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Stadt der Engel

Schatten und Licht, Band 1
von

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Der geheime Auftrag

Ein eisiger Wind zog über die flache Ebene hinweg und ließ Merle in ihrem langen Mantel erschaudern. Um sie herum ragten leere Stämme und karges Gestrüpp aus dem felsigen Boden. Sie sah auf das von weißen Steilwänden eingerahmte Tal herab, das Farnelia beherbergte.

Zwar hatte Van ihr befohlen zu schlafen, doch ihr war ganz und gar nicht danach zumute. Ihr Herz raste. Ihre Krallen waren ausgefahren und kratzten bedrohlich über ihr eigenes Fell. Am liebsten würde sie ihre ganze Wut die Welt hinaus schreien, nur ihre in den letzten Jahren hart erarbeitete Disziplin hielt sie davon ab. Doch ihr Zorn gärte weiter. Merle verschränkte die Arme, starrte zur Stadt hinaus und grübelte. Wieso konnte sich dieser Trottel nicht eingestehen, dass er ein Problem hatte? Er war kurz vor dem Zusammenbruch und steigerte sich nur noch mehr in seine Arbeit.

Es hatte mal eine Zeit gegeben, da war alles gut gewesen. Die Zaibacher Gefahr war gebannt, die Bevölkerung Farnelias war in mal größeren, in mal kleineren Gruppen zurückgekommen und hatte begonnen ihre eigene Existenz zusammen mit der Stadt wieder aufgebaut. Damals war Hitomi noch an Vans Seite gewesen, nachdem er sie in mitten der Kriegswirren vom Mond der Illusionen abgeholt hatte. Er war damals voller Hoffnung gewesen und hatte mit einem Lächeln in die Zukunft geschaut. Vielleicht hatte Hitomi deshalb das Gefühl gehabt ihn verlassen und in ihr eigenes Leben zurückkehren zu können.

Inzwischen hatte sich sein Optimismus mit dem seines Volkes verflüchtigt und wurde durch harte Fakten ersetzt. Und die sahen nicht gut aus. Die Zeiten wurden nicht besser, ein Schlag folgte dem anderen und seine Untertanen wollten Antworten auf die Probleme ihrer Zeit. Am besten gestern. Sie drängten so sehr darauf, dass er nicht einmal die Zeit fand Lösungen überhaupt zu suchen. Merle tat es jedes Mal im Herzen weh, wenn sie ihn lange nach Mitternacht an seinem Schreibtisch sah und er am nächsten Morgen wieder dort saß. Oder immer noch. Wer weiß das schon?

Van sperrte sein Umfeld aus seinem Leben konsequent aus. Entgegen den Standards seines Standes zog er sich immer alleine an oder aus. Er wusch sich selbst. Er legte sogar die Sachen für die Wäsche raus, so dass man sie einfach nur noch abholen musste. Er holte sein Essen aus der Küche, er aß allein, er brachte das dreckige Geschirr wieder zurück, er trainierte allein. Außerhalb seiner Termine, Konferenzen und staatsmännischen Pflichten war er immer allein.

Für sein Volk jedoch war er immer präsent...durch sein Handeln. Seinen Einfluss konnte man spüren, wenn zum Beispiel ein Waisenhaus aus heiterem Himmel neue Betten samt Wäsche bekam. Irgendwie bekam er es immer mit, wenn in Farnelia etwas so schlimm wurde, dass es nicht mehr zum Aushalten war. Selbst wenn es nur Kleinigkeiten waren.

Ein Teil seines Geheimnisses war mit Sicherheit das Netzwerk der Händlerallianz. Dryden Fassa war die letzten Jahre auch nicht untätig geblieben und hatte eine Art Vereinigung von Bürgern und Händlern geschaffen, die mittels Informationen und sozialen Projekten für Stabilität und Frieden sorgen wollten. Das Kommunikationsnetz dieser Allianz hatte sich innerhalb weniger Jahre über einen Großteil Gaias ausgebreitet und in der Herrscher Villa Farnelias befand sich ein Knoten, der Informationen empfing und weiter schickte. Diese Art staatliche Unterstützung war ziemlich selten, das Netzwerk selbst so etwas wie ein offenes Geheimnis. Merle wollte sich gar nicht vorstellen, über wie vielen Berichten Van täglich brütete. Antworten schien er trotzdem keine zu haben.

Er war einsam. So viel stand fest. Sie selbst konnte ihm das Alleinsein aber nicht abnehmen. Er hatte sie schon unzählige Male abblitzen lassen und sie versuchte zumindest sich keine Illusionen mehr zu machen. Er liebte sie nicht. Und um ihn sich ohne gegenseitige Liebe krallen zu können, bräuchte Merle blaues Blut. Andere Argumente zählten nicht. Die Pflicht gegenüber seines Volkes hielt in einem Käfig, dessen Tür offen stand. Nur einmal sollte er an sich selbst denken! Sein Glück lag in seinem Bett und er müsste sie sich nur noch schnappen. Sie würde bestimmt nicht Nein sagen.

Plötzlich durchschnitt ein Beben Merles Gedanken. Vans Gefühle, vorher sorgfältig abgeschirmt, waren auf einen Schlag offen wie ein Scheunentor. Aus ihm brachen die tiefe Sorge um einen einzigen Menschen hervor, ebenso wie die große Sorge um sein gesamtes Volk und die Sehnsucht nach etwas, von dem er bisher nur zu träumen wagte. Merle wurde von diesem intensiven Kontakt fast hinweg gefegt. Noch nie hatte sie eine solch heftige Reaktion ihres geliebten Königs erlebt. Ein weiterer, überflüssiger Beweis für sie, dass Van ohne Hitomi so verloren war wie ein Säugling ohne seine Mutter. Sie schüttelte ihren Kopf um wieder ein klares Bild vor Augen zu haben und versucht tief durch zu atmen. Nachdem sie ihre Gedanken beisammen hatte, lief sie, so schnell wie ihre Beine sie trugen, den Pfad hinunter zum Palast.

Dort angekommen platzte sie entgegen aller Etikette unvermittelt in Vans Zimmer hinein. Sie sah ihn am Fenster sitzen und ein Schreck fuhr durch ihre Glieder. Er wirkte versteinert, so leblos wie nackter Fels. Doch der Schein trog. Seine Aura pulsierte, heftig, der Ruf nach Hilfe war fast greifbar. In seinem Innern wirbelte ein Tornado und er machte nicht die geringsten Anstalten seine Emotionen zu verbergen.

„Van?“, sprach Merle ihn vorsichtig an. Er zeigte keine Reaktion. „Van, hörst du mich?“, fragte sie nun laut und deutlich, doch es half nichts. Davon ausgehend, dass die alt bewährte Methode nicht nur bei Hitomi funktionierte, positionierte Merle sich neben ihn und gab ihn eine kräftige Ohrfeige. Jedenfalls versuchte sie es, doch Van fing ihre Hand ab und hielt in seinem stahlharten Griff.

„Was soll das, Merle?“, fuhr er sie gereizt an. „Ich habe keine Zeit für deine Spielchen.“

„Aber Zeit dich im Selbstmitleid zu suhlen hast du. Was ist mit dir los?“, erwiderte Merle trotzig und riss sich los. Van wandte sich wieder dem Fenster zu.

„Das geht dich gar nichts an.“, wiegelte er ab, woraufhin sie endgültig genug von seinem Schweigen hatte.

„Hey, du großer König von Farnelia! Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!“

„Ich hör dich auch so.“

„Ach ja, dann hör dir das hier an!“, sagte Merle und brüllte, so laut sie konnte, direkt in sein Ohr. Van kippte samt Stuhl um und fiel zu Boden.

„Sag mal, spinnst du?“, schrie er sie halb taub an.

„Nein, aber du spinnst wohl. Du denkst, du könntest deine beste Freundin einfach aus deinem Leben verbannen.“

„Beste Freundinnen hören sich aber anders an.“, belehrte er sie mürrisch.

„Woher willst du das wissen? Du hattest nie eine andere außer mir.“

„Als was würdest du dann Hitomi bezeichnen?“

„Als Deine Freundin.“, antwortete sie schlicht.

„Wo bitte schön ist da der Unterschied?“, wunderte sich Van.

„Keine Ahnung. Sag du es mir!“

„Ich weiß nicht, was du von mir willst.“

Genervt rappelte er sich auf.

„Ich will, dass du mir und dir gegenüber endlich mal ehrlich bist. Liebst du Hitomi oder nicht?“, fragte Merle ihn, worauf Vans Gesicht eine merkliche Rotverschiebung aufwies.

„Das geht dich nichts an!“

„Ich habe die Laken gesehen, in die du gepinkelt hast. Wir haben zusammen gebadet. Den ersten Kuss haben wir miteinander geteilt. Scheiß drauf! Wenn du Hitomi nach der Drachenprüfung nicht mitgebracht hättest, hätte ich dich noch in der selben Nacht entjungfert. Du kannst so was von drauf wetten, dass mich das was angeht!“, erwiderte sie aufbrausend.

„Ich habe versucht sie zur Rückkehr auf den Mond der Illusionen zu bewegen, aber es hat nicht geklappt. Beantwortet das deine Frage?“, antwortete Van beinahe hilflos.

„Nein, tut es nicht! Warum hast du sie nicht nach Hause geschickt, so wie beim letzten Mal.“, hakte Merle nach.

„Weil ich es nicht über mich bringen kann, sie gehen zu lassen.“, klagte Van verzweifelt, doch Merle war gnadenlos.

„Warum willst du sie nicht hier lassen, wo sie hingehört?“

„Wenn Astoria von ihrer Anwesenheit erfährt, muss ich sie ausliefern oder einen Krieg in Kauf nehmen. Du weißt, dass ich beides nicht kann.“

„Sie bedeutet dir also mehr als tausende Menschen. Warum?“

Van konnte es nicht fassen. Wie konnte man so begriffsstutzig sein.

„Willst du es denn immer noch nicht verstehen?“, fragte er ungläubig.

„Vielleicht will ich, dass du es einfach sagst, was du für sie empfindest.“

„Lass mich in Ruhe!“, schrie er Merle außer sich an.

Ihr riss der Geduldsfaden.

„Schön!“,rief sie und stapfte zur Tür.

Bevor sie diese jedoch öffnen konnte, hielt Van sie auf. Aufrecht und mit strengem Gesicht stand er vor ihr. Sie wusste, was jetzt kam. Ein Befehl.

„Merle, du bist hiermit vom Kommando der Leibwache entbunden. Ab sofort wirst du die Leibwächterin und Betreuerin von Hitomi sein! Du folgst ihr auf Schritt und Tritt, Tag und Nacht! Wenn sie schläft, wirst du an ihrem Bett Wache halten!“

„Wann soll ich dann schlafen?“, fragte sie ungläubig.

„Du kannst die Leibwache mit einspannen, aber nur Leute, denen du völlig vertraust. Außerdem unterstelle ich dir Siri.“

„Wer wird meinen Posten bei der Leibwache übernehmen?“

„Ich dachte da an Gesgan.“

„Vertraust du ihm?“, wunderte sich das Katzenmädchen.

„Soll ich?“

Merle ging in sich und wog ihre Antwort sorgfältig ab.

„Er hat dein Vertrauen auf jeden Fall verdient, aber er ist noch immer ein Gefangener“, gab sie zu bedenken.

„Ich werde ihn umgehend begnadigen.“, informierte Van sie und wandte sich ab. „Hitomi ist in der Sternenkuppel. Dein Auftrag beginnt jetzt.“

Merle ging ohne weiteren Kommentar zur Wendeltreppe, die von Vans Zimmer in den Raum darüber führte. Bevor sie dort ankam, sprach Van sie abermals an.

„Eine Sache noch. Sobald Hitomi wieder laufen kann, lässt du sie verschwinden! Ich darf keine Ahnung davon haben, wie du das anstellst!“

„Was soll ich mit ihr machen?“ Merle konnte gar nicht anders als scherzhaft zu überlegen, wo sie die Leiche verstecken würde.

„Geh mit ihr und Siri auf Reisen! Findet etwas über das Kopfgeld raus, versucht Hitomi nach Hause zu schaffen oder macht einfach die Gegend unsicher! Es ist mir egal, solange es außerhalb von Farnelia stattfindet, euch keiner erkennt und keinem von euch etwas passiert. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

„Ist diese Mission offiziell?“, erkundigte sich das Katzenmädchen.

„Ich werde jede Kenntnis abstreiten.“, informierte sie Van.

Merle seufzte. Es gab Tage, da hasste sie ihre Arbeit.

„Du hast Glück, ich kenne deine Beweggründe. Andernfalls würde ich jetzt anfangen jämmerlich zu heulen.“

„Dann wäre das ja geklärt.“, erwiderte er trocken und stürmte hinaus.

Merle stieg leise fluchend die Wendeltreppe hinauf. Oben angekommen, ließ sie sich einen Augenblick lang von dem an der Decke gemalten Himmel verzaubern, richtete dann aber ihre Aufmerksamkeit auf die zusammengekauerte Gestalt in der Mitte des Raumes. Langsam, fast lautlos, kam sie auf das Bett zu und setzte sich vorsichtig hin.

Zweifellos hatte Hitomi den Streit eben mitbekommen. Insgeheim hoffte Merle, dass wenigstens der letzte Teil des Gesprächs hier oben unverständlich gewesen war. Hitomi reagierte nicht auf ihre Anwesenheit. Das Katzenmädchen freut sich schon darauf das letzte aller Mittel anwenden zu dürfen. Die Ohrfeige.

Doch als sie Hitomis Schulter berührte, fragte diese aus heiterem Himmel und völlig niedergeschlagen: „Was willst du?“

„Wie geht es dir?“, fragte ihre Leibwächterin fürsorglich.

„Geh weg! Ich will allein sein.“, antwortete Hitomi heiser.

„Oh nein!“, lehnte Merle ab und versuchte alles an sonnigem Gemüt zu mobilisieren, was sie hatte. „Als ich dich das letzte Mal mit Liebeskummer allein gelassen habe, wurdest du entführt. Dieses Mal werde ich dich beschützen.“

Hitomi schnaubte verächtlich.

„Ich will deinen Schutz nicht.“, sagte sie mit einer Bestimmtheit, die das Mädchen tief traf, doch sie ließ sich abermals nichts anmerken.

„Willst du etwas essen? Ich lasse uns etwas bringen.“, fragte sie genauso fröhlich wie vorher.

„Hab keinen Hunger.“, antwortete die junge Frau störrisch.

„Aber so kannst du dich nicht draußen sehen lassen. Lass mich dir beim Umziehen helfen!“

„Ich kann nicht gehen. Warum sollte ich mir etwas anziehen?“

„Aber ich kann dich tragen. Wie wäre es damit?“, konterte Merle. „Außerdem, wenn man sich nicht schick macht, kann man sich auch nicht wohl fühlen.“

„Hältst du eigentlich irgendwann mal die Klappe.“, erkundigte sich Hitomi genervt, aber Merle ließ sich den etwas munteren Unterton nicht entgehen und schöpfte neue Hoffnung.

„Nur wenn ich mit meiner besten Freundin an der frischen Luft bin.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Doena
2010-11-22T21:17:03+00:00 22.11.2010 22:17
VAn hat sich aber määäächtig verändert.
wieso ahst du ihm denn so nen kurzen haarschnitt verpasst
den will ich mir nicht mal vorstellen...


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