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Drachenherz

Ein kleiner Zujin Roman
von

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Alte Freunde, alte Flammen

Im vollen Staatsornat stand Feuerlord Zuko im Büro des dritten Sekretärs von Wong Shu, Minister für innere Angelegenheiten minderer Priorität.

Seit nunmehr acht Minuten lauschte er den ergreifend weitläufigen Gründen, die den überaus ehrenwerten Wong davon abhielten, ihn persönlich zu empfangen.

Zuko, der am Fenster stand und auf die Stadt hinunter blickte, hörte nur mit halben Ohr zu, vergass dabei aber keines Falls, in angemessenen Abständen zu nicken.

Den ganzen Tag schon hatte er sich solche oder ähnliche Reden angehört, ohne den frustrierten Beamten den Triumph zu gönnen, auch nur ein Quäntchen seiner unerschöpflichen Geduld zu verlieren.

Er war ein Muster an Duldsamkeit und Gelassenheit. 

Die Erdbändiger boten ihm genau das Schauspiel, das er von Anfang an erwartet hatte, und ihnen dies deutlich zu machen, bereitete ihm ungemeines Vergnügen.

Nun, allerdings wurde es Zeit, die Sache zu verkürzen.

Private Belange erforderten nämlich die Aufmerksamkeit eines überaus ehrenwerten Feuerspuckers.

„Ich verstehe", sagte Zuko, ruhig den Redefluss des Sekretärs unterbrechend. „Wie überaus bedauerlich. Ich hoffe nur, Minister Wong hat trotz der Plötzlichkeit seiner Abreise keinerlei Unannehmlichkeiten zu beklagen. Bitte übermittelt ihm Unsere besten Grüsse!"

„N ... natürlich Hoheit!" Der Sekretär war sprachlos.

Der junge Herrscher war ganz und gar nicht das, was er erwartet hatte.

Ihm war vor dieser Unterredung nicht ganz wohl gewesen. Um ehrlich zu sein, stand unter seinem Schreibtisch ein riesiger Eimer mit Wasser. Nur für den Fall, dass der Feuerbändiger die Beherrschung verlor.

Aber tat er das? Weit gefehlt! 

Statt eines hitzigen, aufbrausenden und lenkbaren Fürsten stand hier ein kühler, überlegter, unberechenbarer Taktiker.

Die Sache würde schwerer werden als Minister Wong behauptet hatte, soviel stand fest.

„Und nun", murmelte Seine Lordschaft. „Werdet Ihr mich sicher entschuldigen!"

Sprach´s, und schritt von dannen.

Wong Shus Sekretär blinzelte. Er wurde das Gefühl nicht los, der Spiess sei eben umgedreht worden.

War gerade er derjenige gewesen, den man hingehalten hatte?
 

Zuko platzte ins Zimmer.

„Ist sie schon da?"

Die Frage galt seinem Onkel und Fon, die es sich beim Pai Cho gemütlich gemacht hatten.

„Wer, oh Stürmischer?", erkundigte Iroh sich mit hochgezogenen Brauen.

Doch sein Neffe hörte gar nicht zu, sonder entledigte sich in fliegender Hast des Odoros. Fon konnte in letzter Sekunde verhindern, dass die Robe auf dem Boden landete. Also wirklich!

„Wen erwartet Ihr denn?" Ein erneuter Versuch des Generals, seine Neugier zu stillen.

„Fon, wurde der Bote mit Essen und Medizin heute morgen losgeschickt?"

„Selbstverständlich, Herr!"

„Gut! Und die Botschaft für die Mutter des Kleinen?"

„Ebenfalls, Herr!"

„Zuko! Seit wann, glaubt Ihr, Ihr könntet Euren ältesten Verwandten ignorieren?", verlangte Iroh zu wissen..

„Würdest Du bitte noch ein paar Erfrischungen für unseren Gast besorgen, Fon?"

Der Diener nickte ergebenst.

Nun endlich richtete sich Zuko an seinen Onkel.

„Es wird eine Überraschung."

„Ach was? Wer hätte DAS gedacht?“

„Onkel ...“

In diesem Moment klopfte es. Nach angemessener Zeit öffnete sich die Tür.

Ein Diener trat ein, verbeugte sich kurz, um dann mit leiernder Stimme einen Gast anzukündigen.

„Die überaus ehrwürdige ..."

„Hey, bin ich das, oder riecht´s hier verkokelt?"

„...EHRwürdige To..." Der Bedienstete wurde mit einer Hand weggewedelt.

„Schon gut! Alle anwesenden Feuerspucker kennen mich!"

Die junge Dame, die hereinspaziert war, drehte sich nun ins Zimmer, ein breites Grinsen auf dem Gesicht, die Arme weit geöffnet.
 

„Lass Dir ein paar Rippen brechen, Prinnylein! Oder bist Du schon zu verweichlicht, seit Du Deinen Hintern auf diesem Gold-Thron plattdrückst?"

„Toph!" Mit diesem freudigen Ausruf eilte Feuerspucker-Prinny auf seine Herausforderin zu und umarmte sie heftig.

„Zuzu!... Uff! Hey ... ich krieg keine Luft ..."

Die Umarmung wurde gelockert.

„Pass gefälligst mit Deinen Muckis auf! Ich glaub, Du hast sie nicht mehr unter Kontrolle, seit sie sich noch weiter vermehrt haben."

Tophs Hand kam nach Oben, auf die Höhe, wo bei ihrer letzten Begegnung sein Scheitel gewesen war, und ertastete nur ein breites Lächeln.

„Hast Du Stelzen an den Füssen?"

„Nein."

„Absätze?"

„Nein."

„Du stehst auf Deinem Onkel!"

„Nein."

Ihre Hand kam wieder nach unten.

„Mann! Du quatschst einen immer noch über den Haufen, was?"

„Ja, es ist auch schön Dich wieder zu sehen!"

„Vielleicht ist das das Problem ... Ich SEH Dich nicht!"
 

„Zuko! Warum habt Ihr uns nicht gesagt, dass wir einen so hoch geschätzten Gast erwarten?" Iroh war neben die beiden getreten.

„General Iroh!" Toph umarmte den alten Mann liebevoll.

„Warum bekommt er eigentlich keine Kosenamen von Dir?", wollte Zuko mit verschränkten Armen wissen.

„Weil er eine Respektsperson ist, Weichbirne!", sagte Fräulein Bei Fong zur Flamme der Welt.

„Nun Neffe, diese junge Dame weiss eben, was dem Alter gebührt."

„Tsts, das wüsst ich aber, Onkelchen!"

„Ja. Ich seh schon, Onkel!"

Iroh beschloss, diese Ungebührlichkeiten einfach zu ignorieren und genoss die offensichtliche Freude seines Neffen, seine beste Freundin wieder einmal bei sich zu haben.

Der Junge schien schon den ganzen Tag eine unüberwindbar gute und ausgeglichene Laune zu haben.

Er hatte sogar Sätze wie "Ich hab so gut geschlafen, wie schon lange nicht mehr!" von sich gegeben. Ohne Aufforderung. Freiwillig!

Nun der Besuch von Toph könnte natürlich eine Erklärung dafür sein.

Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass der Herr erst weit nach Mitternacht wieder im Palast aufgetaucht war?

Iroh hatte so eine leise Ahnung, was Zuko in die Stadt gezogen hatte.

Ja, alles lief ganz prächtig!
 

Nach zwei Stunden, in denen Neuigkeiten, Grüsse und Sticheleien ausgetauscht worden waren, wurde Zuko unruhig.

Er freute sich unbändig, Toph wieder zu sehen, aber seit gestern Nacht gab es etwas, dass ihn  weit mehr beschäftigte. 

Verdammt! Er musste das Mädchen sehen!

Vielleicht war sie ja gar nicht mehr frei, auch wenn es so ausgesehen hatte, als lebe sie allein.

In Gedanken sah er eine Armada von Verehrern an ihrer Tür kratzen. 

Schließlich konnte er kaum der einzige sein, der diese Frau haben wollte ...

Er sah aus den großen Fenstern hinaus auf die Stadt.

Sein Plan war ebenfalls noch nicht ausgereift. Er wusste nur, dass er langsam vorgehen musste! 

Zu oft schon hatten Menschen nichts mehr von ihm wissen wollen, nachdem sie erfahren hatten wer er war. Der Sohn von Ozai, dem Vernichter.

Er würde sie vorsichtig darauf vorbereiten müssen.

Zuerst musste sie erfahren, dass er kein Untertan des Erdkönigreichs war. Dann würde er sie irgendwann in die Tatsache einweihen müssen, ein Feuerbändiger zu sein. Nun ja ... ein ziemlich mächtiger Feuerbändiger. 

Nach ein paar weiteren Jahrzehnten wäre Jin dann vielleicht bereit für die Nachricht, dass sein Name nicht Lee, sondern Zuko war.

Zuko, Fürst der gesamten, verdammten Feuernation.

Sie würde ganz bestimmt Luftsprünge machen vor Freude, oh ja.

FALLS sie noch frei war und FALLS sie ihn überhaupt noch wollte.

Er war nicht gerade Prince Charming gewesen.

Ein tiefer Seufzer entrang sich ihm.
 

„Sag mal, Aschehirn, warum bist Du denn so unruhig?" 

Toph steckte sich noch einen der kleinen, exquisiten Kuchen, die auf dem einem Beistelltischchen neben ihr standen, in den Mund. „Haben Dich die Babysitter des Erdkönigs etwa schon weichgeklopft?"

„Wenn die Hölle zufriert!", schnaubte Zuko.

„Das ist mein Zuzulein!" Sie strahlte. Er schnalzte mit der Zunge.

„Könntest Du mich vielleicht Kaminkopf oder Matschbirne nennen, statt Zuzu, oder Zuzulein?"

Toph erinnerte sich. Seine Schwester hatte ihn immer so genannt. Offenbar ein zu wunder Punkt.

„`Tschuldige!", murmelte sie.

„Schon gut." 

„Und warum wibbelst Du nun ständig so rum?"

„Ich, äh..." Es kam zwar oft vor, dass Zuko keine Worte verlor, aber nur selten, dass er danach suchte. „... hab noch was vor“, schloss er lahm.

„Außer mir Kuchen zu servieren?", staunte Toph. „Ehrlich? Mann, ich bin geschockt!"

„Ich weiss ja, es ist unhöflich ist, aber.."

„Zuko!" Sie klatschte gegen seine Stirn. „Du wirst ja noch ein paar Tage hier sein. Genug Zeit, das nette Pläuschchen ein andermal fortzuführen. Außerdem kann ich mir dann jetzt Deine Asche- und Kohlesammlung ansehen, äh ... fühlen. Oder Deinem Onkel beim Kammblasen zuhören."

„Danke, Toph! Ich bin sicher, er ist entzückt, endlich einen geduldigen Zuhörer zu finden."

„In seinen Träumen! Jetzt hau schon ab!"

Genau das tat er.
 

Obwohl erst früher Abend war, war Jin unsagbar müde.

Sie hatte in der letzten Nacht wieder nur sehr wenig geschlafen, aber das schien ja leider zu ihrem traurigen Markenzeichen zu werden.

Sie beschloss, dass frische Luft nicht schaden konnte, nahm ihren Mantel und ging nach draußen.

Die kommende Kühle der Nacht tat ihren brennenden Augen und Wangen gut.

Sie schlenderte durch vertrauten Gassen, froh um die Ablenkung, die das bunte Treiben ihr bot.

Warum hatte sie in letzter Zeit nur das dringende Bedürfnis all die Orte aufzusuchen, an denen sich ihre vermaledeiten Erinnerungen tummelten?

Bis vor einem Monat war sie wenigstens noch klug genug gewesen, sie zu meiden.
 

Zum Beispiel das Teehaus ...

Die feinen Aromen des Tees waren soviel wundervoller gewesen, als die abgestandenen Gerüche, die jetzt hier herrschten.
 

Oder das kleine Restaurant ...

Wie unbehaglich er sich hier gefühlt hatte.

Bestimmt hatte er krampfhaft überlegt, wie er `Kein Interesse, hab schon was anderes am laufen´ nett formulieren könnte.
 

Danach war der kleine Marktplatz des Viertels dran.

Der Platz, an dem sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte.

Wie glücklich sie im ersten Augenblick gewesen war!

Seit zwei Wochen war sie schon auf der Suche nach ihm gewesen.

Sechs Tage nach dem unglückseligen Rendezvous hatte ihr vor Traurigkeit blockiertes Gehirn die Puzzleteile endlich zusammengesetzt.

Lees abweisende Art, seine Brandnarbe, die Lüge über sein angebliches Leben als Zirkusartist, die innerhalb weniger Sekunden erhellten Kerzen am Brunnen, sein übereiltes Verschwinden, ja selbst seine seltsam goldenen Augen.

Alles passte plötzlich ins Bild.

Ihr Teekellner hatte ein Geheimnis zu verbergen. Und die Angst, sie könnte dahinter kommen, hatte in veranlasst, Hals über Kopf zu verschwinden.

Ihr Drachenjunge war ein Feuerbändiger.

Und zwar einer, der ganz offensichtlich auf der Flucht war.

Wusste er denn nicht, wie egal ihr das war?

Jin war sich darüber bewusst, dass es auf beiden Seiten dieses Krieges Opfer gab und er war eines davon, Feuerbändiger hin oder her.

Hatte er gedacht, sie würde ihn fürchten? Oder noch schlimmer, die Polizei auf ihn hetzen?

Bei dem Gedanken war ihr ganz schlecht geworden.

Also war sie zum Teehaus gelaufen, um ihn zu sprechen. Aber weder er noch sein Onkel waren dort gewesen.

Nur ein grantiger Besitzer, der sie angemault hatte, es sei ihm verflucht egal, wo die beiden untreuen Taugenichtse sich herumtrieben.

Aber ihr war es nicht egal gewesen! Sie hatte ihn gesucht.

Und dann, drei Wochen nach ihrer Verabredung hatte sie ihn hier gesehen. Auf diesem Platz.

Zuerst hatte sie nur Augen für ihn gehabt, war freudig auf ihn zu gerannt.

Als er sie sah, hatte Panik in seinen Augen gestanden.

Wegen seines Geheimnisses. Natürlich!

Er wusste ja nicht, dass es bei ihr in guten Händen war, dass sie ihn nie verraten würde, sie musste nur ...

Dann war ihr Blick auf das Mädchen an seiner Seite gefallen. 

Eine sehr, sehr schöne, junge Frau. Elegant, würdevoll, so ganz anders als sie selbst, mir ihrem schon wieder halb aufgelösten Zopf und den vielen Flecken auf dem Mantel.

Lees Begleiterin hatte auf den ersten Blick gesehen, wie es um Jin bestellt war.

Mit einem Lächeln voll honigsüßem Hohn hatte sie besitzergreifend nach seinem Arm gegriffen, um klar zu stellen, wessen Revier er war.

Dann hatte sie eine Frage gestellt. Beissend und herablassend.

„Nanu ... Wer ist denn Deine kleine Freundin hier?"

„Ach ...“, hatte Lee ausweichend gemurmelt. „Nur eine Kundin."

Mit diesen Worten hatte er die Scherben ihres Herzens in tausende winziger Nichtigkeiten zerfetzt.

Jin nahm einen zitternden Atemzug, als sie ihre Gedanken wieder in die Gegenwart zwang.

Warum? Warum nur trauerte sie ihm immer noch nach? Warum reichte diese letzte Grausamkeit von ihm nicht aus, sie ihn vergessen zu lassen?

Mit gesenktem Kopf ging sie weiter.

Wenigstens am Ende ihres Spaziergangs wollte sie noch eine schöne Erinnerung zurückholen.
 

Der große Schatten, der Fräulein We auf den Fersen gewesen war, seit sie ihre Wohnung verlassen hatte, bewegte sich lautlos.

Er hatte seine Beute im Visier.

Bis er sie in den Fängen hatte, würde nichts ihn von ihrer Spur abbringen.

Und er kannte ihr Ziel. Zeit zu handeln!
 

Der Platz der hundert Kerzen war leer, wie meistens.

Es gab in der Stadt genügend buntere und aufregendere Orte, an denen man sich die Zeit vertreiben konnte, so dass niemand mehr sich für diese kleine Oase interessierte.

Die alte, vor Jahrzehnten noch überwältigende Pracht war ruhiger, schlichter Würde gewichen.

Nichts konnte diese Würde stören.

Auch nicht der dunkle Schemen, der am Rand des Platzes auftauchte.

Mit einem schnellen Blick in die Runde vergewisserte sich Zuko, dass er allein war.

Eine schnelle Geste entzündete sämtliche Lichter des großen Brunnens.

Der Schauplatz war bereitet; seine Beute konnte kommen.
 

Jin hielt verzückt die Luft an, als sie den Platz betrat.

Warum brannten die Kerzen?

Seit drei Jahren wurden sie nur noch an Festtagen entzündet. Und heute war keiner, da war sie sich ziemlich sicher.

Langsam ging sie auf das Funkeln zu.

Ah, wie hatte sie diesen Platz geliebt! Stundenlang hatte sie die schimmernden Reflexionen der Flammen im Wasser betrachtet.

Den wundervollsten Augenblick ihrer Erinnerungen hatte sie hier erlebt.

Ihre vorwitzige, unbelehrbare Hand holte den verhassten, und doch so unersetzlichen Coupon aus der Manteltasche.

Genau hier hatte sie gestanden, als sie ihn bekommen hatte.

Sie schloss die Augen und ließ ihr Herz ein Bild malen.

Diesen einen, kostbaren Blick ...
 

„Jin?"

Jin beglückwünschte sich zur unglaublichen Realität ihrer Tagträume.

Dann drehte sie sich langsam zu der Stimme um. Der Stimme aus Zedernrauch und Samt.

Er stand am Rand des Lichtkegels, den die Kerzen bildeten, im Zwielicht.

Nein. Er war es nicht!

Die flackernde Silhouette war breiter. Viel größer.

Auch die Stimme war tiefer, als in ihrer Erinnerung.

Er war es nicht!

Seine Bewegungen degradierten normales Gehen zur Farce.

Sie waren wie Wasser, das über einen Kieselstein floss.

Er kam auf sie zu! Er kam tatsächlich auf sie zu ...

Jin stolperte einige Schritte rückwärts, nur um von dem verräterischen Brunnen gestoppt zu werden.

Seine Augen waren noch immer wie geschmolzenes Gold, in dem sich tausende von Flammen spiegelten. Sie hielten sie ebenso fest, wie die Brunnenmauer an ihrer Hüfte es tat.

Sein Gesicht hatte sich verändert.

Immer noch stolz und ernst, war nun die letzte Weichheit der Jungend verflogen.

Noch mehr Ecken und Kanten als damals machten es schroff und hart.

Und über dem rechten Auge thronte noch immer die kühn geschwungene Rabenschwinge.

`Such gefälligst nach etwas, das Dir an ihm NICHT gefällt, Missy!´

Hektisch tasteten Jins Augen ihn von Kopf bis Fuss ab.

Aber da war nichts.

An diesem ganzen, kraftstrotzenden Mannsbild gab es kein Zoll, das ihr missfallen hätte!

Sträflich vernachlässigte Körperfunktionen meldeten sich zu Wort.

Jins Lungen brannten, da die Sauerstoffzufuhr nicht mehr gewährleistet wurde, Ihr Puls jagte dem siedenden Blut hinterher und ihre nutzlosen Knie schienen der Meinung zu sein, dass ihr Körpergewicht vielleicht doch etwas zu viel sei und zitterten heftig.
 

„Jin!"

Plötzlich wollte sie nur noch niederknien und ihrem Schöpfer danken, dass ihre Eltern ihr diesen Namen gegeben hatten, den er so zu lieben schien.

Seine Stimme bettete den Laut in Wärme und Weihrauch. Sein schöner Mund modulierte und liebkoste ihn.

Himmel! Er war schon auf zwei Schritte herangekommen! 

`Tu endlich etwas und lauf weg!´

Er streckte die Hand nach ihrem Gesicht aus und sämtliche inneren Stimmen verstummten. Ließen sie einfach so im Stich.
 

Zuko konnte sein Glück kaum fassen.

Sie lief nicht vor ihm davon; stand einfach da und sah in an.

Bei Agni, sie sah ihn immer noch so an wie damals!

Ihr Jadeblick schien seine Narbe, dies für jedermann sichtbare Zeichen seiner Unzulänglichkeit, einfach fort zu schmelzen.

Der Drache in seinem Inneren, dieses unbändig stolze Geschöpf, spreizte sich und richtete sich auf, um sich von ihr betrachten zu lassen. Jenem wundervollen Wesen, dessen Augen ihm sagten, dass er schön war.

Er hatte seine Gefährtin gefunden.

Endlich. Nach all der Zeit!
 

Er stand tatsächlich vor ihr. So nah, dass Jin den Kopf weit in den Nacken legen musste, um zu ihm aufzublicken.

Kaum wahrnehmbar berührten seine Fingerspitzen ihr Gesicht, drückten mit Schmetterlingsflügeln Brandzeichen auf ihre Haut.

Dann glitten die Finger weiter, umfassten sanft ihren Nacken, während sein Daumen auf ihrer Wange ruhte.

Er neigt den Kopf.

Oh Gott! Sie würde das hier nicht überleben!

Ihr gehetzter Atem stieß heftig gegen seine Lippen, er flüsterte einen Namen gegen die ihren.

„Jin..."

`Er hat kein Recht, Dich zu küssen!´

Doch Jinny die Glückselige schmolz zu einem See der Verzückung zusammen.

Es regnete Feuer, als sein Mund ganz sacht auf ihrem lag, die zögerliche Sanftheit von damals imitierend. Eine Frage stellend, die von ihrem leisen Seufzen beantwortet wurde. Statt den Druck zu verstärken strich er nur unendlich sanft über ihre Lippen, bis sie kribbelten und summten, sich in Erwartung auflösten.

Jin wollte mehr!

Das gebrochene Ächzen, das ihr entfuhr, hörte sie nicht. Er schon.
 

Zuko hatte sämtliche Erfahrungen, die er im Lauf der Jahre über die Reaktionen weiblicher Körper gesammelt hatte, genommen und in diesen Kuss gelegt.

Er durfte sie nicht erschrecken, musste vorsichtig vorgehen.

Doch dann kamen diese leisen, atemlosen Laute aus ihrer Kehle, zerrten seine Gier ans Licht und jagten seine Selbstbeherrschung zum Teufel. Seine Lippen öffneten sanft die ihren, zupften, knabberten, übten köstlichen Druck aus ...

Bis Jin We auf das naturgegebene Hoheitsrecht über ihre Lippen verzichtete und ihm ihren Mund überließ, völlig hilflos gegen die zärtliche Inbesitznahme.

Die Welt, ihre vor Jahren zerbrochene Welt, löste sich auf, zerschmolz in einem kaleidoskopartigen Wirbel, um dann als Ganzes wieder an ihren alten Platz zu rücken.

Strahlender, schöner und vollkommener, als sie je gewesen war.

Sein Atem erfüllte ihren Mund, so dass sie den eigenen nicht mehr brauchte. Die Spitze seiner Zunge kostete ihre Lippen und deren Konturen.

Fordernde Arme zogen sie dicht an die unnachgiebige Wärme seines Körpers; ihren einzigen Halt, außer dem Stoff seines Übermantels, in den ihre Finger sich verkrallt hatten.

Dann begnügte er sich nicht mehr mit neckenden Liebkosungen.

Sein Mund plünderte die Weichheit ihrer Lippen, seine raue Zunge eroberte die Süsse ihres Mundes und seine Hände stahlen ihre Vernunft.

Er hüllte sie in Sturm und Feuer, machte aus ihr ein Meer der Sehnsucht.

Von Kopf bis Fuss presste er sie an sich.

Jins Finger verfingen sich in seinem Haar, zogen es beinahe aus der strengen Ordnung seines Zopfes.

War das ihr Mund, der ihn so schamlos widerküsste? Ihr Körper, der sich an ihn drängte? Ihre Arme, die ihn für sich forderten?

Himmel! Lass ihn nicht aufhören. Lass ihn nie wieder aufhören!
 

Als Zuko verräterische Tränen unter seinem Daumen spürte, beendete er den Kuss. Nie hatte er sich zu etwas mehr überwinden müssen.

„Jin?"

Sie ertrank beinahe in diesem Gold. 

Drachenaugen. Verräterische Drachenaugen! Schöne, lügnerische Drachenaugen!

Jin blinzelte. So dumm konnte sie doch nicht sein, oder?

Er hatte es irgendwie geschafft, die Hierarchie in ihrem Körper umzukehren. Ihr Kopf hatte nicht weiter das Kommando.

Schön. War ihr Kopf eben ausgeschaltet. Ihre Gefühle waren es nicht!

Also nahm Jin die einzige Waffe, die ihr noch blieb: Ihre Wut.

Allerdings war die nicht stärker als seine Arme.

„Lass los!", zischte sie erbost.

„Jin, ich..."

„Sofort! Du lässt mich jetzt SOFORT los!"

Zukos Erfahrungen mit schreienden Frauen sagten ihm, dass er es in Erwägung ziehen sollte, genau das zu tun.

Wiederwillig ließ er sie frei.
 

`Dummer Fehler, Missy. Deine Knie sind immer noch wie Gelee!´

Um so schnell wie möglich Abstand zu gewinnen, bediente sich Jin der Brunnenmauer. Sie tastete sich an ihr entlang.

„Verschwinde! Was willst Du hier?"

Die Restfunktion ihres Hirns wies Jin freundlicherweise darauf hin, dass diese Worte sich widersprachen. Er konnte wohl kaum verschwinden, wenn er ihre Frage beantworteten sollte.

„Geh weg!"

Ja, DAS war eine klare Aussage!

„Jin, bitte! Ich kann Dir alles erklären!"

HA! Wenn das kein Klassiker war.

„Geh weg und lass mich in Ruhe!"

Noch immer veranstalteten sie ihren Reigen um den Brunnen. Sie rückwärts gehend, er folgend.

Wenn sie nicht von hier wegkam, würden sie morgen früh noch im Kreis rennen.

Also löste Jin versuchsweise ihre Hände von der Mauer. 

Gut! Sie konnte wieder stehen.

Das mit dem Atmen pendelte sich auch langsam wieder ein. Ganz hervorragend.

Es wurde Zeit zu rennen!



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kikoro
2009-07-22T22:08:55+00:00 23.07.2009 00:08
Wow, die Kussszene hast du echt toll beschrieben. Es ist echt schwer, Gefühle und Gedanken so authentisch rüberzubringen. Dir ist es gelungen!
Einziger Kritikpunkt: Mir ging das ein wenig zu schnell. Ich wäre, wäre ich Jin, weggerannt oder hätte mich zumindest nicht so schnell einfach einwickeln lassen^^"
Naja, aber Jin ist nunmal Jin!

Bis zum nächsten Kapitel!

Lg,

Kikoro
Von:  Bernsteinseele
2008-02-05T01:48:25+00:00 05.02.2008 02:48
>>>>>Sträflich vernachlässigte Körperfunktionen meldeten sich plötzlich zu Wort:
Ihre Lungen brannten, da die Sauerstoffzufuhr nicht mehr gewährleistet war, Ihr Puls jagte dem siedenden Blut hinterher und ihre nutzlosen Knie schienen der Meinung zu sein, dass ihr Körpergewicht vielleicht doch zu viel sei und zitterten heftig.

"Jin!"
Plötzlich wollte sie nur noch niederknien und ihrem Schöpfer danken, dass ihre Eltern ihr diesen Namen gegeben hatten, den er so zu lieben schien.<<<<<

Ach gitt Xanderle .. du bist einfach herrlich ... ich hab mich wieder mal gekringelt vor lachen ^^


Und ja die Kussszene war profilike .. wie in meinen geliebten Romanen *mit ihrem Bücherregal rumwedel*
Von:  Prises
2007-08-26T16:25:18+00:00 26.08.2007 18:25
Es hätte mich auch gewundert, wenn es so leicht gewesen wäre. ^^ Aber wie du den Kuss beschrieben hast war aller erste Sahne, Daumen hoch. ^o^


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