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Die weisse Rose

Eine Story über ein junges Mädchen
von

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Die weisse Rose

Mit kleinen und leichten Schritten lief sie durch den Wald. Ihr weisses Kleid war so lang, dass es den Boden berührte und ihre langen blonden Haare wehten im Wind. Sie lief immer nur gerade aus, blickte nie zur Seite, folgte stur ihrem Weg. Man könnte fast meinen, sie nahm ihre Umgebung gar nicht wahr, war wie weggetreten in eine andere Welt. Doch wer sie kannte, wusste, dass dies ganz normal und alltäglich war. Sie schloss sich vom Rest der Welt aus, wollte mit niemandem etwas zu tun haben und war stets gerne für sich alleine. Bekannt war sie unter dem Namen: Die weisse Rose.
 

Plötzlich bewegten sich Blätter und eine dunkle Gestalt huschte aus dem Gebüsch, direkt auf die junge Frau zu. Dann zuckte ein Schwert und die schwarze Gestalt lag am Boden. Das Schwert verschwand wieder und der Weg wurde fortgesetzt. Auf dem weissen Kleid jedoch blieben die Spuren. Blutrote Flecken prägten das Gewand. Dann plötzlich verschwand die weisse Rose mitten im Wald.

Kein Mensch hatte je herausgefunden, wo sie wohnt. Viele sind ihr schon gefolgt, doch jedes Mal verschwand sie vor ihren Augen. Sie galt als mysteriös und gefährlich. Viele fürchteten sich auch vor ihrem Schwert, dass sie so meisterhaft beherrschte. Alle redeten sie von der weissen Rose. Doch keiner wusste wirklich wer sie war.
 

Kiyoshi lebte in Sanjiang, ein kleines Dorf in Japan. Er war gerade erst 18 geworden und lebte noch bei seinen Eltern Hiroshi und Chiyoko Harunoki.

Es war ein schwüler Sommertag, als Kiyoshi mit seiner kleinen Schwester Hiroko im Wald spazieren ging. Hiroko war erst 6 und hielt ihren grossen Bruder ziemlich auf trapp. Wieder einmal war sie ihm davon gerannt. „Hiroko komm zurück, du weißt doch, dass du nicht davon laufen darfst“, schrie er nach ihr und versuchte sie zu finden. Da entdeckte er etwas. Im letzten Moment konnte er sich hinter einem Gebüsch verstecken. Als er hervorschielte, sah er es genau. Es war eine Frau in einem wunderschönen weissen Kleid und mit langen blonden Haaren. Und sie kam genau auf ihn zu. Er erschrak und wollte wegrennen. „Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten“, sprach sie leise „Ich tu dir nichts, solange du mir nichts tust. Deine kleine Schwester versteckt sich übrigens in dem Gebüsch dort drüben.“ Sie zeigte auf eine Stelle. „Wie, woher, wie kannst du wissen dass sie dort ist?“, stotterte er. „Frage nicht und sieh nach.“ Kiyoshi ging zu der Stelle, die sie angedeutet hatte und tatsächlich fand er Hiroko. „Hiroko, hier bist du also. Komm mit, ich hab dir doch gesagt du darfst nicht davonlaufen. Mach das bitte nicht noch mal, sonst erzähl ich’s deiner Mama.“ Hiroko folgte ihm still und brav. Als die beiden wieder zurück kamen war die Frau weg. Kiyoshi sah sich noch lange um, doch er entdeckte sie nicht. Sie war verschwunden.
 

„Glaub mir Papa, sie war wunderschön.“, meinte Kiyoshi zu seinem Vater. „Schön hin oder her, die Frau ist gefährlich. Ich möchte nicht dass ihr noch mal in den Wald geht, verstanden?“, antwortete sein Vater barsch. „Aber Papa, sie war richtig nett zu mir“, drängelte Kiyoshi weiter, „Und sie konnte mir sogar sagen wo sich Hiroko versteckt hatte, als sie abgehauen war, obwohl man durch das Gebüsch unmöglich etwas entdecken konnte.“ „Siehst du, da haben wir es. Sie kann sogar durch Gebüsche sehen, sie ist mysteriös und gefährlich. Halte dich in Zukunft von diesem Wald fern, hörst du?“ „Ja Papa“, gab Kiyoshi nach.
 

Für die weisse Rose sind normalerweise solche Begegnungen von keiner Bedeutung. Meist ist sie froh, wenn sie vorbei sind. Doch bei diesem Jungen war es nicht dasselbe. Er war der Erste, der nicht davongerannt war oder der sie nicht angreifen wollte. Was war das für ein Junge? War er denn nicht auch hinter ihr her, wie alle Andern? Wollte er sie denn nicht auch vernichten, wie es jeder in der Umgebung wollte? Es war das erste Mal, dass die weisse Rose nicht schlafen konnte. Sie dachte immerzu an diesen Jungen. Würde sie ihn wieder sehen? Oder war das ganze vielleicht nur Trug und schlussendlich wollte er doch ihren Tod? Erst als die Sonne über die Berge hervorkam, fielen ihr die Augen zu.
 

Kiyoshi hielt sein Versprechen nicht. Als er nach ein paar Tagen endlich die Möglichkeit hatte unbemerkt davonzuschleichen, ging er wieder in den Wald. Er konnte es nicht lassen, er musste sie wieder sehen. Er ging an dieselbe Stelle, an der er sie das letzte Mal gesehen hatte. Er blickte sich um, doch niemand war hier. Dann plötzlich entdeckte er sie weiter unten bei einer Lichtung. Er wollte gerade zu ihr laufen, als er etwas hörte. Er blieb stehen und im selben Moment fuhr eine Bestie aus dem Gebüsch und wollte ihn angreifen. Bevor er irgendetwas tun konnte, sah er ein Schwert aufblitzen und die Bestie lag vor seinen Füssen. Tot. Ihm stockte der Atem. Er sah auf und ein Stück vor ihm stand sie. Langsam steckte sie das blutverschmierte Schwert wieder zurück. Er machte einige Schritte zurück. Er konnte es kaum glauben, sie hatte ihm das Leben gerettet und dennoch verspürte er plötzlich eine Angst, eine Angst vor dieser Person. „Nein, bitte lauf nicht weg, lauf nicht weg wie alle Andern“, bat sie ihn und sah ihn an. Da erblickte er das erste Mal ihr Gesicht und staunte. Das war keine Frau, dass war ein Mädchen, wohl zwei drei Jahre jünger als er. „Bitte bleib und leiste mir Gesellschaft, ich bin immer so alleine in diesem Wald hier, keiner mag mich. Bitte bleib“, flehte sie ihn an. Er sah sie immer noch ganz erstaunt an, doch dann lächelte er scheu. „Ich leiste dir gerne Gesellschaft, aber lass uns von hier verschwinden, diese Bestie hier stinkt ja abscheulich.“ Sie nickte und ging mit ihm tiefer in den Wald hinein. Und sie lächelte. Dass erste Mal seid langer Zeit lächelte sie. Sie die weisse Rose.
 

„Wie heisst du?“, fragte Kiyoshi, nachdem sie sich auf einen Baumstamm gesetzt hatten, der am Boden lag. „Ich bin Yoko, aber ich habe gehört, dass ich von euch nur die weisse Rose genannt werde.“ „Ja, mein Vater nennt dich auch so. Vielleicht weil du so wunderschön bist, wie eine Rose.“ Yoko erschrak. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, entschuldigte sich Kiyoshi. „Nein nein, nur hat mir noch nie jemand etwas so nettes gesagt. Alle hassen mich und wollen nichts als mein Tod. Aber sag, wie heisst du?“ „Mein Name ist Kiyoshi, Harunoki Kiyoshi.“, stellte sich Kiyoshi vor und lächelte sie verlegen an. Sie war so hübsch und zart. Wie konnte so ein junges unschuldiges Mädchen so gehasst werden? Wieso verachteten sie alle? „Was machst du hier so alleine im Wald und wo wohnst du?“, fragte Kiyoshi neugierig. „Das, das kann ich dir nicht sagen. Ich habe Angst du könntest es weiter erzählen. Und dann würde man mich finden und mich töten.“ Sie blickte traurig zu Boden. Er konnte es nicht mit ansehen: „Ich will dir nichts tun, ich find dich nett und ich möchte dir helfen. Und ich glaube auch nicht daran, dass du böse und gefährlich bist, wie alle sagen.“ Sie zuckte zusammen bei den letzten Worten. Böse und gefährlich. So wurde sie also bezeichnet. Plötzlich stand sie auf. „Ich, ich muss gehen, tut mir leid. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann mal wieder. Es war mir eine Freude dich kennen zu lernen, Kiyoshi.“ Und schon verschwand sie im tiefen Wald. Weg war sie. Schon wieder war sie verschwunden. Und er wusste nicht mehr von ihr als ihr Name. Yoko. „Ein wunderschöner Name“, dachte er sich. Dann merkte er wie die Zeit vergangen war; blitzschnell stand er auf und rannte Richtung Dorf. Wenn sein Vater herausbekommen würde, dass er sie wieder getroffen hatte. Er musste sich beeilen.
 

Er lag noch lange wach in seinem Bett. Er dachte immerzu an sie. „Was sie wohl gerade macht?“ Irgendwann schlief er dann ein, träumte jedoch die ganze Nacht nur von ihr. Sie liess seine Gedanken nicht mehr los. Am nächsten Tag bei der Arbeit konnte er sich ebenfalls nicht konzentrieren. Ständig lief ihm etwas schief. Er war froh als er endlich Feierabend hatte. Er schlenderte langsam die Strasse entlang. Da hörte er weiter vorne einige Menschen laut rufen und schimpfen. Er sah auf und fragte sich, was da wohl los sei. Als er sich an der Menge vorbeigedrückt hatte, erkannte er die Person in der Mitte. Es war Yoko. „Lasst sie in Ruhe und verschwindet!“, schrie er und stellte sich vor sie, „Sie hat euch doch gar nichts getan, also hört auf über sie zu schimpfen.“ „Sie ist böse und gefährlich und sie will bestimmt das ganze Dorf vernichten“, wehrte sich ein Junge. „Nein, das will sie nicht! Sie ist nicht böse und gefährlich auch nicht! Kapiert ihr das denn nicht?!“, schrie er weiter, „Und jetzt haut endlich ab und lasst sie in Ruhe!“ Als Yoko endlich erkannte wer da vor ihr stand, hielt sie ihn am Arm fest: „Lass es, lass sie reden, ist schon in Ordnung ich bin mich das gewöhnt.“ „Aber, das kannst du dir doch nicht gefallen lassen!“, meinte Kiyoshi. Als sie merkte, dass er nicht locker liess, zog sie ihn mit sich von der Menge weg, weit hinein in den Wald, bis niemand mehr sie sah oder hörte. Kaum kamen sie zum Stillstand wollte Kiyoshi auch schon losreden, doch sie legte ihm den Finger auf die Lippen und er schwieg. Lange blieb es ruhig zwischen den Beiden und dann fing sie an ihm ihre Geschichte zu erzählen. Die Geschichte über ihr ganzes Leben und wer sie war.
 

„Ich mag mich nur noch schwach an meine Kindheit erinnern. Da war eine Frau, muss wohl meine Mutter gewesen sein. Sie nannte mich immer Yoko, also denke ich, dass dies mein Name ist. Ich glaube ich war ein ganz normales Baby. In der Zeit war auch alles noch normal. Ich lernte gehen, sprechen und wurde immer grösser. Ich ging sogar in den Kindergarten. Doch eines Tages ging diese Frau, also meine Mutter, mit mir in den Wald hier. Sie setzte mich auf den Waldboden und ging weg. Sie sagte mir ich solle brav dort sitzen bleiben. Was ich natürlich nicht tat, ich folgte ihr kurz darauf. Und dann musste ich mit ansehen, wie meine Mutter von drei schwarz gekleideten Männern getötet wurde. Seither lebe ich hier in diesem Wald. Dieses Schwert was ich immer bei mir habe, gehörte meiner Mutter. Sie trug es ebenfalls immer bei sich. Ich habe viel trainiert und mir viele aussergewöhnliche Dinge beigebracht, um hier überleben zu können. Deshalb konnte ich auch deine Schwester im Gebüsch erkennen. Manchmal komme ich in die Stadt, um alte Stoffe zu ergattern, damit ich mir neue Kleider nähen kann. Du fragst dich bestimmt, wieso noch niemand mein Zuhause gefunden hat. Mit den Jahren habe ich es so gut verstecken können, dass es nie jemand mit den Augen erkennen könnte. Die Menschen denken das sei Magie, ich sei eine Hexe oder so. Aber das bin ich nicht, ich mache das Alles um überleben zu können.“

„Wieso bist du damals nicht zurück in dein Dorf?“, fragte Kiyoshi nach einer kurzen Pause.

„Ich hatte, nachdem ich mit ansehen musste, wie meine eigene Mutter umgebracht wurde, einen solchen Hass auf die Menschen, dass ich nicht zurück konnte. Ich wollte nur noch für mich alleine sein. Für mich war eine Welt zusammen gebrochen. Und ich wusste, dass ich mein Leben hier verbringen möchte. Hier wo meine Mutter starb.“

Die Geschichte bedrückte Kiyoshi sehr. Doch wusste er nicht was er sagen sollte.

„Wieso gibst du dich dann jetzt mit mir ab? Ich bin doch auch ein anderer Mensch?“, fragte er schlussendlich.

„Als ich mich dann wieder in die Stadt getraute und ich auch wieder versuchte Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen, wollte mich niemand mehr. Und sie hassten mich immer mehr und mehr.“

„Ich hasse dich nicht und du tust mir leid, wie sie dich behandeln und was du erlebt hast. Ich möchte gerne ein Freund für dich sein“, bat Kiyoshi ihr an.

Sie strahlte und nickte dankend. Es mochte sie jemand und das machte sie glücklicher denn je.

Von da an trafen sie sich einmal in der Woche im Wald. Kiyoshi schaffte es jedes Mal, dass sein Vater nichts merkte. Sie redeten viel und Yoko lernte ihm sehr viel über den Wald und seine Wunder. Kiyoshi brachte ihr auch oft Dinge aus dem Dorf mit, die sie sich nie selbst besorgen hätte können. Er brachte ihr viele schöne weisse Stoffe mit und in jedem Kleid, dass sie sich nähte, sah sie noch viel schöner aus als im Letzten. Sie waren wirklich gute Freunde geworden und hatten keine Geheimnisse voreinander. Doch etwas verschwieg sie ihm. Yoko war krank. Sie hatte oft höllische Schmerzen im Unterleib. Doch sie konnte nichts dagegen machen. Gegen kleine Krankheiten hatte sie immer heilende Kräuter oder Ähnliches auf Lager. Aber gegen diese Krankheit fand sie nichts, das nützte. Für sie war klar, lange würde sie nicht mehr leben und ihre einzige Erlösung von diesen Qualen wäre der Tod. Vor einigen Wochen noch, hätte ihr der Tod nichts ausgemacht. Es mochte sie ja sowieso niemand. Doch jetzt war er da. Kiyoshi. Und das machte die Krankheit noch viel schlimmer. Weil ihr drohte, dass sie den einzigen Freund den sie hatte, verlieren würde.
 

Eines Tages kam Kiyoshi wieder in den Wald. Als er beim vereinbarten Treffpunkt ankam, merkte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Er begrüsste Yoko. Sie grüsste leise zurück. „Yoko, was ist den los? Du siehst so bedrückt aus?“, fragte er besorgt. „Nichts nichts“, meinte sie und sah zur Seite. „Yoko, ich weiss, dass etwas ist, also sag was ist los? Du kannst mir doch Alles anvertrauen“, drängte er weiter. „Komm mit, gehen wir ein Stück, dann erzähl ich es dir“, gab Yoko nach.

„Ich bin krank“, meinte sie nach einigen Minuten leise. „Was bist du?“ „Krank, Kiyoshi, krank. Und ich kann es nicht heilen.“ „Dann gehen wir sofort ins Dorf zu einem Arzt, der kann dir bestimmt helfen!“ „Nein Kiyoshi. Niemand kann mir mehr helfen.“ „Wir werden bestimmt jemanden finden! Und dann wirst du bald wieder gesund!“ Kiyoshi wollte es nicht verstehen. „Kiyoshi!“, schrie sie ihn jetzt an, „Verstehst du es denn nicht?! Ich bin krank und ich werde sterben! Es ist zu spät!“ Kiyoshi stand mit offenem Mund da und brachte kein Wort heraus. Yoko fing an zu weinen: „Tut mir leid, ich wollte dich nicht anbrüllen.“ Als er sich wieder gefasst hatte, nahm er sie in den Arm und tröstete sie: „Nein mir tut es leid, ich habe es nicht verstehen wollen. Aber es hat mich so schockiert. Yoko, ich will dich nicht verlieren. Du darfst nicht sterben, hörst du? Du darfst nicht!“ Sie weinte immer noch: „Es, es ist zu spät Kiyoshi.“ „Wie lange noch?“, fragte er traurig. „Ich weiss es nicht, die Schmerzen werden täglich schlimmer. Es kann Morgen schon sein, aber auch erst in einigen Wochen.“ Er drückte sie fest an sich und hätte am liebsten laut geschrieen. Die Welt war so ungerecht. Wieso genau sie? „Ich werde dich niemals im Stich lassen“, flüsterte Kiyoshi leise.
 

„Mum, kann ich mit dir reden?“, fragte Kiyoshi seine Mutter. „Natürlich mein Schatz, um was geht es denn?“ „Du weißt doch, von der weissen Rose. Und, dass ich sie getroffen habe.“ „Ja. Aber auf was willst du hinaus?“ „Ich habe sie die letzten Wochen wieder getroffen. Immer am Samstag.“ „Kiyoshi! Dein Vater hat es dir doch verboten!“ „Mum, ich konnte nicht anders, ich musste sie wieder sehen. Und sie ist ein total liebes und nettes Mädchen! Sie will niemandem etwas Böses!“ „Ein Mädchen?“, meinte die Mutter erstaunt, „Ich dachte, dass ist eine Frau?“ „Nein Mum, sie ist etwa zwei Jahre jünger als ich.“ „Oh.“ „Mum, ich will es nicht weiter verbergen vor dir und vor Papa.“ „Junge, du hast dich aber nicht verliebt in diese Hexe oder?“ „Mum! Das ist keine Hexe!“ „Klar, und wieso kann sie dann durch Büsche sehen und wieso findet niemand ihr Zuhause? Das ist Hexerei!“ „Nein ist es nicht! Sie hat sich das Alles selbst beigebracht um im Wald überleben zu können.“ „Ahja, und wieso lebt sie überhaupt in diesem Wald und nicht hier im Dorf?“ „Das ist eine Geschichte die ich dir nicht erzählen darf. Das ist ein Geheimnis zwischen uns beiden. Aber sie wäre gerne zurück ins Dorf gekommen. Nur konnte sie das nicht. Weil ihr sie alle verachtet!“ „Ja weil sie gefährlich ist!“ „Mum verstehst du es denn nicht? Sie ist nicht gefährlich, sie ist ein ganz normales Mädchen, das doch nur Liebe braucht und sie in euch nicht findet. Sondern nur Abschaum und Hass.“ „Hm, das stimmt schon, sehr nett sind wir zu ihr wirklich nicht.“ „Siehst du!“ „Aber wieso erzählst du mir das eigentlich Alles Kiyoshi?“ „Sie ist krank, todkrank“, meinte er und blickte traurig zu Boden. „Oh. Das arme Mädchen“, meinte die Mutter jetzt plötzlich voll Mitleid, „Kann man ihr denn nicht mehr helfen? Dr. Jong könnte doch bestimmt noch etwas machen.“ „Sie meint es sei zu spät.“ „Ach herrje, das arme Ding.“ „Mum, darf ich jeden Tag zu ihr? Ich möchte so viel Zeit wie möglich noch mit ihr verbringen. Bitte!“ „Nun, von mir aus darfst du das mein Schatz, aber ich weiss nicht was dein Vater davon hält.“ „Kannst du nicht mit ihm reden?“ „Ich kann es versuchen, aber du kennst ja deinen Vater. Wenn er etwas nicht will, dann kann man ihn schlecht umstimmen. Aber ich werde es versuchen. Und jetzt geh zu ihr. Bevor sie dich noch vermisst.“ Die Mutter lächelte. „Danke Mum!“, jauchzte er und umarmte seine Mutter. Danach rannte er auch schon los in den Wald zu Yoko.
 

„Yoko!“, schrie er durch den Wald, „Yoko, wo bist du?!“ Er suchte den halben Wald ab nach ihr, doch fand er sie nicht. Doch dann plötzlich stand sie vor ihm und er erschrak. „Huch, Yoko, wo kommst du so plötzlich her?“ „Tut mir leid, ich habe dich erst jetzt rufen gehört. Was machst du denn hier? Ich dachte du kommst erst Samstag?“ „Nein, ich darf von jetzt an jeden Tag kommen“, erzählte er strahlend, „Ich habe es meiner Mutter erzählt und sie war einverstanden. Und sie redet jetzt mit meinem Vater. Ich hoffe er akzeptiert es auch. Ist das nicht toll?“ Sie lächelte leicht. „Doch das ist schön. Ich freu mich, wenn du da bist.“ „Und irgendwann werde ich sie fragen, ob ich dich zu uns nach Hause nehmen darf und dann wohnst du bei mir und alles wird gut.“ „Nein Kiyoshi, dass möchte ich nicht. Ich möchte hier bleiben.“ „Keine Sorge ich werde dich schon vor den Anderen beschützen. Jeder der dir was antun will, bekommt es mit mir zu tun!“ „Nein, dass ist es nicht. Ich möchte einfach nicht ins Dorf, jetzt wo ich weiss, dass ich sowieso nicht mehr lange zu leben habe. Ich möchte hier sterben.“ „Yoko hör auf, rede nicht vom sterben. Du darfst nicht daran denken.“ „Tut mir leid“, entschuldigte sie sich.
 

Sie verbrachten viele schöne Abende und Tage miteinander. Doch Yoko ging es von Tag zu Tag schlechter. Manchmal konnte sie kaum gehen vor Schmerz. Irgendwann entschied sich Kiyoshi, dass er etwas ändern musste, er konnte nicht mit ansehen wie es ihr immer schlechter ging. Er beschloss, seine Eltern zu bitten, dass sie zu ihm kommen konnte, auch wenn sie das nicht wollte. Er wollte doch, dass sie glücklich sterben konnte, wenn schon nichts mehr zu machen war. Also ging er zu seinen Eltern und sie waren nach einigen Erklärungen und einer kleinen Auseinandersetzung dann auch einverstanden. Kiyoshi machte sich sofort auf den Weg in den Wald, um Yoko die frohe Botschaft zu erzählen.
 

„Hey Yoko“, begrüsste er sie fröhlich und umarmte sie, „Ich habe meine Eltern gefragt ob du bei uns wohnen darfst. Ich möchte, dass du mit mir ins Dorf kommst. Ich kann es nicht mit ansehen wie es dir immer schlechter geht. Ich möchte dich bei mir haben und dann werden wir auch zu einem Arzt gehen, der kann dir vielleicht wenigstens Mittel gegen deine Schmerzen geben.“ Yoko war ganz überrumpelt von der Nachricht: „Aber, aber ich will nicht.“ „Bitte Yoko, bitte komm mit mir.“, bettelte er. „Nein Kiyoshi, ich kann nicht, meine Krankheit hat wohl schon das Endstadium erreicht. Ich kann kaum gehen. Habe es fast nicht bis hier hin zum Treffpunkt geschafft.“ „Yoko.“ Er sah sie traurig an. „Kiyoshi sei nicht traurig. Du wirst ein schönes Leben haben, auch ohne mich.“ „Nein! Ich werde dich vermissen! Und dich niemals vergessen!“ Sie lächelte, verzog aber gleich das Gesicht vor Schmerz. „Kiyoshi“, stöhnte sie, „Machst du mir einen Gefallen?“ „Natürlich, alles was du willst Yoko.“ „Hier in der Nähe ist doch ein Hügel, von dem man abends wunderbar den Sonnenuntergang sieht oder?“ „Ja, der Hynjin Hügel.“ „Ich war noch nie dort. Bringst du mich dort hin? Um selbst hin zu gehen bin ich leider zu schwach.“ „Yoko, was hältst du davon. Morgen Abend kurz vor Sonnenuntergang hole ich dich ab und bring dich dorthin und dann bleiben wir die ganze Nacht dort und sehen uns am Morgen den Sonnenaufgang an. Ich bring auch noch eine Decke mit damit wir nicht frieren.“ Yoko strahlte: „Danke, dass ist eine wunderbare Idee.“
 

Am nächsten Tag holte Kiyoshi sie wie vereinbart ab. Seine Eltern waren einverstanden, dass er die ganze Nacht dort blieb, aber sehr glücklich waren sie darüber natürlich nicht. „Hallo Yoko“, lächelte er sie an, „Komm steig auf meinen Rücken, ich trage dich.“ Er kniete sich auf den Boden. „Aber, magst du mich denn tragen?“ „Frag nicht, steig auf. Natürlich mag ich dich tragen. So weit wie du willst.“ Sie stieg auf und hielt sich an ihm fest. Er sah sie kurz an und dann lief er los. „Bin ich dir auch nicht zu schwer?“, fragte sie nach einer Weile besorgt. „Nein, bist du nicht. Und ich trage dich gerne“, antwortete er, „Ausserdem sind wir ja bald da. Ist nicht sehr weit von hier.“ Und schon bald sahen sie tatsächlich den Hügel. Er stieg langsam mit ihr hinauf. Oben angekommen, wollte er sie erst nicht runter lassen. „Du darfst mich übrigens jetzt runter lassen“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Oh ja stimmt. Ich habe mich gerade so daran gewöhnt, dich zu tragen“, lächelte er und liess sie sanft auf den Boden gleiten. Die Sonne fing schon an unter zu gehen. Kiyoshi breitete eine Decke auf dem Boden aus und forderte Yoko auf sich hinzusetzen. Er selbst setzte sich neben sie. „Danke, dass du mich hergebracht hast Kiyoshi“, unterbrach Yoko die Stille. „Ach, dass ist doch selbstverständlich und es ist ja wirklich schön hier oben. Und ich bin gerne mit dir hier.“ „Ja, es ist schön dass du da bist.“ „Schau, die Sonne geht schon unter“, lenkte Kiyoshi vom Thema ab. Yoko blickte zur Sonne und sie lächelte. Kiyoshi sah sie an. Sie sah irgendwie glücklich aus. Die Sonne spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. Kiyoshi war wie hypnotisiert von ihrer Schönheit. „Kiyoshi“, holte ihn Yoko aus seinem Bann, „Kiyoshi was siehst du mich denn so an?“ Kiyoshi blickte sofort zur Seite und lief rot an. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung Kiyoshi?“, fragte Yoko. Er schüttelte nur den Kopf.
 

„Weißt du was Yoko bedeutet?“, fragte Kiyoshi, nachdem die Sonne untergegangen war und sie sich hingelegt hatten. „Nein.“ „Ich habe es nachgelesen. Der Name bedeutet Sonnenkind.“ „Oh. Eine schöne Bedeutung. Die passt aber nicht zu mir.“ „Doch ich finde schon. Du bist wunderschön so wie die Sonne.“ Yoko sah verlegen weg. „Und weißt du auch was Kiyoshi bedeutet?“, lenkte sie ab. „Hm, ja ist aber eine blöde Bedeutung. Kiyoshi bedeutet rein oder auch reinigen.“ Sie lächelte. „Ach wo, das passt doch auch zu dir. Du hast ein reines Herz und hast meine Tränen gereinigt.“ „Und ich glaub du solltest mal deine Hand reinigen, da krabbelt gerade ein Käfer darauf rum“, meinte Kiyoshi und zeigte auf ihre Hand. Sie kreischte und schüttelte den Käfer weg. Kiyoshi lachte. Yoko kniff ihn in die Seite. Schlussendlich lachten sie aber beide. Sie erzählten sich viele Geschichten und lachten viel, bis ihnen irgendwann vor Müdigkeit die Augen zufielen.
 

„Kiyoshi“, flüsterte Yoko, „Kiyoshi wach auf.“ Er wachte langsam auf und blickte in ihre tiefblauen Augen. Sie lächelte: „Die Sonne geht gleich auf.“ „Die Sonne ist für mich schon aufgegangen, weil ich dich gesehen hab“, meinte Kiyoshi leise und grinste sie an. „Kaum aufgewacht, schon solche Witze auf Lager.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das war kein Witz!“, protestierte er. Sie drehte sich auf den Rücken und sah in den Himmel. Plötzlich wurde sie traurig. „Was ist los Yoko?“, fragte Kiyoshi als er das bemerkte. „Bald werde ich da oben sein, im Himmel.“ „Yoko, denk nicht daran und geniesse den Tag. Ich hoffe doch es gefällt dir hier.“ „Ja natürlich gefällt es mir hier, es ist wunderschön und ich würde am liebsten nie mehr weg von hier.“ „Na also, dann denk nicht weiter daran.“ „Du hast Recht, ich sollte es geniessen solange ich noch kann.“ Dann sahen sie sich gemeinsam den Sonnenaufgang an.
 

„Ich muss leider bald wieder gehen“, meinte Kiyoshi als es schon Richtung Mittag ging, „Meine Eltern meinten ich solle nach Hause kommen um die Mittagszeit.“ „Das ist schon in Ordnung“, sagte Yoko verständnisvoll. „Ich bring dich aber vorher noch nach Hause.“ Sie sah ihn an. Und er blickte fragend zurück. „Danke“, meinte sie dann nach einer Weile. „Danke für was?“, fragte Kiyoshi. „Danke für den wunderschönen Abend, die wunderschöne Nacht und den wunderschönen Morgen“, antwortete sie, „Danke für Alles.“ „Du brauchst nicht zu danken, dass ist selbstverständlich und ich fand es auch wunderschön mit dir.“ Danach räumten sie ihre Sachen zusammen und Kiyoshi trug sie wieder nach Hause. „Ich komme heute Abend wieder, wenn es dir recht ist“, verabschiedete sich Kiyoshi, „Ich komm hierher.“ „Ich werde da sein“, meinte Yoko und winkte ihm nach als er davonging.
 

„Ich habe noch eine letzte Bitte an dich Kiyoshi“, meinte Yoko, als er am Abend wieder bei ihr war. „Ja?“, fragte Kiyoshi. „Nimm mein Schwert.“ Sie streckte ihm das Schwert entgegen. Er nahm es und fragte: „Was soll ich damit denn?“ „Ich hatte heute Nachmittag wieder schlimme Schmerzen. Ich halt es fast nicht mehr aus. Und jetzt möchte ich von dir, dass du all dem ein Ende setzt.“ „Wie meinst du das?“ „Ich möchte von dir, dass du dieses Schwert nimmst und es mir in mein Herz rammst.“ „Yoko!“, unterbrach er sie, „Das kann ich nicht tun. Niemals!“ „Bitte Kiyoshi. Es kann so nicht weiter gehen. Ich halte die Schmerzen nicht mehr aus. Es ist das Beste so. Bitte mach es.“ „Nein, nein, nein“, schüttelte Kiyoshi den Kopf und fing an zu weinen, „Ich kann das nicht tun.“ „Bitte tu es für mich.“ „Nein! Ich kann dich doch nicht umbringen!“ „Du bringst mich doch nicht um, du erlöst mich nur von meinen Qualen.“ „Trotzdem, ich kann das nicht!“ Er schluchzte. Wie konnte sie nur so etwas von ihm verlangen. „Kiyoshi“, sie legte ihre Hände auf seine Schultern, „Sieh mich an und hör auf zu weinen.“ Er hob langsam den Kopf und sah sie mit Tränen überfüllten Augen an. „Ich weiss es ist eine schwere Aufgabe, aber ich möchte so sehr, dass du es machst. Das ist mein letzter Wille, mein letzter Wunsch. Bitte erfüll ihn mir. Die Zeit mit dir war wunderschön. Du bist ein ganz besonderer Mensch und ich hab dich sehr lieb gewonnen. Ich hätte nie gedacht, dass mir ein Mensch einst so wichtig sein kann. Ich möchte nicht, dass du mich weiter leiden sehen musst. Dein Leben wird weitergehen, du wirst neue gute Freunde finden, mit denen du dein Leben teilen kannst. Du wirst bestimmt glücklich.“ „Ich will mein Leben aber mit dir teilen, mit niemandem sonst!“, rief er aus. „Das geht leider nicht. Aber ich werde immer auf dich hinab sehen und auf dich aufpassen von da oben.“ Sie zeigte in den Himmel. „Ich werde immer bei dir sein in deinem Herzen. Bitte mach es für mich. Bitte.“ Er schluchzte noch mal und umarmte sie: „Ich werde dich niemals vergessen.“ „Ich dich auch nicht.“ „Nun gut, ich mache es. Auch wenn nur ungern und ich weiss nicht ob ich es schaffe. Aber ich versuche es. Für dich.“ Sie lächelte: „Danke Kiyoshi. Danke.“ Dann nahm sie seine Hand und ging mit ihm zu einer Stelle im Wald. „Hier wurde meine Mutter umgebracht und hier möchte ich sterben.“ Sie sah ihn an. Er sah verängstigt zurück. Er hatte Angst, er würde gleich einen Menschen umbringen müssen. Sie kam auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Mach dir keine Sorgen, ich werde in Frieden ruhen. Es ist das Richtige was wir tun.“ Dann umarmten sie sich das letzte Mal. Danach legte sich Yoko auf den Boden und schloss die Augen. Kurz darauf, hörte man zwei Schreie und sah Blut spritzen. Es waren die Schreie von Yoko und Kiyoshi. Er schrie mit ihr. Er litt mit ihr. Doch nur sie starb. Vor seinen Augen.



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