Der Neue
Kouji legte seine ausgestreckte Hand auf die Taille des anderen. Er wusste nicht mehr, wie lange sie schon zusammen auf seinem Bett lagen… Zu lange für seinen Geschmack, darum stand er missmutig auf.
„Was is’ na los?“, murmelte der andere aus seinen süßen Träumen gerissen.
„Verpiss dich“, antwortete der Schwarzhaarige schlicht, während er sich seine Zigarette anzündete. Ein entsetztes Augenpaar schnellte zu ihm hoch.
„Aber…“
Oh je… Nicht wieder diese Masche.
„… ich dachte du liebst mich.“, hauchte das kleine Häufchen Elend auf seinem Bett.
Kouji verdrehte die Augen. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand von Liebe redete, sobald sich einmal das eine Glied in den Hintern des anderen verirrt hatte.
„Träum weiter“, sagte Kouji und zog einmal kräftig an seiner Zigarette. Vor seiner Nase prasselten kleine Regentropfen gegen die beschlagene Fensterscheibe. Es hasste beschlagenes Glas.
„Hast du mich deswegen nie geküsst?“ seufzte der Andere resigniert.
Ein unschuldiges Engelslächeln huschte über Koujis rote Lippen. „Ich küsse nie. Küssen ist was für Liebende. Ich will Sex.“
***
Es war ein zum Gähnen müder Schultag. In den hinteren Reihen murmelten die Klassenchaoten etwas von ‚Wasserbomben‘ und ‚mächtig viel Spaß‘. Kouji verdrehte innerlich die Augen. Äußerlich warf er seinem Lehrer einen charmanten Blick zu, der so viel hieß wie ‚Ich passe auf. Ich bin ein Streber… also gib mir gute Noten’. Auf diese Weise hatten ihm seine engelsblauen Augen schon seit der ersten Klasse zu einer steilen Schulkarriere verholfen.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Der durchgehende Blickkontakt zwischen Schüler und Lehrer wurde unterbrochen. Für einen kurzen Augenblick, in dem Niemand hinschaute, hätte man die totale Genervtheit auf dem ach so lieben Gesicht sehen können.
„Das ist Takuya.“ Meldete sich eine glatte Frauenstimme hinter der offenen Tür. Kouji erkannte sie sofort. Die junge Sekretärin des Direktors war eine seiner ersten Frauen im Bett gewesen und auch der Grund, dass sein Strafregister bis heute leer war. Zumindest offiziell. Er musste sich selber eingestehen, dass sich die Nächte dafür gelohnt hatten. Und so übel war das kleine Mäuschen auch gar nicht… Mal abgesehen davon, dass sie blond, blauäugig und mehr als blöd war!
„Ach, sehr schön!“ begrüßte der Lehrer den Jungen hinter der Tür. Kouji setzte wieder seinen unschuldigen Blick auf. Hinter dem Holzrahmen erschien ein brauner, strubbeliger Kopf. Sehr schon. Das Ding war männlich und gut aussehend. Er schloss mit seinem Ego eine Wette ab, wie lange er brauchen würde um das Objekt vor seiner Nase ins Bett zu kriegen, um ihn dann das Herz zu brechen… Zwei Tage? Naja… Takuya schien auch nicht mit der rosa Brille durchs Leben zu gehen… Er sah eher so aus, wie sich Kouji in seiner Freizeit anzog. (In der Schule pflegte er einen guten Stil, wenn man das so nennen durfte)
„Du kannst dich neben Kouji setzten.“ Erstaunt sah der Schwarzhaarige auf. War das Begrüßungsritual denn schon vorbei? Egal… hm… Entscheidung? … drei Tage! Höchstens.
Der große Junge setzte sich auf den freien Platz neben Kouji und legte seine olivgrüne Parkerjacke über den Stuhl.
„Hallo, Süßer.“, begrüßte er Kouji freundlich.
Huch, das ging ja schneller, als es dieser erwartet hatte. Vielleicht sollte er doch noch auf zwei Tage runterwetten…
Es kam keine Antwort, nur ein selbstgefälliges Grinsen zurück. Er musste seine Würde bewahren… Vor allem in der Schule. Der brauhaarige Junge legte Bleistift, Schulmappen und Schlampermäppchen alles fein säuberlich auf den Tisch. Dabei hatte er eine elegante Grazie vorzuweisen, die Kouji auf beunruhigende Weise sehr bekannt vorkam.
Der Matheunterricht nahm seinen Lauf. Als es darum ging, Schüler an die Tafel zu nehmen, um sie anrechnen zu lassen, warf der Lehrer einen prüfenden Blick in die Klasse. Dieser blieb an Kouji hängen. Einen Augenblick später stand der Junge selbstsicher vorne und rechnete in Windeseile eine Funktion vor. Er war eben gut in Mathe, das musste man ihm lassen.
„Sehr gut. Etwas anderes habe ich auch nicht erwartet.“
Noch während sich der Schwarzhaarige wieder setzte, grinste der Lehrer sehr schelmisch zu Takuya herüber. Er liebte es, seine Schüler grausam zu testen und noch viel mehr, sie danach fertig zu machen. „Zeig du uns doch mal, was du kannst.“, hauchte er fies durch die spröden Lippen.
Takuya stand im selben Moment auf, in den Kouji sich auf den Stuhl fallen ließ. Innerlich grinsten sowohl er als auch der Lehrer. Kouji sah interessiert zu, wie sich der Neue blamieren würde. So soft, wie er erschien, würde er bestimmt hinterher zum Heulen aufgelegt sein…
Der Lehrer schrieb bereits eine wesentlich komplizierte Gleichung an die Tafel.
„Rechnen.“, sagte er knapp. Kouji erkannte das alte Spiel, dass er mit Mühen bestanden hatte. Diese erste Prüfung zählte für den Lehrer. Er stufte seine Schüler immer nach dem ersten Eindruck ein.
Takuya nahm sich ein Stück weiße Kreide und begutachtete die Zahlen etwas verunsichert.
„Was ist?“, fragte der Lehrer bereits triumphieren. „Hat diese Schule ein anders Niveau als deine? Wo ist das Problem?“
Takuya setzte die Kreide an und schrieb L= (x4; 5) auf. Dann drehte er sich fragend zum Lehrer hin.
„Richtig?“ fragte er matt.
Stille.
Noch mehr Stille.
Das. War. Nicht. Gut. Nein, das war gar nicht gut! Kouji, dein Lieblingsschülerbonus gerät gerade in Gefahr!
