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Onones Kinder

von

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Die schwarze Wölfin

Die schwarze Wölfin
 

(20 Jahre zuvor)
 

Heftig trommelte der Regen auf das Dach des Hauses hernieder, der Wind peitschte die Äste der Weiden am See im heftigen Kampf hin und her. Der Donner grollte in der Ferne immer noch bedrohlich und einige schnelle Blitze durchzuckten den dunklen Nachthimmel und erleuchteten den kleinen Raum im inneren für den Bruchteil von Momenten. Die Kerzen im Zimmer waren schon seit geraumer Zeit erloschen, ebenso glühte das Feuer im Kamin nur noch wild auf und wehrte sich gegen sein erlöschen.

Eng umschlungen lagen die Silhouetten zweier Gestalten auf dem Bett in der Mitte des Raumes, tief versunken in der Wärme des anderen Körpers, tiefe Atemzüge waren zu vernehmen, suchende Hände die nicht wahrhaben mochten, dass es wirklich die Person war nach der man sich so lange verzehrt hatte, berührten warme von Schweiß überzogene Haut. In diesem Augenblick, auch wenn er noch so flüchtig sein mochte, war die Welt mit all ihren Entbehrungen und Schrecken so wie immer hätte sein sollen. Sanft umfing eine zitternde Hand die Wange der anderen Person, drehte diese in ihre Richtung und hauchte einen zarten Kuss auf ebenso zitternde Lippen.

„Sieh mich bitte an.“ Die Stimme war bestimmt aber in ihr lag eine ungeahnte Zärtlichkeit. Grüne Augen trafen sein Gegenüber und erneut verschlug es ihr die Sprache, wie einfach sie sich in diesen verlieren könnte. Augen, welche die Farbe von Bernstein besaßen, diesen kostbaren kleinen Steinen, welche man mit viel Glück an den Ufern des Sees finden konnte. „Du bist so wunderschön,“ hauchte es nah an ihrem Ohr und die feinen Härchen auf ihrem Nacken richteten sich auf, ein Schauder jagte ihren Rücken hinunter und sie erwiderte den nun fordernden Kuss. Sie hatte aufgehört die Tage zu zählen, wie lange sie sich nach dieser Nähe gesehnt hatte, hatte beinahe die Hoffnung aufgegeben, dass sie erneut in den Armen des Anderen liegen durfte. Viel zu viel Zeit war vergangen...

„Ich liebe dich, Ayesha.“ Tränen traten in ihre Augen, sie kämpfte gegen sie und doch wusste sie, dass sie den Kampf bereits verloren hatte, als die kleinen verräterischen Perlen ihre Wangen hinunter liefen und die Hand, welche immer noch ihr Gesicht an seinem Platz hielt, benetzten. Erneut spürte sie die bebenden Lippen der anderen auf ihren und sie ergab sich deren bittenden Verlagen. Sie spürte sanfte Hände die sie auf den anderen Körper zogen, Hände die in der Lage waren so unglaublich schreckliche Dinge zu vollbringen, doch bei ihr so sanft waren die Berührungen einer Sommerbrise. „Ryan“, ihre eigene Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und sie schaute in das so vertraute Gesicht. Ihr waren die Veränderungen in diesem nicht entgangen, auch hatte sie die neuen Narben auf dem Körper gespürt und sie mochte nicht daran denken wann und wie diese entstanden sein mochten. Langsam ließ sie den Blick an ihrem Gegenüber hinunter wandern, berührte jede Faser des anderen Körpers bis ihre Finger an einer kleinen Unebenheit nahe des Herzens stehen blieben. Sie vernahm wie der Atem der anderen Person kurz innehielt und sie fuhr vorsichtig über das dickere Gewebe. Ihre Augen suchten die der anderen und ihre Lippen berührten sanft die immer noch schmerzhafte Haut. Sie spürte wie die Hand von ihrer Wange sich in ihren schwarzen Haaren vergrub und ihr Gesicht sanft umfangen wurde. Erneut grollte der Donner in der Ferne auf, sie hörte die gesprochenen Worte, spürte wie sich die anfangs sanften Küsse in Verlangen wandelten. In diesem Moment wollte sie nicht daran denken, dass es sich womöglich nur um einen erneuten gestohlenen Augenblick handeln mochte. Nein, in diesem Moment war die Welt so wie sie immer hätte sein sollen...
 

Hoch erhoben sich die Stadtmauern von Kalmas gegen das scharfe Profil der Berge. Ragan wischte sich den Schweiß so gut es seine gebundenen Hände zulassen mochten aus der Stirn. Wie lange war er nicht mehr in dieser Stadt gewesen? Jahrzehnte war es her gewesen, dass er die mächtigen Tore und die Zitadelle der Stadt gesehen hatte. Sein Blick verlor sich in den Massen an Menschen, welche die Straßen säumten, sich an Ständen drängten und das Stimmgewirr ließ ihn schwindeln. Er war ein Mann des Waldes, der Berge und spürte wie sich seine Kehle immer enger zuschnürte. Seine Hand umfing den Knauf des Sattels und seine Augen ruhten auf dem jungen Mann vor ihm, der sein Pferd an dem seinen führte. Seit ihrer Unterhaltung in der jener Nacht hatte es Cale vermieden auch nur ein Wort mehr mit Ragen zu wechseln. Ragan ahnte warum der junge Mann versuchte jeden seiner Blicke zu meiden, hatte er ihn doch, wenn auch nur für kurze Zeit, hinter seine Maske blicken lassen. Eine Maske die sicherlich sein Überleben gewährleistete und doch war es Cale sichtlich unangenehm, dass der ältere Mann so gut über ihn Bescheid wusste. Während ihrer Reise waren Ragen so viele Kleinigkeiten an dem jüngeren aufgefallen die er so gut kannte. Die Art wie Cale einen Knoten knüpfte, wie er sprach, sich bewegte und mit seinem Kameraden lachte. Er war das Ebenbild seiner Mutter und doch sah er in vielen unüberlegten Gesten seine eigene Anführerin, welche er mit den Jahren zu verehren begonnen hatte. Ein zaghaftes Lächeln umspielte seine Lippen, doch er versuchte es so gut wie möglich zu verstecken, jetzt war nicht die Zeit dafür sich in Tagträumen zu verlieren. Er musste all seine Sinne zusammen nehmen, wenn er aus dieser Situation wieder heil heraus kommen wollte.

Langsam führte Cale und Eylon die Pferde durch die verwinkelten Gassen der Stadt. Immer näher kamen sie der Zitadelle, die sich hoch im Stadtkern erhob. Der goldene Turm glänzte im Sonnenlicht und das Wappen des neuen Hohen Rates wehte sacht im morgendlichen Wind. Ragans Miene verfinsterte sich, und ein leiser Fluch in seiner Heimatsprache entwich seinen Lippen. Cale drehte leicht seinen Kopf in seine Richtung, sagte jedoch nichts. Ragan war sich sicher, dass der junge Mann wusste was er und seines Gleichen von diesen Feiglingen hielten. „Wir sind gleich da,“ hörte Ragan die Stimme von Eylon hinter sich sprechen und er sah wie Cale leicht nickte. Tief amtete Ragan die bereits stickige Luft der Stadt ein, die Straße wand sich einen kleinen Hügel hinauf, die Hufe der Pferde scharrten hart auf dem steinigen Pflaster und kamen schließlich vor einem kleineren Tor, vor dem zwei Wachen positioniert waren zum stehen. Ragan glaubte in diesem Moment in den Augen einer der Wachen eine erstaunte Regung bemerkt zu haben.

Mein Ruf eilt mir wohl doch voraus , dachte er und richtete seinen Blick auf seine gefesselten Hände. Unsanft wurde er von seinem Pferd hinunter gezogen, und er blickte in Cales versteinertes Gesicht. „Na los, alter Mann. Rein mit dir ich hab heute noch so einiges vor und der Tag ist noch jung.“ Leise seufzte Ragan, wehrte sich jedoch nicht, als Eylon und Cale ihn zwischen sich nahmen und ihn in die Richtung des kleinen Tores schubsten. In der Tat, dachte er und konnte sich ein erneutes Lächeln nicht verkneifen. In der Tat würde an diesem Tag noch vieles passieren.
 

Schwer wiegte die Geldbörse in Cales Tasche, selbst nachdem er Eylon seinen Anteil ausgezahlt und Ragan mit den Wachen in den Kellern der Zitadelle verschwunden war, spürte er immer noch das Gewicht. Tief atmete er durch, um ihn herum erfüllte laute Musik das Wirtshaus und er schaute nachdenklich in seinen Krug. Schon seit Stunden saß er an einem kleinen Tisch in der hintersten Ecke und dennoch war es ihm nicht möglich ungestört seinen Gedanken nachzuhängen. Sobald sein Getränk im Begriff war zur neige zu gehen, wurde ein neuer Krug vor ihm abgestellt und jemand schlug ihm anerkennend auf die Schulter, dass er es gewesen war der den mächtigen Ragan, Stellvertreter der schwarzen Wölfin, endlich dingfest gemacht hatte. Eylon hatte die ganze Anerkennung mit gönnerhafte Miene über sich ergehen lassen und schlief nun direkt vor Cale zwischen seinen ganzen geleerten Krügen auf der Tischplatte. Cale lächelte schief, und nahm einen Schluck, in seinen Gedanken ermahnte er sich dem Wirt für ein Zimmer für Eylon zu bezahlen, damit er dort seinen Rausch ausschlafen konnte.

Müde fuhr sich Cale über die Augen, es war nicht das erste Mal gewesen, dass er jemanden den Wachen der Stadt übergeben hatte den er kannte und dafür mehr als gut bezahlt wurde. Manchmal kannte er diese Menschen nur flüchtig, aber dieses Mal war es jemand gewesen, der ihn bereits gekannt hatte, als er noch ein Junge war. Ein Kind so voller Zorn und Furcht dessen erster Instinkt es gewesen war jeden Menschen von sich wegzustoßen. Ragan war einer der wenigen Menschen gewesen, der sich darum bemüht hatte seinen Zorn stumm zu ertragen, da er gewusst hatte vorher dieser rührte. Wie lange war all das nur her? In einem anderen Leben, dachte Cale missmutig und lehnte sich leicht in seinem Stuhl zurück. Selten war es vorgekommen, dass sich Cale für das was er tat geschämt hatte, und dennoch saß er nun hier und seine Gedanken waren bei dem alten Mann.

Er wird nicht lange dort bleiben müssen, dachte er und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Krug. Ryan wird ihn schneller dort heraus holen als die anderen. Merkwürdig fremd klang dieser Name in seinen Gedanken, es war ein Name welchen er sich verboten hatte auszusprechen, selbst dann wenn es nur in seinen Gedanken war. Ryan, erneut hallte der Name in seinen Gedanken wieder und er verzog leicht sein Gesicht. Die schwarze Wölfin...

Das laute Stimmengewirr der Nachbartische und die drückende Luft aus Tabakrauch und unzähligen Menschen begann Cale die Luft abzuschnüren. Langsam richtete er sich auf, und bemerkte, dass seine Beine ihm zwar gehorchten aber sein Kopf sich von den vielen Krügen Bier unangenehm zu drehen begann. Erneut atmete er tief durch, spannte seinen Körper und bahnte sich den Weg in Richtung des Wirtes der hinter seiner Theke stand.

Fahrig suchte Cale in seinem Geldbeutel nach ein paar Münzen und legte diese auf die schwere hölzerne Theke. Zu seiner Verwunderung schob der Wirte ihm sein Geld wieder zurück und als er den erstaunten Blick in Cales Augen bemerkte beugte er sich leicht nach vorne. „Behaltet euer Geld, ist das mindeste für denjenigen der Ragan, den grauen Eber gefangen hat. Wieder einer weniger, was?“ Ein leises Lachen entfuhr Cale, doch er brachte seine Gesichtszüge schnell wieder unter Kontrolle und sengte seinen Blick zu einem dankenden Nicken. „Ja, wieder einer weniger“, stimmte er mit ein und Blickte in Richtung des Tisches. Eylon schlief immer noch friedlich in Mitten der Menschen. Er räusperte sich und winkte den Wirt erneut zu sich heran. „Könnte ich euch darum bitten, meinem Kameraden dort hinten ein Zimmer herzurichten, leider war er nicht im Stande eurem guten Bier lange zu widerstehen.“ Der Wirt lachte und nickte. „Gerne, Herr. Und für euch?“ Cale schüttelte nur verneinend seinen Kopf, er musste an die frische Luft und mochte keinen Moment länger in diesem Haus verbleiben als es nötig für ihn war.

Langsam bahnte er sich erneut den Weg durch den Menge, spürte ab und an wie eine Hand erneut anerkennend auf seine Schulter klopfte und betrunkene Stimmen ihm zu prosteten „Und das nächste Mal die schwarze Wölfin, Junge!“

Als die schwere Tür des Wirtshauses hinter ihm endlich ins Schloss fiel und Cale die saubere Luft in seine Lungen einsog fühlte er sich unglaublich erleichtert. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich die Meldung von Ragans Gefangenschaft so schnell verbreiten mochte. Er konnte nun nur vermuten, dass die Wachen ein sehr sorgsames Auge auf ihren neuen Gefangen haben würden. Vorsichtig wischte sich Cale einige verirrte Haarsträhnen aus der Stirn, er jetzt bemerkte er, wie lange er und Eylon in dem Wirtshaus gesessen hatten.

Die Sonne war schon weit über den Turm der Zitadelle gezogen, das Treiben auf den Straßen war bereits weniger geworden, und das sanfte Licht des Nachmittags machte Platz für einige wenige Schatten. Gedankenverloren begann Cale ziellos durch die Straßen der Stadt zu laufen. Er konnte sich nicht erklären, warum ihn der alte Mann immer noch so sehr beschäftigte. Die Begegnung mit seiner eigenen Vergangenheit und einem Leben, das er längst geglaubt hatte hinter sich gelassen zu haben, drückten in nieder als wären unzählige Gewichte auf seinem jungen Körper festgeschnürt. Er hasste das Gefühl, das selbst nach all diesen Jahren nur der Gedanke an einen einzigen Name dieser im Stande war eine so große Macht über ihn auszuüben.

Wie lange er bereits durch die Straßen der Stadt gelaufen sein mochte, konnte er nicht mehr sagen. Die Sonne war im Begriff hinter den Bergen zu versinken und der Dämmerung endlich Platz zu machen.

Erschöpft hielt Cale inne und lehnte seine erhitzte Stirn gegen die kühle Steinwand einer Seitenstraße, der kühle Stein half ihm seine immer noch rasenden Gedanken zu ordnen, und er war so in diese versunken gewesen, dass er die dunkle Gestalt welche ihm schon seit einiger Zeit gefolgt war bis jetzt nicht wahrgenommen hatte. Erst jetzt nahm er hinter sich eine rasche Bewegung war, und er war gerade noch im Stande dazu sich unter dem Schlag weg zu ducken, welcher ihn ansonsten mit Sicherheit von den Beinen geholt hätte. Angespannt wich Cale einige Schritte zurück, immer noch war sein Geist leicht von den vielen Getränken benebelt, und er verfluchte sich innerlich für seine eigene Torheit.

Sein Angreifer war gut einen Kopf kleiner als er, doch hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man einen Gegner niemals wegen dessen körperlichen Statur unterschätzen sollte. Er spürte wie sich seine Muskeln anspannten, und er wich dem gut platzierten Tritt mit einer schnellen Bewegung aus, im Gegenzug versuchte er einen ebenso gezielten Schlag seinem Gegner zu versetzen, doch dieser wich ihm mit Leichtigkeit aus. Schwer atmend ballte Cale seine Fäuste und schlug abermals in Richtung der vermummten Gestalt. Diese holte ihn jedoch mit einem gezielten Schwung von den Beinen und seine Nase kam in direkten Kontakt mit dem Knie seines Angreifers. Er fühlte einen stechenden Schmerz seine Nervenbahnen durchzucken und heiße Wut brannte in ihm. Er warf sich auf seinen Gegner, versuchte mit all seinem Geschick sein Gegenüber in eine Position zu bringen, die es ihm erlauben würde eine Oberhand zu gewinnen. Sein Ellenbogen wand sich um den fremden Hals und im nächsten Moment fühlte er wie seine Rippen unter der Wucht eines Schlages ächzten und ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Sein Kinn kam in Kontakt mit einem harten Schlag und er fiel rücklings auf das harte Pflaster der Straße.

Abwehrend hob er beide Hände und blickte endlich in das Gesicht seines Angreifers. Mit weit aufgerissenen Augen nahm er die Person vor sich wahr, erkannte die eisigen Augen welche nur durch einen Schimmer aus Blau durchzogen wurden. Er versuchte zu lächeln, doch der beißende Schmerz in seinen Rippen ließ ihn auf keuchen. In seinem Mund sammelte sich der metallene Geschmack von Blut und er spuckte dieses angewidert auf das Pflaster.

„Schön dich zu sehen, Naya“, sagte er, und hielt sich seine immer noch schmerzende Seite.
 

Auf leisen Sohlen schlich Ryan durch die Gänge der Zitadelle. Jeder Nerv in ihrem Körper vibrierte mit Anspannung, es war töricht hier zu sein, dass wusste sie, aber sie wusste auch das nur sie es sein durfte die ihren Freund aus seiner Lage befreien sollte. Unzählige solcher Missionen hatte sie an andere übertragen, hatte sie sich der Gefahr aussetzen lassen selbst gefangen genommen zu werden. Sie wusste, dass ihre Leute es mit Argwohn beäugt hätten, wenn sie auch dieses Mal im Schutz des Waldes verblieben wäre. Sie hätte ihr Gesicht verloren, und Ryan wusste wie wichtig der Glaube ihrer Leute in sie war.

Sie müssen einen Grund haben weiter zu mache, Ryan. Sie vertrauen uns ihr Leben an, niemals dürfen wir etwas verlangen, was wir nicht auch selbst fähig sind zu tun. Merk' dir das gut, ein guter Anführer ist einer von ihnen nicht jemand der über ihnen steht.

Ein leises Seufzen entfuhr Ryans Lippen, glasklar hallte die Stimme ihres Onkels in ihren Ohren, und sie war immer noch fasziniert, wie deutlich diese in ihrem Gedächtnis verankert war. Markos hatte sie wahrlich gut vorbereitet. Aus den unzähligen Räumen die den langen Flur säumten drangen die Geräusche von schlafenden Menschen an ihre Ohren, und sie lächelte zufrieden. Der Schlaftrunk im Essen der Wachen hatte also gewirkt und es war von großem Vorteil gewesen, dass die einzige womöglich immer noch loyale Person in dieser Stadt in der Küche der Zitadelle arbeitete. Sie hatte kein Blutvergießen gewollt, zu viel Blut war bereits vergossen worden. Viel zu viel...

Leise schlich Ryan weiter, Jahre des Trainings ließen sie über den steinernen Boden eilen wie ein Geist. Nur das leise Rascheln ihrer Kapuze war zu vernehmen und sie stieg über die umher liegenden Soldaten ohne einen Laut. Es kann nicht mehr weit sein, dachte sie und lugte vorsichtig um die Ecke.

Auch hier war der Flur gesäumt mit schlafenden Wachen, leise pirschte sie sich voran bis sie endlich an der letzten Tür angelangt war. Leise klopfte sie in einem ihr vertrauten Rhythmus gegen die hölzerne Tür und stieß ein Stoßgebet zu Onone, dass Ragan in dieser Zelle sein mochte.

„Onone, dein Segen sei uns stets gewiss.“ flüsterte Ragan die Parole und Ryan atmete geräuschvoll aus. „Ragan,“ flüsterte sie leise und hörte das sich jemand in der Zelle bewegte. „Ryan? Bist noch bei allen Sinnen. Was machst du hier?“ fragte Ragan, und Ryan hörte den tadelnden Unterton in seiner Stimme. Mit einer schnellen Bewegung holte Ryan den Dietrich aus ihrem Umhang und begann mit geschickten Fingern das Schloss zu öffnen. „Was soll ich hier wohl machen“, entgegnete sie spöttisch und fluchte leise als das Schloss immer noch nicht nachgeben wollte. „Aber wenn du lieber noch einen Tag hier bleiben willst, wäre jetzt eine gute Zeit es zu sagen.“

„Ist jetzt wirklich die Zeit für Scherze?“ hörte sie Ragans immer noch tadelnde Stimme und sie versuchte sich auf die Arbeit vor ihr zu konzentrieren. „Ich will wissen was in Ferons (*) Welt du hier machst!“

Endlich spürte Ryan wie das Schloss unter ihren Bemühungen nachgab und sie die schwere Tür öffnen konnte. Im fahlen Licht der Dämmerung fiel ihr Blick auf ihren alten Freund und sie ignorierte den wütenden Blick Ragans als sie ihn in ihre Arme zog und fest an sich drückte. „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist,“ wisperte sie leise und ein ehrliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Ragan erwiderte die feste Umarmung, sanft legte er seine Hand auf Ryans Wange, doch dann färbte sich sein Blick wieder mit Argwohn.

Er hatte geahnt, dass Ryan womöglich plante dieses Mal dabei zu sein, wenn einer der ihren befreit werden musste. Doch er hatte gehofft, sie würde in sicherer Entfernung auf ihn warten und sich nicht selbst in Gefahr bringen. Sie wäre nicht Markos Nichte, wenn sie nicht hier wäre, dachte er und gegen all seine Bemühungen lächelte er auf Ryan hinab. „Du weißt schon, dass das absolut unverantwortlich von dir ist, oder?“ fragte er schließlich und bemerkte wie Ryan sich zu ihrer vollen Größe aufrichtete und ihn musterte. „Und du weißt,“ begann sie flüsternd. „Das du erstens nichts anderes von mir erwartet hast, und zweitens war es meine Pflicht als Oberhaupt dich nachhause zu bringen. Und so sehr ich eine gute Lektion schätze, jetzt ist nicht wirklich die Zeit dafür, Ragan.“ Er nickte rasch und folgte Ryan ebenso leise wie möglich durch die Flure. Er bemerkte die schlafenden Wachen um sich und sein Blick bohrte sich in Ryans Rücken. „Sie schlafen,“ flüsterte sie leise. „Hast du etwa geglaubt ich hätte sie alle vergiftet? Zugegeben würde das sicherlich meinem Ruf gerecht werden, aber ein einfacher Schlaftrunk sollte sie für noch für ein paar Stunden unfähig machen.“ Anerkennend nickte Ragan, und sie durchquerten mit schnellen Schritten die Korridore. Immer tiefer drangen sie in die Zitadelle ein, und ein unangenehmer Geruch stieg in Ragans Nase und er rümpfte sie missmutig. „Die Abwasserkanäle?“ fragte er schließlich, als Ryan über einer schweren Bodenluke zum halten gekommen war. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Doch, ich selbst bin über die oberen Fenster hinein gekommen. Aber eine solche Kletterpartie kann ich dir in deinem Alter nicht mehr zumuten, das ist unser einziger Weg nach draußen.“ erklärte Ryan und machte sich an der schweren Bodenluke zu schaffen. „Ryan, Cale ist hier.“ Bei der Erwähnung dieses Namens, hielt Ryan kurz inne. Erinnerungen versuchten sich in ihr Gedächtnis einen Weg zu bahnen. Erinnerungen an in Streit gesprochene Worte, an eine Zeit in der sie noch geglaubt hatte, dass sich alles so fügen würde wie sie sich es immer gewünscht hätte. Erinnerungen an grüne Augen, welche seiner Mutter so gleich waren. „Ich weiß,“ flüsterte sie leise. „Aber um ihn müssen wir uns keine Sorgen machen, jemand anderes kümmert sich bereits um ihn, damit kein Verdacht auf ihn fallen kann.“ Ragan runzelte argwöhnisch seine Stirn und stellte dann die Frage, auf welche er bereits glaubte eine Antwort zu wissen. „Wer?“

Ryan antwortete nicht, sondern machte sich weiter an der Bodenluke zu schaffen, die endlich mit einem lauten Krachen nachgab. „Das kann nicht mehr wahr sein. Ausgerechnet die Kleine? Kaum bin ich ein paar Tage weg und schon werdet ihr alle wahnsinnig?“

„Ich nehme deine Beanstandungen zu unserem Plan gerne später entgegen,“ erwiderte Ryan und schwang sich auf die Leiter die in den schwarzen Schacht führte. „Aber jetzt müssen wir wirklich los.“

Sorgenvoll blickte Ragan Ryan nach, und als der faulige Gestank von Abwasser seine Nase erfüllte konnte er sich einen leisen Fluch nicht verkneifen. Tief amtete er ein, sammelte sich und folgte Ryan schließlich die schmale Leiter hinunter in die Schwärze. „Ich werde wahrlich zu alt für solche Abenteuer.“
 

„Du hast wirklich einen fiesen rechten Harken bekommen“, erklärte Cale und wischte sich erneut sein Blut aus den Mundwinkeln. Immer noch stand Naya stumm über ihm, starrte ihn an, und er erkannte das noch immer ihr gesamter Körper und Anspannung stand. Langsam ließ er seine Hände sinken und verharrte in seiner Position, es war ihm lieber im Unrat zu sitzen als sich einen erneuten Hieb einzufangen.

„Und du schlägst immer noch wie ein zehnjähriger.“ Fremd klang ihre Stimme in seinen Ohren, und er senkte leicht seinen Blick, wie vertraut war diese ihm vor Jahren gewesen...

Mit einer schnellen Handbewegung schlug Naya die Kapuze ihres Umhangs hinunter, und nur mit der größten Überwindung gelang es ihr ihren eigenen raschen Atem wieder zu normalisieren. Ungläubig starrte sie die Person vor sich an, wie vertraut war diese ihr gewesen und die bittere Erkenntnis überfiel sie, dass dieser Mann für sie wie ein Fremder war. All die Fragen welche sie so lange beschäftigt hatten waren wie fortgespült und alles was sie tun konnte war ihn anzustarren.

„Darf ich aufstehen?“ fragte Cale und als er nur ein kurzes Nicken als Antwort erhielt, rappelte er sich unter lautem Ächzen auf seine Füße. „War es wirklich nötig, mir fast eine Rippe zu brechen? Ein einfaches blaue Auge hätte glaube ich gereicht.“

„Nein, nötig war es nicht,“ erklärte Naya und wich kaum merklich einen Schritt zurück, als sich Cale an der Steinmauer abstützte. „Gut getan hat es trotzdem.“

„In Ordnung, ich sehe schon. Möglicherweise habe ich das verdient.“

„Möglicherweise?“ Ohne es zu wollen war Nayas Stimme lauter geworden und sie spürte, wie der Zorn wieder in ihr aufstieg den sie so lange in sich getragen hatte. „Möglicherweise hätte ich dir zusätzlich wohl auch lieber die Nase brechen sollen.“

Ein leises Lachen entfuhr Cales Kehle, doch er bereute es sofort als er den stechenden Schmerz in seiner Seite spürte. „Du wärst nicht die erste Frau, die mir das androht, Naya.“ Augenblicklich bereute Cale seine Worte, als feste Hände ihn gegen die Steinmauer schubsten und ihm erneut ein schmerzender Laut entronn. „Du hast uns einfach im Stich gelassen, uns alle!“

„Unter den Umständen war es das einzig richtige und du weißt das, du hättest ebenso wie ich gehandelt.“ Bohrend suchten blaue Augen die seinen, doch er vermied es ihnen zu begegnen.

„Du hast deine Familie...“

„Meine Familie ist schon seit langem tot,“ spie er ihr nun ebenso verächtlich entgegen und die Hände die ihn an seinem Platz gefangen gehalten hatten, lösten sich von seiner Weste.

„Du hast mich im Stich gelassen.“ In die eben noch so feste Stimme hatte sich ein leichtes Zittern geschlichen, und Cale blickte sein Gegenüber nun zum ersten Mal bewusst an. Naya Gesicht war wie versteinert und in ihren Augen lag Enttäuschung. Er bemerkte, dass ihre braunen Haare zu einem strammen Zopf geflochten waren, welcher sicherlich praktischer war als ihr früher offenes Haar. Wie gut kannte er noch das Gefühl ihrer Haare auf seinen Fingern. Sie rochen nach Sommerblumen...

„Und es vergeht kein Tag an dem ich das nicht bereue,“ flüsterte er schließlich und versuchte eine Hand Nayas mit der seinen zu umfangen, aber sie ließ diese Geste nicht zu. Stumm standen sie sich gegenüber, versuchten zu erkennen was in dem anderen vorgehen mochte, schließlich richtete sich Naya auf und hielt ihm ihre Handfläche entgegen. Cale seufzte leise und kramte in seiner Tasche nach seinem Geldbeutel. Sanft legte er ihr einige Goldstücke in die Hand und sie verstaute diese mit einer schnellen Bewegung in ihrer eigenen Tasche. Immer noch ein gutes Geschäft, dachte er und senkte abermals seinen Blick.

Über ihnen ertönten die schrillen Glocken der Zitadelle, und Naya schlug ihre Kapuze wieder über ihr Haar. Ofenbar waren einige Wachen doch wieder schneller zu Bewusstsein gekommen als sie dachten, sie murmelte ein schnelles Gebet zu Onone, dass Ryan und Ragan schon die Stadt verlassen hatten. Mit einem letzten Blick wandte sich Naya um, doch eine Hand umklammerte ihren Unterarm und hielt sie fest. „Es war schön dich wiederzusehen, Naya.“ Sanft war die Stimme von Cale geworden und sie atmete tief durch. „Gib Ty meinen Gruß, ich hoffe es geht ihm gut.“

„Ich weiß zwar nicht, ob er auf diesen Wert legt, aber ich werde es ausrichten.“ erklärte sie schnell und versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien.

„Ich hoffe wir sehen uns wieder...“

„Wenn es Onone will. Du weißt wo du uns findest, Cale.“ Mit einem Ruck löste sich Naya von ihm und eilte so schnell ihre Füße sie tragen konnten die Seitenstraße hinunter bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war.
 

* Feron: Gott der Dunkelheit.
 

© 2018 L. Petri


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wow, ich habe nun wirklich nicht mehr damit gerechnet diese Geschichte irgendwann weiter zu schreiben. Leider ist das Leben wirklich dazwischen gekommen...
Verlassen hat mich diese Geschichte aber nie, und in den letzten Monaten kam endlich die Muse zurück und auch die Zeit sich endlich wieder dem zu widmen, was mir soviel Freude macht. Dem Schreiben, ich hoffe sehr, dass das nicht nur eine kurze Angelegenheit war, weil ich selbst wissen will wie alles Enden soll. Ich habe zwar die letzten Jahre fleißig immer mal hier und da handschriftlich Entwürfe geschrieben, aber die müssen erst Mal alle in ein Konzept gebracht und der Weg muss neu angelegt werden. Alles was ich versprechen kann ist, dass ich diese Geschichte zu ende bringen werde. In erster Linie für mich, und sollte sich der eine oder andere über ein neues Kapitel freuen, dann ist es alle Mühe wert. Bis bald.... Komplett anzeigen

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