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Die Dunkelheit

Eine Altraverse
von

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Decend the shades of night

Der Himmel glich einer pechschwarzen Brühe über den Dächern der Stadt.

Aus ihr tropfte der Regen herab und vernebelte langsam aber sicher die Sicht. Als unbeachteter Gehilfe spülte er den Müll aus den Rinnsteinen in die Kanalisation. Zerknautsche Zigarettenschachteln und Herbstlaub verschwanden in die Dunkelheit unter der Stadt.

Unermüdlich prasselte es derweil auf die Schindeln der Dächer. Es rollte und tropfte über die Ziegel und sammelte sich in angerosteten Regenrinnen. Dort wo der Rost bereits fingergroße Löcher ins Blech gefressen hatte, rieselten kleine Sturzbäche in die Gässchen herab.
 


 

Die Dunkelheit – Eine Altraverse
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Kapitel 1 – Decend the shades of night
 

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Descend the shades of night...

Death shines her golden light...

Across a blackend sky...
 

By Machine Head
 

...
 

Es war ein ungemütlicher Wind, der an diesem Tag durch die Straßen blies. So war es kein Wunder, dass es selbst hartgesottene Fußgänger von den Gehwegen in die Bars und Lokalitäten trieb.

Die Neonreklame blinzelte als Funkeln durch den Regenfall, kaum mehr als ein Irrlicht im aufziehenden Dunkel. Auch den Straßenlaternen erging es nicht besser, denn auch ihr Licht reichte nur wenige Meter. Die zugenagelten und – fast wie zum Trotz - dennoch eingeschlagenen Fenster blieben davon gänzlich unberührt.

Durch ein solches Fenster schlichen sich die Böen, rauften an der zerschlissenen Gardine und den vergilbten Abdecktüchern, die vor langer Zeit über das Mobiliar geworfen worden waren. Viel mehr als ein wehmütiges Flattern konnte jedoch selbst der Wind diesen Gemäuern nicht entlocken.

Hier lebte nämlich längst niemand mehr. Das hieß allerdings nicht, dass diese Orte ungenutzt waren. Ganz das Gegenteil war der Fall. Diesem Haus erging es da nämlich nicht anders als den anderen verwahrlosten Gebäuden. Zurückgelassen von ihren Eigentümern harrten sie ihrem Verfall und sahen in der Zwischenzeit zwielichtige Gestalten kommen und gehen.

Clochards gaben sich mit Kleinkriminellen ihr Stelldichein und zu alledem quiekten die Ratten ihr Lied und flatterten ruhelos die Tauben. Diese Orte zogen Gesindel an wie das Licht die Motten.

Hier traf man nicht die Reichen Nerimas an. Jene, die aufgrund von Bestechung und Betrug zu Reichtum gekommen waren, wohnten fernab dieser Ruinen am Randgebiet. Der wirtschaftliche Kollaps, der über Nerima hereingebrochen war, hatte das Stadtbild nachhaltig gezeichnet.

Dort wo früher Familien lebten, Schüler zur Schule gingen und Geschäfte ihre Waren anboten, reihten sich lediglich mehr verlassene Hüllen aus Beton und Stein auf. Straßenzug für Straßenzug war Haus für Haus ausgestorben und wie leergefegt. Jeder, der es sich leisten konnte, war in den Kern des Distrikts umgezogen.

Die Menschen argumentierten damit, dass es dort mehr Kunden gäbe und die Kinder in einem besseren Umfeld aufwachsen würden. Man sprach von einer zunehmenden Zentralisierung, die es ja auch schon anderenorts gegeben hätte. Die Leute waren sich einig, dass es klug war ins Zentrum zu ziehen und beglückwünschten sich gegenseitig für diese ach so weise Entscheidung.

Das ist natürlich völliger Humbug.

Fenstergitter und verrammelte Fenster halten weder die Kälte der Nacht, noch die Klauen der Armut fern. Es ist wohl eher so, dass da etwas anderes im heraufziehenden Abenddunkel lauerte. Dort war irgendetwas, das man nicht rational forterklären konnte.

Eine Sache, ein – Ding.

Daher kontrollierten die Männer und Frauen die Fenster lieber doppelt.

Wer weiß? Es könnte ein Schatten hereinblicken.
 

„Hey, aufwachen.“ Da war eine Stimme. „Aufwachen.“

Da war sie wieder.

Aber warum sollte sie aufwachen? War doch so wunderbar hier. Es war gemütlich und ruhig, was wollte man also mehr? Außerdem wollte sie nur schlafen. Schlafen und vergessen.

Die Wirklichkeit war unnachgiebig.

Und ebenso unnachgiebig zeigte sich der Unbekannte, der sie an der Schulter rüttelte.

Unwillig versuchte sie sich wegzudrehen, es gelang ihr aber nicht. Das Rütteln wurde intensiver und schleuderte sie in die kalte Gegenwart.

Ächzend schlug sie die Augenlider auf, nur um sie sofort wieder zu schließen. Grell fiel ihr das Licht ins Auge und blendete sie. Ein wenig benommen schob sie die Hand dazwischen und verzog angewidert das Gesicht.

Wie gerne hätte sie doch durchgeschlafen.

Sie drehte ihren Kopf zur Seite und vernahm ein leises Knacken. So was war gar nicht gut, hoffentlich holte sie sich davon keine Genickschmerzen. Davon bekam sie dann immer Kopfschmerzen.

Apropos, wo sie schon mal bei Unannehmlichkeiten war – der Kerl neben ihr wirkte selbst nicht gerade glücklich. Hatte wohl keinen Bock, jemanden wie sie aus dem Traumreich zu schütteln.

Sie maß ihn mit abschätzigem Blick.

Eine verpickelte Visage und ein durch und durch unterentwickelter Körperbau ließ sie ihn auf sechzehn Jahre schätzen. Älter war er auf keinen Fall, eher noch jünger.

Sein Namensschild las: Itomo Tikaso.

Er schenkte ihr ein unsicheres Lächeln, das sie mit Mühe erwiderte. Ihr war schon klar, was er wollte. Der Kleine wollte wahrscheinlich nur noch heim, davor musste jedoch das Restaurant aufgeräumt und geputzt sein.

Da störte sie natürlich.

Ihr Blick heftete sich auf den Lichtkegel draußen, in dessen kränklichem Gelb sich Niederschlag abzeichnete. Sie konnte sich beinahe einbilden das Summen der Straßenlampe zu hören, die es erzeugte. Bald schon würde sie dem Summen nur zu deutlich lauschen können.

Voll falschem Elan rutschte sie vom Barhocker, schwenkte die Hüften und schlenderte zur Tür. Noch war ihr Gang etwas unbeholfen, aber das würde sich gleich geben. Es war noch die Müdigkeit, die ihre Gelenke so steif machte.

Ohne viel Federlesen stieß sie die Glastür auf und trat in die eisige Luft hinaus. Augenblicklich überfiel sie ein Schauder. Den Kopf gesenkt, den Ledermantel enger gezogen, stapfte sie los.

Während sie tapfer die Nacht durchwanderte, jaulte der Wind und zerrte an ihren Kleidern. Gehässig tat der Regen sein Übriges. Er stahl sich in ihren Kragen und glitt als Gänsehaut ihren Rücken herab. Das knappe Top schütze sie da nicht wirklich.

„Na herrlich!“, schnauzte sie und trabte weiter. Ihr blieb auch nicht wirklich etwas anderes übrig. Eine Erkältung konnte sie sich nicht leisten.

Im Gewerbe lief es sowieso nicht so gut. Nachts ließ sich kaum mehr Kundschaft blicken.

Schuld daran war ein Zeitungsartikel, der vor wenigen Tagen in der Zeitung erschienen war. Seither traute sich bei Einbruch der Nacht keiner mehr auf die Straße.

Das Mädchen seufzte.

Welcher Trottel sich den Quatsch wohl wieder ausgedacht hatte?

„Blutleere Leichen in dunkler Gasse gefunden“, intonierte sie spöttelnd. Dabei war ihr überhaupt nicht zum Scherzen zumute.

In nicht mal drei Tagen erwartete ihr Arbeitgeber Erfolge – und er nahm keine Cheques.

Sie musste rasch an Geld kommen, doch ohne Kunden gab’s auch kein Geld.

„Einfach nur herrlich“, murmelte sie verstimmt und zog den Mantel straff. Sie hatte schon genügend Probleme, da brauchte sie keine Zeitungshengste, die ihr die Arbeit erschwerten!

Plötzlich spritze ihr Wasser ans Knie.

Verärgert blieb sie stehen und starrte herab.

Na toll, ganz toll. Da war sie doch glattweg in eine Pfütze getreten und noch dazu mit den Lederstiefeln. Das hieß also Schuheputzen, sobald sie heimkam. Das Leder vertrug schließlich keine Nässe und könnte sonst hart und rissig werden.

Wenn sie Pech hatte, würde ihr Arbeitgeber das vom Lohn abziehen. Sowieso hatte sie schon viel zu wenig Geld und kam mit der Miete kaum hinterher; da konnte sie sich zusätzliche Ausgaben auf keinen Fall leisten.

Plötzlich fuhr das Mädchen aus ihrer Gedankenwelt auf. Der Reflex spielte mit ihr und noch ehe sie sich versah, war sie bereits zurückgewichen. Aus großen Augen, den Magen verkrampft, starrte sie in die Gasse neben sich. Den Regen spürte sie kaum.

Irgendwo dort in der Finsternis der Gasse hatte es gescheppert. Auf jeden Fall hatte es arg metallisch geklungen, so wie ein Mülltonnendeckel vielleicht oder etwas ähnlich Großes. Es war nämlich viel zu laut gewesen, um als Dose durchzugehen.

Sie verharrte und lauschte aufmerksam ins Dunkel hinein. Sie vernahm nichts mehr.

„War wohl nur ne Katze“, beruhigte sie sich selbst und strich nasses Haar aus ihrem Gesicht.

Je weniger sie über so was nachgrübelte, desto geringer die Chance eine Antwort zu erhalten. Entschlossen stapfte sie weiter, die Augen auf das Orangegelb der Straßenlampe fixiert. Beruhigend und zugleich gespenstisch schlug das Licht einen Kreis auf den Boden, in dem immer wieder Regentropfen zerplatzten. Der Anblick besaß etwas Beruhigendes und sie ahnte auch, woran das lag.

Früher noch, in einer längst vergangenen Zeit, war sie mit ihrem Vater oft bei Nacht spazieren gegangen. Sie hatten Familienfreunde besucht oder die Ordnung im Viertel gewahrt. Ihr Vater war nämlich Kampfsportler gewesen, noch einer von der alten Schule. Daher besaß die Wahrung des Friedens einen hohen Stellenwert für ihn und so selbstverständlich auch für sie.

In diesen Nächten auf Patrouille war sie dann von Lichtkreis zu Lichtkreis getrippelt.

Ganz so wie ein Kind der Welt gewahr ist, so spürte sie unter der Funzel doch tatsächlich Wärme und Geborgenheit. Natürlich völliger Quatsch – immerhin reicht das Licht kaum aus, um den Boden unter sich zu beleuchten.
 

Das Mädchen schüttelte den Kopf, um diesen von solchen Flausen klar zu bekommen. Im Augenblick musste sie aufpassen, dass sie sich nicht verlief. Erinnerungen waren schön und gut, doch jetzt musste sie erstmal aus der Kälte heraus.

Daheim würde sie dann ein entspannendes Bad nehmen, ihre Muskeln erwärmen und sich daraufhin in ihr Bett kuscheln.

Zumindest war ihre Schlafstätte genau richtig, nicht zu weich und nicht zu hart. Wenn sie dahingegen öfters mal in fremden Betten aufwachte, fühlte sie sich wie geprügelt und getreten. Gott sei Dank war das ein Umstand, der eher bedingt mit ihrer Kundschaft zu tun hatte.
 

Träge schleppte sich die junge Frau voran, obwohl sie sich am Liebsten gleich jetzt niedergelegt hätte. Aber sie wollte sich ja nicht den Tod holen.

Ihr Kehlkopf hüpfte auf – und ab.

Die Formulierung war jetzt gar nicht mehr so witzig. Hier draußen in Kälte und Dunkelheit, eine Gasse nach der anderen, erhielt der Zeitungsartikel eine beängstigende Aura der Glaubwürdigkeit.

Zaghaft starrte sie über die Schulter zurück zum Kegel der Laterne.

Das Orangegelb durchzog unaufhörlich der Niederschlag und sie musste unbewusst frösteln. Lag es nur am Regen, der Kälte oder aber an etwas anderem?

Hastig setzte sie ihren Marsch fort und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ob wohl wirklich blutleere Leichen gefunden worden waren?

Wo war das noch mal gewesen?

Hier in der Nähe oder doch am anderen Ende des Distrikts?

Das Mädchen schüttelte aufgebracht den Kopf. Was sollten diese Überlegungen anstellen außer sie völlig in Panik zu versetzen? Sie war ohnehin schon ganz paranoid, da brauchte sie das nun wirklich nicht.

Unversehens zuckte sie zusammen.

Warte mal, war da nicht wieder ein Geräusch gewesen?

„Krieg’ dich ein Mädel. Alles super, alles gut“, säuselte sie und spüre ihr Herz wie zum Protest gegen ihre Rippen klopfen.

Wenn sie sich doch nur daran erinnern könnte, wo man die Körper entdeckt hatte. Aber vielleicht wollte sie sich ja auch gar nicht erinnern. Wer weiß, ob man die leblosen Körper nicht in unmittelbarer Nähe zu ihrem Aufenthaltsort angetroffen hatte?

Das Mädchen begann in einen leichten Trab zu verfallen. Hektisch wirbelten ihre Augen umher.

In den vorbeiziehenden Gassen erwachten immer mehr Schatten zum Leben. Spindeldürre Finger legten sich um die Häuserkanten und zogen ihre augenlosen Eigentümer hervor. Die Schrecken trieben wie Moorleichen aus der Dunkelheit ins Licht.

„Verdammt, mach’ dich nicht irre. Bleib’ ruhig, reg’ dich ab. Alles nur Einbildung.“

Ihre Füße schienen das nicht zu glauben.

Inzwischen nämlich rannte sie mit klackenden Absätzen durch den Regen. Höhnisch und verzerrt erwiderten die finsteren Nebenstraßen das Geräusch. Es brauchte nicht wirklich viel Phantasie, um das Echo für eigenständige Schritte zu halten.

Das Mädchen registrierte kaum wie ihre Sicht verschwamm und in warmen Rinnsalen, Tränen aus ihren Augenwinkeln krochen. Ihr Hals war trocken und ihr Herz schlug schnell, doch verlangsamte sie nicht. Ihr Sprint hielt an.

Hinter ihrer Stirn war aus der Vermutung eine Gewissheit geworden. Wie etwas grausiges, das aus einem Kokon schlüpft, so bemächtigte sich die Angst ihrer. Sie traute sich kaum zurückzusehen.

Stattdessen warf sie abgerissene, kurze Blicke in die Abzweigungen, wo der Nebel aus der Kanalisation quoll und die Dunkelheit aus der Ferne drückte. Die Neonreklamen hatte sie längst hinter sich gelassen, denn sie lebte am Rand der Stadt.

Wer nicht viel Geld hatte, konnte nicht wählerisch sein.

Indes ihre Absätze über den rauen Untergrund schliffen, wurde ihr Seitenstechen beständig schlimmer. War es am Anfang noch kaum spürbar, so biss es sie inzwischen schmerzhaft und raubte ihr den Atem.
 

Es klapperte.

In einer der Gassen hatte sich eindeutig etwas geregt - irgendetwas.

Die junge Frau legte noch einen Zahn zu. Dafür würde sie zwar den Rest des Abends über der Schüssel hängen und das Frühstück morgen ausfallen lassen müssen, aber das war es wert. Sie wollte nur noch nach Hause.

Am Liebsten hätte sie sich schon längst umgedreht und ihrem Verfolger die Leviten gelesen. Sie hätte ihn als perversen Stalker bezeichnet, angeschrieen und falls nötig mit einem gezielten Kick kastriert.

Aber ihr fehlte der Mut dazu.

Niemand konnte sie dazu bewegen, sich jetzt umzudrehen, geschweige denn stehen zu bleiben. Für alles Geld der Welt würde sie hier nicht warten. Sie hatte nämlich so eine Ahnung, dass ihr Warten belohnt werden würde. Etwas Fremdes würde sich aus dem Dunkel erheben und langsam auf sie zutorkeln.

Ein unkontrollierter Schrei verließ ihre Lippen, überschlug sich wild und wurde von der Nacht verzehrt.

„Nach Hause, oh Gott bitte, nur nach Hause“, schluchzte sie kehlig und verlor fast das Gleichgewicht. Noch rechtzeitig fing sie sich und stolperte weiter.

Ein Knall neben ihr setzte ihrer Flucht jedoch ein abruptes Ende.

Denn in ihrem Schock kam sie mit dem Fuß von Gehweg ab, strauchelte, ruderte mit den Armen und schlug der Länge nach hin. Ihr Brustkorb prallte auf die Gehwegkante und boxte ihr die Luft aus der Lunge und streute schwarze Flecken in ihr Sichtfeld.

Ihre Stirn lag in einer Pfütze und die Kälte stach wie feine Nadeln in ihr Gehirn. Versehentlich musste sie sich die Unterlippe zerbissen haben, denn sie schmeckte jetzt Eisen auf der Zunge.

Als sie den Versuch unternahm erneut auf die Beine zu kommen, knickte ihr Fußgelenk um und warf sie zu Boden.

„Dreck“, spie sie erbost und hämmerte mit der Faust auf Stein. Der Himmel beäugte dies düster und schickte seinen Regen herab, der sie unbarmherzig bis auf die Knochen durchnässte.

Nochmals stieß sie sich mit ihren Händen einerseits vom gepflasterten Gehweg, andererseits vom Asphalt der Straße ab. Diesmal ließ sie es jedoch langsam angehen und begab sich erstmal in eine kniende Position. Damit schien ihr Körper keine großen Probleme zu haben.

Argwöhnisch schnellten ihre Augen umher.

Außer der tristen Dunkelheit und den fahlen Lichtkegeln der Straßenlaternen war allerdings nicht zu sehen. Nirgendwo rührte sich etwas.

Es herrschte – einmal abgesehen vom Stakkato des Regens – völlige Stille. Da war kein Schatten, der ihr folgte und nach ihr griff. Da war nichts.

„Nichts außer’m Regen“, flüsterte sie und kämmte sich erleichtert das Haar von der Stirn. Alles klebte und war klamm, doch im Moment wollte sie fast laut loslachen.

Sie hatte sich das alles nur eingebildet!

Sie hatte aus der Maus einen Elefanten, aus der Katze ein Monster gemacht!

„Mann, bin ich blöd“, kicherte sie und rieb die Tränen aus den Augen.

Zwar pochte ihr Knöchel, doch augenblicklich fühlte sie sich nochganz betäubt vor Freude. Losgelöst schielte sie zu einem dünnen Rinnsal, der schwach von der Straßenlaterne hinter ihr angeleuchtet wurde. Ruhig plätschernd mäanderte er durch den Rinnstein, riss ein störrisches Blatt mit sich und ließ es im Abflussgitter verschwinden.

Es stürzte in die Dunkelheit.
 

Mit einem Mal war die Beklemmung wieder da und ihr Atem stockte zu weißen Wölkchen, die sich in die Luft erhoben. In ihren Ohren rauschte das Blut und echote das Aufklatschen des Niederschlags. Irgendwo in der Ferne schlug jemand seine Fensterläden zu.

„Ruhig, nur die Ruhe. Da is’ nix“, bekräftigte sie und tatsächlich gehorchte ihr Körper.

Jetzt musste sie nur noch nach Hause.

Das konnten keine zehn Minuten Fußweg mehr sein - wenn sie sich zusammenriss und ein wenig mehr Tempo gab, vielleicht auch nur fünf Minuten. Sie musste für die Dauer des Weges nur den Schmerz ignorieren.

„Okay, na dann mal l - “

Ein atonales Scheppern ließ sie zusammenfahren. Doch als sie die Umgebung sondierte, war da wieder nur Dunkelheit. Eine trügerische Dunkelheit, die ihr vieles vorgaukelte und noch mehr offen ließ.

Entschlossen rappelte sie sich auf und ächzte, als ihr verletzter Fuß aufsetzte. Noch nie zuvor hatte sie ähnliche Qualen gespürt und es war nur dem Adrenalin zu verdanken, dass sie dennoch auf den Beinen blieb.

Hektisch humpelte sie voran, zog den beeinträchtigten Fuß nach und sprang mit dem guten Fuß ab. Etwas war hinter ihr her, sie hatte sich nicht geirrt.

Sie musste fort von hier, irgendwohin wo’s sicher war. Sie musste – zum Licht.

Der Gedanke war einfältig und kindlich, doch umklammerte sie ihn wie einen Rettungsring im offenen Meer. Um sie herum mochten Schatten tanzen, aber im Licht war sie sicher.

Halsbrecherisch stürzte sie auf den gelben Kreis zu und ließ den Regen die Tränen fort waschen.

In ihren hochhakigen Stiefeln glich ihre Geschwindigkeit einer Einladung fürs Unglück. Dieses ließ auch nicht lange auf sich warten, als sie zum zweiten Mal heute die Balance verlor. Diesmal aber war sie schneller und ihre Hände zur Stelle, um ihr Gewicht abzufangen.

„Schei - “, brüllte sie mit einem Mal und rollte sich auf den Rücken.

Ein neuer Stoß Salzwasser zündete in ihren Augen und sprengte die Sicht in tausend Facetten. Zwischen den Tränenschlieren hindurch begutachtete sie ihre Hand und schrie so gequält wie heiser.

Eine große, milchgelbe Scherbe hatte sich in ihren Handteller gebohrt und nun verteilte sich klebrige Hitze über ihren Arm und tropfte ihr ins Gesicht.

„Verdammt, so eine verdammte - “, grunzte sie und zwang sich auf den Bauch. Sie hatte Angst und Schmerzen, doch vor vielen Jahren hatte sie gelernt damit umzugehen. Ihr Vater war ein guter Lehrmeister gewesen.

In ihrem Mund rieben die Zähne aufeinander und unter ihren Armen rieb der eiskalte Boden. Mit verkniffener Miene robbte sie voran und schlief ihren verletzten Fuß hinterher.

Sie musste unter den Schein der Laterne. Es zählte nicht anderes.

Also schleppte sie sich Meter um Meter zum Licht, der kühle Regen gefror ihre Glieder und ihre Handfläche pochte und brannte zugleich. Sie verschob die Sorge darum auf später. Ihre Kleidung war sowieso schon hinüber, warum dann nicht auch ihre Hand?

Der Regen floss ihr in die Augen, doch sie wagte nicht diese trockenzureiben. Wer weiß, was sie als Erstes erblicken würde? Dann schleppte sie sich doch lieber blind in ihr Verderben! Außerdem konnte sie den orangegelben Schimmer auch so erkennen.

Sie würde wissen, wann sie den Lichtkreis erreicht hatte, der sich so trübsinnig auf das Pflaster unterhalb warf. Es konnte nur noch ein halber Meter oder so sein.

Soviel musste sie noch schaffen.

Vor Anstrengung glühte ihr Gesicht und die einzige Wärme spendete ihre blutende Hand. Dennoch zog sie sich ein letztes Mal voran - und letztlich schien die Laterne auch auf sie nieder.

„Ge – Geschafft“, hustete sie und rollte sich um, das Gesicht zum orangegelben Schein. Friedlich erwiderte der Leuchter ihre Musterung und obwohl ihr Regentropfen wie Tränen übers Gesicht glitten, musste sie lächeln.

Ihr Vater wäre stolz auf sie gewesen.

Erleichtert wischte sie ihre Augen trocken und drehte den Kopf.

Außerhalb des Kegels bestand lediglich Dunkelheit und so angestrengt sie auch forsche, dort war nichts anderes.

Nichts deutete darauf hin, was das Scheppern von vorhin erzeugt hatte.

Ihre Augenlider fielen zu. Schwer wie Blei klappten sie nach unten und umhüllten sie mit wunderbarer Schwärze.

„Schande“, röchelte sie und schüttelte den Kopf. Sie durfte nicht einschlafen!

Widerwillig sperrte sie die Augen wieder auf – und ihre Mimik entgleiste.

Dort im Dunkel bei der Mauer stand etwas. Es war ein Schemen, der sich kaum von den anderen Schatten hervortat. Nur wusste sie trotzdem, dass er sie beäugte. Und sie ahnte, dass ihm gefiel, was er sah.

Sie schlug die Augen nochmals nieder. In einer leisen Stimme begann sie zu zählen.

1 – 2 – 3 – 4 – 5 – 6 –

Ihre Hand pochte, ihr Gesicht zwiebelte, ihr Herz schlug schnell. Sie wartete und zählte und die Zeit verging unwirklich langsam.

7 – 8 – 9 – 10.

Das Mädchen wagte einen Blick.

Der Schemen war fort, wenn er jemals dort gewesen war. Konzentriert kniff sie die Augen zusammen und kontrollierte die Mauer, an der sie ihn zuvor erblickt hatte.

Aber nichts war da mehr zu sehen. Niemand versteckte sich im Schatten.

„Mann, bin ich blöd. So was von blöd“, kicherte sie ungehalten und legte sich den heilen Arm über die Augen.

Sie wusste, dass sie bald aufstehen musste, denn eine Erkältung wäre noch das Mindeste, was sie aus dieser Nacht mitnehmen würde. Bei ihrem Glück würde es eher eine Blasen- oder Lungenentzündung sein. Außerdem musste sie die Scherbe entfernen und die Wunde reinigen, ehe sie sich entzündete.

Wie in so vielen anderen Dingen, hatte ihr Vater sie auch in der Hausmedizin unterrichtet. Sobald sie in ihren eigenen vier Wänden war, konnte sie ihr Wissen auch gleich erproben. Allerdings hätte sie auch gut und gern auf den Praxistest verzichten können.
 

Sie lächelte erschöpft und starrte am Leuchter vorbei in den sternenlosen Himmel. Es war ja auch kein Wunder, schließlich war alles bewölkt. Irgendwoher musste der viele Regen ja kommen.

Von einem Moment zum nächsten erstarb ihr Lächeln.

Da war eine Hand, die nicht die ihre war und strich durch ihr langes, nasses Haar. Ihr Körper erstarrte wie Wasser im Winter und wurde reglos. Ihre Pupillen wurden weit.

„Nein, nein, nein“, entkam es ihren Lippen.

Es knackte fast lautlos. Sie zuckte dennoch zusammen und wagte nicht aufzusehen.

„Kleines Vögelchen“, wehte es an ihr Ohr. Nur war der Atem nicht warm, er war kalt.

„Kleines - “, hauchte der fremde Mund über ihren Nacken. Jede Faser ihres Körpers war zum Bersten gespannt und das Blutrauschen verdrängte alle anderen Geräusche; bis auf die Stimme selbst.

„ - Vögelchen“, lachte es leise. Und eine lange, tote Zunge leckte ihren Hals.
 

Ukyos Schrei überschlug sich.
 

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Fragt mich nicht, was ich mir dabei gedacht habe.^^°

Irgendwie gingen gestern Nacht/heute Morgen die Pferde mit mir durch und ich überlegte mir „Warum überarbeitest du eigentlich nicht Die Dunkelheit?“

Eigentlich eine gute Frage – immerhin hatte ich mir im Grunde viel Mühe mit der Geschichte gegeben. Das Problem war nur, ich war so verbissen in die Details gewesen, dass letztlich kein Leser mehr durchstieg.

Betrachtet das hier also als „rewrite“.

Überhaupt muss ich mal sehen, wie lange die Motivation anhält. Immerhin habe ich alle Passagen des 1. Kapitels verbessert, ergänzt und überarbeitet. Es ist quasi eine Rundumerneuerung, die euch Lesern hier zuteil wird. ;-)
 

Ich bin mal gespannt, ob sich das hier noch jemand durchlesen wird – oder nicht. Daran werde ich dann determinieren, ob ich die Korrektur (und die Geschichte) fortführe oder ob sie für immer auf dem Friedhof der erfolglosen FFs zur Ruhe gebettet wird.

Es liegt also an euch.^^
 

Schöne und abendliche Grüße,
 

euer Deepdream.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hard-Fi
2006-10-15T13:15:14+00:00 15.10.2006 15:15
Uii schwierige Kapi! Ich hab echt lange gebraucht um sie durchzulesen! Dennoch finde ich es cool wie du es geschafft hast alles zu beschreiben!
Nur weiter so!
Bye, Bye dat Ani! =3


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