Scherben
Also aufgepasst....vielleicht ein wenig...naja ich kann es nicht beschreiben. Seht selbst ^^ Meine Phantasie ist mit mir durchgegangen
Nach zwei Tagen hielten die Ärzte es für vertretbar, Marron nach Hause zu schicken. Marron war mehr als froh und als Miyako auch schon vor dem Krankenhaus wartete, wurde der Tag immer besser. Vergnügt lief sie ihrer Freundin entgegen.
„Ich musste dem Doc doch tatsächlich versprechen, nicht zu reiten mit dem Gips. Seh ich so lebensmüde aus?“
Die Frage war rein hypothetisch, doch Miyako tat so, als würde sie darüber nachdenken. Marron lachte laut und stieß sie an.
„Na, danke auch.“
Miyako nahm Marrons Gesicht in beide Hände und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Ich pass schon auf dich auf.“
Marron hielt ihre Hand an die Wange und wirkte einen Augenblick überrumpelt, dann grinste sie.
„Das habe ich doch schon einmal gehört, in den letzten Tagen.“
Miyako verdrehte die Augen.
„Hör bloß auf. Chiaki redet mit Niemandem mehr und wenn er und Noyn sich irgendwann mal begegnen, schleudert er Blitze in seine Richtung. Gut, das er keine übersinnlichen Fähigkeiten hat.“
Trotz des sonnigen, eindeutig tollen Tages, konnte Marron über die Bemerkung nicht lachen. Gedankenversunken lief sie mit Miyako die Auffahrt des Krankenhauses herunter, wo ein Taxi darauf wartete, sie zum Internat zu fahren.
„Ich versteh Chiaki nicht ganz. Worüber hat er sich so aufgeregt?“
Miyako runzelte die Stirn.
„Du denkst nur an Chiaki. Mich wundert eher, was Noyn von dir wollte.“
Marron seufzte.
„Er hat mich vor Chiaki gewarnt und gesagt, er wolle nicht mehr zu lassen, dass man mir weh tut.“
Perplex blieb Miyako stehen. Der Taxifahrer musterte sie ungeduldig.
„Das ist jetzt ein Witz!“
„Nein, wenn ich es doch sage.“
„Wie kommt er denn dazu?“
„Anscheinend sieht er in Chiaki eine Bedrohung für mich. Außerdem, wenn du dich erinnerst, hat sich Chiaki schon einige Dinge geleistet.“
Miyako schüttelte den Kopf und hielt Marron die Tür des Taxis auf.
„Ich glaube, wir haben uns in Chiaki geirrt.“
Marron brach in Gelächter aus, während Miyako neben sie auf den Sitz rutschte.
„Ich kann mich da an einige Dinge erinnern, die du bezüglich Herrn Nagoya gesagt hast. Die waren aber gar nicht so fein.“
Miyako biss sich auf die Unterlippe.
„Weiß ich etwas nicht?“
Miyako wurde unruhig.
„Ich kann nicht allzu viel dazu sagen, Marron. Nur das er sich sehr, sehr edel verhalten hat…….und du bist ihm wichtig.“
„Ja, so wichtig wie jedes Betthäschen. Was meinst du mit edel?“
„Das kann ich nicht sagen.“
„Wieso nicht?“
„Weil es an Chiaki ist, dir davon zu erzählen. Beurteile ihn bitte nicht so vorschnell.“
„Ich werde ihn fragen.“
Gelangweilt schaute Chiaki auf seine Matehausaufgaben hinunter, die in seinem Schoß lagen. Normalerweise zog er es vor, sie nicht zu machen, aber seitdem er alles und jeden mied, hatte er eine neue Beschäftigung gesucht, und Hausaufgaben gehörten dazu. Im Apartment hatte er es ebenfalls nicht mehr ausgehalten, deshalb saß er jetzt im Park, an einer ziemlich einsamen Stelle und ließ sich die Schädeldecke von der Sonne bescheinen. Ein viel zu warmer Tag für Anfang Dezember, aber nun gut, man wollte sich ja nicht ständig beschweren.
Müßig dachte Chiaki an Weihnachten in zwei Wochen. Dann würde er endlich mal wieder nach Hause fahren und dieser Schule und allem drum herum, den Rücken kehren. Was ein Gefühl. Nur am Rande fragte Chiaki sich, was Marron wohl zu Weihnachten tat.
Er wusste es nicht. Er hatte Miyako nicht nach Marrons Vergangenheit und auch nicht nach ihren Geheimnissen gefragt. Er kannte bereits eines, dessen Kenntnis er vor Marron geheim halten wollte. Keine angenehme Sache.
Chiaki ließ sich hinten über fallen und kuschelte sich in seinen Parker. Die Wolken zogen hauchdünn über einen makellos blauen Himmel.
Und Miyako kannte sein Geheimnis. Seine Gefühle für Marron. Er hatte gedacht, sie würde ihn für blöd halten, ihn vielleicht als Bedrohung für Marron halten, aber nichts dergleichen. Sie hatte nicht viel gesagt, doch er hatte das Gefühl gehabt, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte. Sie hatte ihn nicht einmal gebeten, niemanden von Marrons Narben zu erzählen. Sie war einfach davon ausgegangen, dass er es nicht tun würde. Vertraute sie ihm etwa?
Chiaki seufzte und schloß die Augen. Verdammt, er liebte dieses Mädchen, dabei wusste er nicht einmal, wer sie wirklich war. Wovor sie floh, wer ihr das alles angetan hatte. Vor allen Dingen hatte er so seine Zweifel, was ihr Vertrauen in ihn betraf. Sie war eindeutig vom Leben betrogen worden und dann kam so ein arroganter Großkotz daher und meinte sie flachlegen zu können. Nun ja, man konnte ihm zugute halten, dass er ahnungslos gewesen war. Er unterdrückte nur mit Mühe ein Stöhnen, als er daran dachte, wie das alles hätte ausgehen können. Womöglich eine Katastrophe, bei der ihre Gefühle in jeglicher Hinsicht hätte verletzen können.
In was hatte er sich da nur verrannt. Er würde sie in Ruhe lassen. Seine Gefühle waren bedeutungslos, wenn um Marron ging. Er hätte nie gedacht, dass es einmal von ihm kommen würde, aber sie war ihm wichtiger, als seine eigenen Bedürfnisse.
Sie brauchte keinen Streß mit einem unreifen Kerl, der meinte er habe die große Liebe gefunden. Was, wenn er ihr nicht das geben konnte, was sie brauchte? Nein, er war nie der nette Typ, der Wohltäter gewesen und genau so jemanden brauchte sie. So Sensei- Shikaido-mäßig.
Den Schmerz ignorierte Chiaki geflissentlich.
Der Kerl war auch wirklich nicht aufzutreiben, da hatte Miyako nicht übertrieben. Marron lief nun schon seit zwei Stunden über das Gelände und suchte Chiaki. Sie war bei dem Jungen- wie bei dem Mädchengebäude gewesen- man konnte ja nie wissen. Und nun durchsuchte sie die Schule und den Park. Man konnte sich doch nicht in Luft auflösen. Wenn sie ihn nicht sehen wollte, lief er ihr ständig über den Weg und nun war er vom Erdboden verschluckt worden, wie es schien.
Marron schlug den Weg zu den Volieren ein und ärgerte sich maßlos über ihre Neugier, die Miyako so gnadenlos in ihr geweckt hatte. Na ja, Miyako hätte sich im Taxi lieber auf die Zunge gebissen, aber das machte das Ganze noch schlimmer für sie.
Sie kam an dem Gebüsch vorbei, in dem sie Chiaki vor einiger Zeit einmal mit Mia erwischt hatte. Es schien eine Ewigkeit her und Marron erinnerte sich, wie schockiert sie darüber gewesen war. Nun ja, sie war eindeutig ein unbeschriebenes Blatt und unwissend, was Chiakis Neigungen anging.
Marron blieb abrupt stehen. Es war nur ein Gedanke, aber trotzdem kehrte sie um, um hinter dem Gebüsch auf die kleine Lichtung zu schauen.
Und da war. Er lag auf den Rücken, in seine Jacke gekuschelt und sonnte sich. Seine Augen waren geschlossen und Marron konnte nicht erkennen ob er schlief. Er sah so friedlich und irgendwie bildschön aus, sodass es Marron einen kleinen Stich versetzte.
*Falscher Zeitpunkt, dir seiner Attraktivität bewusst zu werden. Nicht dass es dich interessiert!*, dachte Marron.
Sie schritt auf ihn zu und das nicht gerade leise, doch er hörte sie anschienend nicht. Sie räusperte sich.
„Weißt du eigentlich, was für ein Akt es war, die hier zu finden?“ Sie hatte die Stimme bewusst sehr angehoben.
Erschrocken zuckte Chiaki zusammen und blinzelte zu ihr hinauf.
„Oh, Marron. Du bist wieder da?“
„Sieht so aus“
Umständlich ließ sie sich neben Chiaki nieder. So ein Gips war echt ärgerlich.
„Niemand weiß in letzter Zeit, wo du dich so rum treibst. Woran liegt das?“
Chiaki zuckte mit den Schultern.
„Es gibt halt mal Tage, wo man eine Auszeit braucht.“
„Schön. Die ist jetzt vorbei!“
Ihre schroffe Stimme, ließ Chiaki die Stirn runzeln.
„Was ist denn in dich gefahren?“
„Weißt du, es nicht gerade ein tolles Gefühl, wenn alle um einen herum irgendetwas vor einem verbergen und sich total seltsam aufführen, ohne das man den Grund weiß.“
Chiaki wandte den Blick ab.
„Und was habe ich damit zu tun?“
„Sagen wir mal, ich weiß, dass du mit einer der Gründe bist, und ich würde es gerne verstehen.“
„Ich weiß nicht, wovon du redest.“
Chiaki wollte aufstehen, doch Marron hatte zumindest eine gesunde Hand. Als Chikai den leichten Druck spürte und ihr in die Augen sah, setzte er sich wieder. Sie wirkte derart verletzlich, dass es seinem Herzen einen Stich versetzte.
„Was willst du von mir, Marron? Es ist alles okay.“
„Nein, ist es nicht. Warum bist du einfach aus dem Zimmer gegangen?“
Chiaki fuhr sich unsicher durch die Haare.
„Es lag nicht wirklich an dir, sondern an Noyn, ich mag ihn nicht.“
„Das ist nicht die ganze Wahrheit, Chiaki. Er war schon weg, als du uns alleine gelassen hast.“ Sie schlug die Augen nieder.
„Ich dachte, wir wären Freunde.“
Verzweifelt hob er die Hände.
„Das sind wir doch auch“
Ihre Augen schnellten hoch.
„Dann würdest du mir nichts verheimlichen.“
„Es ist aber manchmal besser, Dinge für sich zu behalten, findest du nicht?“
Innerlich gab Marron ihm Recht. Doch geschlagen gab sie sich nicht.
„Würde es einem von uns Beiden schaden?“
„Ich weiß es nicht?“
„Wieso?“
„Weil es mehrere Dinge sind, verdammt noch mal. Ich will nicht mit dir darüber reden.“
Marron beobachtete Chiakis Mimik. Er wich ihr aus.
„Es geht um mich, nicht wahr? Ich weiß, dass ich der Grund bin.“
Chiaki verneinte nicht.
„Habe ich etwas falsch gemacht, Chiaki?“
„Nein, das ist es nicht.“
„Was dann?“
„Ich habe so einiges falsch gemacht und es bleibt lieber meine Angelegenheit.“
Eine Weile sah Marron Chiaki abschätzig an. Er wand sich wie ein Regenwurm.
„Von dir werde ich es nicht erfahren, richtig?“
Chiaki schüttelte den Kopf.
„Nun, ich werde dir mal sagen, was ich weiß.“ Sie zog die Knie an und stütze damit den lädierten Arm. „Miyako und du, ihr habt ein Geheimnis vor mir, dass euch Beide belastet. Und ihr erzählt es mir nicht, weil ihr….ihr habt kein Vertrauen zu mir. Ist es das?“
Chiaki wollte widersprechen, doch Marron stand schon auf.
„Weißt du, es ist unwichtig. Ich denke ich brauch nichts mehr zu wissen. Kein Geheimnis dieser Welt könnte mich schockieren - und da es sich dabei eindeutig um mich dreht, schon gar nicht.“
Sie blickte einen Augenblick gedankenverloren zurück zum Weg.
Chiaki hatte das Gefühl an seinen Schuldgefühlen zu ersticken.
Mit einem Ruck drehte Marron sich zu ihm um und lächelte matt.
„Nun gut, man irrt sich täglich in Menschen nicht wahr? Weißt du, wie Miyako dich genannt hat? Edel! Na ja den Rest wiederhole ich nicht. Du wirst es sowieso abstreiten.“
Ohne ein weiteres Wort war sie verschwunden.
Am Liebsten hätte Chiaki sich die Zunge abgebissen. Er war so ein verdammter Idiot. Zornig starrte er Yamato und Miyako an, die stumm ihm gegenüber auf dem Sofa saßen. Miyako wirkte blass und daneben und Yamato war mit der Situation eindeutig überfordert.
„Sag mir jetzt sofort, was du Marron gesagt hast.“
Miyako wand sich. Die so selbstsichere Miyako, war zum ersten Mal, seitdem er sie kannte, nervös.
„Ich habe versucht, dich zu verteidigen und da sind mir so zwei Sätze herausgerutscht.“
„Und die wären?“ Chiakis Ungeduld stieg, als er sah, wie Miyako zögerte. Sie holte einmal tief Luft und stieß hervor:“Das du edel bist und….sie sehr, sehr gern hast!“
„Und was hat sie daraufhin gesagt?“
„Mich gefragt, warum ich so etwas sage. Nun ja, ich habe nicht immer gut von dir gesprochen, wie allgemein bekannt ist.“
„Lass mich raten, du hast ihr keine direkte Antwort gegeben.“
„Doch.“ Nervös sah sie zu ihm auf.
„WAS?“
„Dass es an dir ist, ihr davon zu erzählen.“
„Verdammt Miyako. Sie denkt, wir vertrauen ihr nicht.“
„Aber das ist doch nicht wahr.“
„Was hast du dir vorgestellt, das ich ihr sage, wenn sie mich fragt?“
„Ich weiß es nicht.“
„Ich kann ihr doch nicht klar heraus sagen, dass ich ihre Narben gesehen habe. Dass ich jede einzelne Misshandlung sehen konnte.“
Ein Klirren ließ alle Drei hochfahren und sich zur Tür wenden. Ein großer Schlüsselbund war laut zu Boden gefallen. Daneben stand Marron. Ihr Gesicht war leichenblass und wie eine Maske. Nicht eine Emotion war daran abzulesen. Nur ihre Augen wirkten übermäßig groß und glänzten fiebrig, als sie Chiaki anstarrte.
Miyako war die erste, die sich fing.
„Marron, wir haben dich gesucht, wo warst du die letzten Stunden?“
Marron wandte den Blick nicht von Chiaki ab.
„Du hast was?“ Ihre Stimme war unnatürlich hoch.
„Marron, es war ein Zufall.“ Chiaki bewegte sich nicht, zu sehr hatte er Angst, dass sie zurückweichen würde. „Ich hatte Angst, dass du dich verletzt haben könntest.“
Marron schloß die Augen, als die Erinnerung sie mit Macht überrollte.
Miyako trat auf sie zu, doch Marron war schneller.
„Du wusstest es?“
„Marron, wir hätten es dir erzählt.“
Marron sah wieder Chiaki an.
„Und wie war es für dich, es zu sehen. Hast du dich schön amüsiert, heute Mittag?“
„Marron, du tust ihm Unrecht.“ Doch sie reagierte nicht.
„Willst du wissen, wie es war, diese Wunden zugefügt zu bekommen? Wie es ist, wenn dein Onkel Spaß daran hat, seine Zigarren und Gürtel oder was auch immer er gerade hat, in dir zu verewigen? Ich kann es dir erzählen. Freunde haben keine Geheimnisse vor einander.“
Ihrer Kehle entrang sich kein einziger Schluchzer und doch liefen ihr Tränen die Wange hinab.
Yamato stand nun auf und drängte Miyako beiseite.
„Komm Marron, setz dich. Du hast ein Schock.“ Seine sanfte Stimme nahm Marron ein wenig die Anspannung. Hilflos, und entsetzlich verzweifelt, sah Chiaki, wie Marron ihren Blick abwand und Yamato ansah.
„Ich möchte bitte alleine sein.“
Yamato nickte und führte sie in ihr Schlafzimmer. Weder Miyako, noch Chiaki verstanden, was er zu ihr sagte. Als er wieder aus dem Zimmer kam, schloß er die Tür hinter sich.
„Miyako du schläfst heute Nacht bei uns. Sie kann im Moment keine Gesellschaft gebrauchen.“
„Ich kann sie doch nicht alleine lassen?“
„Doch das musst du. Chiaki bleibt hier und zwar hier auf dem Sofa.“
Miyako und Chiaki sahen Yamato entsetzt an.
„Wieso ich? Sie ist doch auf mich wütend.“
„Eben drum. Es geht um dich und wenn sie sich ein wenig beruhigt hat, wird sie dir wahrscheinlich die Augen auskratzen. Doch wir werden nicht dabei sein.“
Ungläubig sah Chiaki seinen Freund an.
„Bist du Masochist?“
„Nein. Ich will nur das Beste für euch.“
Wortlos bugsierte er Miyako aus dem Apartment und schloß die Tür hinter sich.
Na toll.
Irgendwann, Chiaki wusste nicht wie viele Stunden vergangen waren, machte er das Licht aus und machte sich auf der Couch breit. Gut, würde er halt auf Marron warten. Wenn sie sich an ihm abreagiert hatte, ging es ihr womöglich besser und ihm auch. Zumindest seinen Schuldgefühlen. Erschöpft schlief er ein.
Zunächst vernahm er ein Geräusch, dass er in einen vollkommen wirren Traum einbaute. Dann wurde es immer drängender und beförderte ihn mehr und mehr zurück an die Oberfläche seines Bewusstseins. Verwirrt versuchte Chiaki es einzubauen. Verschlafen sah Chiaki sich um. Es war stockfinster, doch er war eindeutig nicht zuhause.
Wieder das Geräusch. Chiaki fuhr auf. Marron. Sie weinte.
Unschlüssig starrte Chiaki in die Dunkelheit. Was sollte er tun. Sie wollte doch mit Sicherheit alleine sein und wenn nicht, dann war er ganz bestimmt der Letzte, den sie sehen wollte.
Chiaki schloß die Augen. Sein Herz schrie danach, zu ihr zu gehen, sein Verstand hatte Angst.
Ein Klirren ließ ihn alle Angst vergessen.
Er klopfte, wartete aber nicht ab, ob sie antworten würde, sondern trat ein.
Seine Augen waren noch immer mit der Dunkelheit überfordert, aber das Zimmer war heller vom Mondlicht erleuchtet, als der Rest des Apartments. Am Fenster bewegte sich ein Schatten.
„Verschwinde.“ Ihre Stimme war dünn, schwach.
„Ist alles in Ordnung?“
Sie schluchzte wieder. Chiaki ging langsam auf sie zu.
„Komm nicht näher!“
„Ich werde dir nichts tun, Marron.“
Er streckte seine Arme vor sich aus.
„Nein, ich will nicht, dass du mich ansiehst.“
Verwirrt blieb Chiaki stehen.
„Ich weiß doch, wie du aussiehst.“ Er hörte wieder, wie etwas klirrte und sah zu Boden.
„Verdammt, Marron. Beweg dich nicht, hier ist alles voller Scherben.“
Es war nur ein schwacher Hauch: „Ich weiß.“
Chiaki hob eine große Scherbe auf und sah…. sein Gesicht. Es waren Teile eines Spiegels.
Er versuchte um sich herum etwas auszumachen und sah, dass am Kleiderschrank ein Loch prangte.
„Ich mach das weg, okay? Du brauchst dich einfach nur nicht zu bewegen.“
Er fuhr fort, die Scherben aufzuheben, dabei näherte er sich weiter Marron.
„Chiaki, bleib sofort stehen!“
Chiaki schrak hoch und sah, wie Marron vor ihm zurückwich. Ein Mondstrahl streifte ihre verletzte Schulter und den, ihm zugewandten Rücken. Oh Gott, sie hatte nichts an.
„Oh, Marron, tut mir Leid. Ich habe nichts gesehen. Ich wusste nicht, dass du nichts an hast.“ Hektisch, und vollkommen verwirrt, legte er den Rückwärtsgang ein und stammelte wirres Zeug.
Plötzlich fing Marron wieder an zu weinen. Hilflos sah Chiaki sich im Raum um, seine Augen gewöhnten sich immer mehr an die Dunkelheit und er sah, mehr als gut für ihn war. Und für seine Männlichkeit.
„Ist es…so..schrecklich…,dass du…weglaufen musst?“
Es war keine direkte Frage, die Chiaki da von seinen Phantasien ablenkte.
„Wovon redest du?“ Er war auch wirklich schwer von Begriff….na ja, bei dem Ausblick.
„Lüg mich nicht an, Chiaki. Es ist abschreckend, hässlich. Ekelhaft.“
Chiaki begriff.
Mit drei Sätzen durchmaß er den Raum und bevor Marron sich wehren konnte, hatte er sie auch schon in seine Arme geschlossen.
„Lass mich sofort los.“
„Schhh…hör mir mal zu.“ Marron wehrte sich noch immer, aber ihre Schulter machte ihr eindeutig Probleme, sodass ihre Gegenwehr fruchtlos war.
Chiaki lockerte den Griff, sodass er mit einer Hand ihr Kinn anheben konnte. Oh Gott, wie verletzlich und verzweifelt sie war. Er wollte sie nie wieder loslassen.
„Nichts an dir, wirklich gar nicht an dir ist hässlich oder ekelhaft. Ist das der Grund, warum du den Spiegel eingeworfen hast?“
Eine Träne kullerte über ihre Wange, ihre Stimme war heiser.
„Lass es gut sein, okay?“
„Nein, dass werde ich nicht.“ Er schüttelte den Kopf.
„Marron, du müsstest mich doch mittlerweile kennen. Ich sage und tue nichts, was ich nicht will.“ Er strich ihr eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Und wenn ich sage, dass du wunderschön bist, so wie du bist, dann bin ich ehrlich zu dir.“
Marron drehte das Gesicht weg.
„Du hast ihn noch nicht ganz gesehen, Chiaki.“
„Willst du, dass ich es mir ansehe?“
Marron schloß die Augen, ihr Herz raste. Sie hatte Angst.
„Marron, kannst du mir vertrauen?“
„Ich weiß es nicht.“
„Darf ich es mir anschauen?“
Unsicher sah sie zu ihm auf. Er ließ sie los und führte sie zum Bett, wo sie sich setzen sollte.
„Pass auf, du schließt jetzt die Augen und ich seh es mir an und ich verspreche dir, ich werde ehrlich sein, okay?“
Marron zitterte, doch sie nickte. Nicht nur, dass sie bis auf einen Schlüpfer nichts trug. Nein, Chiaki würde das ganze Ausmaß, der Gewalt sehen.
Chiaki ging vor ihr auf die Knie und zwang sich, die Augen von ihrem Gesicht zu nehmen. Sein Blick wanderte über ihren Hals, über ihre Schlüsselbein und ihre Schulter. Er zwang sich, nicht bei ihren wunderschönen festen Brüsten zu verweilen, während sich ein dicker Kloß in seinem Hals bildete und ihm heiß wurde. Er sah sich ihren rechten Arm an und erkannte Male, die eindeutig Brandwunden waren. Sein Finger fuhr sachte darüber und Marron erschauerte. Die Augen öffnete sie nicht.
Unterhalb ihrer Brust, quer über ihren flachen Bauch und um die Hüfte herum, sah er ebenfalls Brandnarben, aber auch Schnittwunden und Striemen. Er verlagerte sein Gewicht und sah, dass sie diese Wunden auch auf ihrem Rücken und ihren Schultern hatte.
Ihre Füße und Unterschenkel waren unversehrt, doch ihre Oberschenkel waren übel zugerichtet. Chiaki wusste nicht, was für Dinge hier benutzt worden waren, aber jeder Gedanke daran verursachte in ihm Übelkeit und noch viel mehr….nämlich Zorn.
„Wie konnte dieser Bastard das nur tun?“
Marron zuckte zusammen. Sie griff nach der Decke und versuchte, sie an ihre Brust zu ziehen. Chiaki hinderte sie daran.
„Nein, warte. Du wolltest mein Urteil.“
Marron wich seinem Blick aus, ließ die Decke nicht los.
Chiaki fuhr mit seiner Hand über ihren Hals und ihr Schlüsselbein, dann nahm er sachte ihr Gesicht in seine Hände, damit sie ihn ansah.
„Versprichst du mir, dass du mir glaubst, egal was ich dir jetzt erzähle?“
Unsicher zögerte Marron, dann nickte sie.
„Ich weiß nicht, was dein Onkel damit bezwecken wollte. Er hat dir Grausames angetan und dafür würde ich ihm am Liebsten den Hals umdrehen.“ Seine Stimme wurde immer rauer. Seine Augen loderten.
„Aber nichts, mein Engel, nichts kann auch nur etwas von deiner Schönheit
zerstören. Hörst du?“
Eine weitere Träne lief ihr über die Wange.
„Und glaub mir, niemand sieht diese Narben, wenn er dich das erste Mal nackt sieht.“ Er lachte trocken und spürte, wie Marrons Gesicht heiß wurde, als sie errötete.
„Ich habe gerade Jahre meines Lebens verloren, weil ich dich so tatenlos mustern musste.“
Chiaki merkte, dass sie ihm das nicht abkaufte, glaubte dass er übertrieb, aber zumindest glaubte sie ihm ein wenig. Wenn sie gewusst hätte, wie ehrlich er wirklich war. Dann wäre sie wahrscheinlich wütend geworden.
Sie lächelte.
„Na ja, du musst es ja wissen.“
Chiaki grinste sie frech an.
„Wenn nicht ich, wer dann?“
Er stand auf und fuhr ihr zärtlich über den Kopf.
„Schlaf, mein Engel. Du brauchst Ruhe. Reicht wenn Miyako nicht geschlafen hat.“
Er wollte sich langsam abwenden und weiter die Scherben aufsammeln, bevor sich jemand verletzte.
„Chiaki?“
„Ja?“
„Kannst du bei mir bleiben?“
Chiaki schluckte hart. Gar nicht gut.
Scherzhaft sagte er: „Bist du sicher, dass du das riskieren willst? Ich könnte dich womöglich im Schlaf verführen!“
Marron lächelte, nahm sich ihr Nachthemd vom Bett und zog es sich umständlich an. Dämlicher Gips!
„Bitte, nimm mich einfach nur in den Arm. Oder meinst du, dein Herz bleibt sonst stehen?“
*Wenn du wüsstest!*
Chiaki legte die Scherben beiseite und schlüpfte neben Marron unter die Decke.
„Du schändest meinen Ruf, als Frauenheld. Ich werd ein Softie.“
Marron kicherte und macht es sich in seinem linken Arm bequem; bettete ihren Kopf auf seiner Brust.
„Danke, Chiaki.“
Er küsste sie auf den Scheitel.
„Immer wieder, mein Engel.“
Kurze Zeit später war sie eingeschlafen. Chiaki wusste, er würde nicht ein Auge zu machen.