigstens etwas Schönes in ihrem Leben!
Nur der Fakt, dass sie dennoch ihre Eltern anrief, die zwar beteuerten wie Leid es ihnen täte (beim Geständnis fand ich sie nicht sonderlich glaubwürdig, sie waren erst später reifer), hat mich irritiert. Dafür, dass Emily behauptet hat, sie wolle mit ihrer Vergangenheit nichts zu tun haben, ruft sie an? Ich hätte es nicht getan. Ganz oder gar nicht, aber so ist das mit den Wurzeln.

Insgesamt hast du hier viele Missstände angeprangert und man hat die Figuren älter werden sehen ... ich fand es sehr interessant.

Die Dessi
Von:  Serenety75
2007-03-20T16:07:27+00:00 20.03.2007 17:07
Das war eine tolle Story.
Emily tat mir voll leid. Das sie mit ihrer krankenschwester allein bleiben musste. Echt das allerletze. Das ist nur verstendlich das sie dann albtraeume kriegt. Mit den alter so eine grosse evrantwortung. Und dann zu sehen zu müssen wie die Schwester stirbt. egal wie sie sich gehasst haetten. Da sist torzdem furschtbar jemandne sterben zu sehen.

Die Eltern haben wohl nix besseres zu tun. Dann darf die arme alle allein machen. allso echt so was verantworungsloses... das sie im heim glücklich war fand ich gut. Nicht alle fühlen sich da wohl. Aber wen man so was erlebt hat...

Das sie Justin kennengelernt hat war echt gut für sie. Und das sie sich verliebt haben u.s.w Endlich konnte sie mal glücklich sein. Sie hatte da vollkommen recht das Kind den Eltern nicht zu zeigen.

Aber die Eltern haben ja geschnallt was sie angerichtet haben. Ich fand das ende gut. *Happy end mag*

lg, Serenety75


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