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Bloodcage --- Erste Version

Vampir-Roman
von

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Kapitel eins*

Es ist schwer bei einer Geschichte, wie der Meinen einen Anfang zu setzen, denn der Tag meiner Geburt ist so unwichtig, dass er mir mittlerweile entfallen ist. Ich glaube nicht mehr, dass er oder die Familie, die mich geboren hat einen Bezug zu mir hat.

Ich kann mich nicht einmal an das Gesicht meiner Mutter erinnern, oder an das meiner Ziehmutter, denn ich weiß, dass meine leibliche Mutter, sowie auch mein Vater starben, bevor ich alt genug war mich an sie zu erinnern.
 

Ich lief durch eine zugige Straße irgendwo im Bettlerviertel Londons. Mein dünner abgewetzter Stoffmantel, der mehr durch Dreck, als durch Nähte zusammengehalten wurde, wärmte mich nur unzureichend, aber ich hatte bereits aufgegeben zu klagen und schlang meine abgemagerten Arme fester um meinen Unterleib in der irrealen Vorstellung meinen schwachen Körper zumindest am Zittern zu hindern.

Am Himmel trieben einige dunkle Wolkenfetzen und es war schon vor einiger Zeit ein fahler Halbmond erschienen, der wenig Licht auf die zugigen Baracken warf in deren Fenstern vereinzelnd Kerzen brannten, die ausnahmslos sterbende oder gestorbene Menschen ins Jenseits geleiten sollten.

Ich hatte die Vorstellung, dass die Toten den Weg ins Jenseits durch ein einsames Licht finden konnten schon vor langer Zeit aufgegeben. Genau, wie ich den Glauben an Gott aufgegeben hatte, denn er barg nur eine schmerzhafte Erinnerung an ein Gefühl, das man Hoffnung nennt, in sich.

Das Kerzenfeuer jedoch faszinierte mich und schreckte mich zugleich in einer Art ab, die mich an die Kirchenbesuche meiner Kindheit erinnerten. Es war ein Gefühl als würde man einem Geheimnis angehören und etwas sehen, das anderen Menschen verborgen bleibt.

So konnte ich nun in jedem Fenster die Zahl der Toten sehen und ermessen, wie schlimm es um dieses Stadtviertel stand.

Es waren schon seit langer Zeit mehr Tode als in den vergangenen Wintern. Dies lag nicht nur an der untypischen Eiseskälte, sondern auch an einer Krankheit, die seit vielen Wochen in den Gassen des Slumviertels, abgetrennt von den Adligen und somit nicht des Interesses wert, sein Unwesen trieb.

Sie hatte scheinbar auch vor mir keinen Halt gemacht. Meine Temperatur war gestiegen und ich hustete bereits zuweilen stark, sodass mir ein dünner Faden hellen Blutes aus den Mundwinkeln rann.

Kundschaft hatte ich schon lange nicht mehr und somit hatte ich schon zu lang nichts mehr gegessen.

Nach Tagen voller Hunger und Kälte begann ich langsam zu zweifeln, dass es die Krankheit sein würde, die mich in die Knie zwang, sondern war mir vielmehr bewusst, dass ich verhungern würde, bevor sie sich in meinen Knochen ausbreiten konnte.
 

Wie so oft in meinem folgenden Leben merkte ich, dass der Verkauf meines Körpers letzten Endes sinnlos sein würde.

Die Augen eines nahenden Unglücks lagen bereits auf mir.

Ich wurde von einem erneuten heftigen Hustenreiz geschüttelt, als ich Schritte hinter mir vernahm und mir ein Schauer den Rücken hinunterlief, der mir klar machte, dass ich nicht der Einzige in dieser Straße war. Eine klare, kalte Stimme erklang hinter mir.
 

„Du befindest dich zu nah bei den Toren, Bettler!“

Ich drehte mich um und sah in das harte Gesicht einer Wache, die wie ein Wesen aus einer fremden Zwischenwelt darauf achtete, dass keiner der niederen Menschen das Tor ins Viertel der Bürger passierte und womöglich Seuchen wie diese im London der wahren Menschen ausbreiten konnte.

Auch der Mann vor mir gehörte dieser fremden Welt an, die ich vielleicht nie kennen lernen würde und ihn hatte man passieren lassen, obwohl er unweigerlich dieselbe Krankheit wie ich in sich trug.

„Was stehst du noch hier?“, fragte die Torwache, als ich ihn ohne mich zu rühren anstarrte und dabei einen erneuten und heftigeren Husten unterdrückte.

„Bitte, Herr! Ich habe Hunger!“

Diese Worte waren so einfach gesprochen. Ich hatte in den gesamten sechzehn Jahren meines Lebens nicht gebettelt. Nun tat ich es, denn obwohl ich noch über einige Münzen verfügte, war Geld in diesem Stadtviertel mittlerweile wertlos. Was mir fehlte war Nahrung.

Das wusste ich genau so gut, wie ich den nagenden Hunger in meinen Knochen spürte. Ich brauchte Nahrung und dieser Mann war in der Lage mich zu retten.

„Ich kann dein Leiden nur verkürzen!“, die Stimme des Mannes war zischend und ungerührt, als er aussprach, was ich unterschwellig bereits wusste und er wirbelte den Prügel mit einer Hand herum.

Meine Augen füllten sich bei der Einsicht, die ich nun bekam mit Tränen – Ich würde sterben. Der Soldat deutete meine Tränen vermutlich fehl und als einen weiteren Trick, um ihn zu erweichen.

„Verschwinde!“, herrschte er mich in noch gereizterem Tonfall an, als er ihn ohnehin schon an den Tag gelegt hatte.

Doch ich weinte nicht, weil ich ein trotziges Kind gewesen wäre, oder weil mich der Hunger in die Knie zu zwingen schien, sondern ganz einfach, weil ich wusste, dass er Recht hatte. Ich würde sterben, egal, was ich tat. Ich war ein gefangenes Tier, das sich im Käfig seiner eigenen Gefühle wand und plötzlich inne hielt, um zu erkennen, dass alles keinen Zweck mehr hatte.
 

Es heißt, die Hoffnung sterbe zuletzt, aber das ist nicht wahr. In Wahrheit welkt die Hoffnung immer als Erstes und wenn man bereit ist sich nieder zu legen und zu sterben ist sie meist bereits tot.

Zu jenem Zeitpunkt war ich nicht bereit zu akzeptieren, aber meine Hoffnung begann langsam zu schwinden.
 

„Mach, dass du Land gewinnst!“

Ich sah den Mann nicht an und drehte mich zum Gehen.

Zumindest der kalte Regen hatte nun beinahe aufgehört auf meiner Haut zu stechen.

Und urplötzlich wurde mir bewusst, dass mir jemand folgte.

Es war eigentlich nicht so, dass ich mir dessen sicher gewesen wäre, aber etwas in meinem Gefühl sagte es mir deutlich und vollkommen unbeirrbar: Ich war nicht alleine. Es war nicht einmal so, dass meine Sinne es mir sagten. Ich hatte nichts gehört, nichts gesehen, nichts gerochen. Es war vielmehr ein Instinkt, den ich lieber nicht beachtet hätte.

Mein Geist sagte mir, meine Gefühle würden fehlen, aber wenn ich inne hielt bemerkte ich, dass ich Angst hatte. – Angst vor dem, was da im Dunkel auf mich lauern mochte.

Ein wunderschönes Raubtier.

Während ich weiter durch die sich mit Nebel füllenden Straßen lief, begann das Gefühl in mir zu erstarken, bis ich beinahe fühlte, wie sich der Blick einer fremden Kreatur in meinen Rücken bohrte. Die Angst vor der Nacht war mir durchaus nicht fremd und ich kannte das seltsame Gefühl der Bedrohung, das aufkommt, wenn man alleine im Dunkeln wandert. - Doch dies war etwas anderes. Es war keine Ahnung mehr, sondern ein wissen, das meine Schritte beschleunigte und mein Herz schlagen ließ, wie die Flügel eines flüchtenden Vogels.
 


 

Ich beobachtete dich tagelang Askian. Eigentlich war es damals wie heute nicht anders, dass du die Gefahr zwar immer von vornherein sahst, aber deiner Intelligenz zu sehr vertrautest um auf das untrügliche Gefühl zu hören. Du bist immer naiv gewesen.

Als ich dich zum ersten Mal sah, standest du vor einem Stadttor. Es war kalt. Der Winter war lange eingebrochen, aber es schien zu kalt für Schnee zu sein und so regnete es ununterbrochen und die prasselnden Tropfen bohrten sich wie Nadeln in die Haut.

Dies war einer jener Winter, die scheinbar nur Verachtung für die Menschen übrig haben und er war kalt und unerbittlich, wie auch ich.

Dein Leben erschien mir wertlos. Dein Blut war schwach und zu krank, als dass du mir in irgendeiner Art von Bedeutung hättest sein können und dennoch… irgendetwas war in deinen Augen. Etwas, das mich fesselte und so folgte ich dir in jener kalten Winternacht und sah es mehr als ein Spiel. Ich hatte das Slumviertel bis zu jenem Zeitpunkt gemieden und begann langsam schmerzend es zu bereuen, dass ich nicht früher hergekommen war, um dein Blut unzerstört von Krankheit genießen zu können.

Ich habe nächtelang versucht mich dagegen zu wehren Gefühle zu haben - So lange Zeit! - und wusste nicht, was mit mir geschah, denn mit den Tagen und Nächten hatte ich vergessen, was es heißt etwas Derartiges zu spüren.

Schon als ich dich von fern sah und deinen Lebensfunken aufglühen sah, wollte ich dich sterben sehen und sehen, wie die kostbare Flamme, die man Leben nennt in dir vergeht.

Vielleicht erkannte ich in dir einen Gegner, Askian.

Du warst so menschlich, so verletzlich, so verachtenswert schwach.

Ich kann es bis heute nicht benennen, aber es war da und es schien zwischen uns in der Luft zu stehen, wie eine kaum hörbare Melodie, vermischt mit Angst und Verachtung. Ich wusste bereits an jenem Tag, dass es keinen Ausweg mehr gab und dass wir beide uns in einem Strudel befanden, aus dem wir nie wieder entkommen würden. Du warst mein Verderben.

Ich war gespalten, denn ich verachtete deine Menschlichkeit, wie ich es immer tun würde. Warum hatte ich an jenem Tag solch schwächliches Mitleid mit deinem sterbenden Körper? Warum brach deine schreiende Seele für einen kurzen Moment den Fluss der Unendlichkeit, dem ich unterworfen bin? Warum spürte ich deinen Schmerz, wie den eines jeden anderen Menschen, aber Maß nur deinem Leiden Bedeutung bei?

Ich wollte dich besitzen. Ich wollte dich ganz für mich formen und ich wollte dich zerstören. - zusammen mit den letzten Resten meiner Menschlichkeit, die ich zu verleugnen suchte.

Warum musste ich mich in dich verlieben?


 

Mit den Tagen die ich schlief und den Nächten, in denen ich um mein Leben kämpfte wurde meine Krankheit langsam schlimmer, bis ich bemerkte, dass Hunger und Schmerzen mich in die Knie zu zwingen drohten.

Ich weiß nicht mehr genau wie viele Tage mich jenes Wesen verfolgte bis ich zusammenbrach. Ich weiß nur noch, dass ich seit Tagen nichts gegessen hatte, als den Körper einer halbverwesten Ratte, den die Bettler übersehen hatten.

Ich lag regungslos auf dem Boden. Wahnsinn und Fantasie hielten mich gefangen und mit einer Mischung aus Hunger und Schrecken dachte ich an den Körper der verhungerten Ratte, denn ich wusste, dass es kaum darauf ankam, ob ich ein Mensch oder eine Ratte war. Mittlerweile war ich ohnehin in einem Zustand, in dem mich die Welt umfing, wie mit einem weichen Mantel und es war mir nicht mehr wichtig.

Vermutlich würden letzten Endes die Ratten es sein, die durch meinen toten Körper weiter leben konnten und das war wie ich selbst in meinem Zustand fand ein fairer Tausch, denn schließlich hatten sie mein Leben um einiges verlängert. - Vielleicht hatte aber auch erst der Rattenkörper die Krankheit in meinem Körper verschlimmert. Ich konnte und wollte es nicht wissen.

Meine Hoffnung begann zu sterben und als ich an eine harte Steinmauer gelehnt, unfähig mich zu bewegen und schwer atmend auf das Sterben wartete, war sie bereits tot. Dunkelheit begann langsam mich zu umfangen und dann spürte ich eher, als dass ich durch meine fast tauben Sinne spüren konnte, wie sie jemand langsam näherte. Behutsam, wie eine Katze vor dem Sprung. Als würde der Fremde nur auf einen Grund warten seinen Vorstoß aufzugeben.

Ich konnte noch etwas riechen. Es war nur ein Hauch, aber bald wurde mir bewusst, dass es sich vielleicht um Rosenöl handelte. Ich stellte mir kurzzeitig die Frage, ob der Tot nach Rosenöl duften mochte. Wenn dem so war, so befand ich, wäre es fast einem Spott meiner Armut gleichgekommen. Ich wollte es sehen. Ich wollte sehen, wie ich starb. Ich versuchte meine Augen zu öffnen und gab auf.

Mein Geist, zuerst hell lodernd, wie eine Flamme begann zu schwinden und bevor ich endgültig das Gefühl für die Realität verlor, spürte ich eine Hand in meinem Nacken und ich fühlte eine Flüssigkeit auf meiner Zunge, die mir bekannt vorkam und leicht nach Kupfer schmeckte.

Wer bist du? Ich wusste nicht, ob ich wach war, oder träumte und ich registrierte auch nicht wirklich, dass ich ihm mit einer Stimme wie brechendes Glas antwortete: „Michael.“
 

Meine Ohnmacht was, anders als Einige, die ich bereits zuvor hatte, durchaus nicht traumlos.

Ich sah mich selbst als blonden Knaben durch den Gang eines Palastes fliehen. Neben mir standen kunstvoll gewebte Gobeline in Flammen und eine schwarze Rauchwolke begann mich einzuholen, wie ein schwarzer gesichtsloser Drache. Auch hinter dieser Wolke stand der Palast in Flammen. Durch die Augen des Kindes begann ich zurück zu blicken und sah einen schwarz verhüllten Man und ohne zu wissen wieso, wurde mir bewusst, dass es ein Abbild meines Traum-Ichs war, wie ich vielleicht einst sein sollte.

Dann stürzte der Junge und wurde vollkommen vom Rauch verhüllt ohne sich gegen den anbrandenden Sturm wehren zu können. – ein Schrei in der Dunkelheit.
 

Langsam begann sich meine Fantasie aufzulösen und ich befand mich nun im Haus meiner einstigen Familie und sah durch meine eigenen Augen. Meine Mutter saß in einem Sessel, nähte und der Mann, der sich mein Vater nannte versuchte mir immer und immer wieder etwas zu erklären. Ich hatte etwas falsch gemacht, aber ich konnte ihn nicht verstehen. Vielmehr schweiften meine Gedanken ab, als wolle ich ihn nicht verstehen. Der einzige Gedanke, den ich fassen konnte war die Einsicht, dass er sich verhielt wie mein Vater, aber es nie wirklich gewesen war.

Es war ein offenes Geheimnis gewesen, dass meine Mutter einen anderen Mann hatte, bevor sie meinen Vater zum Mann genommen hatte. Irgendwie hatte sie immer mir die Schuld daran gegeben, dass ich der Sohn eines anderen Mannes war, mit dem sie nie verheiratet gewesen war.

Und schließlich waren sie gestorben. Es war eine schleichende Krankheit, die die Zunge meines Ziehvaters schwarz anschwellen ließ, bevor sein gesamter Körper von schwarzblauen und eitrigen Flecken übersäht war.

Meine Ziehmutter war die Letzte, die starb. Sie hatte das Sterben ihrer Kinder gesehen und ihr Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen und bereits vor ihrem Tod verwest. Als ich ihre Augen schloss und mir bewusst wurde, dass ich nicht sterben würde, war ihr Blick hoffnungsvoll und erleichtert.

Meine Hoffnung hingegen war geschwunden, denn ich konnte ihnen nicht folgen. Wie durch ein Wunder blieb ich vollkommen von der Pest verschont, während um mich die Menschen starben. So blieb ich alleine und Gerüchte wurden laut ich wäre ein Bote des Unglücks und für die Seuche verantwortlich, obwohl ich nicht der einzig Überlebende war.
 

Das Haus in dem wir lebten gehörte dem Mann für den meine Eltern gearbeitet hatten. Es war ein strenger Herr, denn ich bisher kaum gesehen und nie gesprochen hatte. Er hatte schwarzes Haar und eine Adlernase die von zwei stechenden Augen umrahmt wurde. Seine Statur war muskulös, wirkte aber durch die höfisch übliche Beleibtheit kaum athletisch. Er redete nicht mit dem gemeinen Volk und er schickte einen Trupp Söldner, anstatt mich mit eigenen Händen meinem Schicksal zu überlassen. Das Haus wurde später, wie ich nun weiß einer anderen Familie gegeben. Mein Weg jedoch führte mich in die Stadt und von dort aus direkt in das Viertel der Bettler, wo ich bis zu meinem zwölften Lebensjahr von einer Frau aufgezogen wurde, die in der einzigen Gaststätte des Bettlerviertels arbeitete.

Ich wuchs, wurde schön und als die Frau, die ich als eine neue Ziehmutter angenommen hatte befand, dass es Zeit war mein eigenes Geld zu verdienen begann ich zunächst als Kleinkrimineller durch die Straßen zu ziehen.

Dies ging jedoch nur solange gut, bis mich eine Wache beim Taschendiebstahl erwischte und mir mit Ermordung drohte. Von diesem Ereignis blieb äußerlich eine Narbe zurück und innerlich ein Gefühl der Ratlosigkeit.

Manchmal frage ich mich, wieso ein paar Münzen aus kaltem Metall in den Augen der Menschen einen derart hohen Wert haben können, dass ich gezwungen war meinen Körper für Geld zu verkaufen. Es gab in den Bordellen des Bettlerviertels nie viel Betrieb, aber es reichte zum Leben und da ich schön war und es kaum Männer meines Alters gab, konnte ich leben.

Ich hielt mich von den anderen Männern fern, um nicht ihrem Neid zu provozieren und hielt mich so lange im Hintergrund, bis man mich beinahe vergaß. Als ich fünfzehn Jahre zählte begann sich meine Kundschaft auf Männer auszuweiten. Es war mir eigentlich gleich, denn ich hatte gelernt weder nach Gründen, noch nach religiösen Überzeugungen zu Leben. Ich hatte mich mit meinem Schicksal abgefunden.

Nicht einmal der Verkauf von Lust konnte mich jemals von hier fort bringen.

Die Hoffnung, dass sich ein Reicher in mich verlieben würde und dies zugäbe war denkbar gering. Ich trieb mich in verschiedenen Lusthäusern herum, blieb selten am selben Ort, und für einige Zeit war ich beinahe so etwas wie wohlhabend geworden, da es kaum männliche Vertreter meines Berufes, aber eine Anzahl homosexueller Bordellbesucher gab.
 

Langsam klärten sich meine Gedanken. Die Ereignisse der Vergangenheit rückten in den Hintergrund und die Gegenwart begann sich erneut und schmerzhaft in meinen Knochen bemerkbar zu machen.

Ich war so tief gesunken, wie man nur konnte und ich bezweifelte manchmal, dass es noch tiefer kommen konnte. Aber ich würde eines besseren belehrt werden, denn zu dem Zeitpunkt als ich den Tot bereits akzeptiert hatte, besaß ich immerhin noch meine Freiheit. Dieses Wesen der Nacht hatte mir das Leben gerettet und ich war an jenem Morgen in der Lage über mein Leben frei zu verfügen.

Oder war ich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr frei?
 

Warum habe ich dich nicht sterben lassen? Du hattest mir eine Wunde zugefügt und mich geschwächt. Warum sehnte ich mich so nach dir, obwohl ich die Menschen und auch dich verabscheute?

Ich habe versucht dich zu vergessen, aber du fingst mich mit deinem Leiden. Ich habe tagelang in der Einsamkeit meines Heimes verbracht und versucht dich zu vergessen, bevor ich erneut beschloss dir zu folgen. - Ich folgte dir in der Hoffnung, dass ich irgendwie eine Möglichkeit fände dich zu zerfleischen, aber ich konnte es nicht, weil es mich selbst verletzt hätte. Aus diesem einzigen selbstsüchtigen Grund habe ich dir das Leben mit meiner unheiligen Magie gerettet. Doch wozu?

Ich hungerte nach dir! Ich hatte schon tagelang nichts getrunken…


 

Als ich die Augen aufschlug kam es mir vor, als sei die Welt strahlender und das Licht brannte in meinen Augen. Ein tropfen Nachtnebel löste sich vom Dach der Baracke an die ich gelehnt beinahe lag. Ich nahm dieses Ereignis wahr, als wäre es unheimlich wichtig, auch, wenn es unter normalen Umständen völlig bedeutungslos gewesen wäre.

Ich hatte auf dem Boden die Nacht verbracht, erinnerte mich aber kaum, wie ich dort hingekommen war. In meinen zerfetzten Erinnerungen war ich durch nebelhafte Straßen geirrt. Auch kamen mir Teile des Traumes in den Sinn und ich fragte mich, wer der Junge, der mir so vertraut war, sein konnte.
 

Ich hatte den Tod nicht bezwungen, aber er war dennoch an mir vorüber gezogen. Ich lebte und allein das war ein Wunder. Ich fing einen erneut fallenden Tropfen mit der Hand auf und nahm ihn zwischen meine aufgesprungenen Lippen. Auch meine Hand war kalt und gesprungen und wirkte weiß vor der dunklen Mauer hinter mir.

Ich dachte über das Wesen nach, das mir geholfen hatte. Ich erinnerte mich nur schemenhaft an ihn. Für eine Weile war ich versucht zu glauben, ein Engel habe mir geholfen. Aber Gott hilft den Reichen und denen, die keine Hilfe brauchen. Gott erwartet Dankbarkeit, aber wenn es nötig ist, hilft er nicht. So hatte ich es gelernt und so glaube ich es bis heute.

Ich suchte nach anderen Wegen mein Überleben zu erklären und kam bald zu dem Schluss, dass es vollkommen egal sei, was mir geholfen hatte und ob das Wesen nicht vielleicht lediglich in meiner Einbildung existier hatte.

Es musste einfach irgendwie weiter gehen. Wenn ich ein paar zusätzliche Wochen gewonnen hatte, musste ich sie nutzen und damit eine Chance bekommen weiter zu leben.
 

Ich stand auf und sah einen einfach gekleideten Mann vollkommen regungslos im Schatten stehen. Er trug einen schwarzen Stoffmantel und lehnte an einer Mauer, die ein Stück weit entfernt von mir stand. Er hatte den Blick leicht nach unten gesenkt und betrachtete ebenfalls die fallenden Tautropfen. Doch in seinen Augen lag weder Neugier noch Interesse. Es war, als ginge eine kühle Berechnung von ihm aus. – Als beobachte er die Tautropfen wie einen potentiellen Feind.

„Mein Name ist Siren.“, sagte er vollkommen unvermittelt und sah mich durchdringend an, während ein kalter Windhauch durch sein schütterndes blondbraunes Haar fuhr.

Ich wusste nicht, wie ich reagieren oder mich verhalten sollte, denn als der Wind seinen Duft zu mir trug meinte ich, Rosenöl wahrzunehmen und eine Erinnerung der vergangenen Nacht streifte meinen Geist. Auch war etwas an ihm, das mich an den kleinen Jungen aus meinem Traum erinnerte, doch es war vollkommen unmöglich zu benennen, was es war.
 

Ich fühlte mich gleichzeitig abgestoßen und zu ihm hingezogen. So, als würde ich ihn und die Abgründe seiner Seele schon seit ewigen Zeiten kennen. Sein Gesicht kam mir vertraut und gleichzeitig fremd vor. Die flackernden braunroten Augen waren fein Geschnitten, wie auch sein Gesicht und wirkten beinahe katzenhaft. Er war unrasiert, aber dennoch sehr gepflegt und man sah ihm an, dass er nicht hier in die Slums gehörte. Er war ein Fremder, wie ein einsamer Wanderer. Ein wunderschönes menschliches Wesen von katzenhafter Anmut, das sich aus irgendeinem Grund hier verirrt hatte. Ich war mir sicher, dass er ein Adliger war, wenngleich er versuchte es zu verbergen sprach es aus jeder kleinen Bewegung und jedem Wort, dass er aussprach, als wäre es unheimlich kostbar.

„Was tut Ihr in dieser Gegend, Herr?“ Ich bemühte mich meine Frage nicht wie einen Vorwurf oder eine Anschuldigung klingen zu lassen und kam mir seltsam kindisch dabei vor. Mein Hals war kratzig und als ich redete drängte sich mir der Vergleich mit einem Raben auf, der versucht einer Nachtigall das Singen beizubringen.
 

Der Mann senkte seine Lider leicht und lächelte, ohne mich ganz aus dem Blick zu verlieren. Als wäre ihm etwas unangenehm und ich wusste, er würde mir nicht antworten. Warum auch? Wir kannten uns nicht. – Bei diesem Gedanken fühlte ich mich aus unerfindlichen Gründen schlecht. Es war eine Vertrautheit in ihm, die sich nicht durch Logik erklären ließ.

Ich wollte in diesem Moment fort, aber etwas hielt mich da. – Vielleicht war es Anstand, sich nicht einfach von einem Mann des „reichen Volkes“ abzuwenden. Vielleicht aber auch Unschlüssigkeit vor dem, was mich zu ihm hinzog und dem, was mich gleichzeitig von ihm abstieß.

Eine Weile musterte er mich unschlüssig und scheinbar ein wenig schüchtern. Schließlich verhärtete sich sein Blick im Bruchteil einer Sekunde, als würden Wolken über einem spiegelglatten Meer aufziehen.
 

„Eines Tages wirst du mir gehören!“ Sein Blick war bei diesen Worten so kalt und voller Verachtung, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurück machte.

Eines Tages wirst du mir gehören! Wieso?

Bevor ich diese Frage stellen konnte verschwand er. Er ging nicht etwa weg, sondern löste sich vielmehr in sich selbst auf. Wie eine Vision, oder ein Traum. Ein Geist…

Ich hielt dieses Ereignis für einen Streich meines eigenen Bewusstseins. Schließlich war ich immer noch krank und dem Tot vermutlich nicht wirklich entgangen. Ich denke ich befand mich zu jenem Zeitpunkt erneut in seiner Schlinge und konnte ihm nicht entkommen. Der Fremde hatte mein Leben gerettet.

Siren. Der Dämon meiner Träume, der mir weismachen sollte, ich würde ihm gehören.

Den größten Teil des restlichen Tages verbrachte ich halb fiebrig auf der Suche nach Essbarem. Ich fand nichts. Was war er nur?
 


 

Warum konnte ich dich nicht töten? Warum konnte ich dich nicht vergessen, wenngleich ich sehr wohl spürte, dass du Untergang und Tod bedeutetest? Wesen wie du tragen einen Hauch des Blutes von Vampiren in sich und sie sind ausgestoßen vom Schicksal. – Wesen des Nichts.

Du bist weit weniger wert als ein Mensch und mir doch so teuer, wie die Erinnerung an meinen letzten Tag als Sterblicher. Auch ich war einst nicht mehr als ein Nichts.

Ich habe dich verfolgt.

Ich habe dich gejagt.

Und in meinem Herzen war die Entscheidung bereits in jener kalten Nacht gefallen, an der ich dir zum letzten Mal das Leben gerettet hatte.

Das du Abschaum warst und immer Abschaum sein würdest dürfte uns wohl beiden klar gewesen sein, aber ich konnte mich meinen Gefühlen und meiner bedingungslosen Liebe zu dir nicht erwehren. Keine Frau hätte mir je geben können, wonach ich suchte. Keine Liebe von einer Frau gegeben hätte mir jemals etwas wert sein können. Keine Liebe so teuer, wie das von dir gestohlene Herz.

Ohne dich wäre ich erneut einsam, so wie auch du.

Nun war ich wie du, - gefangen in meinen Gefühlen. Selbstmitleid spürte ich nicht. Dennoch war die Schande etwas zwanghaft zu tun – einem Menschen zwanghaft zu helfen – und mich weder körperlich noch mental unter Kontrolle zu haben war beinahe unerträglich.

Ob ich dich nun deswegen liebte, weil du schwächer warst als ich oder gerade deswegen, weil ich dennoch Gefahr an dir spürte, war letztendlich nicht mehr von Belang, als die Stimme meiner Vernunft, die mich von meiner eigenen Torheit überzeugen wollte.

Seit ich dich zum ersten Mal gesehen hatte reifte in mir der Wunsch dich zu ändern. Du warst schwach, aber durchaus in der Lage ein perfektes Kunstwerk zu werden. Ein Kunstwerk von mir erschaffen. Ich wollte deine Seele für mich formen, weil ich dich so hätte lieben können ohne Scham dafür zu empfinden, wer du warst.

Ich hätte dich achten können ohne zu bemerken, dass mein verinnerlichter Hass gegen Menschen und der damit verbundene körperliche, wie seelische Schutz auf eine harte Probe gestellt wurde.

Nie wieder würde ein Mensch es wagen mich zu verletzen.

Immerhin hatte ich nun etwas Anderes als Kraftlosigkeit in mir geweckt. Ich begann dich zu jagen!


 

Der Abend bracht herein, wie ein gefiederter Phönix in Rot- und Goldtönen. Ich stand an einer Straße des Hurenviertels und beobachtete, wie die Sonne langsam über die Dächer hereinbrach und alles in ein gleißendes Licht tauchte. Der Anblick war so wunderschön, so klar und rein, dass ich eine Weile alles um mich herum zu vergessen schien. Sogar das Elend, dass um mich herrschte.

Es gab keine Arbeit für mich und nicht für die Anderen.

Bald lehnte ich mich an eine Hausecke und die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter den Dächern, ohne das es zunächst merklich dunkler wurde. Der Schein schien zu bleiben, obwohl nur noch Schatten vorhanden war.

Ich hatte den Blick zur Straße gewand, die den größten Teil und das eigentliche Hurenviertel darstellte. Es war eigentlich kein Stadtviertel, sondern bestand eben hauptsächlich aus dieser einen Straße. Vielleicht war die Tatsache, dass man uns als ausgestoßene Hunde behandelte ja, dass wir diesen Bereich der Stadt als so abgesondert betrachteten, als wäre er ein eigenes Dorf. Wir hatten uns daran gewöhnt, dass es für uns nur diese Welt und nicht die der Reichen gab. Obwohl das Tor, das während der Seuche geschlossen worden war selbstredend in besseren Zeiten offen stand war es doch ein ungeschriebenes Gesetz, dass diese Grenze unüberschritten sein wollte.

Es gab kaum jemanden, der sich freiwillig, um die hier grassierende Seuche kümmern würde, es sei denn, sie finge an die Mittelklassengesellschaft oder den Adel zu bedrohen.

Hinter mir führte eine dreckige Straße direkt hinter dem Haus her, vor dem ich stand und führte in das so genannte „Viertel der Bettler“. Jener kleine Straßenkomplex war direkt am Stadttor gelegen und somit Ideal für die Bettler, sodass sie dort lungerten und für gewöhnlich nicht in den Bereich der Prostituierten kamen. Es war, als würden zwei Gemeinschaften eng nebeneinander, aber dich nie miteinander leben.

Meiner Erinnerung nach starben die Bettler zuerst. Danach folgten ihnen die Huren, denn es gab gerüchteweise im oberen Stadtteil der Adligen ein Bordell, in dem sich wohlhabende und weit besser gepflegte Frauen feilboten.

Nun stand ich hier und fühlte mich bei dem Gedanken daran wie ein billiger Ersatz für all jene Leute, die sich das Geld für Edelhuren sparen wollten, oder aus anderen Gründen nicht in das offizielle Bordell konnten oder wollten. Und dennoch würde alles bleiben wie es war. Auch außerhalb der Seuchenquarantäne war ich ein Gefangener dieser Stadt, dieses Viertels, dieser Straße.

Hier wo ich stand kreuzten sich die Wege. Der eine ins rote Licht führend, der andere ins Dunkel, wo des Nachts lediglich Straßenräuber lauerten und ich war nichts weiter als ein Tier.
 

Ein wunderschönes, Gefahren umwittertes Tier.

Ich hatte dies nicht wirklich gedacht, aber es kam in meinen Geist, als wäre es einer meiner Einfälle. Mir war urplötzlich eiskalt und ich drehte mich fröstelnd in Richtung des dunklen Bettlerviertels. Auch das Licht aus dem Bereich der Huren war mittlerweile verschwunden.

Außer einer Leichenkerze in einer verfallenen Hütte rechts von mir konnte ich rein gar nichts sehen.

Ich drehte mich erneut um und sah ein paar Prostituierte um Angelegenheiten streiten, die vermutlich Einnahmen und Rechte was Freier anbelangte betrafen.

Der Blick einer rothaarigen Schönheit streifte mich, als ihre Kollegin mit einer ausladenden Geste auf mich zeigte und ihr etwas sagte, dass durch die kalte Abendluft nur stückweise zu mir herüber drang. „Wenn du das wirklich denkst, dann kannst du auch ihn und jeden anderen hier fragen…“

Ich lehnte mich ein wenig fester an die Steinmauer, um vor dem kalten Wind geschützt zu sein, der durch die Straßen pfiff. An dieser Stelle an der sich die Straßen kreuzten war er scheinbar besonders stark, doch etwas hielt mich und so beobachtete ich weiter die Frauen, die wie zwei Sukkubi aufeinander los gingen.
 

Ich habe dich gesucht. Ich habe dich verfolgt, Askian.

Abrupt drehte ich mich um, erblickte aber wie bereits beim vorigen Blick in die schwarze Gasse lediglich die Flamme der flackernden Grabkerze, die zuckend ein kleines Licht warf, dass der Dunkelheit hoffnungslos unterlegen gegenüberstand. Dennoch war es mir nun, als erkenne ich schlangenartige Schatten und sah plötzlich wieder jenen Mann, - jenes Wesen-, das mir das Leben gerettet hatte. Es kam direkt aus mich zu. Sein Körper schien sich aus dem Schatten zu lösen, als manifestierte er sich direkt daraus und seine Füße schienen beim Gang den Boden nicht zu berühren. Es war beinahe unnatürlich, wie er vollkommen lautlos auf mich zu schlich, als wolle er es vermeiden gesehen zu werden.

„Ich habe dir gesagt eines Tages wirst du mir gehören.“, erinnerte der Fremde und doch schien etwas in ihm vor mir zurück zu weichen, obwohl man es nicht erkennen, sondern nur fühlen konnte.

„Wer seid Ihr?“ Meine Stimme klang beherrscht, aber seltsam schneidend, was zum einen an meinem Argwohn und zum anderen daran lag, dass ich verzweifelt versuchte mein Zittern zu verbergen, das von Kälte und Angst herrührte. Innerlich fragte ich mich, ob es sich bei diesem Mann um eine ausgeklügelte Halluzination handelte, die mein Körper mir nach Jahren der Einsamkeit eingab, damit ich meinen Verstand zumindest weit genug beisammen hielt, um zu überleben.

„Ich bin real.“, war seine Antwort, als habe er meine Gedanken gelesen. „Glaubst du an Gott?“ Diese Frage traf mich vollkommen unvorbereitet und ich wusste nicht, was ich Antworten sollte, da der Anstand ein „Ja.“ von mir verlangt hätte.

Der Mann streckte seine weiße feingliedrige Hand aus, um mich am Arm zu berühren. Als wolle er mir beweisen, dass er durchaus real war und sich gleichzeitig von meiner Existenz überzeugen. „Ich bin seine Rache an die Menschheit.“, sagte er und ich verstand zunächst nicht, worauf er sich bezog, da ich vollkommen gebannt war. Etwas in mir fühlte sich bei dem Gefühl jener Berührung gewaltsam zu ihm hin gezogen.

Als er seine Hand langsam und scheinbar unbewusst ein Stück meinen Arm herab gleiten ließ, lief mir ein heißer Schauer den Rücken herunter und ich konnte nicht sagen, ob ich seine Berührung genoss oder nicht.

„Mein Name ist Siren.“, stellte sich der Dämon ein zweites Mal vor und schlug dabei die halb geschlossenen Augen auf, um seine Aufmerksamkeit von meinem Arm weg und direkt in mein Gesicht zu lenken. Diese Augen. Es war etwas in ihnen, dass aus irgendeinem Grund tiefes Mitleid in mir weckte. Es war sorgfältig versteckt unter einer Maske aus Zorn und Kälte, aber es war unverkennbar vorhanden, dann wurde sein Blick vollkommen glasig und auf einmal erinnerte er mich an eine Leiche.

Ich wich ein wenig zurück und sagte: „Du wirst mich nie besitzen.“ Es war nicht einmal unhöflich gesagt, sondern bestimmt. Es war eine der einzigen Wahrheiten, die ich noch kannte, während mich seine rotbraunen Augen langsam fingen und ich versuchte mich nicht zu vergessen.

Siren lächelte dämonisch. Er zog eine Goldmünze mit zwei Fingern aus einer Manteltasche und hielt sie glänzend ins Licht.

„Wie viele Menschen haben dich schon besessen, Michael? Wie viele? Und wie vielen wirst du noch gehören?“ Er blinzte mich mit einer Mischung aus Fürsorge, Verständnis und reiner Boshaftigkeit an, bevor er schloss: „Ich werde nicht der Erste und nicht der Letzte sein, doch du bist mein Leben und du bist der Erste, der mich zähmen wird.“
 

Er warf die Münze vor meine Füße. Sie klirrte leise und metallisch, während er sich umdrehte und lautlos in der Dunkelheit verschwand. Ich konnte mich dem Gefühl nicht erwehren, dass er etwas gewollt und nicht getan hatte. Ich wusste nicht, was es gewesen war, aber die Vorahnung hielt mich gefangen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich zitterte. Während er an meiner Seite stand war mir dies nicht aufgefallen, aber nun nachdem er fort gegangen war, kam er mir zu irreal vor, um nicht Furcht erregend zu sein.

Hatte er sich nicht als Dämon vorgestellt?

Ich hatte weder angst vor Gott, noch vor seinen Dämonen, aber ich hatte Angst den Verstand zu verlieren und das Gefühl dem wäre so. Ich wollte nicht Toll werden, wie die versoffenen Bettler, oder die abgestumpften Messerstecher aus den anderen Vierteln. Ich wollte nicht wirr redend in einer Gosse sterben, wenn die Möglichkeit bestand stattdessen zu verhungern. Ich wollte nicht nach Verwesung und Exkrementen riechend von einem Soldaten des Stadttores getötet werden, der den einzigen Sinn seiner Tat darin fand mein Leiden zu lindern. Ich wollte meinen Verstand nicht verlieren, denn er war das Einzige, was mir niemand nehmen konnte.
 

Ich bückte mich und griff nach der glänzenden Münze. Sie war echt. Ich hätte sie sicher aus Habgier genommen, aber in diesem Fall nahm ich sie ebenfalls, weil sie ein Beweis von Sirens Existenz war. Und während ich den schmuckhaften Gegenstand in der Hand drehte bekam alles einen Sinn.

Siren hatte mich mit seinen Worten und seiner Art zu reden verwirrt, weil er der Verrückte von uns beiden war. Letztendlich hatte er wirr gesprochen. Er war der Verrückte, nicht ich.

Er war einfach nur irgendein Fremder Irrer, der mich nach stellte, aber harmloser sein mochte, als er sich gab. Warum sollten nicht auch Adlige den Verstand verlieren? Dieser Gedanke wurde von mir noch unterstützt, als ich erkannte, dass es auch eine Erklärung dafür sein mochte, wieso einer des Reichen Volkes durch die Straßen des Bettlerviertels lief, obwohl ein jeder um die Gefahren wusste. Er würde getötet werden oder von seiner Familie geholt, die ihn für viel Geld an irgendeinen unfähigen Nervenarzt geben würden, der nach einigen Jahren der Behandlung nur noch die unheilbare Gemütskrankheit und eines Tages den Tod feststellen konnte. Ich brauchte mich nicht zu fürchten.

Er war anziehen. Vielleicht fühlte ich ein wenig für ihn, das mich an Liebe erinnerte, aber ich würde auch dieses Gefühl vergessen. Er war charismatisch und sah mit seinen schütteren Haaren und den braunen mit Gold durchwirkten Augen sehr anziehend aus. Er war in der Tat der schönste Mann, den ich jemals gesehen hatte. Aber das war auch alles.
 

Warum hast du dich geweigert mir zu gehorchten, mir zu folgen. Du, der du ein nichts bist. Ich wollte, dass du mich liebst, so wie ich dich liebte, aber du hast dich geweigert. Etwas an dir war nicht richtig.

Ich konnte es nicht akzeptieren und werde es nie akzeptieren können, denn du bist ein niederes Wesen. Warum hast du mich nicht geliebt?

Dies war meine fünfte Nacht im Slumviertel Londons. Zwei Nächte habe ich deinen ohnmächtigen Körper gepflegt, obwohl ich dich eigentlich sterben sehen wollte. Ich konnte es nicht zulassen dich gehen zu lassen. Ich habe dich geküsst, aber du hast es in deiner Ohnmacht wohl nicht gespürt.

Ich habe deine Wunden verbunden und deine Krankheit gelindert. Ich habe versucht deinen Körper, dessen Lebensfunke beinahe bis zum Erlöschen flackerte am Leben zu erhalten. Nicht aus Freundlichkeit, sondern aus Liebe und aus Eigennutz, denn wärst du gestorben hätte ich dieses Gefühl verloren und es war das einzige, was ich besaß. Es war kostbar, wie ein seltener Wein. Ein derartiges Gefühl ist nicht lebensnotwendig, aber ein Luxus, den man einmal gekostet nicht aufgeben will.

Man nannte mich den mächtigsten Magier der Erde. Man nannte mich einen Dämon und es schien mir, als würde mir selbst diese gottgleiche Macht nichts mehr nützen und du würdest dennoch sterben. Aber ich habe dich dem Tot entrissen. Ein erstes Mal.

Ich bin ein Dämon. Ich bin eine Geißel. Aber mehr noch als das bin ich ein Wesen, das nach Liebe schreit. Ein Raubtier, das vor Hunger wahnsinnig geworden ist. Aber Wahnsinn und messerscharfer Verstand liegt oft nah beieinander. Vor allem, wenn man eine Macht hat, wie ich sie hatte.

Ich war einst wie du! Weder reich noch arm. Voll Gefühl und Güte, die sich später in eine wütende Leidenschaft verwandeln sollte. Eine Leidenschaft, die mir im Weg stand.

Vor meiner Erschaffung war ich glücklich und ich habe auch Liebe gekannt. Einst vor langer Zeit, bevor meine Familie in Vergessenheit geriet.

Ich wusste schon damals um deine Vergangenheit und ich kannte deinen Namen. Deinen wahren Namen. Ich wusste, dass dein Vater der Landherr war, dem deine Mutter gedient hatte. Mehr noch wusste ich, dass dein Name Askian war und dass dein Vater ein Vampir wie ich gewesen war.

Auch du warst ein Raubtier. Ein gottfremdes Wesen, schon immer. Genau, wie ich.

Und genau wie ich würdest du zu formen sein. So wie ich es einst war, bevor ich meine Leidenschaft vernichtet habe, die du mich erneut lehrtest. Dieses geschenkte Gefühl würde ich nie mehr verlieren.

Aber warum habe ich Angst dich zu berühren? Oder dich zu verletzten? Vielleicht wollte ich dich leiden sehen. Aber nachdem ich dir das Leben gerettet hatte, konnte ich mir nicht mehr vorstellen, dich jemals vollkommen sterben zu sehen.


 

Ich drehte die Goldmünze in der Hand. Ich hatte wahrscheinlich noch nie in meinem Leben etwas Wertvolleres besessen und nun, da der Schock überwunden war, fühlte ich mich glücklich. Die Vorstellung, dass ein Mann wie Siren es sich leisten konnte es einfach wegzuwerfen…

Wie vielen Menschen hast du schon gehört?

Hatte ich wirklich in all den Jahren nur meinen Körper, sondern vielmehr meine Seele langsam Stück für Stück verkauft?

Wie vielen Menschen wirst du noch gehören?

In den Bäumen um mich herum glänzten die Regentropfen der vergangenen Tage. In einer trügerischen Sonne, die das kalte Land fast sommerlich erscheinen ließ. Ein wenig wie das Leben, mit einer fröhlichen Atmosphäre, aber hart und kalt und unbarmherzig unter der Oberfläche.

Die vorige Nacht erschien mir wie ein seltsamer Traum. Nicht real und doch war der Beweis in meiner Hand.

Seit einigen Tagen hatte ich wieder angefangen zu husten und auch mein bereits fast vergangenes Fieber hatte wieder zugenommen.

Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ich mich wieder dem gleichen Kampf gegenüber sehen würde, den ich erst vor wenigen Tagen knapp gewonnen hatte. Dieses Mal würde vielleicht keiner da sein, um mich zu beschützen.
 


 

Während ich gedankenverloren auf die kleine Goldmünze in meinen Händen starrte, bemerkte ich nicht, wie sich mir jemand von hinten näherte.

Erst, als ich unverkennbar einen schweren pfeifenden Atem hörte wurde ich aufmerksam.

Ich dachte zunächst, es würde sich bei dem Fremden hinter mir um Siren handeln, aber dieser war stiller und katzenhafter. Ich konnte deutlich die schweren Schritte hören, die mir klar machten, dass der Mann hinter mir Siren um ein Vielfaches überragen musste.

Ich drehte mich langsam und etwas furchtsam um.

Hinter mir stand nicht ein Mann, sondern drei, denn zwei Weitere kamen aus einiger Entfernung hinzu. Alle trugen schmutzige halb stumpfe Klingen in den Händen. Einer der beiden hinteren war höchstens 12 Jahre alt und unter dem Schmutz kaum als menschliches Wesen zu identifizieren. Ein weiterer schwarzhaariger Mann, hatte ein Hemd um die Hüften geschlungen und grinste höhnisch. Ich wusste, wer sie waren und stöhnte leicht.

Der Mann, der mir am nächsten stand, war schon sehr alt für einen Bewohner des Bettlerviertels. Sein haar war braun und das Blut einer beinahe verheilten Kopfwunde verklebte seine Strähnen auf einer Seite, sodass er wie ein zerrupfter Hahn und vermutlich weitaus älter wirkte, als er wirklich war. Sein pfeifender Atem kam daher, dass ihm einige Zähne im Oberkiefer fehlten.
 

„Was für ein hübsches kleines Ding du da doch hast.“, sagte er und machte eine gespielt unschuldige Miene. Er sprach mit Bedacht, als wäre ich ein kleines Kind und seine beiden Gefolgsmänner grinsten höhnisch.

„Ich sehe du weißt wer wir sind.“, fuhr er geschäftig fort. Ich nickte. Ich hatte diese Männer nie gesehen, aber ich kannte seinen Ruf in den Gassen. Die Männer waren Straßenräuber und ich brauchte mich nicht erst um zu drehen um zu wissen, dass hinter mir weitere Männer und vielleicht auch Frauen hervortreten würden. Sie machten gemeinsam Raubzug auf Bettler. Ein wenig ertragreiches Geschäft, aber es schien lukrativer als alles andere, was sich leicht aus der besseren Kleidung und der stärkeren Gesundheit aller mich umgebenden Männer schließen ließ.

Der Anführer der Bande bemerkte bald, dass ich nichts sagen würde und streckte sein Messer vor.

Ich wich ein paar Schritte zurück und steckte das Goldstück in die Tasche meines Mantels.

„Denk nicht daran zu fliehen!“, hörte ich eine kratzende Frauenstimme hinter mir sagen und bevor ich mich umdrehen konnte, spürte ich, wie kalter Stahl an meinen Hals drückte und eine raue Hand in die Tasche meines Mantels griff. Die Münze wurde herausgezogen und zu jenem schwarzhaarigen Mann geworfen, der hinter dem Anführer stand. Dieser fing das Kleinod geschickt auf und warf es grinsend noch einmal in die Luft, bevor er es in seinem Geldbeutel verstaute.

„Was hast du noch dabei?“, fragte mich der Anführer und ich spürte die Klinge der Frau sofort fester an meinem Hals. Ich wusste, sie würden mir die Wahrheit nicht glauben und überlegte sie hin zu halten. Genau genommen waren sie in der selben Situation wie ich und irgendwie konnte ich es ihnen nicht einmal übel nehmen, dass sie sich den einfachsten aller Berufe ausgesucht hatten. Den nämlich, in dem man Anderen nehmen konnte, was einem nicht in den Schoß fiel.

Adlige und Kaufleute machten es ähnlich und gelegentlich hatte ich den Eindruck, dass eigentlich jede Art von Wohlstand nur durch das geschickte ausnehmen von anderer Leute Taschen entsteht.

„Ich habe nichts.“, sagte ich schließlich wahrheitsgemäß und das traf nach meinem Verständnis auch zu. Der Anführer jedoch zog eine buschige Augenbraue zusammen. Ich hatte nur eine einzige Sekunde gezögert, bevor ich geantwortet hatte und er missdeutete es ganz offensichtlich.

„Nichts?“, fragte er mit dem gewohnten unschuldigen und spöttischen Unterton und setzte nach kurzem Überlegen hinzu: „Was ist mit deinem Mantel?“

Mit leichtem Widerwillen zog ich den Mantel aus und gab ihn an den Anführer. Ich wusste nicht, wie ich in den Lumpen, die ich trug den Winter überleben sollte, aber alles schien besser als sofort zu sterben. Der Alte warf den Mantel an den kleinen Jungen und grinste: „Kannst du haben!“

„War das alles?“ Der Mann schien auf eine ganz bestimmte Antwort zu warten und seine Spielchen begannen mich langsam mehr zu ärgern, als zu erschrecken. Dennoch zwang ich mich ruhig zu bleiben.

„Was wollt ihr noch?“, fragte ich kraftlos.

„Du bist einer der Nutten, ja?“, fragte der Mann und er spuckte das Wort aus, als würde es mich mit den Ratten gleichstellen mit denen er sein Lager teilte. Ich zuckte kaum merklich mit den Schultern, erwiderte aber nichts.

„Ich höre ihr sollt total wild darauf sein euch auszuziehen.“ Die Untergebenen lachten roh.

Langsam ahnte ich wohin das ganze führen sollte, doch ich stellte mich unwissend in der Hoffnung ein wenig Zeit zu schinden, um vielleicht doch einen Weg zu finden ihnen zu entkommen. Ich musterte nacheinander noch einmal die drei Männer vor mir. Da sich das Messer von meinem Hals entfernt hatte, könnte ich eine Chance haben wenn… Ich überlegte eine Weile, ob ich mich der Demütigung und dem sicheren Tod aussetzen sollte, indem ich die Kleider auszog und an die Männer gab. Ich wog meine Chancen zu entkommen ab, aber mein Entschluss war bereits gefallen, also schüttelte ich langsam und mit in mir brodelnder Todesangst den Kopf.
 

„Nein.“

Die Straßenräuber schienen leicht überrascht über den plötzlichen Widerstand und eine Weile hörte man gar nichts außer dem Wind, der über die Straße fegte. Dann wurden sie wütend. Ich hatte sie in ihrer Ehre beleidigt und sofort spürte ich wieder ein Messer an meinem Hals. Dieses Mal ritzte es die Haut und ein einzelner Blutstropfen rann mir die Kehle herab.

„Dann werden wir deine Kleidung in Streifen von deiner Leiche abschneiden.“ Der Mann sprach nun mit gedämpfter Stimme und in einem dunklen vibrierenden Tonfall.

Ich war kurz unschlüssig, dann nickte ich langsam und begann mein Hemd aufzuknöpfen. Ich hatte nicht vor es wirklich zu tun, aber ich hoffte, dass sich eine Möglichkeit zur Flucht gab, wenn mein Hals frei von einem Messer wäre.

Ich wurde losgelassen und erneut in die Mitte der vier Personen gestoßen. Ich wusste, dass eine neue Chance nie kommen würde.
 

Ich schloss die Augen und versuchte dann zwischen dem kleinen Jungen und dem Schwarzhaarigen durchzubrechen. Zeitgleich spürte ich einen scharfen Schmerz in der Seite und wusste, dass mich das Messer des Schwarzhaarigen getroffen hatte, ohne Schmerzen zu spüren. Meine Hand fuhr an meine Seite und ich prallte beinahe besinnungslos gegen das ende einer Hauswand, wo ich eine hellrote Blutspur hinterlassend vorbeitaumelte, um mich in eine Gasse zu retten.

Ich wusste, dass ich derart verletzt nie entkommen würde. Es würde ein leichtes für die Wegelagerer sein mich einzuholen und die brennende Wunde war tödlich.

Urplötzlich stand jemand in meinem Weg und fing mich auf.
 

Mich stützend erklärte Siren in einer herrischen, aber irgendwie schleppenden Stimme: „Dieser Mensch gehört mir. Kehrt um, oder ihr werdet den morgigen Tag nicht erleben.“

Bis auf den kleinen Jungen zeigte sich keiner der Räuber von Siren beeindruckt. Sie schienen vielmehr nicht sicher zu sein, ob sie lachen sollten, oder wütend waren. Schließlich sahen sie einander an und hoben gemeinsam ihre Dolche zu einem erneuten Angriff. Dieses Mal gingen sie auf Siren los, der mir sanft und ohne Eile half mich auf den Boden zu knien, während sich die Straße mit wachsendem Nebel füllte in der Etwas heranzuschleichen schien.

Mit einer einfachen Handbewegung schleuderte Siren den Anführer der Gruppe gegen eine nahe Wand, an der sich der Mann wohl das Rückrat brach, denn sein Körper war seltsam verdreht und geknickt, als er auf dem Boden aufkam. Ohne scheinbar darüber nachzudenken griff Siren an seinen Rücken, auf dem ein verziertes leicht geschwungenes Schwert gegürtet war und zog es gegen die herannahenden Erwachsenen. Es gab einen kurzen Kampf, den ich nicht genau beobachten konnte, während ich die stark blutende Wunde mit dem Stoff meines Hemdes stillte. Ich weiß jedoch, dass Siren von Anfang an der Überlegene war und das sein Blick kalt war wie der Tot selbst. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Straße voller Blut war.
 

Während hinter einer Straßenecke zwei weiße Hunde hervorkamen, die wirkten, als haben sie sich geradewegs aus dem Nebel manifestiert, wich der kleine Junge verschreckt und panisch vor Siren zurück.

„Willst du Leben?“, fragte Siren mit einem diabolischen Grinsen.

Der Junge nickte. „Ja!“ Er war vor Angst heiser und lief nun immer schneller Rückwärts.

„Dann renn!“, sagte Siren gelangweilt und sah zu, wie der Junge sich hektisch umdrehte und um eine Straßenecke verschwand. Einige Sekunden vergingen, dann sah der junge Mann auf die Hunde, die ein paar Meter von uns entfernt ausharrten. Er nickte leicht mit dem Kopf und die Tiere blitzten ihn aus ihren roten Augen heraus an und verstanden scheinbar.

Mit lautem Knurren setzten sie dem Jungen nach.
 

Ich weiß nicht genau, was dann passiert ist, aber ich erinnere mich an einen Schrei, der für eine ganze Minute oder länger die Gassen erfüllte. Dann war es still. Nach endlosen Sekunden versuchte ich mich aufzurichten und fragte Siren: „War es nötig auch den Jungen zu töten?“

Siren blitze mich verwegen an. Es war ein Blick, den ich selbst in dieser Situation aus irgendeinem Grunde liebte.

„Nötig? Nein, aber furchtbar befriedigend.“

Ich verstand seine Brutalität nicht, aber es war mir aus irgendeinem Grunde egal. Er hatte mir erneut das Leben gerettet und dieser tote Junge hatte sein Schicksal genau so gewählt, wie die anderen Straßenräuber. Tief in meinem Herzen wusste ich, dass das nicht stimmte, aber es sich einzureden machte seine Ermordung in diesem Moment erträglich.
 

Deine Zeit war gekommen. Du würdest ohnehin sterben, da die Wunde an deiner Seite zu tief war. Es war lediglich eine Frage wie dein Ende aussehen würde und wie viel deines kostbaren Blutes an den Boden verschwendet sein sollte. Du hattest beinahe gelernt mich zu lieben und ich fragte mich, ob du mich von jenem Moment an noch hättest hassen können. Verstehen konntest du mich nicht, aber eines Tages würdest du – und deine Taten würden sich nicht von meinen unterscheiden.


 

Siren bewegte sich langsam auf mich zu. Mit jener lautlosen Anmut, die mir schon so oft an ihm aufgefallen war.

„Ich habe dich verfolgt, - tagelang.“ , sagte er erklärend auf die in mir tobende Frage, woher er immer wusste wo ich mich befand.

Er stand nun direkt vor mir und ich roch wieder das Rosenöl und eine Gefahr, die von ihm ausging, wenngleich seine erschreckenden Worte vollkommen ruhig gesprochen waren.
 

Er strich mir langsam mit seiner noch leicht blutigen Hand eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und sah mich an – mir direkt in die Augen. Nachdenklich mit einer Spur von Traurigkeit. Sein Blick war in diesem Moment so menschlich, wie ich es bei ihm nie gesehen hatte und seine Augen so verletzt, wie ich sie nie von einem derart wütenden Wesen erwartet hätte. Er näherte sich mich etwas und strich mit seiner Hand mein Gesicht endlang. Ich war zu überrascht – zu gebannt, um mich zu bewegen, als seine Lippen die Meinen berührten und er mich zärtlich küsste, bevor ich aus meiner Verwirrung erwachen konnte. Meine Hand glitt von der Wunde und ich bemerkte das Blut nicht, das an meiner Körperseite entlang lief. Ich ließ Siren gewähren und erwiderte unbewusst seinen fast verzweifelten Kuss.

Ein endloser Kuss, den ich ihm gab ohne etwas dafür zu verlangen. Nicht aus Schuldigkeit, sondern weil ich es wollte. Ich war mit ihm verbunden. Unsere Seelen waren gleich. Ich wollte ihn verstehen.

Er lehnte mich gegen eine Wand und strich leicht und ein wenig schüchtern die Konturen meines Körpers nach.

Langsam knöpfte er mit einer Hand die obersten Knöpfe meines Hemdes auf und schob es ungeduldig beiseite, während er meinen Hals mit seinen Lippen berührte. Er fuhr mit selbiger Hand meinen Oberkörper entlang zu meinem Rücken und die andere Hand griff zu meinem Nacken.

Dann hielt er für den Bruchteil einer Sekunde inne und genoss die Umarmung, die ich vollkommen automatisch mit meinem ganzen Körper erwiderte. Dann gruben sich, bevor ich reagieren konnte seine nadelspitzen Eckzähne tief in meinen Hals.

Ich spürte sofort einen dünnen Blutfaden meine Brust herunter laufen und er begann zu trinken. Mich überkam Extase und Schwindel, Schmerz und Leidenschaft. Schließlich trat eine schier unvorstellbare Qual ein, während er mit aller Gewalt von meinem Leben zerrte und ich versuchte ihn abzuschütteln. Die Hand in meinem Nacken drückte mein Genick zusammen, wie ein Schraubstock. Eine Kraft, die ein Mensch von Sirens Erscheinung nie hätte aufbringen können, doch Siren hatte, wie ich nun wusste die Wahrheit gesagt – Er war kein Mensch.

Ich schrie vor Schmerzen, während ich langsam schwächer wurde. Meine Stimme erstarb. Meine Bewegungen wurden unkontrollierter und langsam, als wäre die Welt um mich herum zu Eis erstarrt. Die Welt nahm ich nur gedämpft und undeutlich wahr.
 

Aus meinem Schrei wurde ein Stöhnen, aus dem Stöhnen ein Wimmern und ohne, dass der Schmerz erträglicher wurde, verschwamm alles um mich in Dunkelheit, bis ich losgelassen wurde und zu Boden sank. Ich spürte seine Beine unter meinem Kopf und die pulsierende Schlagader seines Handgelenkes an meinen Lippen. Sie war aufgeschnitten und warmes Blut rann über meine Lippen und mein Kinn herab.

„Trink!“

Ich öffnete den Mund zu einer Frage und bemerkte eine nach Kupfer und Salz schmeckende Flüssigkeit auf meinen bebenden Lippen. Unwillkürlich musste ich würgen.

„Du musst!“

Die Stimme in der ferne kannte ich nicht mehr, doch sie war sanft und leise. Ich wollte schlafen.

„Du wirst sterben, aber du wirst das Geschenk begrüßen, dass ich dir mache.“

Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich belustigt. Diese Worte machten keinen Sinn für mich. Es waren Töne, gleich einer unbekannten Musik. Ich gab keine Reaktion von mir und wusste weder was mich erwartet, noch interessierte ich mich dafür, solange ich nur schlafen konnte.

Heute weiß ich, dass Tot und Schmerzen keineswegs erstrebenswert sind, selbst, wenn an deren Ende die Aussicht auf die Existenz, wie der Meinen steht. Sterben ist schwerer als man glauben mag und wiedergeboren werden eine Qual. Was folgt ist schlimmer als der Tot.

Doch all dies kümmerte mich nun nicht mehr. Immer noch spürte ich Sirens Lippen auf den meinen. Ich wusste das es gut war und das ich genau hier her gehörte, auch wenn ich nicht wusste, was mir widerfahren war.

„Hab keine Angst!“
 

Seltsamerweise begann sich erst nun Panik in mir auszubreiten und ich versuchte mit ungelenken Bewegungen die Person unter mir abzuschütteln und aufzustehen. Ich musste das Blut stillen, dass immer noch aus meiner Seite quoll, doch bevor ich noch einen weiteren Gedanken fassen konnte hatte Siren mich zurück auf seinen Schoß gedrückt und fuhr mit seinen fingern in einer Weise zwischen meine Zähne, die es mir in anbetracht meiner körperlichen Schwäche unmöglich machte den Mund zu schließen.

Dann floss sein Blut langsam, aber unaufhaltsam in meinen Körper.

Nach wenigen Schlucken spürte ich, dass ich es wollte und dass ich es brauchte. Es war ein schockierendes, aber befriedigendes Gefühl, als durch den Nebel meiner sinne der Gedanke zu mir drang, des ich gerade Sirens Blut trank. Doch es war zeitgleich derartig befriedigend, dass ich kaum die Welle plötzlichen heftigen Schmerzens spürte, die in mir aufstieg, bis sie endgültig und mit aller Macht eintrat. Nun hatte ich nicht einmal mehr die Kraft zu schreien und rollte mich vor Qual zusammengekrümmt auf die Seite in Sirens Arme.
 

Er sagte noch etwas, doch ich verstand es nicht, denn der Schmerz war überall. Er gab mir noch ein letztes Mal das Gefühl zu leben, bevor ich schließlich in sirens Armen starb und in einen tranceartigen Zustand fiel, gegen den sich mein gesamter Körper zu wehren versuchte. Ich war tot und am Leben, ohnmächtig und doch bei vollem Bewusstsein. Unfähig mich zu bewegen spürte ich dennoch, wie Siren mich aufhob. Ich spürte den kalten Luftzug, während er mich aus den Vierteln der Bettler ins oberste Viertel der Adligen brachte und mich nach Stunden des Laufens auf eine weiche Matratze bettete. Doch das allgegenwärtige Gefühl der Schmerzen ließ mich keinen klaren Gedanken in diesem unbeweglichen Zustand fassen.

Während ich das Gefühl in mir trug, der Schmerz würde wie ein Wurm durch meinen Körper kriechen und mich zerreißen – auffressen – spürte ich immer wieder das kalte Tuch auf der Stirn mit dem Siren vergeblich versuchte das Fieber zu senken.

Und plötzlich war der Schmerz fort und hinterließ nichts als brennenden Durst, der mich durch die Träume des Schlafes begleitete.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  DemonhounD
2007-10-27T13:54:05+00:00 27.10.2007 15:54
^^ das hier is wohl mit Abstand der schönste Kommi, den ich jemals gekricht hab^^ danke sehr!^^
Von: abgemeldet
2007-10-24T13:26:30+00:00 24.10.2007 15:26
Vorneweg: Deine Metaphern sind einfach toll.

Es war keine Ahnung mehr, sondern ein wissen, das meine Schritte beschleunigte und mein Herz schlagen ließ, wie die Flügel eines flüchtenden Vogels.

ich kann mir direkt vorstellen wie es ihm geht, das Gefühl das sich im Magen ausbreitet bei der Gewissheit einer nahenden Gefahr .. und das alles nur mit diesen wenigen Worten - ohne das du das auch nur angeschrieben hast … da merkt man, dass du schon sehr lange schreibst …und das gefällt … deine Sicherheit mit der du Worte gezielt einsetzen kannst und genau abschätzen kannst wann was passt.

Und ganz am Anfang der verkaufte Körper, das regt zum weiter lesen an, auch wenn komisch klingt aber da wurde ich hellwach beim Lesen, da ist Neugierde dabei, weil es so realistisch geschrieben ist, weil das alles wirklich passieren kann und schon passiert ist

Diese Sätze gefallen mir ganz besonders:

Es heißt, die Hoffnung sterbe zuletzt, aber das ist nicht wahr. In Wahrheit welkt die Hoffnung immer als Erstes und wenn man bereit ist sich nieder zu legen und zu sterben ist sie meist bereits tot.

es ist nicht nur schön geschrieben, sondern auch wahr, denn wenn ich so drüber nachdenke - es stimmt was du da schreibst!

Und dann natürlich der Wechsel der Personen, wo man sich vorher gar nicht auskennt, und genau deshalb weiter lesen will!

einfach professionell wie du die Verbindung der beiden aus der sicht des anderen erklärt hast und nicht plump einfach geschrieben hast … ich zieh meinen hut vor dir … wenn ich einen auf hätte XP

außerdem ist da immer diese frage - wer ist das? und du machst alle übergänge fließend, sodass nie die Spannung darunter leiden muss …


ich oute mich jetzt schon … im ersten kapitel:
ich bin ein fan …

und wenn man bedenkt das ichs nur gelesen hab um zu sehen was ich auseinander nehmen kann … so weit hast du mich gebracht *lol* :D

Aha! Siren ist also der zweite und er ist ein Vampir… ja soviel hab ich jetzt schon herausgefunden … und er wirkt katzenhaft, das hab ich mir gemerkt! :D

ja also allein die Vorstellung deiner geschichte … wenn ich mir jetzt alles so vorstelle wie du beschrieben hast auf einem fernseher … das wär oscarreif, wirklich!
so undurchsichtig, aber dennoch ein genügendes durchlassen an Informationen, damit man nicht das Interesse verliert … wahrlich toll

oke ein bisschen nehm ich diene geschichte wirklich auseinander … aber nur im positiven *ällalätsch*


ich finde es großartig (muhaha, neues wort gefunden :D) wie du sirens abneigung und gleichzeitige Besessenheit zu Michael dargestellt hast - wie er innerlich kämpfte gegen die gefühle die in ihm hochkamen wenn er an ihn dacht … ich fühl richtig mit!

"Der Abend bracht herein, wie ein gefiederter Phönix in Rot- und Goldtönen"

wie kommst du nur auf SO etwas???
ein gefiederter Phönix … an so was hät ich nie gedacht ABER es passt .. und zwar wie! ….

Ich bin ein Dämon. Ich bin eine Geißel. Aber mehr noch als das bin ich ein Wesen, das nach Liebe schreit. Ein Raubtier, das vor Hunger wahnsinnig geworden ist. Aber Wahnsinn und messerscharfer Verstand liegt oft nah beieinander.

und wieder ein paar deiner schönen sätze die mich vor neid erblassen lassen … du schreibst so unglaublich schön und erwachsen und einfach nur wow ….
du verbindest wahre aussagen mit irrealen und lässt alles so normal und alltäglich erscheinen das es mir die schuhe auszieht. und wenn ich so deine ff mit meiner vergleiche .. da bin ich schon gespannt WIE sehr du sie auseinandernehmen wirst … aber das wird ich über mich ergehen lassen (*lol* das klingt vllt komisch) denn deine tipps wird ich mir ganz besonders zu herzen nehmen, natürlich alle anderen auch, aber deine ganz besonders *lachz*



… hatte ich den Eindruck, dass eigentlich jede Art von Wohlstand nur durch das geschickte ausnehmen von anderer Leute Taschen entsteht.

wie wahr, wie wahr, wie wahr, … schon wieder hast du recht.
irgendwie kommt mir der satz etwas sarkastisch vor, stimmt das, oder reim ich mir da was rein?

vllt ist dir schon aufgefallen das ich neben dem kommi schreiben lese, deshalb schreib ich immer das ins kommi was mir grad so durch den kopf geht

und das is jetzt grad das:

woher kommst du auf die namen?
siren, is ja nicht wirklich ein gewöhnlicher name
hast du dir den ausgedacht oder hat der einen sinn den ich nur noch nicht entdeckt habe?


WAS?! wieso tötest du den kleinen Jungen??? …
und die Hunde .. das waren sicher Vampirfreunde oder? .. oder gibt es Vampirhunde auch?

Mensch das ist so derbst spannend *schnurr*

Siren blitze mich verwegen an. Es war ein Blick, den ich selbst in dieser Situation aus irgendeinem Grunde liebte.
„Nötig? Nein, aber furchtbar befriedigend.“

den verwegenen blick würd ich auch gern mal sehen *lol*
irgendwie hab ich durch diese zwei kurzen sätze gleich ein ganz anderes bild von siren bekommen … ich kann zwar noch nicht ganz beschreiben welches, aber es hat sich sofort in irgendeiner art verändert …


kann es sein das Michael zuerst blond war und du ihn dann schwarzhaarig gemacht hast? nur so ne frage …



die Veränderung in der Liebesszene … die hat mich echt überrascht - auf einmal ein richtiger Todeskampf und whoa … so genialste geschrieben … erinnert mich ein wenig an brokeback mountain … aber nur ein bisschen und auch nur die Liebesszene …


er schneidet sich die Pulsadern auf?!

warte ich kann jetzt nicht mehr schreiben, muss weiter lesen ! …

gute Beschreibung mit tot und leben und Wiedergeburt und das alles. .. hob selbst schon schmerzen gehabt … echt jetzt, lach nicht! XDD~


WIE BITTE?
das war alles nur EIN Kapitel??? … (hab alles in word gespeichert und hab die kapis nich gesehn)

wie genial ist das denn … Mensch ich bin jetzt fertig …

DU machst mich fertig genauer gesagt …

tja oje ich kann nich weiterleben muss noch für die schule pauken, naja ich les auf jedenfalls bald weiter, bin ja auch ein fan *lol* :D

greetz sleepn


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