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Vorbeigeschwiegen

Warum hast du nichts gesagt?
von

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Lukas Abling

Ich will nicht lange drumherum reden, ich bin kein Freund dieser langen und nervenaufreibenden Anfänge. Ich liebe es auch nicht, wenn am Anfang einer Geschichte sofort mit irgendwelchen typischen oder theatralischen Floskeln begonnen wird. Deshalb werde ich nun nicht lange herum drucksen oder versuchen einen Roman oder gleich ein Oskarreifes Drama daraus zu machen und hier aufzuschreiben.

Dies hier ist eine Geschichte. Doch es ist nicht irgendeine Geschichte.
 

Es ist meine Geschichte!
 

Ein bisschen Einleitung muss allerdings sein, mein Name ist Lukas Abling und ich bin Student einer Kunsthochschule im 3. Semester. Ich bin kürzlich 21 Jahre alt geworden und hatte bis zu meinem Geburtstag gedacht, ich währe der glücklichste Mensch auf Gottes Erde, doch dem war nicht so. Es sollte sich alles ändern, der Traum vom Glück verwandelte sich in einen Alptraum des Hasses.

All dies hat etwas mit meinem bis dorthin besten Freund Markus Corton zu tun. Markus ist ebenfalls Student, doch er studiert Literaturgeschichte und Ägyptologie ebenfalls im 3. Semester. Unsere beiden Universitäten sind sogar ganz in der Nähe, so dass wir uns gemeinsam eine kleine Wohnung gemietet haben. Wir kennen uns praktisch schon seit einer Ewigkeit, doch dass daraus mehr werden würde, hat jeder geahnt.

Jawohl, sogar seine damalige Exfreundin, hatte mit ihm Schluss gemacht und ihm gesagt, er sollte nicht so blauäugig sein und endlich einsehen, dass er sich in einen Jungen verliebt hat und noch dazu in seinen besten Freund! Das muss man sich einmal vorstellen und dann auch noch von seiner Ex!

Ich bin froh, dass ich mir so etwas von meiner Freundin nicht anhören musste, na ja, um ehrlich zu sein, ich hatte auch nur einmal eine Freundin, ihr Name war Christin, ich wollte damals nur testen wie das so ist mit einem Mädchen zusammen zu sein, doch es hat mich niemals so sehr gereizt wie die Anwesenheit eines hübschen jungen Mannes. Kurz um, ich bin schwul und das Mädchen. das damals das Vergnügen oder besser den Schaden hatte, mit mir zusammen zu sein, ist inzwischen eine meiner besten Freundinnen geworden und wir treffen uns noch immer häufig.

Doch wieder zurück zum Geschehen, man muss sich vorstellen, zwei süße Jungs, der eine ein Maler, der andere ein zukünftiger Schriftsteller. So etwas hat doch schon einen gewissen Reiz, oder?

Doch die ganze Misere begann an einem Freigagmorgen. Ich weiß gar nicht mehr, wie es geschah, doch in diesem Moment wurde mir zum ersten Mal wirklich bewusst, wie sehr wir uns doch unterschieden.

Man muss sich das Ganze so vorstellen, dass sich zwei Burschen Hals über Kopf ineinander verliebt hatten, doch im Laufe der Zeit stumpfte ihr Verhältnis ab. Dieser Prozess schritt nur langsam fort und das innerhalb von einem Jahr, doch nun war es soweit, dass es beide erkannten. Bis jetzt waren sie blind gewesen und ganz plötzlich war es da.

Dieses Gefühl, dieser Schmerz und diese Wut.

Ich erkannte erst jetzt wie weit wir in diesem Moment voneinander entfernt waren. Gemeinsam saßen wir beide am Esstisch und frühstückten stumm. Ich schlürfte nur schnell ein Müsli hinunter, während sich Markus ein Croissant mit Butter und Erdbeermarmelade gönnte. Versohlen blickte ich zu Markus hoch, der seine Zeitung wie jeden Morgen aufgeschlagen hatte und darin las. Man konnte sein Gesicht nicht sehen, nur seine braunen Haare lugten hinter der Morgenausgabe der Daily News hervor.

Ich konnte es mir in dem Moment nicht erklären, doch da war so ein eigenartiges Gefühl in meinem Bauch, ich konnte mir genauso wenig erklären, woher es kam. Vielleicht war auch einfach nur das alte Müsli daran schuld, doch in meinem Kopf kreisten Bilder. Bilder von Markus und mir, als wir noch glücklich waren. Damals haben wir nie so still am Tisch gesessen und haben unser beider Anwesenheit so als alltäglich geradezu als normal und selbstverständlich empfunden. Früher haben wir gemeinsam gelacht und noch Witze darüber gerissen, was der andere geträumt hat. Heute ist es so, dass wir schweigen. Früher hat Markus mir Spaß halber mein Essen geklaut und das obwohl er überhaupt kein Müsli mag, oder er hat mich zum Abschied geküsst, bevor er in die Uni musste. Heute ist das ganz anders. Heute werde ich als etwas grundsätzliches wahrgenommen, ich bin für ihn zu einem Möbelstück geworden, auf das man anfangs noch acht gibt und bei dem man jedes Staubkörnchen abwischt. Ja, genau das bin ich für ihn gewesen, ich war für ihn wie ein neues Sofa, auf das man sich nur vorsichtig hinsetzt und bei dem man nicht Essen darf, aus Angst man könnte einen Fleck auf die weißen Polster machen, ich war ein heiliges Stück für ihn, doch nun bin ich das nicht mehr. Ich bin für Markus nicht mehr so wichtig. Es ist inzwischen egal, ob man Flecken auf das Sofa macht, denn es ist alt und ramponiert. Man kann sich sogar darauf werfen, ohne Angst haben zu müssen, dass Federn in ihrem Inneren springen. Ich bin alt und nicht mehr neu und jetzt werde ich einfach abgewertet, ich kann nur noch darauf warten, ganz ausgetauscht zu werden von einem neuen Sofa, dass er wieder liebkosen wird und das er wie einen Schatz beschützen wird… zumindest am Anfang.

Doch andererseits, ich bin doch genauso, ich habe ihn doch auch vernachlässigt und inzwischen kämpfe ich auch nicht mehr um seine Gunst.

Stumm stehst du auf und bringst deinen Teller zum Geschirrspüler und räumst ihn klaglos ein. Dann nimmst du die Zeitung, wie jeden Morgen, in die Hand und faltest sie zweimal und legst sie auf den Stapel für das Altpapier, das ich danach wegräumen werde.

Ich beobachte dich, wie immer, genauso still und frage nur kurz, wann du wiederkommst. Doch es ist nicht die besorgte oder hoffende Frage, ob du bald wieder bei mir sein wirst, nein, es ist einfach nur eine Floskel, es ist wie wenn sich zwei Menschen auf der Straße treffen, die sich seit 10 Jahren nicht mehr gesehen haben und dann ein Gespräch anfangen mit den typischen Sätzen wie „Hallo, wie geht es dir? – Gut und dir?“ Es ist einfach nur ein kleines „Wann kommst du wieder?“ ohne große Emotionen oder Hoffnungen. Deine Antwort ist mir auch klar. Du antwortest wie jeden Morgen: „Wie immer, spät, ich muss noch in die Bibliothek. Also dann bye“ Früher hast du mich zum Abschied noch geküsst, dann ist nur noch der flüchtige Kuss auf die Stirn gekommen und nun küsst du mich überhaupt nicht mehr. Ich verstehe gar nicht warum ich das nie bemerkt habe, doch an diesem einen morgen scheint mir alles so entsetzlich klar zu sein. Nie habe ich wirklich wahrgenommen wie sehr wir uns entfernt haben und wie wenig wir beide uns noch um einander bemühen.

Stumm und ohne große Gefühle, selbst ohne mich noch einmal anzusehen, stapfst du hinaus. Ich sehe dir noch ein letztes Mal nach und dann mache auch ich mich fertig, um alles Übrige noch zu erledigen, bevor auch ich los muss.

Während ich also denn Müll hinausbringe, kommen mir tausend Gedanken und Erinnerungen, an die Zeit wie sie früher war. Zu gerne würde ich noch einmal mit dir lachen, mit dir Späße machen, doch das geht nicht mehr. Zeitweise ist es mir sogar sehr lieb und recht, wenn du weg bist, ich bin manchmal wegen einfachen Kleinigkeiten von dir derart in Rage, dass ich dich hasse. Jawohl, ich hasse dich, so tief bin ich schon gesunken und du hasst mich auch, das spüre ich. Doch gleichzeitig wollen wir es beide nicht. Ich denke, du weißt auch, was ich fühle und fühlst es selber.

Doch warum sagst du nichts, wenn du es doch auch spürst? Warum schweigst du?

Wenn ich einmal ernst mit dir reden will oder über meinen Tag spreche, dann giftest du mich nur an und ich gifte zurück, vorbei sind die Zeiten in denen wir nicht mehr von einander lassen konnten. Vorbei sind die Zeiten in denen wir und noch geliebt haben.

Inzwischen ist mir alles so egal geworden, doch warum ist das so?

Unsere Beziehung ist nur mehr ein Funke, der am verglühen ist, nur noch ein kleiner Windhauch und es ist vorbei, wenn wir es nicht mehr schaffen dieses Band zu knüpfen. Dann werden wir beide zugrunde gehen und uns gegenseitig hinunterziehen.

Meine damalige Freundin, Christin, hat mir einmal ein Gedicht geschrieben, an das ich gerade denken muss, und es passt so herrlich zu unserer derzeitigen Situation:

Ehre das Band der Freundschaft,

und reiß es nie entzwei!

Denn knüpft man es doch wieder,

der Knoten bleibt dabei!

Es stimmt. Wenn unsere Freundschaft nun wirklich reißt, dann wird es sehr schwer sein, sie jemals wieder zu flicken.

Inzwischen bin ich wieder oben in der Wohnung und will gerade meine Jacke zurück in den großen Schrank hängen, doch da fällt mir etwas auf, etwas das ich seit langen nicht mehr wahrgenommen habe.

Ein Bild!

Ein Gemälde, das ich einmal gemalt habe. Es ist alt und staubig. Ich habe es am Anfang unserer Beziehung gemalt. Damals haben Markus meine Bilder noch gefallen, doch jetzt nicht mehr. Inzwischen werden sie einfach nur noch so zur Kenntnis genommen.

Doch dieses Bild war einmal sehr wichtig für mich und jetzt merke ich erst, dass ich es seit Monaten überhaupt nicht mehr betrachtet habe. Doch wieso?

Das Bild habe ich von einem Foto nachgemalt, um das Foto selber niemals zu verlieren, habe ich es zwischen das Holz und das Spanntuch der Leinwand geklemmt. Behutsam hole ich das Foto aus seinem Versteck und betrachte es. Darauf sind zwei junge Männer zu sehen, der eine mit tief dunkelbraunen Haaren, der zweite mit damals gefärbt Roten. Beide lachen, wobei der etwas Größere mit den braunen Haaren den kleineren Rotschopf lachend von hinten umarmt. Man kann sofort auf dem Foto die Liebe und Wärme spüren, ein Gefühl, das ich lange nicht mehr gekannt habe und schon zu lange nicht mehr gefühlt habe. Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern, ich bin zwar um ein halbes Jahr älter als Markus, doch trotzdem um ein Stückchen kleiner als er. Ich habe eine Wette verloren und musste mir von meiner Freundin Christin meine Haare rot färben lassen. Inzwischen ist die Farbe wieder draußen und mein Haar wieder braun, doch es war süß, wie mich Markus angelächelt hat, als er mich als Rotschopf sah. Christin hat natürlich den Blick, mit dem er mich ansah, sofort durchschaut und hat ihn sofort zu einem Foto überredet und ich muss sagen, es ist das schönste Foto geworden, das ich je gesehen habe.

Ich habe das Foto als großes Leinwandportrait gemalt und verewigt. Es hängt nun direkt neben dem Kleiderkasten, wo es für jeden, der den Raum betritt, sofort ein Blickfang ist. Warum habe ich es dann nur so lange nicht mehr angesehen?

Ich spüre, wie noch mehr Trauer in mir hochsteigt und wie sich ein Klos in meinem Hals bildet.

Aufgelöst und völlig durcheinander wegen meiner Gefühle, gehe ich noch mal ins Wohnzimmer zurück und setze mich auf die Couch. Noch immer halte ich das Foto in meiner linken Hand, doch sie zittert. Meine Hand zittert während ich es betrachte und leise rinnen mir einzelne Tränen über die Wangen. So gerne würde ich mir die Zeit von damals zurückwünschen, doch dazwischen ist viel zu viel passiert und ich weiß gar nicht, wie ich das Ganze wieder einrenken sollte. So sitze ich jetzt da, schluchzend und mit einem Foto in der Hand, ein Foto das schon längst vergessen wurde. Ein Foto, das eine Zeit zeigt, die schon längst vergangen ist.

Eigentlich sollte ich schon längst weg sein – auf dem Weg zur Uni. Doch ich kann nicht, ich komme einfach nicht auf.

Und da höre ich das Schloss. Jemand sperrt die Türe auf und ich höre, wie schwere Schritte über den Flur gleiten. Auch wenn es ein Einbrecher sein sollte, wäre es mir in diesem Moment egal. Am besten wäre es, wenn er mich gleich erschießen würde. Doch dann sehe ich auch schon das Gesicht des Ankömmlings. Es ist Markus.

Erschrocken sieht er mich an: „Was tust du denn noch hier? Solltest du nicht schon längst in der Uni sein?“

In diesem Moment setzte all meine Trauer aus. Sie war vorbei. Dieser eine Satz und diese Tonlage dazu, sie brachten mich dazu, wieder auszusetzen und anstelle der Trauer kam ein anderes Gefühl wie auf Bestellung und es war die Wut.

Nur Markus bloße Anwesenheit machte mich wütend, mich machte die Art, wie er mich ansah und die Art, wie er es als störend klingen ließ, dass ich mich noch in der Wohnung aufhielt, wütend.

„Darf ich etwa nicht mehr hier sein?“, meine Antwort ist knapp, scharf und giftspritzend. Auch Markus Miene verfinstert sich ebenso wie meine. Jetzt geht es wieder los, wie beinahe jeden Abend, nur das es dieses mal Morgen ist. Normalerweise können wir uns kaum noch in die Augen sehen.

Wir kommen abends völlig entnervt von der Uni heim und dort giften wir uns gegenseitig an. Doch ich will mir das nicht mehr gefallen lassen. Wütend zeige ich ihm das Foto „Siehst du das? Was siehst du auf diesem Bild? – Und jetzt bitte ich dich, uns beide anzusehen! Sieh was aus uns geworden ist… „

Aber du siehst mich nur schweigend an, du weißt anscheinend nicht, was du sagen sollst oder wie du mich jetzt runtermachen kannst. Vielleicht tut dir diese Unterhaltung aber auch genauso weh wie mir.

Vielleicht tut dir diese Tatsache, dieses glückliche Bild anzusehen genauso weh wie mir, denn du sagst leise: „Anscheinend sind wir nun keine Freunde mehr… ich habe so lange gewartet das du etwas sagst…“ Ich glaube dir nicht. „Du hast mich doch immer nur ignoriert! Warum hast du nicht etwas gesagt?“ Der Schmerz steht uns beiden direkt ins Gesicht geschrieben, doch du bist diesmal der erste, der eine einzelne Träne in seinen Augen blitzen lässt. Ich habe dich erst einmal weinen gesehen und hoffte, ich müsste dies nie wieder, doch in diesem Moment war es mir so egal, in diesem einen Moment hasste ich dich.

Du hast nie etwas gesagt und ich auch nicht. Wir haben aneinander vorbeigeschwiegen, ohne etwas zu unternehmen oder zu sagen. Somit sind wir beide Schuld, wir haben beide das Gleiche gedacht und das falsche gemacht und ich frage mich immer noch…
 

… warum hast du nichts gesagt!
 

Fin



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