Bloß keine Kinder
Er glaubte Engel zu hören in der Finsternis, die in seinem Kopf herrschte. Sie sprachen zu ihm mit wundervollen, singenden Stimmen, die nicht einen Ton halten konnten. Quietschige, viel zu hohe Kinderstimmen zupften an seinen empfindlichen Nervensträngen und er wünschte sich einen weiteren Kopfsprung aus Lees Wohnung mit anschließendem Aufprall auf einem Stück Wand.
„Is’ er tot?“ fragte Stimmchen Eins und piekste etwas Spitzes in Neijis Seite.
„Er is’ hübsch“, erklang viel zu hohes Stimmchen Zwei, „hoffentlich lebt er noch.“
„Er war ja auch schwer genug, da hat er gefälligst noch zu leben.“
Wieder Eins.
„Sieh mal nach, ob er noch lebt!“
„Mach du es doch!“
Kurz entflammte ein kleines Gefecht aus Quietschen und Nuscheln, dann schienen beide zu einem Entschluss gekommen zu sein.
„Udon, du siehst nach!“ befahl Eins.
Etwas zerrte unsanft an Neijis Lid und legte schließlich das Auge frei. Der Hyuuga, zwischen wach und ohnmächtig, konnte ein verschwommenes Gesicht erkennen, das ihn einen Moment neugierig betrachtete.
„Der is’ ja blind“, kam die intelligente Bemerkung von Stimmchen Drei, das wenigstens einen Namen hatte.
Mit einem wummernden Schädel richtete Neiji sich auf und stöhnte leise. Sofort fanden seine Hände den Kopf und pressten dagegen, damit dieser nicht auseinanderbrach. Das erste was er machen wird, sobald er wieder dazu in der Lage war, beinhaltete garantiert den Tod seines Senseis.
„Geht’s dir nich’ gut, nii-san?“
Neiji registrierte es als Stimmchen Zwei und blickte dieses nun an. Ein kleines Mädchen mit viel zu großen Augen und viel zu roten Wangen, das ihn besorgt ansah. Etwas an ihr erinnerte ihn an seine Teamkameradin, vermutlich der Hang zu zweigeteilten Frisuren.
„Ja“, knurrte er knapp und schob das Mädchen unsanft von sich weg.
Dieses begann sofort beleidigt zu plärren, was den Anführer des Quietsche-Trios auf den Plan rief. Wütend baute er sich vor Neiji auf, stemmte seine Hände in die Hüften und setzte diesen Rächer-der-Enterbten-Blick auf, den nur eine Sorte Shinobi wirklich perfekt konnte: die idiotischen Träumer wie Naruto und Lee. Anscheinend brauchte jedes Dreiergespann so einen Depp.
„So kannste nich’ mit Moegi reden.“
Seufzend besah der Hyuuga sich das Uzumaki-Nachwuchsmodell. Er hatte dieses dämliche Gesicht schon öfter gesehen. Natürlich, diese Rotznase gehörte zum Sarutobi-Clan, schlimmer noch, er war der Enkel des dahingeschiedenen Sandaime.
„Und nun, willst du mich verpetzen?“
Neiji erhob sich leicht taumelnd und blickte von oben auf den Zwerg hinab, der sofort ehrfürchtig einen Schritt zurückwich. Der Hyuuga gehörte nicht zu den Leuten mit Wachstumsdefizit und die Byakugan, die langen, schwarzen Haare, der Gesamteindruck, wirkte nicht sehr einladend auf ein Kind. Er hatte etwas von einem Rachegeist, vor allem mit diesem Blick.
Konohamaru schluckte und dass Moegi und Udon sich hinter ihm versteckt hatten und er nun als Schutzschild herhalten musste, machte das Ganze nicht viel besser. Er kratzte seinen ganzen Mut zusammen.
„Immerhin haben wir dich aus dem Geröll gezogen. Du bist ganz schön schwer. Du solltest uns danken.“
Einen Moment überlegte Neiji. Er konnte diese Dreierbande problemlos aus der Geschichte verbannen, er konnte sie auch einfach stehen lassen, aber er entschied sich für die höflichere Variante.
„Danke… und nun aus dem Weg!“
Konohamaru schien sich damit nicht zufrieden zu geben. Ungerührt stand er da und ein breites Grinsen zierte sein Gesicht. Er war selbstsicher, etwas zu selbstsicher für einen Zwerg.
„Ich würd’ nich’ so eine große Klappe haben, wenn ich wie du rumlaufen würde.“
Und dies traf den Nagel auf den Kopf. Bei all den Stürzen, Ohnmächten und Gequietsche hatte Neiji eins vergessen.
Seine Augen drehten sich gen Boden und das erste was sie auf seiner halbbedeckten Brust sahen, war grünes Plastik. Natürlich, er stand immerhin unter der Dusche, als Gai ihn angegriffen hatte und da hatte man normal nichts an, außer man hieß Hinata und trug sogar bei der Körperwäsche einen Ganzkörperbadeanzug.
Er bemerkte flüchtig, dass jemand den Vorhang über seiner linken Schulter zusammengebunden hatte. Sehr rücksichtsvoll, dachte ein Teil seines Hirns, etwas Kleidung wäre ja zuviel gewesen, bevor man mich, MICH, so durch Konoha trägt.
Die Stimme in seinem Kopf konnte sich gar nicht richtig austoben, als ein anderer Teil feststellte, dass etwas oder jemand seine Hand ergriffen hatte. Verdutzt blickte er an seiner Seite hinab und schaute in die großen, treuen Augen des Mädchens.
„Nii-san? Frierst du nicht?“
Das war das niedliche an kleinen Kindern. Sie stellten dumme Fragen. Bedauerlicherweise war er kein Kindertyp.
„Wenn du mitkommst. Meine Mama hat bestimmt etwas für dich.“
Vielleicht mochte er Kinder doch.
Widerstandslos ließ er sich von dem Mädchen, Moegi, aus ihrem Versteck ziehen und stellte verblüfft fest, dass es weitab von Lees Haus war, sofern dieses überhaupt noch stand. Die drei kleinen Blagen hatten ihn recht weit tragen müssen. Das verwunderte den Shinobi einerseits, andererseits trieb es ihm die Schamesröte ins Gesicht. Nur sehr, sehr mühevoll konnte er seine Gefühle unter Kontrolle halten und einen desinteressierten Blick wahren.
„Ist es weit?“ fragte er wenig hoffnungsvoll.
Moegi war zu beschäftigt damit seinen Körper zu mustern, verlegen zu kichern und rot anzulaufen, um zu antworten, also sprang ihr „Boss“ ein, während der Dritte eher nutzlos hinterher trabte.
„Nee, is’ gleich um die Ecke.“
Konohamaru streckte seinen Arm weit nach vorn und seine Fingerspitze zeigte auf ein Haus - an einer Ecke - der Einkaufsstraße. Menschen drängten sich auf der Straße, plauderten, kicherten und bald würden sie lachen, wenn er dort SO auftauchte.
Abrupt blieb er stehen und sorgte dafür, dass Moegi fast hinfiel.
„Ich werde hier warten.“
Seine Stimme war ruhig, kühl und ließ keine Widerrede zu. Konohamaru zuckte nur mit den Schultern. Es sollte ihm Recht sein, wer wollte auch schon mit so einem perversen Spinner gesehen werden?
Nur Moegi machte Zicken. Das kleine Mädchen blieb stur stehen und himmelte Neiji mit großen Augen an. In ihrem Kopf konnte sie bereits Hochzeitsglocken läuten hören und selbst der verwirrte bis angewiderte Blick des Älteren konnte das Klingeln nicht verstummen lassen. Hoffentlich fing sie nicht auch noch an zu sabbern.
Sein Innerstes machte eine Notiz: Kinder soweit wie möglich in die Zukunft zu schieben.
Erleichtert bemerkte er, dass die Kleinen endlich vollzählig auf dem Weg zu dem Haus waren. Er musste nur noch eine Anstrengung machen und einem Luftkuss von Moegi ausweichen. Vielleicht sollte er das Thema Kinder ganz streichen.
Seufzend suchte der Shinobi sich einen bequemen Platz und fand einen Zaun an den er sich lehnen konnte. Ein Blick zur Sonne zeigte ihm, dass es gegen 11 sein musste. Normalerweise wäre er längst beim Training mit Ten Ten, aber für heute hatte sie es verschoben. So gesehen war alles ihre Schuld. Zu einem Morgentraining musste man früher aufstehen, man hatte ein freies Bad, musste nicht zu Lee und wurde nicht durch eine Wand geprügelt und von kleinen Mädchen sexuell belästigt. Dafür würde sie beim Training am Mittag leiden müssen. Und siedend heiß fiel es ihm wieder ein. Sie hatten nicht vormittags Training, weil sie erst am Mittag trainieren wollten. Er musste bis dahin unbedingt in ordentlichem Zustand auf dem Platz sein, sonst würde er sich mit schlimmen Dingen konfrontiert sehen: Kunais, Shuriken, Morgensterne die auf seine Juwelen zielten und einem enttäuschten Blick. Das war das Kryptonit eines jeden Mannes.
Die schwammige graue Masse seines Hirns verdichtete sich allmählich und sein Verstand fragte sich, warum er nicht einfach nach Hause ging. Er war ein verdammt guter Ninja, mit genug Schnelligkeit würde man nicht mehr von ihm mitgekommen als einen flatternden Plastikvorhang. Doch gerade als er sich vom Zaun abstieß, um loszusprinten, gab das Holzkonstrukt nach und kippte, samt Hyuuga, nach hinten. Er hätte es besser wissen müssen. Sämtliche Architektur in diesem Dorf existierte nur durch den Glauben, dass es schon irgendwie halten würde. Man sollte eben nicht viel von einer Gemeinschaft erwarten, die weder eigene Architekten, noch Baumeister besaß, dafür aber jede Menge Attentäter. Es war natürlich vorteilhaft einen Menschen auf 100 verschiedene Arten mit Haushaltsgeräten umbringen zu können, wenn man in einem Haus lebte, das auf einen hinabbröckelte.
Nun denn, Neiji war Opfer des Bauverständnisses eines konohanischen Durchschnittsbürgers geworden und lag auf einem kaputten Zaun. Harmlos, aber nervig. Ächzend rappelte er sich halb auf, aber stoppte sofort, als er etwas hörte. Jemand schien rasend schnell näher zu kommen. Der Teenager blickte sich über die Schulter um und schaute jetzt direkt auf zwei Reihen dolchartiger Zähne. Geifer tropfte auf den Boden und ein dumpfes Knurren drang an Neijis Ohr. Und wieder meldete sich ein Teil von seinem Verstand und dachte ein trockenes >Mist<.