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Beat me baby!

von

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Kapitel 20 - 22

Heute gibt es drei Kapitel auf einen Schlag! Eigentlich wollte ich ja die FF abschließend posten, aber irgendwie ist es zu komplex geworden, als dass man es in ein, zwei Kapiteln zum Ende kommen lassen kann.

Ja das lest ihr auch gleich richtig! Wir kommen zu einem Ende!!! Unglaublich, nach so vielen Jahren, schaffe ich es endlich BmB! zu beenden *lach* Und das ist mein Ernst! Zeitgleich habe ich nun zwar GOTT HART begonnen, nichts desto trotz ist BmB! mein festes Ziel! Kapitel 23 ist so gut wie fertig, aber ich bin noch unsicher wie weit ich einige Probleme noch ausbauen will! BmB! bietet da so vieles! Diese FF hat mir viele Kopfschmerzen bereitet, weil ich lange Zeit nicht an ihr weiter kam. Und nun kann ich nachts kaum einschlafen, weil das Bedürfnis an ihr weiter zu schreiben so groß ist! *hach* @_@ genug geplappert: Viel Spaß bei den neuen Kapiteln zu BmB!


 

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Kapitel 20
 

Mein Schädel dröhnte unglaublich. Ein permanentes dumpfes Pulsieren vom Hinterkopf zur Schläfe hin. Immer wieder ein Stechen dazwischen. Meine Lippen waren trocken. Mein ganzer Mund fühlte sich wie die Sahara an. Ich leckte mit der Zunger über meine Lippen, aber es half nicht viel. Um mich herum war es sehr ruhig. Ich hörte nichts außer den dumpfen Rhythmus meines Herzens in der Brust. Der kleine Pisser hatte sein Wort also gehalten. Er hatte mich nicht getötet.

Meine Schulter schmerzte. Mein linkes Bein fühlte sich an wie ein fremder Klumpen an meinem Körper. Ich überlegte kurz, ob es sich lohnen würde, die Augen zu öffnen, oder ob ichs lieber lasse. Lukas Stimme kam mir in den Kopf.
 

Er war da gewesen, oder? Hatte ich mir das eingebildet? Seine Kleidung war total verschmiert gewesen. Er sah furchtbar aus und ängstlich. Ich bewegte leicht meine Finger an der Hand, wo ich meinte mich an seine Berührung zu erinnern. Alle Finger da, alle in Takt. Ausgezeichnet. Ein Test mit der zweiten Hand verlief ebenso erfolgreich. Gut, also meine Hände hatte ich noch. / Alex mach die Augen auf!/ Lukas Stimme in meinem Kopf. Sein panischer Blick. Irgendwer war noch in der Wohnung. War Lukas okay? Der stechende Schmerz in meinem Kopf legte sich allmählich. Es wurde Zeit, die Augen zu öffnen, sonst würde ich nie wissen, wo ich bin. Und die Augen einfach verschlossen zu halten war nicht mein Ding.
 

Ich musste mich konzentrieren um das Gefühl von meinen Lippen und meiner Zunge zu den Augen hin zu erweitern. Wie schwere Steine lagen meine Augenlider verschlossen. Ich zwang mich sie zu heben. Erfolglos. Erneut. Mäßiger Erfolg./Hier wird nicht aufgegeben!/ Beim dritten Versuch hielt ich vor Anstrengung den Atem an. Die Helligkeit erschlug mich und presste mir schmerzlich die Luft aus der Lunge. Alles Weiß. Atmen. Atmen tat weh. /Verdammte Scheiße!! Muss ein paar Rippen erwischt haben!/ Weiter atmen, schön flach, dann tuts nicht so weh. Meine Augen gewöhnten sich langsam ans Licht. Einfach ordentlich zusammenkneifen. Es reichte aus durch halb geöffnete Lider die Welt wahrzunehmen.
 

Eine leere neutrale Decke. Definitiv nicht die Decke meines Schlafzimmers. / ..Hilfe geholt.../ Lukas Stimme. Soweit es mir möglich war, erkundeten meine Augen den Raum ohne größere Kopfbewegungen. Es dauerte noch ein Weilchen, bis ich auch diesen wieder heben konnte. Es schmerzte unglaublich. Mein gesamter Nacken fühlte sich verspannt an, als hätte ich zu viel gearbeitet. Vor meinem inneren Auge sah ich etwas vorbei ziehen. Ich zuckte zusammen um beim nächsten Wimpernschlag festzustellen, dass nichts war. Einbildung. Erinnerung. Humbuk! Ich würde nicht zulassen, dass der kleine Pisser mich so verfolgt. Mit meinem nun erhobenen Kopf konnte ich den Raum besser wahrnehmen. Ein typisches Krankenzimmer. Einzelzimmer. Neben meinem Bett ein leerer Stuhl. Keine piependen Maschienen. Nichts was meine Lebensfunktionen überwachte. War wohl alles nicht so wild. Der Blick auf meine Beine hielt mich kurz auf. Das Linke war ordentlich zugegipst bis zum Knie, die restliche Haut an diversen Stellen aufgeplatzt und mit einigen Stichen wieder vernäht. Das Ganze umrandet von unzähligen Blutergüssen in tiefstem Dunkelblau.
 

„Ach Scheiße...“ Meine Stimme war tonlos und jedes Wort kratzte im Hals. Dennoch fühlte ich mich befreit, noch reden zu können. Ich ließ den Kopf zurück ins Kissen fallen. Es war anstrengend ihn so lange hochzuhalten. Zugleich schickte der Kontakt mit dem Kissen neue Kopfschmerzen auf den Weg. /Immer langsam Alex. So schnell wird das hier wohl nichts./ Ich atemete tief durch und schloss einen Augenblick die Augen. Lukas hielt meine Hand. Er streichelte meine Wange. Bilder, die wieder und wieder auftachten. Ich öffnete die Augen. Kein Lukas da. Etwas enttäuscht atmete ich langsam aus und fuhr mit meiner Bestandsaufnahme am Körper fort. Okay, linkes Bein war wohl hin. Sex im Stehen könnte für einige Zeit ein Problem sein. Der Anblick meines rechten Beines war nicht unbedingt besser. Blutergüsse überall./Scheiße!/ In meinem Kopf das Surren eines Gegenstands, der durch die Luft saust. Okay, Bein zwei nicht sehr ansehnlich, aber okay. Ich wackelte mit den Zehen. Japp, alles da.
 

Bis zur Brust war ich zugedeckt. Weitere Prellungen und Blutergüsse zeichneten sich an meinen Armen ab. Meine eine Schulter sah mehr als mitgenommen aus, ließ sich aber bewegen. In meiner rechten Hand steckte ein Verweilkatheter, der meinen Körper mit einer Nährstofflösung versorgte. Kleinere Platzwunden waren geklebt worden. Es würden Narben bleiben. Der Gedanke ließ mich innerlich grummeln. Der Blick unter die Bettdecke zeigte, dass ein Verband meinen Brustkorb stützte. Ich lag mit den Rippen wohl ganz richtig.

Dann wurde mir plötzlich sehr heiß. Ich konnte mich erinnern, dass dieser kleine Pisser nicht nur auf mich einschlagen wollte und... Als hätte ichs herauf beschworen fing mein Becken an zu schmerzen. Das Stechen war so stark, dass ich die Luft anhalten musste. Ich wurde wütend. Ich wurde so verdammt wütend, dass ich am liebsten aufgeschrien hätte. Dieser dämliche kleine Scheißer! Weil er ein ‚Nein‘ nicht akzeptieren kann. Meine Wut steigerte sich mit jedem Einnerungsbrocken, der seinen Weg zurück in meinem Kopf fand. Und mit jedem Fetzen schämte ich mich. Ich war Alex. Ich war immer ein Aufreißer. Ich habe den Ton angegeben. Die Dinge geregelt. Jetzt hatte ich die Kontrolle verloren.
 

Wie eine Welle strömten die unterschiedlichsten Ängste auf mich ein. Wie lange war ich hier? Was war mit meiner Arbeit? Wussten nun alle davon? Schlimm genug, wenn es so heraus käme, dass ich schwul war. All die Jahre ausreichender Mauerei für diesen Einsturz. Viel schlimmer wäre es, wenn sie so davon erfahren würden! Dann war ich nicht nur ne Schwuchtel, sondern auch noch ne vergewa... Ich konnte den Satz nicht zu Ende denken. Ich war am Arsch! Meine Gedanken überschlugen sich panisch. Was wenn ich in meinem Krankhaus liege? Schnell holte mich hier jedoch mein Verstand zurück, schließlich arbeitete ich in einer reinen Kinder- und Jugend Klinik.
 

Kein Ort für Typen wie mich. Kein Platz für viel zu große Opfer. Ich ballte die Rechte zur Faust. Der Zugang drückte unter der gespannten Haut. Der Schmerz lenkte mich kurz von meiner Panikattacke ab. Aber auch nur kurz. Wo war Lukas? Was denkt er nun? Ich war der Kerl, der ihn beschützen sollte, nich der, den er retten soll! Ging es ihm gut? Hatte Gideon auch ihn erwischt? Wusste er, was passiert war? Alles?! Der innere Schmerz und das Chaos in meinem Kopf ließ mich aufstöhnen. Ich wand mich unruhig im Bett und wünschte mir einen Augenblick lang einen Ort zum verkriechen. Aber Scheiße muss man entweder fressen oder man ertrinkt drin. Ich war noch nicht bereit zum Ertrinken, oder? Diese Gedanken jagten mich hin und her. Draußen wurde es allmählich dunkel und die Stunden vergingen damit, dass ich Pläne schmiedete, hier raus zu kommen. Eine gute Erklärung für Arbeit parat zu haben, wo ich so lange gesteckt hätte. Ich musste Joe anrufen. Aber wo war mein Handy? Ich sah es im Dunkeln fallen. Ein kleiner Schauer durchlief mich. Dann eben ohne Handy. Wo war Lukas? Hatte er sich abgesetzt, weil er so einen wie mich nun nicht mehr wollte? Mit jeder Stunde, die verging, fiel meine Laune mehr in den Keller. Ich hasste es. Ich hasste zum ersten Mal meinen Körper. Ich hasste meinen Verstand. Ich hasste es zu warten. Darauf, dass Lukas kommen würde. Darauf, die Wahrheit zu erfahren. So wie mein Bein aussah, würde ich wohl noch eine Weile hier bleiben. /Sieht nach einer langen Therapie aus./ Ich hasste Abhängigkeit.
 

Die Tür ging leise auf. Mein Kopf schnellte zu schnell hoch./ Zu sehr in Habachtstellung der gute Alex.../ Sterne zogen vor meinen Augen vorbei. Mein Körper schmerzte durch die schnelle Bewegung. Zu Nervös, zu hektisch. Zu sehr Opfer.
 

„Oh mein Gott! Du bist wach!“ Der Klang der Stimme erhob sich freudig. Die Sterne verzogen sich und Lukas stand an meinem Bett, vor Freude strahlend mit Tränen in den Augen. Seine Hand wanderte vorsichtig über meine Stirn. „ Hi Alex, schön, dass du wieder da bist.“ Da kullerte auch schon die erste Träne. Kein Kuss. Es nervte mich etwas. Ich hätte gerne einen Kuss gehabt. Aber wer will schon einen Kerl wie mich küssen. Niemand mag das Opfer, wenn das Opfer eigentlich der Beschützer sein soll. Ich konnte es Lukas nicht verübeln. Aber warum musste er nun heulen?

„Heulsuse! Was ist passiert? Mir fehlt da ein wenig...“ Ich bemühte mich einen bedeutungslosen Ton zu treffen. Lukas nun mit meinen wirren Gedanken und Vorwürfen zu beladen,wäre unnütze Zeitverschwendung.
 

Lukas wischte sich lächelnd die Tränen weg und nahm neben mir Platz. Seine schlanke Hand fasste nun nach meinen Fingern und drückte sie sanft. „Dein Stalker ist ausgeflippt.“ Ich nickte leicht und verzog das Gesicht. „Dessen bin ich mir bewusst...“ Lukas nickte verständnisvoll.

„Entschuldige... Joe und ich wollten nach dir sehen, weil du seit zwei Tagen auf Arbeit gefehlt hast. Dieser Gideon hat uns aufgemacht, wollte uns aber gleich wieder abwimmeln, da sind wir in deine Wohnung. Joe hat ihn überwältigt und ich den Notarzt gerufen.“

„Scheiße...“ Ich holte zischend Luft. Ein Königreich für eine Zigarette, auch wenn die mich jetzt wohl umbringen würde.

„Wie lange war ich weg?“

„Sieben Tage.“ Ich fluchte leise. „Weiß die Klinik, was passiert ist?“ Lukas nickte nur schwach. „Ließ sich nicht verheimlichen nach dem Aufmarsch an Rettungsdienst und Polizei vor deiner Haustür.“

Er drückte sanft meine Finger und lächelte aufmunternd. „Egal, hauptsache du bist wieder da!“

Ich lächelte nur schief. Mir war nicht zum richtigen Lächeln zu Mute. Würde ich nun meinen Job verlieren? Mein Becken schmerzte und ich konnte mich nicht umlagern. Verdammtes Bein. Verdammter Körper. Wieso musste ich noch atmen.
 

Lukas Finger strichen durch mein Haar. „Dein Stalker wurde verhaftet. Wird nun angeklagt wegen Vergewaltigung, schwerer Körperverletzung oder so. Die Polizei taucht sicher bald hier auf, jetzt wo du wach bist.“

„Lukas?“ „Ja?“ Seine gauen Augen funkelten trotz des leichten Tränenschleiers und noch immer lächelte er. „Ich muss hier raus. Ich kann nicht hier bleiben. Ich muss hier weg...“ Er rutschte mit dem Stuhl näher und legte seine Hand beruhigend auf meine Stirn.

„Shhhhh... nicht aufregen. Du musst dich noch ausruhen, hm?“ Ich griff mit der freien Hand nach seinem Arm und hielt ihn fest. Mein Blick bohrte sich in seine Augen. „Ich muss hier raus...“ Lukas blinzelte erschrocken. Er wollte etwas sagen, als es an der Tür klopfte und er ein Stück von mir weg rutschte. Seine Finger hielten nicht mehr meine.
 

Einer dieser Weißkittel betrat den Raum. Knapp über 40 schwang dieser Halbgott in Weiß sich in den Raum und lächelte einnehmend. Wir waren keine Halbgötter. Wir wären es nur gerne. Auch wir waren nur Fleisch und Knochen. Man musste nur mich ansehen. Er überspielte diese Tatsache.

„Ah, Herr Graf. Schön, dass sie wieder wach sind! Ich bin Dr. Becker.“ Nichts war an dieser Scheiße hier schön. Ich schluckte jedoch meinen Pessimismus hinunter um Lukas nicht zu sehr vor den Kopf zu stoßen. Stattdessen nickte ich nur auf mein Gipsbein. „ Wie lange hält mich das hier?“ Mit jedem Wort erhielt meine Stimme mehr Kraft. Hervorragend.
 

Dr. Becker blickte kurz in die Krankenakte unter seinem Arm und reichte sie dann an eine kleine Schwester weiter, die sehr unauffällig hinter ihm stand und Protokoll schrieb. „Nun, sie sollten nicht überstürzen, daher sind zwei drei Wochen eine recht optimistische Prognose.“

Optimistisch? Nen Scheißdreck war das.

„Wie siehts aus? Was außer dem Bein ist noch futsch?“ Dr. Becker schien zu begreifen, dass ich es eilig hatte. Er ging ums Bett herum und setzte sich auf den Bettrand gegenüber Lukas .

„Herr Graf, sie sind Opfer massiver Gewalteinwirkungen gewesen.“ Während er sprach legte er mir seine Hand auf den Arm. Ich zog ihn unweigerlich zurück. Das verunsicherte unseren Halbgott etwas, er fuhr aber fort. „Bis auf die Knöchel- und Schienbeinfraktur am linken Bein sind sie erstaunlich glimpflich davon gekommen. Sie haben mehrere gebrochene und angeknackste Rippen, unzählige Prellungen und Platzwunden. Die meisten mussten wir nähen oder haben sie geklebt. Die Platzwunde an ihrem Hinterkopf wurde ebenfalls genäht. Sie haben eine Gehirnerschütterung, ihre Schulter war ausgekugelt und sie hatten mehrere Verletzungen im Analbereich.“ Ich schluckte bei der Liste. Der letzte Punkt war wie ein Schlag ins Gesicht. Dämlicher kleiner Pisser.

„Allem Anschein nach hat der Täter kein Kondom benutzt. Die Ergebnisse des HIV-Tests sind also noch abzuwarten.“ Mir blieb kurz die Luft weg. Ich musste husten. Die Erschütterung schickte Schmerzen in alle Bereiche meines Körpers. „ Wie lange muss ich noch darauf warten?“
 

„Ich vermute einige Tage. Das Labor braucht manchmal etwas.“ Dr. Becker blickte von mir zu Lukas und zurück. „ Aktuell sollten sie sich eh zurückhalten. Wenn sie soweit erstmal keine Fragen mehr haben...“

„Wann kann ich hier raus? Im Bett liegen kann ich auch zu Hause.“ Er wechselte Blicke mit Lukas, die ich nicht verstand. Ich wusste nur, dass ich Krankenhäuser nicht ausstehen konnte. Hier würde mich keiner länger halten als nötig. Krankenhäuser waren wie ein Präsentierteller. Jeder konnte das Opfer sehen. Da. Zimmer was-weiß-ich. Da ist der vergewaltigte Kerl!

„Herr Graf. Ich weiß nicht, ob ihre Wohnung aktuell bereits wieder von der Polizei freigegeben worden ist, daher...“ Ich schluckte meinen Ärger runter. Offensichtlich konnte ich heute kein Datum aus ihm herauskitzeln. Ich würde es morgen wieder versuchen. Die Aufregung und das Reden hatte mich zudem auch erschöpft. Ich ließ mich zurück ins Kissen sinken und fluchte leise vor mich hin.
 

„Herr Altvater, kann ich sie kurz draußen sprechen? Wir sehen uns morgen Herr Graf.“ Wieder berührte der Kerl meinen Arm und erhielt eine erneute Abfuhr. Ich hasste es, wenn Ärzte ihre Patienten so befummelten. Früher hätte sich darauf vielleicht ein Flirt ergeben. Aber ich hatte keine Lust auf Flirts und genaugenommen lag es auch nicht an dem Kontakt zwischen Arzt und Patient, den er hier aufzubauen versuchte. Ich wollte einfach nicht angefasst werden. Fertig. Er lächelte nur zuversichtlich, stand auf und verließ den Raum. Lukas lächlete mich auf die gleiche ätzende Weise an.

„Bin gleich zurück.“ Dann huschte auch er aus der Tür.
 

Einige Minuten später kehrte er zurück. Die kleine Schwester von eben im Schlepptau. „Ich befreie sie mal von dem Zugang Herr Graf.“ Sie lächelte mich an und entledigte mich dann mit routinierten Griffen meines Venenverweilkatheters. „ So hier bitte ein bisschen draufdrücken, damit kein blauer Fleck entsteht.“ Sie stockte plötzlich und lief Rot an. Als ob ein kleiner blauer Fleck auf meinem Körper noch etwas ausmachen würde. „Entschuldigung“ mumelte sie nur noch als sie dann recht eilig das Zimmer verließ.
 

Lukas streichelte wieder meine Finger. „ Ein paar Tage wirst du es hier schon aushalten, hm? Ich hab in ein paar Tagen Urlaub über Weihnachten, dann kommst du mit zu mir, hm?“ Da war es wieder. Das zuversichtliche Lächeln. Alles wird gut, sagt es aus. Ich weiß, was passiert ist. Du bist ein Opfer, aber ist nicht so schlimm. Aber es war Lukas. Ich konnte ihm nichts vorwerfen.

„Scheiße! Ich will dir nicht zur Last fallen. Ich..“ Lukas legte mir einen Finger an die Lippen.

„Schon gut Alex. Nichts, worüber wir jetzt reden müssen. Ruh dich aus. Morgen schauen wir, ob wir dem Doktor nen Entlassungstermin vor Heilig Abend entlocken können und dann sehen wir weiter, ja?“ Da war er wieder. Der Lukas, der regelte. Der souveräne Lukas. Kein Mitleidslächeln. Ein handfester Plan war da. Er war da. Die Frage war nur, wo ich war? Ohne mich nun näher in diese Diskussion reinzuhängen nickte ich einfach nur müde. Ich war erschöpft und Schlaf erschien eine erträgliche Option. Lukas schüttelte eifrig mein Kopfkissen und meine Bettdecke auf. Pakte mich vorsorglich ein mit einem Lächeln auf den Lippen. Vielleicht würde ich ja nicht mehr aufwachen. Bei Lukas Anblick kam mir der Gedanke, dass das aber eigentlich nicht fair wäre. Also doch aufwachen. Besser ist das. Ich spürte noch, wie Lukas mir über die Wange streichelte, dann übermannte mich die Müdigkeit.
 

Kapitel 21
 

Am folgenden Tag stand die Polizei bei mir im Krankenzimmer. Zwei Beamte, der eine Mitte Fünfzig mit leichtem Bauchansatz, der andere keine dreißig und offensichtlich in der Ausbildung. Klasse Kombi.

„Also Her Graf, schildern Sie uns bitte einmal den Tathergang....“ Der jüngere Typ, Komissar Schrader, wie er sich vorstellte, saß an dem kleinen Tisch im Zimmer und schrieb eifrig mit, während der ältere, Hauptkomissar Drehmer, mir einige Fragen stellte.

„Ich kam von einem Abendessen nach Hause. Das Licht im Hausflur ging nicht. Ich nutzte mein Handy um mir die Stufen nach oben zu beleuchten. Oben bemerkte ich, dass die Tür zu meiner Wohnung offenstand. Ich hab Einbrecher vermutet. Da ich nichts gehört hab, bin ich in die Wohnung um nachzusehen, was noch da ist. In der Wohnung hat mich der kleine Mistkerl dann angegriffen. Den Rest kennen Sie sicher aus meiner Krankenakte.“

Ich war bereits jetzt schon genervt. Aber die Fragen mussten beantwortet werden. Ich versuchte mich möglichst kurz zu fassen. Herr Drehmer sah auf einen kleinen Notizblock in seiner Hand.

„Warum haben Sie nicht sofort die Polizei gerufen?“ Er hob fragend seine Buschigen Augenbrauen. Im Gegensatz zu seinem Kopf waren hier reichlich Haare vorhanden.

„Wie gesagt, ich hab nichts gehört und dachte, dass die Typen schon weg seien.“ Wieder ein Stirnrunzeln beim Herrn Hauptkomissar. Eifrigst blätterte er in seinem Block, der junger Herr Schrader schrieb irgendwas auf sein Blatt Papier. Beide warfen sich einen Blick zu, dann kam die nächste Frage.

„Sie kamen vom Abendessen mit ihrem Geliebten?“ Ich richtete mich auf, soweit es mir möglich war. Geliebter, was für ein komischer Ausdruck. Altbacken. Kurzfristig. „Ich war mit meinem Freund Lukas Altvater beim Afrikaner, ja.“ Wieder wechselten die Zwei Blicke, Schrader begann noch energischer zu schreiben.

„War an dem Tag etwas besonderes vorgefallen?“ Der Ältere bemühte sich sachlich zu sein. Dennoch nervten mich die beiden irgendwie. „Wir haben Weihnachtsgeschenke eingekauft und im Alexa sind wir auf Gideon gestoßen.“

Herr Hauptkomissar kritzelte seinen Block voll.

„In welcher Beziehung standen Sie zu Herrn Medivan?“ Ja auf die Frage hatte ich doch schon heiß gewartet! Um unserer schlechten Beziehung Nachdruck zu verleihen, antwortete ich erstmal mit einer Gegenfrage. „Wem?“

Der Komissar schien überrascht. Er blickte mich erstaunt an und auch klein Schrader hielt beim Schreiben inne um mich anzuglotzen.

„Herr Medivan. Gideon Medivan.“

Ich hob überrascht eine Augenbraue. „ Achso. Ich kenne seinen Nachnamen nicht. Wir hatten früher häufiger Kontakt.“

„Was bedeutet Kontakt?“ Verdammte Heten!! Ich knirschte leicht mit den Zähnen.

„Er ist eine alte Affäre von mir. Eine kurzzeitige Bettgeschichte. Anschließend hat er mich lange gestalked.“

„Haben sie das Stalking zur Anzeige gebracht?“ Ich kniff die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf.

„So schlimm war es nicht. Er tauchte gelegentlich bei mir auf, in der Hoffnung, dass etwas laufen würde.“

Schon wieder wechselten die Zwei einen Blick. Klein Schrader grinste dämlich. Drehmer trat auf der Stelle und wirkte etwas betreten. Ich war mir nicht sicher, ob das am dämlich grinsenden Schrader lag oder an der folgenden Frage.

„Hatten sie noch sexuellen Kontakt zu Herrn Medivan?“ Schrader senkte den Kopf und protokollierte eifrigst weiter. Ich konnte jedoch noch immer sein blödes Gegrinse spüren. Auch Drehmer sah mich an, als sei die ganze Sache klar. Schwules Pack, dass sich vor lauter durch die Gegend vögeln in die Haare bekommen hat.
 

„Hören sie Herr Drehmer, ich habe Gideon mehrfach gesagt, dass er verschwinden soll. Ich hatte seit Monaten keinen Geschlechtsverkehr mehr mit ihm.“

„Sind sie dabei jemals handgreiflich geworden?“ Ich musste schlucken. Diese Fragen waren zu genau. Zu zielgerichtet. Nun musste ich wohl auspacken.

„Nein. Ich habe einige härtere sexuelle Praktiken mit ihm versucht, in der Hoffnung, dass er dann endlich gehen würde.“

„Hat Herr Medivan sie dabei gebeten, aufzuhören?“ Der Knackpunkt. Zumindest für die beiden Herren hier im Raum. Schrader konnte schon nicht mehr, hielt sich aber tapfer.

„Nein. Er hat sich dem angepasst und sich weiter an mich geklammert.“ Hauptkomissar Drehmer nickte, als könne er mein Problem verstehen. Oder auch nicht. Man war sich hier ja nie sicher.

„In der Nacht, als Herr Medivan sie in ihrer Wohnung aufgesucht hat, waren sie da verabredet?“

„Bitte, was?!“ Ich schüttelte ungläubig den Kopf.

„Definitiv nicht! Ich hatte ihm beim Treffen im Alexa gesagt, dass er sich endlich neu orientieren soll.“

„Also hatten sie keine Affäre mit Herrn Medivan?“

„Nein!“ Ich bekam Kopfschmerzen. Was fragten die denn so doof.

„Hören sie. Nicht alle Schwulen ficken permanent durch die Weltgeschichte. Lukas legt viel Wert auf Treue. Und die gebe ich ihm. Scheiße, die hatte er schon, bevor da überhaupt was lief!“ Ich dachte an meine unzähligen erfolglosen Versuche einen kleinen Blasehasen aufzutreiben, um über Lukas hinweg zukommen.
 

Klein Schrader zog den Kopf ein und grinste sich wahrscheinlich wieder einen. Drehmer blickte etwas betroffen. „Entschuldigen sie Herr Graf, wir sind dazu verpflichtet diese Fragen zu stellen.“

„Dann stellen sie die bitte nicht so, dass ich als männliche Hure da stehe. Ich habe Gideon nicht zu dieser Tat provoziert. Ich habe seit langem keine sexuelle Beziehung mehr mit ihm gehabt. Ich lebe in einer festen Partnerschaft.“ Ich kam mir selbst blöd vor bei diesen Worten. Eine feste Partnerschaft. War es das? Ich hatte mir lange die Zähne an Lukas ausgebissen und jetzt, nach einem kleinen netten Wochenende, sprach ich, ja ICH, von einer Partnerschaft? Ich lachte mich innerlich selbst aus. Lukas berührte mich seit Gideons Attacke kaum noch. Aber vielleicht war das auch Einbildung.

Der Hauptkomissar kritzelte eifrigst in seinen Block. „Kam es an jenem Abend zum Kampf zwischen ihnen und Herrn Medivan?“ Er riss mich damit aus meinen Gedanken. Nun also auch noch die ganz schmutzigen Details. Wieder der Blickkontakt zwischen den beiden.

„Nein. Als ich nach dem Schlag auf den Hinterkopf wieder zu mir kam..“ Ich räusperte mich. Wie sehr ich es hasste, diesen zwei Heten diesen Scheiß zu erzählen. Ein Mann, der vergewaltigt wird. Ein Opfer. Wie lächerlich. Doch es hallf nichts. Wenn ich nun nichts sagen würde, fiele der Scheiß vielleicht noch unter einen lumpigen Beziehungsstreit.

„..als ich wieder zu mir kam lag ich bereits gefesselt am Boden.“

„Haben sie Herrn Medivan gesagt, dass er aufhören soll?“

„Ich kam nicht dazu.“

„Warum nicht?“ Wieder der vielsagende Blick. Hat ihm also doch gefallen, oder so ähnlich. Wut stieg in mir auf.

„Weil er mir mit dem Baseballschläger bereits die Fresse polierte!“ Meine Stimme wurde lauter. Drehmer notierte. „Heißt das, sobald sie zu sich kamen hat Herr Medivan Gewalt angewendet?“

Ich lachte höhnisch. „ Die hat er ja wohl bereits vorher angewandt. Der kleine Mistkerl hat erst einen Monolog gehalten, wieso ich seine Gefühle nicht erwiedert hab und hat dann zugeschlagen. Ich war durch den vorherigen Knockout nicht sonderlich kommunikativ.“ Ich hörte die Kugelschreiber übers Papier scharren. Man sollte wohl ein Buch daraus machen. Mit all dem Gekritzel war dies sicher möglich. Ich sollte mir die Rechte sichern. Schließlich war ich ja das Opfer. Schief grinsend strich ich mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht.
 

„Es ist sehr wahrscheinlich, dass es zu einer Gerichtsverhandlung kommen wird. Sind sie mit einer Gegenüberstellung vor Gericht einverstanden?“ Ich nickte kurz. Es würde mir zwar nicht den Tag versüßen, aber wenn ich Gideon auch vor Gericht identifizieren müsste, würde ich das tun.

„Vielen Dank für ihre Geduld Herr Graf. Wir melden uns bei Ihnen, sofern wir noch eine Frage haben. Schrader, haben sie alles?“

„Wir haben uns nicht nach dem weiteren Tathergang erkundigt.“ Klein Schrader blickte klugscheißerisch von seinem Zettel auf. Wieder knirschte ich mit den Zähnen. Der Pisser wollte offensichtlich noch mehr Details. Vielleicht machte ihn das an? Wer konnte das schon sagen. Drehmer guckte etwas gequält, nickte aber.

„Ach ja. Herr Graf, können sie noch etwas?“ Oho! Man hat also auch mal gelernt auf die Beteiligten Rücksicht zu nehmen.

„Ja. Wenn‘s sein muss. Hauptsache dieser Mist geht vorbei.“ Der Polizeibeamte nickte verständnisvoll als wüsste er, mal wieder, wovon ich reden würde.

„Sie haben also in gefesselter Position ihr Bewusstsein wiedererlangt und weiter?“ Ich rieb mir die Schläfen. Immer wieder hatte ich über die Zeit unter Gideons Kontrolle das Bewusstsein verloren. Zusammenhänge fehlten. Aber ich wusste, worauf er hinauswollte.

„Gideon hielt seinen Monolog und traktierte mich mit diesem verdammten Baseballschläger...“

„Woher hatte er den?“ Der Kopfschmerz steigerte sich.

„War nen Relikt aus meiner sportlicheren Zeit...Sind teuer die Dinger... nachdem der Kerl damit fertig war, hat er sich ausgezogen. Ich bin wieder ohnmächtig geworden.“ Ich sehnte ich nach einer Zigarette. Seit ich wieder wach war, schrien meine Lungenflügel nach gesegnetem Teer und Nikotin. Die ganze Geschichte hier auszupacken wäre leichter gewesen, wenn ich mich hinter einer gewohnten Wand aus Qualm hätte verstecken können. Der Hauptkomissar kritzelte schnell mit. Als ich pausierte blickte er fragend. Ich räusperte mich in der Gewissheit,dass mir hier nichts erspart blieben würde.

„Im Anschluss hat er sich an.... hat er mich vergewaltigt. Mehrmals. Im Wechsel mit kleineren Treffen mit Mr. Baseballschläger.“ Ich deutete auf mein Bein und mein Gesicht. Mein Gesicht war durch mehrere Blutergüsse entstellt. Der dicke Gips sprach für sich. Drehmer hob die Augenbrauen. „Schrader, schreiben sie das sachlicher aber möglichst wortgenau.“ Schrader nickte und notierte.
 

Es war gesagt. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Mein Magen krampfte fürchterlich. Ich muss Farbe verloren haben, denn der Herr Hauptkomissar wurde plötzlich nervös. „Herr Graf, geht es ihnen gut?“ Ich hielt mir bereits mit einer Hand den Mund zu und deutet auf eine kleine Sammlung Nierenschalen aus Pappe. Mein Magen brachte mich fast um. Der Polizeibeamte war erstaunlich fix darin mir die Schale zu reichen und passte den Moment gerade ab, in dem mir mein Mittagessen wieder hoch kam. Ich hatte es gesagt. Mein Geständnis diesen beiden Polizisten erschien mir wie das gegenüber der gesamten Welt. Es war nun offiziell und amtlich: Ich war ein Opfer. Diese Einsicht drehte mir den Magen um. Das oder meine Gehirnerschütterung.
 

Als ich fertig war öffnete sich die Tür und eine der Schwestern kam herein. Offensichtlich hatte Drehmer den Rufknopf an der Tür getätigt. Sie reichte mir eine Papierserviette und entsorgte kommentarlos die Schale samt Inhalt. Dabei warf sie beiden Beamten einen vorwurfsvollen Blick zu. „Herr Graf braucht Ruhe. Die Herren Komissare sollten das beachten!“ Das Mädel gefiel mir. Leider war sie zu schnell wieder aus dem Zimmer. Ich wischte mit der Serviette über meinen Mund, aber der abstoßende Geschmack ließ sich nicht so einfach entfernen.

„Das Letzte, woran ich mich sonst erinnere, ist das Gesicht von Lukas Altvater, als er mich gefunden hat. Nähere Informationen über meinen Gesundheitszustand oder Verletzungen können sie mit sicherheit meiner Krankenakte entnehmen.“ Der Hauptkomissar Drehmer blickte etwas betroffen drein. Ein Mann seines Alters kannte eigentlich seine Grenzen bei der Vernehmung Geschädigter. Seine Augenbrauen rutschten genervt zusammen, als Klein Schrader eine weitere Frage stellen wollte. „ Ich denke, wir haben Herrn Graf lange genug strapaziert Kollege. Wir sollten alles Notwendige haben. Bitte entschuldigen sie die Umstände Herr Graf.“ Er nickte mir zu und trat einen Schritt zurück. Ungeduldig blickte er zu seinem Gehilfen. Dieser ließ sich beim Packen Zeit. Noch einmal lächelte er mich entschuldigend an.

„Kommen sie Kollege?“ Die Tür war bereits geöffnet und wartete nur darauf, dass Klein Schrader die Bühne verlassen dürfte. Beim Gehen sah dieser mich nocheinmal an und grinste hämisch.

„Angenehmen Tag noch, Herr Graf.“ Blödes Arschloch. Wie gern hätte ich ihm die Fresse poliert. Aber ich jag ja nun hier. Hätte meine Ente werfen sollen. Verdammt!
 

Kaum hatte sich die Tür geschlossen, ging sie auch schon wieder auf. Hinter einem großen Strauß Blumen betrat Lukas das Zimmer. Nachdem der Strauß in einer furchtbar hässlichen Leihvase des Krankenhauses ansehnlich auf dem Fensterbrett drapiert wurde, kam er zu mir rüber. Er drückte sanft meine Hand und streichelte mir über die Wange.

„Hey. Alles okay? Du siehst blass aus.“ Ich lächelte schief und verfluchte mich, mir nicht die Zähne putzen zu können. Ich musste grauenvoll riechen. Kein Zustand, in dem ich mich selbst hätte küssen wollen. Aber Lukas kommentierte weder das eine noch das andere. Offensichtlich bestand hier eh kein Bedarf. Die Hand von meiner Wange verschwand auch schon wieder.

„Alles okay. Unliebsamen Besuch gehabt.“ Lukas lächelte leicht.

„Ja, habs gesehen, die Herren von der Polizei. Der Hauptkomissar Drehmer ist sehr nett, aber seinen Kollegen mochte ich nicht!“ Ich liebte Lukas Menschenkenntnis. Zugleich wünschte ich mir umso mehr, dass ich meine Ente nach diesem Mistkerl geworfen hätte.
 

Als ich aus meinen Gedanken wieder zu Lukas blickte, merkte ich, dass er mein Bein anstarrte. „Ist nur nen Gips Lukas, das geht wieder weg.“ Er lächelte verlegen.

„Ja ich weiß, Doofi du, aber tut es sehr weh?“ Ich blickte selber eingehender auf den Gips.

„Weniger, bekomme wohl gute Schmerzmittel hier. Dennoch mach ich drei Kreuze, wenn ich hier raus bin. Ich hasse Krankenhäuser!“

Ein leises Lachen erfüllte den Raum „ Wie geht das denn? Du bist selbst Arzt Alex!“ Ich musste selbst schmunzeln. Auch wenn er nicht versuchte mich körperlich zu berühren, seine Art berührte mich.
 

„Ich meine als Patient! Selber Doofi!“ Seine Hand näherte sich mir, aber statt sie mir auf den Arm zu legen als Geste der Vertrautheit, landete sie auf dem Bettgitter. Das machte mich wütend. Es führte mir vor Augen, dass gerade Lukas Nähe jetzt das Richtige für mich gewesen wäre. Sie hätte mir gezeigt, dass er zu mir steht. Egal was war. Der ausstehende HIV-Test fiel mir wieder ein. Verdammter Scheiß. Was wäre, wenn ich nun positiv wäre? Vielleicht hatte Gideon die Ratte das gemeint, mit seiner Aussage, keiner würde mich mehr ansehen, wenn er mit mir fertig wäre.
 

Vielleicht hatte Lukas davor Angst? Aber er war doch intelligent genug zu wissen, dass eine kleine Umarmung nicht zur Ansteckung führte, oder? Vielleicht wusste er nicht mit dieser Sorge umzugehen? Schon wieder so ein verdammter Haufen ‚vielleicht‘ in meinem Leben!

„Alles okay Alex? Du guckst so abwesend?“ Ich blickte ihn an und blinzelte kurz.

„Ja, alles okay. Ich könnte nur sterben für eine Zigarette.“ Ich log nicht. Ich sagte ihm nur nicht die ganze Wahrheit. Er sollte nicht wissen, was in meinem Kopf vorging. Kein Grund ihn mit unnützem Ballast zu bewerfen. Vermutlich kam er nur noch der Höflichkeit halber. Er würde die Sache hier wohl absägen, sobald ich wieder auf den Beinen bin. Wer will schon ein Opfer zum Freund?

„Oh, hihi, na ich schau mal, was ich da machen kann“ sprach er und ehe ich mich versah schwebte er aus dem Zimmer. Kurz darauf kam wieder die Schwester von eben rein, lächelte aufmunternd und schob einen Rollstuhl ins Zimmer.

„Sie wollen also an die frische Luft Herr Graf? Das ist gut! Nicht immer den ganzen Tag in diesem Zimmer hocken! Ihr Freund hat mir versprochen, auf sie aufzupassen, aber ich ermahne sie dennoch dazu, es nicht zu übertreiben mit dem Rollen! Lassen sie sich ruhig mal schieben!“ Sie grinste ein Lächeln der Optimismusbranche und platzierte den Rollstuhl neben meinem Bett. Dann löste sie die Bettgitter und half mir beim Aufrichten.

„So auf drei gehts rüber in den Stuhl ... eins...zwei....drei!“ Mit Schwung half sie mir zielsicher in das dämliche Gefährt. Glücklicherweise war ich durch diverse Spaßrennen gegen einige meiner Patienten gut im Training und wusste mit dem Ding umzugehen.

„Bringen sie ihn bitte heil zurück, ja?“ Sie blickte dabei Lukas an und verließ lächelnd den Raum. Lukas ging kurz noch an den kleinen Kleiderschrank im Zimmer und holte meinen Mantel hervor.

„Okay, wie kommt der hier her?“

„Ich hatte ein paar Sachen für dich zusammen gepackt. Hier, anziehen, draußen ists kalt.“ Er half mir in den Mantel und lächelte dabei. Ich fragte mich, wie es er schaffte, dabei jeglichen Körperkontakt zu mir zu vermeiden.

Als er mir ein kleines Päckchen Luckies reichte, schob ich die düsteren Gedanken beiseite und lächelte zu ihm auf. „Danke Süßer! Du bist meine Rettung!“ Er lächelte schief und schob mich Richtung Tür.

„Das oder dein Todesengel! Und nu pack die weg, soll keiner sehen, bis wir draußen sind!“
 

An der frischen Luft entflammte umgehend einer der Glimmstängel zwischen meinen Lippen. Gierig zog ich den Qualm in meine Lungen. Der leichte Schmerz und das kratzige Gefühl im Hals waren der reinste Genuss. Ich lebte. Und diese kleine Zigarette zwischen meinen Fingern war der Beweis! Lukas stand schweigend neben mir und betrachtete mich beim Rauchen. Ich war froh, dass er mir den Mantel mitgebracht hatte. Es war wirklich eisekalt draußen. „Besser?“ Er sprach leise, als ich die erste Zigarette aus hatte. Meine leicht zerfrorenen Finger friemelten von der Kälte steif einen neuen kleinen Krebsarbeiter aus der Manteltasche.
 

Die frische Luft und der Zigarettenschub hatten mich zum Nachdenken bewegt. Im Rahmen dieses Prozesses hatte ich eine Entscheidung getroffen in Bezug auf die ganzen ‚vielleicht‘, die aktuell in meinem Leben eine Rolle spielten.

„Ja, danke dir.“ Ein tiefer Zug für die perfekte Wand aus Rauch. „Lukas, ich ...“ Sein Blick wurde erwartungsvoll. „Ich möchte, dass du mich vorerst nicht weiter besuchst. Ich hasse es, hier zu sein. Ich möchte nicht, dass du diesen Ärger abbekommst. Plane dein Weihnachtsfest, mach dir ein paar schöne Tage mit Joe und den anderen. Ich hab jetzt alles hier,was ich brauche.“

Die nächste Wolke aus Qualm umhüllte mich. Lukas war sehr blass geworden, auch wenn das bei ihm immer kaum möglich erscheint. Er schob seine Brille zurecht und holte tief Luft. Offensichtlich wollte er nicht zeigen, dass meine Entscheidung ihm eine Bürde nimmt. So zumindest redete ich mir das ein.
 

„Lukas, bitte, tu nicht so, als ob du gerne hier herkommen würdest.“ Ich lachte abfällig und sah zu ihm auf. Er stand mittlerweile mit verschränkten Armen da. Bevor ich noch etwas sagen konnte, hielt er mir jedoch den Mund zu. „ Ich bin keines deiner Häschen, was du wegscheiben kannst, wenn es schwierig wird. Ich bin ein Freund Alex.“ /Freund... Scheiß Wort. Von dir will ich mehr als Freundschaft! Aber was nun kommt, hast du selbst so gewollt mein Lieber!/ Aber Lukas wollte kein Opfer als Partner. Logisch. Mit meinen Gedanken tauchte die kleine höhnisch lachende Stimme in meinem Kopf auf.

Lukas bekam von diesen Gedanken nichts mit. Er zog die Hand von meinem Mund weg, als hätte er sich an meiner Haut verbrannt. Die Arme wurden wieder vor der Brust verschränkt. Seine Augen sahen traurig aus. „ Wenn du etwas Zeit für dich willst, nimm sie dir. Die Schwestern haben meine Nummer. Wenn du etwas brauchst, ruf an.“ Seine Hand streichelte einmal kurz über meine Wange und löste dort für einen Augenblick wohlige Wärme aus. Dann war sie wieder verschwunden. /Du hast es so gewollt Alex.../ Ja ich wollte das so. Ich wollte nicht, dass sich Lukas mit mir rumärgern muss. Ich holte die dritte Zigarette am Stück aus der Packung als ich Lukas beim Gehen nachsah. Was für ein beschissener Tag.
 

Kapitel 22
 

Lukas hielt sich an meine Bitte. Die folgenden drei Tage kam er nicht zu Besuch. Dafür kamen anderen Dinge auf mich zu. Mehrere Untersuchungen standen an. Röntgenaufnahmen meines Brutskorbs, Schädels und der eingegipsten Brüche. Dr. Becker war mit den Aufnahmen sichtlich zufrieden. Gesprächsstunden mit einem Therapeuthen wurden mir angeboten. Ich lehnte dankend ab.Ich kannte doch die Tatsache. Was sollte all das noch bringen? Ich hatte wenig Lust nochmal alles im Detail wiederzugeben, was ich bereits den Polizisten erzählen durfte. Meine Kopfschmerzen legten sich. Ich machte fortan eigenständige Ausflüge an die frische Luft, die mir besser taten, als es ein Therapiegespräch jeh hätte tun können. Zumindest redete ich mir das ein. Lukas fehlte mir bei meinen Frischluftexkursionen. Lukas fehlte mir überhaupt. Sein Blumenstrauß welkte allmählich am Fenster dahin und mahnte mich täglich, dass ich ihn zurück holen sollte. Saß ich vor dem Krankenhaus im Nikotindunst sah ich ihn immer wieder die Treppe hinunter gehen. Aber ich kleveres Kerlchen hatte ihn ja weggeschickt. Nun fiel mir ein,wieso. Weil Lukas mich nicht anfassen wollte. Aber war es das wert? Offensichtlich war es nicht nur der körperliche Kontakt zwischen uns, den ich brauchte. Er hatte gesagt, ruf an, wenn du etwas brauchst. Heute brauchte ich ihn.
 

Wieder auf der Station angekommen erkundigte ich mich bei der Schwester nach Lukas Nummer. Mein Handy war bei dem Zusamentreffen mit Gideon zu Bruch gegangen und seitdem hatte ich noch kein neues. Also nötigte ich den Automaten in der Eingangshalle mir gegen etwas Kleingeld eine Verbindung zu Lukas herzustellen. Es klingelte eine ganze Weile. Ich saß in diesem dämlichen Rollstuhl und wartete mitten in dieser riesigen Halle darauf, dass Lukas endlich abnahm. Es machte mich wütend. Es bremste mich aus. Ich wollte gerade wieder auflegen als das Freizeichen unterbrochen wurde und Lukas leise „ Hallo?“ sagte. Das Kleingeld fiel durch. Ich hatte nichts mehr zum nachlegen und musste mich wohl kurzfassen.

„Ich bins.“ Ich kam mir dämlich vor. Was sollte ich sagen? Ich hatte ihn doch quasi aus meiner Nähe verbannt. Wie konnte ich ihm immerzu vorwerfen, dass er sie gar nicht wolle? Allerdings hatte er auch kampflos das Feld geräumt. Ich war verunsichert.

„Alex?“ Ich musste lächeln über mich selbst, setzte mich aufrechter hin, sofern dies meine Rippen zuließen und zwang mich zu einer kräftigeren Stimme.

„Ja, ich bins.“ „Hey....“ Dieses völlig unsinnige Wort klang voller Erleichterung. Hatte er etwa auf meinen Anruf gewartet?

„...wie gehts dir?“

„Ich hab kein Kleingeld mehr. Das Gespräch ist sicher gleich weg. Kannst du...“ KLACK!

Da wars. Oder besser gesagt weg wars! Ich starrrte wie ein Idiot den Hörer in meiner Hand an. Ein Freizeichen wurde mir signalisiert. Zwischendrin sagte eine nette Stimme, ich solle doch Münzen einwerfen zum Telefonieren. Scheißdreck! So viel zu meinem Wunsch, Lukas zu sehen. Ich schob meinen fahrbaren Untersatz Richtung Ausgang um eine zu rauchen. Dieses versiebte Gespräch erforderte das.
 

Schnee fiel und glitzerte in der Weihnachtsbeleuchtung vor dem Krankenhauseingang. Ich zog meinen Mantel enger um mich und wünschte mir meinen Schal. Es war eisig. Einige Kinder kicherten vergnügt über den Schnee und bewarfen sich mit Schneebällen während ihre Eltern oder was auch immer, zumindest einer von ihnen auch Patient der Klinik, auf einer der kleinen Holzbänke am Wegrand saßen und sich unterhielten. Meine Zigarette war rutergebrannt und landete im Aschenbecher. Es wurde gerade dunkel und der Schnee tanze in immer größeren Flocken vom Himmel hinab. Eine davon landete auf meiner Hand und schmolz sofort.

„Alex!“ Ich blickte überrascht auf. Vor mir stand heftig schnaufend Lukas. Ich war verwundert und blickte ihn fassungslos an. Sein Mantel war offen, der Schal nur halbherzig umgewickelt. Seine Haare wirkten leicht zerzaust.

„Wo.. wo um alles in der Welt kommst du her?“ Er lachte und strich sich eine blonde Strähne hinters Ohr. Die Brille wurde kurz zurecht geschoben. Seine Hände stützte er auf die Knie und holte tief Luft. Dann richtete er sich wieder auf und hielt seinen Mantel zu. „ Ich war in der Nähe unterwegs, Umleitung vom Festnetz aufs Handy, kennst du ja sicher.“ Er lachte nochmals und wedelte demonstrativ mit seinem Handy vor meiner Nase.

„Aber wie...warum..?“ Mir fehlten die Worte.

„Du wolltest mir doch etwas sagen, oder? Du hättest sonst nicht angerufen.“ Er lächelte immernoch breit. Ohne dass er weiter etwas sagen konnte, griff ich nach seiner Hand und küsste sanft den Handrücken. Nun war Lukas mehr als überrascht. Mit offenem Mund und ohne Worte stand er da. Ich lächelte ihn an. „Du hast mir gefehlt.“

Es war seltsam diese Worte zu sagen. Man kam sich ungemein verletzlich vor. Ich hätte nun auch einiges von Lukas erwartet, aber er streichelte nur meine Wange und lächelte sanft.

„Na dann ist ja gut, dass ich gleich gekommen bin, hm? Lass uns reingehen, ist ziemlich kalt hier draußen.“ Wir waren beide aufgrund der dicken Schneeflocken von einer leichten Schneeschicht bedeckt. Ohne meine Antwort abzuwarten schob er mich in die Halle. Mein Magen krampfte. Seine Berührung an der Wange hatte zwar die obligatorische Wärme mit folgender Kälte hinterlassen, aber ein Kuss wäre mehr nach meinem Geschmack gewesen. Offensichtlich war ich noch immer nicht küssenswert und heute konnte es nicht an Erbrochenem liegen. Ich hatte bisher alles bei mir behalten.
 

Lukas erzählte mir ein bisschen was von seiner Arbeit, während wir auf meine Station fuhren. Wie er so erzählte und mich mit kleinen Belanglosigkeiten zuschüttete, wurde mir bewusst, dass er, auch wenn er mir nicht die Nähe schenkte, die ich haben wollte, dennoch sofort zur Seite geeilt war. Auch wenn ich meinen Satz am Telefeon nicht beenden konnte, war er gekommen. Lukas forderte nicht. Lukas gab. Ich holte tief Luft und beschloss die fehlende Nähe einfach noch ein wenig zu ertragen. Vielleicht würde es sich ändern, wenn der HIV-Test endlich einfliegen würde. Vorausgesetzt, das Ding war nicht positiv.
 

Als wir oben ankamen wurde ich von einer der Schwestern auf der Station abgepasst. „ Herr Graf, sie Rumtreiber, der Herr Doktor sucht sie schon die ganze Zeit.!Ah ihr netter junger Freund ist auch wieder da!“ Sie grinsten Lukas an,welcher freundlich zurück grüßte.

„Wir sagen dem Doktor bescheid, dass sie wieder da sind! Jetzt nicht weglaufen!“
 

Lukas und ich begaben sich auf mein Zimmer. Er legte seinen Mantel und seinen Schal ab und half mir beim Ausziehen. Schon klopfte es. Auf ein‘ Herein‘ warteten die wenigsten Leute im Krankenhaus. Hier gab es offensichtlich keine unpassenden Momente, um in ein Zimmer zu kommen, oder die Leute hatten einfach schon alles gesehen. Keine nette Etikette hier. Dr. Becker erwies sich selbst als netten aber auch beschäftigten Menschen und ich fragte mich, ob ich auch so geschäftig auf meine Patienten wirke. /Falls du noch einen Job hast, wenn du zurück kommst.../ Erneut traten Kopfschmerzen ein. Es gab immer wieder Gedanken an die Zukunft, die ich lieber verdrängen sollte. Sie zerbrachen mir schlichtweg den Kopf.
 

„Hallo Herr Graf, wie geht es ihnen?“ Er gab mir die Hand und nickte Lukas beiläufig zu. „Bis auf den Zustand meiner Anwesenheit hier blendend!“ Der Kerl lächelte kurz, zückte eine kleine Taschenlampe im Stiftformat und testete meine Pupillenreaktionen auf Licht. „Dann hab ich gute Nachrichten für sie.“ Mit einem Klick erlosch die kleine Lampe und er ging wieder etwas auf Abstand. „Alle Untersuchungen sahen soweit gut aus. Sie bekommen heute einen Gehgips und ein paar schnittige Krücken und dann dürfen Sie nach Hause!“ Er grinste breit und zwinkerte Lukas einmal zu.

„Sehr praktisch, dass ihr Freund bereits da ist, um sie abzuholen!“ Lukas blinzelte überrascht und drückte mir sanft die Hand.

„Alex, das ist doch fantastisch!“ Das war es in der Tat. Doch Lukas schwacher Ausbruch der Freude passte nicht zu seinen Worten. Ich wurde allerdings vom Doktorchen aus meinen Gedanken geholt.

„Wohnen Sie zusammen? Entschuldigen Sie, wenn ich das frage, aber Herr Graf wird vielseitig Hilfe benötigen. Ich kann ihn nur gehen lassen, wenn dafür auch wirklich gesorgt werden kann...“ Ich war mir nicht ganz sicher, ob er es ernst meinte. Der Kerl hatte sie doch nicht alle. Was dachte er sich? Ich war durchaus in der Lage mich alleine durch meine Wohnung zu schlagen und die ein oder andere Pille einzuwerfen.

„Klar, er wird bei mir wohnen, bis er sich erholt hat.“ Lukas Lächeln war so zuckersüß. Mein Magen drehte sich fast. ’Bis er sich erholt hat‘, dachte ich mir. Bis dahin und nicht weiter. Dann ist‘s aus. Aber er meinte doch, er würde nicht einfach weglaufen. Er ließe sich nicht verjagen. Was wenn eine Jagd nicht nötig wäre, weil er sich selbst befreit, sobald er kann?

„Wunderbar. Kommen Sie bitte nochmal zum Schwesternzimmer? Wir erklären Ihnen da seine Medikation. Niemand sollte an den Feiertagen im Krankenhaus sein, wenn es sich vermeiden lässt.“
 

Die Tür klackte leise ins Schloss und ich saß alleine in diesem sterilen Raum. Was ging mir da nur alles durch den Kopf? Ich musste verrückt sein. Lukas, der sofort herbeigeeilt war, würde mich nicht abschieben, sobald er könnte. Dazu hatte er Gelegenheit, als ich ihn bat zu gehen. Was hatte er vor? Viel schlimmer war, dass ich unter meiner körperlichen Beeinträchtigung litt und somit sicherlich kein guter Mitbewohner sein würde. Ich würde anstrengend sein, mies gelaunt und ... Ich fürchtete mich vor mir selbst. Was war, wenn der alte Lukas wieder zum Vorschein kam? Andererseits hatte der schon damals bei Lukas keine Chancen gehabt irgendwie sich durchzubringen. Es würde sicher alles gut gehen. Weihnachten mit Lukas. Ich lächelte bei diesem Gedanken.
 

Es war das erste Mal , dass ich mich auf Weihnachten freute. Ein warmes Gefühl durchzog meinen Körper und löste mich aus meiner Gedankensperre. Ich machte mich daran, sofern es mir möglich war, Sachen zu packen. Zu meiner eigenen Überraschung hatte Lukas nicht nur das Notwendigste in irgendwelche Tüten gestopft, er hatte mir eine komplette Reisetasche mitgebracht. Ich stopfte alles recht achtlos hinein, schließlich wollte ich schnellsmöglich von hier weg, und musste dann erkennen, dass ich das Krankenhaus schlecht in meiner jetzigen Kluft verlassen konnte. Unter dem typischen Patientenkittel, den ich verkehrtherum trug, soass er vorne offen war, hatte ich ein schlichtes weißes Shirt an. Der Kittel wurde gegen einen Hoodie ersetzt. Probleme bereitet mir vielmehr die Tatsache, dass ich keine Hose trug. Um mal eben in der Kälte eine zu rauchen kein Problem, man war ja abgehärtet, aber so das Krankenhaus komplett verlassen?

Ich wühlte mich durch die von mir so lieblos in die Reisetasche gestopften Kleidungsstücke auf der Suche nach etwas Brauchbarem.
 

„Kann ich dir helfen?“ Ich erschrak und ließ mit einem Aufschrei die Tasche fallen. Gänsehaut überzog meinen Arm und Bilder, die ich lieber verdrängen würde, huschten durch meinen Kopf.

„Oh! Oh das tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken!“ Lukas kniete sich hin und sammelte die Tasche nebst herausgefallener Kleidungsstücke auf. Neben ihm lag ein kleiner Papierbeutel.

„Schon gut. Von hinten Anschleichen liegt mir noch nicht so. Was ist das?“ Er packte das Tütchen auf meine Tasche. „ Deine Medikamente für die nächsten Tage. Was hast du eben gesucht?“ Er lächelte entschuldigend zu mir auf. Ich spürte wieder die Wut in mir hochkommen. Er konnte nichts dafür. Sie richtete sich gegen Gideon, der meinen Umgang mit Lukas nun um so vieles erschwert hatte.

„Ne Hose oder so. Kann ja so schlecht raus.“ Ich deutete auf meine nackten Beine. Lukas lachte leise und tauchte mit den Händen in die Tasche ab.

„Kein Problem... Hier! Sie ist nicht sehr ansehnlich, aber da wir das eine Hosenbein eh aufschneiden müssen...“ Er hielt eine leicht ausgeblichene schwarze Jogginghose in die Luft und grinste.

„Steht dir sicher prima so ein bisschen Assilook!“ Er warf mir die Hose auf den Schoß.

„Los, aufgehts zum neuen Gips, wird Zeit, dass wir nach Hause kommen!“ Er lächelte enthusiatisch auf mich hinab als er mich ohne größere Gegenwehr aus dem sterilen Krankenhauszimmer schob. ‚Wir.‘ Ich musste schmunzeln. Dieses Wort löste nach all dem Erlebten beinahe kleine Schmetterlinge in meinem Bauch aus.
 

Das Problem wenn man Patient und nicht Arzt in einer Klinik ist: Man wartet Stunden! Also saßen wir in einem kleinen Wartezimmer der Orthopädie und warteten auf meinen neuen Gehgips. Lukas erzählte mir lächelnd, wie er seine Wohnung dekoriert hatte, was nicht alles wo hing und wo er sich zusammenreißen musste, es nicht zu übertreiben. Ich lächelte ihm immer wieder zu, verfolgte seine Worte aber weniger. Der Flashback eben saß mir immernoch im Nacken. Erinnerungsfetzen, die mich erschaudern ließen. Sie erinnerten mich schmerzlich daran, dass ich nun ein Opfer war. Mit diesen Gedanken kamen die Kopfschmerzen und ich rieb mir die Schläfen, soweit es ging.

„Alles okay? Hast du Kopfweh?“ Lukas beugte sich sofort besorgt zu mir herüber und schaute fragend. „Nein, geht schon. Dämliche Warterei nervt.“

„Ist sicher gleich vorbei“ Er lächelte kurz und schwieg dann. Offensichtlich nahm er meine schlechte Stimmung als Aufforderung zum Schweigen auf. Nun erfüllte nur noch das Gehuste eines anderen Patienten und das leise Knistern einer Zeitung beim Umblättern den Raum. Ich verfluchte mich sofort wieder, schließlich wollte Lukas mir sicherlich das Warten nur erleichtern und letztendlich kamen die Kopfschmerzen nicht durch ihn. Es war zum verrückt werden. In diesem Augenblick riefen sie meinen Namen auf. „ Ich warte hier“, sagte Lukas leise und lächelte. „Bis gleich.“

Ich zwang mich ihm ebenfalls zuzulächlen bevor ich mich im Rollstuhl Richtung Behandlungsraum schob.
 

Als ich wieder zum Warteraum kam, war mir unwohl. Ich hatte beim Gipswechsel den Zustand meines Schienbeins gesehen und war irgendwie froh, mich nicht an diesen mit Sicherheit schmerzhaften Moment erinnern zu können. Er war mir verloren gegangen wie so viele andere düstere Augenblicke mit Gideon in dieser Zeit. Ich holte tief Luft und tat den nächsten Schritt, konzentrierte mich nur auf die Bewegung. Auf zwei Gehhilfen kam ich nicht so problemlos voran wie im Rollstuhl. Es erforderte wesentlich mehr Kraft. Lukas blickte von einer Illustrierten zu mir auf und lächelte. „Soll ich dich nicht doch hochschieben? Du siehst blass aus.“ Ich schüttelte den Kopf. Es tat verdammt gut wieder aufrecht zu stehen, auch wenn es nur mit Hilfe ging. Diesen Luxus würde ich nicht hergeben. Er vermittelte mir das Gefühl wieder teilweise die Kontrolle über meinen Körper und somit mein Leben zu haben. Lukas legte die Zeitschrift beiseite und erhob sich.

„Dann holen wir mal deine Sachen, hm? Ich hoffe Joe ist schon da, er wollte mir helfen.“

„Wobei?“ Ich sah Lukas fragend an und er lächelte. „Na dich die Treppe hochzutragen, Dummerchen! Außerdem muss ich zu Hause noch ein paar Sachen vorbereiten, da kann er helfen.“ Er grinste breit. „Hab ihn mit Weihnachtsplätzchen bestochen!“ Sein vergnügtes Kichern ließ mich für einen Augenblick das Erlebte vergessen. In Lukas konnte ich mich verlieren. Mit Sicherheit war es eine gute Idee bei ihm zu sein bis alles ausgestanden war. Aber diese Lücke zwischen uns, als wir zu meinem Zimmer gingen, klaffte für mich wie das tiefste Tal. Ich fröstelte leicht. Es konnte einen schon wahnsinnig machen, wenn er einen so ansah, aber nicht berührte. Und wiedereinmal fragte ich mich, ob unsere Berührung jemals wieder das gleiche Gefühl wie früher auslösen würden, oder ob er mich einfach nie wieder berührt. Wenn letzteres zutraf, war die Spanne des Glücks für mich definitiv zu kurz gewesen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  ai-lila
2011-11-26T23:07:21+00:00 27.11.2011 00:07
Hi~~

Es gibt wirklich sehr wenige Geschichten, die ich so gebannt durchlese.
Mir fiel nicht mal auf, wie sehr ich mich in die Kapitel vergraben hatte... bis ich angesprochen wurde. Manno erschrecken ist blöd.

Alex hat mein tiefstes Mitgefühl.
Die Taten allein sind schon Grauenvoll genug... aber die ungerechte Vorverurteilung und das in Schubladen gesteckt werden, weil man nicht in die Norm paßt, ist einfach entwürdigend.
Meiner Meinung nach war es ein Fehler, sich Hilfe zu verweigern.
Auch wenn die Körperlichen Wunden nach einer gewissen Weile zu schmerzen aufhören, die Seele braucht auf alle fälle Hilfe.

Hoffe mal das Gideon eine halbwegs gerechte Strafe bekommt.
Die Gerichtsverhandlung wird sicher hart für Alex.
Lukas steht Alex hoffentlich zu Seite.

Das war wieder ein klasse Kapi.
Freue mich schon auf das Nächste.
lg deine ai


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