Zum Inhalt der Seite

Das Mädchen und der Drache

ein Wintermärchen
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das Mädchen und der Drache

von Patrik Kampmann

ein "allgäuer" "Winter"märchen

veröffentlicht in der Anthologie: "Wintermrächen aus dem Allgäu" im Ursus Verlag Hindelang - Winter 2005
 

Es lebten einmal vor langer, langer Zeit ein Bauer mit seiner Frau und ihren drei Töchtern auf ihrem Hof in den Bergen. Zwar gaben die Felder in dieser Gegend nicht viel her, aber es reichte der Familie zum Leben.

So lebten sie Jahr um Jahr, bis es eines Tages im Herbst wieder einmal an die Ernte ging. Da es nun aber im vorangegangenen Jahr viel geregnet hatte fiel die Ernte sehr gering aus. Der Bauer und seine Frau berieten, was zu tun sei, da sie nicht wussten ob die Vorräte für den bevorstehenden Winter reichen würden. Schließlich beschlossen sie vorerst abzuwarten und sparsam mit den Vorräten umzugehen.

So gingen einige Monate ins Land und ihre Vorräte schwanden. Zwar ging der Bauer jeden Tag mit seiner ältesten Tochter in den Wald um Beeren, Pilze und Nüsse zu sammeln, aber schon bald fanden sie kaum noch Essbares. Obendrein fiel eines Tages auch noch der erste Schnee.

Wieder berieten der Bauer und seine Frau und kamen zu dem Schluss, dass sie es nicht schaffen würden ihre ganze Familie über den Winter zu bringen. Die einzige Möglichkeit bestand darin, ein Familienmitglied hinunter ins Tal in die Stadt zu schicken, damit es sich dort verdingen konnte.

Zuerst wollte der Bauer selbst gehen, doch er musste einsehen, dass seine Familie ihn im Winter beim Holzhacken und im Frühjahr beim Pflanzen brauchen würde, und er deshalb nicht gehen konnte. Auch die Bauerin konnte den beschwerlichen Weg durch den Schnee hinunter ins Tal mit ihrer jüngsten Tochter nicht wagen. So blieb ihnen einzig die Wahl, ihre älteste Tochter, Karin, die gerade vierzehn geworden war, so schwer es ihnen auch fiel, mit einem Beutel voll Brot und einer dicken Felljacke hinunter zu schicken.

Karin machte sich auf den Weg durch die dünne Schneedecke hinunter ins Tal. Als es jedoch Abend wurde, setzte ein heftiger Schneesturm ein. Schon nach kurzer Zeit verließ sie den Pfad durch den Wald um sich nach einem Unterschlupf umzusehen, der ihr Schutz vor dem Wind und der Kälte bieten würde, und in dem sie die Nacht verbringen könnte. Als sie bereits eine Weile durch das Schneetreiben geirrt war, fand Karin schließlich eine Höhle, die ein Stück in den Berg zu führen schien. Wie weit genau, konnte man vom Eingang aus nicht erkennen, da der Gang nach wenigen Metern abbog. Glücklich solch ein Versteck gefunden zu haben machte sich Karin daran die Höhle zu erkunden und sich eine Nische zum schlafen zu suchen. Noch während sie in die Höhle hineinlief hielt Karin plötzlich inne und lauschte. Ihr war so, als ob sie ein Husten und Keuchen aus dem Innern der Höhle gehört hätte. Doch nun war nichts mehr zu hören. Zaghaft machte sie ein paar Schritte weiter hinein, bis sie an der Stelle stand, an der die Höhle einen Knick machte. Noch einmal lauschte sie hinein, und wieder war ein Husten von irgendwo hinter der Ecke zu hören. Nun nahm Karin all ihren Mut zusammen und fragte laut:

„Hallo? Ist da jemand?“

Nach einem erneuten Husten und Röcheln antwortete ihr eine heiser krächzende Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war:

„Hallo, Mädchen! Komm doch he...“ , die Stimme brach ab und erneut war ein Husten zu vernehmen. Karin wartete etwas, bis die Stimme wieder zu ihr sprach:

„Komm doch herein! Aber bitte erschrick nicht. Ich tu dir nichts.“

Zwar machten diese Worte Karin etwas unsicher, aber trotzdem trat sie mutig einen Schritt nach vorne und sah sich in der Höhle um. Zuerst konnte sie kaum etwas erkennen, aber langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Sie sah nun, dass der Gang hier in einer kaum größeren und nur wenige Meter tiefen Kammer endete. Darin lag etwas am Boden, das für Karin wie ein großes, zusammengerolltes Krokodil aussah, wie sie es schon einmal in einem alten Bilderbuch gesehen hatte. Der längliche Kopf lag schlaff auf dem Boden und das Wesen sah Karin aus matt glänzenden Augen an. Außerdem hatte es etwas, dass für Karin aussah wie ein paar Flügel, die an seiner Seite gefaltet waren.

Trotz seiner Warnung erschrak Karin und wich ein Stück zurück, bis sie an der Wand der Höhle stand. Nun ertönte wieder die Stimme, die diesmal aber weicher und freundlicher klang:

„Hab bitte keine Angst Mädchen.“

Bei diesen Worten öffnete und schloss sich das Maul des Wesens etwas.

„Wer oder was bist du?“, fragte Karin, die nun tatsächlich etwas weniger Angst hatte, neugierig.

Das Wesen antwortete:

„Ich bin ein Drache.“

„Ein Drache? Wirklich?“, staunte Karin.

„Meine Mutter hat mir Geschichten von Drachen erzählt als ich noch klein war.“

Der Drache antwortete nicht sondern hustete erneut laut auf.

Erschrocken machte Karin ein paar Schritte auf den Drache zu und kniete neben ihm nieder. Dann streichelte sie ihm vorsichtig über den grauen, schuppigen Kopf. Angst hatte sie nun keine mehr.

„Armer Drache“, sagte sie. „Was hast du? Bist du krank?“

„Ja, Mädchen.“, flüsterte der Drache.

„Es ist der Schnee und die Kälte, die mich krank machen. Denn du musst wissen, dass ich ein Sommerdrache bin. Und wie die Vögel, so ziehe auch ich im Winter eigentlich nach Süden.“

Wieder musste der Drache innehalten und Husten. Karin wartete geduldig bis der Drache weiter sprach und streichelte ihm solange den Kopf.

„Du weist dass es dieses Jahr im Sommer viel geregnet hat, oder?“

Karin nickte.

„Und weil die Sonne nicht so viel schien, war ich schließlich zu schwach als es daran ging in Richtung Süden zu fliegen. Ich suchte mir diese Höhle und hoffte, dass ich hier den Winter überstehen könnte. Aber nun macht mir der Schnee jeden Tag mehr zu schaffen. Jeden Tag schneit es ein bisschen mehr und der Schnee wird weiter in die Höhle geweht.“

Erneut hustete der Drache und keuchte etwas. Karin dachte kurz nach und fragte dann:

„Und was passiert nun mit dir, Drache? Musst du sterben?“ Angst schwang in Karins Stimme mit, denn sie war ein herzensgutes Mädchen und fand die Geschichte des Drachens sehr traurig.

„Ich fürchte ja, Mädchen. Wenn es noch mehr schneit und der Schnee schließlich bis zu mir herein geweht wird, werde ich wohl alle Kraft verlieren und sterben. Nur die Frühlingssonne könnte mich retten. Aber bis zum Frühling dauert es noch einige Wochen. So lange werde ich nicht mehr durchhalten.“

Die Stimme des Drachens war nun kaum noch zu verstehen.

„Lass uns schlafen. Das viele Sprechen strengt mich sehr an. Du kannst gerne über Nacht hier bleiben, wenn du willst, Mädchen.“

Der Drache schloss die Augen und schlief rasch ein. Karin jedoch war noch eine ganze Weile wach, und überlegte, wie sie dem Drachen vielleicht helfen konnte. Irgendwann schlief sie an ihn gelehnt ein.

Am nächsten Morgen weckte sie die freundliche Stimme des Drachens:

„Wach auf, Mädchen. Es ist hell und der Sturm ist vorbei. Du solltest dich auf den Weg machen, wenn du vor Einbruch der Dunkelheit dein Ziel erreichen willst.“

Karin sah sich verschlafen um. Sie richtete sich auf und sah den Drache an, der schon wieder husten musste. Er tat ihr wirklich Leid.

„Ich würde dir gerne helfen, Drache. Aber ich weiß nicht wie.“, sagte sie.

„Wirklich?“, fragte der Drache schwach.

„Ja!“, rief Karin aufgeregt.

„Wenn du das wirklich tun willst, musst du den Rest des Winters hier bleiben. Bist du dir sicher, dass du das tun möchtest?“

Karin überlegte etwas, was sie tun sollte, dann antwortete sie dem Drache mit trauriger Stimme:

„Das würde ich gerne, Drache. Aber das geht nicht. Ich habe nur noch diese zwei Brote.“

Sie zog ihren Vorratsbeutel hervor und zeigte dem Drache die Brote.

„Das wird nicht für den Rest des Winters reichen, und dann werde ich verhungern.“

Traurig sah sie den Drache an. Dieser jedoch lächelte matt, und sprach:

„Lass das meine Sorge sein. Steck die Brote wieder in den Beutel und lege diesen dann unter meinen Flügel. Ich verspreche dir, dass das Brot für die Zeit, in der ich deine Hilfe brauche, reichen wird, Mädchen.“

Karin tat was der Drache ihr aufgetragen hatte. Dann sah sie ihn wieder an und fragte:

„Wie kann ich dir nun also helfen, Drache?“

„Du musst dir einen Tannenzweig suchen, und damit den Schnee aus der Höhle fegen, wann immer er hineingeweht wird. Wenn er mich nicht erreicht, werde ich es schon schaffen.“

Karin sprang auf und nickte dem Drache zu. Sie drehte sich um, und rannte durch den Schnee hinaus in den Wald. Nun bemerkte sie auch, dass sie sich im Sturm am gestrigen Abend so sehr verlaufen hatte, dass sie überhaupt nicht mehr wusste wo sie war. Aber da sie ja beschlossen hatte bei dem Drache zu bleiben, machte ihr das nichts aus. Nach kurzer Suche hatte sie einen wunderbaren Tannenzweig gefunden, wie der Drache es ihr aufgetragen hatte.

Damit kehrte sie zur Höhle zurück. Als sie hinein ging um dem Drache den Zweig zu zeigen, war dieser wieder eingeschlafen, also machte sich Karin sofort daran, den Schnee hinaus zu fegen. Und da sie dem Drache unbedingt helfen wollte, versuchte sie ihre Arbeit so gut zu machen, wie sie konnte. Sie hörte nicht eher auf, als dass nicht das kleinste bisschen Schnee mehr in der Höhle zu finden war.

Inzwischen war es bereits Abend geworden. Karin betrat nun wieder die Kammer des Drachens.

„Ich danke dir bereits jetzt, Mädchen.“, begrüßte sie der Drache, und Karin stellte erfreut fest, dass seine Stimme nun schon etwas kräftiger klang. Darüber freute sich Karin sehr. Nachdem sie etwas Brot aus dem Beutel gegessen hatte, kuschelte sie sich an den Drache und schlief zusammen mit ihm ein.

Die nächsten Tage und Wochen verbrachte Karin damit, am Tag Schnee nach draußen zu fegen, und Nachts bei dem Drachen zu liegen. Manchmal, wenn es wenig geschneit hatte, und Karin deshalb wenig zu tun hatte, erzählte der Drache ihr Geschichten von fernen Ländern, fremdartigen Menschen und seltsamen Kreaturen, die er in seinem langen Leben bereits gesehen hatte. Darüber schliefen die beiden dann meistens ein, und Karin träumte wundervolle Dinge bis sie am Morgen aufwachte und sich wieder daran machte dem Drache zu helfen.

So ging das weiter, während die Tage langsam wieder heller und länger wurden, und der Schnee immer weniger fiel, bis schließlich nur noch Regen vom Himmel kam und auch der letzte Rest Schnee geschmolzen war. Und schließlich ging es dem Drache wieder so gut, dass er eines Morgens zu Karin sagte:

„So, Mädchen. Sieh doch, wie herrlich die Frühlingssonne draußen scheint. Ich danke dir von ganzem Herzen, dass du das für mich getan hast. Aber nun müssen wir Abschied nehmen. Ich bin nun endlich wieder kräftig genug, dass ich zu meiner Verwandtschaft zurückkehren kann, und auch du solltest zu deiner Familie zurückkehren. Bestimmt sorgen sie sich um dich. Doch zum Abschied und als Dank möchte ich dir etwas schenken.“

Der Drache richtete sich auf. Zum ersten Mal bemerkte Karin, wie groß er wirklich war. Im Stehen reichte er fast bis zur Höhlendecke und musste den Kopf einziehen um nicht anzustoßen. Er hob den Flügel und streckte seinen Kopf zu seiner Seite. Als er ihn wieder hob, hatte er etwas im Maul, dass er Karin in die ausgestreckten Hände fallen lies. Sie hob das Objekt hoch und begutachtete es. Es war flach und größer als ihre Handfläche und es hatte die Form eines Ritterschildes, wie sie ihn schon einmal bei einem Ritter in der Stadt gesehen hatte. Sie erkannte dass es wohl eine Schuppe des Drachens sein musste. Sie sah zu ihm auf:

„Danke, lieber Drache. Hoffentlich hat das nicht wehgetan. Das wäre nicht nötig gewesen. Ich habe dir doch gerne geholfen. Aber trotzdem vielen, vielen Dank.“

Der Drache lächelte ihr zu, und antwortete sanft:

„Nein, es schmerzt mich nicht. Und ich habe noch genug Schuppen. Nun komm, Mädchen. Lass uns gehen.“

Damit verließ er die Kammer und lief auf den Eingang der Höhle zu. Karin tapste neben ihm her. Mit kraftvollen Schritten verließ der Drache die Höhle und trat ins gleißende Licht der Frühlingssonne. Karin blieb wie angewurzelt stehen und starrte den Drache ungläubig an.

Kaum dass die Sonnenstrahlen die schuppige Haut des Drachens berührten fing diese an sich zu verfärben. Das matt glänzende Silbergrau aus der Höhle verwandelte sich im Licht in ein gleißend schimmerndes Gold, dass mit den Sonnenstrahlen um die Wette zu leuchten schien. Der Drache trat ein paar Schritte hinaus ins Licht, bis er noch einmal stehen blieb und den Kopf zu Karin umdrehte. Er lächelte ihr noch einmal sanft zu, bevor er sich umdrehte, seine majestätischen Flügel ausbreitete und vom Boden abhob. Karin rannte aus der Höhle hinaus ins Sonnenlicht um dem Drache hinterher zu schauen, doch am Himmel konnte sie nur die strahlende Sonne erblicken. Froh über das gute Ende ihres Zusammentreffens mit dem Drache und doch auch etwas traurig über ihren Abschied, machte sie sich auf den Heimweg. Ohne den Schnee und im hellen Licht fand sie nach kurzem Suchen den Pfad, der zum Hof ihrer Eltern führte.

Dort angekommen, wurde sie freudig von ihrer Familie begrüßt, und ihre Eltern wollten wissen, wie es in der Stadt gewesen sei.

Karin erzählte ihnen die Geschichte, wie sie den Drache getroffen und ihm geholfen hatte. Am Ende holte sie die Schuppe des Drachens hervor und zeigte sie ihren Eltern. Auch diese einzelne Drachenschuppe hatte sich im Sonnenlicht in pures Gold verwandelt. Und so musste die Familie von nun an nie mehr hungern, da sie jetzt genug Reichtum bis ans Ende ihres Lebens hatte.

Auch noch viele Jahre später erzählte Karin ihren eigenen Kindern die Geschichte vom Sommerdrachen in der Höhle und dem Mädchen, dass ihm geholfen hatte. Den Drache selbst hat sie nie wieder getroffen, aber immer wenn die Sonne schien dachte sie an ihn und freute sich.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück