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Stadt der Engel

Schatten und Licht, Band 1
von

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Stirb nicht!

Missmutig schloss Siri die Tür hinter sich. Ihre Mine verfinsterte sich noch zusätzlich, als sie sah, dass ihr glatzköpfiger Mitbewohner im Flur an der Wand sitzend auf sie gewartet hatte. Amüsiert registrierte er das mit Brotscheiben und einer Kanne Wasser gefüllte Tablett in ihren Händen.

„Ich hätte echt nicht gedacht, dass du so grausam sein kannst.“, meinte er. „Du lässt das Mädchen nicht nur verhungern, sondern hältst ihr regelmäßig auch noch frisches Essen unter die Nase.“

„Das Essen stammt von gestern. Ich hab ihr eben etwas Frisches gebracht.“, erklärte Siri sich.

„So wie gestern? Wozu der ganze Aufwand, wenn sie es doch eh nicht isst?“

„Weil König Van vielleicht nicht kommen wird, wenn seine Geliebte erst einmal vertrocknet ist. Ich muss sie solange am Leben erhalten, bis er hier ist.“

„Du lügst.“, behauptete ihr Mitbewohner und richtete sich in seiner ganzen imposanten Größe auf. „In Wahrheit sorgst du dich um ihr Leben.“

„Warum sollte ich? Ich kenne sie kaum.“, konterte sie.

„Dennoch kennst du sie. Ihr habt das ein oder andere Gespräch miteinander geführt, nicht wahr?“

„Raus aus meinem Kopf!“, keifte Siri ihn an.

„Ich bin nicht einmal drin. Dein Gesicht sagt alles.“, lachte er. „Ist sie überhaupt noch am Leben?“

„Sie ist schwach und liegt bewusstlos neben ihrem Bruder, aber sie lebt.“

„Sicher? Ich spüre ihre Aura nicht mehr.“

„Hey, ich bin Ärztin. Ich weiß, wovon ich spreche.“

„Aber ihre Aura…“

„Hitomi schottet sich ab.“

„Woher kennt sie die dafür erforderliche Gedankentechnik?“

Siri zuckte betont gleichgültig mit ihren Schultern.

„Die hat bestimmt unbewusst selbst gelernt. Ihr Wille, das Leid der Welt und ihr eigenes Leid zu verdrängen, muss eine Verteidigung errichtet haben.“

„Willst du ihre Mauern nicht mal langsam niederreißen? Wer weiß, was in ihrem Kopf so alles vor sich geht.“, wunderte sich ihr Mitbewohner.

„Das habe ich bereits versucht, aber sie schlägt mich jedes Mal zurück. Sie ist einfach zu stark.“, gab Siri zu.

„Erst ist sie schwach, dann wieder stark. Könnt ihr Ärzte euch mal für etwas entscheiden?“

„Körper und Geist sind zwei vollkommen verschiedene Dinge.“

„Wenn du meinst.“, sagte er Schulter zuckend. „Ich hoffe allerdings, dass sie noch vor Vans Eintreffen abkratzen wird.“

„Auch auf die Gefahr hin, dass er dann gar nicht mehr kommt?“, erinnerte ihn Siri.

„Wenn die Gerüchte aus meiner ehemaligen Heimat stimmen, wird er kommen, egal ob sie lebt oder tot ist. Angeblich hat dieses Würstchen die Kraft dieses Mädchen vom Tode wiederzuerwecken.“

„Und wenn das Gerücht nicht stimmt?“

„…können wir uns auch gleich einen anderen Köder suchen. Wenn er Hitomi nicht spüren kann, wird er sie für tot halten.“

„Es gibt einen Unterschied zwischen dem Abflauten einer Aura und einer plötzlichen Blockade. König Van weiß, dass sie sich abschottet. Außerdem haben wir keinen anderen Köder.“, meinte Siri.

„Er kennt das Katzenmädchen schon, solange er denken kann. Also wenn das kein Köder ist…“

„Es würde nicht funktionieren.“, unterbrach sie ihn. „Sie steht dem König nicht nah genug um zu ihm durchdringen zu können.“

„Dann schicken wir ihm halt einen Boten, der ihm flüstert, wo seine Sandkastenfreundin sich befindet.“

„Pah!“, platzte es aus Siri heraus. „Wenn wir das tun, kommt er mit einer ganzen Armee im Schlepptau.“

„Aber er kommt.“
 

„Aber er ist jetzt schon zwei Tage da drin.“, beschwerte sich Sophia bei dem Soldaten, der ihr die Tür zu Vans Koje versperrte.

„Verzeiht, Prinzessin, aber ich kann euch nicht durchlassen.“, wies der Soldat sie zurück.

„Hat er die letzten Tage überhaupt etwas zu essen bekommen?“

„Der Befehl verbietet allen Personen ohne Ausnahmen den Zutritt.“

„Das ist doch verrückt! Der König wird noch verdursten, wenn er nicht bald etwas zu trinken bekommt.“, sagte Sophia besorgt.

„Das liegt ganz allein im Ermessen seiner Majestät.“, erwiderte die Wache stur.

„Tun sie eigentlich alles, was man ihnen sagt?“, fragte Sophia ungläubig.

„Mein Eid verpflichtet mich dazu.“, klärte der Soldat sie auf.

„Würden sie auch aus einem Flugschiff in tausend Meter Höhe abspringen, wenn man ihnen den Befehl dazu gibt?“ Die Wache blieb ihr eine Antwort schuldig. „Sehen sie? Das hier ist genauso verrückt, nur das sie jetzt an Stelle ihres eigenen Lebens das Leben von Van grundlos wegschmeißen.“

„Ich habe meine Befehle.“, bekräftigte der Soldat.

„Zum Mond mit ihren Befehlen. Er könnte im Sterben liegen und wir wüssten es nicht.“, schrie Sophia wütend. „Ich gehe jetzt in Küche und hole ihm etwas Verpflegung. Wenn ich wiederkomme, ist diese Tür offen oder es gibt ein Donnerwetter.“

Der Soldat schluckte.
 

Neue Techniken entstehen immer aus der Notwendigkeit heraus. Zu dieser Erkenntnis gelangte Van, während er im Schneidersitz auf dem Boden seiner Koje meditierte. Der Raum war in vollkommener Dunkelheit gehüllt. Sämtliche Vorhänge waren vor dem Fenstern zugezogen worden. Van brauchte die Finsternis. Die bewusste Wahrnehmung von Zeit lenkte ihn nur unnötig ab. Er wusste nicht wie lange er gebraucht hatte, um überhaupt auf die Idee zu kommen, wie er Hitomi trotz ihrer Blockade finden konnte, und es spielte auch keine Rolle.

Wie er anhand von Merle schon lange hatte feststellen können, bilden Personen, die ihre Gedanken abschotten, eine Leere im Strom der Gedanken. Um die Blockade zu durchbrechen, musste man sich der genauen Position der Zielperson bewusst sein, was eigentlich nur über Augenkontakt möglich ist, doch Van hatte das dumme Gefühl, dass er nicht solange warten konnte, bis die Katzenpranke im Tempel der Fortuna eintraf. Um die Position Hitomis Vakuums im Meer der Gedanken selbst zu lokalisieren, war er viel zu weit weg. Ihre Blockade äußerte sich für ihn nur durch eine kleine Anomalie aus der Richtung des Tempels, doch eine ungefähre Richtungsangabe reichte nicht aus. Er braucht sechs davon. Zum Glück befanden sich gut ein dutzend Wesen mit einfachem Bewusstsein in Hitomis Nähe. Die Struktur der Gedanken dieser Wesen wiesen Mängel auf, als hätte jemand versucht, ihnen das Bewusstsein des eigenen Ichs zu rauben und sie somit zu willenlosen Sklaven zu machen, doch dieses Vorhaben war nicht ganz gelungen. Diese Wesen besaßen noch ein Rest ihres Selbst, welcher aber durch primitive Gedanken und Instinkte überdeckt wurde. Was jedoch noch viel wichtiger war als ihre bewussten Gedanken, war deren Unterbewusstsein, das noch immer dazu in der Lage war, die Energiemuster der Gedanken in der Umgebung wahrzunehmen.

Van stutzte, als er das Unterbewusstsein eines dieser Wesen prüfte, und verzog dann sein Gesicht. In dem Tempel befanden sich mehr als eine Person, die ihre Gedanken abschotteten. Es waren vier, um genau zu sein. Zwar konnte Van den exakten Standort dieser Personen bestimmen, doch deren Identität blieb ihm verborgen. Die Wesen, deren Van sich bediente, schienen zu einer dieser Personen einen ständigen Kontakt zu haben. Das muss ihr Meister sein, erkannte Van und schloss diese Person aus. Eine weitere Person schien sich sehr schnell zu bewegen und kam dabei einem von Vans Kontakten sehr nahe. Dieses Wesen bekam plötzlich sehr viel Angst und schien sich zu verkriechen zu wollen. Auch diese Person konnte Van getrost ausschließen. Die restlichen zwei Personen mit einer Gedankenmauer rührten sich dummerweise keinen Zentimeter, so dass Van keinen Unterschied zwischen den beiden ausmachen konnte. Dann jedoch bediente er sich des Gedächtnisses eines primitiven Wesens in dem Tempel und erfuhr, dass eine Anomalie schon seit Ewigkeiten bestand hatte, während die andere erst vor ein paar Tagen aufgetaucht war.

Das ist Hitomi, dachte er triumphierend und konzentrierte sich auf ihren Standort. Bisher hatte er noch nie versucht gewaltsam in die Gedanken eines anderen Menschen einzudringen. Doch er brauchte ihren Beistand und was noch wichtiger war, sie brauchte seinen. Van atmete noch einmal tief durch, rief dann in Gedanken nach Hitomi und sandte diese Gedanken ihr entgegen.

Mit aller Kraft versuchte Van ihre Mauern niederzureißen und als die ersten Echos seiner eigenen Gedanken zu ihm zurückkamen, durchzuckte ihn ein heftiger Schmerz und er fand sich auf einer Treppe aus nacktem Stein wieder. Um ihn herum herrschte tiefe Finsternis. Nicht einmal die Stufen konnte er erkennen, doch ein Gefühl sagte ihm, dass sein Ziel, Hitomi, am Ende der Treppe auf ihn wartete. Langsam tastete er sich auf allen vieren die hohen Stufen hinauf. Er hatte gerade fünf hinter sich gelassen, als plötzlich ein heller Blitz sich knisternd um ihn herumwickelte und sein Körper vor Schmerzen zu zerreißen drohte. Der Blitz verschwand so schnell wie gekommen war. Van hielt einen Moment lang inne und sammelte Kraft. Schließlich hatte er sich wieder gefangen und kroch weiter die Treppe hinauf. Wieder entlud sich ein Blitz. Wieder brauchte Van ein paar Sekunden, ehe er weiter gehen konnte. Mit jeder Stufe kamen die Blitze häufiger. Schmerzen durchfluteten seinen Körper, doch er war ihnen sogar ein bisschen dankbar, da sie seinen Weg erleuchteten und er so schneller vorankam. Schließlich zuckten sie unablässig. In seinem Kopf begann sich die Vorstellung zu manifestieren, wie seine Haut verbrannte und sich von seinem Fleisch löste. Immer mehr Nervenzellen in seinem Körper kreischten protestierend auf und setzten sein Inneres in Flammen. Doch aller Schmerz vermochte die Leere in seinem Herzen nicht zu füllen. Hitomis Lächeln, das Kitzeln ihre Haare auf seiner Wange, das Feuer in ihren Augen, an all das konnte Van sich nicht mehr erinnern. Er brauchte diese Erinnerungen.

Er musste noch einmal ihr Lachen sehen. Er musste noch einmal ihre Stimme hören. Er musste noch einmal ihre Haut auf seiner spüren und sei es auch nur ein einziges Mal.

Plötzlich hörte der Schmerz auf und die Finsternis lichtete sich. Stattdessen umgab ihn ein dichter, grauer Nebel.

„Ich bin drin!“, flüsterte er. Doch wo war er? Der Nebel verschleierte die Aussicht auf eine flache Ebene aus losem Geröll. Vor sich sah er Hitomi liegen. Ohne ein einziges Stück Kleidung auf ihrer Haut wälzte sie sich auf dem mit spitzen Steinen gespickten Boden und schrie unablässig. Ihr ganzer Körper war übersäht mit blutenden Wunden und langen Kratzern. Fassungslos beobachtete Van, wie sie einen Stein in die Hand nahm und sich selbst damit die Haut aufritzte. Er rief panisch ihren Namen und stürzte auf sie zu. Mit aller Kraft entriss er ihr den Stein und strich dann sanft mit seiner Hand über ihre Wangen. Obwohl ihre Augen offen waren, fand er nur Leere in ihnen.

„Hitomi, hörst du mich?“, fragte er verzweifelt. Mit Sorge registrierte Van ihren Schwachen Puls und ihren flachen Atem. Schnell zog er sein Hemd aus und bedeckte damit ihre Blöße. „Bitte antworte mir! Komm schon! Lass uns nach Hause gehen!“, flehte er, doch sie rührte sich kein Stück. Seine Augen wurden feucht und verschleierten seinen Blick. „Wach doch auf! Ich will dir etwas sagen.“

Sie zeigte keine Reaktion. Verzweifelt schloss er Hitomi in seine Arme und drückte fest an sich. Tränen lösten sich von seinen geschlossenen Augen, während er zu wimmern anfing. Ihr Kopf ruhte nun auf seinem Nacken und seine Tränen benetzten ihre Wange.

Ohne dass es Van bemerkte veränderte sich die Umgebung schlagartig. Wo vorher eine von Geröll bedeckte und im Nebel versunkene Ebene war, bedeckte eine weite Wiese das Land. Der Himmel klarte auf und zeigte sich nun in einem hellen Blau. Ein starker Wind strich durch seine Haare und trieb Wellen durch das hohe Gras. Van erwachte jedoch erst aus seiner Trauer, als spürte, wie Hitomi seine Umarmung erwiderte. Überrascht riss er die Augen auf und betrachtete verwundert die Landschaft.

„Es erinnert mich an dich.“, flüsterte Hitomi ihn ins Ohr. Überglücklich löste er seine Umklammerung etwas, so dass er ihr in die Augen sehen konnte. Sie strahlten vor Freude. „Du riechst genau wie das Gras hier.“, erklärte Hitomi lächelnd.

„Hitomi, du lebst!“, freute er sich.

„Ja, dank dir.“, gab sie zu, während eine ihrer Hände ihn sanft an seinen Kopf packte und zu sich runter zog. Van wehrte sich nicht, stattdessen schloss er seine Augen und wartete sehnsüchtig auf den Augenblick, an dem seine Lippen sich mit ihren treffen würden. Doch der Kuss blieb aus. Verwundert öffnete Van seine Augen wieder und wäre fast nach hinten gekippt, als er Sophias wütendes Gesicht vor sich sah.

„Das gibt es nicht!“, schrie sie ihn an. „Während ich mir Sorgen mache, weil du tagelang nicht deine Koje verlässt, sitzt du hier seelenruhig und hast feuchte Träume.“

„Hä, was hab ich?“, wunderte sich Van. Vollkommen neben der Spur sah er sich um und erkannte schließlich die Inneneinrichtung seiner Koje auf der Katzenpranke. Schließlich erinnerte er sich auch an den Befehl, den er gegeben hatte. Vorwurfsvoll blickte er zur Wache, die an der Tür stand.

„Verzeiht, Majestät! Sie ließ sich nicht aufhalten.“

„Schon gut.“, sagte Van verärgert. „Schließen sie die Tür!“

Der Soldat gehorchte und ließ die beiden allein.

„Mund auf!“, befahl Sophia.

„Hä?“, platzte es aus Van heraus und Sophia nutzte die Gelegenheit um den Rand eines Bechers in sein offenes Maul zu schieben.

„Trink langsam!“
 

Völlig unvermittelt stoppte Siri ihren Hindernislauf durch das Kraterinnere des Tempels und sah zu dem Fenster hinauf, hinter dem Hitomi festgehalten wurde. Zufrieden spürte sie, wie erst die Mauer um Hitomis Bewusstsein weggewischt wurde und sie wenig später anfing zu trinken.

„Vielleicht ist das Gerücht ja doch wahr.“, sagte sie zu sich selbst und nahm ihr Training wieder auf.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Doena
2010-11-28T17:16:57+00:00 28.11.2010 18:16
du sitzt hier und hast feuchte träume !
Hä?
wie geil XD
schnell weiter zum nächsten kappi


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