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Der Bulle und der König

von

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Der Stand der Dinge

Es dauerte kaum einen Monat, bis die ganze Abteilung Takashi nicht nur auswendig kannte. In der Kantine, in der Dusche, auf den Toiletten, nirgends war er noch sicher und schien es auch nicht sein zu wollen. Sogar einige Wärter hatten Gefallen an ihm gefunden und mit einem, der hier nicht mehr lebend rauskommen würde um sie zu verpfeifen, konnte man es ja machen. Das Objekt der Begierde schien endlich eine Beschäftigung gefunden zu haben: prügeln konnte er sich hier nicht mehr so gut, wie draußen. Die meisten Männer wollten keinen Streit. Mit mehr Feinden als Anhängern, konnte er hier auch keine Bande mehr aufrichten, um sich Schlammschlachten mit anderen zu liefern. Von früh bis spät futtern konnte er auch nicht mehr und von morgens bis abends von einem Partner zum anderen zu wechseln, war nicht nur sehr berauschend, irgendwie schien es ihn zu beruhigen, seinen „Platz“ zu kennen. Ganz unten, ein Platz, den ihm so schnell keiner streitig machen würde und der ihm auch wenig Denkarbeit machte. Neuland. Zwei, drei mal hatte einer der vom Aussterben bedrohten pflichttreuen Wärtern ihn zum Arzt gebracht, damit der sich um die Verletzungen kümmerte, die Takashi dabei immer wieder davontrug, denn zärtlich war hier nur der alte „Opa Hige“ zu ihm. Ansonsten wurde er, sofern er keine Regeln brach, weitgehend sich selbst, oder besser, den anderen Insassen, überlassen.
 

Nur ein einziges Mal war Makoto ihn nach dem Vorfall in der Kantine noch besuchen gekommen. Es hatte ihn viel Disziplin gekostet, Takashi zu begegnen, doch wieder stieß er auf einen sehr kalten Empfang und wurde, nach ein paar herablassenden Worten, ignoriert. Lange hatte er darauf gehofft, Takashi wieder so fröhlich und gesellig unter die Leute gehen zu sehen, wie er es einst von ihm gewöhnt war, doch angesichts der Umstände, konnte Makoto sich nicht recht für ihn freuen.
 

Nach einer Ernüchterung wenige Tage nach Makotos letztem Besuch, war er von einer Depression heimgesucht worden, die ihn so weit brachte, dass er versuchte, sich das Leben zu nehmen. Als ein ehemals lustiger Mensch, der bisher nie über Selbstmord nachgedacht hatte, stellte er sich zum Glück recht ungeschickt an und holte sich nur einen blauen Hintern, als der Knoten im Bettlaken, an dem er sich erhängen wollte, sich öffnete und ihn auf den Betonboden plumpsen ließ. Gelähmt vor Schmach, hatte er sich von Yamai in den Arm nehmen lassen und wenig später lag er auch schon wieder high unter ihm und die ganze Etage konnte ihn laut um mehr winseln hören. Was waren sie doch neidisch auf Yamai. Kaum ein anderer Insasse hatte einen so jungen, niedlichen Zellengenossen, der noch dazu so willig war.
 

Makoto saß entnervt in seiner Polizeibox, aus der er gerade wieder einen Besoffenen verjagt hatte, der sich nicht recht entscheiden konnte, ob er nun Gondawara oder Aminaka hieß. Ächzend fasste er sich an den Kopf und wollte nur noch nach hause – oder Gondawara hinterher, um sich mit ihm zu besaufen. Kurz vor Gondawaras Antanzen war er von Takashis Selbstmordversuch unterrichtete worden, war aber nicht weiter darauf eingegangen. Er hatte gehofft, dass Takashi so vielleicht wieder „normal“ werden würde, doch der Mann am Telefon sagte ihm gleich: der Bengel sei mittlerweile wieder „so geil wie eine Türklinke“. Auf seine Bitte, gewisse Insassen auf Drogen zu kontrollieren, wurde ihm nur erklärt, dass Drogen in dieser renommierten Institution völlig undenkbar wären. Sein Handy klingelte.
 

„Makoto?“ Es war Kazunori, etwas eingeschüchtert von Makotos heftigen Reaktion, als der ans Telefon ging. „Ich hab rausgefunden, wer den Stoff ins Gefängnis schmuggelt und wa...“

„Mir doch egal“, motzte Makoto ihn an, „Ich bin raus aus der Sache, ich misch mich da nicht mehr ein! Soll ich gar nicht! Takashi hat’n neuen Freund gefunden!“
 

Mit diesen Worten legte er auf und knallte das Handy auf den Schreibtisch. Den Knall konnte man bis auf die andere Straßenseite hören. Schüchtern kam Hamaguchi hinzu um Makoto abzulösen. Ohne ein Wort zu sagen, stand dieser auf und marschierte davon. Hamaguchi sah ihm verdattert nach, wollte etwas sagen, doch als Makotos Fuß zwei Fahrrädern das Fliegen beibrachte, beschloss er, dass er das Recht zu schweigen hatte und alles, was er jetzt noch sagen würde, von Makoto gegen ihn verwendet werden könnte. Hamaguchi war stolz, einen Kollegen wie Makoto zu haben, doch gleichzeitig fürchtete sich der winzige Gendarm vor ihm. Zu recht.
 

Nach ein paar hundert Metern blieb Makoto stehen. Wo wollte er überhaupt hin? Bei Hamaguchis Ankunft hatte er die Flucht ergriffen, scheinbar, um nicht mit ihm über seinen Kummer reden zu müssen. Und jetzt? Links abzubiegen, brächte ihn nach hause, rechts in die Sauna – der letzte Ort, an dem er jetzt sein wollte – und geradeaus ging es zur Bowlingbahn. Nun hatte er die Qual der Wahl: sich von seiner Mutter einen Vortrag über seine Impotenz halten zu lassen, war nun wirklich kein verlockender Gedanke. In der Sauna würde Takashis Geist um ihn herumspuken und dann war da sein armer geknickter Vater. Der letzte, dem er begegnen wollte! In der Bowlingbahn musste er mit Kaoru, ein paar G-Boys, schlimmstenfalls mit Masa rechnen. Und der würde ihm dann wieder Vorhaltungen über seine Auffassung von Freundschaft gegenüber dem armen, armen Takashi machen.

Kurz, ehe er die Bowlingbahn erreichte, blieb er stehen: musste er sich überhaupt zwischen einem dieser drei Orte entscheiden? Konnte er sich nicht einfach zu einem Penner auf die Parkbank setzen? Welch grandiose Idee! Sofort suchte er sich einen gemütlich wirkenden alten Mann, fand auch einen. Er bog noch schnell in einen Conbini ein um eine Flasche Wodka zu besorgen.
 

„Ist neben ihnen noch ein Platz frei, Onkel?“
 

Der Penner sah Makoto etwas verdutzt an. Wenn sich ein Polizist zu einem setzte, bedeutete das meist nichts Gutes. Doch wie Makoto sich mit einem Ur-Seufzer neben ihn auf sein Stück Pappe sacken ließ, verflog dieses Misstrauen.
 

„Sagen Sie, Onkel“, begann Makoto und streckte dem Mann die Flasche hin. „Is das eigentlich normal, dass diejenigen, die sich deine besten Freunde schimpfen, alle so furchtbar lästig sind?“

„Lästig?“, fragte der Alte zwischen zwei Schlucken und gab Makoto die Flasche zurück.

„Also, zuerst“, seufzte Makoto und wischte sich den Mund ab, „Zuerst war da dieses Mädchen, wissen Sie, die war von Anfang an lästig. Die dachte, nur weil ich mal ein bisschen nett zu ihr war, wären wir verheiratet und dann, dann hat sie alle umbringen lassen, die zwischen uns kommen könnten.“

„Au weia!“

„Wird noch besser, wird noch besser. Sie hatte irgendwie so was mit 'nem Tiger und 'nem Pferd. Und irgendwie so ne zweite Dingsbums, also, jedenfalls hat diese zweite Dingsbums unsere Freunde umbringen lassen. Und sie selbst wusste das nicht mal, verstehen Sie?“

„Nur Bahnhof. Junge, im Dienst solltest du nicht so viel trinken!“ Mit diesen Worten leerte der alte Mann die Flasche um drei weitere Züge.

„Und genau der Typ, der das alles für sie getan hat, also, der unsere Freunde umgebracht hat, der sitzt jetzt im Knast.“

„Mit dem Tiger und dem Pferd?“

„Weiß ich doch nicht“, fuhr Makoto ihn angetrunken an. „Aber es hätte alles so schön sein können, ohne ihn, mein ich. Aber nein, alle machen sie sich von mir abhängig, Makoto hier, Mako-chan da... Lästig, sag ich ihnen, lästig!“

„Also, weißt du, junger Mann“, lachte der Alte, „Freunde sind nun mal keine Hunde. Einen Hund kannst du ins Körbchen schicken und mit einem Knochen abfertigen, der bleibt dir auch so treu, aber Freunde, Freunde wollen sich im Notfall auf dich verlassen können.“

„Ich kann mich auch auf sie verlassen“, motzte Makoto.

„Sie sich auch auf dich?“

„Aber mein anderer Kumpel“, lenkte Makoto ab um sich die Frage des Mannes nicht weiter durch den Kopf gehen lassen zu müssen, „Der is jetzt auch im Knast. Und eh sie fragen, ja, den hab ich dahin gebracht. Bin ich jetzt ein schlechter Freund? Der hat jedenfalls auch einen kaltgemacht, aber das war halb so wild. Und wissen’s was? Wissen’s was? Die beiden konnten sich nie ausstehen, dieser andere Typ und mein Kumpel, und auf einmal haben die was miteinander! Vor meinen Augen, ja?“

Der Penner sah ihn mitfühlend an und drückte ihm die Flasche ans Herz. „Und wen hat der jetzt umgebracht? Auch einen Liebesrivalen?“

„Nee, eine Ballerina“, gluckste Makoto.

„Mein lieber Schwan!“

„Nein, nicht der sterbende Schwan. Tchaikovsky.“

„Bidde?“

„Tchaikovsky, da hat der immer drauf getanzt. Aber jetzt hat’s sich ausgetanzt und ich vermiss den Typen echt nicht. Wo der auch auftauchte, wurde alles lästig!“

„Oh nein“, rief der Penner entsetzt aus, „Ich mochte den Bengel! Ich hab ihm immer gern zugesehen, wenn der abends auf Tchaikovsky tanzte, war mal was anderes als ewig diese Schlägereien. Oh nein...“

„Was, kannten Sie den, Onkel?“

„Ja aber sicher! Der hat hier vorgestern noch so schön getanzt! Ach, wie schrecklich, wie schrecklich...“
 

Der arme alte Mann konnte aufhören, seinen Kopf zu schütteln, denn Makoto nahm ihm die Arbeit ab und schüttelte ihn kräftig durch.
 

„Wie bitte?!“

„Ja, der hatte hier jeden Sonntag getanzt...“

„Wie sah der aus?!“, fuhr Makoto ihn unbeherrscht an.

„Ach, wie schon... groß, schlank, ganz in schwarz mit halblangen schwarzen Haaren, sehr gepflegt, ich glaub, der war schwul, aber das ist doch kein Grund...“
 

Jetzt wusste Makoto, wo er hinwollte. In der Bowlingbahn würde er noch am ehesten auf Endanger treffen. Er drückte dem Mann die Flasche in die Hand und weg war er. Der Penner freute sich, jetzt nur noch die Flasche ohne ihren motzigen Anhang zu haben.

In der Bowlingbahn wurde er als erstes von Masa begrüßt, der ihm wie immer, wenn er mit Makotos Verhalten unzufrieden war, eine Szene machte. Makoto ignorierte ihn einfach und ging zu Kaoru an den Tresen.
 

„Weißt du, wann die G-Boys das letzte mal hier waren?“, wollte er wissen.

„Welche G-Boys?“, fragte Kaoru sarkastisch und füllte weiter ihre Bestellliste für neue Schuhe und Kegel aus. „Es gibt nur noch Endanger, Wacky, Kenken und Daisuke. Und Jessie.“

„Wieso, was is passiert?“

„Die anderen hab ich nicht mehr gesehen, gelb scheint aus der Mode zu sein.“

„Und Kyoichi?“

„Hä?“ Kaoru sah ihn an, als sei er nicht mehr bei Trost.

„Irgendwas stimmt hier nicht, ich muss Endanger und die anderen sprechen.“

„Da kann ich dir leider nicht helfen“, murmelte Kaoru, noch immer mit der Liste beschäftigt.

„Ach, wunderbar, wirklich, super!“, kläffte Makoto und drehte sich um, um auf eigene Faust zu suchen. Dabei prallte er gegen einen kleinen, schnell übersehenen jungen Mann und Endanger sah ihn leicht genervt an.
 

„Ach, dich hab ich gesucht. Ich muss mit dir reden.“

„Makoto-san“, sagte Endanger, noch immer respektvoll zum besten Freund seines Anführers, „Es gibt tatsächlich was, worüber wir uns unterhalten müssen. Komm mit.“
 

Makoto folgte ihm nach draußen, wo Daisuke, Wacky und Kenken neben dem gelben Minibus warteten. Kenken öffnete die Tür zum Kofferraum und alle kletterten hinein. Endanger setzte sich hinters Steuer und warf den Motor an, Makoto setzte sich neben ihn.
 

„Ich weiß, das klingt absurd“, begann Endanger, „Aber das Verschwinden der G-Boys oder genauer gesagt, das Verschwinden gelber Kleidung, scheint mit den Black Angels zu tun zu haben.“

Makoto rieb sich nervös das Kinn.

„Wir dachten erst, Kyoichi hätte einen Nachfolger ernannt gehabt, aber vorgestern Abend kamen Tom und Kon zu mir und meinten, sie hätten Kyoichi tanzen sehen.“



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