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Stadt der Engel

Schatten und Licht, Band 1
von

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Der Preis der Verantwortung

Niedergeschlagen stand Van am Balkonfenster seiner Wohnung und blickte über das nächtliche Farnelia. Seine Arme hingen schlaff am Oberkörper, seine Augenlider waren schwer. Unter ihm im Garten der Villa herrscht für diese Zeit ungewöhnlich viel Betrieb, was er mit einem Seufzen zur Kenntnis nahm. Hinter ihm klopfte jemand an die Tür.

„Herein!“, rief er und war selbst erstaunt über die Erschöpfung in seiner Stimme. Die Tür öffnete sich und jemand trat mit schwerem Schritt in das Zimmer. Van drehte sich um und sah gerade noch, wie die Tür hinter Gesgan zufiel. Der sagte kein Wort, sondern verneigte sich knapp. „Ihr seht müde aus.“, begrüßte Van ihn und betrachtete den ehemaligen Spion aus Zaibach. Gesgan verkniff sich jeglichen Kommentar. Trotz des angegrauten Haares wirkte seine Statur kraftvoll und in seinen Augen brannte noch immer mit das Feuer eines Kriegers. Dieser Mann erinnerte den König an seinen verstorbenen Lehrer und jedes Mal drückte es in seiner Brust, wenn er ihn sah. „Ich konnte schon lange nicht mehr ausschlafen. Wie sieht es bei ihnen aus?“

„Ich ebenfalls nicht, Majestät.“, antwortete Gesgan schlicht und im angemessenen Tonfall.

„In dieser Nacht werde ich angesichts der Hektik da draußen wohl überhaupt keine Ruhe finden können. Was macht mir wohl dieses Mal meine Bettruhe streitig?“

Innerlich bereitete sich Gesgan schon auf ein Donnerwetter vor und antwortete besonnen: „Majestät, vor einer halben Stunde wurde Fräulein Hitomi aus ihrem Gemach entführt. Wir wissen noch nicht, wie das passieren konnte.“

„Oh doch, sie wissen es. Sie wollen es mir nur nicht sagen.“, stellte Van unbarmherzig fest.

„Es gibt momentan nur Vermutungen.“, hielt Gesgan dagegen.

„Dann spekulieren sie eben! Es ist mir gleich, solang ich nur irgendetwas weiß.“

„Majestät, es scheint so, als wäre die ehemalige Kommandantin eurer Leibwache dafür verantwortlich.“

„Sind sie sicher?“, fragte Van wenig überrascht.

„Nein, bin ich nicht. Bei einer ersten Durchsuchung der Villa fanden wir einen Steckbrief mit Fräulein Hitomis Beschreibung im Merles Zimmer. Alle ihre Sachen sind weg. Das Zimmer war leer und aufgeräumt. Außerdem sagte ein Stallknecht, dass das Pferd, das bei der Flucht verwendet wurde, auf ihren Befehl hin bereitgestellt worden war. Wir warten noch immer auf eine Meldung der Wachen am Stadttor.“

„Was halten sie von den Beweisen?“, fragte Van.

„Ihr Zimmer und die Aussagen des Stallmeisters deuten daraufhin, dass Kommandantin Merle uns aus freien Stücken verlassen hat, doch der Steckbrief lässt mich zweifeln.“

„Warum?“, hakte Van nach.

„Er ist zu offensichtlich.“

„Wer war für die Nachtwache an Hitomis Bett zuständig?“

„Siri Riston, Majestät. Sie behauptet den Entführer nicht erkannt zuhaben.“

„Sie ist immer noch hier?“, fragte Van überrascht. Eigentlich hatte er Merle befohlen, dass das Mädchen mit den beiden aus Farnelia verschwinden sollte, aber anscheinend konnte sie auf eine Sanitäterin verzichten. Wohin hatte sie Hitomi gebracht?

„Ja, sie ist in der Villa. Möchte eure Majestät mit ihr sprechen?“, antwortete Gesgan verwundert.

Van überlegte einen Moment. Eigentlich hatte er es selbst so gewollt. Merle hatte ihn wie befohlen über Zeitpunkt und Ziel der Reise im Unklaren gelassen, doch jetzt juckte es ihn förmlich in den Fingern.

„Schickt sie herein! Ich möchte allein mit ihr reden.“, befahl Van und wandte sich wieder dem Fenster zu. Gesgan verbeugte sich und verließ das Zimmer.

Der einsame König ließ seinen Blick über die Dächer schweifen und sackte dabei innerlich zusammen. Er fühlte sich, als würde der Himmel ihm auf den Kopf fallen. Wie so oft in den letzten Wochen sah er in sich und suchte Hitomi, doch dort, wo sich sonst immer ihre Präsens befunden hatte, klaffte eine große Lücke. Natürlich, er hatte den Kontakt von sich aus abgebrochen, als sie ihn mit ihrer Wut förmlich bombardiert hatte, und konnte ihn jederzeit wiederherstellen, aber er schreckte davor zurück. Zu groß war die Ungewissheit, was ihn erwarten würde. War sie immer noch wütend? Grenzenlose Liebe, Sehnsucht nach seiner Nähe oder unendliches Vertrauen waren wohl kaum, was sie für ihn empfand, nachdem er sie so schlecht behandelt hatte. Doch gerade diese Gefühle Hitomis waren stets ein Eckpfeiler seiner Entschlossenheit gewesen. Er hatte sich vorgenommen eine Welt zu erschaffen, in der sie beide glücklich und ohne Gefahren zusammen leben konnten. Dieses Ziel war ins Wanken geraten.

Wieder klopfte es an seiner Tür, dieses Mal jedoch öffnete sie sich ohne seine Erlaubnis. Endlich jemand der mitdenkt, sagte sich Van und lächelte. Beim Umdrehen setzte er wieder eine strenge Mine auf.

„Weißt du, warum du hier bist?“, frage er, nachdem sich Siri sich vor ihm hingekniet hatte. Sie trug noch immer ihren Kampfanzug und das Schwert lag neben ihr auf dem Boden. Ein paar lose Strähnen ihrer dunkelbraunen Haarpracht hingen vor ihrem Gesicht, während der Rest hinter ihrem Rücken zusammen gebunden war.

„Weil ich versagt habe, Herr.“

„Wobei? Drück dich genauer aus!“

„Ich habe zugelassen, dass ein unbekannter Angreifer in eure Gemächer eindringen und Fräulein Hitomi entführen konnte.“

„Hast du den Eindringling wirklich nicht erkannt?“

„Majestät?“

„Es gibt Anzeichen dafür, dass deine Vorgesetzte Merle das Fräulein entführt hat. Eigentlich hättest du sie erkennen müssen.“

„Es war zwar definitiv eine Frau, aber ihr Gesicht war verdeckt, euer Majestät.“, hielt Siri dagegen.

„Trotzdem bist du mit Merles Kampfstil vertraut.“, konterte Van.

„Ich kannte den Kampfstil meiner Gegnerin nicht.“, log Siri verzweifelt und rang gegen ihre hochkommenden Tränen. Ihr König verzog keine Mine.

„Aber eingeschlafen bist du nicht?“, wollte er daraufhin wissen.

„Nein, selbstverständlich nicht, Majestät.“, sagte Siri. „Wie hätte ich dann Alarm auslösen können?“

„Stimmt.“, bestätigte Van und wandte sich wieder dem Fenster zu. Was sollte er jetzt mit dem Mädchen anfangen? Plötzlich sah er für Siri eine goldene Gelegenheit und fragte sich, ob Merle auch das geplant hatte. Der Zeitpunkt war einfach zu gut. Das konnte kein Zufall sein. „Ich habe eine neue Aufgabe für dich. Offiziell ist die Seuche in Farnelia vorbei und wir können den Handel wiederaufnehmen. Astoria hat jedoch eine Bedingung gestellt. Bei jedem Handelskonvoi muss ein Arzt anwesend sein, der auf verdächtige Symptome bei den Mitreisenden achtet. Bei einem Verdacht auf die Krankheit muss der Konvoi sofort umkehren. Da wir nicht genug reguläre Ärzte haben, um den Bedarf zu decken, wirst du am Programm teilnehmen! Du wirst dem aller ersten Konvoi zugeteilt. Er verlässt Farnelia bei Sonnenaufgang. Melde dich eine Stunde vorher beim Händler in Lager 2! Er wird dich einweisen.“

Siri empfand den Auftrag als herbe Strafe und antwortete mit mühsam kontrollierter Stimme:

„Jawohl, Majestät.“

„Diese Sache ist wichtig. Das Überleben von Farnelia hängt davon ab, dass der Handel wieder in Schwung kommt. Hab ich mich klar ausgedrückt?“, sagte Van mit mahnender Stimme.

„Ja, Majestät. Ihr könnt euch auf mich verlassen.“

„Du kannst gehen.“, entließ sie der König, woraufhin sie sich erhob, einen Knicks machte und den Raum verließ.

„Viel Glück.“, flüsterte Van und starrte weiter auf die Lichter Farnelias.

Siri wandelte fast wie ein Geist durch die Flure zu ihrem Zimmer, während sie mit ihren Tränen kämpfte. Erst als sie ihre sicheren vier Wände erreicht hatte, ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf. Sie schrie, rammte ihre Stirn gegen die Wand und schlug mit beiden Fäusten gegen das unnachgiebige Gemäuer. Noch immer konnte und wollte sie es nicht glauben.

Merle, ihre Vorgesetzte, ihre Mentorin, hatte sich als Verräterin erwiesen. Nie zuvor hatte das Katzenmädchen ihr irgendetwas anvertraut, nur in dieser einen Nacht, in der die Entführung stattfinden sollte, hatte sie Siri für eine Nachtwache eingeteilt. Merle musste geglaubt haben, mit ihr hätte sie ein leichtes Spiel. Wut mischte sich in Siris Enttäuschung.

„Man sagt, Agenten, die ihren ersten Auftrag vermasseln, leben länger. Zu dumm, dass es nicht dein erster war.“, sprach eine wohlbekannte Stimme sie an.

„Kommandant? Was macht ihr hier?“, fragte Siri mit gebrochener Stimme den Eindringling.

„Die Tür war offen.“, erklärte Gesgan ihr mit väterlicher Stimme. „Daher dachte ich, hier will jemand Gesellschaft haben. Hatte ich recht?“

„Nicht wirklich. Ich würde jetzt gerne alleine sein.“, entgegnete Siri kleinlaut und wischte ihre Tränen aus dem Gesicht. Gesgan beachtete ihre Ablehnung nicht und setzte sich stattdessen auf ihr Bett. Er machte eine einladende Geste, woraufhin Siri sich neben ihm niederließ. Nervös kauerte sie sich zusammen.

„War es dein erster Einsatz heute?“, fragte Gesgan.

„Kommandant, ihr wisst, dass ich schon ausgerückt bin. Ihr habt mich überwacht!“

„Ja, aber dieses Mal war es etwas besonderes. Aber nicht, weil du versagt hast.“, hakte Gesgan nach.

„Es war der erste Einsatz, den ich allein ausführen durfte.“, erinnerte Siri.

„Wenn du das so sagst, könnte man meinen, es wäre eine Ehre gewesen.“

„Das war es auch, Kommandant.“, bekräftigte sie.

„In Wahrheit ist es ein Fluch die Verantwortung zu tragen, denn du musst für dein Versagen geradestehen und das, obwohl du nicht einmal einen Fehler gemacht hast. Wäre Merle dabei gewesen, wäre sie für alles verantwortlich.“

„Merle war...“, rutschte es Siri heraus, ehe sie ihre Zunge in Zaum hatte.

„Was? Wolltest du mir etwa gerade erzählen, Merle war bei der Entführung dabei? War sie etwa die Täterin?“

„Ich weiß es nicht.“, wiegelte das Mädchen ab.

„Du kannst es also nicht ausschließen. Ein merkwürdiger Zufall, findest du nicht? Merle verschwindet in der selben Nacht, in der Hitomi verschleppt wird.“, gab Gesgan zu bedenken.

„Vielleicht verfolgt sie die Entführerin.“, konterte Siri zaghaft.

„Möglich.“, gab der Krieger zu. „Dass sie dabei aber noch Zeit hatte, sämtliche Sachen aus ihrem Zimmer mitzunehmen, ist erstaunlich. Sie konnte nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Was wir aber fanden, war ein Steckbrief von Hitomi. Dem Papier zufolge stammte er aus Astoria.“

„Und?“, fragte Siri, als wäre das nicht genug.

„Das Luftschiff der Kopfgeldjäger wurde gestohlen. Außerdem habe ich inzwischen die Meldung bekommen, dass die Wachen am Tunnel Merle zweifelsfrei erkannt haben, bevor sie betäubt worden sind.“

„Sie ist also auf den Weg nach Astoria?“, fragte Siri so desinteressiert wie möglich.

„Sieht so aus. Darum wollte ich dich um einen Gefallen bitten. Du sollst doch einen Konvoi bis nach Palas begleiten. Könntest du Augen und Ohren für mich offen halten und ein paar Gerüchte sammeln, wenn du dort bist?“

„Darum müsst ihr mich nicht bitten. Ich bin wieder eure Untergebene.“, merkte Siri an.

„Nein, leider nicht. Für die Dauer deines Auftrages unterstehst du dem Händler. Du bist in seinen Diensten, bis er dich frei gibt oder er dich nicht mehr bezahlt. Ansonsten bist du auf dich allein gestellt. Deine Verantwortung.“, erinnerte Gesgan sie.

Etwas schwerfällig erhob sich der ehemalige Spion vom Bett und für einen Moment sah Siri so etwas wie Angst in seinen Augen.

„Was habt ihr?“

„Nichts, es ist nur so schwer loszulassen, was einem lieb und teuer geworden ist.“

Einen Moment lang streckte sich er in alle Richtungen aus. Dann kniete er sich zu Siri herab und schaute ihr tief und eindringlich in die Augen. „Denk an das, was ich und Merle dir beigebracht haben! Dann wirst du alle Hindernisse meistern und zur rechten Zeit den rechten Weg finden.“ Dann erhob er sich wieder und ging zur Tür. „Gutes Gelingen!“, wünschte er dem verdatterten Mädchen und verließ das Zimmer. Sie blieb allein zurück und dachte über seine Worte nach.

Gesgan blieb einen Moment vor ihrer Tür stehen und grübelte. War es wirklich richtig Siri auf eine solch hinterlistige Art auf eine Mission mit so unsicheren Parametern zu schicken? König Van und er waren sich einig, dass niemand sie aufhalten könnte auf die Suche nach Merle zu gehen, sollte sie erst einmal Blut geleckt haben.

Aber mussten sie das Mädchen deswegen auch noch ermuntern diese Dummheit zu begehen? Er bekam Zweifel, doch er schüttelte sie ab. Ab jetzt war es ihre Wahl, was sie mit ihrer Zeit anfing, und für ihn war es Zeit loszulassen. Schließlich hatte er und Merle ihr alles beigebracht, was sie zum Überleben brauchte. Den Rest, so versuchte er sich zu beruhigen, musste Siri selbst lernen. Aber er würde einer gewissen berühmt-berüchtigten Persönlichkeit den Hals umdrehen, wenn ihr tatsächlich etwas passieren sollte. Das schwor er sich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Doena
2010-11-23T12:44:34+00:00 23.11.2010 13:44
was soll das denn heißen ?
liebt gesgan merle? oder sogar siri?



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