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Le coeur aigri

Juri's Elegy
von

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Prolog

Ihre Schritte hallten auf dem Steinboden, als sie durch das Foyer des Bahnhofes hetzte. Ein hektischer Blick fiel auf die Uhr am Ende des Ganges. Es war zu früh, der Zug sollte doch erst in fünf Minuten fahren. Und zog sich das schrille Pfeifen des Schaffners am Bahnsteig durch den verlassenen Gang, der sich für Juri noch viel mehr in die Länge zog als ohnehin schon. Angestrengt beschleunigte die Schülerin ihren Schritt, es musste etwas getan werden um ihn zu stoppen. Sie wollte nicht dass es so endete. Nicht so!
 

Tauben flatterten aufgeschreckt hoch, als sie sich durch das Meer von Flügelschlägen kämpfte. Es hatte den Anschein als wollten alle verhindern, dass die Schülerin rechtzeitig ankam. Sie mobilisierte ihre Kräfte, setzte ihren Körper unter Druck als wäre die Zeit ihr Gegner, den es mit dem Degen zu besiegen galt. Ihr Keuchen prallte an den Säulen ab, wurde zurückgeworfen wie der Beginn eines Opus, und die Schritte erklangen wie die Trommelschläge die sie auf dem Weg zum sprichwörtlichen Schafott geleiteten. Das rotblonde Haar hing ihr wirr ins Gesicht.
 

Juri konnte sich erinnern als sie die Klasse betrat und diese immense Leere in sich spürte, die sie zur Gänze erfüllte. Sie konnte die Worte der einzelnen Klassenkameraden hören, die sich in einem Pulk versammelt hatten und davon sprachen, dass sie die Schule verlassen hatte. Wie konnte das sein? Juri begriff es nicht. Blind geworden vor übermannten Emotionen und salzigen Tränen stolperte sie zum Bahnsteig. Der schrille Pfiff ließ sie hochfahren. Langsam, quälend langsam setzten sich die Räder in Bewegung, der knirschende Laut von rostigen Scharnieren raubte ihr den letzten Rest logischen Denkens, den sie besaß. Und selbst wenn der Zug noch langsam war- Er würde schneller werden, immer schneller. Was konnte die Schülerin noch tun?
 

„SHIORIII!“
 

Ihre Stimme klang heiser und ihr angestrengtes Atmen verzerrten den Laut in ein undefinierbares Gebilde, das in der Luft hing, sehnlich hoffend die angesprochene Person noch zu erreichen, die just in diesem Moment den Kopf aus einem der Fenster reckte. Im Lächeln des Mädchens lag etwas Bitteres und verhöhnendes, der Sieg der gewiss der Ihre war. Nein, sie hatte nicht gewonnen. Nicht jetzt. Juri breitete ihre Schwingen aus, begann zu laufen, wie sie noch nie in ihrem Leben gelaufen war. Juris Herz raste, als wollte es sich aus ihrem Brustkorb befreien – und es fiel schwer, der Maschine zu folgen, die ihren mühseligen Gang beschleunigte. Das Geräusch des Antriebs nahm die Form eines hämischen Lachens an, ein Husten und Rumoren wie ein metallisches Ungeheuer.
 

Shiori streckte ihre Hand aus dem Fenster, als Juri mit einem beherzten Sprung versuchte sie noch zu ergreifen. Doch das einzige, was ihr in diesem Moment blieb, war der stechende Schmerz, als die Hand weggezogen wurde und sie sich am Boden wieder fand, der Unterarm aufgeschürft und brennend vom Schmutz der sich darin sammelte. Ihr Traum ließ sie zurück. Heiße Tränen tropften auf den staubigen Grund unter der Schülerin, ihre langen, schlanken Finger verkrallten sich in den Boden, bis der physische Schmerz den Psychischen zumindest ansatzweise betäubte. Juri fühlte sich dem Wahnsinn nahe. Sie konnte nicht anders und ließ sich auf den Boden fallen, wie es einem Verlierer im Leben bestimmt war. Sie kauerte sich am Boden zusammen und beobachtete mit starrem Blick, wie der Zug aus ihrem Augenwinkel – ihrem Leben verschwand. Ihr wurde bewusst dass er nicht mehr zurückkommen würde. Alles begann vor ihren Augen zu verschwimmen, verlor an Struktur, verlor an Sinn. Alles hatte an Sinn eingebüßt – das Leben wie auch die Existenz. Sie konnte nicht ohne sie sein. Lieber wollte sie sterben als mit dieser Schmach zu leben.
 

Lautlos fiel die Tür ins Schloss, als sie eintrat. Es hätte sie in diesem Moment nicht wirklich gekümmert, wenn sie das Portal in ihre eigene Welt mit tosendem Knall zugeschlagen hätte, doch ihr fehlte es an Kraft und Antrieb. Ihr Blick wanderte durch den Raum, der noch viel düsterer und erdrückender wirkte als bisher. Der Schlüssel knackte leise, während sie abschloss und zum Schreibtisch blickte. Juri fröstelte und zog die Jacke enger um die Schultern. Die Schule war noch längst nicht zu Ende. Und ihr war bewusst, dass ihr Fernbleiben nicht ohne Konsequenzen verblieb – doch es bekümmerte sie zu ihrem eigenen Erstaunen nicht. Warum sollte sie in einer Klasse sitzen und Unterrichtsthematik über sich ergehen lassen, wenn sie am liebsten alles zerstören wollte, was ihr in die Quere kam. Juris Blick glitt über die Möbel, die sie mit akribischer Genauigkeit musterte. Hier war Shioris Anwesenheit noch zu spüren, ein erwärmendes Gefühl, das plötzlich von einem Moment auf den anderen erlosch, wie eine Kerze, der die Luft zum Leben fehlte. Die Schülerin biss sich verkrampft auf die Unterlippe. Nein – sie durfte das nicht an sich heranlassen. Nicht diese Einsamkeit, die sie schon verspürt hatte, bevor Shiori in ihr Leben getreten war.
 

Mit einem erstickten Laut fegte sie mit ihrer Hand die Gegenstände vom Schreibtisch. Erneut wurde die Trauer Herr über ihr Gemüt, immer wieder schlugen ihre Hände gegen die Tischplatte, bis sie sich mit einem qualvollen Schluchzen auf diese sinken ließ. Juri hasste es, schwach zu sein. Und doch konnte sie nicht verhindern, wie die Leere und Kälte des Raumes sie erstickte und betäubte. Sie wollte nur noch sterben…



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kino-chan
2008-07-10T21:13:14+00:00 10.07.2008 23:13
ui ui. Ich wollte schon immer wissen, wie es hätte sein können, bei den Abschied der Beiden. Da kommt Shioris grausame Seite wieder zum Vorschein. Ja, die Liebe kann grausam sein.
Von: abgemeldet
2006-10-23T10:49:32+00:00 23.10.2006 12:49
Ach, ich wäre so gerne die "Erste" gewesen...leider aber blieb mir das nicht vergönnt,ich verfüge ja leider über kein Netz daheim...

Jetzt könnte ich ja richtig neidisch werden ob der drohenden Konkurrenz :D Ich bin sofort in den Sog der Geschichte aufgenommen worden; zwar bin ich nicht wirklich überrascht, ich wusste ja, über welche Fähigkeiten du verfügst, aber es ist trotzdem immer wieder ein Genuß, etwas von dir zu lesen!
Von:  AlexMcKenzie
2006-10-21T01:09:52+00:00 21.10.2006 03:09
*freu* endlich mal wieder was...und wieder sehr schön geschrieben, hoffe dies ist noch nicht das ende und es geht bald weiter :)


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