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Stadt der Engel

Schatten und Licht, Band 1
von

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Abgeschoben

Die Sonne sandte gerade ihre letzten Strahlen über die Steilwände, welche in ihrer Mitte Farnelia beherbergten, und tauchte die Ostseite des Tals in blutrotes Licht. Im Schatten der Berge verschwammen die Dächer Farnelias zu leblosen, schwarzen Flächen. Die Straßen hingegen waren hell erleuchtet und von Menschenmassen erfüllt. Hitomi staunte nicht schlecht, als sie aus ihrem kleinen Fenster auf die Stadt herabsah. Von den Narben des Krieges waren bis auf vereinzelte freie Bauflächen nichts mehr zusehen. Van, so gab sie zu, hatte seine Aufgaben hervorragend gemeistert. Von ihrem Fenster aus versuchte Hitomi einen Blick auf die Palastebene zu werfen.

Hitomi erinnerte sich, dass die Gebäude auf dieser Ebene während des Zaibacher Angriff vollständig niedergebrannt waren, die Ebene jedoch, die ebenfalls künstlich war, ohne große Schäden davon gekommen war. Sie war gespannt, wie der neue Palast aussah, und sie war überrascht, als sie ihn sehen konnte. Statt einer Palastanlage war auf der Ebene nur eine Villa, die von einem weitläufigen Garten umgeben war. Die Villa bestand aus einem Hauptgebäude und zwei Seitenflügel. Das Haupthaus zierte ein Kuppel mit angrenzenden Spitzdächern, in denen große Fenster eingelassen waren, die an den Dachgärten der Nebengebäuden angrenzten.

Das prunkvolle Haus verschwand aus ihrem Blickfeld, als das Luftschiff auf einen Platz direkt hinter dem Stadttor aufsetzte. Menschen begannen sich auf dem Landeplatz zu versammeln. Ein paar Minuten später öffnete sich die Tür und sowohl Siri als auch ihre Mutter betraten Hitomis Zimmer. Hinter ihnen kamen zwei Männer mit einer Trage.

„Ist das die Verletzte?“, fragte einer der Männer und deutete auf Hitomi.

„Ja.“, antwortete Siris Mutter. „Wir haben sie während eines Versorgungsfluges aufgelesen.“

„Eine Fremde also?“, wollte der andere wissen.

„Das wissen wir nicht. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos. Bis jetzt hat sie noch nichts gesagt.“, sagte Siri und bedachte Hitomi dabei mit einem warnenden Blick. Diese stimmte in Gedanken zu und starrte zur Decke. Es gab anscheinend Leute, die sie für die Zaibacher Kriege verantwortlich machten. Sie hatte schon genug Rache zu spüren bekommen. Absolut niemand sollte erfahren, wer sie wirklich ist. Nicht, solange Van nicht kam um sie abzuholen.

„Okay, wir bringen sie rein.“

Beide Männer hievten Hitomi auf die Trage und hoben sie hoch. Als sie durch den zentralen Gang des Luftschiffes transportiert wurde, begann Hitomi sich mit Erinnerungen abzulenken. Sie rief möglichst triviale Ereignisse in ihr Gedächtnis und spielte sie ab. Plötzlich war sie wieder auf einen Wagen und sie konnte sich kaum erinnern, wie darauf gekommen war. Gut so, dachte Hitomi. Wenn sie weiterhin so abwesend sein könnte, würde sie die Menschen in ihrer Umgebung täuschen können. Als der Karren schließlich anhielt, kehrte in ihrem Blick wieder Leere ein.

Hitomi bekam nur am Rand mit, wie man sie in eine große, hell erleuchtete Halle trug, die im Innern durch große Vorhänge in Bereiche unterteilt worden war. Der Gestank von Blut, Kotze und anderen Extremitäten holte Hitomi aus ihren Tagträumen. Sie musste sich anstrengen um nicht selbst zu erbrechen. Der hintere Träger musste ihr Würgen bemerkt haben, denn er entschuldigte sich bei ihr.

„Tja, tut mir ja leid, meine Schöne, aber wir haben hier in Farnelia gerade ein kleines Seuchenproblem.“

Hitomi drehte sich der Magen um. Die Vorstellung in einer Halle zusammen mit Seuchenopfer eingepfercht zu sein, gab ihr den Rest und sie wünschte sich, sie würde eine dieser Visionen haben, nach denen sie immer so gut in Ohnmacht fallen konnte. Doch nichts dergleichen geschah. Sie wurde erst etwas gelassener, als man sie in einen schmalen Bereich brachte, in dem nur eine Matratze lag. Falls diese Seuche nur über Körperflüssigkeiten übertragen werden konnte, war sie hier relativ sicher. Sanft legte man sie auf ihr Lager und deckte sie zu.

„Gleich wird ein Arzt kommen. Also bleib schön liegen, meine Schöne.“

Hitomi wusste nicht, was sie von dem Träger halten sollte, der sie ganze Zeit anstarrte, als wäre sie sein größter Schatz. Sie beschloss ihn weiterhin zu ignorieren, so wie alle anderen auch. Irgendwann jedoch musste sie sich jemanden anvertrauen. Inständig hoffte sie, dass Van wusste, was hier gespielt wurde und bald eine Kontaktperson schicken würde. Dass er selbst hier auftaucht, hielt sie inzwischen für unwahrscheinlich.

Die Träger verließen Hitomis abgegrenzten Bereich. Wieder einmal war sie sich selbst überlassen und sie ließ ihre Gedanken schweifen. So gut sie es konnte, versuchte sie dabei die Gerüche aus ihrem Bewusstsein zu verbannen, was ihr schließlich auch gelang, bis jemand aus dem Nachbarbereich anfing zu erbrechen. Eine halbe Minute später öffnete ein Mann einen Vorhang vom Flur aus und trat neben ihrem Krankenbett. Eine Krankenschwester begleitete ihn. Bevor sich das Tuch glättete, konnte Hitomi gerade noch eine andere Schwester mit einem Kübel in der Hand vorbeihuschen sehen, die das Gesicht zu einer Grimasse des Ekels verzog. Hitomi tat es ihr nach. Zu spät bemerkte sie, dass der Doktor sie dabei beobachtete.

„Ihre Umwelt scheinen sie wahrzunehmen. Wenn sie einen Schock gehabt hatte, haben sie sich davon erholt. Können sie wirklich nicht sprechen? Wie heißen sie?“

Hitomi verfluchte im Stillen sich und ihre Dummheit. Der Arzt blickte ihr eindringlich in die Augen, doch sie war fest entschlossen ihren Fehler zu kaschieren und starrte zur Decke.

„Nun, vielleicht finden wir mehr heraus, wenn wir sie eingehender untersuchen.“

Die Schwester trat neben den Doktor und beide ließen ein komplettes Programm an Untersuchungen durchlaufen, das teilweise sehr intim war. Zum Schluss begutachtete der Arzt noch ihre Haare, dann wandte er sich an die Schwester.

„Es gibt Fesselungsmale an ihren Händen und Füßen. Sie scheint aber bis auf die verstauchten Knöchel und den Schürfwunden an ihren Armen völlig gesund zu sein. “

„Was ist mit ihren Haaren?“, fragte die Schwester.

„Sie sind zu ordentlich geschnitten, als das jemand sie mit Gewalt abgetrennt haben könnte. Außerdem sehe ich keine anderen Anzeichen einer Vergewaltigung. Das kurze Haar könnte ein Hinweis auf ihre Herkunft sein.“ Hitomi begann sich zu wundern. War ihre Frisur derart auffällig? „Legen sie ihr die Verbände wieder an!“, befahl er der Schwester trocken. Zu Hitomi gewandt sagte er: „Wir müssen sie morgen zur Pflege in einen Privathaushalt geben, weil wir den Platz brauchen. Wenn ihnen da etwas Bestimmtes vorschwebt, sagen sie uns Bescheid. Ansonsten müssen sie mit dem vorlieb nehmen, was wir finden.“

Dann verließ er Hitomis Bereich und die Schwester tat, was er ihr aufgetragen hatte. Danach ließ auch sie Hitomi allein.

Ihr blieb nichts anderes übrig als zu warten. In ihren Gedanken besuchte sie ferne Orte, in denen sie zusammen mit Van gewesen war. Erst jetzt wurde ihr klar, wie viel sich in der Zeit ihrer Abwesenheit verändert haben konnte. Der kleine Cid dürfte inzwischen sehr gewachsen sein. Ob sie ihn überhaupt noch wieder erkennen würde? War Dryden inzwischen wieder bei Milerna oder gondelte er immer noch in der Weltgeschichte umher? Hatte sie gar schon ein Kind von ihm bekommen oder hatte sie sich wieder an Allen heran geschmissen? Vielleicht hatte sie inzwischen jemand ganz anderen geheiratet. Hitomi erinnerte sich noch gut daran, wie groß damals der Druck auf Milerna gewesen war, als Dryden sie verlassen hatte. Nicht nur von Seiten des Königshauses waren Forderungen nach einem Thronfolger laut geworden, da König Aston noch immer an den Nachwirkungen seiner Schwächeanfälle gelitten hatte. Vor drei Jahren war man noch davon ausgegangen, dass er sich nie mehr davon erholt. Hatte er sich erholt? Lebte der König überhaupt noch? Was war aus Allen geworden? Wie viele Frauen er inzwischen wohl das Herz gebrochen hatte?

Beinahe wurde Hitomi von dem Impuls überwältigt aufzustehen und jemanden auszufragen. Gerade rechtzeitig erinnerte sie sich daran, dass sie überhaupt nicht laufen konnte, dass sie hilflos war. Der Wunsch Vans schützende Hand auf ihren Schultern spüren zu können, nahm überhand. Von Verzweiflung getrieben versuchte Hitomi wieder einmal seine Präsenz aufzuspüren, doch sie fand nichts. Dieser weitere Fehlschlag trieb einen Schmerz wie von einem Messer durch ihren Bauch und sie kauerte sich zusammen. Eine Träne lief über ihre Wange gefolgt von einem kühlen Lufthauch.

Hitomi ahnte, dass jemand ihren Bereich betreten hatte. Eigentlich sollte sie sich jetzt zusammenreißen und wieder die Stumme spielen, doch sie konnte nicht. Entgegen aller ihrer Bemühungen schluchzte sie. Daraufhin fuhr eine sanfte Hand mit zarten Fingern über die oben liegende Gesichtshälfte bis hin zu einer Haarsträhne, die sie sachte bei Seite schob.

„Essen sie etwas!“ Hitomi erkannte die Stimme der Schwester. „Dann wird es ihnen besser gehen.“

Einen Augenblick später war Hitomi wieder allein. Langsam drehte sie sich wieder auf ihren Rücken und öffnete ihre Augen. Ein Schleier aus Tränen vernebelte ihr die Sicht. Als sie diese weggewischt hatte, fand Hitomi neben sich ein Tablett, auf dem ein Teller Suppe mit einer Brotscheibe und eine Tasse Tee stand. Wie sollte sie bitteschön in ihrer Verfassung und dem Gestank in der Luft auch nur ein Bissen runter kriegen. Aller Abneigung zum Trotz griff Hitomi zur Tasse und schnupperte genüsslich am süßen Duft des Tees. Was für ein himmlischer Duft. Zögerlich nahm sie einen Schluck. Der Tee war lauwarm. Enttäuscht stürzte Hitomi den Rest des Tees in einem Schluck hinunter und stellte die Tasse wieder auf das Tablett.

Dann wandte sie sich vom Tablett ab und zog die Decke über ihre Schulter. Einige Zeit später wurden die Lichter der Halle gelöscht und alles um ihr herum versank in der Dunkelheit. Sie sah zum Himmel hinauf, doch alles was sie ausmachte, war eine triste, eintönige Decke. Wenn sie doch nur einen Blick auf ihre geliebte Erde werfen könnte. Vielleicht würde sie dann zurückkehren können.

Zurückkehren.

Ja, genau das hatte sie sich eben gewünscht. Sie war nur einen Tag auf Gaia gewesen und wollte schon wieder nach Hause. Hitomi spürte das wohlbekannte Messer in ihrem Bauch. Bedeutete Van ihr inzwischen so wenig, dass sie nicht einmal mehr ein paar Schwierigkeiten in Kauf nahm um ihn zusehen, leibhaftig und so wie er jetzt war? Liebte sie ihn überhaupt noch?

Sie fürchtete schon, dass sie wieder in einer ihrer Vision geraten könnte, doch es passierte nichts. Sie lag weiterhin mit offenen Augen auf ihrem Bett und grübelte über diese eine Frage, deren Antwort sie nicht wusste. Stunden vergingen.

Schließlich schlief sie ein.

Auf einmal war sie wieder wach. Sie wusste nicht wie lange sie geschlafen hatte, nur, dass es noch finster war. In ihrem Kopf spürte sie ein Hämmern, so als würde jemand gegen ihre Schädeldecke schlagen, und ein unangenehmes Gefühl brach in ihrem Bauch aus. Sie vergaß fast das Atmen. Dann hörte sie schnelle, leise Schritte auf den harten Hallenboden. Es waren mehrere Personen, mindestens drei.

Sie waren wegen ihr hier.

Diese Erkenntnis brannte sich in Hitomis Kopf ein und ließ sie in Panik geraten. Was sollte sie tun? Wie sollte sie reagieren? Weglaufen konnte sie nicht, also blieb ihr nur ein Hilferuf, aber ihre Stimme war vor Furcht wie gelähmt und sie brachte keinen Ton raus. Der Vorhang zu ihrem Bereich öffnete sich.

„Danke, dass du auf uns gewartet hast, meine Schöne.“, sprach eine gehässige Stimme sie an.

Hitomis Augen weiteten sich. Im nächsten Augenblick drückte man ihr ein Tuch auf Mund und Nase. Ohne es zu wollen, schloss sie ihre Augen. Leere Dunkelheit empfing sie.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Doena
2010-11-22T20:29:27+00:00 22.11.2010 21:29
also sind alle gegen hitomi?
ich verstehe noch nicht ganz aber das legt sich bestimmt

übrigens du hast nen schönen schreibstil ^^


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